Jüdische Pflege- geschichte

Jewish Nursing History

Biographien und Institutionen in Frankfurt am Main

Kinderklinik mit Säuglingsheim ("Böttgerheim")
Institution

Fritz und Auguste Gans gründeten 1902 eine überkonfessionelle Kinderklinik mit Säuglingsheim ('Böttgerheim'") und staatlich anerkannter Pflegeschule zur Ausbildung von Säuglingsschwestern."

Böttgerstraße 20-22 Frankfurt am Main

Stifterin

Auguste Gans

Zusammen mit ihrem Ehemann Fritz Gans und dessen Bruder Leo Gans engagierte sich Auguste Gans seit 1902 in der Frankfurter Stiftung Kinderheim e.V. Ein Jahr zuvor hatte die Stiftung in der Rüsterstraße eine notdürftige Einrichtung für bedürftige Säuglinge und ihre ledigen Mütter (Vorläufer des Böttgerheims) eröffnet. Erst die großzügige Schenkung des Ehepaares Gans ermöglichte 1904 Bau und Ausstattung einer modernen Klinik. – Wie sehr Auguste Gans die Kinderklinik am Herzen lag, schildert in ihrer Familienbiographie die Nachfahrin Angela von Gans: „Meine Urgroßmutter Auguste selbst hatte die Einrichtung des großen Hauses in der Böttgerstraße 20-22 übernommen; auch war es ihr eine große Freude, aufgrund der neuen Hygienevorschriften dafür zu sorgen, dass die Kinder jeweils ihr eigenes Waschläppchen sowie Handtuch und abwaschbare Bettchen hatten … Bis zu ihrem Tode im Jahre 1909 war … Auguste fast jeden Tag ins Kinderkrankenhaus gefahren. Mit Freude las sie immer wieder die Dankesbriefe von Müttern, deren Lebensweg durch ihre Unterstützung geebnet wurde.“

Die Familie Gans 1350-1963, S. 170, S. 173



Stifter

Friedrich (Fritz) Ludwig (von) Gans

1902 stiftete der im Sozial- und Gesundheitswesen vielfach engagierte Mäzen Fritz Gans – u.a. spendete er im Ersten Weltkrieg für Lazarette – die Kinderklinik in der Böttgerstraße.

Jüdische Mäzene und Stifter in Frankfurt am Main, S. 61



Verwalterin und Büroangestellte im Böttgerheim

Elisabeth Lippert

Elisabeth Lippert war seit 1. April 1903 Oberin im Böttgerheim. Sie war Verwalterin und Büroangestellte.



Schenkungsurkunde mit interkonfessionellem Auftrag

In der Schenkungsurkunde vom 1. Februar 1904 zugunsten des Vereins Kinderheim e.V. legten Auguste und Fritz Gans fest, dass jedes Kind ungeachtet seiner Religion, Nationalität oder Herkunft Aufnahme in der Klinik finden sollte. Dass ihre Urgroßeltern jeglichen religiösen Einfluss von vorneherein ausschlossen, führte Angela von Gans einerseits auf die Gefahr des Antisemitismus, andererseits auf Fritz Gans´ liberale Grundhaltung zurück.

Die Familie Gans 1350-1963, S. 169



Standort

Böttgerstraße 20-22 Frankfurt am Main

1904 entstand in der Böttgerstraße 20-22 die Kinderklinik, in Frankfurt am Main als „Böttgerheim“ bekannt.

Die Familie Gans 1350-1963, S. 174



Klinikgebäude

Kinderklinik mit Säuglingsheim, Hauptgebäude

1904 schenkten Auguste und Fritz Gans dem Verein Kinderheim e.V. ein bebautes Grundstück in der Böttgerstraße. Zudem verpflichteten sie sich, die erforderlichen umfangreichen Renovierungs- und Baumaßnahmen auf eigene Kosten durchzuführen. Die Kinderklinik wurde mit Hilfe des von Fritz Gans beauftragten Architekten Alfred Engelhardt errichtet. Das große Haus umfasste mit seinen Nebengebäuden etwa 2.000 qm. Seine ebenfalls von den Stiftern finanzierte Innenausstattung entsprach dem dazumal neuesten Standard an hygienischen und sanitären Bedingungen. So gab es Isolierräume für Mütter und Kinder mit ansteckenden Krankheiten. Drei Säuglingssäle mit abwaschbaren Wänden konnten bis zu 36 Kinder aufnehmen. Die oft unterernährten Mütter wurden ebenfalls vorbildlich versorgt. Sonnentage verbrachten die Säuglinge auf einer „vollständig verglasten, beheizbaren Veranda“.

Die Familie Gans 1350-1963, S. 169, S. 170



Neues Schwesternhaus

Kinderklinik mit Säuglingsheim, Schwesternhaus und Isolierstation

Als Wohndomizil für die Schwestern der Kinderklinik Böttgerstraße 20-22 erwarb der Vorstand des Vereins Kinderheim e.V. 1909 in der angrenzenden Hallgartenstraße ein großes Mietshaus. Dazu gehörte auch ein Hinterhaus mit Garten, in dem eine Isolierstation eingerichtet wurde.

Die Familie Gans 1350-1963, S. 174



Stifter

Eduard Nathanael Baerwald

Am 03.12.1920, am 04.10.1921 und am 03.10.1922 schenkte Eduard Baerwald der Stadt Frankfurt am Main je 70.000 Mark – insgesamt 210.000 Mark – für das in finanzielle Not geratene „Böttgerheim“.

Jüdische Mäzene und Stifter in Frankfurt am Main, S. 36



Stifter einer Arztstelle

Arnold Baerwald

Stifter der 1921 von Paul Grosser übernommenen kinderheilkundlichen Arztstelle an Kinderklinik und Säuglingsheim Böttgerstraße war offenbar der bereits 1920 verstorbene Arnold Baerwald, der dies wohl in seinem Testament verfügte.



Trägerwechsel

In der Inflationszeit nach dem ersten Weltkrieg geriet auch die Stiftung Kinderheim e.V. in finanzielle Nöte. 1920 übernahm die Stadt Frankfurt am Main das „Böttgerheim“. Neuer Träger wurde 1922 das gerade gegründete Stadtgesundheitsamt.



Leitung

Paul Grosser

Von 1921 bis 1929 war Paul Grosser leitender Arzt der Kinderklinik mit Säuglingsheim in der Böttgerstraße. Wie später im Clementine Kinderhospital brachte er auch in diesen beiden Einrichtungen die Professionalisierung und Qualifizierung der Kinderheilkunde und Säuglingspflege voran.



Neuer Name

1934 wurde die Kinderklinik zum „Städtischen Kinderkrankenhaus“.



Im Zweiten Weltkrieg

Den Zweiten Weltkrieg überstand das Kinderkrankenhaus ohne größere Schäden. Allerdings wurde es für einige Zeit als Verwaltungsgebäude zweckentfremdet. Zuvor waren – wohl wegen der Luftangriffe – die noch in der Klinik verbliebenen Kinder 1944 aufs Land geschickt wurden.



Wiedereröffnung

1947 wurde der Klinik- und Heimbetrieb wieder aufgenommen.



Aktuelle Nutzung

Böttgerstraße 20-22 Frankfurt am Main

Seit den 1970er Jahren nutzt in der Böttgerstraße ein Geburtshaus mit Beratungszentrum für Eltern von Säuglingen und Kleinkindern das alte Stiftungsgebäude sowie einen zusätzlichen Neubau (www.geburtshausfrankfurt.de, Aufruf v. 02.07.2010) – ganz im Sinne von Auguste und Fritz Gans.



Schließung

1975 verfügte die Stadt Frankfurt am Main die Schließung des Kinderkrankenhauses.



Ausstellung als Rettungsinitiative

Im Januar 1995 zeigte der Verein „Gesundheitszentrum e.V.“ eine Ausstellung über die Geschichte des Hauses und seine jüdischen Stifter. Anlass dazu boten Pläne der Stadt Frankfurt am Main, das Anwesen Böttgerstraße 20-22 entgegen den Bestimmungen der ursprünglichen Gans´schen Schenkungsurkunde zu verkaufen. Nach Einschaltung eines Rechtsbeistands durch die Familie von Gans rückte die Stadt wieder von ihrem Vorhaben ab. Das Gesundheitszentrum blieb erhalten, inzwischen erweitert um ein Beratungszentrum für Eltern und Jugendliche – ganz im Geiste des Stifterpaares Auguste und Fritz Gans.

Die Familie Gans 1350-1963, S. 175



Literatur zum Böttgerheim

Gans, Angela von; Monika Groening: Die Familie Gans 1350-1963


Böttgerheim 1903

Elisabeth Lippert

Elisabeth Lippert war seit 1. April 1903 Oberin im Böttgerheim. Sie war Verwalterin und Büroangestellte.



Jüdische Wohltätigkeit (Zedaka)

Friedrich (Fritz) Ludwig (von) Gans

Der Einsatz des jüdischen Stifterpaares Auguste und Fritz Gans für soziale und Pflegeeinrichtungen lag in der jüdisch-religiösen Verpflichtung zur Wohltätigkeit und sozialen Gerechtigkeit begründet. Reiche hatten für Arme zu sorgen, was nicht nur auf die eigene Konfession beschränkt blieb. Auf dieser Motivation beruhte auch das vorbildliche Fürsorgeprogramm der Firma Cassella für ihre Belegschaft. Über ihren 1895 aus Familienloyalität zum Christentum konvertierten Urgroßvater schrieb Angela von Gans: „Fritz hatte in seinen Jugendjahren noch das altehrwürdige jüdische traditionelle Leben in der Frankfurter Judengasse kennen gelernt, das ihn zumindest in Erinnerungen bis zum Jahre 1871 begleitete, dem Jahr, in dem sein aus dem jüdischen Celle zugereister Vater Ludwig Ahron [Gans] verstarb.“

Die Familie Gans 1350-1963, S. 204



Marmorplatte mit Stiftungsinschrift

Kinderklinik mit Säuglingsheim, Inschriftplatte

In der Eingangshalle der Kinderklinik war eine Marmorplatte mit folgender Inschrift angebracht: „Auguste und Fritz Gans schenkten dieses Haus dem Kinderheim e.V. im Jahre 1904“. Sie hat den Nationalsozialismus überstanden und ist nach den Angaben der Urenkelin Angela von Gans heute wieder zu besichtigen: „Eine kluge, mitfühlende und mutige Frau hatte diese Inschriftplatte vor der Zerstörungswut der Nazis gerettet und während des Krieges an einem sicheren Ort versteckt.“

Die Familie Gans 1350-1963, S. 174



Krankenschwestern: Ausbildung

Über die fortschrittliche Ausbildung und Prüfung der Schwesternschülerinnen in der Kinderklinik hat Angela von Gans Folgendes recherchiert: „Bei diesen Examen ging es um den Aufbau des menschlichen Organismus, den Bau der einzelnen Organe, deren Aufgabe in der Zusammenarbeit, die Art der Nährmittel und deren Verdauung. Ebenso wurden die Arten der Infektionen und Desinfektionen gelehrt. Man legte … großen Wert auf das richtige Anlegen der Verbände und den Umgang [mit] der Pflege und Säuglingsernährung. Die Vielseitigkeit in der Ausbildung war fast einzigartig, man wollte von der sogenannten Ammenweisheit wegkommen, die Schwestern sollten selbständig agieren und aus ihrem Wissen heraus die Behandlung erklären können.“

Die Familie Gans 1350-1963, S. 172



Krankenschwestern und weiteres Personal

Außer der Oberin und einer Krankenschwester als ihrer Stellvertretung arbeiteten in der Kinderklinik bis zu 27 weitere Personen: u.a. 10 Schwestern sowie Schülerinnen, eine Köchin, zwei Hausmädchen und der Hausmeister. Wie viele jüdische Krankenschwestern darunter waren, ist bislang unbekannt. Dem Personal war die aktive Stifterin Auguste Gans, die fast jeden Tag in die Klinik kam, gewiss vertraut. Die Ausbildung und Prüfung der künftigen Kinderkrankenschwestern fanden im Hause statt. Die Mütter der betreuten Säuglinge konnten – ungewöhnlich für damalige Kinderkliniken – in Küche, Nähstube oder Wäscherei mitarbeiten; die Stiftungsmitglieder vermittelten ihnen entsprechende Arbeitsstellen. Einige Mütter äußerten sogar den Wunsch, selbst den Beruf der Krankenschwester zu ergreifen.

Die Familie Gans 1350-1963, S. 171f



Sig 6740