Jüdische Pflege- geschichte

Jewish Nursing History

Biographien und Institutionen in Frankfurt am Main

Frankfurt, Thiergarten, 1895

Die Schwesternschülerinnen des Frankfurter Vereins, 1893-1902

Zeit und Ort, eine Einordnung

Zu der Gruppe der Gründerinnen des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main zählten:

Minna Hirsch, geboren am 01.12.1860,

Frieda Brüll, geboren am 27.07.1866,

Klara Gordon, geboren am 20.11.1866,

Lisette Hess, geboren am 13.07.1867.

Thekla Mandel, geboren am 22.07.1867.

Alle erhielten ihre Ausbildung vor 1893. In diesem Artikel wird das Leben der Krankenschwesternschülerinnen von 1893, der Vereinsgründung, bis zum Jahr 1902, dem Umzugsjahr der Pflegerinnen in ein neu erbautes Schwesternheim neben dem Hospital der Israelitischen Gemeinde in der Königswarterstraße 20, betrachtet.

Um von einer Schülerinnengeneration zu sprechen, und das möchte ich hier, folge ich dem Soziologen Heinz Bude:

„Geburtskohorten bilden noch keine Generation, es kommt vielmehr auf die mögliche Bezugnahme auf ein gemeinsames Präge- und Wirkungserlebnis an, aus dem sich die Evidenz einer Gemeinsamkeit trotz des Unterschieds von Herkunft, Religion oder ethnischer Zugehörigkeit ergibt.“ (Bude 2000: 188)

Dieses „gemeinsame Präge- und Wirkungserlebnis“ der Krankenpflegeschülerinnen und späteren Krankenpflegerinnen, die hier vorgestellt werden, ist das gemeinsame Erleben einer bestimmten Zeitepoche, das Leben in einer gemeinsamen räumlichen Umgebung, die Zugehörigkeit zum Verein für jüdische Krankenpflegerinnen und die Ausübung des gleichen Berufs.

Die Epoche

Um das Leben in der damaligen Zeit zu beschreiben und sich damit dem Selbstverständnis der Krankenpflegerinnen und Schülerinnen zu nähern, beschreibe ich im Folgenden die Politik der Zeit, die Wirtschaft, den Antisemitismus, den Stand des medizinischen Wissens, den Beruf der Krankenschwester zu dieser Zeit, spezieller, den Beruf der jüdischen Krankenschwester.

Die Politik um 1900

Die Situation der Frankfurter Juden
Für die jüdische Bevölkerung Frankfurts entfiel 1812 der Ghettozwang. 1853 konnte man von weitgehenden staatsbürgerlichen und politischen Rechten für die Juden sprechen, besonders beeinflusst durch eine Reform des Wahlrechts. 1864 kamen die Gewerbefreiheit und die völlige Gleichstellung der Juden hinzu.

In der Diskussion um den Erhalt traditioneller Werte im Judentum trennte sich die Frankfurter jüdische Gemeinde um die Mitte des 19. Jahrhunderts in eine orthodoxe Israelitische Religionsgesellschaft und die Israelitische Gemeinde Frankfurts mit einem konservativen und einem liberalen Flügel.

1885 wurden die meisten Häuser der Judengasse, dem ehemaligen Judenghetto, abgerissen und die Gasse in Börnestraße umbenannt.

Das Deutsche Reich

The Kaiser an the Kaiserin 1898
Abbildung: Kaiserin Auguste Victoria und Kaiser Wilhelm II, 1898
© https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/5e/The_Kaiser_and_the_Kaiserin%2C_1898.jpg

Ab 1871, nach dem erfolgreichen Krieg der Deutschen gegen Frankreich und der deutschen Reichsgründung änderte sich Vieles grundlegend. Die Industrialisierung nahm stark zu, die Unterschiede zwischen Arbeitern und Bürgertum wuchsen, die Armut stieg an. 1875 entstand aus dem Proletariat heraus die sozialistische Arbeiterpartei. Otto von Bismarck, der Reichskanzler von 1871 bis 1890, erließ Sozialgesetze, wenn auch vor allem, um aufkommenden Protest aus dem Proletariat zu beruhigen. So beschnitt einerseits das Sozialistengesetz von 1878 zunächst die Rechte der sozialdemokratischen und sozialistischen Vereine. Andererseits wurden soziale Zugeständnisse gemacht, durch so fundamentale Änderungen wie der Einführung der Krankenversicherung 1883, der Unfallversicherung 1889, der Invaliditäts- und Altersversicherung und der Rentenversicherung 1891 (vgl. kaiserreich-bismarcks-sozialgesetzgebung).

Im Dreikaiserjahr 1888 starb zunächst Wilhelm I., der bereits bei der Thronbesteigung sterbenskranke Sohn Friedrich II wurde nach dessen Tod von Wilhelm II beerbt. Wilhelm II. wollte „König der Bettler“ sein, er forderte das Verbot von Sonntagsarbeit, das Verbot von Nachtarbeit für Frauen und Kinder und das Verbot von Frauenarbeit während der letzten Schwangerschaftsmonate. Zumindest die Einschränkung von Arbeit für Kinder unter vierzehn Jahren bezeichnete Bismarck als „Humanitätsduselei“, er wurde 1890 als Kanzler entlassen (vgl. kaiserreich-bismarcks-sozialgesetzgebung).

Wilhelm II. wollte allerdings auch wieder mehr persönliche Macht, unabhängig von Reichskanzler und Regierung, womit er allerdings immer wieder mit den Bestimmungen der Verfassung in Konflikt kam, etwa bei dem Versuch Ausnahmegesetze gegen die Sozialdemokratie durchzusetzen. Auch außenpolitisch war er offensichtlich ungeschickt, in der Daily-Telegraph-Affäre von 1908/09 stiftete er Verwirrung, indem er die deutsche Außenpolitik in mehrfacher Hinsicht bloßstellte, die Briten fanden Wilhelm anmaßend, die Franzosen und Russen taktlos (vgl. daily-telegraph-affaire). Als Ergebnis war Reichskanzler von Bülows Position gefestigt und Wilhelm lenkte auf eine verfassungsgemäße Linie ein (vgl. obrigkeitsstaat-und-basisdemokratisierung).

Wirtschaft

(vgl. Geschichte_Deutschlands)

Internationale "Elektrotechnische Ausstellung" 1891
„Die internationale ‚Elektrotechnische Ausstellung’ auf dem Gelände vor dem Hauptbahnhof im Jahr 1891 galt als technische Sensation: 1,2 Millionen Besucher wurden gezählt“ (FNP 24.9.2018)
Abbildung: © https://commons.wikimedia.org/wiki/File:IEAFrankfurt1891a.jpg

Die Zeit ab ca. 1890 wird heute als erstes deutsches Wirtschaftswunder bezeichnet. Mit ihren Stärken in der Großchemie, Elektrotechnik und beim Maschinenbau stand das Deutsche Reich 1913 in der Weltindustrieproduktion an zweiter Stelle hinter den USA, im Welthandel ebenfalls auf dem zweiten Platz hinter Großbritannien. Für viele Menschen, besonders in der Industriearbeit besserten sich dadurch die Lebensverhältnisse und die Gründung von Gewerkschaften war eine Folge. Immer schwerer hatten es die Menschen, die ihr Geld in häuslicher Arbeit oder im traditionellen Handwerk verdienten

Antisemitismus

(vgl. Etablierung_im_Kaiserreich)

Durch Schuldzuweisungen an die Juden in der Wirtschaftskrise von 1873 und der darauffolgenden Pleitewelle bei Geschäften und Unternehmen, wurde der Antisemitismus geschürt. Wilhelm Marr gründete 1879 die „Antisemitenliga“ und Max Liebermann von Sonneberg und Bernhard Förster gründeten 1881 den antisemitischen Deutschen Volksverein (vgl. antisemitische-parteien). Den „Rassegedanken“ förderten z. B. 1890 Paul de Lagarde mit seiner Publikation „Deutsche Schriften“, er trat für die Einheit von „Rasse und Religion“ ein. 1899 sprach Houston Stewart Chamberlain, der Schwiegersohn von Richard Wagner, von der „germanischen“ bzw. der „arischen Rasse“. Die antisemitischen Parteien gewannen 1893, mit 2,9 % der Stimmen, 16 Mandate im deutschen Reichstag.

Medizinische Entwicklung

(vgl. zeittafel_daten_zur_geschichte_der_medizin und Zeittafel_medizinischer_Fortschritte)

Die Schwesternschülerinnen der Ausbildungsjahrgänge 1893 bis 1902 kamen in ein Berufsfeld, das von enormen medizinischen Entdeckungen und Neuerungen im 19. Jahrhundert geprägt war.

Hinweis: Die Tabelle wird aktuell überarbeitet

Gemeinsam mit der Medizin entwickelten sich die Krankenhäuser und damit die Pflege. Die Pflegehistorikerin Eva-Maria Ulmer schreibt, dass das alte Hospital sich „von einer Aufbewahrungsstätte für mittellose Kranke, Alte und Gebrechliche zu einem medizinischen Zentrum, in dem nur noch Kranke sein sollten“ entwickelte (vgl. der-beginn-der-beruflich-ausgeuebten-pflege). Weiter führt sie an, dass durch diese Veränderung auch begüterte Gesellschaftsgruppen in die Krankenhäuser kamen, und die Ärzte entdeckten das Krankenhaus für sich als einen Ort der Forschung und Lehre (vgl. ebd.). Die Medizin definierte sich nun als Naturwissenschaft, die Pflegehistorikerin Hilde Steppe beschreibt: Nachdem man lange, im Mittelalter, Mensch, Welt, Leib und Natur als verschieden, jedoch nicht erforschbare Objekte gesehen habe und Krankheit als Strafe Gottes verstanden habe, habe man in der Renaissance begonnen den Körper zu untersuchen. Natur und Körper würden nun getrennt gesehen, wissenschaftlich-rationale Erklärungsmodelle seien nun von Gesundheit und Krankheit entwickelt worden: „Gesundheit wird in diesem Kontext bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zu einem bürgerlichen Ideal, welches individuell zu verantworten, staatlicherseits zu unterstützen und durch wissenschaftlich qualifizierte Experten zu kontrollieren ist.“ (Steppe 1997: 43)

Die Entwicklung in Medizin, Pflege und Krankenhauswesen wurden gefördert, so Steppe, da, durch die industrielle Revolution die Gesundheit der arbeitsfähigen Bevölkerung eine besondere Bedeutung erhalten hatte (vgl. ebd.). Innerhalb des Gesundheitswesens manifestierten weiterhin die Männer ihre Vorherrschaft. Frauen waren zuständig für die Hilfsdienste, das Medizinstudium war ihnen lange verwehrt. Es sollten, so Ulmer, „nicht mehr nur religiös gebundene Schwestern oder Wartepersonal, proletarische, nicht ausgebildete Frauen und Männer, sondern gebildete Frauen, die die notwendige Betreuung während der Abwesenheit der Ärzte sicherstellen konnten“ den Pflegeberuf ergreifen.

Professionalisierung des Krankenschwesternberufs

(Vgl. der-beginn-der-beruflich-ausgeuebten-pflege)

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kann man die Pflegeverbände grob in vier Gruppen einteilen. Die katholischen Ordenspflege, aus Frankreich kommend. Die evangelische Diakonissenpflege, die sich 1936 in Kaiserswerth unter Theodor Fliedner in einer Diakonissenanstalt etablierten. Die dritte große Gruppe war die Schwesternschaft des Roten Kreuzes und viertens die frei arbeitenden Schwestern. In Zahlen heißt das:

 18761898
Gesamtzahl:8.68126.427
In katholischen
Mütterhäusern
5.76312.427
In evangelischen
Mütterhäusern
1.7607.576
Andere5253.613
Freie Schwestern6552.398

Quelle: Jutta Helmerichs (Helmerichs 1992)

Zur Ausprägung der Lerninhalte des Pflegepersonals berichtet Ulmer: So seien es nicht die Krankenschwestern, die die Inhalte ihrer Berufsausbildung formten. Es seien in erster Linie gut ausgebildete Frauen, die die Ärzte vertreten konnten, wenn diese nicht am Krankenbett stünden, gegangen. Auch nach der nochmaligen Steigerung der Patientenzahlen in Folge der Einführung des Krankenversicherungsgesetztes wurde die Forderung nach Krankenpflegeausbildung lauter, die unabhängig von den Orden bestimmt wurde und den Einbezug der Erkenntnisse der Medizin forderte. Auch aus der Frauenbewegung kamen Forderungen nach einer professionellen Ausbildung, einer angemessenen Bezahlung und einer Ausbildung, die spezielle Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln sollte. Das Krankenpflegegesetz von 1907 regelte dann die Ausbildung der Krankenpflegerinnen und sah einen staatlichen Abschluss vor. Davor wurden die variierenden Ausbildungsinhalte von den unterschiedlichen Mutterhäusern festgelegt (vgl. der-beginn-der-beruflich-ausgeuebten-pflege)

Um die Anforderungen an das Pflegepersonal zu erfüllen nahm die Professionalisierung des Krankenschwesternberufs, auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft zu.

Die jüdische Krankenpflege

„Rosalie Jüttner aus Posen war 1881 vermutlich die erste Pflegerin, die an einem jüdischen Krankenhaus in Deutschland ausgebildet wurde“ (Seemann / Bönisch 2011, 51-74). Dr. Simon Kirchheim und sein Assistenzarzt Dr. Theophil Jaffé unterrichteten sie etwa ein Jahr lang am Hospital der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main. Im Abschlusszeugnis hieß es: „Dieselbe hat während dieser Zeit […] tief in allen Zweigen der Krankenpflege sowie in kleinen chirurgischen Verrichtungen und leichteren Verbänden sich zu unterrichten genügend Gelegenheit gehabt […] und selbständig die Krankenpflege einer Abteilung zum Schluß geleitet.“ Danach arbeitete Rosalie Jüttner in der Privatpflege, vermutlich in Posen, da ihre Ausbildung von der jüdischen Gemeinde in Posen angefordert worden war (vgl. Verein für jüdischen Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1902).

In den folgenden Jahren diskutierten die jüdischen Gemeinden deutschlandweit über die Notwendigkeit eine eigene berufliche Krankenpflege zu etablieren. Federführend war deren 1872 konstituierter Dachverband, der Deutsch-Israelitische Gemeindebund (DIGB). Der DIGB förderte die Diskussion durch die Anforderung von Gutachten: So schrieb Dr. E. Stern aus Berlin, dass er in der Stadt keinen Bedarf für eine eigene jüdische Pflege sähe, da die dortigen nichtjüdischen Institutionen ausreichten und weibliche jüdische Gemeindemitglieder sich ehrenamtlich um die Kranken kümmerten; anders sei jedoch die Lage in ländlichen Gebieten. Bedenken äußerte er bezüglich klosterähnlicher Einrichtungen nach dem christlichen Mutterhausmodell, da „der unbedingte Gehorsam gegen die Kirche und ihre sichtbaren großen und kleinen Führer […]“ (zit. n. Steppe 1997: 92). dem Judentum nicht entspräche. Eine Umfrage unter den jüdischen Gemeinden ergab ein geteiltes Stimmungsbild: Die Gegner einer beruflichen Krankenpflege sahen den Aufgabenbereich der Frau in Ehe und Familie und betonten die heilige und deshalb ehrenamtlich zu erfüllende Pflicht des Krankenbesuchs. Trotz der Kontroversen beschloss der DIGB 1882 die „Förderung des jüdischen Krankenpflegewesens“ und verabschiedete 1883 einen Organisationsplan zur finanziellen Unterstützung (z. B. Übernahme der Ausbildungskosten) künftiger jüdischer Krankenpflegerinnen. Die erste Liste interessierter Kandidatinnen umfasste neun Namen.

Ein wichtiges Argument für die berufsmäßige jüdische Pflege sah man darin: „Das Judentum [zu] repräsentieren und Anerkennung durch das deutsche Bürgertum [zu] erwerben“ (Steppe 1997: 306). Damit dieses Ziel erreicht werden konnte, sollten „Jüdische Krankenschwestern [ … ] die Besten sein, mit den neuesten medizinischen Wissensstand, mit persönlich untadeligem Verhalten, mit ständiger Bereitschaft zum Einsatz und ständiger Verkörperung positiver jüdischer Normen“ (ebd.).

Die gemeinsame räumliche Umgebung der
Krankenpflegerinnen des Vereins

Die Lebensform „Mutterhaus“

Im Rahmen der Professionalisierung der jüdischen Krankenpflege wurde über die Unterbringung von Schwestern in Mutterhäusern diskutiert. Mit dieser Form einer Lebensgemeinschaft waren vor allem die evangelischen Diakonissenhäuser gemeint, die, nach der Idee Theodor Fliedners, seit 1836 mit der Gründung der Diakonissenanstalt in Kaiserswerth, entstanden. „Fliedner übernahm Teile des katholischen Modells, die Abgeschiedenheit und die karitativ-christliche Auffassung der Krankenpflege. Andererseits springt die Orientierung am bürgerlichen Modell der Familie ins Auge, der Theologe und die Oberin an der Spitze, darunter die „Kinder“ (Diakonissen), für die gesorgt wird, alle in einem Haus. Dieses als Mutterhaus beschriebene System ist eine typisch deutsche Entwicklung, in der persönliche Unfreiheit mit sozialer Absicherung verbunden war […]. Auch die jüdischen Krankenpflegevereine organisierten sich als Mutterhäuser“ (der-beginn-der beruflich-ausgeuebten-pflege), wenn auch weit mehr „weltlicher“ an der Rechtsform des Vereins orientiert (vgl. Steppe 1997: 251).

Das „Häuschen“

Neben dem alten Hospital der Israeltischen Gemeinde in der Königswarterstraße mietete 1893 der neu gegründete Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt e. V. „eine erste Unterkunft, das ,Häuschen‘“ (Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1920: 19). Die Adresse war Am Thiergarten. Die Straße Am Thiergarten führte damals um den Zoo herum, ein kleiner Teil berührte auch die Fläche des Grundstücks um das Hospital (vgl. Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1898: 4). Im Lauf der Zeit nannten die Bewohnerinnen es das „Häuschen“. Im Jahresbericht des Vereins für 1897 lassen sich die Lebensbedingungen im Vereinshaus nachlesen: Eine Lernschwester, die sich verpflichtete, nach Vollendung der Ausbildungszeit mindestens weitere drei Jahre dem Verein anzugehören, wird „unter die Vereinsschwestern aufgenommen, erhält völlig freie Station (Wohnung, Kost, Heizung, Beleuchtung, Dienstkleidung, Wäsche) im Vereinshause und in den ersten zwei Jahren 360 Mk. jährliches Gehalt, das von da ab alle zwei Jahre um 60 Mk. bis zum Höchstgehalt von 600 Mk. steigt. Dienstunfähig gewordene Pflegerinnen erhalten eine angemessene Pension“ (Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1897: 449). In dem zitierten Rechenschaftsbericht von 1897 wurde auch darauf hingewiesen, dass das angemietete Schwesternhaus nicht mehr ausreiche, und man rief zu Spenden für ein neues eigenes Haus auf.

Frankfurt, Thiergarten, 1895
Abbildung: Stadtkarte Frankfurt am Main 1895
© Stadtvermessungsamt

1898 verließen die Schwestern die bisher vom israelitischen Gemeindehospital überlassene Wohnung „Am Thiergarten“ und bezogen vorübergehend ein provisorisches Heim in der „Unteren Atzemer 16“ (vgl. Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1899: 4).

Untere Atzemer 16

1898 zogen die Krankenschwestern in die Untere Atzemer 16, zwei Querstraßen entfernt vom Israelitischen Gemeindehospital. Heute ist vom Haus bekannt, dass zuvor von 1888 bis 1897 in dem Haus der Maler Gustav Ballin mit seiner Familie lebte (vgl. Frankfurter Adressbücher).

Schräg gegenüber stand das 1881/82 erbaute Bruderhaus der Barmherzigen Brüder, deren Krankenhaus an diesem Ort wohl noch bis weit in das 20. Jahrhundert genutzt wurde (vgl. https://www.frankfurt-lese.de/index.php?article_id=323).

Das Haus 16 befand sich dort, wo heute Betriebsflächen des Frankfurter Zoos untergebracht sind.

Karte Untere Atzemer
Abbildung: Untere Atzemer
© Institut für Stadtgeschichte/Stadtvermessungsamt. Stadtgrundkarte 1902

Das neue Gebäude in der Königswarterstraße 20

1899 wurde ein Grundstück neben dem Königswarter Hospital angekauft. Nach einem Ausschreibungsverfahren erhielt der Architekt Max Seckbach den Zuschlag für einen Neubau des Schwesternhauses (vgl. Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1900: 4) 1902 schließlich zogen die Schwestern in das neue Gebäude in der Königswarterstraße 20 um (Vgl. Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1899: 4). Über die Architektur, die Inneneinrichtung und vor allem das Leben in diesen ersten Schwesterhäusern wissen wir zum jetzigen Zeitpunkt recht wenig. Viel mehr Informationen haben wir über das Schwesternhaus, welches 1914 in der Bornheimer Landwehr  85 neu eröffnet wurde.

Königswarterstr. 1902
Abbildung: Das neue Schwesternhaus in der Königswarterstraße 20
© Institut für Stadtgeschichte/Stadtvermessungsamt. Stadtgrundkarte 1902

Die Schwestern im Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main und ihre Ausbildungsstätte

Der Verein

Die Ärzte Simon Kirchheim und Alfred Günzburg und – vor allem der Bankier Meier Schwarzschild –  planten 1893 die Gründung eines Vereins zur Förderung der jüdischen Krankenpflege. Ebenso begannen die zwischen 1889 und 1893 ausgebildeten Krankenschwestern Minna Hirsch, Frieda Brüll, Klara Gordon, Lisette Hess und Thekla Mandel sich zu organisieren, sie bildeten den „Verband jüdischer Krankenpflegerinnen“. Beide Initiativen zusammen gründeten am 23.10.1893 den „Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main“. Zur Oberin war bereits Minna Hirsch gewählt worden.

Die Pflegewissenschaftlerin Hilde Steppe bezieht sich in den folgenden Angaben auf die Satzung und Bestimmungen des Vereins von 1893 und, da diese nicht vollständig erhalten sind, von 1900 (vgl. Steppe 1997: 202f.). Erreichen wollte man mit dem Verein, dass jüdische Mädchen eine Ausbildung zur Krankeschwestern bekamen und, dass ausgebildete jüdische Krankenschwestern für die bezahlte Privatpflege und die kostenlose Armenpflege für Patienten aller Konfessionen zur Verfügung standen (Steppe 1997: 202, dort vgl.: Verein zur Ausbildung jüdischer Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main, Populärwissenschaftliche Monatsblätter 13/1893 Nr. 11, S. 248-250).

Jeder und jede konnte Mitglied werden und auch den Vereinsbeitrag selbst bestimmen (vgl. ebd.). Der Vorstand, unter Vorsitz von Dr. Simon Kirchheim, setzte sich aus neun Männern (mindestens zwei Ärzten) zusammen, alle sollten in Frankfurt ihren Wohnsitz haben. Dem Vorstand war es vorbehalten über die Zulassung von Bewerberinnen zu bestimmten, die Hausordnung festzulegen, wie auch Bestimmungen zum Dienstablauf, zur Pension und zu den Gehältern oder auch die Bestimmung der Oberin. Sämtliche Bezahlungen von Dienstleistungen gingen direkt an den Verein, es gab also keinen Arbeitsvertrag, sondern die Schwestern und Schülerinnen unterschrieben die Einwilligung in die Bestimmungen des Vorstands (vgl. ebd.).

Zu den Aufnahmebestimmungen zur Ausbildung gehörten (vgl. ebd.): Die Schwesternschülerinnen sollten Angehörige der jüdischen Konfession sein, zwischen 21 und 36 Jahren alt sein, einen tadellosen Ruf haben, gesund und arbeitsfähig sein, sie sollten mindestens Elementarschulkenntnisse haben und Erfahrung in Hausarbeit.

Die Ausbildung selbst (ein Jahr lang) fand in Frankfurt oder Köln statt (Stand 1893). Gehorsam gegenüber Vorgesetzten und Achtung der Hausordnung waren Bedingungen. Es gab eine Probezeit von drei Monaten, die Kündigungsfrist war für die Schülerinnen zwei Wochen. Während der Ausbildung erhielten die Schülerinnen freie Kost und Logis, plus 10 RM im Monat als Taschengeld.

Es gab eine Abschlussprüfung (hausintern) inklusive einer Gesundheitsprüfung, die zum Eintritt in die Schwesternschaft berechtigte. Nach drei verpflichtenden Jahren erhielten die Schwestern letztlich ihr Diplom und wurden dann Mitglied im Verein. Die Möglichkeit nach den religiösen Vorschriften zu leben, auch in der Privatpflege, wurde ihnen zugesichert (z.B. arbeitsfreier Sabbat). Sie brauchten nicht mehr als zwei Nachtwachen hintereinander zu leisten, gerade in der Privatpflege wurden ihnen für jeden Tag ein bis zwei Stunden Spaziergänge außer Haus zugesagt.

Weiter fasst Steppe zusammen (vgl. Steppe 1997: 204 ff.): Am Ende des ersten Vereinsjahres (1893) beherbergt der Verein 10 ausgebildete Krankenschwestern. Davon sechs, die vor der Vereinsgründung ausgebildet wurden. Von den 10 waren drei in Frankfurt und eine in Köln im Asyl für Kranke und Altersschwache. Eine Schwester war zu dieser Zeit krank, somit konnten fünf Schwestern den Dienst als Privatpflegerinnen anbieten, was von Patienten aller Konfessionen angenommen wurde. Darüber hinaus waren drei Schülerinnen in Frankfurt zur Ausbildung, Ausbilder war Dr. Deutsch und weitere drei waren in Köln in der Betreuung von Dr. Auerbach.

Eine Bilanz des ersten Jahres fiel sehr positiv aus. Der Verein hatte bereits 662 Mitglieder und die Spendenbereitschaft für den Verein und seine Pensionskasse war groß. Die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen war stark, z. B. bewarben sich im zweiten Jahr 23 Frauen, von denen allerdings nur vier genommen werden konnten. Anfragen kamen auch aus den Niederlanden und Dänemark. Bereits im ersten Jahr konnte eine kostenlose Armenschwester zur Verfügung gestellt werden. Angefordert durch praktische Ärzte, kümmerten sie sich neben der Krankenpflege auch um Lebensmittel Wäsche oder Geld. Dies entsprach der traditionellen jüdischen Wohltätigkeit.

Sowohl im ersten als auch im zweiten Jahr starben je eine junge Krankenschwester, die eine, Hedwig Kerb, an Hirnhautentzündung, die andere, Rosa Salinger, an einer schweren Infektion (vgl. Steppe 1997: 204, 205).

1898 kam eine Kooperation mit dem Israelitischen Krankenhaus in Hamburg hinzu. Die Frankfurter Vereinsschwester Klara Gordon wurde Oberin in Hamburg.

Das Hospital der Israelitischen Gemeinde

Die Wohnorte der Schwestern und Schwesternschülerinnen waren direkt an ihre Ausbildungs- und Arbeitsstätte angebunden, dem Hospital der Israelitischen Gemeinde in der Königswarterstraße 26, die zur Bauzeit noch Grüner Weg hieß (vgl. Beschreibung der am 27. Juni 1875 stattgefundenen Feierlichkeiten…).

Zu den, bis Mitte des 19. Jahrhunderts, insgesamt in Frankfurt am Main bestehenden Krankeneinrichtungen kamen bis 1888 weitere 11 Krankenhäuser hinzu (vgl. Steppe 1997: 182). Beispielsweise: ein Haus der evangelischen Diakonissen 1870, die Diakonissinnen der Methodisten führen seit 1876 das Bethanien-Krankenhaus, Barmherzige Brüder eröffneten 1882 ein Hospiz, Barmherzige Schwestern ebenfalls 1882 oder das St. Elisabethenkrankenhaus in Bockenheim. Bei der Gründung eines Hospitals der Israelitischen Gemeinde war besonders Sanitätsrat Dr. Heinrich Schwarzschild hervorzuheben, sein Wunsch war es, das veraltete Medizinwesen und Pflegewesen zu ergänzen bzw. abzulösen (vgl. Chronik Hospital der Israelitischen Gemeinde).

So kam es zur Errichtung des Hospitals der Israelitischen Gemeinde 1875, gefördert durch das Stifterehepaar Elisabeth und Isaac Königswarter, zu deren Ehren der Grüne Weg in Königswarterstraße umbenannt wurde.

Zu Beginn war das Hospital für 80 Betten geplant und sollte, gemäß den medizinischen Entwicklungen, angepasst werden können (vgl. Steppe 1997: 197). Entsprechend der 1886 neu gefassten Hospitalordnung war das Krankenhaus vorgesehen für Frankfurter Gemeindemitglieder und deren Dienstboten, wie auch für anderen in Frankfurt wohnende Israeliten und auf Reisen befindlichen Personen und für Personen, die durch die städtischen Behörden eingewiesen wurden (vgl. ebd.).

Das Personal bestand zunächst aus angelernten Wärterinnen und Wärtern. Sowohl Verwaltung (Abraham Seckbach) als auch der ärztliche Leiter (Dr. Simon Kirchheim) befürworteten Reformen, so dass 1881 Rosalie Jüttner aus Posen die vermutlich erste in einem jüdischen Krankenhaus ausgebildete Krankenschwester war. Dr. Kirchheim und sein Assistent Dr. Theophil Jaffé waren die Ausbilder.

Die um das Thema der Notwendigkeit einer eigenständigen jüdischen Krankenpflege entstandene Debatte wurde bereits im Kapitel „Die jüdische Krankenpflege“ weiter oben angesprochen.

Im Königswarter Hospital erhielten auch die Krankenschwestern, die später den Verein jüdischer Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main gründeten ihre Ausbildung. Minna Hirsch, Lisette Hess, Thekla Isaacsohn, Frieda Brüll/verheiratete Wollmann und Klara Gordon.

Ausgebildet wurden die Schwesternschülerinnen durch die Ärzte des Hospitals. Ab 1877 war Simon Kirchheim Hospitalsarzt, Max Hirschberg Operateur. Assistenzärzte waren ab 1870 Dr. Teophil Jaffé, ab 1886 Dr. Alfred Günzburg, ab1891 Dr. Adolf Deutsch, von 1895 ab Dr. M. Sachs. Als die Aufgaben 1897 getrennt wurden, war Dr. Deutsch Armenarzt, und Assistenzarzt war Dr. L. Berlizheimer, ab 1900 Dr. Jakob Meyer.

Hospital der Israelitischen Gemeinde, 1874
Zeichnung des Königswarter Hospitals
Aus: Israelitische Gemeinde Frankfurt am Main 1876: Beschreibung der am 27. Juni 1875 stattgefundenen Feierlichkeiten zur Einweihung des Hospitals der israel[itischen] Gemeinde in Frankfurt am Main Grüner Weg 26: Erbaut von der Familie Königswarter. Frankfurt a.M.

Im Jahr 1901 wurde das erste Mal eine Erweiterung oder ein Neubau des Hospitals erörtert. Nachdem der Polizeipräsident das Fehlen von Tageräumen im alten Hospital in der Königswarterstraße angemahnt hatte und mit Schließung drohte, war der Gemeindevorstand im Zugzwang und gründete eine Kommission zur Prüfung des Ausbaus des alten Hospitals oder der Möglichkeit eines Hospitalneubaus. Die Kommission bestand neben Mitgliedern des Vorstands des Gemeindeausschusses und des städtischen Pflegeamts aus den Hospitalärzten Dr. Kirchheim und Dr. Hirschberg. 1904 folgte die Empfehlung für einen Neubau, der zehn Jahre später, 1914, eingeweiht wurde (vgl. Hanauer 1914: 55).

Die Schwesternschülerinnen der Jahre 1893 bis 1902

Tabellarische Aufzeichnung

(vgl. Steppe 1997: 225 – 227)

Lfd. Nr. NameAus-
bidungsjahr
LebensdatenGeburtsortSterbeortBerufliche Karriere und WeiteresLink zu weiteren Informationen
1Hirsch, Minna18891860-1938   Minna Hirsch
2Brüll, FriedaVor 18931866-1942   Frieda Brüll
3Gordon, KlaraVor 18931866-1937   Klara Gordon
4Hess,
Lisette
Vor 18931867-1913   Lisette Hess
5Mandel, TheklaVor 18931867-1941   Thekla Mandel
6Pinkoffs, EmmaVor 18931863-1940Gollnow, PommernBerlinAb 1907 Oberin Jüdisches Krankenhaus mit Altenheim in Hannover. 1937 Pensionierung und Umzug nach BerlinEmma Pinkoffs
7Schlesinger, Betty18931866-1940?Pforzheim Privatpflege, ab 1907 in Basel, Oberin Basel, ab 1908 wieder in Frankfurt, auch Säuglingsfürsorge, 1914-18 Lazarettpflege. Letzter bekannter Aufenthalt: GursBetty Schlesinger
8Levy,
Clemence
1893?  1894, 95 ausgeschieden aus dem Verein?
9Levy,
Sophie
1893?  1901 ausgeschieden aus dem Verein?
10Kahn, Franziska1893?  1894, 95 ausgeschieden aus dem Verein?
11Strauss, Julie1893?  Ausbildung in Köln, 1899 Übertritt in den Kölner Verein?
12Ettlinger, Anna1894?  Ab 1907 Leiterin Säuglingsmilchküche im Schwesternheim, 1910-1914 Krankenschwester im Genesungsheim der Kann-Stiftung in Oberstedten, 1914 pensioniertAnna Ettlinger
13Goldstein, Rosa18941874-1942GöppingenTheresienstadtArmenpflegerin. Um 1904 Leiterin der Kostkinderkommission bei der „Weiblichen Fürsorge“. 1904 verlässt sie den Verein. Späterer Name: Rosa FleischerRosa Goldstein
14Kerb, Hedwig1894?-1896  Ist vermutlich sehr jung gestorben.Hedwig Kerb
15Hartog,
Margarethe
1894?  Privatpflege, Israelitisches Krankenhaus Hamburg und in Heilbronn, während des ersten Weltkriegs besonders Rehabilitation der Verwundeten durch „Handfertigungskurse“,1917 pensioniertMargarethe Hartog
16Salinger, Rosa Erna1895?-1897  Kurz nach der Ausbildung an einer Infektionskrankheit gestorben.Rosa Erna Salinger
17Beermann,
Johanna
1895, Köln1863-1942Wittlich, SüdeifelFrankfurt a.M.Jüdisches Krankenhaus Köln, um 1913 Hamburg und Basel in der Privat- und Armenpflege. Dann in Frankfurt in der Säuglingsmilchküche. 1920 Pensionierung. 1940 zwangsweise vom Schwesternheim ins Gagernkrankenhaus umgezogen. 1942 Suizid in Frankfurt am Main.Johanna Beermann
18Abraham, Jenny1895, Köln   Pflege in Köln, 1897 verlässt sie den Schwesternverein.jenny Abraham
19Salinger, FannyVor 1897   Ausgeschieden 1903, 1904, im ersten Weltkrieg Pflege im Lazarett 27 
20Maier,
Sophie
Vor 1897, Köln1865-1940Bergkirchen, Kreis MindenFrankfurt am MainPrivatpflege, Stationen in den Frankfurter Vereinsaussenstellen: „Königswarter Hospital“, Hamburg, Heilbronn, Neuenahr. Oberin in Neuenahr. Oberin und Leiterin des Israelitischen Altenheims zu Aachen. Seit 1937 im Schwesternhaus verstorben, dort 1940 gestorben.Sophie Maier
21Bernstein, Rosy18971865-1944Bollinken, PommernTheresienstadtKurz nach der Ausbildung in Hamburg am Krankenhaus. Oberschwester. 1904 Zugehörigkeit zum Hamburger Verein. 1942 Deportation nach Theresienstadt.Rosy Bernstein
22Nordheim, Charlotte1897   Tätig in der Privatpflege und im Krankenhaus, Auswanderung in die USA 1902. 
23Neumark, Käthe18971871-1939EmdenZandvoort, NiederlandeAb 1902 nach Schulabschluss, Medizinstudium, 1910 Promotion in München. Ab 1912 Kinderärztin. 1914-15 Lazarettdienst im Vereinslazarett 27. Dann Sanitätsoffizierin in Halle. Ab 1919 Frankfurts erste Schulärztin. Ab 1933 Kinderheim in Zandvoort. Anne und Margot Frank waren hier 1934 Gäste.Käthe Neumark
24Holz, Ida18971875-1942KarlsruheTheresienstadtPrivatpflege, Armenpflegerin, „Königswarter Hospital“, 1909-1914 war sie Hausschwester im Genesungsheim der Kann-Stiftung in Oberstedten. 1914-18 Vereinslazarettzug P.I. 1942 Deportation nach Theresienstadt. Gestorben in Theresienstadt 1942.Ida Holz
25Salinger, Martha1898?-1939?  Ca. 1904 Austritt aus dem Verein. Mehrfach ausgezeichnet als Feldschwester im ersten Weltkrieg. 1933-39 Oberin des Berliner jüdischen Krankenhauses und der Schwesternschaft. Vermutlich Ende 1939 Suizid.Martha Salinger
26Weil, Cécile1898   Privatpflege und Israelitisches Gemeindekrankenhaus. 1908 Studium Zahnmedizin. Verheiratete Moses. 1914-18 Verwundetenpflege Lazarett 27.Cécile Weil
27Hirschberg,
Rosalie (Alice)
1899   Ausgeschieden 1903 oder 04. 
28Heymann, Blanka1899   Privatpflege und Armenpflege und Krankenhaus. 
29Frankenfelder, Selma18991880-1944HeidingsfeldAuschwitz1905 Hochzeit mit Adolf Frank. 1914-18 Verwundetenpflege. 1942 Deportation nach Theresienstadt. 1944 Deportation nach Auschwitz und Tod in Auschwitz.Selma Frankenfelder
30Spiro, Rahel19001876-1949Prostken, OstpreußenManchesterPrivatpflege und Krankenhaus in Frankfurt und Hamburg. Ab 1907 im Gumpertz’schen Siechenhaus. Oberin und Verwalterin des Hauses. 1914-18 Oberin des Lazaretts 27. Austritt aus dem Verein und Hochzeit mit Hermann Seckbach dem Verwalter des Alten- und Pflegeheims, eine Tochter. 1942-45 Häftling in Theresienstadt. Rettungstransport in die Schweiz, Wiedersehen mit Mann und Tochter in Manchester. Sie starb 1949 in Manchester.Rahel Spiro (Beitrag)
31Glaser, Julie19001878-?Würzburg Privatpflege und Krankenhaus in Frankfurt a.M. 1911-14 Oberin in Straßburg. 1914-18 Oberin Festungslazarett XXI B in Straßburg. 1918 wieder in Frankfurt. Ab 1925 Nachfolge von Minna Hirsch als Oberin im Frankfurter Krankenhaus. 1941 Deportation nach Litzmannstadt.Julie Glaser
32Simon,
Clara (Claire)
1901   Sie kam aus Trier zur Ausbildung. Dann Privatpflege, Hamburg und in Heilbronn in den Krankenhäusern. 1917 wurde sie Oberin im Krankenhaus der Israelitischen Krankenkasse (Frauenkrankenkasse).
33Adelsheimer,
Sarah
19011877-1965JebenhausenTel Aviv1902-1914 Pflege im Königswarter Hospital. Auch Armen- und Privatpflege. 1914-18 Kriegskrankenpflege in Bulgarien. 1925 Oberin des Schwesternvereins. 1933 Emigration nach Palästina.Sarah Adelsheimer
34Cohn, Emma (Eva)1901   Ca. 1903, 1904 verließ sie den Verein.Emma (Eva) Cohn
35Lehmann, Elise1902   Pensioniert 1907. 
36Philipp, Olga1902, Hamburg   1903, 1904 ausgeschieden. 
37Ruth?1903   Privatpflege, pensioniert 1910. 
38Ella?1903   Privatpflege, ausgeschieden 1909 wg. Heirat. 

Biografien der Schwesternschülerinnen

In der Bilanz der ersten zehn Jahre verzeichnete man 43 Schülerinnen, die der Verein zur Ausbildung aufgenommen hatte (vgl. Eröffnungsfeier 1902). Da nicht alle Schülerinnen die Ausbildung beendeten und nicht alle der Ausgebildeten im Verein geblieben waren, gab es zu diesem Zeitpunkt, Ende der ersten 10 Jahre, 24 aktive Schwestern. 13 dieser Aktiven waren in der Privatpflege tätig, eine als Armenschwester. Im Frankfurter Hospital arbeiteten fünf und in Hamburg drei der aktiven Schwestern. Thekla Mandel war Oberin des Gumpertz’schen Siechenhauses, eine weitere Schwester war zu dieser Zeit beurlaubt (vgl. Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1902. Zur Anerkennung für ununterbrochene Tätigkeit im Verein hatten sechs der Schwestern die „goldene Brosche“ erhalten. Die professionelle jüdische Krankenpflege in Frankfurt hatte sich fest etabliert. Der Bedarf nach weiterem ausgebildetem Personal blieb weiter hoch (vgl. Steppe 1997:207).[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column][vc_column_text]Zunächst verweise ich hier kurz auf vier Biografien zu denen es bereits ausführliche Artikel auf der Internetseite www.juedische-pflegegeschichte.de gibt.

Julie Glaser

Ausbildung 1900, Oberin in Straßburg ab 1911, Oberin im Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde ab 1925 (1878 – 1941 deportiert).

Käthe Neumark

Ausbildung 1897, Studium und Promotion Medizin 1910, Kinderärztin, Lazarettdienst, Sanitätsoffizierin, Schulärztin in Frankfurt a.M. ab 1919, Kinderheim in Zandvoort ab 1933.

Rahel Spiro

Ausbildung 1900, Oberin und Verwalterin des Gumpertz`schen Siechenhauses ab 1907, Oberin des Lazaretts im Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde 1914-18, Heirat mit Hermann Seckbach, Verwalter des Gumpertz`schen Siechenhauses, Interniert in Theresienstadt, Exil in Manchester mit Mann und Tochter.

Sarah Adelsheimer

Ausbildung 1901, 1902-1914 Pflege im Königswarter Hospital einschließlich Armen- und auch Privatpflege, 1914-18 Kriegskrankenpflege in Bulgarien, teils im Lazarettzugab „P 1“, 1925 Oberin des Schwesternvereins, 1933 im Exil in Palästina.

Im zweiten Teil der Biografien führe ich vier weitere Lebenswege auf, die typische Werdegänge von Schwestern zeigen, die in den Jahren 1893 bis 1902 ausgebildet wurden.

Betty Schlesinger

Betty Schlesingers Kurzbiografie zeigt einen erfolgreichen Berufsweg, der beispielhaft für ausgebildete Krankenpflegerinnen ihrer Generation ist.

Sie wurde am 8. Oktober 1866 in Pforzheim geboren. 1893 wurde sie zur Ausbildung im Frankfurter Verein aufgenommen. Zum Dienstjubiläum 1903 erhielt sie die „Goldene Brosche“ des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins (vgl. Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1920: 21). Viele Jahre arbeitete sie in der Privatpflege bis sie 1907 vom Verein in die Schweiz geschickt wurde, um Oberin des im Dezember 1906 eröffneten Israelitischen Spitals zu Basel zu werden. Hieraus sieht man die fachliche Kompetenz Betty Schlesingers, wie auch die internationale Bedeutung der Frankfurter jüdischen Krankenpflegevereins.

1908 kehrte Betty Schlesinger nach Frankfurt zurück und wirkte bis 1911 u.a. im Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge. 1912 schied sie aus dem Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main aus, kehrte jedoch 1914 zurück, um sich an der Pflege von Verwundeten zu beteiligen.

Zuletzt lebte Betty Schlesinger in ihrer Geburtsstadt Pforzheim. Von dort aus wurde die 74-jährige Pensionärin am 22.10.1940 in das südfranzösische Lager Gurs deportiert, wo sich ihre Spuren verlieren.

Sophie Meyer (Maier)

Sophie Meyers Werdegang zeigt die Möglichkeit die Ausbildung in Köln zu starten.

Geboren wurde Sophie Meyer (manchmal auch Maier, später auch „Schwester Bertha“) am 27. Februar 1865 in Bergkirchen (gehört heute zu Bad Oeynhausen). Zur Ausbildung als Krankenpflegerin kam sie 1897 ins Kölner Jüdische Krankenhaus (Israelisches Asyl für Kranke und Altersschwache) (vgl. Steppe 1997: 226 und ISG: Blatt 51). Nach ihrer Ausbildung arbeitete sie in der Privatpflege, im Frankfurter Hospital der Israelitischen Gemeinde („Königswarter Hospital“), im Israelitischen Krankenhaus Hamburg sowie in Heilbronn und (Bad) Neuenahr. Alle Orte, in denen sie sich aufhielt und arbeitete, hatten Vereinbarungen mit dem Frankfurter jüdischen Schwesternvereins geschlossen.

Auch Sophie Meyer erhielt 1907 zu ihrem zehnjährigen Dienstjubiläum die „Goldenen Brosche“ des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins. Seit 1910 leitete sie das Israelitische Krankenheim in Bad Neuenahr (vgl. alemannia judaica). Ab 1913 leitete sie im Auftrag des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins das Israelitische Altenheim in Aachen.

Sophie Meyer zog 1937 von der Frankfurter Jügelstraße 46 in die Bornheimer Landwehr 85 (dem Schwesternhaus des Vereins), wo sie 1940 starb (vgl. Steppe 1997: 226).

Ida Holz

Ida Holz‘ Arbeitsleben war während des ersten Weltkriegs geprägt von ihrer Tätigkeit im Lazarettzug P 1. Viele Jahre wirkte sie im Jüdischen Genesungsheim der Eduard und Adelheid Kann-Stiftung in Oberstedten (Oberursel/Taunus).

Geboren wurde Ida Holz am 11. Juli 1875 in Karlsruhe. Ihre Ausbildung erhielt sie 1897 in Frankfurt, wonach sie als Krankenpflegerin in der Privatpflege, als Armenpflegerin sowie als Krankenpflegerin im Hospital der Israelitischen Gemeinde Frankfurt tätig war. 1909 bis 1914 war sie Hausschwester des Jüdischen Genesungsheims in Oberstedten. Während des Ersten Weltkrieges pflegte Ida Holz Verwundete im Vereinslazarettzug P 1.

1919 war sie zunächst im Auftrag des Frankfurter Vereins für den Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge tätig. Dann als Oberin des Kann’schen Genesungsheims in Oberstedten (vgl. Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1920: 63.

Nach ihrer Pensionierung nutzte sie ihr Wohnrecht im jüdischen Schwesternhaus in der Bornheimer Landwehr 85. Als die Nazis das Gebäude räumten, musste Ida Holz zusammen mit ihren Kolleginnen in das Krankenhaus in der Gagernstraße 36 umziehen – die letzte Wohnadresse vor der Deportation. Ida Holz wurde am 19. August 1942 mit dem Transport XII/1 von Frankfurt in das Konzentrations- und Durchgangslager Theresienstadt deportiert. Von den 1013 Deportierten dieses Transports überlebten nach bisherigem Kenntnisstand nur 17 Menschen. Ida Holz starb am 5. Dezember 1942 im KZ Theresienstadt, offiziell an einer Lungenentzündung (vgl.  Todesfallanzeige) Schwester Ida wurde 67 Jahre alt.

Rosa Goldstein (verheiratete Fleischer)

Rosa Goldstein wurde am 21. Januar 1874 in Göppingen (Baden-Württemberg) geboren. Ihre Ausbildung in Frankfurt am Main erhielt sie 1894, gefolgt von Arbeit in der Privat- und Armenpflege (vgl. Steppe 1997: 226).

Um 1902 setzte der Frankfurter jüdische Schwesternverein Rosa Goldstein als Leiterin der Kostkinderkommission des von Bertha Pappenheim und Henriette Fürth gegründeten Israelitischen Frauenvereins Weiblichen Fürsorge e.V. ein: „Hier werden Kinder ab einem Alter von etwa zwei Jahren, die entweder Waisen sind oder in ihren Familien zu verwahrlosen drohen, in Pflegefamilien in und um Frankfurt vermittelt und regelmäßig besucht.“ (Steppe 1997: 258)

Um 1903 verließ Rosa Goldstein den Schwersternverein und kehrt nach Göppingen zurück, um Leopold „Moritz“ Fleischer (1869-1938) zu heiraten. Um 1905 zieht das Ehepaar nach Cannstadt (heute Bad Cannstadt). In Cannstadt war Leopold Fleischer als Prokurist bei der Mechanischen Gurten- und Bandweberei Gutmann und Marx angestellt. Rosa Fleischer gebar die Kinder Edgar Siegfried (1906-1937), Sofie Gabriele (1909-?) und Elisbeth Beate (1918-1941).

Edgar Bönisch, Stand November 2021

Quellen

Archivmaterial

  • ISG – Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main: Hausstandsbuch HB 655, Bornheimer Landwehr 85.
  • Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1897: Jahresbericht. Stiftung Neue Synagoge Berlin-Centrum Judaicum. Sign. 1, 75 C Ge1 Nr. 972.
  • Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1898: 5. Jahresbericht. Stiftung Neue Synagoge Berlin-Centrum Judaicum. Sign. 1, 75 C Ge1 Nr. 973.
  • Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1899: 6. Jahresbericht. Stiftung Neue Synagoge Berlin-Centrum Judaicum. Sign. 1, 75 C Ge1 Nr. 973.
  • Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1900: 7. Jahresbericht mit Anhang. Die Eröffnungsfeier, Stiftung Neue Synagoge Berlin-Centrum Judaicum. Sign. 1, 75 C Ge1 Nr. 973.
  • Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1902: 9. Jahresbericht mit Anhang. Die Eröffnungsfeier, Stiftung Neue Synagoge Berlin-Centrum Judaicum. Sign. 1, 75 C Ge1 Nr. 973.

Literatur

  • Beschreibung der am 27. Juni 1875 stattgefundenen Feierlichkeiten zur Einweihung des Hospitals… : erbaut von der Familie Königswarter ; gedruckt am ersten Jahrestage der Einweihung 27. Juni 1876, Frankfurt a.M. 1876.
  • Bude, Heinz 2000: Qualitative Generationsforschung, in: Uwe Flick, Ernst von Kardoff, Ines Steinke (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Hamburg 2000, 187-194.
  • Eröffnungsfeier 1902: Anhang zum IX. Jahresbericht des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main, Frankfurt am Main.
  • Hanauer, Wilhelm 1914: Festschrift zur Einweihung des neuen Krankenhauses der Israelitischen Gemeinde zu Frankfurt am Main.
  • Helmerichs, Jutta 1992: Krankenpflege im Wandel (1890 bis 1933). Dissertation Universität Göttingen.
  • Levinsohn Wolf 1996: Stationen einer jüdischen Krankenschwester. Deutschland – Ägypten – Israel, Frankfurt am Main.
  • Seemann, Birgit / Bönisch, Edgar 2011: „…sei er arm oder reich, Jude, Christ oder Araber.“ In: Kozon, Vlastimil; Seidl Elisabeth; Walter, Ilsemarie (Hrsg.): Geschichte der Pflege – Der Blick über die Grenze. Wien, 51-74.
  • Seemann, Birgit / Bönisch, Edgar 2019: Das Gumpertz’sche Siechenhaus – ein „Jewish Place“ in Frankfurt am Main. Geschichte und Geschichten einer jüdischen Wohlfahrtseinrichtung. Frankfurt am Main.
  • Steppe, Hilde 1997: „… den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre…“.
  • Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1920: Rechenschaftsbericht für die Jahre 1913 bis 1919, Frankfurt am Main.

 

Internetquellen

Die genutzten Internetquellen sind an den betreffenden Stellen des Textes in den Fußnoten angegeben oder als Link hinterlegt, sie wurden im Lauf des Julis und Augusts 2020 abgerufen und überprüft. Viele der Fußnoten und Internetquellen beziehen sich auf Einträge und Artikel der Datenbank: www.juedische-pflegegeschichte.de, dort sind weiterführende Angaben zu Literatur und Archivmaterial verzeichnet.

Lage Schwesternhaus, Plan 1902

Die Schwesternschülerinnen des Frankfurter Vereins, 1903-1913

Zeit und Ort, eine Einordnung

Wie im Artikel „Die Schwesternschülerinnen im „Verein für jüdische Krankenschwestern zu Frankfurt am Main 1893 bis 1902“ beschrieben, möchte ich auch hier eine Schülerinnengeneration, diesmal die in den Jahren 1903 bis 1913 ausgebildeten, vorstellen. Sie eint ein „gemeinsames Präge- und Wirkungserlebnis“ (Bude 2000: 188), sie ergriffen in derselben Zeit den gleichen Beruf und lebten und arbeiteten in einer gemeinsamen Umgebung als Angehörige des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen.

Die zeitliche Festlegung für diese Gruppe auf die Ausbildungsjahre 1903 bis 1913 begründet sich einerseits durch den Umzug der Schwesternschaft in das neue Schwesternhaus in der Königswarter Str. 20 neben dem Hospital der Israelitischen Gemeinde. Und andererseits durch den Umzug in das nächstgrößere Schwesternhaus in der Bornheimer Landwehr 85, neben dem ebenfalls neu erbauten Gemeindehospital in der Gagernstr. 36. im Jahr 1914.

Mit den Ausführungen zum Zeitabschnitt von 1893 bis 1902 und von 1903 bis 1913 folge ich einer Einteilung, die bereits die Pflegewissenschaftlerin Hilde Steppe für ihre Arbeit traf (Steppe 1997: 204). Um das Leben der auszubildenden Schwesternschülerinnen zu beschreiben, beginne ich mit der Darstellung der zu dieser Zeit herrschenden politischen Verhältnisse.

Das Deutsche Reich, Politik

Die Verfassung des 1871 gegründeten Deutschen Reichs basierte auf vier Organen, dem Kaiser, dem Reichkanzler, dem Bundesrat und dem Reichstag. Nach dem monarchischen Prinzip hatten Fürsten und Stände die Staatsmacht inne, sie saßen als Vertreter der Mitgliedsstaaten im Bundesrat (22 Einzelstaaten und drei freie Städte). Bei Ihnen lag die Souveränität, nicht beim Volk. Geführt wurde der Bundesrat vom Reichkanzler, der wiederum vom Kaiser direkt ernannt wurde.

Der Reichskanzler koordinierte mit dem Einverständnis und gestützt auf das Vertrauen des Kaisers die Richtlinien der Politik und vertrat sie gegenüber dem Reichstag (vgl. Ziemann, Benjamin 2016a: 4-15). Ohne den Reichstag (397 Abgeordnete), gemeinsam mit dem Bundesrat, konnte kein Gesetz und kein Haushalt (inkl. des Militärhaushalts) beschlossen werden (vgl. Deutscher Bundestag). Der Reichstag wurde demokratisch gewählt, wobei das Wahlrecht lediglich Männer über 25 Jahren ausüben durften (vgl. ebd.).

Reichskanzler waren von (vgl. Liste Deutscher Reichskanzler):

  • 1871 bis 1890 Fürst Otto von Bismarck (1815-1898)
  • 1890 bis 1894 Graf Leo von Caprivi (1831-1899)
  • 1894 bis 1900 Fürst Chlodwig zu Hohnlohe-Schillingsfürst (1819-1900)
  • 1900 bis 1909 Fürst Bernhard von Bülow (1849-1929)
  • 1909 bis 1917 Theobald von Bethmann Hollweg (1856–1921)
  • 1917 Georg Michaelis (1857–1936).

Die Außenpolitik des Reichskanzlers Otto von Bismarck (1815-1898) strebte auf den Ausgleich der Kräfte und suchte Bündnisse in Europa (vgl. Ziemann 2016b: 46). Ab 1890 verfolgte Leo von Caprivi eine Blockbildung unterschiedlicher Länder. Mitte der 1890er Jahre verfolgten Kaiser Wilhelm II und der jeweilige Reichskanzler eine „Weltmachtpolitik“ mit Hilfe der Marine. Noch als Staatssekretär prägte Bernhard von Bülow, der Reichskanzler ab 1900, den Begriff, dass auch Deutschland seinen „Platz an der Sonne“ beanspruchen könne und müsse. So wurde die Zeit um 1900 eine Zeit der „weltweite[n] kommunikativen Vernetzung in allen Bereich der Gesellschaft“ (ebd.: 45), was zu einem „wichtigen Element des kollektiven Erfahrungsraumes der Deutschen“ (ebd.) wurde. Wirtschaftlich schlug sich diese Globalisierung in der weltweiten Vernetzung im Ex- und Import und dessen ständigem Wachstum nieder. Auch der weltweite Arbeitsmarkt wuchs, in den deutschen Kolonien ließ man „Kulis“ in den Phosphatminen schuften und leiden; Arbeitsmigranten aus Norditalien, Österreich-Ungarn und russisch-Polen kamen ins Deutsche Reich, offiziell nur für die Sommermonate, inoffiziell wurde die Regel oft umgangen (ebd.: 46). Kolonialpolitisch führte die Weltmachtpolitik zum Völkermord der Deutschen an den Herero und Nama in den Jahren von 1904 bis 1908.

Innenpolitische wurde „Sammlungspolitik“ betrieben, die Parteien und Machtträger sollten sich zu Gunsten der „Weltpolitik“ (Stärkung von Marine und Kolonialismus) sammeln und sich gegen die erstarkende Sozialdemokratie wenden. Es hatten sich seit Ende des 19. Jahrhunderts Gewerkschaften gebildet, Vereine und Verbände meldeten sich zu Wort, die Bedeutung der öffentlichen Meinung nahm mit Hilfe der auflagenhohen Pressemedien zu. Vor allem die Sozialdemokratie wuchs, jedoch auch das völkisch-nationale Lager, welches verschiedene Gruppierungen verband, allerdings nicht Juden und Migranten (vgl. Ziemann 2016a: 51). Generell zeigt sich die Politisierung in den Wahlergebnissen zum Reichstag. Für die SPD wirkte sich die Entwicklung in den Wahlen zum Reichstag folgendermaßen aus. 1890 lag sie bei ca. 20% der Stimmen, 1903 bei ca. 30% und 1912 ca. bei 35% (vgl. Osterhammel 2012: 57). Das Wahlrecht war jedoch eingeschränkt auf Männer ab 25 Jahren und war in den Einzelstaaten unterschiedlich, z.B. das Dreiklassenwahlrecht im preußischen Landtag (vgl. Ziemann 2016a: 53-54). Das Frauenwahlrecht in Deutschland galt erst ab November 1918 (vgl. Altenmüller 2021).

Das Deutschen Reich, Wirtschaft

Das Deutschen Reich, Antisemitismus

Zu den Themen Wirtschaftslage sowie Antisemitismus im Deutschen Reich verweise ich auf den Artikel über die jüdischen Schülerinnen der Krankenpflege der Jahre 1893 bis 1902. Dort wird das deutsche Wirtschaftswunder vor dem ersten Weltkrieg beschrieben und auch die langsam stärker werdenden antisemitischen Äußerungen. In dieser Atmosphäre lebten die Schwesternschülerinnen der hier besprochenen Ausbildungsjahrgänge 1903 bis 1913. Ich führe einige Stichworte auf: erste Automobile und deren fabrikmäßige Produktion, Nutzung von Erdöl, erste Flugzeuge und ölbetriebene Schiffe. Andererseits herrschte Wohnungsnot, im Gegensatz zur Belle Époque, die für das gehobene Bürgertum galt und sich besonders in den überall entstehenden Luxusvillen zeigte. Um 1900 gab es in der Oberschicht die neue Gruppe der Manager oder leitenden Angestellten. Ohne Besitzer zu sein hatten sie ein hohes Einkommen. Die Situation im Deutschen Reich zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschreibt zusammenfassend Joachim Käppner: „Ja, es gab Gutes darin [in der Kaiserzeit]: den Parlamentarismus, die Frauenbewegung, die Selbstbehauptung der Arbeiterschaft, den Aufschwung von Kultur, Literatur, Wissenschaft, die neue Urbanität… Aber das meiste davon entstand trotz des erdrückenden Gesellschaftssystems und nicht seinetwegen, gewiss ist es nicht dessen Verdienst.“ (Käppner 2021)

Jüdisches Leben in Frankfurt

Nach der bürgerlichen Gleichstellung der Juden im Jahr 1864 wohnten diese nach und nach auch außerhalb des Ghettos in anderen Frankfurter Stadtteilen. 1895 waren ca. 8,5 % der Frankfurter Bevölkerung jüdischen Glaubens, d.h. ca. 19.500 von 230.000. Im Jahr 1920 machten die Juden ca. 6,3% der EinwohnerInnen aus, das waren 26.220 von 414.500 (vgl. Krohn 2000: 22).

Auf den Internetseiten der Frankfurt Jüdischen Gemeinde in Frankfurt heißt es über die Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts: „Neben zahlreichen kleinen Gebetshäusern gab es die Hauptsynagoge in der Judengasse, die Synagoge am Börneplatz sowie die Synagoge an der Friedberger Anlage, die 1907 für die Austrittsorthodoxie gebaut wurde und die 1910 erbaute liberale Westend-Synagoge. Der freigeistige Charakter der Stadt spiegelte sich auch in der Frankfurter Jüdischen Gemeinde wider. Zahlreiche Gemeindemitglieder nahmen wichtige Funktionen in der städtischen Kultur und Politik ein. Viele Institutionen, wie die Johann Wolfgang Goethe-Universität oder die Frankfurter Allgemeine Zeitung, gehen auf jüdische Stiftungen beziehungsweise Gründungen zurück. Bekannte Rabbiner aller religiöser Richtungen haben in Frankfurt gewirkt. Darunter Samson Raphael Hirsch, Markus Horovitz, Nehemia Anton Nobel, Ceasar Seligmann und Georg Salzberger.“ (Jüdische Gemeinde Frankfurt/M)

Der Beruf der Krankenpflegerin zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Die bisherigen Beschreibungen der Außen- und Innenpolitik des Deutschen Reichs geben das Umfeld wieder, in welchem die Pflegeschülerinnen ihren Beruf erlernten. Da sie im Umfeld der medizinischen Entwicklung arbeiteten, im Folgenden ein Blick darauf.

Medizinische Entwicklung

Emil von Behring, Paul Ehrlich und Erich Wernicke gelang eine Immunisierung gegen Diphterie (Cornynebacerim diphtheriae). Der erste Diphterieimpfstoff wurde in den 1920er Jahren entwickelt.

Paul-Ehrlich-Arbeitszimmer
Paul Ehrlich in seinem Arbeitszimmer im Frankfurter Georg-Speyer-Haus, 1910
(Titzenthaler 1910)

Hinweis: Die Tabelle wird aktuell aus technischen Gründen überarbeitet

Entwicklungsstand des Berufs der Krankenpflegerinnen

Im Jahr 1898 wurden 26.427 Krankenpflegerinnen gezählt (vgl. Helmerichs 1992). Davon in katholischen Mütterhäusern: 12.427, in evangelischen Mütterhäusern: 7.576 und weitere 3.613. Freie Schwestern gab es 2.398. Die Tätigkeit der Krankenpflegerinnen entwickelte sich immer weiter zum Beruf, einem Beruf für Frauen aller Klassen (vgl. Mühlberger 1966/67). Im Rahmen der sozialen Absicherung bildeten sich unterschiedliche Schwesternverbände und es gab Ansätze zur Gründung einer Gewerkschaft. Alle arbeiteten daran eine gute und geregelte Ausbildung zu formulieren umzusetzen und ihre Mitglieder wirtschaftlich abzusichern.

Beispielhaft für die Arbeitsbedingungen seien die freien Schwestern genannt. Sie arbeiteten zwischen 14 und 18 Stunden am Tag, mussten ohne Urlaub oder freie Tage auskommen, mit der Folge einer hohen Sterblichkeit, häufigen Krankheiten und hohen Selbstmordzahlen (vgl. Betzien 2018: 54). Die Bedingungen der Ordensschwestern werden am Beispiel der jüdischen Krankenschwestern weiter unten beschrieben. 1903 gründete Agnes Karll (1868-1927) die Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschland (B.O.K.D.). Zu dieser Zeit, 1903, gehörten noch rund die Hälfte aller Krankenpflegerinnen zu katholischen Orden, Kongregationen oder zu evangelischen Diakonissenmutterhäusern (vgl. Nolte 2020: 120-132). Ziele des B.O.K.D. waren die Ausbildung inklusive einer staatlichen Prüfung und Anerkennung sowie „die Hebung des Ansehens und die wirtschaftliche und moralische Sicherung der freiberuflichen Krankenschwestern“ (Mühlberger 1966/67: 25). 1912 richtete Agnes Karll Fortbildungslehrgänge an der privaten Hochschule für Frauen in Leipzig ein. Obwohl sie über keinen akademischen Titel verfügte hielt sie unter anderem freitags und sonnabends jeweils von 19:30 Uhr bis 21 Uhr Vorlesungen zur Geschichte der Krankenpflege. Grundlagen für sie waren Lehrmaterialien wie „A History of Nursing“ der US-amerikanischen Pflegehistorikerinnen Mary Adelaide Nutting und Lavinia Dock, dessen erste drei Bände sie ins Deutsche übersetzte (vgl. Hochschule für Frauen zu Leipzig).

1907 erließ Preußen landesrechtliche Vorschriften über die staatliche Prüfung von Krankenpflegepersonen nach einjähriger Ausbildung. Auch Männer konnten nun ausgebildet werden (vgl. Vom gottgefälligen Dienen zur Profession). Das war ein wichtiger Schritt hin zu einem Beruf mit Bezahlung einer Ausbildung mit Vermittlung spezieller Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen (vgl. Ulmer 2009). In Anlehnung an die Vorschriften von Preußen folgten die einzelnen Länder zu verschiedenen Zeitpunkten: Württemberg, Hessen und Lippe 1908, Sachsen und Bremen 1909, Mecklenburg-Schwerin 1915, Baden 1919, Hamburg 1921, Thüringen 1922, Bayern 1924 (vgl. Krankenpfleger).

Die Frankfurter Vereinsschwestern, ihr Lebensraum, ihr Arbeitsraum

Mit den Vereinsgründungen für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt und in Berlin im Jahr 1893 und später in anderen Orten, sowie Gründungen durch weitere Initiativen wie dem Deutsch-Israelitischen Gemeindebund und der Logenvereinigung Unabhängiger Orden Bne Briss, hatte die jüdische Krankenpflege mehr und mehr Bedeutung und Anerkennung gewonnen (vgl. Bönisch 2015). Der innerjüdische Konflikt darüber, ob es überhaupt eine jüdische Krankenpflege geben sollte oder könnte hatte sich gelegt (vgl. Seemann/Bönisch unveröffentlicht). Auf den Delegierten-Versammlungen der Vereinigung zur Ausbildung jüdischer Krankenpflegerinnen in Deutschland, 1904 in Frankfurt am Main und 1905 in Berlin, kam zum Ausdruck mit wie vielen Vorurteilen gegenüber Jüdinnen im Beruf der Krankenpflegerin geherrscht hatte und wie sich dies geändert hat. Dr. Simon Kirchheim, Chefarzt der Inneren Station des Frankfurter Gemeindehospital, Vereinsvorsitztender des Frankfurter Krankenpflegerinnenvereins und 2. Vorsitzender der Versammlung, die im neuen Schwesternheim in der Königswarterstr. 20 stattfand, betonte, dass er selbst, angesichts des nicht ausgebildeten Personals im Israelitischen Gemeindehospital im Jahr 1889 seinen Glaubensgenossinnen nicht zugetraut hatte sich für den Beruf als Krankenpflegerinnen zu qualifizieren (vgl. Delegierten-Versammlung 1904). Doch heute, 1904, betont er, dass das Experiment mit den seit 1893 ausgebildeten Schwestern sehr glücklich und erfolgreich war und sehr positiv weiter verlaufen würde. Auch Louis Sachs ein Förderer des Berliner Vereins der Krankenpflegerinnen und Leiter des Berliner Jüdischen Hospitals gab zu, dass er noch 1894 große Bedenken geäußert hatte, ob die Frauen physisch stark genug wären, den Beruf auszuüben, ob Jüdinnen den nötigen Gehorsam zeigen könnten und ob jüdische Patienten jüdische Krankenpflegerinnen akzeptieren würden (vgl. Delegierten-Versammlung 1905). Doch auch er gab 1905 eine sehr positive Bewertung des Ausbildungsstandes ab.

Der Verein

Vorsitzender des Vereins jüdischer Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main war bis in die 1930er Jahre Dr. Simon Kirchheim. Die Entwicklung des Vereins zu Beginn des 20. Jahrhunderts fasst Hilde Steppe zusammen (vgl. Steppe 1997: 208): Das Mitspracherecht der Frauen im Verein besserte sich durch die Gründung eines Schwesternrates. Der Abschluss der Schwesternausbildung erfuhr durch eine staatliche Krankenpflegerinnenprüfung, wie oben bereits erwähnt, auch in der Ausbildung der jüdischen Krankenpflegerinnen, eine weitere Aufwertung. Dazu berichtete der Vorstand des Vereins für 1908, dass der Deutsche Verband Jüdischer Krankenpflegerinnenvereine voraussetzte, dass alle Schwestern der zugehörigen Vereine die staatliche Approbation besitzen mussten. Auf Nachfrage des Vereins in Wiesbaden bei der Königlichen Regierung wurde allen gegenwärtigen Mitgliedsschwestern in Frankfurt diese Approbation erteilt, worauf man sehr stolz war und eine Anerkennung der geleisteten Arbeit des Vereins sah. Künftige, auch die drei Schülerinnen, die zum Zeitpunkt des Berichts kurz vor der Prüfung standen, müssten dann die staatliche Prüfung ablegen (vgl. Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1908: 4). Weiter, so Steppe, wurde die Ausbildungszeit auf anderthalb Jahre erweitert, auf Fortbildungsmöglichkeiten für die ausgebildeten Schwestern wurde stärker geachtet. Durch Kooperationen und Entsendung von Vereinsschwestern kamen Einsatzorte wie Hannover und Basel hinzu. Zusätzliche Arbeitsbereiche wie die Säuglingsmilchküche im Schwesternhaus entstanden. Zum Ende der hier besprochenen Periode (1913) waren im Verein 37 Schwestern und 14 Lehrschwestern aktiv (vgl. Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1920: 60) und 1914 konnte der Verein mit seinen Schwesternschülerinnen und Schwestern in das neue Schwesternhaus in der Bornheimer Landwehr 85 umziehen (vgl. Steppe 1997: 208).

Einen der wenigen Einblicke in das Leben der Vereinsschwestern, abseits ihrer Arbeit, erhält man durch die Bemerkung des Vereinsvorstandes im Jahresbericht für 1902 über Vergünstigungen durch Dritte: „Die Königliche Eisenbahn-Direktion ermäßigte die Fahrpreise bei Erholungs- und Urlaubsreisen unserer Schwestern; auch das Städtische Bahn- und Elecricitäts-Amt, sowie die Schwimmbad-Commission erfreute uns mit Freikarten. Ebenso genossen unsere Schwestern dankenswerthe Vergünstigungen von Seiten des Palmengartens, des Zoologischen Gartens und des Kaufmännischen Vereins.“ (Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1902: 7)

Das Schwesternhaus

Oberin der Vereinsschwestern war von 1893 bis 1914 Minna Hirsch. Bereits 1899 waren die Schwestern im Haus Untere Atzemer 16 eingezogen, hatte der Verein ein Grundstück neben dem Königswarter Hospital gekauft. Nach einem Ausschreibungsverfahren erhielt der Architekt Max Seckbach den Zuschlag für einen Neubau des Schwesternhauses (vgl. Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1900: 4). Die Aktiengesellschaft für Hoch- und Tiefbauten wurde mit dem Bau beauftragt. 1902 schließlich zogen die Schwestern in das neue Gebäude in der Königswarterstraße 20 ein (vgl. Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1899: 4). Der Vereinsvorstand Dr. Simon Kirchheim sagte anlässlich der Eröffnungsfeier: „seit Jahren hatten wir eingesehen, daß unser bisheriges Schwesternheim, – ein kleines ermiethetes Häuschen – nach allen Richtungen ungenügend war und den geringsten billigen Forderungen der Schwestern keineswegs entsprechen konnte […]. Bisher waren nicht einmal genügend Schlafräume für die stets wachsende Zahl unsrer Schwestern vorhanden und ein gemüthliches Zusammenleben der Schwestern war durch die Enge des Hauses unmöglich gemacht.“ (Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1902, Anhang: 9). Weiter gab Dr. Kirchheim in der Eröffnungsrede eine Beschreibung des neuen Hauses: „Im Parterrestock des Hauses finden Sie außer den Zimmern der Oberin das Speise- und das Aufenthaltszimmer der Schwestern, sowie ein geräumiges Sitzungszimmer. Während im Souterrain die Küchen- und Haushaltungsräume, sowie die Heizungsanlage enthalten sind, vertheilen sich in den übrigen Stockwerken die Schlafräume der Schwestern und Schülerinnen. Auf eine besonders wichtige Einrichtung erlaube ich mir noch Ihre Aufmerksamkeit zu lenken. Für Schwestern die aus der Pflege von ansteckenden Kranken nach Hause kommen, ist nicht nur ein getrennter Eingang, sondern auch besondere Badezimmer und Räume zum Ausruhen geschaffen worden, so daß eine Uebertragung von ansteckenden Krankheiten auf andere Schwestern innerhalb des Hauses wohl gänzlich unmöglich ist. Auch für alle übrigen sanitären Einrichtungen ist in weitem Umfange Sorge getragen […] und wenn auch unsere Schwestern nur einen Theil der vorhandenen Zimmer in Anspruch nehmen, so werden im kommenden Jahre neue Schwestern hinzukommen. Zweifellos werden wir mit der Zeit in das Kleid, das uns heute noch zu weit ist, hineinwachsen…“ (ebd.: 10-11).

Lage Schwesternhaus, Plan 1902
Das neue Schwesternhaus in der Königswarterstr. 2
© Institut für Stadtgeschichte/Stadtvermessungsamt. Stadtgrundkarte 1902

Das Hospital

Chefarzt waren 1877 bis 1908 Dr. Simon Kircheim und ab 1909 bis 1914 Dr. Alfred Otto Günzburg. Oberin der Pflege im Hospital war Minna Hirsch von 1893 bis 1914.

Zeichnung des Königswarter Hospitals
Aus: Israelitische Gemeinde Frankfurt am Main 1876: Beschreibung der am 27. Juni 1875 stattgefundenen Feierlichkeiten zur Einweihung des Hospitals der israel[itischen] Gemeinde in Frankfurt am Main Grüner Weg 26: Erbaut von der Familie Königswarter. Frankfurt a.M.

1875 errichtete die jüdische Gemeinde in Frankfurt am Main ein erstes Gemeindekrankenhaus. Es lag im Grünen Weg, der später nach dem Stifter des Hospitals in Königswarter Straße umbenannt wurde. Auch das Hospital selbst wurde oft als Königswarter Hospital bezeichnet. Es beherbergte 80 Pflegeplätze (vgl. Hanauer 1914: 45). Für weitere Informationen zum Königswarter Hospital verweise ich auf den Artikel Schwesternschülerinnen in den Jahren 1893 bis 1902.

Hier noch eine Vorausschau auf den Neubau des Hospitals in der Gagernstr. 36, welches im Jahr 1914 eröffnet wurde. Bereits etliche Jahre zuvor lebten die Schwestern des Vereins und die Schülerinnen mit der Diskussion und Vorbereitung auf das neue Krankenhaus und das neue Schwesternhaus. Im Jahr 1901 wurde das erste Mal eine Erweiterung oder ein Neubau des Hospitals erörtert. Nachdem der Polizeipräsident das Fehlen von Tageräumen im alten Hospital in der Königswarterstraße angemahnt hatte und mit Schließung drohte, war der Gemeindevorstand im Zugzwang und gründete eine Kommission zur Prüfung des Ausbaus des alten Hospitals oder der Möglichkeit eines Hospitalneubaus. Die Kommission bestand neben Mitgliedern des Vorstands des Gemeindeausschusses und des städtischen Pflegeamts aus den Hospitalärzten Dr. Kirchheim und Dr. Hirschberg. 1904 folgte die Empfehlung für einen Neubau, der zehn Jahre später, 1914, eingeweiht wurde (ebd.). So lernten die Schülerinnen der Krankenpflege ihr Handwerk im Königswarter Hospital bereits seit 1901 in einem als ungenügend empfunden Hauses und mit dem Bewusstsein des geplanten Neubaus des Krankenhauses und des Schwesternhauses, die 1914 eingeweiht wurden.

Die Schwesternschülerinnen des Vereins der Jahre 1903 bis 1913

Tabellarische Aufzeichnung
Daten aus: Hilde Steppe: „… den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre…“, Frankfurt am Main1997: 225-232. Beachten Sie bitte weitere Quellen und Ergänzungen in den angegebenen Verlinkungen zur Datenbank www.juedische-pflegegeschichte.de.

Lfd. Nr. NameAusbildungsjahrGeburtTodGeburtsortSterbeortStichworte
37Ruth?1903    tätig in der Privatpflege, pensioniert 1910
38Ella?1903    Tätig in der Privatpflege, ausgeschieden wegen Heirat 1909
39Wolf, Dina190418761942Krudenburg (Crudenburg), heute Hünxe AuschwitzPrivatpflege, Krankenhaus Frankfurt und Hamburg, um 1914-18 Oberschwester der Inneren Abteilung im Krankenhaus Gagernstr., seit 1919 Säuglingsfürsorge Frankfurt, 1924-32 Oberin des jüdischen Krankenhauses in Köln, 1942 Flucht nach Amsterdam und Deportation nach Auschwitz
40Perl, Recha1904    ausgeschieden 1906
41Bargebuhr, Henny1904    ausgeschieden 1907
42Amram, Frieda190518851942Zwesten (Bad Zwesten, Schwalm-Eder)AuschwitzPrivatpflege in Hamburg und Heilbronn, im ersten Weltkrieg im Feld, ab 1913 Oberin des Kinderhaus der Weiblichen Fürsorge. Deportiert nach Ravensbrück und Auschwitz
43Kochmann, Henriette1905    Privatpflege, in Heilbronn und „in der Etappe“ im ersten Weltkrieg
44Hortense?1905    ausgeschieden wg. Heirat 1909
45Kochmann, Dorothea1905    Privatpflege, Dürrheim, Arbeit im Frankfurter „Königswarter Hospital“
46Spiro, Rosa190618851977Prostken, Kreis lyck (Prostki)New YorkPrivatpflege Hamburg, Krankenschwester am Israelitischen Spital Straßburg, Lazarett „Krankenhaus Ost“ im ersten Weltkrieg und in der Etappe, 1919 in Davos, 1921 zurück aus Oberstedten OP- Schwester in Frankfurt. Emigration nach New York 1941, weiter als Krankenschwester tätig, 1977 starb sie in New York
47Fincke, Lina1906 in Hamburg  Hamburg ausgeschieden 1908
48Schönfeld, Bertha190618831941Kesselbach (Ldk. Giessen)Frankfurt a.M.tätig in der Privatpflege, in Straßburg, im ersten Weltkrieg im Lazarett in Frankfurt „Krankenhaus Ost“, danach als Operationsschwester im Krankenhaus, lebt 1934 bis 1938 in Frankfurt außerhalb des Schwesternhauses, kehrt 1938 dorthin zurück, begeht Selbstmord, um der Deportation zu entgehen.
49Hodenberg, Martha1906    ausgeschieden 1912 oder 1913
50De Jong, Rebekka1906    ausgeschieden 1908. Eine Verwandte von Rebecca De Jong könnte Isi De Jong sein, die seit 1946 in den Räumen des Krankenhauses in der Gagernstr. arbeitete.
51Oppenheim, Rita1906    ausgeschieden wg. Heirat 1909
52Müller, Flora1907    ausgeschieden 1910
53David, Käthe1908 1941Oberpleis, SiegkreisFort IX, Kowno, Litauenausgeschieden wg. Heirat 1911, Heirat und Sohn, Rückkehr im ersten Weltkrieg, Kriegskrankenpflege in Frankfurt, Geburt der Tochter, Umzug nach Dessau. Deportation nach Kowno
54Unger, Doris1908    Schwester von Else Unger, Privatpflege, 1910-13 Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge, 1914-1918 Oberschwester der Chirurgischen Abteilung im Krankenhaus Gagernstr., ab 1919 wieder in der Säuglingsfürsorge in Frankfurt
55Unger, Else19081880 Schildberg, Posen Schwester von Doris Unger, Privatpflege, Lazarettpflege, Lazarettzug P.I, 1914-1918 Oberschwester der Poliklinik im Krankenhaus Gagernstr., 1933 bis 39 Berlin. 1940 wieder in Berlin
56Landau, Betty (Bettina)1908    ausgeschieden 1912 oder 13
57Heilbrunn, Henriette (Henni)1908    1919 Ausbildung in Marburg zur Hebamme
58Plaat, Josephine1908    ausgeschieden 1912 oder 13
59Schragenheim, Sara (Sitta)1908    ausgeschieden 1912, 1914 Rückkehr zur Kriegskrankenpflege
60Zucker, Babette19091881Kühlsheim (Baden)  seit 1913 in der Säuglingsfürsorge. Ab 1919 Pflege im Israelitischen Altenheim zu Aachen
61Brück, Blondine (Blandina)19091878 Alsenz, Rheinland-Pfalz um 1910 Pflege im Hospital der Israelitischen Gemeinde und Privatpflege. Ca. 1911 und 1914, Pflege im Israelitischen Krankenhaus Straßburg, 1914-18 Lazarett Straßburg, 1919 Oberschwester Privatabteilung im Frankfurter jüdischen Krankenhaus
62Ehrenreich, Rebekka1909    ausgeschieden 1912 oder 13
63Wieseneck, Rachel (Recha))19091888 Frankfurt a.M. um 1910 Pflege Israel. Krankenhaus Frankfurt a.M. und Privatpflege, 1911-1914 Israelitisches Krankenhaus Straßburg, 1914-18 Lazarett Straßburg, 1919 Frankfurt Gagernstr., 1938 aus Wiesbaden, bis 1942 Frankfurt Gagernstr, vermutlich 1942 „evakuiert“.
64Hirsch, Josephine (Irma)1910    pensioniert 1917
65Seligmann, Grete, verh. Adelsheimer191018861944WandsbekAuschwitz1910-14 „Königswarter Hospital“.
Lazarettdienst. Lazarettzüge, besonders Bulgarien. Bis 1925 am Krankenhaus Gagernstr., danach Heirat, ca. 1942-1944 Leiterin einer Krankenstation in Theresienstadt. 1944 Auschwitz.
66Spier, Lina1910    im ersten Weltkrieg in der deutschen Sanitätsstation für Bulgarien
67Cahn, Jenny1911    ab 1913 Israeltisches Krankenhaus Straßburg. 1914-18 Lazarett Straßburg. 1919 in Frankfurt Gagernstr.
68Heimberg, Erna191118891944Madfeld, Stadt Brilonvermutlich Auschwitz1914-18 OP-Schwester im Frankfurter Lazarett 27, später jüdische Gemeindeschwester. 1936 Rückkehr aus Mannheim in das jüdische Schwesternheim Frankfurt. 1940-41 Rothschild‘sches Hospital. Sie war die letzte Oberin des Gagernkrankenhauses. Deportation 1942 nach Theresienstadt, 1944 nach Auschwitz
69Sachs, Martha Mirjam191118851945Tarnowitz, Oberschlesien (Tarnowskie Góry)Auschwitz1914-18 „im Felde, in der Etappe“. Bis 1942 im Zentrallabor des Gagernkrankenhauses. 1942 Deportation nach Theresienstadt, 1944 nach Auschwitz
70Berger, Beate (Berta, Beth)191218861940Niederbreisig, (Bad Breisig, Ahrweiler)Kirjat Bialik (Palästina)Lehrling und Verkäuferin in Düsseldorf, ab 1910 im „Königswarter Hospital“. Im ersten Weltkrieg in Bulgarien, eine
von vier Vereinsschwestern im Alexanderspital in Sofia. Danach in Pforzheim. 1922-34 Leiterin jüdisches Kinderheim Beit Ahawah in Berlin. 1934-1940
Aufbau eines Kinder- und Jugenddorfes in Palästina. Rettung vieler Kinder aus Deutschland. Sie starb in Palästina.
71Jacobsohn, Meta1911 1918  pensioniert 1915
72Glaser, Gertrud19121884 Hindenburg, Oberschlesien 1913-1918 Krankenhaus und Lazarettdienst in Straßburg. Privatpflege in Frankfurt. 1919 bis 1939 Bornheimer Landwehr 85, Schwesternhaus. 1939 Flucht nach Santiago de Chile
73Bender, Clara1913    1914-1918 Frontkrankenschwester
74Grünebaum, Emmy1913    1914-1918 Frontkrankenschwester
75Lehmann, Regine19131881 Würzburg seit 1923 in Bad Nauheim. 1925 bis 1930 Leiterin des Israeltischen Frauenheims in Bad Nauheim. Aus Bad Nauheim verzog sie 1937, unterschiedliche Aussagen zu ihrem Schicksal

Biografien einiger Schwesternschülerinnen

Frieda Amram (1885-1942)

Oberin Frieda Amram
Oberin Frieda Amram mit einem Schützling, Frankfurter Kinderhaus der ,Weiblichen Fürsorge‘, um 1939
Nachweis: Aus dem Poesiealbum von Inge Grünewald (Ines Ariel), Bl. 32R, in: Volker Mahnkopp, Dokumentation zu vom NS-Staat verfolgten Personen im Frankfurter Kinderhaus der Weiblichen Fürsorge e. V. Hans-Thoma-Straße 24. Frankfurt a.M., Stand: 23.03.2019, https://www.platz-der-vergessenen-kinder.de [12.08.2020]

Frieda Amram kam 1905 als Schwesternschülerin zum Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main. Anschließend arbeitete sie in der Privatpflege in Frankfurt, dann in Hamburg und Heilbronn. Im ersten Weltkrieg diente sie in der Etappe, ab 1913 war sie Oberin des Kinderhaus der Weiblichen Fürsorge. Sie wurde in Auschwitz ermordet. Ausführliche Informationen: „Deine Dir gute Obeli“ und  Chronologie zu Schwester Frieda Amram.

Bertha Schönfeld (1883-1941)

Schwester Bertja
Schwester Bertha im Operationssaal des Krankenhauses der Israelitischen Gemeinde in der Gagernstraße 36, 1931
Aus: Thea Levinsohn-Wolf, Stationen einer jüdischen Krankenschwester. Deutschland – Ägypten – Israel, Frankfurt am Main 1996: 28

Bertha Schönfeld erhielt ihre Ausbildung im Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main im Jahre 1906. Sie war in der Privatpflege tätig, kam dann in das israelitische Spital nach Straßburg und arbeitete während des ersten Weltkriegs im Frankfurter Lazarett des Vereins. Nach dem Krieg war sie Operationsschwester im Krankenhaus in der Gagernstraße. Sie konnte sich in den Jahren 1934 bis 1938 eine Wohnung außerhalb des Schwesternhauses leisten. 1938 kehrte sie ins Schwesternhaus zurück. 1941 nahm sie sich 1941 das Leben. Ausführliche Informationen: Frankfurter Grabsteine als letzte Zeugen – die Krankenschwestern Bertha Schönfeld und Thekla Dinkelspühler und in der Chronologie zu Bertha Schönfelds Leben.

Beate Berger (1886-1940)

Beate Berger
Oberin Beate Berger, ohne Jahr (um 1924)
Credit: United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Ayelet Bargur

Beate Berger war Verkäuferin in Düsseldorf und lernte im einem Manufakturwarengeschäft bevor sie 1910 ihre Arbeit im „Königswarter Hospital“ in Frankfurt am Main begann. Eine Schwesternausbildung erhielt sie 1912 im Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main. Im ersten Weltkrieg leistete sie ihren Dienst im Lazarett des Vereins und nahm von 1916-1918 an der „Deutschen Sanitätskolonne für Bulgarien“, als eine von vier Vereinsschwestern, teil. Seit 1918 war sie Oberschwester in Frankfurt und auch in Pforzheim. 1922-34 hatte sie die Leitung des jüdisches Kinderheims Beit Ahawah in Berlin inne. Ab 1934 half sie ein Kinder- und Jugenddorf in Palästina aufzubauen und konnte viele der Kinder aus Deutschland retten. Sie starb 1940 in Palästina. Ausführliche Informationen: „Ausdauer, Energie und Opferbereitschaft“ und unter Chronik.

Rosa Spiro (1885-1977)

Rosa Spiero / In New York.
Aus: Thea Levinsohn-Wolf 1996: Stationen einer Krankenschwester. Frankfurt a.M.: 139

Rosa Spiro (auch Rosalie Spiero) wurde am 12.03.1885 in Prostkren, Kreis Lyck (heute Prostki, Polen) geboren. Ihre Ausbildung zur Krankenschwester erhielt sie 1906 im Verein für Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main, anschließend arbeitete sie in der Privatpflege in Frankfurt und in Hamburg (vgl. Steppe 1997: 228). Seit 1911 pflegte sie im Israelitischen Krankenhaus in Straßburg, in der Clinique Adassa. Über die Zeit in Straßburg informiert ausführlich der Artikel Frankfurter jüdische Krankenpflege in Straßburg (Elsass)

Zur Modernisierung des Klinikbetriebs in Straßburg entsandte der Verein am 1. Juli 1911 drei Schwestern, Operationsschwester Bertha Schönfeld, Narkoseschwester und Oberschwester Rosa Spiro und als Oberin Julie Glaser. Rosa Spiro wurde Oberschwester, also Bertha Schönfelds Vorgesetzte. Im selben Jahr folgten die Frankfurter Krankenschwestern Blondine Brück und Rahel (Recha) Wieseneck. Weitere ‚Frankfurterinnen‘ im Israelitischen Krankenhaus Straßburg waren die zwischen 1911 und 1914 ausgebildeten Jenny Cahn, Gertrud Glaser, Ricka Levy und Bella Peritz (vgl. Verein für jüdischen Krankenpflegerinnen 1920: 40-49).

Krankenhaus Strassburg
Israelitisches Krankenhaus Straßburg, Hagenauer Platz (Place de Haguenau), um 1894
Aus: Architekten und Ingenieur-Verein für Elsass-Lothringen (Hg.): Strassburg und seine Bauten, Strassburg 1894: 523

Über den Beginn des 1. Weltkriegs und seine Auswirkungen im Krankenhaus in Straßburg zeugt ein Bericht einer nicht namentlich genannten Schwester: „Uns Schwestern traf die Nachricht vom Krieg überraschend und niederschmetternd. Schwester Oberin war noch auf Urlaub. In Straßburg herrschte die größte Erregung. Niemand dort zweifelte, daß die Stadt in den nächsten Tagen von den Franzosen besetzt oder mindestens eingeschlossen und belagert würde. Das bis auf das letzte Bett besetzte Krankenhaus entleerte sich in wenigen Stunden. Die meist aus der Umgebung stammenden Kranken wurden, selbst in schwersten Zuständen, von den kopflosen Angehörigen nach Hause abgeholt. Uns Schwestern fragte der Krankenhausarzt, Herr Dr. Bloch, ob wir nicht nach Frankfurt abreisen wollten, oder was wir sonst beabsichtigten. Aber wir erklärten ihm einstimmig, daß wir den Posten, auf dem man uns gestellt, nicht verlassen würden. Bald darauf kam noch die Depesche aus Frankfurt, die uns die gleichlautende Anordnung des Mutterhauses brachte. Dann waren wir von Frankfurt abgeschlossen. Von unserem Verein wie von unseren Angehörigen hörten wir lange nichts mehr.“ (Ebd.: 38-39).

Rosa Spiro war zu diesem Zeitpunkt wohl schon zurück in Frankfurt wo der Verein und die Schwestern beschlossen hatten möglichst viele Schwestern für den Dienst im Feld freizustellen. Rosa Spiro gehörte zu einer ersten Gruppe von sechs Schwestern, die im Oktober 1914 mit dem Kriegslazaretttrupp 126 an die Westfront abrückten. Es waren die Schwestern Rosa Spiro, Frieda Amram, MiriamSachs, Clara Bender, Ella ? und Hilde Rewalt. Die Schwestern Frieda und Hilde wurde 1915 durch Emmy und Susanne ersetzt. Sie pflegten an den östlichen Kriegsschauplätzen und wieder in Belgien und Frankreich: „Im Western pflegten unsere Schwestern nacheinander in Kriegslazaretten zu Deynze, Roulers, Emelghem, Iseghem. Im August 1916 kam der Trupp nach dem Osten. Ostrolenka, Bialystock, Grodno, Lida in Rußland, Plewna, das gerade eroberte Bukarest waren die Stationen. Dann ging es wieder nach Belgien (Chimay, Montmigny), nach Frankreich (Monthermé, Pesches, Rochefort, Jemelle). So haben sie den meisten blutigen Schauplätzen dieses unerhört schweren und langen Kampfes tätig nahe gestanden…“ (ebd.: 41).

1919 wurde Rosa Spiro Oberschwester an der Israelitischen Lungenheilanstalt in Davos, in der Schweiz. Genauer im Haus „Ethania“. Überliefert ist ein Lawinenunglück welches sich dort ereignete, Schwester Rosa wird ebenfalls erwähnt (Das Lawinenunglück in Davos):Beim ersten Sturz wurde schon unser Küchenmädchen im Saal begraben. Herr Dr. Oeri, die Schwester und Herr Jurowitsch hatten sie gerade ausgegraben, sie und sich selbst in die Südzimmer des Hauses gerettet, als schon die zweite Lawine kam. Es wurde ganz dunkel. Frl. K. saß bei mir auf dem Bette und sagte: ‚Wir wollen doch zusammen sterben!‘ – Als dann alles vorbei war, mussten sich die Hilfsmannschaften erst einen Weg bahnen. Die Nordzimmer sind eingestürzt und die Treppen auch. Dr. Oeri ist vom dritten Stocke den Terrassen entlang auf die Straße hinuntergeklettert und musste unten vor dem Hause erst die Verschütteten ausgraben. Dann sind alle, die gehen konnten, durch die geschaffene Bahn gerutscht und sind zum Teil in einem Hotel und im ‚Neuen Sanatorium‘ in Davos-Dorf untergebracht. Wir waren drei Personen, die man tragen, vielmehr ziehen musste. Nun wir sind auch hinausgekommen. ‚Wie‘ ist ja ganz egal, die Hauptsache ist, dass wir in Sicherheit sind. Wir waren dann bis 10 Uhr abends in einem Hotel, wo man uns sehr freundlich aufgenommen hatte. Um 10 Uhr wurden wir mit Schwester Rosa, die am ganzen Körper blaue Flecken hat, und bis zuletzt aufopferungsvoll auf dem Platze arbeitete, nach dem neuen Sanatorium gebracht. Wir waren so glücklich, als wir endlich in ein Bett kamen. Die anderen Patienten waren schon seit 7 Uhr in diesem Sanatorium. Am anderen Morgen kamen auch alle Insassen der ‚Etania‘ [sic] in mein Zimmer, und Ihr könnt Euch kaum denken, wie glücklich wir alle waren, uns gesund wiederzusehen…“ (ebd.).

Von 1920 bis 21 pflegte Rosa Spiro im Genesungsheim der Eduard und Adelheid Kann-Stiftung in Oberursel in der Nähe von Frankfurt. Anschließend war sie im Jüdischen Krankhaus der Frankfurter jüdischen Gemeinde in der Gagernstr.36 in der chirurgischen Abteilung tätig. Kolleginnen waren hier unter anderen Thea Wolf und auch Bertha Schönfeld (s.o.).

Am 24.03.1941 konnte Rosa Spiro aus Deutschland entkommen und emigrierte nach New York wo sie weiter als Krankenschwester arbeitete. Laut Schiffsliste aus Ellis Island kam sie am 1. Januar 1941 auf der Nyassa dort an. Im März 1977 starb sie in New York (vgl. U.S. Social Security Death Index).

Margarete (Grete) Seligmann, verheiratete Adelsheimer (1886-1944)

Margarete Seligmann (vgl. Heuss-Czisch/Lauxmann) wurde am 31. Mai 1886 in Wandsbek (heute Stadtteil von Hamburg) geboren. 1910 erhielt sie ihre Ausbildung zur Krankenschwester im Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main und pflegte bis 1914 im „Königswarter Hospital“. Während des ersten Weltkriegs diente sie im Lazarettdienst, in Lazarettzügen und besonders in Bulgarien wohin sie ab 1916 im Rahmen der Deutschen Sanitätsmission für Bulgarien beordert worden war. Mit ihren Kolleginnen Sara Adelsheimer, Beate Berger und Lina Spier war sie im Krankenhaus in Jamboli und darauf im Alexander-Spital zu Sofia, einem Großkrankenhaus mit 1000 Betten und einer internationalen Patientenschaft. „Bei ihrer Stationierung im damaligen Bulgarien zog sie sich Malaria zu. Dafür erhielt sie eine Rente. Auf ihre Orden und Ehrenabzeichen aus dieser Zeit war sie sehr stolz.“ (Ebd.)

Eine besondere Leistung des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main war die Beteiligung am Frankfurter Lazarettzug P.I. (vgl. Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1920: 54-56). Für den vom Frankfurter Roten Kreuz betriebenen Lazarettzug P.I wurden sechs neue Wagen im Auftrag des Vereins eingerichtet. Unterstützung gab es durch die Frankfurt-Loge, die Frankfurter Frauen-Vereinigung, die Weibliche Fürsorge und viele einzelne Spender. Neben dem Stammpersonal des Roten Kreuzes schlossen sich ab dem 1. März 1915 vom Verein „Dr. Deutsch als leitender Arzt sowie Schwester Ida [Holz] und Schwester Grete [Seligmann] dem alten Personal des Zuges an.“ (Ebd.: 57). Der Zug war vier Jahre und einen Monat lang in Betrieb. Tätigte 147 Transporte mit 177.000 km Fahrleistung und beförderte nahezu 30.000 Personen.“ (Ebd.: 54) Er war jedoch auch Angriffen ausgesetzt, Fliegerangriffe gab es z.B. 1916 und 1918 bei Cambrai und in Péronne. Der Bericht erwähnt sechs Tote (davon ein Pfleger), weitere Verletzte und Verluste von mehreren Wagen (ebd.: 56).

Im Jahresbericht des Vereins von 1920 für 1913-1919 fasst der Autor zusammen: „49 Schwestern erhielten im ganzen 78 Auszeichnungen, die meisten die Rote-Kreuz-Medaille III. Kl., einige auch II. Kl., und die Frankfurter Schwestern-Medaille. Im ganzen waren im Laufe der Jahre sämtliche Schwestern für den Heeresdienst verwendet worden, die weitaus meisten die ganz Kriegszeit hindurch. Als kleinste Zahl waren 56 Schwestern gleichzeitig in der Soldatenpflege tätig.“ (Ebd.: 56) Der Autor begegnet auch Nachfragen, warum denn nicht mehr der Schwestern ihrer Aufgabe im zivilen Bereich nachgekommen waren, indem er betonte, dass dort geholfen werden sollte, wo die Hilfe am nötigsten war „Und der unwiderstehliche innere Trieb, der uns als Deutsch hinzwang zum kämpfenden Vaterlande und seinen blutenden Besten…“ (edb.).

Grete Seligmann arbeitete anschließend bis 1925 im Jüdischen Krankenhaus in der Gagernstraße bis zu ihrer Heirat mit Alexander Adelsheimer (1880-1933), dem Bruder der Kollegin Sara Adelsheimer, der späteren Oberin des Frankfurter Schwesternvereins (vgl. Steppe 1997: 229). Ihr Ehemann war Religionsoberlehrer beim Oberrat der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs in Stuttgart. Er starb am 27. Dezember 1933 in Stuttgart. Alexander Adelsheimer brachte zwei Töchter mit in die Ehe. In der NS-Zeit flüchteten beide, möglicherweise zusammen mit ihrer Tante Sara Adelsheimer, nach Palästina.

Anfang der 1940er Jahre wurde Margarete Adelsheimer nach Eschenau „evakuiert“.  Am 22. August 1942 folgte ihre Deportation nach Theresienstadt (vgl. Gedenkbuch BA Koblenz). Am 19.10.1944 wurde sie in das Vernichtungslager Auschwitz transportiert und dort ermordet (vgl. ebd.). Margarete Adelsheimers nach Tel Aviv geflüchtete Töchter erfuhren später von einer Überlebenden, dass „ihre Mutter auch In Theresienstadt als Krankenschwester tätig war und eine Krankenstation leitete“ (vgl. Heuss-Czisch/Lauxmann).

Glaser, Gertrud (1884-?)

Gertrud Glaser wurde am 07.02.1884 in Hindenburg (Oberschlesien) geboren (heute Zabrze, Polen) (vgl. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Hausstandsbuch, Bornheimer Landwehr 85: 22). 1912 erhielt sie ihre Ausbildung zur Krankenschwester im Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main. Um 1913 pflegte sie im Straßburger Israelitischen Krankenhaus. Während des ersten Weltkriegs blieb sie in Lazaretten in Straßburg. Nach dem Krieg arbeitete sie in der Privatpflege. Sie wohnte im Schwesternhaus in der Bornheimer Landstraße 85 bis zum August 1939, in dem Monat, in dem sie nach Santiago de Chile ausreisen konnte (vgl. Steppe 1997: 230).

Edgar Bönisch, April 2021

Quellen

Archivmaterial

  • Yad Vashem, Jerusalem (Gedenkblätter)
  • Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Entschädigungsakten, Personen
  • Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Entschädigungsakten, Institutionen
  • Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, HB 655, Bornheimer Landwehr 85
  • Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, HB 686 und 687, Gagernstraße 36
  • Gedenkbuch BA Koblenz
  • Stadtarchiv Bad Nauheim

Literatur, Bilder und Internetquellen

  • Altenmüller, Irene 2021: Wie Frauen sich ihr Wahlrecht erkämpft haben. https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Frauenwahlrecht-in-Deutschland-Die-Geburtsstunde,frauenwahlrecht110.html (29.03.2021)
  • Betzien, Petra 2018: Krankenschwestern im System der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Selbstverständnis, Berufsethos und Dienst an den Patienten im Häftlingsrevier und SS-Lazarett. Frankfurt am Main
  • Bönisch, Edgar 2015: Die Ausbildung von Krankenpflegerinnen durch die Logenvereinigung Unabhängiger Orden Bnei Briss (UOBB). https://www.juedische-pflegegeschichte.de/die-ausbildung-von-krankenpflegerinnen-durch-die-logenvereinigung-unabhaengiger-orden-bnei-briss-uobb/# (19.03.2021)
  • Bude, Heinz 2000: Qualitative Generationsforschung, in: Uwe Flick, Ernst von Kardoff, Ines Steinke (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Hamburg: 187-194
  • Das Lawinenunglück in Davos. In: Der Israelit vom 15. Januar 1920, zitiert nach https://www.alemannia-judaica.de/davos_juedgeschichte.htm (15.02.2020)
  • Delegierten-Versammlung 1904: Delegierten-Versammlung der Vereinigung zur Ausbildung jüdischer Krankenpflegerinnen in Deutschland im September 1904 zu Frankfurt a. M. im Schwesternheim Königswarterstraße 20. Frankfurt a. M. o. J. [1904]
  • Delegierten-Versammlung 1905: Delegierten-Versammlung der Vereinigung zur Ausbildung jüdischer Krankenpflegerinnen in Deutschland zu Berlin 1905 […]. Berlin o. J. [1905]
  • Deutscher Bundestag: Kaiserreich (1871 – 1918). https://www.bundestag.de/parlament/geschichte/parlamentarismus/kaiserreich (25.03.2021)
  • Hanauer, Wilhelm 1914: Festschrift zur Einweihung des neuen Krankenhauses der Israelitischen Gemeinde zu Frankfurt am Main. Frankfurt am Main
  • Helmerichs, Jutta 1992: Krankenpflege im Wandel (1890 bis 1933). Dissertation Universität Göttingen
  • Heuss-Czisch, Barbara/Lauxmann, Jennifer: Margarete Adelsheimer. In: Gegen das Vergessen. Stolpersteine in Stuttgart. https://www.stolpersteine-stuttgart.de/index.php?docid=530 (30.03.2021)
  • Hochschule für Frauen zu Leipzig. https://de.wikipedia.org/wiki/Hochschule_f%C3%BCr_Frauen_zu_Leipzig (17.03.2021)
  • Jüdische Gemeinde Frankfurt/M: Die Geschichte der Jüdischen Gemeinde Frankfurt. https://www.jg-ffm.de/de/gemeinde/geschichte (29.03.2021)
  • Käppner, Joachim 2021: Des Kaisers alte Kleider. Das Wilhelminisch Reich war nicht besser als sein Ruf. Im Gegenteil. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 63, 17. März 2021, München
  • Krankenpfleger. https://de.wikipedia.org/wiki/Krankenpfleger (17.03.2021)
  • Krohn, Helga 2000: Ein „Gruss aus Frankfurts schönstem Stadtteil“ – Blick in die Frankfurter Stadtentwicklung. In: Krohn, Helga: Ostend. Blick in ein jüdisches Viertel (Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung), Frankfurt am Main
  • Liste Deutscher Reichskanzler. https://www.science-at-home.de/wiki/index.php/Liste_deutscher_Reichskanzler (25.03.2021)
  • Mühlberger, Martina 1966/67: Geschichte der Krankenpflege. http://www.carolusbrevis.de/martina/KPflege/Krankenpflege.pdf (17.03.2021)
  • Nolte, Karen 2020: Sorge für Leib und Seele. Krankpflege im 19. und 20. Jahrhundert. In: Bundeszentrale für politische Bildung: Pflege. Praxis – Geschichte – Politik. APuZ (Aus Politik und Zeitgeschichte) Schriftenreihe Band 10497, Bonn
  • Osterhammel, Jürgen 2012: Das 19. Jahrhundert. 1880 bis 1914. In: Informationen zur Politischen Bildung (Heft 315). https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/informationen-zur-politischen-bildung/142156/das-19-jahrhundert (01.09.2020)
  • Seemann, Birgit/Bönisch, Edgar unveröffentlicht: Conflicts during the Institutionalisation of German-Jewish Nursing (1880-1910)
  • Steppe, Hilde 1997: „… den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre …“. Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Frankfurt/M.
  • Titzenthaler, Waldemar Franz Hermann 1910: Paul Ehrlich Arbeitszimmer. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Paul_Ehrlich_Arbeitszimmer.jpg (29.03.2021)
  • Ulmer, Eva-Maria 2009: Der Beginn der beruflich ausgeübten Pflege im 19. Jahrhundert. https://www.juedische-pflegegeschichte.de/der-beginn-der-beruflich-ausgeuebten-pflege-im-19-jahrhundert/ (17.03.2021)
  • U.S. Social Security Death Index. https://www.ancestry.com/search/collections/3693/
  • Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1899: 6. Jahresbericht des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main
  • Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1900: 7. Jahresbericht des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main
  • Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1902: 9. Jahresbericht des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main: Anhang
  • Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1908: 15. Jahresbericht des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main
  • Verein für jüdische Krankenpflegerinnen 2020: Rechenschaftsbericht für die Jahre 1913 bis 1919 des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main
  • Vom gottgefälligen Dienen zur Profession: Gesundheits- und Krankenpflege https://www.diakonie.de/soziale-berufe (17.03.2021)
  • Zeittafel medizinischer Entwicklung. https://de.wikipedia.org/wiki/Zeittafel_medizinischer_Fortschritte (29.03.2021)
  • Ziemann, Benjamin 2016a: Das Kaiserreich als Nationalstaat. In: Bundeszentrale für politische Bildung, Informationen zur politischen Bildung, Nr. 329, 1/2016
  • Ziemann, Benjamin 2016b: Deutschland in der Welt. In: Bundeszentrale für politische Bildung, Informationen zur politischen Bildung, Nr. 329, 1/2016

Wie entstand die organisierte, beruflich ausgeübte Jüdische Pflege?

Ein Vortrag von Prof. Dr. Eva-Maria Ulmer bei der „International Conference on The History of Nursing“ in Florenz, 13. bis 15. Februar 2020

Die Präsentation, vorgestellt auf der Tagung der European Assocation for the History of Nursing (EAHN) in Florenz (http://www.florence2020.org), können Sie in einer deutschen und einer englischen Fassung nachlesen. Nachgezeichnet wird die Entstehungsgeschichte der beruflichen jüdischen Krankenpflege in Deutschland, von Frankfurt am Main ging dabei „sowohl eine Magnet- als auch eine Signalwirkung“ aus. Pionierarbeit in der Aufarbeitung leistete die Frankfurter Pflegehistorikerin Hilde Steppe in Zusammenarbeit mit der Krankenschwester und Autobiografin Thea Levinsohn-Wolf. Lernen Sie weitere Persönlichkeiten kennen: die Mitbegründerin des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen in Frankfurt und Oberin in Hamburg, Klara Gordon, und ihre Kollegin Toni Spangenthal, vor ihrer NS-Vertreibung in das argentinische Exil Schwester im Krankenhaus der Frankfurter Israelitischen Gemeinde. Für den Vortrag hat ihre Tochter Silvia Berg, die ebenfalls Krankenschwester wurde, wertvolle Informationen und Fotografien zur Verfügung gestellt.

Die Pflegehistorikerin Prof. Dr. Hilde Steppe (links) und die Krankenschwester und Autobiografin Thea Levinsohn-Wolf 1995 in der damaligen Fachhochschule Frankfurt bei der Durchsicht von Dokumenten
© Eva-Maria Ulmer

Den Artikel finden Sie hier als PDF-Publikation in Deutsch und Englisch:

German:
Eva-Maria Ulmer: Vortrag Jüdische Pflegegeschichte in Florenz

English:
Eva-Maria Ulmer: Presentation Jewish Nursing History in Florence

Fotografie: Emma Israel, Bewohnerin des früheren Budge-Heims

Sozialgeschichte der jüdischen Altenpflege und Altenhilfe – ein Forschungsdesiderat

Jüdische Sozialarbeit in Deutschland hat eine lange Geschichte […]. Die jüdische Altenarbeit wiederum war immer ein Teil der Sozialarbeit. […] Nach dem von der Zentralen Wohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWSt) 1932 herausgegebenen ‚Führer durch die jüdische Wohlfahrtspflege‘ gab es zu dieser Zeit allein 58 jüdische Altenheime mit einer Kapazität von 2.489 Betten. Darüber hinaus existierten z.B. acht allgemeine Krankenhäuser mit 1.383, sechs Krankenhäuser in Verbindung mit Altenheimen mit 439 sowie 52 Sanatorien und Rekonvaleszensheime mit mehr als 3.000 Betten“ (vgl. Altenpflege 2001/11: Bloch/ Weitzel-Polzer, S. 38).

Während zur Krankenpflege in Deutschland inzwischen historische Gesamtdarstellungen (u.a. Hähner-Rombach 2008; Steppe 1997) vorliegen, ist die Sozialgeschichte der Altenpflege und Altenhilfe – abgesehen von Einzelstudien (wie Graber-Dünow 2013; Irmak 2002; Sostmann 2008; siehe auch IGM Bosch) – bislang noch nicht geschrieben (vgl. Blessing 2011). Dabei erscheint gerade die Rekonstruktion ihres jüdischen Anteils als besonders dringlich, da er in der Schoa (Holocaust) vernichtet wurde. Hier bedeutet die Spurensuche Erinnerungsarbeit: zu Persönlichkeiten wie den Betreuenden und den Betreuten, Stifterinnen und Verwaltern; zu Institutionen wie Altersheimen und Siechenhäusern, zu Baugeschichte und Innenarchitektur, Quellen und Medien, Diskursen und Ausbildungskonzepten.
Was aber ist eine jüdische Altenpflege und Altenhilfe? Diese Forschungsfrage führt zu den Selbstdefinitionen ihrer Akteure: Wie grenzte sich etwa die konservativ-jüdische Altenpflege von der liberal-jüdischen ab? Beide Richtungen bezogen sich auf die gleichen religiös-kulturellen Grundlagen: Bikkur Cholim (Krankenbesuch/Krankenpflege), Zedakah (soziale Gerechtigkeit mittels Wohlfahrt) und Gemilut Chasadim (Mildtätigkeit, Nächstenliebe). Diese zentralen Mitzwot (religiös-jüdische Pflichten) schlossen die Betreuung von kranken, gebrechlichen und pflegebedürftigen Nichtjuden und Nichtjüdinnen mit ein.

Andererseits beförderten christliche Judenfeindschaft und seit dem 19. Jahrhundert ein säkularisierter ‚politischer‘ Antisemitismus eine eigene jüdische Altenfürsorge. Es gab aber auch jüdisch-christliche Wohnprojekte wie das bis heute bestehende, von dem jüdischen Stifterpaar Henry und Emma Budge begründete Frankfurter Budge-Heim (vgl. Budge-Heim Ffm). Im Zuge der ‚Nürnberger Rassengesetze‘ trennten die Nationalsozialisten den von ihnen zur Vernichtung bestimmten ‚jüdischen‘ Teil der Altenpflege und Altenhilfe von dem ‚arischen‘ ab; die meisten jüdischen Seniorinnen und Senioren konnten Nazideutschland nicht mehr verlassen und wurden – selbst als Hochbetagte – in das ‚Altersghetto‘ und Durchgangslager Theresienstadt deportiert (vgl. Theresienstädter Initiative). Die jüdisch gestifteten Alters- und Pflegeheime wurden samt Inventar ‚arisiert‘.
Zu den wichtigsten Aufgaben einer historischen Forschung und Aufarbeitung gehört deshalb die Recherche der verschollenen Biographien der jüdischen Altenpflege und Altenhilfe: ihre Herkunft (Familien- und Regionalgeschichte), ihre Stellung zum Judentum, ihre Lebens- und Berufsstationen sowie gesellschaftlichen Aktivitäten, ihre Angehörigen und Nachkommen. Hier lohnen sich der Gang in das Stadt- oder Gemeindearchiv (vgl. Überblick über die deutsch-jüdischen Gemeinden bei Alicke 2008; Alemannia Judaica) und die Kontaktaufnahme zu lokalhistorischen Expertinnen und Experten vor Ort. Für den Frankfurter Raum hat das Projekt www.juedische-pflegegeschichte.de mit der Aufarbeitung begonnen (vgl. Überblick bei Seemann 2012, aktualisiert 2017).

„Vornehmste Pflicht jeder Gemeinschaft ist es, für seine Alten und Kranken zu sorgen, und so gehörte es auch nach 1945 zu den dringendsten Verpflichtungen der neu entstehenden Jüdischen Gemeinde, ein Altersheim zu schaffen“ (Anonym. 1957). Anders als die jüdische Krankenpflege hat die jüdische Altenpflege und Altenhilfe nach der Schoa durch die Rückkehr betagter Überlebender aus den Lagern oder dem Exil in Deutschland wieder Fuß gefasst; sie blickt inzwischen auf mehrere Jahrzehnte einer ebenfalls noch weiter zu erforschenden Nachkriegsgeschichte zurück (vgl. z.B. Altenpflege 2001/11; Anonym. 1957). Interkulturell, mehrsprachig und sensibilisiert für Menschen mit (Extrem-)Traumatisierung, ist sie ‚geschult‘ im Umgang mit den tiefgreifenden Zäsuren im (Über-)Leben ihrer Bewohnerinnen und Bewohner (vgl. Altenpflege 2001/11: Friedman/ Weitzel-Polzer; Altenzentrum JG Ffm). Inzwischen sind auch ‚Treffpunkte‘ für Schoa-Überlebende institutionalisierter Teil der jüdischen Altenhilfe in Deutschland (vgl. Rübel 2013; ZWST). Jetzt steht die nächste Generation – jene, die die Schoa als Kinder und Jugendliche überlebten (vgl. z.B. Child Survivors Deutschland) – vor den Anforderungen biographischer Trauma-Arbeit: „[…] nicht so wie bei denen, wo die Vergangenheit normal war im Sinne eines guten Starts, führen uns unsere Erinnerungen geradewegs zurück zum Alptraum, was das Leben damals war“ (Robert Krell, www.child-survivors-deutschland.de/das-geheimnis-und-die-wurde, Aufruf v. 13.05.2013). Geschichte und Gegenwart sind untrennbar miteinander verbunden.

Birgit Seemann, 2013

Literatur

Alicke, Klaus-Dieter 2008: Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum. 3 Bde. Gütersloh.

Altenpflege 2001/11: Altenpflege 26 (2001) 11 (November): Artikelserie „Jüdische Altenhilfe“, S. 38-47: Benjamin/ Weitzel-Polzer, Esther: Bewahrer der Tradition, S. 38-41; Kellersmann, Andreas: Zwischen Trauma und Aufbruch, S. 42-43; Müller-Erichsen, Maren: Viele reden gar nicht mehr! Interview: Holger Jenrich, S. 44; Friedman, Leo/ Weitzel-Polzer, Esther: Die Biografie als Ballast, S. 45-47.

Andernacht, Dietrich/ Sterling, Eleonore (Bearb.) 1963: Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden 1933–1945. Hg. von d. Kommission zur Erforschung der Geschichte der Frankfurter Juden. Frankfurt/M.

Anonym. 1957: Unsere Institutionen: II. Das Altersheim. In: Frankfurter Jüdisches Gemeindeblatt 3 (1957) 1 (Januar), S. 5-6.

Blessing, Bettina 2011: Die Geschichte des Alters in der Moderne: Stand der deutschen Forschung. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte. Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung. Band 29. Berichtsjahr 2010. Hg. v. Robert Jütte. Stuttgart, S. 123-150.

Graber-Dünow, Michael 2013: Zur Geschichte der „Geschlossenen Altersfürsorge“ von 1919 bis 1945. In: Hilde Steppe (Hg.): Krankenpflege im Nationalsozialismus. 10., aktualis. u. erw. Aufl. Frankfurt/M., S. 245-255.

Hähner-Rombach, Sylvelyn (Hg.) 2008: Quellen zur Geschichte der Krankenpflege. Mit Einführungen und Kommentaren. Unter Mitarb. v. Christoph Schweikardt. Frankfurt/M.

Irmak, Kenan H. 2002: Der Sieche. Alte Menschen und die stationäre Altenhilfe in Deutschland 1924 – 1961. Essen [Diss. Univ. Bielefeld].

Rübel, Jan 2013: Man spricht deutsch. Holocaustüberlebende. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.01.2013.

Sostmann, Renate 2008: Die Alten in der Großstadt. Kommunale, kirchliche und weitere Initiativen und Institutionalisierungen in Köln im 19. Jahrhundert und in der Weimarer Republik. Siegburg [mit einem Kapitel zur Kölner jüdischen Altenhilfe und Altenpflege].

Seemann, Birgit 2013: Historische Institutionen der jüdischen Altenpflege und Altenhilfe in Frankfurt am Main, www.juedische-pflegegeschichte.de (Rubrik „Beiträge“).

Steppe, Hilde 1997: „… den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre …“. Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Frankfurt/M.

Links zum Weiterforschen (Aufruf am 13. Mai 2013)

Alemannia Judaica: Alemannia Judaica –Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum: www.alemannia-judaica.de.

Altenzentrum JG Ffm: Altenzentrum Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main: www.altenzentrum.jg-ffm.de.

Budge-Heim Ffm: Senioren-Wohnanlage und Pflegeheim der Henry und Emma-Budge-Stiftung: www.budge-stiftung.de.

Bezirksregierung Düsseldorf, Bundeszentralkartei [für Entschädigungs- und Rückerstattungsakten], Merkblatt 08/2008: www.brd.nrw.de/wiedergutmachung/bundeszentralkartei_und_archiv/service/BZK_Merkblatt_dt.pdf.

Child Survivors Deutschland: www.child-survivors-deutschland.de.

DZA: Deutsches Zentrum für Altersfragen: www.dza.de.

IGM Bosch: Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung: http://igm-bosch.de (Rubrik: Sozialgeschichte der Pflege).

JM Ffm: Jüdisches Museum und Museum Judengasse Frankfurt am Main: Datenbank Gedenkstätte Neuer Börneplatz: http://juedischesmuseum.de [unveröff., im Museum abrufbar].

Theresienstädter Initiative: Institut Theresienstädter Initiative [mit Internet-Portal Holocaust.cz]: www.holocaust.cz/de/main.

Zentralarchiv JG: Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland: www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/aj.

ZWST: Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland: www.zwst.org.

„…sei er arm oder reich, Jude, Christ oder Araber“ – Jüdische Pflegegeschichte und ihre grenzüberschreitenden Perspektiven

Vortrag von Birgit Seemann und Edgar Bönisch, 9. Internationaler Kongress der Geschichte der Pflege in Wien, 15. Oktober 2010 (Kurzfassung)

Jüdische Pflegeschichte: Herkunft, Grenzen, Universalität

  • Hebräische Bibel und rabbinisches Judentum
  • Vorläuferin der christlichen und islamischen Krankenpflege
  • Jüdische Pflegegeschichte als Teil der globalen Pflegegeschichte

Äußere Grenzen zwischen jüdischer Minderheit und Mehrheitsgesellschaft

  • Christlicher Antijudaismus
  • Formen des Antisemitismus
  • Schoah / Holocaust

Innere Grenzen: Vielfalt im Judentum

  • Jüdische Orthodoxie
  • Zionistische Richtungen
  • Säkularisiertes Judentum
  • Jüdische Aufklärung

Das gemeinsame Band: jüdisch-religiöse Pflichten (Mizwot)

  • Zedakah („Gerechtigkeit“): soziale Arbeit, „rabbinischer Warenkorb“ (Maimonides)
  • Gemilut Chassadim: praktizierte Nächstenliebe mit Bikkur Cholim („Krankenbesuch“, Krankenpflege)
  • Zielgruppe des jüdischen Pflegeauftrags: jüdische und nichtjüdische Arme und Fremde

Zur Geschichte des deutsch-jüdischen Krankenhaus- und Pflegewesens

  • Vom Hekdesch zum Hightech
  • Pflegestandort Frankfurt am Main

Die Diskussion gesellschaftlicher Konventionen im Rahmen der Entstehung der berufsmäßigen jüdischen Krankenpflege

  • Pflegerische Versorgung: Stadt contra Land
  • Berufsmöglichkeit für alleinstehende Frauen
  • Hierarchisches christliches Mutterhausmodell contra dezentrales jüdisches Pflegemodell
  • Traditionelle Frauenrolle und ehrenamtliche Pflicht des Krankenbesuchs (Video: Thea Levinsohn über Ehe und Familie)
  • Repräsentation des Judentums und Anerkennung durch das deutsche Bürgertum

Der Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main zwischen religiöser Tradition und Anerkennung durch die deutsche Gesellschaft

  • Vereinsgründung im Kontext christlicher Schwesternvereinigungen
  • Optimierung der pflegerischen Leistung als Anerkennungskriterium für die nichtjüdische Gesellschaft
  • Überregionale Bedeutung des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins
  • Patriotismus im Ersten Weltkrieg

Thea Wolf in Alexandria und das jüdische Krankenhaus als Brennpunkt einer multinationalen Gesellschaft

Die Henry und Emma Budge-Stiftung oder die Überwindung religiöser Grenzen durch Mildtätigkeit und Modernität

  • Neues Frankfurt und moderne Architektur des Altersheims
  • Konzept der kleinen Wohnung und des gemeinsamen Lebens
  • Das jüdisch-christliche Budge-Heim heute

Perspektiven

Zukunftsfähige Ressourcen jüdischer Pflege

  • Migrations- und kultursensible Pflege
  • Interkulturelle und Diversity-Kompetenz
  • Traumaarbeit, Pflege in Krisengebieten

Pflege und Gesellschaft: Der Antisemitismus globalisiert sich

„The Heart has no Borders“: Jüdische Sozialethik und Pflege

  • Interdependenz von Pflege (Bikkur Cholim) und sozialer Gerechtigkeit (Zedakah)
  • „Umkehr“ (Teschuwa) zur Pflege von Umwelt und Gesellschaft als Lebensform
  • Die „Reparatur“ (Heilung) der Welt (Tikkun Olam)

Die Ausbildung von Krankenpflegerinnen durch die Logenvereinigung Unabhängiger Orden Bnei Briss (UOBB)

Die Pflegewissenschaftlerin Hilde Steppe unterscheidet drei Wege, die zur professionellen jüdischen Ausbildung als Krankenpflegerin führten:

  • die Aktivitäten des Deutsch-Israelitischen Gemeindebundes (DIGB)
  • die Tätigkeiten der eigenständigen jüdischen Krankenpflegerinnenvereine
  • die Aktivitäten der Logenvereinigungen Unabhängiger Orden Bne Briss (UOBB) (vgl. Steppe 1997: 90)

Der DIGB sorgte mit seinen Aktivitäten dafür, dass eine Institutionalisierung der Ausbildung zur jüdischen Krankenpflegerin überhaupt möglich wurde. Mehr oder weniger parallel zum darauf folgenden Entstehen der eigenständigen Krankenpflegerinnenvereine gab es auch Ausbildungsmöglichkeiten durch die Initiativen der Logenvereinigungen Unabhängiger Orden Bne Briss (UOBB).
Während die Tätigkeiten der Krankenpflegerinnenvereine in jeweils eigenen Artikeln beschrieben werden, besonders die des Frankfurter Vereins, möchte ich in diesem kurzen Beitrag auf die Ausbildung der Logenvereinigung eingehen. Durch diese parallel verlaufenden Ausbildungsmöglichkeiten kam es zu der Situation, dass Vereine wie der Heidelberger Verein oder die Mannheimer Krankenunterstützungsvereine ihr Personal in Berlin ausbilden ließen und nicht z. B. im viel näher gelegenen Frankfurt am Main.
Wohl auf Anregung seines Mitglieds Paul Jolowicz aus Posen initiierte der Deutsch-Israelitische Gemeindebund (DIGB) seit 1882 eine professionelle Krankenpflegerinnenausbildung durch die jüdischen Gemeinden (vgl. Steppe 1997: 91). Der DIGB finanzierte diese Ausbildung, im Gegenzug verpflichteten sich die Ausgebildeten für eine gewisse Zeit für den DIGB tätig zu sein und dazu, dass sie „nur nach dem Ort hingehen, diejenige Wohnung beziehen und diejenige Pflege übernehmen darf, die ihr durch Befehl oder Erlaubnis zugwiesen werde“ (DIGB 1883, zitiert nach Steppe 1997: 93). Der DIGB wehrte sich zunächst noch, die entstehenden selbstständigen Vereine der Krankenpflegerinnenausbildung zu unterstützen, um nicht den eigenen Ausbildungsbestrebungen entgegenzuwirken. Doch schlief diese eigene Ausbildung des DIGB zu Gunsten der Vereine ein, die er daraufhin ab 1893 (Frankfurt am Main, Berlin u.a.) finanziell förderte.


Im Jahr 1900 war es die Heidelberger Friedrich Loge, die sich an die Großloge in Berlin wandte, worauf diese sich wieder mit der planvollen Entwicklung des Ausbildungswesens in der jüdischen Krankenpflege befasste. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Frankfurter und Berliner Vereine ihre Tätigkeit bereits einige Jahre aufgenommen, ihre Schwestern arbeiteten schon in verschiedenen Orten und weitere Vereinsgründungen (z. B. Breslau und Köln) erfolgten oder waren geplant. Die Bestrebung der Großloge war nun, der dezentralen Entwicklung entgegenzuwirken, denn: „Wenn der gute Ruf, den sich unsere Schwestern erworben haben, nicht geschädigt werden soll, ist es erforderlich, dass dieselben eine sorgfältige, fach- und sachgemässe strenge Ausbildung erhalten, welche nur durch Anschluss an ein grosses und tüchtig geleitetes jüdisches Krankenhaus zu ermöglichen ist. Die Bildung kleinerer Vereine in allen möglichen Städten wäre ein Unglück, das Material der Schwestern würde dann nicht sorgfältig genug gewählt und geschult, es fehlte die Gelegenheit die Ausbildung gewissenhaft durchzuführen, eine Ausbildung, welche jetzt in Berlin 2 Jahre incl. des Kursus in der Entbindungs-Anstalt der Charité erfordert. In dem erklärlichen Bestreben, von der Thätigkeit Beweise zu erbringen, könnte es leicht kommen, dass scheinbare Erfolge gezüchtet werden, die dann dem ganzen grossen und edlen Werke zu dauerndem Schaden gereichen würden“ (UOBB 1900: 60).


Die zunächst angedachte Möglichkeit, einen deutschlandweiten zentralen Verein für die Ausbildung der Krankenschwestern zu schaffen, ließ man, ob der problematischen Realisierung, schnell wieder fallen. Stattdessen einigte man sich auf einen Organisationsplan, der vorsah, dass fünf Frauen pro Jahr in Berlin, beim Berliner jüdischen Krankenpflegerinnenverein, ausgebildet werden sollten. Die Großloge trug die Hälfte der Ausbildungskosten (500 RM bis maximal 3.000 RM), die andere Hälfte die jeweils entsendende Loge. Abgesehen von den schon bestehenden Ausbildungsplätzen Frankfurt, Berlin, Köln, München und Breslau wurden fünf geographische Kreise gebildet, aus denen Auszubildende entsandt werden konnten. 1901 wurde beschlossen, dass die Großloge die gesamten Kosten von 1.000 Reichsmark übernehmen soll (vgl. UOBB 1900).


Die Frage nach einer zentralen im Gegensatz zu einer dezentralen Ausbildung blieb zwischen der Großloge und den regionalen Logen weiterhin ein Thema. Insbesondere Dr. Feldmann aus Stuttgart argumentierte für eine flexiblere Handhabung der Ausbildung. Schwerpunkte der Diskussion waren die Verfügbarkeit von geeigneten Auszubildenden und die Leistungsfähigkeit der jeweiligen Ausbildungsorte (vgl. UOBB 1903).
1900 wurden in Nürnberg und auch in München Schwesternvereine gegründet, die sich zunächst als „Filialanstalten“ (Steppe 1997: 107) des Berliner Vereins verstanden.
1903 war es das „Kuratorium für jüdische Krankenpflegerinnen“ in Dortmund, das durch die Märkische Loge gegründet wurde. Deren Ausbildung erfolgte sowohl in Breslau, in Köln und Berlin als auch in Hamburg. Als Schwesternheim diente eine angemietete Etagenwohnung, in der ein Dienstmädchen für die Mahlzeiten sorgte und ansonsten die Krankenschwestern den Haushalt selbst erledigten (vgl. UOBB Dortmund, zitiert nach Steppe 1997: 99). Diesem Beispiel folgten in den nächsten Jahren Worms (1906), Mannheim (1906), Heidelberg (1909), Würzburg (1914), Ratibor (1919) und Hannover (1921).
Letztlich setzte sich der Plan der Großloge, der die zentrale Ausbildung vorsah, durch und führte 1908 zur Krankenschwesternorganisation (KSO). 1913 richtete die KSO ein eigenes Mutterhaus in Berlin ein. Die Schwestern waren nun nicht mehr Mitglied des Berliner Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen, sondern „Schwestern der KSO“ und wurden in der Charité ausgebildet. In der Folgezeit kam es in Deutschland zu etlichen Gründungen von Vereinigungen für die berufliche jüdische Krankenpflege, die durch die jeweiligen örtlichen Logen initiiert wurden und nach den Bestimmungen der KSO arbeiteten.

Edgar Bönisch, 2015

Literatur

Hilde Steppe 1997:
„…den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre…“. Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Frankfurt am Main.

DIGB 1883: Mitteilungen vom Deutsch-Israelitischen Gemeindebund. Entwurf eines Organisationsplans zur Ausbildung jüdischer Krankenpflegerinnen. Oktober 1883, Stiftung Neue Synagoge Berlin-Zentrum Judaicum, Archiv Sign. 1, 75 C Ge 1967.

UOBB 1900: Bericht der Grossloge für Deutschland. U.O.B.B., No. 6 Mai 1900.

UOBB 1903: Bericht der Grossloge für Deutschland. U.O.B.B., No. 7 September 1903.

UOBB Dortmund 1911: Kuratorium für jüdische Krankenpflegerinnen der Märkischen Loge UOBB Dortmund. 7. Jahresbericht

Der Beginn der beruflich ausgeübten Pflege im 19. Jahrhundert

Im 19. Jahrhundert erfolgte eine Weichenstellung hin zur Bildung eines Berufs Krankenpflege. Die Verberuflichung der Krankenpflege ist nach Hilde Steppe (1997) gebunden an das Vorhandensein einer geplanten und organisiert durchgeführten Ausbildung verbunden mit einer Bezahlung für die Ausübung dieser Tätigkeit. Da in diesem Prozess der Ausformung spezifischer Qualifizierungsmuster externe Faktoren einen maßgeblichen Einfluss hatten, spricht sie konsequent von einer Berufskonstruktion.
Die Entwicklung der Krankenpflege zum Beruf im 19.Jahrhundert in deren Kontext auch die Gründung der jüdischen Krankenpflegevereine zu sehen ist, ist das Ergebnis unterschiedlicher Einflussfaktoren und Machtkonstellationen:

Die Industrialisierung
Durch die Industrialisierung kam es zu einer Trennung von Arbeit und familiärem Leben, zu einer Trennung zwischen öffentlichem und privatem Raum. Diese Trennung war zugleich geschlechtsspezifisch organisiert, im Bürgertum war die Frau zu Hause verantwortlich, der Mann war außer Haus und sorgte für die Ernährung der Familie. (Gilt manchmal heute noch). Dieses Modell ließ sich natürlich für Arbeiterhaushalte nicht aufrechterhalten, da dort auch die Frauen zur Sicherung der Existenz außerhalb des Hauses arbeiten mussten. Die Verelendung der proletarischen Schichten führte nicht zuletzt aufgrund der schlechten Wohnverhältnisse zum Auftreten von Epidemien (z. B. Cholera). Das hatte dann im Einzelfall eine Überfüllung und Überlastung der Krankenhäuser zur Folge.
Zurück zur bürgerlichen Familie: Dort war das Bild der Frau auf Haushalt und Familie festgelegt, als Gattin sollte sie ihren Mann unterstützen, als Mutter die Kinder pflegen und erziehen. Vor diesen eigentlichen „Beruf“ konnte nun ganz praktisch eine pflegerische Ausbildung geschaltet werden. Unterstützt wurde die Berufswahl Krankenpflege durch die Tatsache, dass interessierten gebildeten bürgerlichen Frauen im 19. Jahrhundert noch kein Zugang zur Universität gestattet war. Krankenpflege war die Alternative zum Studium der Medizin und zugleich eine Vorbereitung auf die „eigentliche Bestimmung“ der Frau.

Die Durchsetzung nationalstaatlicher Interessen durch Kriege

Lithographie: Florence Nightingale im Lazarett der Selimiye-Kaserne, Istanbul
Florence Nightingale im Lazarett der Selimiye-Kaserne
Istanbul Day & Son, 1856; Library of Congress Collection Washington D. C.

Die vielen Kriege im 19. Jahrhundert lösten jeweils einen Schub in der Entwicklung der Pflege aus. Durch diese Kriege wurde die Notwendigkeit der Organisation eines effektiven Sanitätswesens deutlich. Es wurde klar, dass die pflegerische Versorgung von entscheidender Bedeutung für Sieg oder Niederlage sein würde. Florence Nightingale war durch ihren Einsatz in Krimkrieg (1854) zutiefst beeindruckt und konnte, zurückgekehrt nach England, eine moderne Pflegeausbildung auf den Weg bringen. Auch der Schweizer Henri Dunant ist in diesem Zusammenhang zu nennen. Unter dem Eindruck der Schlacht von Solferino initiierte er die Gründung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz. Zu Friedenszeiten sollte Personal ausgebildet werden, das im Kriegsfalle die Verwundetenpflege übernehmen sollte. Die z. T. seit Beginn des Jahrhunderts bestehenden vaterländischen „[…] Frauenvereine stellten ihre Tätigkeit nun in den Dienst des Roten Kreuzes.“ (Hummel 1986, S. 18)

Die bürgerliche Frauenbewegung
Um die Jahrhundertmitte entstand fast zeitgleich in den meisten europäischen Ländern eine Frauenbewegung, die sich aus unterschiedlichen Gruppen zusammensetzte. Es lassen sich die gemäßigten bürgerlichen, die radikalen bürgerlichen, die konfessionellen und die sozialdemokratisch-kommunistischen Frauenbewegungen unterscheiden. Sie verfolgten jeweils unterschiedliche Ziele: Recht auf Berufstätigkeit, Recht auf Bildung oder Recht auf innerkirchliche oder politische Mitbestimmung stand im Vordergrund, je nach politischer Selbstdefinition.
Die gemäßigten bürgerlichen Frauen waren zahlenmäßig die größte Gruppe und bei ihnen stand die Debatte um die Berufstätigkeit der bürgerlichen Frau im Mittelpunkt. Sie forderten die außerhäusliche Betätigung der Frauen allerdings in dem ihnen „natürlicherweise“ vorgegebenen Rahmen. Letztlich, so Hilde Steppe (1997), bedeutete dies die Übertragung familialer Strukturen auf das öffentliche Leben, es wurden also typisch weibliche Berufsfelder identifiziert, sodass die ehemals häuslichen Funktionen Pflege oder Erziehung nun im öffentlichen Leben als Beruf ausgeübt werden sollten. Die radikalen bürgerlichen Frauen hingegen vertraten das Recht auf gleiche Allgemeinbildung und Möglichkeit des Zugangs zu allen Berufen und Ausbildungsstätten, außerdem die politische Gleichberechtigung mittels des Frauenwahlrechts. Für die Krankenpflege war „[…] vor allem die gemäßigte bürgerliche Frauenbewegung von Bedeutung, da deren Vorstellungen von Frauen-berufen mit dem sich entwickelnden Selbstbild des Frauenberufs Pflege weit gehend übereinstimm(t)en“ (Steppe 1997, S. 42).

Die Entwicklung in der Medizin
Infolge des medizinischen Fortschritts entwickelte sich im 19. Jahrhundert das alte Hospital von einer Aufbewahrungsstätte für mittellose Kranke, Alte und Gebrechliche zu einem medizinischen Zentrum, in dem nur noch Kranke sein sollten. Durch diese rasant verlaufende Entwicklung, die mit der Selbstdefinition der Medizin als Naturwissenschaft einherging, wurde das Krankenhaus auch für begüterte Bevölkerungsgruppen attraktiv. Auch die Ärzte, die bisher in den alten Hospitälern wenig verloren hatten, sahen in den Krankenhäusern neuen Typs eine Möglichkeit der Forschung und Lehre. Sie verlangten nun nicht mehr nur religiös gebundene Schwestern oder „Wartepersonal“, proletarische, nicht ausgebildete Frauen und Männer, sondern gebildete Frauen, die die notwendige Betreuung während der Abwesenheit der Ärzte sicherstellen konnten. Die Medizin differenzierte sich aus, die Fächer, die für uns heute selbstverständlich sind, entstanden. Ausgehend vom naturwissenschaftlichen Paradigma kam es zu ungeheuren Fortschritten, z. B. bei der Erforschung der Infektionskrankheiten.

Welche Organisationsformen entstanden nun aufgrund dieser Machtkonstellationen?
Grob gesprochen lassen sich vier große Gruppen an Pflegeverbänden unterscheiden. Die katholische Ordenspflege, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts über Frankreich und die besetzten linksrheinischen Gebiete nach Deutschland kam und sich bald im ganzen Reichsgebiet ausbreitete.
Die nächste große Gruppe stellen die Organisationen der evangelischen Diakonie dar. Die Diskussionen hatten schon in den 20er Jahren begonnen, aber erst 1836 kam es zur Gründung der Diakonissenanstalt in Kaiserswerth. Ihr Gründer Theodor Fliedner übernahm Teile des katholischen Modells, die Abgeschiedenheit und die karitativ-christliche Auffassung der Krankenpflege. Andererseits springt die Orientierung am bürgerlichen Modell der Familie ins Auge, der Theologe und die Oberin an der Spitze, darunter die „Kinder“ (Diakonissen), für die gesorgt wird, alle in einem Haus. Dieses als Mutterhaus beschriebene System ist eine typisch deutsche Entwicklung, in der persönliche Unfreiheit mit sozialer Absicherung verbunden war. Es wurde auch von den Schwesternschaften vom Roten Kreuz übernommen, die die dritte große Gruppe darstellten. Auch die jüdischen Krankenpflegevereine organisierten sich als Mutterhäuser (Steppe 1997). Als vierte Gruppe sind die freien, ungebundenen Schwestern zu nennen, die nicht mehr an das Mutterhaus gebunden arbeiten wollten. Agnes Karll, eine ehemalige Rot Kreuz Schwester gründete 1903 die Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands (B.O.K. D.). Dieser Schritt geschah in engem Kontakt und mit Unterstützung der bürgerlichen Frauenbewegung. Ende der neunziger Jahre des 19.Jahrhunderts bildeten sich die ersten freigewerkschaftlichen Pflegeorganisationen (vgl. Wolff/Wolff 1994).
Einen Überblick über die zahlenmäßige Entwicklung in der Krankenpflege bietet die folgende Tabelle:

Jahr: 1876 / 1898:

Gesamtzahl: 8.681 / 26.427
in katholischen Mütterhäusern: 5.763 / 12.427
in evangelischen Mütterhäusern: 1.760 / 7.576
Andere: 525 / 3.613
freie Schwestern: 655 / 2.398
Quelle: Jutta Helmerichs

Wie und durch wen wurden die pflegerischen Inhalte definiert?
Nicht Krankenschwestern definierten, was im Krankenhaus zu passieren hatte, die enorm expansive Medizin hatte Bedarf an guten Krankenschwestern, die sie während ihrer Abwesenheit vom Krankenbett dort vertreten konnten. Die Forderungen nach einer von Orden unabhängigen Krankenpflegeausbildung unter Einbezug der Erkenntnis der Medizin mehrten sich. Verstärkt wurde diese Entwicklung durch die Einführung des Krankenversicherungsgesetzes im Rahmen der Sozialgesetzgebung im Jahre 1883, die mit einer Zunahme der Krankenhausbetten und der Patientenzahlen einherging. Auch aus der Frauenbewegung heraus kamen Forderungen nach einer Ausbildung. Sie sollte über die „natürliche Bestimmung“ der Frauen hinausgehen. Die Bedingung für einen Beruf, der neben der Bezahlung eine Ausbildung mit Vermittlung spezieller Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen voraussetzt, war im 19. Jahrhundert noch nicht gegeben, erst im beginnenden 20.Jahrhundert wurde mit dem ersten Krankenpflegegesetz 1907 ein wichtiger Schritt in diese Richtung unternommen. Vorher hatte es lediglich in einzelnen Mutterhäusern Festlegungen für bestimmte Ausbildungsinhalte gegeben (Hummel 1986).

Alle die oben beschriebenen Kräfte beeinflussten auch die Bildung der jüdischen Krankenpflegevereine und führten zu deren spezifischer Ausprägung.

Eva-Maria Ulmer, 2009

Literatur

Helmerichs, Jutta 1992: Krankenpflege im Wandel (1890 bis 1933). Dissertation Universität Göttingen

Hummel, Eva 1986: Krankenpflege im Umbruch (1876-1914). Freiburg i. Br.

Steppe, Hilde 1997: „…den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre…“. Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Frankfurt/M.

Steppe, Hilde 2003: „Die Vielfalt sehen, statt das Chaos zu befürchten.“ Ausgewählte Werke.

BernWolff, Horst-Peter; Wolff, Jutta 1994: Geschichte der Krankenpflege. Basel