Jüdische Pflege- geschichte

Jewish Nursing History

Biographien und Institutionen in Frankfurt am Main

Ein Beitrag aus Altenpflege und Altenhilfe
Verweise hervorheben

Frankfurter jüdische Altenpflege und Altenhilfe – ein historischer Überblick

…wo alte, im Kampf des Lebens zu kurz gekommene Personen in Frieden hinscheiden dürfen.”

(Elkan Nathan Adler, 1895)

Dokument: Titelblatt der Statuten des Rothschild'schen Altersheims / Titelblatt Statuten.
Titelblatt der Statuten des Rothschild’schen Altersheims / Titelblatt Statuten.
© Universitätsbibliothek Frankfurt am Main

Ohne die Zerstörungen der NS-Zeit könnte Frankfurt am Main heute auf eine fast 170-jährige ungebrochene Tradition institutionalisierter jüdischer Altenpflege und Altenhilfe zurückblicken. Der wachsende Bedarf an außerhäuslicher Versorgung und Pflege auch in den beiden Frankfurter jüdischen Gemeinden ließ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch großzügige Stiftungstätigkeit die Versorgungsanstalt für Israeliten und das Gumpertz’sche Siechenhaus entstehen. Darauf folgten im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts das Freiherrlich Wilhelm und Freifrau Mathilde von Rothschild’sche Altersheim für Israelitische Frauen und Jungfrauen besserer Stände, das Israelitische Lehrerinnen und Studentinnen-Heim e.V., das Altersheim des Krankenhauses der Israelitischen Krankenkassen sowie mit dem Altersheim des Frankfurter Verbands für Altersfürsorge (vormals Rödelheimer jüdisches Krankenhaus und Pflegeheim) und dem Henry und Emma Budge-Heim für alleinstehende alte Menschen zwei jüdisch-christliche Einrichtungen. In der NS-Zeit wurden die Heime zwangsaufgelöst, ‚arisiert‘ und als Sammellager (Ghettohäuser, ‚Judenhäuser‘) vor den Deportationen missbraucht. Doch konnten nach der Schoah – anders als bei der Krankenpflege – zwei wieder begründete Institutionen an die Tradition der Frankfurter jüdischen Altenpflege und Altenhilfe anknüpfen: das Altenzentrum der Jüdischen Gemeinde (auf dem Gelände des ehemaligen Frankfurter jüdischen Krankenhauses Gagernstraße) und die jüdisch-christliche Senioren-Wohnanlage und Pflegeheim der Henry und Emma Budge-Stiftung.

Altersheime, Pflegeheime und Stiftungen
Das erste Seniorenheim, die Versorgungsanstalt für Israeliten der Frankfurter jüdischen Gemeinde, wurde 1845 im damaligen Wollgraben 8, nahe der früheren „Judengasse“, eröffnet (Kirchheim 1911; Arnsberg 1983, Bd. 2, S. 87; Schiebler 1988, S. 129f.). Anfangs bot es bedürftigen jüdischen Frankfurterinnen und Frankfurtern ab 60 Jahren, „deren Erwerbsunfähigkeit auf Altersschwäche beruhte“, aber auch „durch Krankheit oder Gebrechen“ (zit. n. Schiebler 1988, S. 129) frühzeitig aus dem Erwerbsleben Geschiedenen ab 40 Jahren eine Heimstatt. Das Heim war nicht für die Kranken- und Liegendpflege ausgestattet: Die Antragsteller/innen mussten (bis zur Einführung der gesetzlichen Invaliditäts- und Altersversicherung 1889) entweder in der Israelitischen Frauen- und Männerkrankenkasse versichert sein oder eine Pflegemöglichkeit außerhalb der Versorgungsanstalt nachweisen für den Fall, dass sie erkrankten und/ oder bettlägerig wurden. Die in den Statuten zudem vorgesehene geschlechterparitätische Belegung konnte nicht immer eingehalten werden, da es mehr weibliche als männliche Anfragen gab. 1847 beherbergte die Israelitische Versorgungsanstalt sechs, nach ihrem Umzug im Dezember 1852 in den benachbarten Wollgraben 6 schon elf „Pfleglinge“ (zit. n. ebd., S. 130). 1889 wechselte sie in ihr neues Domizil im Röderbergweg 77 mit 47 Plätzen. Um 1925 betrug die Zahl der belegten Betten 24 (Frauen) bzw. 15 (Männer) (Segall/ Weinreich 1925, S. 3). Am 23. Oktober 1939 gliederten die nationalsozialistischen Behörden die traditionsreiche Institution in die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ ein. Letzte Leiterin war Rosa Schuster, unterstützt von ihren Töchtern Bertha Schuster (Betty Kale) und Margot Schuster. Im Mai 1941 (Kingreen 1999b, S. 147) räumten die NS-Behörden das Altersheim und stellten es der Wehrmacht zur Verfügung. Die Bewohner/innen wurden in das seit dem 1. November 1942 von den NS-Behörden als „Gemeinschaftsunterkunft für Juden“ ausgewiesene Sammellager im Hermesweg 5-7 verlegt, wo sich später auch die letzte Frankfurter jüdische Krankenstation befand. Im August 1942 wurden die gebrechlichen und teils hochbetagten Menschen in das Altersghetto und Durchgangslager Theresienstadt deportiert (Kingreen 1999b, S. 384f.), einen Monat später auch Rosa Schuster und ihre beiden Töchter. Nur Bertha Schuster überlebte die Schoah.

Für pflegebedürftige arme Glaubensgenossinnen und -genossen schuf Betty Gumpertz 1888 das Gumpertz’sche Siechenhaus (Hauptstandort: Röderbergweg 62-64). Unter einem Dach vereinte es Kranken-, Schwerbehinderten-, Alten- und Armenpflege sowie Hospizarbeit für Sterbende. Die Pflege leitete von etwa 1894 bis zu ihrer Heirat 1907 Oberin Thekla Mandel, gefolgt von Oberin Rahel (Spiero) Seckbach, die ihre Ausbildung beide im Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main e.V. erhielten. Als Vorsitzende (Präsidenten) des Siechenhauses amtierten u.a. Ferdinand Gamburg, Charles L. Hallgarten und Julius Goldschmidt. Für das Heim engagierten sich sich außer Betty Gumpertz weitere Stifter/innen wie Träutchen Höchberg, Raphael Ettlinger sowie Minna Caroline (Minka) von Goldschmidt-Rothschild. Nach deren Tod (1903) wurde die Minka von Goldschmidt-Rothschild-Stiftung errichtet und der Gumpertz’schen Stiftung angegliedert – weshalb das Kranken- und Pflegeheim auch als „Rothschild’sches Siechenhaus“ bekannt war. Um die Stiftung kümmerten sich Minkas Witwer Maximilian Benedikt von Goldschmidt-Rothschild, die gemeinsame Tochter Lili Schey von Koromla und weitere Angehörige. Zu den im Siechenhaus Betreuten gehörten auch im hessisch-jüdischen Gemeindeleben bekannte Persönlichkeiten wie Gerson Mannheimer und Salomon Goldschmidt. Das segensreiche Wirken des Gumpertz’schen Siechenhauses endete 1938/39 mit den ‚Arisierungs-‚Maßnahmen der NS-Machthaber, zuletzt (bis 1941) befand es sich am Danziger Platz 15. 1944 zerstörten alliierte Luftangriffe die vormalige Gumpertz´sche Liegenschaft im Röderbergweg. Seit 1956 befindet sich auf dem einstigen Grundstück des jüdischen Siechenhauses mit dem August-Stunz-Zentrum eine Altenpflegeeinrichtung der Arbeiterwohlfahrt (heute Röderbergweg 82).

Für gebrechliche, ältere und besonders bedürftige israelitische Männer mit „streng religiösem Lebenswandel nach Maßgaben des traditionellen Judentums“ (Schiebler, 124, siehe auch Andernacht/ Sterling 1963, S. 144) sorgte im Rahmen der Altenhilfe die kleinere Sussmann-Una-Stiftung. Sie entstand am 18. Oktober 1901 dank einer testamentarischen Verfügung des am 23. Juni 1899 verstorbenen Privatiers Sussmann Una. Am 27. November 1939 zwangen die NS-Behörden auch diese Stiftung in die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“. Nicht anders erging es der ebenfalls „Israeliten in Alter und Krankheit“ unterstützenden „Michael und Adelaide Rothschild geb. Honig und deren Kinder Josef und Emily-Stiftung“, über die bislang wenig bekannt ist (hierzu Arnsberg Bd. 2, S. 97, Schiebler 1994, S. 120). Beide Stiftungen unterhielten offenbar keine eigenen Heime, so dass sie wohl vor allem Alltagshilfe, Medikamentenversorgung und Aufsuchende Pflege ermöglichten.

Zum Andenken an ihren 1901 verstorbenen Ehemann Wilhelm Carl von Rothschild errichtete Hannah Mathilde von Rothschild am 27. März 1903 eine Stiftung mit dem Ziel, „alleinstehenden hilfsbedürftigen israelitischen“ Frauen ab dem 50. Lebensjahr mit „Unterstützungswohnsitz in Frankfurt a. M. oder in einem Umkreise von 100 Kilometer Luftlinie […] ein gesichertes Heim zu gewähren“ (Statut Rothschild’sches Altersheim 1907, S. 3). Noch im gleichen Jahr wurde das „Freiherrlich Wilhelm u. Freifrau Mathilde von Rothschild`sche Altersheim für Israelitische Frauen und Jungfrauen besserer Stände“, „Rothschild’sches Altersheim“ genannt, im alten Rothschild’schen Palais, Zeil 92, mit 25 Plätzen eröffnet; zum Stiftungsvermögen gehörte zudem das Haus Liebigstraße 24 (Arnsberg 1983 Bd. 2, S. 86f.; Schiebler 1994, S. 119f.). Als Ehrenpräsidentin des Vorstands beteiligte sich Hannah Mathilde von Rothschild aktiv an der Leitung des Hauses und nutzte dort eigene Räumlichkeiten. Vom Konzept her entsprach das Seniorinnenheim, dessen Bewohnerinnen der gehobenen Bildungsschicht entstammen und einen den damaligen Gepflogenheiten entsprechenden tadellosen Lebenswandel führen sollten, dem christlichen Damenstift: Heiratete eine Bewohnerin, schied sie aus dem Heim aus. Seniorinnen, die dauerhaft pflegebedürftig wurden, kamen in hierfür ausgestattete Institutionen wie das Gumpertz’sche Siechenhaus. Nach dem Tod ihrer Mutter Hannah Mathilde und der ebenfalls engagierten Schwester Minka von Goldschmidt-Rothschild unterstützte Adelheid de Rothschild von Paris aus weiterhin großzügig das Heim. Mit der Geschichte der Institution ebenfalls eng verbunden ist die Biographie Jenny Hahns, seit 1917 Angestellte und von 1930 bis um 1940 Verwalterin des Rothschild’schen Altersheims. Am 27. September 1940 gliederten die NS-Behörden die Stiftung in die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ ein. Etwa ein Jahr später folgte die Zwangsräumung des Heims; die Bewohnerinnen wurden in verschiedene Altersheime (NS-Sammellager) und die Altenpflege-Abteilung des Krankenhauses der Israelitischen Gemeinde in der Gagernstraße verlegt (vgl. Andernacht/Sterling 1963, S. 471). Die alten Menschen wurden deportiert und ermordet, ebenso die Verwalterin Jenny Hahn. Ein Wohnprojekt für alleinstehende ältere Mieterinnen aller Konfessionen initiierte 1902 Minka von Goldschmidt-Rothschild: 1911 wurde das „Damenheim“ der Freiherrlich Wilhelm Carl von Rothschild’schen Stiftung für wohltätige und gemeinnützige Zwecke in der Hügelstraße 142-146 eröffnet; das Rothschild´sche Seniorinnenheim besteht bis heute.

Ein kleineres jüdisches Altersheim für Frauen, das „Israelitische Lehrerinnen und Studentinnen-Heim e.V.“, stifteten 1908 Clara und Isaac Bermann in der Rückertstraße 53 mit 8 Plätzen (Segall/Weinrich 1925, S. 4f; Schiebler 1994, S. 202; siehe auch Kirchheim 1911, S. 21; Arnsberg 1983 Bd. 2, S. 110). Das Heim, in dem zeitweise auch Studentinnen wohnten, beherbergte „Lehrerinnen, Erzieherinnen, Kindergärtnerinnen, Haus- und sonstige Beamtinnen sowie andere weibliche Angestellte höherer Bildung“, die ihren Beruf durch Alter oder Gebrechen nicht mehr ausüben konnten. Neben einer mindestens zehnjährigen Erwerbstätigkeit sollten sie in der Regel das 45. Lebensjahr überschritten haben. Die Gründung eines jüdischen Lehrerinnenheims erfolgte wohl auch im Zuge des 1880 im Wilhelminischen Kaiserreich eingeführten ‚Lehrerinnenzölibats‘: Bei Eheschließung mussten Lehrerinnen und Beamtinnen aus dem Berufsleben ausscheiden, weshalb viele unverheiratet und ohne Nachkommen blieben, was Christinnen wie Jüdinnen gleichermaßen betraf. Jedoch: „Und wir jüdischen Frauen haben noch mit der besonderen Schwierigkeit zu kämpfen, die man überall der Jüdin entgegensetzt“ (Löffler 1932, S. 40; siehe auch Bericht 1911). Am 20. Mai 1932 gedachte das Heim seiner am 14. April 1932 mit fast 79 Jahren verstorbenen Mitbegründerin und „ersten und ältesten Vorstandsdame“ Ida Dann (zit. nach Gedenkfeier 1932, Familienname im Artikel irrtümlich „Damm“). Im Februar 1933 feierten dort zwei langjährige Bewohnerinnen, Ida Bernstein und Rosalie Heinemann, ihren 75. bzw. 85. Geburtstag. Für den Herbst 1933 war eine Jubiläumsfeier zum 25-jährigen Bestehen des Heims geplant (P.R. 1933). Seit dem 1. Juni 1942 führten die NS-Behörden das Israelitische Lehrerinnenheim als ‚Jüdisches Altersheim‘ Rückertstraße (siehe unten).

Das 1874 in Rödelheim eröffnete und 1910 infolge der Eingemeindung Rödelheims nach Frankfurt am Main dem städtischen Krankenhaus zugeordnete Jüdische Krankenhaus der Joseph und Hannchen May´schen Stiftung, Alexanderstraße 96, wurde 1922 umgewandelt in Altersheim des Frankfurter Verbands für Altersfürsorge. Die Institution blieb interkonfessionell: Dort verlebten jüdische und christliche Seniorinnen und Senioren gemeinsam ihren Lebensabend – bis zur nationalsozialistischen Zäsur 1933. Offenbar bestand im Hause noch bis Juli 1937 ein jüdischer Betsaal. Heute befindet sich am Standort Alexanderstraße 94-96 mit dem Sozial- und Rehazentrum West weiterhin ein (nichtjüdisches) Alten- und Pflegeheim, in dem eine kleine Ausstellung an dessen jüdische Geschichte erinnert.

Ebenso wie das Jüdische Krankenhaus der Joseph und Hannchen May’schen Stiftung in Rödelheim wurde auch das Krankenhaus der Israelitischen Krankenkassen, Röderbergweg 18-20, seit Beginn der 1920er Jahre zunehmend als Altersheim genutzt; die Bettenzahl betrug 18 (Frauenkrankenkasse) bzw. 15 (Männerkrankenkasse) (Segall/Weinreich 1925, S. 4f.). Die mindestens zwei Jahrhunderte umfassende, in der Ghettozeit wurzelnde Geschichte der wohl ältesten Frankfurter jüdischen Pflegeinstitution endete als NS-Sammelager vor den Deportationen; alliierte Luftangriffe zerstörten die ‚arisierten‘ Gebäude.

Die Senioren-Wohnanlage und Pflegeheim der Henry und Emma Budge-Stiftung, seit 1967 im Frankfurter Stadtteil Seckbach, Wilhelmshöher Straße, ansässig, hat sich dem jüdisch-christlichen Zusammenleben nach der Schoah verpflichtet. Damit setzt sie die Tradition ihrer 1930 im Edingerweg eröffneten Vorläuferin, dem von Emma Budge und Henry Budge bereits 1920 gestifteten Henry und Emma Budge-Heim für alleinstehende alte Menschen fort, die satzungsgemäß eine je zur Hälfte jüdische und christliche Belegung vorsah. 1938 verfügte der nationalsozialistische Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt die rassistische Trennung der Bewohner/innen in eine jüdische und eine ‚arische‘ Abteilung. Zu dieser Zeit wohnten noch 60 jüdische Menschen im Heim, die aber bis zum 31. März 1939 das Budge-Heim verlassen mussten. Das Budge-Heim hieß nun „Heim am Dornbusch“; nichts sollte mehr an das jüdische Stifterehepaar erinnern. 1942 wurden ehemalige jüdische Bewohnerinnen und Bewohner des Budge-Heims in die Vernichtung deportiert; die christlichen wurden wegen der Luftangriffe in anderen Häusern im Frankfurter Stadtgebiet verlegt, dann nach Bad Salzhausen evakuiert und schließlich im Schloss Wächtersbach untergebracht. Nach der Kapitulation beschlagnahmten die amerikanischen Militärbehörden das schwer beschädigte Gebäude im Edingerweg, das sie seit der Wiederbelebung der Henry und Emma Budge-Stiftung 1956 als Mieter weiterhin nutzten.

Über die in der Stadt unterhaltenen Einrichtungen hinaus gab es Institutionen der jüdischen Seniorenpflege in Kurgebieten, die von Frankfurt am Main aus initiiert und verwaltet wurden, etwa das 1930 im Bade- und Kurort Bad Ems (Rheinland-Pfalz) eröffnete Erholungs- und Altersheim für jüdische Lehrer, Kantoren und Gelehrte. Es bestand bis 1939.

NS-Zeit: vom Altersheim zum Ghettohaus
Ein besonders deprimierendes und beschämendes Kapitel betrifft die Einrichtung jüdischer ‚Altersheime‘ als Sammellager im nationalsozialistischen Frankfurt. Der Bedarf an jüdischen Alters- und Pflegeheimplätzen stieg u.a. durch Zuzug aus dem hessischen Umland und die Vertreibung jüngerer antisemitisch Verfolgter, die ihre gebrechlichen Angehörigen – auch wegen Einreisebeschränkungen der Aufnahmeländer – zurücklassen mussten. Neben der verstärkten Inanspruchnahme bestehender Institutionen wie der Versorgungsanstalt für Israeliten und des Krankenhauses der Israelitischen Krankenkassen wurden auch Altersheime als Ghettohäuser (‚Judenhäuser‘) belegt. Wegen der hohen Fluktuation wurden die Heime zuletzt häufig von fachfremdem Personal geleitet. Folgende NS-Sammellager für alte Menschen sind bisher bekannt (Andernacht/ Sterling 1963, S. 481, S. 507-533):
– die als „Gemeinschaftsunterkunft“ Hermesweg 5/7 ausgewiesene letzte jüdische Kranken- und Pflegestation;
‚Jüdisches Altersheim‘ Feuerbachstraße 14, zuletzt geleitet von Erna Blum. Zum Pflegepersonal gehörte Nora Gottfeld, die in der NS-Zeit ihren Beruf als Porzellanmalerin aufgeben musste und danach im Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde, im Altersheim Feuerbachstraße und zuletzt im Altersheim Niedenau als Kranken- und Altenpflegerin arbeitete. In die Feuerbachstraße wurden auch Bewohner/innen der Versorgungsanstalt für Israeliten verlegt, so der verwitwete Kaufmann Salomon Hirschberger.
‚Jüdisches Altersheim‘ Hans-Handwerk-Straße 30, geleitet von der früheren Verkäuferin Jenny Dahlberg. In dieses Sammellager wiesen die NS-Behörden vor allem Betreute der Jüdischen Wohlfahrtspflege wie Johanna (Hannchen) Löwenberg ein.
‚Jüdisches Altersheim‘ Niedenau 25, geleitet von Dora Kaufherr. Für die Bewohner/innen sei hier stellvertretend Rosa Natt-Fuchs genannt.
‚Jüdisches Altersheim‘ Rechneigrabenstraße (Krankenhaus der Israelitischen Krankenkassen), Rechneigrabenstraße 18-20 (Leitung bislang unbekannt);
‚Jüdisches Altersheim‘ Reuterweg 91, geleitet von Rosa (Rosel) Möser, die die Schoah überlebte;
‚Jüdisches Altersheim‘ Rückertstraße 49 (Leitung bislang unbekannt);
‚Jüdisches Altersheim‘ Sandweg 7 (Leitung bislang unbekannt);
‚Jüdisches Altersheim‘ Wöhlerstraße 6, 8, 13 (Leiterinnen: Cilly Bachrach, Martha Katzenstein), wohin die NS-Behörden zwangsweise aus ländlichen Gebieten nach Frankfurt zugezogene ältere Menschen einwiesen.

Zur letzten Frankfurter jüdischen Institution nicht nur der Krankenpflege, sondern auch der Altenpflege wurde das Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde, Gagernstraße 36: „Die zur Verfügung stehende Bettenzahl ließ sich […] von 324 um 49 auf 373 erhöhen. Ende September 1941 war das Krankenhaus belegt mit 120 Patienten, mit 128 Alten und Siechen, zusammen 248“ (Gestapo-Beauftragter Holland, zit. n. Andernacht/ Sterling 1963, S. 471). Der Betsaal wurde zum Schlafsaal, die koscher geführte Küche zur Notstandsküche, die Wäscherei des Klinikbetriebs versorgte die noch verbliebenen ‚jüdischen Altersheime‘ mit. Dass das Krankenhaus Gagernstraße vor den Deportationen für einige Monate zum letzten Refugium für jüdische Gebrechliche und Pflegebedürftige in Frankfurt wurde, war nicht zuletzt das Verdienst engagierter Krankenschwestern wie Thea Höchster. 1942 waren nach Hilde Steppes Angaben „fast 400 Menschen im Krankenhaus als Patienten untergebracht, dazu über 100 Angestellte und 37 Lehrschwestern“ (Steppe 1997: 246). Sie wurden während und nach der im September 1942 durchgeführten NS-Zwangsräumung in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert (siehe Kingreen 1999b sowie Karpf 2004). Die bereits eingeleitete ‚Arisierung‘ des letzten jüdischen Krankenhauses in Frankfurt am Main durchkreuzten 1943 alliierte Luftangriffe, die das Klinikgebäude stark beschädigten.

Nach 1945: Bruch, Kontinuität, Neuanfang
Nach dem Ende des Nationalsozialismus scheiterten Versuche, das Frankfurter jüdische Krankenhaus am Standort Gagernstraße in geringerem Umfang wieder zu errichten. Doch wurde im noch erhaltenen Rundbau 1946 ein Alters- und Siechenheim eingerichtet, dessen erste Leiterinnen, Rosa (Rosel) Möser und Else Herlitz, dort unter zunächst recht eingeschränkten Bedingungen betagte und pflegebedürftige Schoah-Überlebende versorgten. Seit 1952 erwuchs aus diesen widrigen Anfängen auf dem Areal Gagernstraße/ Bornheimer Landwehr des früheren Krankenhauses und Schwesternhauses das heutige Altenzentrum (Senioren- und Pflegeheim mit Ateret-Zwi-Synagoge) der Jüdischen Gemeinde. Nach umfassenden Baumaßnahmen birgt heute ein modernes Gebäudeensemble mit Parkanlage eine der größten jüdischen Senioreneinrichtungen Europas. Die Bewohner/innen kommen aus vielen Nationen, ein Teil ist nichtjüdisch. Wegweisend sind der Umgang mit (extrem-)traumatisierten alten Menschen und das interkulturelle Pflegekonzept. Als zweite zentrale Frankfurter Institution jüdischer Altenhilfe und Altenpflege nach der Schoah wurde 1967 die jüdisch-christliche Senioren-Wohnanlage und Pflegeheim der Henry und Emma Budge-Stiftung, Wilhelmshöher Straße, wieder eröffnet. Mit ihrer im November 2011 eingeweihten Gedenkstätte, unter deren 23 Namen sich auch der von Emma Israel befindet, schuf sie ein Erinnerungsdenkmal für die ermordeten Bewohnerinnen und Bewohner des ‚alten‘ Budge-Heims.
Die Forschung zu Persönlichkeiten, Institutionen und Anliegen der Frankfurter jüdischen Altenpflege und Altenhilfe gilt es fortzusetzen. Die Autorin dankt Monica Kingreen † (Jüdisches Museum und Fritz Bauer Institut, Frankfurt/M.) für wertvolle Informationen und Anregungen.

Birgit Seemann, 2012, aktualisiert 2017

Ausgewählte Literatur


Andernacht, Dietrich/ Sterling, Eleonore (Bearb.) 1963: Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden 1933-1945. Hg.: Kommission zur Erforschung der Geschichte der Frankfurter Juden. Frankfurt/M.

Arnsberg, Paul 1983: Die Geschichte der Frankfurter Juden seit der Französischen Revolution. Darmstadt, 3 Bände

Bergmann, Michel 2010: Die Teilacher. Roman. Zürich, Hamburg

Bergmann, Michel 2011: Machloikes. Roman. Zürich, Hamburg

Bericht 1911: o.Verf., Frankfurt a. M. [Bericht zur Anstellung jüdischer Lehrkräfte]. In: Im deutschen Reich 17 (1911) 2, S. 96-97, Online-Ausg.: www.compactmemory.de

Gedenkfeier 1932: o.Verf., Gedenkfeier. In: Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt 10 (1932), Juni, Nr. 10, Rubrik „Persönliche Nachrichten“, S. 221, http://edocs.ub.uni-frankfurt.de/volltexte/2007/38011/original/Gemeindeblatt_1932_10.pdf

Karpf, Ernst 2004: Judendeportationen von August 1942 bis März 1945, http://www.ffmhist.de/

Kingreen, Monica (Hg.) 1999: „Nach der Kristallnacht“. Jüdisches Leben und antijüdische Politik in Frankfurt am Main 1938 – 1945 Frankfurt/M., New York

Kingreen, Monica 1999a: Zuflucht in Frankfurt. Zuzug hessischer Landjuden und städtische antijüdische Politik. In: dies. (Hg.) 1999, S. 119-155

Kingreen, Monica 1999b: Gewaltsam verschleppt aus Frankfurt. Die Deportationen der Juden in den Jahren 1941-1945. In: dies. (Hg.) 1999, S. 357-402

Kirchheim, Raphael M. 1911: Verzeichnis der Frankfurter jüdischen Vereine, Stiftungen und Wohltätigkeitsanstalten. O.O. [Frankfurt/M.] – Weitere Ausg. ebd. 1917. – Online-Ausg. Frankfurt/M.: Univ.-Bibliothek, 2009, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hebis:30-181640501004

Löffler, Ilse 1932: Die Frau im akademischen Beruf. In: Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt 10 (1932), Juni, Nr. 10, Beilage „Jugend und Gemeinde“, Hg. von der Jugendkommission der Israelitischen Gemeinde [zu Frankfurt am Main]. Rubrik „Persönliche Nachrichten“, S. 39-40. – Online-Ausg. 2007, Universitätsbibliothek Frankfurt am Main:
http://edocs.ub.uni-frankfurt.de/volltexte/2007/38011/original/Gemeindeblatt_1932_10.pdf

Maierhof, Gudrun 2002: Selbstbehauptung im Chaos. Frauen in der jüdischen Selbsthilfe 1933–1943. Frankfurt/M., New York

Müller, Bruno 2006: Stiftungen in Frankfurt am Main. Geschichte und Wirkung. Neubearb. u. fortgesetzt durch Hans-Otto Schembs. Frankfurt/M.

P.R., Zwei Jubilarinnen. In: Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt 11 (1933), März, Nr. 7, Rubrik „Persönliche Nachrichten“, S. 169, Online-Ausg. Frankfurt/M., Univ.bibl. 2007, http://edocs.ub.uni-frankfurt.de/volltexte/2007/38011/original/Gemeindeblatt_1933_07.pdf

Schiebler, Gerhard 1988: Stiftungen, Schenkungen, Organisationen und Vereine mit Kurzbiographien jüdischer Bürger. In: Lustiger, Arno (Hg.) 1988: Jüdische Stiftungen in Frankfurt am Main. Stiftungen, Schenkungen, Organisationen und Vereine mit Kurzbiographien jüdischer Bürger dargest. v. Gerhard Schiebler. Mit Beitr. v. Hans Achinger [u.a.]. Hg. i.A. der M.-J.-Kirchheim’schen Stiftung in Frankfurt am Main. 2. unveränd. Aufl. Sigmaringen 1994, S. 11-288

Segall, Jakob/ Weinreich, Frieda (Red.) 1925: Die geschlossenen und halboffenen Einrichtungen der jüdischen Wohlfahrtspflege in Deutschland. Hg. v. d. Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden. Berlin. – Online-Ausg. Frankfurt/M.: Univ.-Bibl. 2009, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hebis:30-180015307004

Seide, Adam 1987: Rebecca oder ein Haus für Jungfrauen jüdischen Glaubens besserer Stände in Frankfurt am Main. Roman. Frankfurt/M.

Statut Rothschild´sches Altersheim 1907: Statut der Stiftung: Freiherrlich Wilhelm u. Freifrau Mathilde von Rothschild’sches Altersheim für Israelitische Frauen und Jungfrauen besserer Stände [um 1907]. Online-Ausg. Frankfurt/M.: Univ.-Bibl., 2011, http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaicaffm/urn/urn:nbn:de:hebis:30:1-307739

Steppe, Hilde 1997: „… den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre …“. Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Frankfurt/M.

Tauber, Alon 2008: Zwischen Kontinuität und Neuanfang. Die Entstehung der jüdischen Nachkriegsgemeinde in Frankfurt am Main 1945-1949. Wiesbaden

Internetquellen in Auswahl (Aufruf aller Links im Beitrag am 24.10.2017)


Budge-Heim: Henry und Emma Budge-Stiftung (Seniorenanlage und Pflegeheim): https://www.budge-stiftung.de/

ISG Ffm: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main (mit Datenbank): www.stadtgeschichte-ffm.de sowie http://www.ffmhist.de/

JAZ Ffm: Jüdisches Altenzentrum Frankfurt am Main mit Seniorenheim: http://www.altenzentrum.jg-ffm.de/

JM Ffm: Jüdisches Museum und Museum Judengasse Frankfurt am Main (mit der internen biographischen Datenbank der Gedenkstätte Neuer Börneplatz): www.juedischesmuseum.de

Stolpersteine Ffm: Initiative „Stolpersteine“ Frankfurt am Main: www.stolpersteine-frankfurt.de

www.vor-dem-holocaust.de

ZWST: Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland: http://www.zwst.org/de/home/