Jüdische Pflege- geschichte

Jewish Nursing History

Biographien und Institutionen in Frankfurt am Main

M.A. von Rothschild'sche Lungenheil-Anstalt
Institution

Adelheid de Rothschild stiftete die jüdisch geführte Lungenheilstätte, "Rothschild´sches Sanatorium" genannt, mit Synagoge, 48 Krankenzimmern sowie Gesellschaftsräumen zur unentgeltlichen Behandlung bedürftigter jüdischer Patientinnen aus allen Ländern. Das Kürzel "M.A." steht für Mayer Amschel Rothschild (1744-1812), dem Frankfurter Begründer der Bankdynastie und Urgroßvater Adelheid de Rothschilds.

Im Dorf 44 Nordrach (Ortenaukreis, Baden)

Stifterin

Adelheid de Rothschild

Für die Lungenheilstätte gründete Adelheid de Rothschild 1903 zum Andenken an ihren Vater Wilhelm Carl eine Stiftung. Grundlage des Stiftungsvermögens waren zwei Grundstücke in Adelsheim (Neckar-Odenwald-Kreis, Baden-Württemberg) im Wert von über einer Million Reichsmark. Dieser Standort musste aufgegeben werden. Stattdessen erwarb die Stiftung 1905 ein Sanatorium in Nordrach, das fünf Jahre zuvor von dem Lungenfacharzt Dr. Karl Hettinger errichtet worden war.

Nordrach (Ortenaukreis), Link

Jüdische Mäzene und Stifter in Frankfurt am Main, S. 114



Dauer und Ort der Einrichtung

Im Dorf 44 Nordrach (Ortenaukreis, Baden)


Offizielle Eröffnung

Das Rothschild´sche Sanatorium wurde am 15. Dezember 1905 offiziell eröffnet.

Jüdische Mäzene und Stifter in Frankfurt am Main, S. 114



Jüdischer Friedhof

Im „Untertal“ bei Nordrach wurde für verstorbene Patientinnen des „Rothschild´schen Sanatoriums“ 1907 ein jüdischer Friedhof angelegt. Bis 1942 wurden dort 29 verstorbene Patientinnen beerdigt. Nachzuforschen wäre, ob dort auch jüdische Krankenschwestern ihre letzte Ruhestätte fanden. Friedhof und Friedhofshalle sind trotz der Nazi-Zeit erhalten.

Nordrach (Ortenaukreis), Link



Inflation

Nach dem Ersten Weltkrieg kam auch das Rothschild´sche Sanatorium durch die Inflation in den 1920er Jahren in finanzielle Bedrängnis. Die unentgeltliche Behandlung war gefährdet; von vermögenderen Patientinnen wurden Verpflegungsbeiträge erhoben. Die Situation wurde durch die nachfolgende Weltwirtschaftskrise gewiss verschärft.



Sanatorium und Stiftung in der NS-Zeit

In der NS-Zeit war die Patientinnenzahl rückläufig, weil Kranke aus dem Ausland das Sanatorium nicht mehr aufsuchen konnten. Emigriertes jüdisches Pflegepersonal konnte durch weibliche Pflegekräfte ersetzt werden, die wegen ihrer jüdischen Herkunft stellenlos waren. 1939 wurde die Einrichtung von der Gestapo übernommen. Unter dem Druck der Machthaber ging Adelheid de Rothschilds Stiftung im gleichen Jahr in den Besitz der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland über. Durch verschiedene Eingaben des Nordracher Bürgermeisters konnte der gewohnte Betrieb bis September 1942 aufrecht erhalten werden.



Missbrauch der jüdischen Einrichtung

In das ehemalige jüdische Sanatorium zog 1942 ein SS-Mütterheim des Vereins „Lebensborn e.V.“ für Frauen vor und nach der Entbindung ein. Die „Lebensborn“-Heime sollten die Geburtsrate ,rassereiner´ Kinder auch aus außerehelichen Beziehungen fördern. Das Heim wurde am 15. April 1945 geschlossen.



Ende der Einrichtung und Deportation

Ende September 1942 wurden die letzten Patientinnen des Rothschild´schen Hospitals zusammen mit dem Pflege- und Hauspersonal sowie dem Chefarzt Dr. Nehemias Wehl nach Darmstadt transportiert. Insgesamt waren 26 Menschen betroffen. Ein hessischer Deportationszug brachte sie in das Vernichtungslager Auschwitz. Niemand überlebte. „Von den zwischen 1933 und 1943 insgesamt 116 Patientinnen und Pflegepersonal in der Lungenheilstätte wurden mindestens 56 ermordet.“

Nordrach (Ortenaukreis), Link



Verkauf durch rechtmäßige Besitzer

Nach dem Ende des Nationalsozialismus erhielt die Familie Rothschild Gebäude und Grundstück erst spät zurück. 1952 (Magin-Pelich 2003) oder 1953 (Schembs 2007) verkaufte sie das Anwesen.

Die Frau, die zu Gott betete: Baronin Adelheid de Rothschild, Link

Jüdische Mäzene und Stifter in Frankfurt am Main, S. 114



Wiedererrichtung der Stiftung

1955 wurde Adelheid de Rothschilds Stiftung „M.A. von Rothschild´sche Lungenheil-Anstalt“ durch Beschluss des Ministerrats von Baden-Württemberg unter dem Namen „M.A. von Rothschild´sche Gedächtnisstiftung“ wiederbelebt.



Weitere Nutzung des Standorts

Im Dorf 44 Nordrach (Ortenaukreis, Baden)

Das einstige Gebäude des „Rothschild´schen Sanatoriums“ ist seit 1993 im Besitz der Oberrheinischen Kliniken. Dort sind das St. Georg-Pflegeheim (stationäre Einrichtung für psychisch kranke Erwachsene) und die Franz-Alexander-Klinik (offen geführte Akutklinik für Psychiatrie und Psychotherapie) untergebracht.

St. Georg-Pflegeheim (Homepage), Link



Literatur zur Rothschild´schen Lungenklinik

Schellinger, Uwe: Adelheid de Rothschild (1853-1935) und die Gründung der M.A. von Rothschildschen Lungenheilanstalt in Nordrach


Gedenktafel in Nordrach

Adelheid de Rothschild

In Adelheid de Rothschilds 150. Geburtsjahr und im 100. Jahr der Stiftungsgründung wurde eine alte Gedenktafel an die Stifterin (wieder) aufgestellt. Sie befindet sich an einer Mauer nahe des Eingangs der heutigen Klinik.

Nordrach (Ortenaukreis), Link



Literatur zur Rothschild´schen Lungenklinik

Schellinger, Uwe: Deportiert aus Nordrach


Chefärzte

Unter der Oberaufsicht eines Verwaltungsrates leiteten nacheinander die Chefärzte Dr. Ephraim Adler (1907-1910), Dr. Max Ascher (1910-1921) und Dr. Nehemias Wehl (1921-1942) das Sanatorium.

Nordrach (Ortenaukreis), Link



Judentum und religiöse Toleranz

Nach dem Willen der Stifterin war das Rothschild´sche Sanatorium für jüdische junge Patientinnen gedacht, die in anderen Einrichtungen keine ihres Glaubens gemäße Pflege erhalten konnten. Das Sanatorium beherbergte eine Synagoge und eine koschere Küche, die jüdischen Feiertage wurden eingehalten. Doch wurden nicht nur Jüdinnen aufgenommen: Zu den ersten sieben Patientinnen zählte auch eine Christin.

Die Frau, die zu Gott betete: Baronin Adelheid de Rothschild, Link



Zum Standort

Im Dorf 44 Nordrach (Ortenaukreis, Baden)

Der idyllisch im westlichen Schwarzwald gelegene Kurort Nordrach (Baden-Württemberg) galt als „badisches Davos“.



Sig 6775