Zeit und Ort, eine Einordnung
Zu der Gruppe der Gründerinnen des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main zählten:
Minna Hirsch, geboren am 01.12.1860,
Frieda Brüll, geboren am 27.07.1866,
Klara Gordon, geboren am 20.11.1866,
Lisette Hess, geboren am 13.07.1867.
Thekla Mandel, geboren am 22.07.1867.
Alle erhielten ihre Ausbildung vor 1893. In diesem Artikel wird das Leben der Krankenschwesternschülerinnen von 1893, der Vereinsgründung, bis zum Jahr 1902, dem Umzugsjahr der Pflegerinnen in ein neu erbautes Schwesternheim neben dem Hospital der Israelitischen Gemeinde in der Königswarterstraße 20, betrachtet.
Um von einer Schülerinnengeneration zu sprechen, und das möchte ich hier, folge ich dem Soziologen Heinz Bude:
„Geburtskohorten bilden noch keine Generation, es kommt vielmehr auf die mögliche Bezugnahme auf ein gemeinsames Präge- und Wirkungserlebnis an, aus dem sich die Evidenz einer Gemeinsamkeit trotz des Unterschieds von Herkunft, Religion oder ethnischer Zugehörigkeit ergibt.“ (Bude 2000: 188)
Dieses „gemeinsame Präge- und Wirkungserlebnis“ der Krankenpflegeschülerinnen und späteren Krankenpflegerinnen, die hier vorgestellt werden, ist das gemeinsame Erleben einer bestimmten Zeitepoche, das Leben in einer gemeinsamen räumlichen Umgebung, die Zugehörigkeit zum Verein für jüdische Krankenpflegerinnen und die Ausübung des gleichen Berufs.
Die Epoche
Um das Leben in der damaligen Zeit zu beschreiben und sich damit dem Selbstverständnis der Krankenpflegerinnen und Schülerinnen zu nähern, beschreibe ich im Folgenden die Politik der Zeit, die Wirtschaft, den Antisemitismus, den Stand des medizinischen Wissens, den Beruf der Krankenschwester zu dieser Zeit, spezieller, den Beruf der jüdischen Krankenschwester.
Die Politik um 1900
Die Situation der Frankfurter Juden
Für die jüdische Bevölkerung Frankfurts entfiel 1812 der Ghettozwang. 1853 konnte man von weitgehenden staatsbürgerlichen und politischen Rechten für die Juden sprechen, besonders beeinflusst durch eine Reform des Wahlrechts. 1864 kamen die Gewerbefreiheit und die völlige Gleichstellung der Juden hinzu.
In der Diskussion um den Erhalt traditioneller Werte im Judentum trennte sich die Frankfurter jüdische Gemeinde um die Mitte des 19. Jahrhunderts in eine orthodoxe Israelitische Religionsgesellschaft und die Israelitische Gemeinde Frankfurts mit einem konservativen und einem liberalen Flügel.
1885 wurden die meisten Häuser der Judengasse, dem ehemaligen Judenghetto, abgerissen und die Gasse in Börnestraße umbenannt.
Das Deutsche Reich
Ab 1871, nach dem erfolgreichen Krieg der Deutschen gegen Frankreich und der deutschen Reichsgründung änderte sich Vieles grundlegend. Die Industrialisierung nahm stark zu, die Unterschiede zwischen Arbeitern und Bürgertum wuchsen, die Armut stieg an. 1875 entstand aus dem Proletariat heraus die sozialistische Arbeiterpartei. Otto von Bismarck, der Reichskanzler von 1871 bis 1890, erließ Sozialgesetze, wenn auch vor allem, um aufkommenden Protest aus dem Proletariat zu beruhigen. So beschnitt einerseits das Sozialistengesetz von 1878 zunächst die Rechte der sozialdemokratischen und sozialistischen Vereine. Andererseits wurden soziale Zugeständnisse gemacht, durch so fundamentale Änderungen wie der Einführung der Krankenversicherung 1883, der Unfallversicherung 1889, der Invaliditäts- und Altersversicherung und der Rentenversicherung 1891 (vgl. kaiserreich-bismarcks-sozialgesetzgebung).
Im Dreikaiserjahr 1888 starb zunächst Wilhelm I., der bereits bei der Thronbesteigung sterbenskranke Sohn Friedrich II wurde nach dessen Tod von Wilhelm II beerbt. Wilhelm II. wollte „König der Bettler“ sein, er forderte das Verbot von Sonntagsarbeit, das Verbot von Nachtarbeit für Frauen und Kinder und das Verbot von Frauenarbeit während der letzten Schwangerschaftsmonate. Zumindest die Einschränkung von Arbeit für Kinder unter vierzehn Jahren bezeichnete Bismarck als „Humanitätsduselei“, er wurde 1890 als Kanzler entlassen (vgl. kaiserreich-bismarcks-sozialgesetzgebung).
Wilhelm II. wollte allerdings auch wieder mehr persönliche Macht, unabhängig von Reichskanzler und Regierung, womit er allerdings immer wieder mit den Bestimmungen der Verfassung in Konflikt kam, etwa bei dem Versuch Ausnahmegesetze gegen die Sozialdemokratie durchzusetzen. Auch außenpolitisch war er offensichtlich ungeschickt, in der Daily-Telegraph-Affäre von 1908/09 stiftete er Verwirrung, indem er die deutsche Außenpolitik in mehrfacher Hinsicht bloßstellte, die Briten fanden Wilhelm anmaßend, die Franzosen und Russen taktlos (vgl. daily-telegraph-affaire). Als Ergebnis war Reichskanzler von Bülows Position gefestigt und Wilhelm lenkte auf eine verfassungsgemäße Linie ein (vgl. obrigkeitsstaat-und-basisdemokratisierung).
Wirtschaft
(vgl. Geschichte_Deutschlands)
Die Zeit ab ca. 1890 wird heute als erstes deutsches Wirtschaftswunder bezeichnet. Mit ihren Stärken in der Großchemie, Elektrotechnik und beim Maschinenbau stand das Deutsche Reich 1913 in der Weltindustrieproduktion an zweiter Stelle hinter den USA, im Welthandel ebenfalls auf dem zweiten Platz hinter Großbritannien. Für viele Menschen, besonders in der Industriearbeit besserten sich dadurch die Lebensverhältnisse und die Gründung von Gewerkschaften war eine Folge. Immer schwerer hatten es die Menschen, die ihr Geld in häuslicher Arbeit oder im traditionellen Handwerk verdienten
Antisemitismus
(vgl. Etablierung_im_Kaiserreich)
Durch Schuldzuweisungen an die Juden in der Wirtschaftskrise von 1873 und der darauffolgenden Pleitewelle bei Geschäften und Unternehmen, wurde der Antisemitismus geschürt. Wilhelm Marr gründete 1879 die „Antisemitenliga“ und Max Liebermann von Sonneberg und Bernhard Förster gründeten 1881 den antisemitischen Deutschen Volksverein (vgl. antisemitische-parteien). Den „Rassegedanken“ förderten z. B. 1890 Paul de Lagarde mit seiner Publikation „Deutsche Schriften“, er trat für die Einheit von „Rasse und Religion“ ein. 1899 sprach Houston Stewart Chamberlain, der Schwiegersohn von Richard Wagner, von der „germanischen“ bzw. der „arischen Rasse“. Die antisemitischen Parteien gewannen 1893, mit 2,9 % der Stimmen, 16 Mandate im deutschen Reichstag.
Medizinische Entwicklung
(vgl. zeittafel_daten_zur_geschichte_der_medizin und Zeittafel_medizinischer_Fortschritte)
Die Schwesternschülerinnen der Ausbildungsjahrgänge 1893 bis 1902 kamen in ein Berufsfeld, das von enormen medizinischen Entdeckungen und Neuerungen im 19. Jahrhundert geprägt war.
Hinweis: Die Tabelle wird aktuell überarbeitet
Gemeinsam mit der Medizin entwickelten sich die Krankenhäuser und damit die Pflege. Die Pflegehistorikerin Eva-Maria Ulmer schreibt, dass das alte Hospital sich „von einer Aufbewahrungsstätte für mittellose Kranke, Alte und Gebrechliche zu einem medizinischen Zentrum, in dem nur noch Kranke sein sollten“ entwickelte (vgl. der-beginn-der-beruflich-ausgeuebten-pflege). Weiter führt sie an, dass durch diese Veränderung auch begüterte Gesellschaftsgruppen in die Krankenhäuser kamen, und die Ärzte entdeckten das Krankenhaus für sich als einen Ort der Forschung und Lehre (vgl. ebd.). Die Medizin definierte sich nun als Naturwissenschaft, die Pflegehistorikerin Hilde Steppe beschreibt: Nachdem man lange, im Mittelalter, Mensch, Welt, Leib und Natur als verschieden, jedoch nicht erforschbare Objekte gesehen habe und Krankheit als Strafe Gottes verstanden habe, habe man in der Renaissance begonnen den Körper zu untersuchen. Natur und Körper würden nun getrennt gesehen, wissenschaftlich-rationale Erklärungsmodelle seien nun von Gesundheit und Krankheit entwickelt worden: „Gesundheit wird in diesem Kontext bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zu einem bürgerlichen Ideal, welches individuell zu verantworten, staatlicherseits zu unterstützen und durch wissenschaftlich qualifizierte Experten zu kontrollieren ist.“ (Steppe 1997: 43)
Die Entwicklung in Medizin, Pflege und Krankenhauswesen wurden gefördert, so Steppe, da, durch die industrielle Revolution die Gesundheit der arbeitsfähigen Bevölkerung eine besondere Bedeutung erhalten hatte (vgl. ebd.). Innerhalb des Gesundheitswesens manifestierten weiterhin die Männer ihre Vorherrschaft. Frauen waren zuständig für die Hilfsdienste, das Medizinstudium war ihnen lange verwehrt. Es sollten, so Ulmer, „nicht mehr nur religiös gebundene Schwestern oder Wartepersonal, proletarische, nicht ausgebildete Frauen und Männer, sondern gebildete Frauen, die die notwendige Betreuung während der Abwesenheit der Ärzte sicherstellen konnten“ den Pflegeberuf ergreifen.
Professionalisierung des Krankenschwesternberufs
(Vgl. der-beginn-der-beruflich-ausgeuebten-pflege)
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kann man die Pflegeverbände grob in vier Gruppen einteilen. Die katholischen Ordenspflege, aus Frankreich kommend. Die evangelische Diakonissenpflege, die sich 1936 in Kaiserswerth unter Theodor Fliedner in einer Diakonissenanstalt etablierten. Die dritte große Gruppe war die Schwesternschaft des Roten Kreuzes und viertens die frei arbeitenden Schwestern. In Zahlen heißt das:
1876 | 1898 | |
Gesamtzahl: | 8.681 | 26.427 |
In katholischen Mütterhäusern | 5.763 | 12.427 |
In evangelischen Mütterhäusern | 1.760 | 7.576 |
Andere | 525 | 3.613 |
Freie Schwestern | 655 | 2.398 |
Quelle: Jutta Helmerichs (Helmerichs 1992)
Zur Ausprägung der Lerninhalte des Pflegepersonals berichtet Ulmer: So seien es nicht die Krankenschwestern, die die Inhalte ihrer Berufsausbildung formten. Es seien in erster Linie gut ausgebildete Frauen, die die Ärzte vertreten konnten, wenn diese nicht am Krankenbett stünden, gegangen. Auch nach der nochmaligen Steigerung der Patientenzahlen in Folge der Einführung des Krankenversicherungsgesetztes wurde die Forderung nach Krankenpflegeausbildung lauter, die unabhängig von den Orden bestimmt wurde und den Einbezug der Erkenntnisse der Medizin forderte. Auch aus der Frauenbewegung kamen Forderungen nach einer professionellen Ausbildung, einer angemessenen Bezahlung und einer Ausbildung, die spezielle Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln sollte. Das Krankenpflegegesetz von 1907 regelte dann die Ausbildung der Krankenpflegerinnen und sah einen staatlichen Abschluss vor. Davor wurden die variierenden Ausbildungsinhalte von den unterschiedlichen Mutterhäusern festgelegt (vgl. der-beginn-der-beruflich-ausgeuebten-pflege)
Um die Anforderungen an das Pflegepersonal zu erfüllen nahm die Professionalisierung des Krankenschwesternberufs, auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft zu.
Die jüdische Krankenpflege
„Rosalie Jüttner aus Posen war 1881 vermutlich die erste Pflegerin, die an einem jüdischen Krankenhaus in Deutschland ausgebildet wurde“ (Seemann / Bönisch 2011, 51-74). Dr. Simon Kirchheim und sein Assistenzarzt Dr. Theophil Jaffé unterrichteten sie etwa ein Jahr lang am Hospital der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main. Im Abschlusszeugnis hieß es: „Dieselbe hat während dieser Zeit […] tief in allen Zweigen der Krankenpflege sowie in kleinen chirurgischen Verrichtungen und leichteren Verbänden sich zu unterrichten genügend Gelegenheit gehabt […] und selbständig die Krankenpflege einer Abteilung zum Schluß geleitet.“ Danach arbeitete Rosalie Jüttner in der Privatpflege, vermutlich in Posen, da ihre Ausbildung von der jüdischen Gemeinde in Posen angefordert worden war (vgl. Verein für jüdischen Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1902).
In den folgenden Jahren diskutierten die jüdischen Gemeinden deutschlandweit über die Notwendigkeit eine eigene berufliche Krankenpflege zu etablieren. Federführend war deren 1872 konstituierter Dachverband, der Deutsch-Israelitische Gemeindebund (DIGB). Der DIGB förderte die Diskussion durch die Anforderung von Gutachten: So schrieb Dr. E. Stern aus Berlin, dass er in der Stadt keinen Bedarf für eine eigene jüdische Pflege sähe, da die dortigen nichtjüdischen Institutionen ausreichten und weibliche jüdische Gemeindemitglieder sich ehrenamtlich um die Kranken kümmerten; anders sei jedoch die Lage in ländlichen Gebieten. Bedenken äußerte er bezüglich klosterähnlicher Einrichtungen nach dem christlichen Mutterhausmodell, da „der unbedingte Gehorsam gegen die Kirche und ihre sichtbaren großen und kleinen Führer […]“ (zit. n. Steppe 1997: 92). dem Judentum nicht entspräche. Eine Umfrage unter den jüdischen Gemeinden ergab ein geteiltes Stimmungsbild: Die Gegner einer beruflichen Krankenpflege sahen den Aufgabenbereich der Frau in Ehe und Familie und betonten die heilige und deshalb ehrenamtlich zu erfüllende Pflicht des Krankenbesuchs. Trotz der Kontroversen beschloss der DIGB 1882 die „Förderung des jüdischen Krankenpflegewesens“ und verabschiedete 1883 einen Organisationsplan zur finanziellen Unterstützung (z. B. Übernahme der Ausbildungskosten) künftiger jüdischer Krankenpflegerinnen. Die erste Liste interessierter Kandidatinnen umfasste neun Namen.
Ein wichtiges Argument für die berufsmäßige jüdische Pflege sah man darin: „Das Judentum [zu] repräsentieren und Anerkennung durch das deutsche Bürgertum [zu] erwerben“ (Steppe 1997: 306). Damit dieses Ziel erreicht werden konnte, sollten „Jüdische Krankenschwestern [ … ] die Besten sein, mit den neuesten medizinischen Wissensstand, mit persönlich untadeligem Verhalten, mit ständiger Bereitschaft zum Einsatz und ständiger Verkörperung positiver jüdischer Normen“ (ebd.).
Die gemeinsame räumliche Umgebung der
Krankenpflegerinnen des Vereins
Die Lebensform „Mutterhaus“
Im Rahmen der Professionalisierung der jüdischen Krankenpflege wurde über die Unterbringung von Schwestern in Mutterhäusern diskutiert. Mit dieser Form einer Lebensgemeinschaft waren vor allem die evangelischen Diakonissenhäuser gemeint, die, nach der Idee Theodor Fliedners, seit 1836 mit der Gründung der Diakonissenanstalt in Kaiserswerth, entstanden. „Fliedner übernahm Teile des katholischen Modells, die Abgeschiedenheit und die karitativ-christliche Auffassung der Krankenpflege. Andererseits springt die Orientierung am bürgerlichen Modell der Familie ins Auge, der Theologe und die Oberin an der Spitze, darunter die „Kinder“ (Diakonissen), für die gesorgt wird, alle in einem Haus. Dieses als Mutterhaus beschriebene System ist eine typisch deutsche Entwicklung, in der persönliche Unfreiheit mit sozialer Absicherung verbunden war […]. Auch die jüdischen Krankenpflegevereine organisierten sich als Mutterhäuser“ (der-beginn-der beruflich-ausgeuebten-pflege), wenn auch weit mehr „weltlicher“ an der Rechtsform des Vereins orientiert (vgl. Steppe 1997: 251).
Das „Häuschen“
Neben dem alten Hospital der Israeltischen Gemeinde in der Königswarterstraße mietete 1893 der neu gegründete Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt e. V. „eine erste Unterkunft, das ,Häuschen‘“ (Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1920: 19). Die Adresse war Am Thiergarten. Die Straße Am Thiergarten führte damals um den Zoo herum, ein kleiner Teil berührte auch die Fläche des Grundstücks um das Hospital (vgl. Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1898: 4). Im Lauf der Zeit nannten die Bewohnerinnen es das „Häuschen“. Im Jahresbericht des Vereins für 1897 lassen sich die Lebensbedingungen im Vereinshaus nachlesen: Eine Lernschwester, die sich verpflichtete, nach Vollendung der Ausbildungszeit mindestens weitere drei Jahre dem Verein anzugehören, wird „unter die Vereinsschwestern aufgenommen, erhält völlig freie Station (Wohnung, Kost, Heizung, Beleuchtung, Dienstkleidung, Wäsche) im Vereinshause und in den ersten zwei Jahren 360 Mk. jährliches Gehalt, das von da ab alle zwei Jahre um 60 Mk. bis zum Höchstgehalt von 600 Mk. steigt. Dienstunfähig gewordene Pflegerinnen erhalten eine angemessene Pension“ (Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1897: 449). In dem zitierten Rechenschaftsbericht von 1897 wurde auch darauf hingewiesen, dass das angemietete Schwesternhaus nicht mehr ausreiche, und man rief zu Spenden für ein neues eigenes Haus auf.
1898 verließen die Schwestern die bisher vom israelitischen Gemeindehospital überlassene Wohnung „Am Thiergarten“ und bezogen vorübergehend ein provisorisches Heim in der „Unteren Atzemer 16“ (vgl. Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1899: 4).
Untere Atzemer 16
1898 zogen die Krankenschwestern in die Untere Atzemer 16, zwei Querstraßen entfernt vom Israelitischen Gemeindehospital. Heute ist vom Haus bekannt, dass zuvor von 1888 bis 1897 in dem Haus der Maler Gustav Ballin mit seiner Familie lebte (vgl. Frankfurter Adressbücher).
Schräg gegenüber stand das 1881/82 erbaute Bruderhaus der Barmherzigen Brüder, deren Krankenhaus an diesem Ort wohl noch bis weit in das 20. Jahrhundert genutzt wurde (vgl. https://www.frankfurt-lese.de/index.php?article_id=323).
Das Haus 16 befand sich dort, wo heute Betriebsflächen des Frankfurter Zoos untergebracht sind.
Das neue Gebäude in der Königswarterstraße 20
1899 wurde ein Grundstück neben dem Königswarter Hospital angekauft. Nach einem Ausschreibungsverfahren erhielt der Architekt Max Seckbach den Zuschlag für einen Neubau des Schwesternhauses (vgl. Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1900: 4) 1902 schließlich zogen die Schwestern in das neue Gebäude in der Königswarterstraße 20 um (Vgl. Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1899: 4). Über die Architektur, die Inneneinrichtung und vor allem das Leben in diesen ersten Schwesterhäusern wissen wir zum jetzigen Zeitpunkt recht wenig. Viel mehr Informationen haben wir über das Schwesternhaus, welches 1914 in der Bornheimer Landwehr 85 neu eröffnet wurde.
Die Schwestern im Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main und ihre Ausbildungsstätte
Der Verein
Die Ärzte Simon Kirchheim und Alfred Günzburg und – vor allem der Bankier Meier Schwarzschild – planten 1893 die Gründung eines Vereins zur Förderung der jüdischen Krankenpflege. Ebenso begannen die zwischen 1889 und 1893 ausgebildeten Krankenschwestern Minna Hirsch, Frieda Brüll, Klara Gordon, Lisette Hess und Thekla Mandel sich zu organisieren, sie bildeten den „Verband jüdischer Krankenpflegerinnen“. Beide Initiativen zusammen gründeten am 23.10.1893 den „Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main“. Zur Oberin war bereits Minna Hirsch gewählt worden.
Die Pflegewissenschaftlerin Hilde Steppe bezieht sich in den folgenden Angaben auf die Satzung und Bestimmungen des Vereins von 1893 und, da diese nicht vollständig erhalten sind, von 1900 (vgl. Steppe 1997: 202f.). Erreichen wollte man mit dem Verein, dass jüdische Mädchen eine Ausbildung zur Krankeschwestern bekamen und, dass ausgebildete jüdische Krankenschwestern für die bezahlte Privatpflege und die kostenlose Armenpflege für Patienten aller Konfessionen zur Verfügung standen (Steppe 1997: 202, dort vgl.: Verein zur Ausbildung jüdischer Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main, Populärwissenschaftliche Monatsblätter 13/1893 Nr. 11, S. 248-250).
Jeder und jede konnte Mitglied werden und auch den Vereinsbeitrag selbst bestimmen (vgl. ebd.). Der Vorstand, unter Vorsitz von Dr. Simon Kirchheim, setzte sich aus neun Männern (mindestens zwei Ärzten) zusammen, alle sollten in Frankfurt ihren Wohnsitz haben. Dem Vorstand war es vorbehalten über die Zulassung von Bewerberinnen zu bestimmten, die Hausordnung festzulegen, wie auch Bestimmungen zum Dienstablauf, zur Pension und zu den Gehältern oder auch die Bestimmung der Oberin. Sämtliche Bezahlungen von Dienstleistungen gingen direkt an den Verein, es gab also keinen Arbeitsvertrag, sondern die Schwestern und Schülerinnen unterschrieben die Einwilligung in die Bestimmungen des Vorstands (vgl. ebd.).
Zu den Aufnahmebestimmungen zur Ausbildung gehörten (vgl. ebd.): Die Schwesternschülerinnen sollten Angehörige der jüdischen Konfession sein, zwischen 21 und 36 Jahren alt sein, einen tadellosen Ruf haben, gesund und arbeitsfähig sein, sie sollten mindestens Elementarschulkenntnisse haben und Erfahrung in Hausarbeit.
Die Ausbildung selbst (ein Jahr lang) fand in Frankfurt oder Köln statt (Stand 1893). Gehorsam gegenüber Vorgesetzten und Achtung der Hausordnung waren Bedingungen. Es gab eine Probezeit von drei Monaten, die Kündigungsfrist war für die Schülerinnen zwei Wochen. Während der Ausbildung erhielten die Schülerinnen freie Kost und Logis, plus 10 RM im Monat als Taschengeld.
Es gab eine Abschlussprüfung (hausintern) inklusive einer Gesundheitsprüfung, die zum Eintritt in die Schwesternschaft berechtigte. Nach drei verpflichtenden Jahren erhielten die Schwestern letztlich ihr Diplom und wurden dann Mitglied im Verein. Die Möglichkeit nach den religiösen Vorschriften zu leben, auch in der Privatpflege, wurde ihnen zugesichert (z.B. arbeitsfreier Sabbat). Sie brauchten nicht mehr als zwei Nachtwachen hintereinander zu leisten, gerade in der Privatpflege wurden ihnen für jeden Tag ein bis zwei Stunden Spaziergänge außer Haus zugesagt.
Weiter fasst Steppe zusammen (vgl. Steppe 1997: 204 ff.): Am Ende des ersten Vereinsjahres (1893) beherbergt der Verein 10 ausgebildete Krankenschwestern. Davon sechs, die vor der Vereinsgründung ausgebildet wurden. Von den 10 waren drei in Frankfurt und eine in Köln im Asyl für Kranke und Altersschwache. Eine Schwester war zu dieser Zeit krank, somit konnten fünf Schwestern den Dienst als Privatpflegerinnen anbieten, was von Patienten aller Konfessionen angenommen wurde. Darüber hinaus waren drei Schülerinnen in Frankfurt zur Ausbildung, Ausbilder war Dr. Deutsch und weitere drei waren in Köln in der Betreuung von Dr. Auerbach.
Eine Bilanz des ersten Jahres fiel sehr positiv aus. Der Verein hatte bereits 662 Mitglieder und die Spendenbereitschaft für den Verein und seine Pensionskasse war groß. Die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen war stark, z. B. bewarben sich im zweiten Jahr 23 Frauen, von denen allerdings nur vier genommen werden konnten. Anfragen kamen auch aus den Niederlanden und Dänemark. Bereits im ersten Jahr konnte eine kostenlose Armenschwester zur Verfügung gestellt werden. Angefordert durch praktische Ärzte, kümmerten sie sich neben der Krankenpflege auch um Lebensmittel Wäsche oder Geld. Dies entsprach der traditionellen jüdischen Wohltätigkeit.
Sowohl im ersten als auch im zweiten Jahr starben je eine junge Krankenschwester, die eine, Hedwig Kerb, an Hirnhautentzündung, die andere, Rosa Salinger, an einer schweren Infektion (vgl. Steppe 1997: 204, 205).
1898 kam eine Kooperation mit dem Israelitischen Krankenhaus in Hamburg hinzu. Die Frankfurter Vereinsschwester Klara Gordon wurde Oberin in Hamburg.
Das Hospital der Israelitischen Gemeinde
Die Wohnorte der Schwestern und Schwesternschülerinnen waren direkt an ihre Ausbildungs- und Arbeitsstätte angebunden, dem Hospital der Israelitischen Gemeinde in der Königswarterstraße 26, die zur Bauzeit noch Grüner Weg hieß (vgl. Beschreibung der am 27. Juni 1875 stattgefundenen Feierlichkeiten…).
Zu den, bis Mitte des 19. Jahrhunderts, insgesamt in Frankfurt am Main bestehenden Krankeneinrichtungen kamen bis 1888 weitere 11 Krankenhäuser hinzu (vgl. Steppe 1997: 182). Beispielsweise: ein Haus der evangelischen Diakonissen 1870, die Diakonissinnen der Methodisten führen seit 1876 das Bethanien-Krankenhaus, Barmherzige Brüder eröffneten 1882 ein Hospiz, Barmherzige Schwestern ebenfalls 1882 oder das St. Elisabethenkrankenhaus in Bockenheim. Bei der Gründung eines Hospitals der Israelitischen Gemeinde war besonders Sanitätsrat Dr. Heinrich Schwarzschild hervorzuheben, sein Wunsch war es, das veraltete Medizinwesen und Pflegewesen zu ergänzen bzw. abzulösen (vgl. Chronik Hospital der Israelitischen Gemeinde).
So kam es zur Errichtung des Hospitals der Israelitischen Gemeinde 1875, gefördert durch das Stifterehepaar Elisabeth und Isaac Königswarter, zu deren Ehren der Grüne Weg in Königswarterstraße umbenannt wurde.
Zu Beginn war das Hospital für 80 Betten geplant und sollte, gemäß den medizinischen Entwicklungen, angepasst werden können (vgl. Steppe 1997: 197). Entsprechend der 1886 neu gefassten Hospitalordnung war das Krankenhaus vorgesehen für Frankfurter Gemeindemitglieder und deren Dienstboten, wie auch für anderen in Frankfurt wohnende Israeliten und auf Reisen befindlichen Personen und für Personen, die durch die städtischen Behörden eingewiesen wurden (vgl. ebd.).
Das Personal bestand zunächst aus angelernten Wärterinnen und Wärtern. Sowohl Verwaltung (Abraham Seckbach) als auch der ärztliche Leiter (Dr. Simon Kirchheim) befürworteten Reformen, so dass 1881 Rosalie Jüttner aus Posen die vermutlich erste in einem jüdischen Krankenhaus ausgebildete Krankenschwester war. Dr. Kirchheim und sein Assistent Dr. Theophil Jaffé waren die Ausbilder.
Die um das Thema der Notwendigkeit einer eigenständigen jüdischen Krankenpflege entstandene Debatte wurde bereits im Kapitel „Die jüdische Krankenpflege“ weiter oben angesprochen.
Im Königswarter Hospital erhielten auch die Krankenschwestern, die später den Verein jüdischer Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main gründeten ihre Ausbildung. Minna Hirsch, Lisette Hess, Thekla Isaacsohn, Frieda Brüll/verheiratete Wollmann und Klara Gordon.
Ausgebildet wurden die Schwesternschülerinnen durch die Ärzte des Hospitals. Ab 1877 war Simon Kirchheim Hospitalsarzt, Max Hirschberg Operateur. Assistenzärzte waren ab 1870 Dr. Teophil Jaffé, ab 1886 Dr. Alfred Günzburg, ab1891 Dr. Adolf Deutsch, von 1895 ab Dr. M. Sachs. Als die Aufgaben 1897 getrennt wurden, war Dr. Deutsch Armenarzt, und Assistenzarzt war Dr. L. Berlizheimer, ab 1900 Dr. Jakob Meyer.
Im Jahr 1901 wurde das erste Mal eine Erweiterung oder ein Neubau des Hospitals erörtert. Nachdem der Polizeipräsident das Fehlen von Tageräumen im alten Hospital in der Königswarterstraße angemahnt hatte und mit Schließung drohte, war der Gemeindevorstand im Zugzwang und gründete eine Kommission zur Prüfung des Ausbaus des alten Hospitals oder der Möglichkeit eines Hospitalneubaus. Die Kommission bestand neben Mitgliedern des Vorstands des Gemeindeausschusses und des städtischen Pflegeamts aus den Hospitalärzten Dr. Kirchheim und Dr. Hirschberg. 1904 folgte die Empfehlung für einen Neubau, der zehn Jahre später, 1914, eingeweiht wurde (vgl. Hanauer 1914: 55).
Die Schwesternschülerinnen der Jahre 1893 bis 1902
Tabellarische Aufzeichnung
(vgl. Steppe 1997: 225 – 227)
Lfd. Nr. | Name | Aus- bidungsjahr | Lebensdaten | Geburtsort | Sterbeort | Berufliche Karriere und Weiteres | Link zu weiteren Informationen |
1 | Hirsch, Minna | 1889 | 1860-1938 | Minna Hirsch | |||
2 | Brüll, Frieda | Vor 1893 | 1866-1942 | Frieda Brüll | |||
3 | Gordon, Klara | Vor 1893 | 1866-1937 | Klara Gordon | |||
4 | Hess, Lisette | Vor 1893 | 1867-1913 | Lisette Hess | |||
5 | Mandel, Thekla | Vor 1893 | 1867-1941 | Thekla Mandel | |||
6 | Pinkoffs, Emma | Vor 1893 | 1863-1940 | Gollnow, Pommern | Berlin | Ab 1907 Oberin Jüdisches Krankenhaus mit Altenheim in Hannover. 1937 Pensionierung und Umzug nach Berlin | Emma Pinkoffs |
7 | Schlesinger, Betty | 1893 | 1866-1940? | Pforzheim | Privatpflege, ab 1907 in Basel, Oberin Basel, ab 1908 wieder in Frankfurt, auch Säuglingsfürsorge, 1914-18 Lazarettpflege. Letzter bekannter Aufenthalt: Gurs | Betty Schlesinger | |
8 | Levy, Clemence | 1893 | ? | 1894, 95 ausgeschieden aus dem Verein | ? | ||
9 | Levy, Sophie | 1893 | ? | 1901 ausgeschieden aus dem Verein | ? | ||
10 | Kahn, Franziska | 1893 | ? | 1894, 95 ausgeschieden aus dem Verein | ? | ||
11 | Strauss, Julie | 1893 | ? | Ausbildung in Köln, 1899 Übertritt in den Kölner Verein | ? | ||
12 | Ettlinger, Anna | 1894 | ? | Ab 1907 Leiterin Säuglingsmilchküche im Schwesternheim, 1910-1914 Krankenschwester im Genesungsheim der Kann-Stiftung in Oberstedten, 1914 pensioniert | Anna Ettlinger | ||
13 | Goldstein, Rosa | 1894 | 1874-1942 | Göppingen | Theresienstadt | Armenpflegerin. Um 1904 Leiterin der Kostkinderkommission bei der „Weiblichen Fürsorge“. 1904 verlässt sie den Verein. Späterer Name: Rosa Fleischer | Rosa Goldstein |
14 | Kerb, Hedwig | 1894 | ?-1896 | Ist vermutlich sehr jung gestorben. | Hedwig Kerb | ||
15 | Hartog, Margarethe | 1894 | ? | Privatpflege, Israelitisches Krankenhaus Hamburg und in Heilbronn, während des ersten Weltkriegs besonders Rehabilitation der Verwundeten durch „Handfertigungskurse“,1917 pensioniert | Margarethe Hartog | ||
16 | Salinger, Rosa Erna | 1895 | ?-1897 | Kurz nach der Ausbildung an einer Infektionskrankheit gestorben. | Rosa Erna Salinger | ||
17 | Beermann, Johanna | 1895, Köln | 1863-1942 | Wittlich, Südeifel | Frankfurt a.M. | Jüdisches Krankenhaus Köln, um 1913 Hamburg und Basel in der Privat- und Armenpflege. Dann in Frankfurt in der Säuglingsmilchküche. 1920 Pensionierung. 1940 zwangsweise vom Schwesternheim ins Gagernkrankenhaus umgezogen. 1942 Suizid in Frankfurt am Main. | Johanna Beermann |
18 | Abraham, Jenny | 1895, Köln | Pflege in Köln, 1897 verlässt sie den Schwesternverein. | jenny Abraham | |||
19 | Salinger, Fanny | Vor 1897 | Ausgeschieden 1903, 1904, im ersten Weltkrieg Pflege im Lazarett 27 | ||||
20 | Maier, Sophie | Vor 1897, Köln | 1865-1940 | Bergkirchen, Kreis Minden | Frankfurt am Main | Privatpflege, Stationen in den Frankfurter Vereinsaussenstellen: „Königswarter Hospital“, Hamburg, Heilbronn, Neuenahr. Oberin in Neuenahr. Oberin und Leiterin des Israelitischen Altenheims zu Aachen. Seit 1937 im Schwesternhaus verstorben, dort 1940 gestorben. | Sophie Maier |
21 | Bernstein, Rosy | 1897 | 1865-1944 | Bollinken, Pommern | Theresienstadt | Kurz nach der Ausbildung in Hamburg am Krankenhaus. Oberschwester. 1904 Zugehörigkeit zum Hamburger Verein. 1942 Deportation nach Theresienstadt. | Rosy Bernstein |
22 | Nordheim, Charlotte | 1897 | Tätig in der Privatpflege und im Krankenhaus, Auswanderung in die USA 1902. | ||||
23 | Neumark, Käthe | 1897 | 1871-1939 | Emden | Zandvoort, Niederlande | Ab 1902 nach Schulabschluss, Medizinstudium, 1910 Promotion in München. Ab 1912 Kinderärztin. 1914-15 Lazarettdienst im Vereinslazarett 27. Dann Sanitätsoffizierin in Halle. Ab 1919 Frankfurts erste Schulärztin. Ab 1933 Kinderheim in Zandvoort. Anne und Margot Frank waren hier 1934 Gäste. | Käthe Neumark |
24 | Holz, Ida | 1897 | 1875-1942 | Karlsruhe | Theresienstadt | Privatpflege, Armenpflegerin, „Königswarter Hospital“, 1909-1914 war sie Hausschwester im Genesungsheim der Kann-Stiftung in Oberstedten. 1914-18 Vereinslazarettzug P.I. 1942 Deportation nach Theresienstadt. Gestorben in Theresienstadt 1942. | Ida Holz |
25 | Salinger, Martha | 1898 | ?-1939? | Ca. 1904 Austritt aus dem Verein. Mehrfach ausgezeichnet als Feldschwester im ersten Weltkrieg. 1933-39 Oberin des Berliner jüdischen Krankenhauses und der Schwesternschaft. Vermutlich Ende 1939 Suizid. | Martha Salinger | ||
26 | Weil, Cécile | 1898 | Privatpflege und Israelitisches Gemeindekrankenhaus. 1908 Studium Zahnmedizin. Verheiratete Moses. 1914-18 Verwundetenpflege Lazarett 27. | Cécile Weil | |||
27 | Hirschberg, Rosalie (Alice) | 1899 | Ausgeschieden 1903 oder 04. | ||||
28 | Heymann, Blanka | 1899 | Privatpflege und Armenpflege und Krankenhaus. | ||||
29 | Frankenfelder, Selma | 1899 | 1880-1944 | Heidingsfeld | Auschwitz | 1905 Hochzeit mit Adolf Frank. 1914-18 Verwundetenpflege. 1942 Deportation nach Theresienstadt. 1944 Deportation nach Auschwitz und Tod in Auschwitz. | Selma Frankenfelder |
30 | Spiro, Rahel | 1900 | 1876-1949 | Prostken, Ostpreußen | Manchester | Privatpflege und Krankenhaus in Frankfurt und Hamburg. Ab 1907 im Gumpertz’schen Siechenhaus. Oberin und Verwalterin des Hauses. 1914-18 Oberin des Lazaretts 27. Austritt aus dem Verein und Hochzeit mit Hermann Seckbach dem Verwalter des Alten- und Pflegeheims, eine Tochter. 1942-45 Häftling in Theresienstadt. Rettungstransport in die Schweiz, Wiedersehen mit Mann und Tochter in Manchester. Sie starb 1949 in Manchester. | Rahel Spiro (Beitrag) |
31 | Glaser, Julie | 1900 | 1878-? | Würzburg | Privatpflege und Krankenhaus in Frankfurt a.M. 1911-14 Oberin in Straßburg. 1914-18 Oberin Festungslazarett XXI B in Straßburg. 1918 wieder in Frankfurt. Ab 1925 Nachfolge von Minna Hirsch als Oberin im Frankfurter Krankenhaus. 1941 Deportation nach Litzmannstadt. | Julie Glaser | |
32 | Simon, Clara (Claire) | 1901 | Sie kam aus Trier zur Ausbildung. Dann Privatpflege, Hamburg und in Heilbronn in den Krankenhäusern. 1917 wurde sie Oberin im Krankenhaus der Israelitischen Krankenkasse (Frauenkrankenkasse). | ||||
33 | Adelsheimer, Sarah | 1901 | 1877-1965 | Jebenhausen | Tel Aviv | 1902-1914 Pflege im Königswarter Hospital. Auch Armen- und Privatpflege. 1914-18 Kriegskrankenpflege in Bulgarien. 1925 Oberin des Schwesternvereins. 1933 Emigration nach Palästina. | Sarah Adelsheimer |
34 | Cohn, Emma (Eva) | 1901 | Ca. 1903, 1904 verließ sie den Verein. | Emma (Eva) Cohn | |||
35 | Lehmann, Elise | 1902 | Pensioniert 1907. | ||||
36 | Philipp, Olga | 1902, Hamburg | 1903, 1904 ausgeschieden. | ||||
37 | Ruth? | 1903 | Privatpflege, pensioniert 1910. | ||||
38 | Ella? | 1903 | Privatpflege, ausgeschieden 1909 wg. Heirat. |
Biografien der Schwesternschülerinnen
In der Bilanz der ersten zehn Jahre verzeichnete man 43 Schülerinnen, die der Verein zur Ausbildung aufgenommen hatte (vgl. Eröffnungsfeier 1902). Da nicht alle Schülerinnen die Ausbildung beendeten und nicht alle der Ausgebildeten im Verein geblieben waren, gab es zu diesem Zeitpunkt, Ende der ersten 10 Jahre, 24 aktive Schwestern. 13 dieser Aktiven waren in der Privatpflege tätig, eine als Armenschwester. Im Frankfurter Hospital arbeiteten fünf und in Hamburg drei der aktiven Schwestern. Thekla Mandel war Oberin des Gumpertz’schen Siechenhauses, eine weitere Schwester war zu dieser Zeit beurlaubt (vgl. Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1902. Zur Anerkennung für ununterbrochene Tätigkeit im Verein hatten sechs der Schwestern die „goldene Brosche“ erhalten. Die professionelle jüdische Krankenpflege in Frankfurt hatte sich fest etabliert. Der Bedarf nach weiterem ausgebildetem Personal blieb weiter hoch (vgl. Steppe 1997:207).[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column][vc_column_text]Zunächst verweise ich hier kurz auf vier Biografien zu denen es bereits ausführliche Artikel auf der Internetseite www.juedische-pflegegeschichte.de gibt.
Ausbildung 1900, Oberin in Straßburg ab 1911, Oberin im Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde ab 1925 (1878 – 1941 deportiert).
Ausbildung 1897, Studium und Promotion Medizin 1910, Kinderärztin, Lazarettdienst, Sanitätsoffizierin, Schulärztin in Frankfurt a.M. ab 1919, Kinderheim in Zandvoort ab 1933.
Ausbildung 1900, Oberin und Verwalterin des Gumpertz`schen Siechenhauses ab 1907, Oberin des Lazaretts im Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde 1914-18, Heirat mit Hermann Seckbach, Verwalter des Gumpertz`schen Siechenhauses, Interniert in Theresienstadt, Exil in Manchester mit Mann und Tochter.
Ausbildung 1901, 1902-1914 Pflege im Königswarter Hospital einschließlich Armen- und auch Privatpflege, 1914-18 Kriegskrankenpflege in Bulgarien, teils im Lazarettzugab „P 1“, 1925 Oberin des Schwesternvereins, 1933 im Exil in Palästina.
Im zweiten Teil der Biografien führe ich vier weitere Lebenswege auf, die typische Werdegänge von Schwestern zeigen, die in den Jahren 1893 bis 1902 ausgebildet wurden.
Betty Schlesingers Kurzbiografie zeigt einen erfolgreichen Berufsweg, der beispielhaft für ausgebildete Krankenpflegerinnen ihrer Generation ist.
Sie wurde am 8. Oktober 1866 in Pforzheim geboren. 1893 wurde sie zur Ausbildung im Frankfurter Verein aufgenommen. Zum Dienstjubiläum 1903 erhielt sie die „Goldene Brosche“ des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins (vgl. Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1920: 21). Viele Jahre arbeitete sie in der Privatpflege bis sie 1907 vom Verein in die Schweiz geschickt wurde, um Oberin des im Dezember 1906 eröffneten Israelitischen Spitals zu Basel zu werden. Hieraus sieht man die fachliche Kompetenz Betty Schlesingers, wie auch die internationale Bedeutung der Frankfurter jüdischen Krankenpflegevereins.
1908 kehrte Betty Schlesinger nach Frankfurt zurück und wirkte bis 1911 u.a. im Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge. 1912 schied sie aus dem Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main aus, kehrte jedoch 1914 zurück, um sich an der Pflege von Verwundeten zu beteiligen.
Zuletzt lebte Betty Schlesinger in ihrer Geburtsstadt Pforzheim. Von dort aus wurde die 74-jährige Pensionärin am 22.10.1940 in das südfranzösische Lager Gurs deportiert, wo sich ihre Spuren verlieren.
Sophie Meyers Werdegang zeigt die Möglichkeit die Ausbildung in Köln zu starten.
Geboren wurde Sophie Meyer (manchmal auch Maier, später auch „Schwester Bertha“) am 27. Februar 1865 in Bergkirchen (gehört heute zu Bad Oeynhausen). Zur Ausbildung als Krankenpflegerin kam sie 1897 ins Kölner Jüdische Krankenhaus (Israelisches Asyl für Kranke und Altersschwache) (vgl. Steppe 1997: 226 und ISG: Blatt 51). Nach ihrer Ausbildung arbeitete sie in der Privatpflege, im Frankfurter Hospital der Israelitischen Gemeinde („Königswarter Hospital“), im Israelitischen Krankenhaus Hamburg sowie in Heilbronn und (Bad) Neuenahr. Alle Orte, in denen sie sich aufhielt und arbeitete, hatten Vereinbarungen mit dem Frankfurter jüdischen Schwesternvereins geschlossen.
Auch Sophie Meyer erhielt 1907 zu ihrem zehnjährigen Dienstjubiläum die „Goldenen Brosche“ des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins. Seit 1910 leitete sie das Israelitische Krankenheim in Bad Neuenahr (vgl. alemannia judaica). Ab 1913 leitete sie im Auftrag des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins das Israelitische Altenheim in Aachen.
Sophie Meyer zog 1937 von der Frankfurter Jügelstraße 46 in die Bornheimer Landwehr 85 (dem Schwesternhaus des Vereins), wo sie 1940 starb (vgl. Steppe 1997: 226).
Ida Holz‘ Arbeitsleben war während des ersten Weltkriegs geprägt von ihrer Tätigkeit im Lazarettzug P 1. Viele Jahre wirkte sie im Jüdischen Genesungsheim der Eduard und Adelheid Kann-Stiftung in Oberstedten (Oberursel/Taunus).
Geboren wurde Ida Holz am 11. Juli 1875 in Karlsruhe. Ihre Ausbildung erhielt sie 1897 in Frankfurt, wonach sie als Krankenpflegerin in der Privatpflege, als Armenpflegerin sowie als Krankenpflegerin im Hospital der Israelitischen Gemeinde Frankfurt tätig war. 1909 bis 1914 war sie Hausschwester des Jüdischen Genesungsheims in Oberstedten. Während des Ersten Weltkrieges pflegte Ida Holz Verwundete im Vereinslazarettzug P 1.
1919 war sie zunächst im Auftrag des Frankfurter Vereins für den Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge tätig. Dann als Oberin des Kann’schen Genesungsheims in Oberstedten (vgl. Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1920: 63.
Nach ihrer Pensionierung nutzte sie ihr Wohnrecht im jüdischen Schwesternhaus in der Bornheimer Landwehr 85. Als die Nazis das Gebäude räumten, musste Ida Holz zusammen mit ihren Kolleginnen in das Krankenhaus in der Gagernstraße 36 umziehen – die letzte Wohnadresse vor der Deportation. Ida Holz wurde am 19. August 1942 mit dem Transport XII/1 von Frankfurt in das Konzentrations- und Durchgangslager Theresienstadt deportiert. Von den 1013 Deportierten dieses Transports überlebten nach bisherigem Kenntnisstand nur 17 Menschen. Ida Holz starb am 5. Dezember 1942 im KZ Theresienstadt, offiziell an einer Lungenentzündung (vgl. Todesfallanzeige) Schwester Ida wurde 67 Jahre alt.
Rosa Goldstein (verheiratete Fleischer)
Rosa Goldstein wurde am 21. Januar 1874 in Göppingen (Baden-Württemberg) geboren. Ihre Ausbildung in Frankfurt am Main erhielt sie 1894, gefolgt von Arbeit in der Privat- und Armenpflege (vgl. Steppe 1997: 226).
Um 1902 setzte der Frankfurter jüdische Schwesternverein Rosa Goldstein als Leiterin der Kostkinderkommission des von Bertha Pappenheim und Henriette Fürth gegründeten Israelitischen Frauenvereins Weiblichen Fürsorge e.V. ein: „Hier werden Kinder ab einem Alter von etwa zwei Jahren, die entweder Waisen sind oder in ihren Familien zu verwahrlosen drohen, in Pflegefamilien in und um Frankfurt vermittelt und regelmäßig besucht.“ (Steppe 1997: 258)
Um 1903 verließ Rosa Goldstein den Schwersternverein und kehrt nach Göppingen zurück, um Leopold „Moritz“ Fleischer (1869-1938) zu heiraten. Um 1905 zieht das Ehepaar nach Cannstadt (heute Bad Cannstadt). In Cannstadt war Leopold Fleischer als Prokurist bei der Mechanischen Gurten- und Bandweberei Gutmann und Marx angestellt. Rosa Fleischer gebar die Kinder Edgar Siegfried (1906-1937), Sofie Gabriele (1909-?) und Elisbeth Beate (1918-1941).
Edgar Bönisch, Stand November 2021
Quellen
Archivmaterial
- ISG – Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main: Hausstandsbuch HB 655, Bornheimer Landwehr 85.
- Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1897: Jahresbericht. Stiftung Neue Synagoge Berlin-Centrum Judaicum. Sign. 1, 75 C Ge1 Nr. 972.
- Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1898: 5. Jahresbericht. Stiftung Neue Synagoge Berlin-Centrum Judaicum. Sign. 1, 75 C Ge1 Nr. 973.
- Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1899: 6. Jahresbericht. Stiftung Neue Synagoge Berlin-Centrum Judaicum. Sign. 1, 75 C Ge1 Nr. 973.
- Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1900: 7. Jahresbericht mit Anhang. Die Eröffnungsfeier, Stiftung Neue Synagoge Berlin-Centrum Judaicum. Sign. 1, 75 C Ge1 Nr. 973.
- Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1902: 9. Jahresbericht mit Anhang. Die Eröffnungsfeier, Stiftung Neue Synagoge Berlin-Centrum Judaicum. Sign. 1, 75 C Ge1 Nr. 973.
Literatur
- Beschreibung der am 27. Juni 1875 stattgefundenen Feierlichkeiten zur Einweihung des Hospitals… : erbaut von der Familie Königswarter ; gedruckt am ersten Jahrestage der Einweihung 27. Juni 1876, Frankfurt a.M. 1876.
- Bude, Heinz 2000: Qualitative Generationsforschung, in: Uwe Flick, Ernst von Kardoff, Ines Steinke (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Hamburg 2000, 187-194.
- Eröffnungsfeier 1902: Anhang zum IX. Jahresbericht des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main, Frankfurt am Main.
- Hanauer, Wilhelm 1914: Festschrift zur Einweihung des neuen Krankenhauses der Israelitischen Gemeinde zu Frankfurt am Main.
- Helmerichs, Jutta 1992: Krankenpflege im Wandel (1890 bis 1933). Dissertation Universität Göttingen.
- Levinsohn Wolf 1996: Stationen einer jüdischen Krankenschwester. Deutschland – Ägypten – Israel, Frankfurt am Main.
- Seemann, Birgit / Bönisch, Edgar 2011: „…sei er arm oder reich, Jude, Christ oder Araber.“ In: Kozon, Vlastimil; Seidl Elisabeth; Walter, Ilsemarie (Hrsg.): Geschichte der Pflege – Der Blick über die Grenze. Wien, 51-74.
- Seemann, Birgit / Bönisch, Edgar 2019: Das Gumpertz’sche Siechenhaus – ein „Jewish Place“ in Frankfurt am Main. Geschichte und Geschichten einer jüdischen Wohlfahrtseinrichtung. Frankfurt am Main.
- Steppe, Hilde 1997: „… den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre…“.
- Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1920: Rechenschaftsbericht für die Jahre 1913 bis 1919, Frankfurt am Main.
Internetquellen
Die genutzten Internetquellen sind an den betreffenden Stellen des Textes in den Fußnoten angegeben oder als Link hinterlegt, sie wurden im Lauf des Julis und Augusts 2020 abgerufen und überprüft. Viele der Fußnoten und Internetquellen beziehen sich auf Einträge und Artikel der Datenbank: www.juedische-pflegegeschichte.de, dort sind weiterführende Angaben zu Literatur und Archivmaterial verzeichnet.