Jüdische Pflege- geschichte

Jewish Nursing History

Biographien und Institutionen in Frankfurt am Main

Ein Beitrag aus Altenpflege und Altenhilfe
Verweise hervorheben

Rothschild´sches Damenheim – ein Wohnprojekt für bedürftige Frankfurter Seniorinnen aller Konfessionen in Eschersheim

Noch kurz vor ihrem Tod verwirklichte die Frankfurter jüdische Stifterin Minka von Goldschmidt-Rothschild die Zedaka (jüdisches Gebot der sozialen Gerechtigkeit durch Wohltätigkeit), als sie 1903 die Errichtung eines größeren Mietkomplexes für materiell benachteiligte verwitwete oder ledige Frauen aller Konfessionen in die Wege leitete. Um das umfangreiche soziale Wohnprojekt kümmerten sich ihre Mutter Mathilde von Rothschild und ihre nach Paris verheiratete Schwester Adelheid de Rothschild, ebenso Minkas Ehemann Max von Goldschmidt-Rothschild und die gemeinsame Tochter Lili Schey von Koromla.

Gemälde: Minka von Goldschmidt-Rothschild (Fotografie von einem Gemälde, undatiert).
Minka von Goldschmidt-Rothschild (Fotografie von einem Gemälde, undatiert) © Courtesy of the Leo Baeck Institute (Paul Arnsberg Collection)

Das ‚Damenheim‘ der Freiherrlich Wilhelm Carl von Rothschild’schen Stiftung für wohltätige und gemeinnützige Zwecke, Hügelstraße 142-146

Fotografie:Rothschild´sches Damenheim, Frontansicht, 17.04.2013.
Rothschild´sches Damenheim, Frontansicht, 17.04.2013
© Edgar Bönisch

Auch in Frankfurt am Main nahm der soziale Wohnungsbau erst in den 1920er Jahren Fahrt auf. Zuvor hatten insbesondere alleinstehende ältere Frankfurterinnen mit geringem Einkommen große Schwierigkeiten, ein günstiges und zugleich angemessenes Zuhause zu finden. Ihre Präsenz in der Mieterrechtsbewegung des Deutschen Kaiserreichs war in der Regel gering, was sie erhöhten Mietforderungen, fristlosen Kündigungen und den Schikanen mancher Vermieter/innen preisgab. Für diese Nöte hatten die Stifterinnen der Frankfurter Bankiersfamilie Rothschild, obwohl selbst im Wohlstand aufgewachsen, ein offenes Ohr: 1902 gründete Minka von Goldschmidt-Rothschild zum Andenken an ihren verstorbenen Vater die Freiherrlich Wilhelm Carl von Rothschild’sche Stiftung für wohltätige und gemeinnützige Zwecke u.a. mit dem Ziel, bezahlbaren Wohnraum für einkommensschwache Frankfurter Bürgerinnen zu schaffen. Das Stiftungsstatut hat sie am 29. Oktober 1902 unterzeichnet und wohl auch selbst in großen Teilen formuliert: „Als Wahrzeichen der pietätvollen Erinnerung, welche ich, Frau Max Goldschmidt, geborene Freiin von Rothschild, der Stadt, in welcher das Stammhaus meiner Familie steht, immer bewahre, habe ich mich entschlossen, zum Andenken an meinen seligen Vater, Herrn Wilhelm Carl Freiherrn von Rothschild, eine Stiftung zu machen, welche dieser Gesinnung äusseren Ausdruck zu verleihen bestimmt ist. Um für diese Stiftung die Rechte einer juristischen Person zu erlangen, habe ich das nachstehende Statut festgestellt“ (zit. n. Statut Rothschild´sches Damenheim 1904, S. 1, Hervorhebung B.S.).

Ein erheblicher Teil der umfangreichen Stiftung galt dem Erwerb oder Neubau von Wohnhäusern mit preisgünstigen abgeschlossenen Kleinwohnungen für jüdische wie nichtjüdische „minderbegüterte Frauen oder Mädchen des Mittelstandes“ (ebd. S. 2). Ebenso war der Stiftungsvorstand „ohne Unterschied der Konfession“ (ebd., S. 4) zu besetzen, als dessen anfängliche Mitglieder Oberbürgermeister Dr. Adickes, Sanitätsrat Dr. de Bary, Leopold Hirschler, Sanitätsrat Dr. Marcus und Stadtrat Dr. Woell genannt wurden. Im Jahre 1910, sieben Jahre nach Minka von Goldschmidt-Rothschilds frühem Tod, war das Anliegen der Stifterin erfüllt und im Stadtteil Eschersheim in der Hügelstraße 142-146 ein großer Gebäudekomplex errichtet; zu der Liegenschaft des Damenheims gehörten die Häuser Fontanestraße 1-3 und Klaus-Groth-Straße 81-83. Entstanden war ein interkonfessionelles Wohnheim für nicht pflegebedürftige alleinstehende Seniorinnen, das zugleich die Funktion eines Kleinrentnerhauses erfüllte.

1911 konnte der Gebäudekomplex mit 23 unmöblierten Ein- und 12 Zweizimmerwohnungen, ausgestattet mit Mansarden, Keller, Küche, anfänglich einem Speisesaal sowie der Wohnung des Verwalters, bezogen werden (vgl. ISG Ffm, Magistratsakten V / 538 Bd. 3). Von den Mieterinnen, vorwiegend Witwen früherer Angehöriger des Mittelstands, ältere ledige Lehrerinnen und Sozialrentnerinnen, nutzten nicht wenige die in der Stadt angebotenen freien Mittagstische. Nach dem Ersten Weltkrieg traf die Inflation auch das Rothschild´sche Wohnprojekt (vgl. Meyerhof-Hildeck 1923), doch bot es seinen Bewohnerinnen weiterhin ein zuverlässiges Obdach, während in der Krisenzeit unter den auf sich selbst gestellten älteren Privatmieterinnen und -mietern die Furcht vor dem Verlust der eigenen vier Wände und ihrer Unabhängigkeit durch die Einweisung in ein Altersheim wuchs. Zu Beginn der 1920er Jahre stellte sich die Professorengattin Marie Wachsmuth dem Damenheim als ehrenamtliche Fürsorgerin und Kontaktperson zum Frankfurter Wohlfahrtsamt zur Verfügung. In dessen Akten (vgl. ISG Ffm: Wohlfahrtsamt Sign. 326) sind die Namen und Daten mancher Bewohnerin verzeichnet, etwa von Marie Demuth (geb. 1855 in Frankfurt/M.), Wilhelmine Schwarz (geb. 1854 in Frankfurt/M.), die aus ihrem früheren Dienstverhältnis eine Leibrente bezog, und die ebenfalls als bedürftig eingestufte Margarete Stolzenhain [Margarethe Stolzenhayn] (geb. 1865 in Berlin). Einen Hinweis auf jüdische Mieterinnen im Damenheim enthält das Jüdische Gemeindeblatt für Frankfurt am Main, das 1938 in seiner April-Ausgabe (S. 22) den 70. Geburtstag des jüdischen Gemeindemitglieds Rosette Goldschmidt, wohnhaft in der Hügelstraße 144, meldete. Gewiss musste die gebürtige Frankfurterin im Zuge des am 30. April 1939 erlassenen antisemitischen NS-„Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden“, das den Kündigungsschutz aufhob und die räumliche Trennung von den nichtjüdischen Nachbarn forcierte, aus dem größtenteils nichtjüdisch belegten Mietshaus ausziehen. Rosette Goldschmidts letzte Adresse war das Jüdische Altersheim Niedenau 25 (Sammellager). Von dort wurde die 74jährige Rentnerin am 18. August 1942 nach Theresienstadt und am 23. September 1942 in das Vernichtungslager Treblinka deportiert (vgl. JM Ffm: Datenbank).

Die Nationalsozialisten wollten jede Erinnerung an das umfangreiche philanthropische Engagement der Frankfurter jüdischen Stifterfamilie Rothschild auslöschen, weshalb sie die Trägerin des Heims 1939 in „Stiftung für mildtätige Zwecke (Wohnhilfe-Stiftung)“ umbenannten. 1940 ‚erwarb‘ die Aktienbaugesellschaft für kleine Wohnungen den Gebäudekomplex, der vier Jahre nach dem Ende des NS-Regimes an die rechtmäßige Eigentümerfamilie zurückerstattet wurde (vgl. Lenarz 2003). Hierauf folgte 1950 die Wiedererrichtung der Stiftung als ‚Freiherrlich Wilhelm Carl von Rothschild’sche Stiftung für mildtätige Zwecke‘. Ganz im Sinne der Initiatorin Minka von Goldschmidt-Rothschild kommt das soziale Wohnprojekt bis heute bedürftigen Rentnerinnen zugute – und es ist, wie uns eine betagte Mieterin (sie stammt aus Odessa/Ukraine) mitteilte, ein ‚Damenheim‘ geblieben.

Birgit Seemann, 2013

Unveröffentlichte Quellen


ISG Ffm: Magistratsakten V / 538 Bde 1-3.

ISG Ffm: Wohlfahrtsamt Sign. 326.

Ausgewählte Literatur


Meyerhof-Hildeck, Leonie 1923: Das Damenstift in Eschersheim. In: Frankfurter Zeitung, 03.08.1923. Online-Ausg. Frankfurt/M.: Univ-Bibliothek: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/rothschild/image/view/4295220?w=1000.

Schiebler, Gerhard 1994: Stiftungen, Schenkungen, Organisationen und Vereine mit Kurzbiographien jüdischer Bürger. In: Lustiger, Arno (Hg.) 1994: Jüdische Stiftungen in Frankfurt am Main. Stiftungen, Schenkungen, Organisationen und Vereine mit Kurzbiographien jüdischer Bürger dargest. v. Gerhard Schiebler. Mit Beitr. v. Hans Achinger [u.a.]. Hg. i.A. der M.-J.-Kirchheim’schen Stiftung in Frankfurt am Main. 2. unveränd. Aufl. Sigmaringen, S. 11-288.

Statut Rothschild´sches Damenheim 1904: Statut der Wilhelm Carl von Rothschild´schen Stiftung für wohltätige und gemeinnützige Zwecke zu Frankfurt a.M. Frankfurt/M.: Druck v. Voigt & Gleiber.

Internetquellen (Aufruf aller Links im Beitrag am 29.04.2013)


ISG Ffm: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main (mit Datenbank): www.stadtgeschichte-ffm.de sowie http://www.ffmhist.de/

JM Ffm: Jüdisches Museum und Museum Judengasse Frankfurt am Main (mit der internen biographischen Datenbank der Gedenkstätte Neuer Börneplatz): www.juedischesmuseum.de.