Jüdische Pflege- geschichte

Jewish Nursing History

Biographien und Institutionen in Frankfurt am Main

Clementine Kinderhospital
Institution

Louise von Rothschild gründete 1875 in Frankfurt am Main ein modernes Kinderkrankenhaus für Mädchen aller Konfessionen. Später wurden auch Jungen aufgenommen. Die bis heute bestehende Einrichtung trägt den Namen der jung verstorbenen Clementine von Rothschild, einer Tochter der Stifterin.

Theobald-Christ-Straße 16 Frankfurt am Main

Namensgeberin

Clementine Henriette von Rothschild

Das Clementine Kinderhospital trägt bis heute den Namen der jung verstorbenen Clementine von Rothschild. Angehörige, Zeitgenossen und ihr religiöser Lehrer Rabbiner Dr. Leopold Stein schilderten sie übereinstimmend als eine vielseitig gebildete und anmutige junge Frau. Bereits als 16-jährige Jugendliche beschäftigte sich Clementine von Rothschild intensiv mit Fragen des Judentums und des jüdisch-christlichen Dialogs.



Stifterin

Louise von Rothschild

Zum Gedenken an ihre Tochter Clementine gründete Louise von Rothschild 1875 das Clementine Mädchen Spital in Frankfurt am Main. Nach dem Tod der vielfach engagierten Stifterin sorgten ihre nach London und Paris verheirateten Töchter, Clementines Schwestern, für weitere großzügige Zuwendungen an das Kinderkrankenhaus.



Erster leitender Arzt

(Johann) Jakob de Bary

Die Stifterin Louise von Rothschild ernannte den Hausarzt ihrer Familie, Jakob de Bary, zum ersten leitenden Arzt (Chefarzt) des Clementine Mädchen Spitals.
Festschrift zum 150-jährigen Jubiläum des Clementine Kinderhospitals – Dr. Christ´sche Stiftung 1845 – 1995, S. 142



Eröffnung

Am 15. November 1875 öffnete an der Bornheimer Landwehr 110 das Clementine Mädchen Spital seine Pforten. Behandlung und Pflege waren zunächst auf die Bedürfnisse erkrankter Mädchen im Alter von 5 bis 15 Jahren hin ausgerichtet. Das Kinderkrankenhaus stand allen Konfessionen und sozialen Schichten offen. Gemäß Stiftungsstatut wurden bedürftige Kinder unentgeltlich behandelt.



Langjährige Oberin des Clementine-Mädchen-Hospitals

Marie Höpfner


Verleihung der Rechte einer juristischen Person

„Dem K l e m e n t i n e n – H o s p i t a l [sic] wurden die Rechte einer juristischen Person verliehen“ (zit. n. Frankfurter Zeitung, Nr. 88, 28.03.1896, AB, S. 3 = ‚Frankfurter Angelegenheiten: Vom Tage‘].



Beginn baulicher Erweiterungmaßnahmen

Clementine Kinderhospital

Das Clementine Kinderhospital war nach den Plänen des renommierten Architektenteams Karl Jonas Mylius und Alfred Friedrich Bluntschli errichtet worden. Ab 1899 beauftragte die Stiftung den Architekten Friedrich Sander zur Gestaltung dringend erforderlicher An- und Umbauten. Weitere bauliche Modernisierungen fanden um 1930 statt und betrafen u.a. Säuglingsabteilung, Milchküche, Laboratorium und Säuglingseinzelboxen zur Verhütung von Saalinfektionen.



"Zweiter Arzt"

August (Georg Ludwig) de Bary


Chefarzt

August (Georg Ludwig) de Bary

Nach Jakob de Barys Tod leitete sein Sohn August de Bary von 1915 (nach Bauer 2004: 1912) bis 1928 das Clementine Kinderhospital.

Mit offenen Armen, S. 83

100 Jahre Freiherr-Carl-von-Rothschild’sche Stiftung Carolinum, S. 141

Siebenhundert Jahre Heilkunde in Frankfurt am Main, S. 216



Finanzielle Rettungsaktion

Die Inflation nach dem Ersten Weltkrieg gefährdete auch das Clementine Kinderhospital. Clementines Schwestern Lady Emma von Rothschild (London) und Baronin James von Rothschild (Paris) retteten mit Zustiftungen die Einrichtung.



Neue Trägerschaft

August (Georg Ludwig) de Bary

Im Zuge der Inflation ging das Clementine Kinderhospital in die Trägerschaft des Vaterländischen Frauenvereins vom Deutschen Roten Kreuz über. Die Transaktion hatte möglicherweise der Chefarzt August de Bary, langjähriges Vorstandsmitglied des Frauenvereins, vermittelt. Der Stiftungsname sollte erhalten bleiben. Hövels u.a. (1995) datieren den Trägerwechsel auf das Jahr 1928, Kallmorgen (1936) auf den 1. Januar 1930. Die Pflege oblag Schwestern vom Vaterländischen Frauenverein, die schon zuvor im interkonfessionell angelegten Kinderhospital tätig waren.

Festschrift zum 150-jährigen Jubiläum des Clementine Kinderhospitals – Dr. Christ´sche Stiftung 1845 – 1995, S. 142

Siebenhundert Jahre Heilkunde in Frankfurt am Main, S. 102



Umbenennung

Seit 1928 nahm das Clementine Mädchen Spital auch Jungen auf und hieß fortan Clementine Kinderhospital.



Direktor

Paul Grosser

Von 1930 bis Mitte 1933 leitete Paul Grosser erfolgreich das Clementine Kinderhospital. Der Nationalsozialismus setzte seinem beruflichen und wissenschaftlichen Wirken ein abruptes Ende.



Bauliche Erweiterungen

Nach Um- und Erweiterungsbauten konnten ab 1930 mehr als 100 Kinder gleichzeitig aufgenommen und behandelt werden. Dazu zählten auch gesunde Kinder, die während der Abwesenheit ihrer Eltern gegen Entgelt in einer eigenen Abteilung des Kinderhospitals versorgt wurden.



Ärztepersonal in der NS-Zeit

Im gleichen Jahr wie Prof. Grosser verließen die wegen ihrer jüdischen Herkunft ebenfalls NS-verfolgten Belegärzte Dr. Hugo Hochschuld und Dr. Gustav Simon das Clementine Kinderhospital; sie flüchteten nach Chile bzw. Uruguay. Das Kinderhospital wurde mit den Ärzten Dr. Gertrud Kraft, Dr. Hans Rasor und Dr. Reinhold Rühle als Belegkrankenhaus weitergeführt.



Namenswechsel, Auflösung der Stiftung

1938 änderte der Vaterländische Frauenverein vom Roten Kreuz – inzwischen in das NS-gleichgeschaltete Deutsche Rote Kreuz eingegliedert – den Namen des Clementine Kinderhospitals: Fortan firmierte es unter „Deutsches Rotes Kreuz-Kinderkrankenhaus“. Im gleichen Jahr erzwang das NS-Reichsinnenministerium die Auflösung der Rothschild´schen Stiftung. Die braunen Machthaber wollten jegliche Erinnerung an jüdisches Engagement in Frankfurt am Main auslöschen.



Weitere Nutzung

Schwesternhaus des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main (4. Standort)

Nach 1939 wurde im Gebäude des früheren Clementine Kinderhospitals (Bornheimer Landwehr) ein Hilfskrankenhaus errichtet (Magistratsakten 8.959 des Instituts für Stadtgeschichte). Das Kinderspital wurde in das nach dem Novemberpogrom von der Stadt Frankfurt am Main „erworbene“ ehemalige jüdische Schwesternhaus in der gleichen Straße verlegt (Magistratsakten 9.392). Wir danken Pfarrer Volker Mahnkopp, Frankfurt am Main, für diese Informationen (Email v. 20.12.2010).

Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main (Homepage), Link



Zerstörung durch Luftangriff

Clementine-Relief

In der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober 1943 zerstörten die Luftangriffe auf Frankfurt am Main das Hospitalgebäude. Die noch darin befindlichen Pflegenden und Patienten überlebten im Luftschutzkeller. Die Krankenhausakten und -dokumente sind offenbar verbrannt (was heutige Recherchen erschwert). Zwei Reliefs (Medaillons), die Clementine von Rothschild und ihre Mutter, die Stifterin Louise von Rothschild, abbilden, blieben wie durch ein Wunder erhalten.



Bezug des einstigen Genesungsheims der Kann-Stiftung

Jüdisches Genesungsheim der Eduard und Adelheid Kann-Stiftung

Wegen der Luftangriffe auf Frankfurt wurde das (zu dieser Zeit als „Deutsches-Rotes-Kreuz-Kinderkrankenhaus“ benannte) Clementine Kinderhospital 1943 zunächst nach Schmitten (Taunus) ausgelagert. Am 1. Februar 1945 bezog es das inzwischen im Besitz des Frankfurter Hospitals zum Heiligen Geist befindliche Genesungsheim der Kann-Stiftung. „Mit durchschnittlich 60-70 Kindern war das Haus in Oberstedten fortan bis 1954 belegt, und es besaß eine damals sehr wichtige Tuberkulose-Station“.

Festschrift zum 150-jährigen Jubiläum des Clementine Kinderhospitals – Dr. Christ´sche Stiftung 1845 – 1995, S. 143

Vom Jüdischen Genesungsheim zur „Reformhaus-Fachakademie“, S. 240 (Zitat)



Rückgabe und Verkauf des alten Grundstücks

Bornheimer Landwehr 110 Frankfurt am Main

Nach der Währungsreform 1948 wurde die Rothschild´sche Stiftung wieder in ihre Rechte eingesetzt. 1951 erreichte die Stiftung nach weiteren zähen Verhandlungen die Rückgabe des „arisierten“ Grundstücks Bornheimer Landwehr, das sie drei Jahre später an die Stadt Frankfurt am Main verkaufte.



Oberschwester

Rose Lüth

Nach der Wiederrichtung des Clementine Kinderhospitals im Jahre 1954 oblag die Pflege weiterhin den christlichen Schwestern vom Deutschen Roten Kreuz (Mutterhaus Maingau). Zum Überleben der Einrichtung hatte während des Zweiten Weltkriegs und in der Trümmerzeit danach insbesondere die langjährige Oberschwester Rose Lüth beigetragen. Seit 1954 baute sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen die Pflege im Clementine Kinderhospital neu auf.



Neuer Standort

Theobald-Christ-Straße 16 Frankfurt am Main

Der Erlös aus dem Grundstücksverkauf (Bornheimer Landwehr) ermöglichte den Wiederaufbau des Clementine Kinderhospitals als Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am neuen Standort Theobald-Christ-Straße.



Fusion

Clementine Kinderhospital – Dr. Christ’sche Stiftung

1975 fusionierten die Rothschild-Stiftung für das Clementine Kinderhospital und die Dr. Christ´sche Stiftung zur Clementine Kinderhospital – Dr. Christ´schen Stiftung. Bis Ende 2008 war die Stiftung Trägerin des Clementine Kinderhospitals mit Sitz in der Theobald-Christ-Straße.



Würdigung NS-verfolgter Persönlichkeiten

Clementine Kinderhospital Gedenktafel

Auf einer Gedenktafel am Hospitalgebäude wird der beiden in der Landesheilanstalt Hadamar ermordeten jungen Patienten Felix Markhoff und Heinrich Schleicher gedacht. Erinnert wird ebenso an die wegen ihrer jüdischen Herkunft NS-verfolgten Ärzte Dr. med. Eugen Cahen-Brach, Prof. Dr. med. Paul Grosser, Dr. med. Hugo Hochschild, Dr. med. Theodor Plaut und Dr. med. Gustav Simon. Von Eugen Cahen-Brach ist bekannt, dass er zusammen mit seiner Frau Alice im KZ Theresienstadt umkam.



Weitere Fusion

Bürgerhospital Frankfurt am Main e.V.

Am 1. Januar 2009 fusionierten die beiden Frankfurter Krankenhäuser Clementine Kinderhospital und Bürgerhospital. Die Standorte blieben bestehen: Das „Clemi“ ist weiterhin für erkrankte Kinder und Jugendliche, das Bürgerhospital vorwiegend für erwachsene Patientinnen und Patienten zuständig.

Bürger Clementine, E-Artikel



Literatur zum Clementine Kinderhospital

Reschke, Barbara; Kratz-Ritter, Bettina: Full of talent and grace


Engagement für das Clementine Kinderhospital

Luise (Louise Caroline) de Bary

Luise de Bary, Oberin des Carolinum, unterstützte zugleich ihren Vater Dr. Jakob de Bary im Clementine Kinderhospital.



Arzt und Chirurg

Rudolf Oehler

Wann und wie lange Rudolf Oehler auch am Clementine Kinderhospital tätig war, bleibt noch zu recherchieren.



Sig 6716