Vorgeschichte der Vereinsgründung
Der Beruf der Krankenpflegerin entwickelte sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der außerfamiliären Krankenpflege. Wichtige Rahmenbedingungen waren die Professionalisierung der Medizin und die verstärkte Gründung von Krankenhäusern. Für die jüdische Gemeinde Frankfurts zeigte sich dies im Jahr 1875 durch die Errichtung des Hospitals der Israelitischen Gemeinde, auch Königswarter Hospital genannt. Es bot Platz für 80 Kranke und war offen für alle Gemeindemitglieder und deren Angestellte. Zu einer Zeit, als die Notwendigkeit professioneller Krankenschwestern noch diskutiert wurde, stellte man hier am 1. Juli 1881 die vermutlich erste an einem jüdischen Krankenhaus in Deutschland ausgebildet Krankenschwester ein: Rosalie Jüttner.
Gründung und Ziele des Vereins
Die Ärzte Simon Kirchheim und Alfred Günzburg und vor allem der Bankier Meier Schwarzschild planten 1893 die Gründung eines Vereins zur Förderung der Krankenpflege. Ebenso begannen die zwischen 1889 und 1893 ausgebildeten Krankenschwestern Minna Hirsch, Frieda Brüll, Klara Gordon, Lisette Hess und Thekla Mandel sich zu organisieren, sie bildeten den „Verband jüdischer Krankenpflegerinnen“. Beide Initiativen zusammen gründeten am 23.10.1893 den „Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main“. Zur Oberin war bereits Minna Hirsch gewählt worden. Der erste Vorsitzende des Vorstandes, der aus neun Männern bestand, wurde Dr. Simon Kirchheim. Die Ziele des Vereins sahen die Ausbildung jüdischer Mädchen zu Krankenpflegerinnen vor, darüber hinaus wollte man der unentgeltlichen Armenpflege aller Konfessionen dienen. Ein wirtschaftliches Standbein des Vereins sollte die bezahlte Privatpflege sein. Als Mitglieder sollten alle aufgenommen werden, die einen Mitgliedsbeitrag bezahlten.
Die ersten zehn Jahre
Die Schwesternschülerinnen und Schwestern wurden zunächst in einer angemieteten Wohnung, dem so genannten „Häuschen“, direkt neben dem Krankenhaus untergebracht. Nach wenigen Jahren erfolgte der Umzug in ein Haus in der Unteren Atzemer 16. Ein neues Schwesternheim wurde 1902 auf einem großen Grundstück in der Königswarterstraße, direkt neben dem Israelitischen Hospital, eröffnet. In der Bilanz der ersten zehn Jahre verzeichnete man 43 Schülerinnen, die der Verein zur Ausbildung aufgenommen hatte. Da nicht alle Schülerinnen die Ausbildung beendeten und nicht alle der Ausgebildeten im Verein geblieben waren, gab es zu diesem Zeitpunkt 24 aktive Schwestern. 13 dieser Aktiven waren in der Privatpflege tätig, eine als Armenschwester. Im Frankfurter Hospital arbeiteten fünf und in Hamburg drei der aktiven Schwestern. Thekla Mandel war inzwischen Oberin des Gumpertz’schen Siechenhauses, eine weitere Schwester war zu dieser Zeit beurlaubt. Zur Anerkennung für ununterbrochene Tätigkeit im Verein hatten sechs der Schwestern die „goldene Brosche“ erhalten. Nach den ersten zehn Vereinsjahren hatte sich die professionelle jüdische Krankenpflege in Frankfurt fest etabliert. Der Bedarf nach weiterem ausgebildetem Personal blieb weiter hoch.
Die Entwicklung zu Beginn des 20. Jahrhunderts
In den folgenden Jahren verbesserte sich das Mitspracherecht der Frauen im Verein, ein Schwesternrat wurde gegründet. Der Abschluss der Schwesternausbildung erfuhr durch eine staatliche Krankenpflegerinnenprüfung eine weitere Aufwertung. Die Ausbildungszeit wurde auf anderthalb Jahre erhöht, und auch auf Fortbildungen für die ausgebildeten Schwestern wurde stärker geachtet. Durch Kooperationen und Entsendung von Vereinsschwestern kamen Einsatzorte wie Hannover oder Basel hinzu. Zusätzliche Arbeitsbereiche entstanden, so etwa die Säuglingsmilchküche im Schwesternhaus.
Im Jahr 1914, inzwischen waren bereits 40 Schwestern aktiv, zog das Hospital in größere und modernere Gebäude, in der Gagernstraße 36, um. Daneben entstand ein neues Schwesternhaus in der Bornheimer Landwehr 85. Dieses Haus bot Platz für 60 Schülerinnen und Schwestern sowie Hauspersonal, die in Einzel- oder Doppelzimmern unterkamen. Es gab Gemeinschafsträume, Freizeiträume und Büros. Die Nachtwachen bekamen eine eigene Schlafabteilung, Krankenpflegerinnen, die für ansteckende Krankheiten zuständig waren, eine eigene Wohnung.
Der Erste Weltkrieg und die Weimarer Republik
Im Ersten Weltkrieg zeigte der Verein seine patriotische Haltung: Alle Krankenschwestern wurden dem Kriegssanitätsdienst zur Verfügung gestellt und das Schwesternhaus als Lazarett genutzt, in dem während des Krieges 850 Soldaten behandelt wurden. Es gab ein Sofortprogramm mit Notexamen und kurzer Kriegsschwesternausbildung, frühere Schwestern meldeten sich zum Dienst zurück. Schwestern kamen im jüdischen Krankenhaus, im Gumpert’schen Siechenhaus, aber auch im Israelitischen Krankenhaus in Hannover oder auch im israelitischen Krankenhaus in Straßburg zum Kriegseinsatz. Einige leisteten ihren Dienst in Frontnähe oder im Lazarettzug des Deutschen Roten Kreuzes.
Durch die gesellschaftlichen Veränderungen während und nach dem Krieg verlor der Schwerpunkt Privatpflege an Bedeutung. Die Pflege fand nun in erster Linie im Israelitischen Gemeindehospital, in der Säuglingsmilchküche, der Säuglingsfürsorge und dem Kinderhaus der Weiblichen Fürsorge statt. Mit Pforzheim und Davos kamen neue Einsatzorte hinzu. Ebenfalls durch die gesellschaftlichen Einflüsse der Nachkriegszeit wurden die Rechte der Schwestern gestärkt, z. B. durch eine größere Beteiligung im Verwaltungsrat. In den folgenden Jahren verbesserten sich die Pensionsbedingungen der Schwestern, es wurden Urlaubstage eingeführt, das Aufnahmealter wurde auf 19 Jahre gesenkt und die Ausbildungszeit auf 2 Jahre erweitert. 1933 erreichte die Anzahl der Schwestern mit 47 und die der Schülerinnen mit 13 den Höchststand der Vereinsgeschichte.
Von 1933 bis zur Zwangsauflösung
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 beeinflusste auch sofort die Arbeit der Vereinsmitglieder. Die Zahl der Patientinnen und Patienten in den jüdischen Einrichtungen stieg, da sie in anderen Häusern immer seltener aufgenommen wurden. Die Ausbildung fand zwar nach 1933 weiter mit staatlicher Anerkennung statt, ab 1938 lautete die Berufsbezeichnung jedoch: „Jüdische Krankenschwester“. Seit 1939 begann die Stadt mit der faktischen Enteignung der Liegenschaften der jüdischen Gemeinde. 1940 wurde der Verein, wie alle anderen jüdischen Vereine und Organisationen, zwangsaufgelöst. Das Schwesternhaus wurde Ende 1940 von der Gestapo beschlagnahmt und der Uni-Klinik als Ausweichquartier zugeschlagen. In den Unterkünften des Vereins erhöhte sich die Zahl der Ein- und Auszüge der dort wohnenden Krankenschwestern, Krankenpfleger und Schülerinnen merklich. Die Auswertung der entsprechenden Hausstandsbücher für die Jahre 1933 bis 1942 zeigt, dass der Verbleib von vielen Bewohnerinnen ungeklärt ist, und die Schicksale von „99 [Personen] eindeutig auf die nationalsozialistische Verfolgung und Vernichtung zurückführen“ sind (Steppe 1997, S. 244). Viele von ihnen wurden in den Vernichtungslagern umgebracht.
Im Oktober 1943 wurde das inzwischen „arisierte“ Schwesternhaus in der Bornheimer Landwehr 85 bei einem Bombenangriff vollständig zerstört. Viele Kinder und 14 Krankenschwestern der Uni-Klinik kamen dabei ums Leben.
Edgar Bönisch, 2009