a.o. Prof. Sanitätsrat Dr. med. Paul Grosser
Geboren am 04.02.1880 in Berlin
Gestorben am 07.02.1934 in Saint-Germain-en-Laye
Begräbnisstätte unbekannt
Nationalität deutsch
Religion israelit.
4. Februar 1880
Geburtsdatum
Der Kinderarzt und Wissenschaftler Paul Grosser wurde am 4. Februar 1880 als Sohn des Verlagsbuchhändlers Eugen Grosser und seiner Frau Cécile geb. Blum in Berlin geboren.
1894
–
1968
Lebensdaten der Ehefrau Lily Grosser
Paul Grosser war mit der 1894 in Frankfurt am Main geborenen Lily Emilie geb. Rosenthal verheiratet, die ebenfalls einer jüdischen Familie entstammte. Sie hatten zwei Kinder: Margarethe und ihr jüngerer Bruder Alfred. Lily Grosser kehrte nicht mehr nach Deutschland zurück und starb 1968 mit 74 Jahren in St. Germain-en-Laye bei Paris (Sterbeort ihres Mannes). Nach Kriegsende hatte sie sich als erste Sekretärin des 1947 von französischen Widerstandskämpfern gegründeten "COMITÉ FRANCAIS D´ÉCHANGES AVEC L´ALLEMAGNE NOUVELLE" frühzeitig für die deutsch-französische Verständigung eingesetzt. Ihr Sohn Prof. Dr. Alfred Grosser (geb. 1925) machte sich als Politikwissenschaftler und Publizist einen Namen. Für seine Verdienste um die deutsch-französischen Beziehungen wurde er mehrfach ausgezeichnet. Die Tochter Margarethe Grosser (1922-1941) hat die NS-Zeit nicht überlebt.
1908
Beginn der ärztlichen Laufbahn
Städtisches Krankenhaus Sachsenhausen1908 wurde Paul Grosser Assistenzarzt bei Heinrich von Mettenheim an der neuen Kinderklinik des Städtischen Krankenhauses Sachsenhausen; die Einrichtung war Vorläuferin der Universitäts-Kinderklinik im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen. 1911 eröffnete Paul Grosser eine eigene Praxis für Kindermedizin.
1914
–
1918
Stabsarzt im Ersten Weltkrieg
Von 1914 bis 1918 nahm der deutsche Patriot Paul Grosser als Stabsarzt am Ersten Weltkrieg teil. Durch sein Engagement an vorderster Front in über 20 Schlachten, Gefechten und Stellungskämpfen erhielt er militärische Auszeichnungen, darunter das Eiserne Kreuz Erster Klasse.
1919
Habilitation
1919 habilitierte sich Paul Grosser als erster Pädiater der Frankfurter Universität. Seine Studie trug den Titel: "Stoffwechseluntersuchungen an Rachitikern".
1921
–
1929
Leitung
Kinderklinik mit Säuglingsheim („Böttgerheim“)Von 1921 bis 1929 war Paul Grosser leitender Arzt der Kinderklinik mit Säuglingsheim in der Böttgerstraße. Wie später im Clementine Kinderhospital brachte er auch in diesen beiden Einrichtungen die Professionalisierung und Qualifizierung der Kinderheilkunde und Säuglingspflege voran.
1923
Ernennung zum a.o. Prof.
1923 wurde Paul Grosser zum außerordentlichen Professor für Kinderheilkunde an der Universität Frankfurt am Main ernannt. Insgesamt hat er über 50 Fachpublikationen veröffentlicht.
1930
–
Mitte 1933
Direktor
Clementine KinderhospitalVon 1930 bis Mitte 1933 leitete Paul Grosser erfolgreich das Clementine Kinderhospital. Der Nationalsozialismus setzte seinem beruflichen und wissenschaftlichen Wirken ein abruptes Ende.
1. April 1933
Beginn der NS-Schikanen
Im Rahmen des NS-"Judenboykotts" vom 1. April 1933 postierten sich SA-Männer vor dem Clementine Kinderhospital sowie vor Paul Grossers Privatpraxis (Mendelssohnstraße 92). Einen Monat später forderte die Medizinische Fakultät der Universität Frankfurt am Main Prof. Grosser auf, alle Vorlesungen abzusagen. Sein achtjähriger Sohn Alfred wurde von "arischen" Mitschülern der Wöhlerschule krankenhausreif geschlagen. Militärische Vereinigungen schlossen den deutschen Weltkriegsveteranen aus ihren Reihen aus. Schließlich blieb Paul Grosser nur noch die Emigration - nach Frankreich, dem einstigen Kriegsgegner.
16. Dezember 1933
Emigration
Im Dezember 1933 floh Paul Grosser mit seiner Frau Lily und den Kindern Alfred und Margarethe über die Schweiz nach Frankreich. Nachdem sie im Auftrag der Familie Wohnung und Praxis in Frankfurt aufgelöst hatte, folgte ihnen im Januar 1934 die getreue nichtjüdische Sprechstundenhilfe und Röntgenassistentin Therese Heck ins Exil. In St. Germain-en-Laye (bei Paris) baute Paul Grosser sofort eine neue Kinderklinik auf.
7. Februar 1934
Todestag
Kurz nach seinem 54. Geburtstag erlag Paul Grosser im französischen Exil einem Herzinfarkt. Zu seinem frühen Tod trugen neben den Demütigungen unter dem NS-Regime gewiss auch die hektischen Bedingungen der Flucht und des Aufbaus einer neuen Existenz bei.
1940
Nationalsozialistisch verfolgt: Paul Grossers Familie
Nach Paul Grossers Tod hatte Lily Grosser die von ihm gegründete Kinderklinik in Saint-Germain-en-Laye als Kinderheim fortgeführt. 1937 erlangte sie mit ihren Kindern Margarethe und Alfred die französische Staatsbürgerschaft. Vor dem nationalsozialistischen Einmarsch flohen Margarethe und Alfred 1940 auf Fahrrädern in das unbesetzte Südfrankreich. Während der Flucht starb Margarethe Grosser 1941 mit erst 19 Jahren an einer Blutvergiftung. Paul Grossers nichtjüdische Mitarbeiterin Therese Heck, die das Exil der Familie teilte, wurde in den französischen Lagern Les Menuls und Gurs interniert. Von Berlin aus wurden Paul Grossers Schwester Ida Landsberger und sein Schwager, ebenfalls Arzt, am 28.10.1944 von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Lily Grosser und ihr Sohn Alfred überlebten in getrennten Verstecken die Shoah.
1986
Literatur zu Paul Grosser von Alfred Grosser
Grosser, Alfred: Mein JudentumIn einem Essay reflektiert Alfred Grosser seine von der NS-Diktatur überschattete Frankfurter Kindheit. Er gibt auch Auskunft über seinen Vater Paul Grosser: "Mein Vater hatte den Krieg 1914/18 mitgemacht als Stabsarzt an der Front. Vier Jahre lang. Und plötzlich sollte er nun kein Deutscher mehr sein, sondern nur noch - wenn ich so sagen darf - Jude. Das gab den Ausschlag zur Emigration" (S. 43). Als die Grossers nach Frankreich flüchteten, war Alfred Grosser acht Jahre alt. Nur wenige Wochen später starb sein Vater im Exil.
1995
Literatur zu Paul Grosser
Hövels, Otto; Dippel, Jürgen; Daub, Ute: Festschrift zum 150-jährigen Jubiläum des Clementine Kinderhospitals - Dr. Christ'sche Stiftung 1845 - 19951997
Literatur zu Paul Grosser
Hövels, Otto; Dippel, Jürgen; Daub, Ute: Die Juden der Frankfurter Universität2000
Literatur zu Paul Grosser
Seidler, Eduard: Kinderärzte 1933 - 19452011
Literatur zu Paul Grosser
Reschke, Barbara; Kratz-Ritter, Bettina: Full of talent and graceDie ergänzte Auflage 2011 enthält ein Nachwort von Alfred Grosser, dem Sohn des früheren Chefarztes Paul Grosser.
Jüdisches und politisches Engagement
Paul Grosser war in der Frankfurter jüdischen Gemeinde aktiv. Er engagierte sich für das Sozial- und Gesundheitswesen und in diesem Kontext auch für die jüdischen Einrichtungen. Wie fast alle jüdischen Ärztinnen und Ärzte in Frankfurt war er Mitglied der Loge "Zur aufgehenden Morgenröte": Diese auch Christen zugängliche Vereinigung war 1807 von Frankfurter Juden gegründet worden, die in nichtjüdischen Logen keine Aufnahme fanden. Politisch stand Paul Grosser erst der Staatspartei, dann - für nichtjüdische Angehörige seiner beruflichen Statusgruppe eher ungewöhnlich - der Sozialdemokratie nahe. Neben Sozialreformen in der Kindermedizin und -fürsorge galt sein Einsatz der Gleichstellung nichtehelicher mit ehelichen Kindern.
Sig 6129