Jüdische Pflege- geschichte

Jewish Nursing History

Biographien und Institutionen in Frankfurt am Main

Ehemaliges Vorderhaus des Gumpertz'schen Siechenhauses

Gumpertz’sches Siechenhaus (1888 – 1941) – jüdische Pflege für die „Aermsten der Armen“ im Frankfurter Ostend

Einführung

Im Mittelalter fungierte ein Siechenhaus vor allem als Seuchenspital (etwa für Leprakranke). Dort wurden die ‚Insassen‘ von der gesunden Bevölkerung abgesondert und gleich Häftlingen teils ‚lebenslänglich‘ ‚verwahrt‘. Im Zuge der Industrialisierung wandelte sich das Siechenhaus zum Asyl für Bedürftige mit Gebrechen, chronischen Leiden und Behinderungen: Infolge des Zerreißens familiärer und dörflicher Netze durch Abwanderung in die Städte sowie der zunehmenden Spezialisierung der Hospitäler auf heilbar Kranke konnten sie nicht mehr versorgt werden und vegetierten dahin. Auch Betagte fanden Zuflucht: Vor der Einrichtung der „ersten reinen Alters- und Siechenheime“ im 19. Jahrhundert waren sie noch „in Armen- und Arbeitshäusern untergebracht worden, in denen auch ‚Personen mit schlechtem Leumund‘, ‚Schwachsinnige‘, ‚unverbesserliche Alkoholisten‘, ‚Arbeitsscheue‘ und Straffällige lebten“ (Graber-Dünow 2013: 245). Gebrechliche mussten für ihren Unterhalt arbeiten, Anstaltskleidung tragen und sogar körperliche Misshandlungen fürchten. Hier galt es Abhilfe zu schaffen: Professionelle „Unheilbarenhäuser“ (Stolberg 2011: 71) wurden zu Vorläufern der heutigen modernen Alten- und Pflegeheime und stationären Hospize. In Frankfurt am Main gehörten hierzu außer dem Gumpertz´schen Siechenhaus das städtische Armen- und Siechenhaus Sandhöfer Allee (später Krankenhaus Sandhof), das Schmidborn-Rückersche Siechenhaus, das vom Diakonissenverein betriebene Karl und Emilie Jaegersche Kindersiechenhaus und seit 1922 auch das jüdisch gegründete Krankenhaus Rödelheim (vgl. Aktenbestand im ISG Ffm).


Die beschleunigte Industrialisierung im Wilhelminischen Kaiserreich stellte auch die jüdischen Gemeinden vor neue Herausforderungen. So stieg etwa im Frankfurter Stadtteil Ostend, wo einkommensschwache Jüdinnen und Juden wohnten und seit den 1880er Jahren immer wieder antisemitisch Vertriebene aus Osteuropa eintrafen, der Pflegebedarf. Die Israelitische Religionsgesellschaft (konservative Austrittsgemeinde, die die größere liberale Israelitische Gemeinde zu Frankfurt am Main verlassen hatte) sorgte sich zudem um die angemessene rituelle Betreuung jüdischer Pflegebedürftiger. Ergebnis dieser Überlegungen war eine eigenständige stationäre Einrichtung für gebrechliche, unheilbar kranke und bettlägerige Bedürftige jüdischen Glaubens: das Gumpertz´sche Siechenhaus, das gemäß der Bestimmungen von Bikkur Cholim (jüdische Pflicht zum Krankenbesuch bzw. zur Krankenpflege) aber auch Nichtjuden offen stand. Nach bescheidenen Anfängen vereinte das Siechenhaus unter einem Dach eine professionelle Kranken-, Schwerbehinderten-, Alten- und Armenpflege. Bald entwickelte es sich zu einem wichtigen Akteur des lokalen jüdischen Wohlfahrtssystems. Beeindruckend sind Zahl und Umfang der Zustiftungen und Spenden durch Angehörige beider Frankfurter jüdischen Gemeinden: für Freibetten, Geräte zur medizinischen Behandlung und Pflege, Bücher und kulturelle Aktivitäten, die Ausrichtung der religiösen Feiern, die Errichtung und Instandhaltung der 1911 eingeweihten Haussynagoge (vgl. GumpSiechenhaus 1909 u. 1913ff.). Die große Bedeutung der Synagoge für die Bewohner/innen des Heims zeigt sich u.a. darin, dass das Siechenhaus mit Salomon Wolpert einen eigenen Hausrabbiner beschäftigte.

Die Anfänge

Fotografien: Persönlichkeiten der Frankfurt-Loge Bne Briss.
Persönlichkeiten der Frankfurt-Loge Bne Briss
Nachweis: Gut, Elias 1928: Geschichte der Frankfurt-Loge (1888-1928). Frankfurt a.M. 1928 (zwischen S. 70 u. 71)

1888 initiierte die Frankfurter jüdische Stifterin Betty Gumpertz den nach ihr benannten Verein Gumpertz´sches Siechenhaus, um „unbemittelten, dauernd kranken, siechen Personen beiderlei Geschlechts, Unterkunft und Pflege zu gewähren“ und ihnen anstatt bloßer Verwahrung eine kompetente „ärztliche Fürsorge“ angedeihen zu lassen (GumpStatut 1895: 3). Laut Statut war die Absicht „darauf gerichtet, dass bei den Leistungen des Vereins das Religionsbekentniss ausser Betracht bleibe. Da dieses Ziel jedoch mit Rücksicht auf die […] Mittel des Vereins nicht erreichbar ist, so sollen nur Kranke israelitischer Religion berücksichtigt werden. Wenn solche jedoch nicht vorhanden sind, so dürfen auf Beschluss des Vorstands auch Nichtjuden aufgenommen werden“ (ebd.: 4). Die Antragsteller/innen sollten „gut beleumdet“ – dem prüfenden Vorstand war ein Zeugnis über ihr „sittliches“ Verhalten vorzulegen – und mindestens zwei Jahre in Frankfurt „ortseingesessen“ sein. Aufnahme und Betreuung erfolgten in der Regel unentgeltlich. Satzungsgemäß bestand im Siechenhaus „ein Raum für die Verrichtung der Andacht nach streng israelitischem Ritus“ (ebd.: 5), wo nach deren Ableben der Stifterin Betty Gumpertz selbst und verstorbenen Angehörigen ihrer Familie gedacht werden sollte.
Im Jahre 1895 bestand der Vorstand des Vereins Gumpertz´sches Siechenhaus aus dem bekannten Sozialreformer und Vorsitzenden Charles L. Hallgarten sowie Michael Moses Mainz (stell. Vors.), Julius Goldschmidt (Schriftführer, später Präsident), Joseph Holzmann (Gegenschreiber), Direktor Hermann Rais (Kassierer), Hermann Schott (Oeconom), Raphael Ettlinger(stellv. Schriftführer u. stellv. Oeconom), dem Bankier Otto Höchberg (Beisitzer) sowie Rechtsanwalt Dr. Julius Plotke. Vermutlich deshalb, weil Frauen laut Preußischem Vereinsgesetz im Deutschen Kaiserreich bis 1908 keinen Verbänden oder Vereinen vorstehen durften, gestaltete Betty Gumpertz ihre Stiftung als Ehrenmitglied und „Ehrendame“ (ebd.: 8); sie war zudem befugt, eine zweite Ehrendame zu benennen. Am 11. Mai 1895 erhielt das Gumpertz´sche Siechenhaus den Status als juristische Person.

Die Standorte

Fotografie: Rückertstraße, um 1865/68, Sicht von Hanauer Landstraße aus.
Rückertstraße, um 1865/68, Sicht von Hanauer Landstraße aus. Dort lagen die Anfänge des Gumpertz´schen Siechenhauses.
© Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main

Das Gumpertz´sche Siechenhaus startete 1888 als kleine stationäre Einrichtung in der Rückertstraße (Arnsberg 1983 Bd. 1: 764 u. Bd. 2: 120; Cohn-Neßler 1920: 174; Schiebler 1994: 135, 282). Die Aufnahmekapazitäten waren schnell erschöpft. Betty Gumpertz´ Großspende von 60.000 RM ermöglichte den Erwerb des Grundstücks Ostendstraße 75, wo 1892 ein Gebäude mit anfangs 20 Betten eröffnet wurde (ISG Ffm: Wohlfahrtsamt Sign. 877). Als offizielles Gründungsdatum des Gumpertz´schen Siechenhauses legte der Vorstand des Vereins den 10. Oktober 1892 fest. Im September 1893 stellte eine weitere großzügige Stifterin, Träutchen Höchberg, dem immer stärker nachgefragten Siechenhaus 50.000 RM zur Verfügung (vgl. Schiebler 1994: 135). Dennoch stießen die Räumlichkeiten angesichts des anhaltenden außerhäuslichen Pflegebedarfs wieder an ihre Grenzen. 1898 (vgl. GumpBericht 1899: 894-895) erwarb der Gumpertz’sche Verein das Grundstück Röderbergweg 62-64. Noch im gleichen Jahr bezogen die ersten Bewohner/innen zusammen mit Oberin Thekla Mandel die dortige alte Villa (von der Gumpertz’schen Verwaltung später als ‚Hinterhaus‘ bezeichnet). Der Standort Ostendstraße 75 wurde parallel weitergeführt, bis das jüdische Pflegeheim 1899 ganz in den Röderberweg wechselte und die Liegenschaft verkaufte. Unter der neuen Adresse „Röderbergweg 62“ war das Gumpertz’sche Siechenhaus erstmals 1900 in Mahlau’s Frankfurter Adressbuch (32. Jg. 1900 für das Jahr 1899) erwähnt.

1905 erfolgte die Angliederung der (unselbständigen) Minka von Goldschmidt-Rothschild-Stiftung an den Verein Gumpertz´sches Siechenhaus: Dank der von Mathilde von Rothschild in die Wege geleiteten umfangreichen Schenkung von etwa 1 Million Mark entstand im Röderbergweg 62-64 ein Neubau mit mindestens 60 Betten, der mitunter „Rothschild´sches Siechenhaus“ genannt wurde. „[…] durch diesen mitten in dem alten Park liegenden Prachtbau“ wurde das israelitische Kranken- und Siechenheim, wie dessen langjähriger Verwalter Hermann Seckbach hervorhob, „in die Lage versetzt, seine Kranken bei erforderlichen Operationen und dergl.[eichen] selbst behandeln und verpflegen zu können, denn das Stiftungsgebäude enthält Operationssäle, Röntgeneinrichtung, Laboratorium und die verschiedenartigsten elektrischen und sonstigen Bäder“ (Seckbach 1917). Neben dem neu errichteten ‚Vorderhaus‘ umfasste die Liegenschaft Röderbergweg 62-64 noch ein kleineres altes ‚Hinterhaus‘ (Gebäude des Vereins des Gumpertz´schen Siechenhauses), das dem leitenden Arzt Dr. Alfred Günzburg einige Sorge bereitete: „In die neue Stiftung sind gemäß dem ausdrücklichen Wunsch der Stifterin [Mathilde von Rothschild für ihre 1903 verstorbene Tochter Minka, B.S.] nur Frauen aufgenommen worden, während die Männer im alten Hause – einer notdürftig zu Krankenhauszwecken umgewandelten alten Villa – verpflegt werden. Hier fehlt es an Bädern, an Closets und an Spülküchen. Es ist kein Aufenthaltsraum vorhanden! Ein Personenaufzug ist dringend nötig, um Schwerbewegliche in den Garten bringen zu können. Jetzt tritt an den Vorstand die dringende Aufgabe heran, das Männerhaus derartig umzubauen, dass es den wichtigsten Anforderungen der modernen Gesundheitspflege entspricht“ (GumpSiechenhaus 1909, S. 7f.).

Dokument: Grundriss Villa "Rothschild'sches Siechenhaus".
Grundriss Villa „Rothschild’sches Siechenhaus“ (Vorderhaus des Gumpertz’schen Siechenhauses), Röderbergweg 62-64 (um 1907)
© Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Sign. S8_2_767

Die dringend notwendigen Umbaumaßnahmen fanden statt, und auch das große ‚Vorderhaus‘ wurde weiter modernisiert. Die Unterteilung in ein ‚Männerhaus‘ (Hinterhaus) und ein ‚Frauenhaus‘ (Vorderhaus) bestand noch während des Ersten Weltkrieges.
Neben der Krankenpflege im Rothschild´schen Spital und der Kinderkrankenpflege im Rothschild´schen Kinderspital war das auf Behinderten-, Siechen- und Altenpflege spezialisierte Gumpertz´sche Siechenhaus der dritte Pfeiler des Pflegeangebots im Röderbergweg (siehe hierzu auch Eckhardt 2006; Krohn 2000). Alle drei Einrichtungen standen der konservativ-jüdischen Religionsgesellschaft nahe und untereinander im engen Austausch.[

Lazarett im Ersten Weltkrieg

Gleich nach Beginn des Ersten Weltkriegs beteiligte sich das Gumpertz´sche Siechenhaus 1914 an der Frankfurter Kriegskrankenpflege. Als Lazarett 33 geführt, richtete es im ersten Stock des Vorderhauses eine Schwerkrankenstation für Offiziere und Mannschaften mit bis zu 40 Betten ein. Dort kamen Soldaten aller Konfessionen unter, so dass im Lazarett neben den jüdischen Feiern auch das Weihnachtsfest abgehalten wurde. „Es war von der Mobilmachung bis zum 12. Dezember 1918 belegt, verpflegte 671 Soldaten, darunter 434 Verwundete. Außerdem wurden dort 154 Militärpersonen ambulant behandelt“ (Jüdischer Schwesternverein Ffm 1920, S. 36). Der Verwalter Hermann Seckbach nahm auch das Lazarett unter seine bewährte Fittiche. Unter der Leitung seiner späteren Frau, Thekla (Mandel) Isaacsohns Nachfolgerin Oberin Rahel Spiero, pflegten dort einige ihrer Kolleginnen vom Verein jüdischer Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main, deren Namen bisher leider nicht überliefert sind. Auch die Bewohner/innen des Siechenhauses blieben nicht untätig: Einige männliche Patienten errichteten eine Jahrzeitstiftung für Gefallene, „und zwar wird täglich in unserer Anstalts-Synagoge während des Trauerjahres und am Todestage für alle Zeiten ein Licht gebrannt und abwechselnd von den Patienten das Kaddischgebet verrichtet“ (Rechenschaftsbericht 1914 u. 1915 (1916, S. 7), vgl. GumpSiechenhaus 1913ff.).

Dokument: Gumpertz´sches Siechenhaus, Rechenschaftsbericht für 1914/15, 1916 (Deckblatt).
Gumpertz´sches Siechenhaus, Rechenschaftsbericht für 1914/15, 1916 (Deckblatt)
Online-Ausgabe: Frankfurt am Main: Univ.-Bibliothek, 2011

Neben dem Lazarett musste der laufende Pflegebetrieb weitergeführt werden: „Am 1. Januar 1916 waren in unseren Anstalten 35 Frauen und 22 Männer. In den drei Jahren kamen neu hinzu 24 Frauen und 20 Männer. Es starben, bzw. wurden entlassen, 28 Frauen und 25 Männer, sodaß am 1. Januar 1919 31 Frauen und 17 Männer sich in unseren Anstalten befanden“ (Rechenschaftsbericht 1916, 1917 u. 1918 (1919, S. 4), vgl. GumpSiechenhaus 1913ff.). Anlässlich des 25jährigen Jubiläums des Gumpertz´schen Siechenhauses betonte der Verwalter und Autor Hermann Seckbach, der auch publizistisch für seine Schützlinge eintrat, 1917 in den ‚Frankfurter Nachrichten‘: „[…] so hat man schon seit Jahren es als wichtigste Aufgabe betrachtet, die mit [sic!] einer längeren Krankheit Befallenen nicht einfach hindämmern zu lassen. So finden wir […] eine Anzahl Fälle, die dem Leben und ihrer Familie wieder zurückgegeben werden konnten, oder die innerhalb der Anstalt selbst als Mitarbeiter sich betätigen“ (Seckbach 1917).
Nach Kriegsende halfen Mathilde von Rothschild und die Familie ihrer verstorbenen Tochter Minka – deren Ehemann Max von Goldschmidt-Rothschild und die gemeinsamen Kinder Albert, Rudolf, Lili, Lucy und Erich sowie aus Paris Minkas Schwester Adelheid de Rothschild –, das Gumpertz´sche Siechenhaus durch die schwierigen Inflationsjahre zu bringen. 1923 ließ der deutsch-argentinisch-jüdische Getreidemillionär und Frankfurter Stifter Hermann Weil dem Siechenhaus eine Million Mark zukommen.

Die 1920er Jahre

In Fanny Cohn-Neßlers auch heute noch lesenswerten Zeitungsbericht „Das Frankfurter Siechenhaus“ von 1920 heißt es lobend: „Die Minka-von Goldschmidt-Rothschild-Stiftung, ein stattliches langgestrecktes Gebäude im roten Sandstein und Ziegelbau, in der Nähe des Ostbahnhofes (Hanauer Bahn) und eines schönen Parks gelegen, richtet ihre Front nach dem Röderbergweg. Das Siechenhaus, aus einem Legat der Frau Gumpertz herstammend […] hat nunmehr ein eigenes großes Haus im Garten des obengenannten Stifts erhalten. Diese beiden Anstalten erfreuen sich eines besonderen guten Rufes unter den Wohlfahrtsanstalten der alten Reichsstadt. […] es ist in Frankfurt stehende Redensart: die beste Verpflegung und das beste Einvernehmen unter den Anstaltsbewohnern findet man in diesen beiden Häusern, die doch eins sind; denn beide Anstalten sind für dauernd kranke, sieche Personen eingerichtet“ (Cohn-Neßler 1920: 174 [Hervorheb. im Orig.]). Die Autorin gewährt uns auch Einblicke in die innere Architektur und Ausstattung: „Beim Eintritt in das Stift gelangt man in das vornehm wirkende Vestibül. Marmorbekleidung, abwechselnd mit gelb polierten Holzflächen, die Wände Spiegel, breite Treppen aus Holz mit geschnitztem Geländer“ (ebd.). Im Parterre des hier geschilderten Vorderhauses der Minka von Goldschmidt-Rothschild-Stiftung befanden sich u.a. das Ärztezimmer, das Zimmer der Hausschwester, Untersuchungs- und Operationsräume, das Röntgenzimmer sowie der bei Feierlichkeiten genutzte Speisesaal. Besonders beeindruckte die Besucherin Fanny Cohn-Neßler ein Raum, der ganz von einem riesigen Schabbesofen (Backofen zum Warmhalten der Speisen für den Schabbat) ausgefüllt war: „Das Haus wird in streng ritueller Weise geführt. Der Schabbesofen hält die Speisen und Getränke während des gesamten Samstags in gleichmäßig heißer (hoher) Temperatur. Für eine Personenzahl von etwa hundert – die Verwaltung, Pflege, Bedienung mit einbegriffen. Eine Tunnelbahn verbindet beide Grundstücke [Vorder- und Hinterhaus, B.S.]. Der Speisenzug (Lowrywagen) fährt hin und her und befördert die Speisen samt dem nötigen Geschirr, Bestecks [sic] usw. in die verschiedenen Aufzüge, die sich in allen Etagen befinden. Die große Küche, mit allen Einrichtungen der Neuzeit versehen, ist im Souterrain; auch eine Pessachküche. […] Im zweiten Stock ist die Waschanstalt mit Dampfbetrieb, ganz nach dem Muster großer Dampfwäschereien in Berlin und anderen Städten eingerichtet“ (ebd.). Die Zimmer der Männer- und der Frauenabteilung waren in Weiß gehalten. Ein großes Konversationszimmer förderte die Kommunikation der noch bewegungsfähigen Bewohner/innen.


Infolge der spätestens seit dem Lazarettbetrieb verstärkten Spezialisierung des Gumpertz´schen Siechenhauses auf die medizinische Behandlung Langzeitkranker bezeichnete es sich im Namenszusatz zeitweilig als „Israelitisches Krankenheim“. Um seine finanziellen Nöte zu beheben – wie fast alle sozialen und Pflegeinstitutionen kämpfte das Siechenhaus in den 1920er Jahren mit wirtschaftlichen Problemen – strebte der Vorstand dessen Aufwertung zum Krankenhaus an, doch wurde es, da Kurzzeitpflege und Ambulanz fehlten, von Amts wegen weiterhin als Siechen- bzw. Pflegeheim eingestuft. Wohl aus diesem Grund schränkte es 1922 den Betrieb seines Krankenheims zugunsten der Altenpflege ein. 1929 musste das Gumpertz´sche Siechenhaus sein Hauptgebäude (Vorderhaus) mit 90 Betten (mit Aufstockungskapazität mit bis zu 120 Betten) für zunächst 20 Jahre an die Stadt Frankfurt am Main vermieten, die, zum Beispiel im Hinblick auf Epidemien, eine Erweiterung der städtischen Krankenversorgung anstrebte. Das Siechenhaus selbst zog sich in sein zweites Gebäude (Hinterhaus), eine Villa mit 30 Betten, zurück. Am Hinterhaus setzte die Stadt Frankfurt zwischen 1929 und 1932 unter Leitung des Architekten Max Cetto vertraglich festgelegte Neubaumaßnahmen um: ein größerer Anbau, ein Waschhaus und ein Pförtnerhäuschen. Für das Vorderhaus übernahm die Stadt Frankfurt als Mieterin Instandhaltungs- und Renovierungsarbeiten, auch plante sie Erweiterungsbauten mit integrierten Schwesternwohnungen. Am 27. Juli 1931 wurde das Vorderhaus laut Magistratsbeschluss dem Stadtgesundheitsamt als Krankenanstalt zugewiesen, die Verwaltung übernahm das Pflegamt des Hospitals zum Heiligen Geist. Aus verschiedenen Gründen, zu denen die stark fluktuierende Belegung der Frankfurter Krankenhausbetten zählte, blieb das Hinterhaus jedoch bis zur NS-Zeit ungenutzt (ISG Ffm: Wohlfahrtsamt Sign. 877; Magistratsakten Sign. 8.957).

Die NS-Zeit

Nach der NS-Machtübernahme beabsichtigte die Stadt Frankfurt die Untervermietung des Gumpertz´schen Vorderhauses an die Feldjägerei-Abteilung bei der Obergruppe V (Frankfurt am Main) der Sturmabteilung (SA) der NSDAP für deren Feldjägerinspektion, was sich zunächst nicht realisieren ließ. Deshalb kündigte die Stadt im Mai 1933 kurzerhand den Mietvertrag. Die Gumpertz´sche Stiftung, vertreten durch ihren Vorsitzenden Dr. Richard Merzbach, ging gerichtlich gegen die unvermittelte Vertragsaufhebung vor: Sie bedeute für das Gesamtprojekt den finanziellen Ruin und gefährde die Arbeitsplätze des langjährigen (vorwiegend christlichen) Pflegepersonals. Die SA-Feldjägerei-Abteilung machte in rüder Manier ihr Interesse auf Einzug geltend: Sollte die Stadt nicht entsprechenden Druck auf den jüdischen Vermieter ausüben, würde die Feldjägerinspektion gegebenenfalls ohne Erlaubnis einziehen, sie rückte das Siechenhaus sogar in die Nähe von Sabotage (ISG Ffm: Magistratsakten Sign. 8.957: Schreiben des Oberbürgermeisters Krebs v. 02.10.1933). Letztlich musste das Siechenhaus der Stadt das Vorderhaus zu ermäßigtem Mietzins und ohne die Auflage, das Gebäude nur für Krankenhauszwecke zu nutzen, überlassen. Nach einem Magistratsbeschluss vom 16. Oktober 1933 erfolgte am 4. November 1933 der Einzug der SA-Feldjägerei-Abteilung in das Vorderhaus, im April 1934 wohnten dort 65 Personen. So erhielt das Gumpertz´sche Siechenhaus, jetzt mit Anschrift Danziger Platz 15, auf eigenem Grundstück nationalsozialistische Nachbarn. Obendrein stand es weiter in Mietauseinandersetzung mit der Stadt, die ihre Zahlungen inzwischen eingestellt hatte. Offizieller Untermieter für das SA-Feldjägerkorps war von 1934 bis 1936 (mit Verlängerungsoption bis 1944) der ‚Preußische Fiskus‘, der sich mit der Stadt Frankfurt die Renovierungs- und Instandhaltungskosten teilen sollte, aber hierüber mit der Stadt stritt, zumal die Feldjägerei ihre Mietzahlungen herauszögerte. Nach deren Auszug wurden 1936/37 im Vorderhaus bis zu deren Verlegung in die Gutleutkaserne die 1. Polizeihundertschaft der Frankfurter Schutzpolizei Frankfurt am Main untergebracht, danach (1937) vorübergehend ‚Hitler-Urlauber-Kameradschaften‘, die sich aus älteren ‚verdienten‘ Nationalsozialisten – politischen Leitern, SA- und SS-Männern – zusammensetzten.


Seit Herbst 1937 sollte das Vorderhaus infolge verstärkter Nachfrage wieder als Alten- und Siechenheim genutzt und diesmal von der Gumpertz´schen Stiftung möglichst ‚preisgünstig‘ erworben werden. Eine Etage nutzte bereits seit 1936 die Frankfurter Abteilung des in Wiesbaden von dem Chirurgen und bekannten Luftfahrtmediziner Prof. Dr. em. Ludolph Brauer gegründeten ‚Forschungsinstituts für Arbeitsgestaltung, für Altern und Aufbrauch e.V.‘; in Kooperation mit der Deutschen Arbeitsfront (DAF) stellte sich das Institut in den Dienst der Optimierung der ‚arischen‘ Arbeitskraft, erforschte berufsbedingte Alterskrankheiten, führte Leistungsprüfungen (inklusive ‚Erbanlagen‘) durch und entwickelte Präventionsmaßnahmen. 1937 befanden sich im Untergeschoss des Vorderhauses Küche, Hauptanrichte für Speiseverteilung, Speise- und Umkleideräume für die Bediensteten, Räume zur Aufbewahrung von Krankenkleidung und gebrauchter Wäsche, Heizungs- und Warmwasserbereitungsanlagen, im Erdgeschoss eine Krankenabteilung mit 13 Betten, ein Zimmer für den ärztlichen Leiter besagten Forschungsinstituts nebst einem Schreibzimmer, einen Raum für den Herztätigkeitsschreiber, ein chemisches Untersuchungszimmer, zwei physikalische Untersuchungszimmer, die Röntgendiagnostik-Abteilung mit Dunkelkammer und das Pförtnerzimmer, im ersten und zweiten Obergeschoss je eine Krankenabteilung mit 38 Betten und Nebenräumen. Im Dachgeschoss lagen die Wohnräume für einen Arzt, eine Oberschwester, 15 Schwestern und 14 Hausangestellte. 1938 bezog die Stadt ihre Kaufabsicht bereits auf die Gesamtliegenschaft, die sich in Richtung Ostbahnhof bis zum Danziger Platz und an die Henschelstraße erstreckte, was der Gumpertz´sche Verein noch abwehren konnte. Im April 1938 musste er aber dem Verkauf seines Vorderhauses zustimmen, welches nun den Namen ‚Alters- und Siechenheim Röderbergweg‘, kurz Röderbergheim, erhielt. Die Betriebsführung übernahm das Hospital zum Heiligen Geist, das umfangreiche Umbau- und Renovierungsarbeiten vornehmen ließ. Das Röderbergheim wurde nach seiner offiziellen Eröffnung am 21. November in Übereinkunft mit dem Fürsorgeamt mit 26 (nichtjüdischen) Dauerkranken und Schwersiechen belegt (ISG Ffm: Magistratsakten Sign. 8.958).
Die (unselbständige) ‚Gumpertz´sches Siechenhaus und Minka von Goldschmidt-Rothschild-Stiftung‘ wurde am 28. September 1940 in den Zwangsverband ‚Reichsvereinigung der Juden in Deutschland‘ eingegliedert (ISG: Stiftungsabt.: Sign. 146). Am 7. April 1941 drängten die NS-Behörden die 46 Betreuten und ihre Pflegenden aus dem Hinterhaus und wiesen sie in das Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde (Gagernstraße 36) ein. Ihre biographischen Daten und ihr weiteres Schicksal sind noch unerforscht: Wurden sie wie Siegmund Keller und die Oberin des Gumpertz´schen Siechenhauses, Rahel Seckbach, in das Ghetto Theresienstadt deportiert? Fielen einige nicht nur der Schoah, sondern auch dem eugenischen NS-Behindertenmassenmord (T4) zum Opfer (hierzu Lilienthal 2009)? Nach den Hausstandsbüchern für die Gagernstraße 36 (ISG Ffm: Teil 2, Sign. 687) verstarben viele aus dem Haus Danziger Platz 15 Verschleppte noch im Krankenhaus, das für die Versorgung unheilbar Kranker gar nicht ausgestattet war. Hinsichtlich des Personals verzeichnet die ‚Deportiertendatenbank‘ der Gedenkstätte Börneplatz (Jüdisches Museum Frankfurt/M.) unter der Anschrift Danziger Platz 15 außer der langjährigen Hausangestellten Rachel Kaplan Edith Appel (Schwesternpraktikantin), Leopold Lion (Pförtner) und Zilla Reiss (Köchin, Lehrschwester), die Hausstandsbücher (ISG Ffm: Teil 2, Sign. 687) zudem Cornelie (Cornelia) Butwies (kfm. Angestellte, Pflegerin, S. 16, 18) und Klara Strauß (Köchin, S. 341). Anfang 1942 ‚verkaufte‘ die Reichsvereinigung der Juden unter NS-Bedingungen die Restliegenschaft Danziger Platz 15, wo die Kommandantur Frankfurt am Main sogleich ihre Frontleitstelle und eine Lehrküche der Luftwaffe einrichtete. 1944 erreichten die alliierten Luftangriffe auch die Liegenschaft des ‚arisierten‘ Gumpertz’schen/ Rothschild’schen Siechenhauses im Röderbergweg. Die (nichtjüdischen) Betreuten waren bereits vor den Bombardierungen verlegt worden: die chronisch Kranken in die Lange Straße (Hospital zum Heiligen Geist), die Siechen in das Waldkrankenhaus Köppern bei Friedrichsdorf (Taunus). Gerieten sie in das Räderwerk des eugenischen NS-Massenmordes (vgl. für Hessen u.a. Daub 1992; Hahn 2001; Leuchtweis-Gerlach 2001; Sandner 2003; siehe auch Graber-Dünow 2013)?

Fotografie: Teilansicht des ehemaligen Gumpertz'schen Siechenhauses, 1975.
Teilansicht des ehemaligen Gumpertz’schen Siechenhauses, 1975, fotografiert von Klaus Meier-Ude
© Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt am Main, Sig. S7C1998_30.569

1956 wurde auf dem Gelände des Röderbergwegs 72-92 (bald darauf geändert in Nr. 82) das August-Stunz-Zentrum, eine Altenpflegeeinrichtung der Arbeiterwohlfahrt, errichtet. Das ‚Vorderhaus‘ des ehemaligen Gumpertz’schen Siechenhauses im Röderbergweg 62-64 kam erst 1981 zum Abriss. Dort entstand ein größerer (1983 fertiggestellter) Anbau an das August-Stunz-Zentrum – es dient, wie zuvor das Siechenhaus, pflegebedürftigen Menschen.
Seit dem 25. Juni 2015 erinnert im Eingangsbereich des August-Stunz-Zentrums eine Gedenktafel an das Gumpertz’sche Siechenhaus.

Für wichtige Hinweise danke ich Simone Hofmann (B’nai B’rith Frankfurt Schönstädt Loge e.V.), Felicitas Gürsching † („Bibliothek der Alten“ des Historischen Museums Frankfurt a.M.), Hanna und Dieter Eckhardt (beide Geschichtswerkstadt der AWO (Arbeiterwohlfahrt) Frankfurt a.M.), Annette Handrich und Dr. Siegbert Wolf (beide Institut für Stadtgeschichte Frankfurt a.M.), Michael Lenarz (stellv. Direktor des Jüdischen Museums Frankfurt a.M.).

Birgit Seemann, 2013, aktualisiert 2019

Ungedruckte Quellen


ISG Ffm: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main:

Hausstandsbücher Gagernstraße 36: Sign. 686 (Teil 1); Sign. 687 (Teil 2)
Magistratsakten: Sign. 8.756: Fürsorgewesen: Siechenheime
Magistratsakten: Sign. 8.957: Städtische Krankenanstalten: Ermietung des Gumpertzschen [sic] Siechenhauses zur Unterbringung von Kranken und Weiterverpachtung an die Feldjägerei (1930–1938)
Magistratsakten: Sign. 8.958: Röderbergheim ehem. Gumpertzsches [sic] Siechenhaus [1939–1945]
Magistratsakten: Sign. T/ 3.028 (Tiefbau- und Hochbauamt, 1904, 1916) Magistrat: Nachträge Sign. 19 u. Sign. 110 Sammlung Ortsgeschichte / S3N: Sign. 5.150: Gumpertzsches [sic] Siechenhaus
Stiftungsabteilung: Sign. 157: Verein Gumpertz´sches Siechenhaus
Stiftungsabteilung: Sign. 146: Minka von Goldschmidt-Rothschild-Stiftung (1939-1940) Wohlfahrtsamt: Sign. 877 (1893–1928): Magistrat, Waisen- und Armen-Amt Frankfurt a.M.

Ausgewählte Literatur


Andernacht, Dietrich/ Sterling, Eleonore (Bearb.) 1963: Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden 1933-1945. Hg.: Kommission zur Erforschung der Geschichte der Frankfurter Juden. Frankfurt/M.

Anonym. 1909: [Rubrik ‚Vermischtes‘: Zeitungsnotiz Gumpertz´sches Siechenhaus.] In: Der Israelit, Nr. 50, 16.12.1909. Online-Ausg. Univ.-Bibliothek Frankfurt/M.: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hebis:30:1-151202.

Anonym. 1912: [Zeitungsnotiz: Wohlfahrtspflege.] In: Deutscher Reichsanzeiger (Berlin), Nr. 176, 25.07.1912. Online-Ausg. Univ.-Bibliothek Frankfurt/M.: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hebis:30:1-151202.

Arnsberg, Paul 1983: Die Geschichte der Frankfurter Juden seit der Französischen Revolution. Darmstadt, 3 Bände.

Cohn-Neßler, Fanny 1920: Das Frankfurter Siechenhaus. Die Minka-von-Goldschmidt-Rothschild-Stiftung. In: Allgemeine Zeitung des Judentums 1920, H. 16 (16.04.1920), S. 174-175 [Online-Ausg: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaica/].

Daub, Ute 1992: „Krankenhaus-Sonderanlage Aktion Brandt in Köppern im Taunus“ – Die letzte Phase der „Euthanasie“ in Frankfurt am Main. In: Psychologie und Gesellschaftskritik 16 (1992) 2, Online-Ausg. 2011: http://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/26651.

Eckardt, Hanna 2006: Der Röderbergweg, einst beispielhafte Adresse jüdischer Sozialeinrichtungen. In: Zu Hause im Ostend. 50 Jahre August-Stunz-Zentrum. Festschrift zum 50-jährigen Jubiläum. Hg. von der Geschichtswerkstatt der AWO Frankfurt am Main. Frankfurt a.M., S. 10-13.

Graber-Dünow, Michael 2013: Zur Geschichte der „Geschlossenen Altersfürsorge“ von 1919 bis 1945. In: Hilde Steppe (Hg.): Krankenpflege im Nationalsozialismus. 10., aktualis. u. erw. Aufl. Frankfurt/M., S. 245-255

GumpBericht 1899: Gumpertz’sches Siechenhaus [Bericht von der Hauptversammlung des Vereins]. In: Der Israelit 40 (1899) 46, S. 894-895

GumpSiechenhaus 1909: Sechzehnter Rechenschaftsbericht des Vereins „Gumpertz`sches Siechenhaus“ in Frankfurt a.M. für das Jahr 1908. Frankfurt/M.: Slobotzky.

GumpSiechenhaus 1913ff.: Rechenschaftsbericht des Vereins „Gumpertz`sches Siechenhaus“ und der „Minka von Goldschmidt-Rothschild-Stiftung“. Frankfurt/M.: Slobotzky, 1913ff. [Online-Ausg.: Univ.-Bibl. Frankfurt/M. 2011: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hebis:30:1-306391].

GumpSiechenhaus 1936: Gumpertz´sches Siechenhaus. [Bericht von der Generalversammlung des Vereins.] In: Der Israelit, 20.05.1936, Nr. 21, S. 14f. [Online-Ausg.: http://edocs.ub.uni-frankfurt.de/volltexte/2008/38052/original/Israelit_1936_21.pdf].

GumpStatut 1895: Revidirtes Statut für den Verein Gumpertz´sches Siechenhaus zu Frankfurt am Main. Frankfurt/M.: Druck v. Benno Schmidt, Stiftstraße 22. [ISG Ffm: Sammlung S3/N 5.150].

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Seemann, Birgit 2017: Judentum und Pflege: Zur Sozialgeschichte des orthodox-jüdischen Gumpertz’schen Siechenhauses in Frankfurt am Main (1888–1941). In: Nolte, Karin/ Vanja, Christina/ Bruns, Florian/ Dross, Fritz (Hg.): Geschichte der Pflege im Krankenhaus. Historia Hospitalium. Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Krankenhausgeschichte, Band 30. Berlin, S. 13-40

Seemann, Birgit/ Bönisch, Edgar (im Erscheinen): Das Gumpertz’sche Siechenhaus – ein „Jewish Place“ in Frankfurt am Main. Geschiche und Geschichten einer jüdischen Wohlfahrtseinrichtung. Einleitung von Eva-Maria Ulmer und Gudrun Maierhof. Frankfurt am Main

Seide, Adam 1987: Rebecca oder ein Haus für Jungfrauen jüdischen Glaubens besserer Stände in Frankfurt am Main. Roman. Frankfurt a.M.

Steppe, Hilde 1997: „… den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre …“. Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Frankfurt/M.

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Zenker, Dinah 2013: Spiritualität in der Pflege. Ein Ansatz und ein Plädoyer aus der Perspektive der jüdischen Orthodoxie. In: Dachs, Gisela (Hg.): Alter. Jüdischer Almanach der Leo Baeck Institute. Hg. im Auftr. des Leo Baeck Instituts Jerusalem. 2. Aufl. Berlin, S. 127-134

 Internetquellen in Auswahl (Aufruf aller Links im Beitrag am 20.10.2017)

Alemannia Judaica: Alemannia Judaica – Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum: www.alemannia-judaica.de.

ISG Ffm: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main (mit Datenbank): www.stadtgeschichte-ffm.de sowie http://www.ffmhist.de//h5>
www.juedischesmuseum.de.

MJ Ffm: Museum Judengasse Frankfurt am Main (Infobank): http://www.museumjudengasse.de/de/home/.

Das Schwesternhaus des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main in der Bornheimer Landwehr 85

Die Lebensform „Mutterhaus“

Im Rahmen der Professionalisierung der jüdischen Krankenpflege wurde über das mögliche Zusammenleben der Schwestern nachgedacht. 1872 hatte sich der Dachverband der jüdischen Gemeinden in Deutschland, der Deutsch-Israelitische Gemeindebund  (DIGB), konstituiert. Bei dessen Treffen im Jahr 1882 sprach sich Paul Jolowicz aus Posen für die Unterbringung jüdischer Krankenpflegerinnen in „Asyle[n] für alleinstehende Frauen und Mädchen“ nach dem Modell der Mutterhäuser in christlichen Einrichtungen aus (vgl. DIGB 1882, zit. nach Steppe 1997: 91). Mit dieser Form einer Lebensgemeinschaft waren vor allem die evangelischen Diakonissenhäuser gemeint, die, nach der Idee Theodor Fliedners, seit 1836 mit der Gründung der Diakonissenanstalt in Kaiserswerth entstanden. „Fliedner übernahm Teile des katholischen Modells, die Abgeschiedenheit und die karitativ-christliche Auffassung der Krankenpflege. Andererseits springt die Orientierung am bürgerlichen Modell der Familie ins Auge, der Theologe und die Oberin an der Spitze, darunter die „Kinder“ (Diakonissen), für die gesorgt wird, alle in einem Haus. Dieses als Mutterhaus beschriebene System ist eine typisch deutsche Entwicklung, in der persönliche Unfreiheit mit sozialer Absicherung verbunden war […]. Auch die jüdischen Krankenpflegevereine organisierten sich als Mutterhäuser“ (Ulmer 2009), wenn auch weit mehr „weltlicher“ an der Rechtsform des Vereins orientiert (Steppe 1997: 251)

Vorläufer des Schwesternhauses in der Bornheimer Landwehr
Schon neben dem alten Hospital der jüdischen Gemeinde in der Königswarterstraße mietete 1893 der neu gegründete Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt e. V. „eine erste Unterkunft, das ,Häuschen‘“ Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1920: 19). Im Jahresbericht des Vereins für 1897 lassen sich die Lebensbedin-gungen im Vereinshaus nachlesen: Eine Lernschwester, die sich verpflichtete, nach Vollendung der Ausbildungszeit mindestens weitere drei Jahre dem Verein anzugehören, wird „unter die Vereinsschwestern aufgenommen, erhält völlig freie Station (Wohnung, Kost, Heizung, Beleuchtung, Dienstkleidung, Wäsche) im Vereinshause und in den ersten zwei Jahren 360 Mk. jährliches Gehalt, das von da ab alle zwei Jahre um 60 Mk. bis zum Höchstgehalt von 600 Mk. steigt. Dienstunfähig gewordene Pflegerinnen erhalten eine angemessene Pension“ (Rechenschaftsbericht 1897: 449). In diesem Rechenschaftsbericht wird auch darauf hingewiesen, dass das angemietete Schwesternhaus nicht mehr ausreichte, und man zu Spenden für ein neues eigenes Haus aufrief. 1898 verließen die Schwestern die bisher vom israelitischen Gemeindehospital überlassene Wohnung „Am Thiergarten“ und bezogen vorübergehend ein provisorisches Heim in der „Unteren Atzemer 16“ (vgl. Jahresbericht 1899: 4). 1899 wurde ein Grundstück neben dem Königswarter Hospital angekauft. Nach einem Ausschreibungsverfahren erhielt der Architekt Max Seckbach den Zuschlag für einen Neubau des Schwesternhauses (vgl. Jahresbericht 1900: 4). 1902 schließlich zogen die Schwestern in das neue Gebäude in der Königswarterstraße 20 um. Über die Architektur, die Inneneinrichtung und vor allem das Leben in diesen ersten Schwesterhäusern wissen wir zum jetzigen Zeitpunkt recht wenig. Viel mehr Informationen haben wir über das Schwesternhaus, welches 1914 in der Bornheimer Landwehr 85 neu eröffnet wurde.[

Die Einweihungsfeier
Nachdem die jüdische Gemeinde beschlossen hatte, einen neue Klinik in der Gagernstraße 36 neu zu erbauen, plante auch der Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main für sein Schwesternhaus einen Neubau in der Bornheimer Landwehr 85, direkt neben dem neuen Gemeindehospital. Als Architekt wurde, wie für das Hospital, Franz Roeckle beauftragt.

Am 10. Mai 1914 fand die Einweihung des Gebäudes statt, Vertreter der Behörden und „weitere Kreise“ waren wegen des beengten Platzes nicht geladen. Versammelt waren jedoch die aktiven und viele der älteren Schwestern, die dem Verein zum Teil schon gar nicht mehr angehörten. Mitglieder der Jüdischen Gemeinde, die Ärzte des Krankenhauses und Vertreter des Pflegamtes waren anwesend. Vertreter des Dachverbandes Jüdischer Krankenpflegevereine (DVJK) waren ebenfalls dabei.
Im Namen der Verwaltung hielt Theodor Schlesinger eine Ansprache, aus der hier ein kurzer Ausschnitt wiedergegeben ist: „Und nun, liebe Schwestern, übergebe ich Ihnen namens der Verwaltung dieses Haus zum Besitz, und der erste Wunsch, den ich an dieser Stelle ausspreche, ist: Seid darin glücklich! Seid glücklich in der Betätigung der edelsten und reinsten Menschliebe! Seid glücklich in der Befriedigung, welche Euch Euer herrlicher Beruf gewährt! Seid glücklich in dem Gefühl der schwesterlichen Zusammengehörigkeit, das Schwester zu Schwester verbindet!“ Nicht ohne gleich eine Mahnung hinterherzuschicken: „Und halten Sie dieses Haus rein und blank zum sichtbaren Merkzeichen dafür, daß der Ehrenschild einer jüdischen Schwester allezeit rein und blank gehalten werden muß. Vergessen Sie nicht, liebe Schwestern, daß, was persönlichen Takt anlangt, der viel angefeindete und viel beobachtete Jude und die jüdische Schwester besonders einwandfrei dastehen muß“ (Rechenschaftsbericht 1920: 12).
Anlässlich dieser Feier wurde auch das 20jährige Dienstjubiläum der Schwester Oberin begangen. Traditionell wurde eine besondere Brosche entworfen. Minna Hirsch wurde dieses Abzeichen verliehen, es zeigte: „im Schild Davids eine brennende Lampe als Sinnbild der Klugheit und Treue“ (Rechenschaftsbericht 1920: 15).

Das Schwesternhaus in der Bornheimer Landwehr

Fotografie: Schwesternhaus des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main / Front des Hauses in der Bornheimer Landwehr 85, Frankfurt am Main.
Schwesternhaus des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main / Front des Hauses in der Bornheimer Landwehr 85, Frankfurt am Main
Verein für Jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main, Rechenschafstbericht für die Jahre 1913 bis 1919

Dem neu eröffneten Haus widmete die Frankfurter Zeitung am 31. Mai 1914 folgenden Artikel, der hier, wegen seiner Anschaulichkeit, in voller Länge wiedergegeben wird: „Folgender Gesichtspunkt war vor dem Bau maßgebend: die Schwestern sollen außerhalb der Dienstzeit vom Krankenhausmilieu vollständig losgelöst werden. Daher sind für fast sämtliche Schwestern Schlafräume im Schwesternhaus selbst geschaffen. Die Mahlzeiten werden gleichfalls sämtlich im Schwesternhaus eingenommen. Dem Wohnzimmer und dem Speisezimmer ist eine große Terrasse vorgebaut, damit in den Sommermonaten die Mahlzeiten im Freien eingenommen werden können, und damit dies auch bei Regenwetter geschehen kann, ist ein Teil der Terrasse überdeckt. Auch in den oberen Stockwerken befinden sich eine große Terrasse und Loggien. Das Haus ist für 58 Schwestern eingerichtet und enthält im Erdgeschoß außer Speisezimmer und Wohnzimmer Vorhalle, Lesezimmer und Unterrichtsraum. In einer ganz für sich abgeschlossenen Abteilung mit besonderem Eingang schon von der Straße aus sind Zimmer und Baderäume für die in infektiöser Pflege beschäftigten Schwestern vorgesehen. Die beiden Obergeschosse enthalten die Schwestern-Schlafräume mit einem Bett und mit zwei Betten. Im Dachgeschoß befinden sich die Zimmer für die Lehrschwestern und für das Dienstpersonal. Außerdem ist dort ein besonderer Trakt für die Nachtschwestern vorhanden. Schwestern, die eine Nachtwache gehabt haben, dürfen am Tag nicht in ihren eigenen Zimmern schlafen, sondern müssen sich ihrer absoluten Ruhe wegen in diese Zimmer begeben, die besonders schalldicht hergestellt sind. In allen Abteilungen des Hauses befinden sich in reichlichem Maße zweckmäßig eingerichtete Bade- und Doucheräume, Aufenthaltsräume sowie Schlafräume sind mit einer wohnlichen Behaglichkeit ohne jeden Luxus ausgestattet.
Auch architektonisch bedeutet das nach den Plänen des Architekten Franz Roeckle und unter der Bauleitung des Architekten Voggenberger errichtete Gebäude eine Zierde der ganzen neuen Krankenhausanlage der Israelitischen Gemeinde. Von den bereits erwähnten Terrassen aus gelangt man in einem großen, einfach angelegten Garten, in dem sich die Schwestern erholen sollen. Von dem kleinen Türmchen auf dem Dach, das gleichzeitig als Liegehalle für Rekonvaleszentinnen gedacht ist, genießt man eine herrliche Aussicht auf das Maintal, den Ostpark, die umliegenden Höhen und die Gebirgszüge des Taunus und des Odenwaldes. Alles ist darauf eingerichtet, daß die Schwester in ihrem Haus von den großen Anstrengungen des Berufs nicht nur körperliche, sondern auch geistige Erholung findet“ (Frankfurter Zeitung 1914).

Fotografie: Thea Levinsohn-Wolf 1991 in der Essener Synagoge.
Thea Levinsohn-Wolf / Thea Levinsohn-Wolf 1991 in der Essener Synagoge

Eine besondere Episode zum Thema „Entspannung“ erzählte in einem Interview Schwester Thea Levinsohn-Wolf über ihre Zeit im Schwesternhaus als Lehrschwester 1927: „Dann kam ich in ein sehr schönes Zimmer. Drei Plätze im Zimmer. Wir hatten uns auch sofort angefreundet, ist ja ganz klar. Und unser größtes Vergnügen war, dass wir so oft wie wir wollten, nach der Arbeit in die Badewanne hineinsteigen konnten. Da hatten noch längst nicht alle Eltern in ihrer Wohnung eine Badewanne, nicht wahr. Dann, wenn keine Aufsicht da war, da hatte immer irgendeine einen Regenschirm dabei und da haben wir den Regenschirm aufgemacht und die Dusche plästerte zu unserem größten Vergnügen.“ (Levinsohn-Wolf 2000: 14:00f.)

Die Regeln des Zusammenlebens

Dokument: Schwesternhaus des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main / Hausordnung. Ohne Jahr.
Schwesternhaus des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main / Hausordnung. Ohne Jahr
Aus: Hilde Steppe 1997: „…den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre…“

Während das obige Zitat von Thea Levinsohn für eine gewisse Ausgelassenheit im Haus spricht, so gab es doch vor allem auch recht strenge Regeln. Hierzu nochmals Thea Levinsohn-Wolf: „Fünf Jahre mussten wir zu der Schwesternorganisation gehören. Auch, wenn es vorkam, dass, „Gott behüte“ – wie man sagte, eine von den Schwestern sagte: „Du, ich habe einen Freund“, wenn sich das rumgesprochen hatte, wurden die Eltern von der Schwester gerufen und ihnen wurde gesagt „nehmen Sie Ihre Tochter wieder mit“. Das war nicht erlaubt. 10 Uhr abends ging das Licht aus, eine Schwester machte die Runde, um zu gucken, ob wir alle schlafen. Wir durften keinen „Bubikopf“ tragen – nennt man das heute noch so, wenn die Haare abgeschnitten sind? Und die Nachtschwester, unsere Hauben mussten wir auf das Nachttischchen legen, und die Hausschwester achtet darauf, dass die Haube daneben lag und man keinen Bubikopf oder künstlichen Zopf gefunden hat. Um viertel vor fünf wurden wir geweckt“ (Levinsohn-Wolf 2000: 15:15f.).

Die Leitung des Hauses blieb auch nach dem Umzug 1914 bei der Schwester Oberin Minna Hirsch. Bis 1925 behielt sie diese Position, zusammen mit dem Oberinnenposten im Krankenhaus. Nach ihrer Pensionierung folgte Sara Adelsheimer, die sich die Leitung mit Julie Glaser, der Oberin des Krankenhauses, teilte. Bis zum heutigen Zeitpunkt kennen wir die Namen von ca. 350 Schwestern, die in den Jahren 1893 bis 1940 im Verein organisiert waren und vermutlich alle auch in einer der Unterkünfte des Vereins wohnten.

1939 – 1940

Für die Jahre 1939 und 1940, die letzten Jahre des Vereinslebens im Schwesternhaus, möchte ich hier, parallel zur allgemeinen Entwicklung, einen Ausschnitt aus der Biographie von Schwester Irene Ettlinger (später verheiratete Lewis) wiedergeben, um die Ereignisse um das Schwesternhaus zu unterstreichen.

Fotografie: Irene Ilse Ettlinger / 1946, Ausweis der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main.
Irene Ilse Ettlinger / 1946, Ausweis der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main
Aus: HHStA Wiesbaden, Abt. 518 Nr. P2749/07

Irene Ettlinger kam Anfang Februar 1939 als 19jährige Lernschwester in das Schwesternhaus. Zu dieser Zeit war die offizielle Berufsbezeichnung: „Jüdische Krankenschwester“. Der Beruf der „Jüdischen Krankenschwester“ war einer der wenigen, die für Juden überhaupt noch erlaubt waren (vgl. Elkin 1993: 35f.). Ihn zu erlernen, war eine Möglichkeit sich auf eine Beschäftigung im Ausland, für den Fall der Emigration, vorzubereiten. Durch die vielfache Auswanderung jüdischer Deutscher gab es in den Krankenhäusern einen massiven Fachkräftemangel, sodass im Frühjahr und Sommer 1939 intensiv für den Krankenschwesternberuf geworben wurde. In Berlin hatte der Gemeindevorstand, der zunächst eine beschleunigte Emigration auch für Ärzte und Schwestern empfohlen hatte, in einem Schreiben im Juni 1939 dazu aufgerufen zu bleiben, um die Abläufe in den Krankenhäusern aufrecht zu erhalten. In dem Rundschreiben wurde das Bleiben als ungefährlich bezeichnet, da die Fortsetzung des Krankenhausbetriebs im Sinne der staatlichen Behörden sei (ebd.: 37). Für Irene Ettlinger war der Schwesternberuf der nächstbeste Berufswunsch, nach dem ihr als Jüdin ein Chemiestudium verwehrt blieb.
Im Schwesternhaus bzw. im jüdischen Krankenhaus, wurden auch immer mehr Menschen aufgenommen, „die dort Schutz suchen und teilweise auch zur Sicherheit vorgeblich als Krankenpflegerinnen oder Schülerinnen aufgenommen“ wurden (Steppe 1997: 245, nach ISG S 3 N 11.477, S. 84).
1940 wurden die jüdischen Vereine aufgelöst, so auch der Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main. Irene Ettlinger musste am 19.11.1940 das Schwesternwohnhaus verlassen und in das Krankenhaus der Gemeinde umziehen. Im Herbst 1941 begannen die Deportationen in den Osten, und eine Emigration wurde unmöglich. Im Jahr 1941 waren im Krankenhaus 373 Patientinnen und Patienten, ca. 130 Angestellte und 49 „Lehrschwestern“ untergebracht (vgl. Steppe 1997: 245). Irene Ettlinger wurde im September 1942 von der Geheimpolizei verhaftet und nach Estland deportiert (vgl. HHStA Abt. 518 Nr. P 2749/07). Sie überlebte die Schoah.

Wie das Krankenhaus wurden das Grundstück und das Gebäude des Schwesternhauses am 1.4.1939 „arisiert“. Für einen Preis von 124.000 RM übernahm die Stadt Frankfurt die Liegenschaft. Dem Verein wurde für drei Jahre, gegen 5 v. H. des Kaufpreises, das sind 7.100 RM jährlich, die Nutzung überlassen (vgl. ISG FFM). Im November 1940 folgte die Zwangsräumung des Schwesternhauses, die noch verbliebenen Bewohner/innen mussten in das Krankenhaus umziehen. Nutznießerin war die Frankfurter Universitätsklinik, die im Schwesternhaus eine Infektionsabteilung ihrer Kinderklinik einrichtete. Beim Bombenangriff am 4. Oktober 1943 wurde das Schwesternhaus getroffen, und im Luftschutzkeller starben viele Kinder, Krankenschwestern und Ärztinnen der Uniklinik (vgl. Steppe 1997: 245ff.).

In den Nachkriegsakten wurde die Liegenschaft als „total zerstört“ geführt. In den Unterlagen der hessischen Vermögenskontrollstelle vom 13. Juli 1948 heißt es, dass nach dem Gesetz Nr. 52 Art. I,2 (Vermögen, das vermutlich unter Zwang den Eigentümer wechselte) in der Bornheimer Landwehr 85 das 5stöckige Krankenhaus, mit 2.607 qm Grund, der Beaufsichtigung der Militärregierung unterliegt. Zum Treuhänder wurde Heinz-Herbert Karry, der spätere Politiker, Friedberger Anlage 8, Frankfurt/Main ernannt (vgl. HHStA).

Am 9. Mai 1955 stellt die JRSO (Jewish Restitution Successor Organization) den Antrag auf Aufhebung der Vermögenskontrolle und auf Abberufung des Treuhänders. Das Vermögen wurde an die Antragstellerin zurückerstattet. Am 18. Mai 1955 wurde das Vermögen freigegeben (vgl. HHStA).

Edgar Bönisch 2015

Unveröffentlichte Quellen


DIGB = Deutsch-Israeltischer Gemeindebund (DIGB) 1882:  Schriftwechsel Paul Jolowicz, Posen mit DIGB, CJA Sign. 1, 75 C Ge 1 967 (Stiftung Neue Synagoge Berlin-Zentrum Judaicum, Archiv)

HHStA = Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: Abt. 518 Nr. P 2749/07

HHStA = Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: Vermögenskontrolle VG 3102 1924

ISG = Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main: Magistratsakte 9.392

Literatur

Elkin, Rivka 1993: Das Jüdische Krankenhaus in Berlin zwischen 1938 und 1945. Berlin.Frankfurter Zeitung Nr. 150, 31.05.1914

Steppe, Hilde 1997: „…den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre…“. Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Frankfurt am Main.

Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1897: Jahresbericht für das Jahr 1896, in: Der Israelit 38/1897 Nr. 24, S. 449-450, www.compactmemory.de, 8.7.2014
1898: Jahresbericht für das Jahr 1897. Frankfurt am Main.
1900: Jahresbericht für das Jahr 1899. Frankfurt am Main.
1920: Rechenschaftsbericht für die Jahre 1913-1919. Frankfurt am Main.


Film

Levinsohn-Wolf, Thea/Ulmer, Eva-Maria 2000: 27.11. Vortrag/Interview Thea Levinsohn-Wolf in der Fachhochschule Frankfurt am Main.


Internet

Ulmer, Eva-Maria 2009: http://www.web32.s138.goserver.host/beitraege/allgemeine-pflegegeschichte/der-beginn-der-beruflich-ausgeuebten-pflege-im-19-jahrhundert/ 8. Juli 2014

Die israelitische Heil- und Pflegeanstalt Sayn

Die Israelitische Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Gemütskranke in Sayn (1869 – 1942) wurde 1869 von dem Kaufmann Meier Jacoby gegründet. Zunächst nahm er dabei einige wenige Patienten in seinem Wohnhaus auf. Schnell kamen neue Patienten hinzu, und Erweiterungsbauten wurden erstellt. 1938 mussten, bis auf drei, alle nicht-jüdischen Angestellten entlassen werden. Die Familie Jacoby selbst wanderte im Juni 1940 nach Uruguay aus. Im gleichen Monat starb in der Heilanstalt der Wissenschaftler und Arzt Sanitätsrat Prof. Dr. Wilhelm Hanauer, der dort als Patient lebte. Die Verwaltung der Anstalt ging an die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland.


Am 22. Juli 1941 zog die Bad Nauheimer Krankenschwester Henriette Jockelsohn in der Anstalt ein (vgl. StABN). Ob als Patientin oder als Angestellte bleibt zu klären.
In fünf Deportationen zwischen März und November 1942 wurden die Bewohnerinnen und Bewohner des Heims in den Osten verschleppt (vgl. Bendorf).

Edgar Bönisch 2015

Unveröffentlicht

StABN = Stadtarchiv Bad Nauheim: Einwohnermeldekartei

Link

Bendorf
http://www.bendorf.de/stadt-buerger/geschichte/jacobysche-anstalt/(12.03.2015)

Das Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde in der Gagernstraße 36

Bereits 1875 errichtete die jüdische Gemeinde in Frankfurt am Main ein erstes Gemeindekrankenhaus. Es lag im Grünen Weg, der später nach dem Stifter des Hospitals in Königswarter Straße umbenannt wurde . Auch das Hospital selbst wurde oft als Königswarter Hospital bezeichnet. Es beherbergte 80 Pflegeplätze (vgl. Hanauer 1914: 45). Nachdem das Gebäude auf die Dauer zu eng geworden war und auch nicht mehr dem Standard der Zeit entsprach, beschloss man im Jahr 1904, statt umfangreicher Renovierungen, ein neues Krankenhaus zu bauen. Insbesondere forderte der Polizeipräsident die Herstellung von Tageräumen (Aufenthaltsräumen), da die Versorgung mit Luft und Licht als besonders heilungsfördernd erkannt worden war (vgl. Hanauer 1914: 55).

Das neue Haus: ein modernes Krankenhaus

Luftaufnahme: Krankenhauskomplex der Israelitischen Gemeinde (Gagernstr. 36, rechts) und Schwesternhaus (Bornheimer Landstr. 85, oben) in Frankfurt am Main, um 1930.
Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde / Luftaufnahme, ca. 1930
(c) Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main

Nach einer Änderung der Stiftungssatzung war es möglich, das alte Krankenhaus zu verkaufen und die Gelder in ein neues Hospital fließen zu lassen. Nachdem auch mit dem Verein für jüdische Krankenpflegerinnen, der den Großteil des Schwesternpersonals stellte, die Verlegung von dessen Schwesternheims vereinbart worden war, um es wieder in der Nähe des Krankenhauses zu positionieren, schrieb man einen Architekturwettbewerb aus. Das Ziel, war ein neues Krankenhaus im Korridorsystem mit seitlichen Flügeln (vgl. Hanauer 1914: 57), was dem damaligen Stand eines modernen Krankenhausbaus entsprach.
Zuvor, im Lauf des 19. Jahrhunderts, hatte man „einhäusige“ Krankenhaustypen bevorzugt, die im Wesentlichen aus einem einzigen größeren Gebäude bestanden, in dem mehrere Abteilungen untergebracht waren (vgl. Benzenhöfer 2013: 11). Ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtete man im deutschsprachigen Raum Krankenhäuser als Pavillonsysteme. Von den Pavillons, also dezentralen Einzelbauten, erhoffte man sich bessere Licht- und Luftverhältnisse und verbesserte Möglichkeiten der fachspezifischen Behandlung. Nachdem die aseptische und antiseptische Operations- und Verbandstechnik große Fortschritte gemacht hatte, rückte man vom Pavillonbau wieder ab, der einen großen Aufwand an Personal, Unterhalt und Ausrüstung erforderte. Man kombinierte nun Mehr- und Zweigeschossbauten und bevorzugte eine zentrale Bauweise (vgl. Murken 1976: 72 ff.). Der Korridorbaustil stand wieder im Vordergrund.
Den Architekturwettbewerb um den Neubau gewann der Architekt Franz Roeckle im November 1909. Roeckle hatte auch schon die Westendsynagoge in Frankfurt gebaut und gehörte zu der reformorientieren Gruppe des „Neuen Frankfurt“ um Ernst May. Roeckle trat bereits 1932 der NSDAP bei, und die Frankfurter Allgemeine Zeitung nannte seinen Lebensweg in einem Artikel von 2009 ein Lehrbeispiel „menschlicher Gemeinheit“ (vgl. FAZ 29.12.2009).

Die Eröffnung des Hauses

Nach einer etwa dreijährigen Bauzeit wurde das neue Haus im Mai 1914 fertig gestellt. Die Frankfurter Zeitung berichtete am 18. Mai 1914 über die Einweihungsfeier: „In einem der freundlichen Krankensäle, der die Namen der Stifter Georg und Franziska Speyer trug, fanden sich die Teilnehmer an der Feier zusammen. Rabbiner Dr. Nobel hielt die Weiherede unter Zugrundelegung des Buches Hiob […]. Als Vorsitzender des Gemeindevorstandes wies Justizrat Dr. Blau darauf hin, daß es die Juden von altersher als heilige Pflicht angesehen haben, die Kranken und Notleidenden zu pflegen.“ Regierungsassessor Wehr überbrachte Glückwünsche der staatlichen Behörden. „Er teilte zugleich mit, daß dem Vorsitzenden der Baukommission, Geh. Sanitätsrat Dr. Jaffé, und dem Leiter der inneren Abteilung, Dr. Alfred Günzburg, der rote Adlerorden vierter Klasse, dem um den Bau verdienten Kursmakler Leopold Igersheimer der Kronenorden vierter Klasse verliehen wurde.“ (Frankfurter Zeitung 1914b)

Die Beschreibung des Krankenhausbaus

Fotografie: Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde / Verwaltungsgebäude. Frankfurt am Main, Gagernstr. 36.
Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde / Verwaltungsgebäude.
Aus: Karl Hofacker, Die Anstalten des Verbandes Frankfurter Krankenanstalten zu Frankfurt am Main, Düsseldorf 1932

In der Festschrift anlässlich des Neubaus beschrieb Wilhelm Hanauer das Areal folgendermaßen: „Zwei Trambahnlinien enden in der nächsten Nähe des Krankenhauses. Der Hauptzugang erfolgt von der Wittelsbacher Allee her. Von hier aus wird zunächst das Verwaltungsgebäude erreicht, mit mächtigem Giebel und einer Durchfahrt, welche das Haus in zwei Teile teilt. Diese Durchfahrt ist mit Deckengemälden geziert, welche das alte Krankenhaus hinter der Judenmauer, das Haus in der Köngiswarter Straße und das nunmehr entstandene neue Krankenhaus darstellen.“ (Hanauer 1914: 60f.)

In dem rechten Flügel, so die Frankfurter Zeitung (1914a), „befinden sich die Räume für die Verwaltung, sowie die Untersuchungszimmer für die neu eintretenden Kranken. Der linke Flügel beherbergt in seinem Erdgeschoß die zahlreichen Zimmer für die Behandlung poliklinischer Patienten.“ Im ersten Obergeschoss befanden sich Wohnungen für den Verwaltungsinspektor, Assistenzärzte und Praktikanten und auch ein Betraum (vgl. Hanauer 1914: 61). „In der gleichen Axe [sic], getrennt durch den mit gärtnerischen Anlagen versehenen Binnenhof, befindet sich das Wirtschaftsgebäude, in dessen einer Hälfte im Erdgeschoß die Küchenräume untergebracht sind, während die andere die Wäscherei enthält. Beide sind mit den neuesten Apparaten ausgestattet, wie z. B. mit elektrischen Haushaltungsmaschinen, mit Kulissentrockenapparat usw. und mit einer Entlüftungs- und Entnebelungsanlage versehen. Im gleichen Gebäude ist auch die Desinfektionsanlage eingebaut, die die Desinfektion ganzer Betten gestattet. Das Hauptgebäude, das in langgestreckter Hufeisenform rechtwinklig zum Verwaltungsgebäude im nördlichen Teil des Gartens gelagert ist, ist dreigeschossig und enthält im Erdgeschoß die Räume für die chirurgischen Kranken und die Frauenkrankheiten, im ersten Stock ist die innere Abteilung und im zweiten Obergeschoß ist die Abteilung für Privatkranke. Hier kann außer den Hospitalärzten jeder Arzt die sich ihm anvertrauenden Patienten selbst behandeln. Es wurde deshalb neben dem Operationsraum für den dirigierenden Chirurgen noch ein zweiter für die Aerzte der Stadt und für den Chefarzt der Frauenabteilung eingerichtet.“ (Frankfurter Zeitung 1914a)

Fotografie: Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde / Hauptgebäude. Frankfurt am Main, Gagernstr. 36.
Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde / Hauptgebäude.
Aus: Festschrift zur Einweihung des neuen Krankenhauses der Israelitischen Gemeinde zu Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1914

Aus: Festschrift zur Einweihung des neuen Krankenhauses der Israelitischen Gemeinde zu Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1914

In der weiteren Beschreibung wurde hervorgehoben, dass die Zimmer vergleichsweise klein waren, nur zwei Säle hatten neun Betten, alle anderen weniger. Großzügige Tagesräume waren vorhanden, und auf der Höhe des Dachs gab es zwei Sonnenbäder, die nach Süden ausgerichtet „eine wundervolle Aussicht über Berg und Tal, über Wald und Wiesen“ boten. Die Korridore waren mit Korklinoleum ausgelegt und die Türen schalldicht mit Filz abgedichtet. Eine „Ozonisierungsanlage“ entlüftete sämtliche Räume, und eine Pulsions-Warmwasseranlage heizte zentral vom Wirtschaftsgebäude aus.

Bemerkenswert war auch das im Süden der Anlage errichtete Infektionsgebäude mit vier Abteilungen und 30 Betten, mit vorgelagerter Liegehalle im Erdgeschoss und verandenartigen Tagesräumen im Obergeschoss. Die Infektionsräume waren durch eine „Schleusenanlage“ zu erreichen, die Türen der Zimmer waren nach oben geteilt, so dass man zur Kontrolle der Insassen nicht die ganze Tür öffnen musste. Die Anlieferung der Speisen erfolgte über einen Speiseaufzug, der vom Garten aus, also von außen, zu bedienen war (vgl. Frankfurter Zeitung 1914a).

Insgesamt umfasst das Krankenhaus Abteilungen für Innere Medizin, Chirurgie, Gynäkologie, Geburtshilfe, Urologie, Hals-, Nasen- Ohrenkrankheiten, Augenheilkunde und Röntgen; es beherbergte 200 Patientenbetten.

Professor Simon Isaac, der das Haus ab 1925 leitete, berichtete in seinen Erinnerungen, dass er beeindruckt war vom Bewusstsein der wohlhabenden Bürger für das Gemeinwesen, was sich darin äußerte, dass nahezu drei Viertel der Krankenhausausstattung durch Spenden finanziert worden war. Einige Familien hatten komplette Abteilung gestiftet, andere Betten oder einzelne Gegenstände. Die Namen der Spender waren auf bronzenen Tafeln an den Wänden eingraviert, um die Erinnerung an sie wach zu halten (vgl. Isaac o. J.: 202).

Modernität bei der Inneneinrichtung

Was Modernität damals für den Innenausbau bedeutete, hat Fritz Voggenberger, der Innenarchitekt des israelitischen Krankenhauses, auf der Internationalen Baufachausstellung in Leipzig 1913 präsentiert. Über die moderne Krankenhausküche schrieb Voggenberger: „Die ausgestellte Kochanlage ist für eine Diätküche bestimmt […]. Maßgebend für die Einrichtung einer Diätküche ist der Grundsatz, daß die Zubereitung der Speisen für jeden Kranken individuell nach Anordnung des Arztes geschehen muß. Es ist also Vorkehrung zu treffen, daß geringe Quantitäten auf die verschiedenste Art gekocht, gebraten, gebacken und warm gehalten werden können […]“ (Voggenberger 1913: 39).

Zum Wartezimmer: „Die sorgfältige Ausstattung dieses Zimmers soll nicht nur einen angenehmen Aufenthalt ermöglichen, auch den Forderungen der Hygiene ist Rechnung getragen. Die aus ungebleichtem Peddigrohr hergestellten Möbel sind mit Schellackfirnis überzogen, da Staub und Schmutz nicht haften bleibe […]“ (Voggenberger1913: 27).

Im Laufe der Zeit kam es immer wieder zu Aus- und Umbauten, je nach Anzahl und Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten, welche nicht alle dokumentiert sind.

Fotografie: Musterküche. Voggenberger, Fritz: Sonderausstellung für Krankenhausbau. Frankfurt a.M. 1913.
Musterküche / Voggenberger, Sonderausstellung.
Aus: Voggenberger: Sonderausstellung für Krankenhausbau. Frankfurt a.M. 1913
Fotografie: Muster-Wartezimmer. Voggenberger, Fritz: sonderausstellung für Krankenhausbau. Frankfurt a.M. 1913.
Muster-Wartezimmer / Voggenberger, Sonderausstellung.
Aus: Voggenberger: Sonderausstellung für Krankenhausbau. Frankfurt a.M. 1913

Der 1. Weltkrieg

Während des 1. Weltkriegs, von August 1914 bis Anfang 1919, wurde das Krankenhaus als Lazarett 26 geführt. Etwa die Hälfte der Betten wurde hierfür zur Verfügung gestellt. Vor allem wurden Schwerverletzte aufgenommen, die bei jedem der häufigen Fliegerangriffe von den Krankenschwestern in sichere Räume transportiert werden mussten (vgl. Steppe 1997: 217).

Leitende Ärzte

Fotografie: Prof. Dr. Simon Isaac / Leiter des Israelitischen Krankenhauses ab 1925. Frankfurt am Main, Gagernstr. 36.
Prof. Dr. Simon Isaac / Leiter des Israelitischen Krankenhauses ab 1925.
Aus: Wilmanns, Juliane: Medizin in Frankfurt am Main. Hildesheim 1994

Zur Eröffnung des Hauses 1914 hatte Dr. Alfred Günzburg die Leitung inne. Er hatte als Nachfolger von Dr. Simon Kirchheim schon das Gemeindekrankenhaus in der Königswarter Straße geführt. Der gebürtige Offenbacher leitete das Hospital bis 1925. Er konnte 1939 ins Exil nach Palästina entkommen, wo sich bereits sein Sohn aufhielt. Hier starb Dr. Günzburg 1945 in Ramoth Hashavim bei Tel Aviv (vgl. Kallmorgen 1936/M. R. 1946).

Nach Dr. Günzburg folgte 1925 der aus Köln stammende Professor Dr. Simon Isaac, von ihm wissen wir Einiges aus seinen Lebenserinnerungen (vgl. Isaac o. J.). Als er das Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde übernahm, war das Haus aufgrund der Inflation zum Teil in Apartments umgewandelt worden, um Mieteinnahmen erzielen zu können. Professor Isaac ließ das Haus nun renovieren, mit dem Ziel, dass es wieder das „schönste und am besten ausgestattete der Stadt“ sein sollte. Nun wuchs auch die Anzahl der nicht-jüdischen Patienten stark. Isaac führte das auf: „die exzellenten medizinischen Fähigkeiten, die individuelle Aufmerksamkeit in der Pflege“ und die hohe Essensqualität zurück. Auch spielte eine Rolle, dass nach dem 1. Weltkrieg ca. 10.000 neue Bürgerinnen und Bürger die Nachbarschaft des Krankenhauses besiedelten und diese Menschen gerne die Möglichkeiten des Krankenhauses wahrnahmen. Simon Isaac betont in seinen Erinnerungen, dass er „immer glücklich war, bis zu seinen letzten Tagen in Frankfurt, wenn die Leute in der Straßenbahn, in den Geschäften oder einfach auf der Straße sich ihm als ehemalige Patienten des jüdischen Krankenhauses vorstellten und sich dankbar an die Hilfe erinnerten,“ die man ihnen zukommen hatte lassen (vgl. Isaac o. J.: 202f.).

Oberinnen des Hauses

Für die Schwesternschaft des Krankenhauses sollen an dieser Stelle die Oberinnen erwähnt werden. Minna Hirsch hatte diese Position von 1893 bis 1925 inne, wobei sie die Oberin sowohl des Krankenhauses als auch der Schwesternschaft im Schwesternverein war. Erst nach ihrer Pensionierung wurden die Ämter getrennt: Während im Verein nun Sara Adelsheimer die Leitung übernahm, tat dies im Krankenhaus Julie Glaser.

Die Forschung nach den damaligen Patientinnen und Patienten und den Angestellten des Hauses bedarf noch einiger Anstrengung; verwiesen sei auf Edgar Sarton Saretzki [Link], den wir zu seiner Kindheit und als Diphtheriepatient im Krankenhaus befragen konnten.

Das Krankenhaus zur Zeit des Nationalsozialismus

Im Rahmen der sogenannten „Arisierung“ kaufte die Stadt Frankfurt am Main am 1.4.1939 der Jüdischen Gemeinde das Gelände, die Gebäude und die Einrichtung zum Preis von 900.000,- RM ab. Der Gemeinde wurde gestattet gegen Miete weitere drei Jahre im Gebäude zu bleiben (vgl. ISG). Immer mehr Altersheime, Kinderheime und Krankenhäuser wurden nun geschlossen und deren Bewohnerinnen und Bewohner in das Gagernkrankenhaus verlegt. Zudem war das Krankenhaus ab 1940 zuständig für psychisch Kranke. Im selben Jahr musste auch die koschere Küche des Krankenhauses geschlossen werden (vgl. Steppe 1997: 237f.).

Bis Oktober 1942 wurde das Krankenhaus zwangsgeräumt. Die Patientinnen und Patienten und viele der Schwestern wurden nach Theresienstadt und in die Todeslager im Osten deportiert (vgl. Steppe 1997: 246). Neuer Eigentümer wurde das Hospital zum Heiligen Geist, hat es aber scheinbar nicht nutzen können bevor es durch einen Luftangriff am 4. Oktober 1943 schwer beschädigt wurde.

Die Nachkriegszeit

Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde / Relikt im Hof des heutigen Altenzentrums der Jüdischen Gemeinde.
© Edgar Bönisch

Nach dem Krieg konnte die jüdische Gemeinde über die Gebäude des Krankenhauses bereits ab 1945 wieder verfügen. Nach Renovierungsarbeiten wurde im November 1945 der Rundbau (vermutlich das ehemalige Infektionsgebäude, an anderer Stelle als ehemalige Urologie bezeichnet (vgl. Tauber 2008: 143)) eingeweiht, und Überlebende aus Theresienstadt zogen ein. Die KrankenschwesterRosel Möser übernahm die Leitung dieses nun als Alten- und Siechenheim bezeichneten Gebäudes. Nach ihrer Emigration in die USA im Jahr 1946 übernahm Else Herlitz ihre Position. Im Erdgeschoss des ehemaligen Verwaltungsgebäudes wurde nach 1945 eine Psychiatrie für leichte Fälle untergebracht. In weiteren Teilen des Verwaltungsbaus und des ehemaligen Krankenhauses wurden Wohnungen eingerichtet. Am 26.9.1948 wurde das Gebäude wieder als Krankenhaus eingeweiht. Doch über die Größe einer Krankenstation für 20 Personen wuchs das Haus nicht mehr hinaus. Bereits im Juli 1949 musste es aus Mangel an Geld, aber auch mangels Patienten wieder geschlossen werden (vgl. Tauber 2008: 143f.).

In den 50er Jahren befanden sich in den erhaltenen oder wiederhergestellten Teilen des Krankenhauses das Altersheim und der Kindergarten der jüdischen Gemeinde sowie Wohnungen für Gemeindemitglieder. Zwischen 1973 und und 1977 wurden die Gebäude des Krankenhauses abgerissen und durch das heutige Altenzentrum der Jüdischen Gemeinde mit Alten- und Pflegeheim, Altenwohnanlage und Synagoge ersetzt (vgl. Karpf 2003).

Edgar Bönisch, 2014

Primärquellen

ISG Ffm: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main:

Magistratsakten 9.392

Literatur

Benzenhöfer, Udo 2013: Das Städtische Krankenhaus in Frankfurt am Main von 1884 bis zur Eröffnung des Universitätsklinikums 1914. Hildesheim

Frankfurter Zeitung 1914a: Abendblatt, 18. Mai, Nummer 137

Frankfurter Zeitung 1914b: Abendblatt, 24. Juni, Nummer 173

Hanauer, Wilhelm 1914: Festschrift zur Einweihung des neuen Krankenhauses der Israelitischen Gemeinde zu Frankfurt am Main. Frankfurt a.M.

Isaac, Simon o.J.: My Life by Professor Simon Isaac. ME 1366: http://www.lbi.org, 4. Juli 2014

Israelitische Gemeinde Frankfurt am Main 1876: Beschreibung der am 27. Juni 1875 stattgefundenen Feierlichkeiten zur Einweihung des Hospitals der israel[itischen] Gemeinde in Frankfurt am Main Grüner Weg 26: Erbaut von der Familie Königswarter. Frankfurt a.M.

Kallmorgen, Wilhelm 1936: Siebenhundert Jahre Heilkunde in Frankfurt am Main. Frankfurt a.M.

Murken, Axel Hinrich 1976: Das deutsche Baracken- und Pavillonkrankenhaus von 1866-1906. In: Schadewaldt, Hans: Studien zur Krankenhausgeschichte im 19. Jahrhundert im Hinblick auf die Entwicklung in Deutschland. Vorträge des Symposiums der „Deutschen Gesellschaft für Krankenhausgeschichte e. V.“ vom 23. Bis 24. Februar 1972 in Berlin. Göttingen: 72-104

M. R. 1946: Günzburg, Alfred [Nachruf]. Aufbau 12 (1946) 2 (11.01.1946), S. 24, Spalte a

Steppe, Hilde 1997:„…den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre…“. Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Frankfurt a.M.

Tauber, Anton 2008: Zwischen Kontinuität und Neuanfang. Die Entstehung der jüdischen Nachkriegsgemeinde in Frankfurt am Main 1945-1949. Wiesbaden

Voggenberger, Fritz 1913: Sonderausstellung für Krankenhausbau. Internationale Baufachausstellung mit Sonderausstellung Leipzig 1913. Frankfurt a.M.

Voswinckel, Peter 1994: Simon Isaac und der Beginn der Insulintherapie in Deutschland. In: Juliane Wilmanns: Medizin in Frankfurt am Main. Ein Symposion zum 65. Geburtstag von Gert Preiser. Hildesheim. 205-213

Internet

FAZ 2009: http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/frankfurt/franz-roeckle-lehrbeispiel-fuer-menschliche-gemeinheit-1894651.html, 17.06.2014

Karpf, Ernst 2003: Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde an der Gagernstraße. www.frankfurt1933-1945, 17.06.2014

Das Genesungsheim der Eduard und Adelheid Kann-Stiftung

Die Gemeinde Oberstedten und ihre jüdischen Bürgerinnen und Bürger

Die Gemeinde Oberstedten gehörte seit 1815 zur Grafschaft Hessen-Homburg. Im Jahr 1866 wechselte sie zunächst zum Großherzogtum Hessen-Darmstadt und, im selben Jahr noch, an das Königreich Preußen. Dort folgte die Eingliederung in den Obertaunuskreis mit Homburg, Königstein und Usingen im Regierungsbezirk Wiesbaden (vgl. Bus 2000a: 111). 1972 wurde Oberstedten zu Oberursel eingemeindet.
Der Historiker Erhard Bus (vgl. Bus 2000a-c) legte statistische Zahlen für die Jahre 1820, 1871 und für die Jahre der nationalsozialistischen Diktatur vor; darin tauchten zu keiner Zeit dauerhaft sesshafte jüdische Bürgerinnen und Bürger in Oberstedten auf. Jedoch findet man auf der Webseite von „Alemannia Judaica“ Hinweise auf in Oberstedten ansässige jüdische Bürger für das 19. Jahrhundert, es heißt dort: „die in […] Oberstedten lebenden jüdischen Personen gehörten zur Gemeinde in Oberursel“ (Alemannia Judaica). Wolfgang Zink von der „Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit“ erwähnte die Familie Gompel als erste schriftlich vermerkte jüdische Oberstedter Familie, sie ist in den Steuerlisten von 1683 und 1685 verzeichnet (vgl. Frankfurter Rundschau vom 10. Februar 1990). Eine, auch heute noch in der Öffentlichkeit wahrgenommene jüdische Einrichtung in Oberstedten ist das Genesungsheim der Eduard und Adelheid Kann-Stiftung. Sie wurde 1910 von Flora Geisenheimer-Kann ins Leben gerufen.[

Flora Geisenheimer-Kann und die Eduard und Adelheid Kann-Stiftung

Flora Geisenheimer, geb. Kann, stammte aus einer alten Frankfurter Familie und hatte neben Frankfurt anscheinend auch einen starken Bezug zu Paris. Unter der Mitwirkung der Familie Kann errichtete sie 1906 die Eduard und Adelheid Kann-Stiftung in Frankfurt am Main, genannt nach ihren Eltern und zum Andenken an diese. Das Anfangsvermögen der Stiftung betrug 100.000 Mark und hatte zum Ziel, ein Erholungsheim für arme Israeliten, in der Satzung wird es auch „Rekonvaleszentenanstalt“ (ISG Stiftungsabteilung 133) genannt, einzurichten. Ein entsprechendes Heim wurde 1910/11 in Oberstedten im Taunus eröffnet (vgl. Schembs 2007: 67).

August Korf, der Chronist der Gemeinde Oberstedten, schrieb, dass Frau Geisenheimer eine „große Anzahl von Grundstücken in der Nähe von Frankfurt zum Bau für das Rekonvalenszensheim [sic] besichtigt“ hatte (Korf 1928: 290). Die „gesunde[n] Lage in der Nähe des Waldes an einem erhöhten Punkte im schönsten Teile des Taunus“ (Korf 1928: 290) und mit guter Bahnverbindung zu den Nachbarorten, veranlassten Frau Geisenheimer diesen Standort auszuwählen. Laut Walter Söhnlein verlief die erste Straßenbahnlinie in Homburg v. d. Höhe, vom 26. Juli 1899 an, vom Gotischen Haus, vorbei am Genesungsheim, zum Staatsbahnhof (vgl. Bott 2000: 238, Endnote 2).

Die Anfänge des Genesungsheims

Fotografie: Jüdisches Genesungsheim der Kann-Stiftung / Vorderansicht im Jahr 1955.
Jüdisches Genesungsheim der Kann-Stiftung / Vorderansicht im Jahr 1955
© Hessisches Hauptstaatsarchiv

Als Architekt des Genesungsheims wird der „Frankfurter Epstein“ erwähnt, wobei es sich hier um Fritz Epstein handeln könnte, der 1912 für die Renovierung der Hauptsynagoge in Frankfurt zuständig war (vgl. Korf 1928: 290 und Alemannia Judaica). Der Grundstein wurde in Oberstedten 1909 gelegt. Das zunächst für 14 Kurgäste geplante Gebäude kostete 110.000 Mark, eine Erweiterungsmöglichkeit auf 24 Gäste war vorgesehen. Schwierigkeiten gab es gleich zu Anfang bei der Wasserversorgung, so dass auf dem Grundstück eigene Brunnen gebohrt werden mussten. Auch die Stromversorgung war zunächst nicht geklärt, letztlich installierte man gemeinsam mit den umliegenden Taunusgemeinden eine zentrale Überlandversorgung.

Über die Einweihungsfeier des Genesungsheims heißt es in der Chronik: „Am 14. September 1910 [Bott gibt den 15. September 1910 an, vgl. ders.: 239] fand die Einweihung des von der Eduard und Adelheid Kann-Stiftung, Frankfurt a. M., unweit von Oberstedten errichteten jüdischen Genesungsheims statt. Bei dieser Feier waren neben der Stifterin und den Familienmitgliedern Vertreter der israelitischen Gemeinden Frankfurt a. M. und Homburg v. d. Höhe, der Oberbürgermeister von Homburg, Dr. Lübke, der Stadtverordnetenvorsteher, Dr. Rüdiger, der Bürgermeister Kleemann von Oberstedten, ferner Vertreter des Israelitischen Gemeinde=[sic]Hospitals in Frankfurt a. M. und verschiedene wohltätiger Stiftungen zugegen. Als Vertreter der Stifterin übergab Herr Amtsrichter Dr. Bromber=Homburg, das Haus dem Vorstand der Stiftung, Herr Sanitätsrat Dr. Jaffee [sic] dankte mit warmen Worten und übernahm das Genesungsheim für die Stiftung.“ (Korf 1928: 289) Weiterhin wird berichtet, dass bei der Eröffnung des Betriebs ein Damenkomitee gebildet worden sei und Herr Stadtrat Braunschweig aus Homburg zum Ökonom der Stiftung ernannt worden war. Das Heim selbst wurde im ersten Betriebsjahr vom 19. September bis 8. November offen gehalten. Für den Betrieb wurden 2.475 Mark ausgegeben und 13 Personen, die in der Regel für drei bis vier Wochen aufgenommen wurden, mit 314 Verpflegungstagen verpflegt. Am 17. Dezember 1910 wurde beschlossen, eine Krankenschwester als Vorsteherin des Heimes anzustellen (vgl. Korf 1928: 289f. und Bott 2000: 239).

Die Oberinnen und das Personal des Hauses

Fotografie: Scharlack, Ruth und Gustl / Ruth Berlove, geb. Scharlack (links) und ihre Schwester Gustl (rechts).
Scharlack, Ruth und Gustl / Ruth Berlove, geb. Scharlack (links) und ihre Schwester Gustl (rechts)
© Sammlung Angelika Rieber

Ab diesem Zeitpunkt arbeitete für das Genesungsheim jeweils eine leitende Schwester des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt e.V. Nach jetzigem Wissensstand waren dies 1910 Anna Ettlinger und von 1911 vermutlich bis 1914 Ida Elise Holz. Von 1914 bis 1918 stand das als Kriegslazarett genutzte Heim unter militärischer Leitung. Ab 1919 führte wieder Ida Elise Holz das Heim (vgl. Rechenschaftsberichte 1910-1919). Rosa Spiero arbeitete vermutlich in den Jahren 1920 und 1921 im Heim, ihre Rückkehr aus Oberstedten ins Frankfurter Schwesternheim ist dokumentiert für den 5. Oktober 1921 (ISG Hausstandsbuch).
Nach einigen Jahren, die noch erforscht werden müssen, wissen wir erst für die Jahre 1933 bis 1938 wieder, dass Emilie Cäcilie Kranz die Heimleitung übernommen hatte (StA OU).

In einem Prüfungsbericht des Rechnungsprüfungsamts für das Jahr 1937 wird von Schwestern im Plural gesprochen, es könnte also sein, dass zu bestimmten Zeiten auch mehrere Vereinsschwestern dort arbeiteten. An Personalkosten für das Jahr 1937 werden in diesem Prüfungsbericht aufgeführt: „Köchin und Hausmädchen 5.372,26 RM, Schwestern 2.177 RM, Arzt 2.440 RM“ (ISG Magistratsakte 9.599 Blatt 13).

Über die Kurgäste des Genesungsheims ließ sich bisher nichts in Erfahrung bringen. Einen Hinweis auf das ehemalige Personal verdanken wir der Historikerin Angelika Rieber, sie dokumentierte 2002 den Besuch von Ruth Berlove, geb. Scharlack, in Oberstedten. Die Bildunterschrift lautete: „Kurze Zeit, bevor die jüdische Familie Scharlack Ende 1937 nach Amerika emigrieren konnte, arbeiteten Ruth und Gustl für einige Monate in der Diätküche des Genesungsheims der Eduard- und Adelheid-Kann-Stiftung“ (Taunuszeigung 8.6.2002).

Die ersten Jahre

Doch zurück in die Gründungszeit des Genesungsheims. Aus den Jahresberichten der Stiftung erfährt man, dass 1911 56 Kurgäste das Heim besuchten, 1912 waren es schon 80. An Verpflegungstagen wurden 2.130 geleistet, wovon 1.300 Verpflegungstage kostenlos waren. Geöffnet war das Heim saisonal, so z. B. im Jahr 1913 ab Mai. Die Verwaltung hatte zu diesem Zeitpunkt ihren Sitz in der Schillerstraße 22 in Frankfurt (vgl. Allgemeine Zeitung des Judentums, 1. April 1913, zit. nach Alemannia Judaica). Das Jahr 1913 hatte allerdings auch traurige Seiten, da gleich drei Vorstandsmitglieder starben: der Kassierer Benny Oppenheimer, der Vorsitzende Leopold Hirschler und auch das Vorstandsmitglied Dr. Eduard Schnapper, ein Neffe Flora Geisenheimers; er erlag den Verletzungen eines Autounfalls, der sich nicht weit vom Genesungsheim entfernt ereignet hatte (Alemannia Judaica).

Der 1. Weltkrieg

Eine Unterbrechung des Kurbetriebs trat durch den 1. Weltkrieg ein. Von 1914 (28. August) bis 1918 wurde das Genesungsheim der Reservelazarettverwaltung in Bad Homburg zur Verfügung gestellt (vgl. Allgemeine Zeitung des Judenthums, 28. August 1914). Die Oberurseler Archivarin Andrea Bott spricht von einer Verfügung als Reserve-Lazarett von Mai 1916 bis Dezember 1918 (vgl. Bott 2000: 239). Am 1. Mai 1919 eröffnete das Genesungsheim wieder zu seinen alten Zwecken, und Schwester Ida Holz, die mit dem Lazarettzug P.1 des Frankfurter Schwesternvereins den Krieg in vorderster Front erlebte, nahm ihre frühere Tätigkeit als Oberin wieder auf.

Die 20er und 30er Jahre

Zur Saisoneröffnung im Jahr 1924 war das Haus renoviert worden (vgl. Schiebler 1988:142). Das üblicherweise in den Sommermonaten betriebene Genesungsheim öffnete ab 1928 auch in den Wintermonaten. Begründet wurde dies durch die große Nachfrage in den davorliegenden Sommermonaten. Geeignet für den Winterbetrieb war das Heim durch eine moderne Zentralheizung und eine neue Verkehrsanbindung durch die „Kraftpostlinie Homburg – Oberstedten – Hohemark“. Die Verwaltung residierte inzwischen in der Lange Straße 30 in Frankfurt, für die Anmeldungen zuständig war Frau Cilly Epstein (vgl. Der Israelit, 6.9.1928).

Anzeige: Genesunsheim der Kann-Stiftung, Werbeanzeige Juli 1933.
Genesunsheim der Kann-Stiftung, Werbeanzeige Juli 1933
Aus: Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde in Frankfurt, Juli 1933: 288

Eine Werbeanzeige vom Juli 1933 beinhaltet folgende Informationen: Das Haus wurde renoviert, es gab Ein- und Zweitbettzimmer, es wurden keine Kranken aufgenommen (lediglich Kurgäste) und rituelle Verpflegung wurde zubereitet. Die Verwaltung residierte inzwischen in der Neuen Mainzerstraße 68 (vgl. Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde in Frankfurt, Juli 1933).

Auch 1934 erschien die gleiche Anzeige mit etwas verändertem Text in „Der Israelit“. Diesmal wurde mit der Winteröffnung geworben und mit behaglichen Ein- und Zweibettzimmern, mit fließendem Wasser und Zentralheizung, geschlossener Veranda, angenehmen Aufenthaltsräumen, großem Park, Gelegenheit zu Liegekuren und ritueller Verpflegung. Die Verwaltung zeichnete inzwischen vom Reiterweg 67 aus (vgl. Der Israelit, 18. Oktober 1934, zitiert nach Alemannia Judaica).

Erste nationalsozialistische Ausschreitungen

Bereits für 1935 findet man Berichte über Ausschreitungen von Nationalsozialisten gegen das Gebäude: „Vor dem Genesungsheim in Oberstedten bei Bad Homburg hat sich Mitte Juli eine Ansammlung gebildet, und es wurden mehrere Steine in die Fenster des Genesungsheimes geworfen. Wenige Tage später sind auf das Genesungsheim verschiedene scharfe Schüsse abgegeben worden“ (Klein 1986: 902). Auch die Versorgung mit koscherem Material konnte offensichtlich nicht mehr öffentlich stattfinden: „Als Ausfahrer habe ich heimlich Geschirr für das jüdische Geschäft Mainzer zum Judenheim am Gotischen Haus gebracht“ (Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialisten 1982: 72, zitiert nach Wolfgang Zink 1994: 88).

Der Vorstand der Stiftung setzte sich 1938 aus folgenden Personen zusammen:

  • Sally Wiesenthal, Vorsitzender, Bad Homburg v. d. Höhe, Kisseleffstr. 2
  • Sanitätsrat Dr. Deutsch, Frankfurt a. M., stellv. Vorsitzender, Feuerbachstr. 10
  • Rechtsanwalt Max L. Cahn, Schriftführer, Frankfurt a. M., Mainzerlandstr. 4
  • Aust Mayer, Schatzmeister, Frankfurt a. M., Leerbachstr. 10
  • Rabbiner Dr. J. Horovitz, Frankfurt a. M., Wöhlerstr. 8
  • Hertha Wiesenthal, Bad Homburg, Kisseleffstr. 12
  • Flory Oppenheimer, Frankfurt a. M., Grillparzerstr. 45
  • Leo Rosenbusch, Frankfurt a. M., Kettenhofweg 121
  • Dr. Ernst Kirchheim, Frankfurt a. M., Klüberstr. 20
  • Lebenslänglich ernannte Vorstandsmitglieder, die zu diesem Zeitpunkt aus Frankfurt weggezogen waren und auf die Ausübung des Amtes verzichteten:
  • Blanca Morel, Wwe., Weybridge, England
  • Max Rothbarth, London [Halbbruder des ersten Ehemanns von Flora Geisenheimer-Kann]
  • Ralf Kann, London
  • Max Morel, London
  • Dela Eberstadt, geb. Morel, London

(vgl. ISG Magistratsakten 9.599, Blatt 4)

Für den 17. Mai 1938 gibt es einen mündlich überlieferten Vorfall, wonach die Patienten nachts aufs freie Feld getrieben worden waren. Ab dem 18. Mai 1938 blieb das Heim dann geschlossen (vgl. Bott 2000: 239). Im selben Jahr „kam es auch zu starken Zerstörungen“ (Bott 2000: 240), wobei genauere Angaben fehlen. Nutzbar als Genesungsheim war das Gebäude danach nicht mehr. So wurde es zunächst für die Unterbringung von Kunstschätzen aus Frankfurter Museen genutzt (ISG Magistratsakten 9.599, Blatt 19). Im August 1939 übernahm das Hospital zum Heiligen Geist in Frankfurt das Heim (Bott 2000: 240).

Am 10. Oktober 1939 gliederte der Chef der Sicherheitspolizei und des SD die Eduard und Adelheid Kann-Stiftung in die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland ein (Magistratsakte 9.599, Blatt 17).

Nach der „Arisierung“

Fotografie: Genesungsheim der Kann-Stiftung, 2013
Genesungsheim der Kann-Stiftung, 2013
© Edgar Bönisch

Im Herbst 1939 wurden Frankfurter Bewohnerinnen und Bewohner des Altersheimes in Köppern im ehemaligen Genesungsheim untergebracht (am 1. November 39 wurden sie wieder zurückverlegt). Am 7. Mai 1943 kamen erneut Bewohner des Köpperner Heims, 39 Frauen, in das jetzt als „Pflegeanstalt Oberstedten“ bezeichnete Haus (vgl. Bott 2000: 240, nach: ISG Magistratsakte 8420/123 und StA OU, Oberstedten X 12). Im Juni 1943 beschlagnahmte die Marineintendantur Wilhelmshaven das Gebäude, nutzte es jedoch nicht (vgl. Bott 2000: 240, nach Magistratsakte 8414/5).
In einem Schreiben vom 25. Januar 1945 wurde durch den Reichsverteidigungskommissar die Räumung der Pflegeanstalt Oberstedten angeordnet, sie war zu dieser Zeit mit 55 Frauen belegt. Im Schreiben ist vermerkt: “Die Pflegeanstalt Oberstedten wird völlig geräumt. Der Betrieb wird abgewickelt” (ISG Revisionsamt 208).

Ab 1.2.1945 zog das Clementine-Kinderkrankenhaus, das zu diesem Zeitpunkt unter dem Namen „Deutsches-Rotes-Kreuz-Kinderkrankenhaus“ arbeitete, in das Oberstedter Gebäude und blieb mit durchschnittlich 60 bis 70 Kindern bis 1954. Eine bedeutende Tuberkulosestation wurde errichtet (vgl. Bott 2000: 240).

1958 stellt der Magistrat der Stadt Frankfurt fest, dass die Überführung der Kannschen Stiftungen in die Reichsvereinigung der Juden ein sittenwidriger Akt war und damit der Rechtswirksamkeit entbehrte (ISG Stiftungsabteilung 236, Blatt 47). Damit konnte im gleichen Jahr der Rechtsanwalt Max L. Cahn, Kaiserstraße in Frankfurt am Main, den Vorsitz aller drei Kann-Stiftungen übernehmen und indem er, den Satzungen entsprechend, wieder Vorstandsmitglieder einsetzte, die Beschlussfähigkeit der Stiftung wieder herstellen (vgl. ISG Stiftungsabteilung 133, Blatt 68 ff.). Die Stiftung stellte den Antrag auf Rückerstattung, was die Zustimmung des Hospitals zum Heiligen Geist fand. So konnte das Grundstück und das Gebäude anschließend an die Stiftung Reformhaus-Fachschule verkauft werden. Die daraus resultierenden Einnahmen versetzten die Stiftung 1968 in die Lage ihre Tätigkeit wieder aufzunehmen. Maßgeblichen Anteil hieran hatte Dr. Paul Arnsberg (vgl. Schembs 2007: 67).

Fotografie: Genesungsheim der Kann-Stiftung, Gedenktafel
Genesungsheim der Kann-Stiftung, Gedenktafel
© Edgar Bönisch

1977 bestand der Vorstand aus Dr. Paul Arnsberg, Julius Katz, Georg J. Rosenberg, Walter Maier, Richard Feibel, Ernst Frenkel, Theo Nadel und Jacob Wolf. 1983 setzte er sich zusammen aus Rosl Arnsberg, Arno Lustiger, Henry Felson, Theo Nadel, Richard Feibel, Walter Maier, Jacob Wolf, M. Hess und Dr. S. Korn.

Am 10. Februar 1990 wurde eine Gedenktafel am Genesungsheim, der heutigen Reformhaus-Fachakademie, eingerichtet. Künstler war Georg Hieronymi, Initiator der Ortsbeirat Oberstedten mit Ortsvorsteherin Elisabeth Reinhuber-Adorno, nach einer Idee von Wolfgang Zink von der „Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit“ (Taunus Zeitung, 10. Februar 1990).

Edgar Bönisch 2014

Ungedruckte Quellen
ISG = Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main:

Hausstandsbuch Bornheimer Landwehr 85 (655)

Magistratsakte 9.599

Stiftungsabteilung 133

Stiftungsabteilung 237

StA OU = Stadtarchiv Oberursel, Stadtarchivarin Andrea Bott:

Angelika Rieber = persönliche Auskunft

Literatur

Bott, Andrea 2000: Vom jüdischen Genesungsheim zur „Reformhaus-Fachakademie“. In: Baeumerth, Angelika/Geschichts- und Kulturkreis Oberstedten e.V.: Oberstedten. Eine Ortsgeschichte. Frankfurt am Main, S. 238-241

Bus, Erhard 2000a: Oberstedten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (1815-1866). In: Baeumerth, Angelika: Oberstedten. Eine Ortsgeschichte. Frankfurt am Main.: 111-122.

Bus, Erhard 2000b: Oberstedten im Deutschen Kaiserreich (1866-1914). In: Baeumerth, Angelika: Oberstedten. Eine Ortsgeschichte. Frankfurt am Main.: 148-161.

Bus, Erhard 2000c: Oberstedten im Nationalsozialismus (1933-1945) In: Baeumerth, Angelika: Oberstedten. Eine Ortsgeschichte. Frankfurt am Main.: 184-194.

Frankfurter Rundschau: Mahnmal gegen Mißhandlung und Verfolgung.
10. Februar 1990

Klein, Thomas 1986: Die Lageberichte der Geheimen Staatspolizei über die Provinz Hessen-Nassau 1933-1936. Köln, Wien.

Korf, August 1928: Chronik der Gemeinde Oberstedten. Mit Nachrichten über Mittel- und Niederstedten. Oberursel.

Schiebler, Gerhard 1988: Jüdische Stiftungen in Frankfurt am Main. Frankfurt am Main.

Söhnlein, Walter 1978: Bad Homburg v. d. Höhe – 150 Jahre öffentlicher Verkehr und Stadtstruktur. Landberg-Pürgen.

Taunus Zeitung: Erinnerung an jüdisches Heim. 10. Februar 1990

Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt a. M.: Rechenschaftsberichte. Frankfurt am Main. 1910, 1911, 1913-1919

Wolfgang Zink 1994: Essen und Trinken im Hochtaunus. Aus der jüdischen Küche geplaudert. In: Mitteilung des Vereins für Geschichte und Heimatkunde Oberursel. 34, S. 85-99.

Internetquellen

Alemannia Judaica: Alemannia Judaica – Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum: Oberursel / Taunus mit Stadtteilen Bommersheim und Oberstedten (Hochtaunuskreis) Jüdische Geschichte /Synagoge.
www.alemannia-judaica.de/oberursel_synagoge.htm. (11. April 2014)

Gerechte der Pflege: Emilie Kranz.
www.gerechte-der-pflege.net/wiki/index.php/Emilie_Kranz. (22. Juli 2014)

Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde in Frankfurt, Juli 1933
http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/3098419 6. Juni 2014

Das Hospital der Georgine Sara von Rothschild’schen Stiftung (1870 – 1941) Teil 3: der Umbau 1931/32 und sein Architekt Fritz Nathan

Vom Juli 1931 bis zum März 1932 wurde das orthodox-jüdische Hospital der Georgine Sara von Rothschild’schen Stiftung (im Folgenden: Rothschild’sches Hospital) im Röderbergweg 97 (heute Waldschmidtstraße 129-131) grundlegend umgebaut und modernisiert. Die Finanzierung sicherte mit einer Großspende von Paris aus Adelheid de Rothschild. Sie war die letzte noch lebende Tochter des Stifterpaares Wilhelm von Rothschild und Mathilde von Rothschild und mit dem Philanthrop und Mäzen Edmond James de Rothschild verheiratet.

Gemälde: Rothschild'sches Hospital, Röderbergweg 97, Eingangsbereich.
Der Frankfurter jüdische Architekt Fritz Nathan (undatiert, um 1950, Künstler unbekannt)
© Courtesy of the Leo Baeck Institute: Fritz Nathan Collection, AR 1443 / MF 533

Den Umbau des Rothschild’schen Hospitals leitete Regierungsbaurat Dipl.-Ing. Fritz Nathan (1891–1960), Architekt im Stadtplanungsprogramm ‚Neues Frankfurt‘ um den Reformer Ernst May. Er entwarf Industriegebäude wie das Frankfurter Teppichhaus Brumlik und die Firma ‚Samt und Seide‘ (später Kaufhaus Vetter), das erste Hochhaus der Stadt Mannheim. Mit Fritz Nathans Namen sind anspruchsvolle jüdische Bauprojekte verbunden: der neuere Frankfurter Jüdischer Friedhof Eckenheimer Landstraße mit seinem eindrucksvollen Hauptportal, der Jüdische Friedhof Berlin-Weißensee, der Jüdische Friedhof Stuttgart oder der Jüdische Friedhof Friedberg/Hessen (Erweiterung, Trauerhalle). Bevor er mit dem Umbau des Rothschild’schen Hospitals beauftragt wurde, hatte Fritz Nathan bereits Gebäude der Pflege errichtet, so das Altersheim für jüdische Lehrer und Kantoren in Bad Ems und das Israelitische Altersheim in Mannheim (zuletzt Pauline-Maier-Haus, 2009 abgerissen, vgl. Hartwich 2009).

Fotografie: Rothschild'sches Hospital, um 1932.
Rothschild’sches Hospital, um 1932
© Courtesy of the Leo Baeck Institute: Fritz Nathan Collection, AR 1443 / MF 533
Fotografie: Rothschild'sches Hospital, um 1932.
Rothschild’sches Hospital, um 1932
© Courtesy of the Leo Baeck Institute: Fritz Nathan Collection, AR 1443 / MF 533
Fotografie: Rothschild'sches Hospital, Innenansicht, um 1932.
Rothschild’sches Hospital, Innenansicht, um 1932
© Courtesy of the Leo Baeck Institute: Fritz Nathan Collection, AR 1443 / MF 533

1940 rettete Fritz Nathan auf der Flucht vor den Nationalsozialisten Bauskizzen und Fotos des Rothschild’schen Hospitals in das US-amerikanische Exil und sorgte damit für ihre Erhaltung. Die seltenen Zeugnisse eines in der NS-Zeit vernichteten deutsch-jüdischen Krankenhauses werden im Leo Baeck Institute New York aufbewahrt und sind auch online zugänglich (Fritz Nathan Collection, http://www.lbi.org, Aufruf am 17.11.2014).

Detaillierte Informationen zu Umbau und Innenausstattung veröffentlichte 1932 Karl Hofacker (Oberverwaltungsdirektor des Hospitals zum Heiligen Geist) in seinem Bericht Die Anstalten des Verbandes Frankfurter Krankenanstalten, dem auch das Rothschild’sche Hospital angehörte: „Der gesamte Umbau wurde in etwa 150 Arbeitstagen durchgeführt. Nunmehr können 29 Krankenbetten 3. Klasse, 12 Krankenbetten 2. Klasse und 3 Krankenbetten 1. Klasse untergebracht werden, abgesehen von der durch den Umbau unverändert gebliebenen Isolier-Station mit 6 Betten, zusammen 50 Betten“ (Hofacker 1932: 34).

Fotografie: Rothschild'sches Hospital, Krankenzimmer, um 1932.
Rothschild’sches Hospital, Krankenzimmer, um 1932
© Courtesy of the Leo Baeck Institute: Fritz Nathan Collection, AR 1443 / MF 533

 

Fotografie: Rothschild'sches Hospital, aseptischer Operationssaal, um 1932.
Rothschild’sches Hospital, aseptischer Operationssaal, um 1932
© Courtesy of the Leo Baeck Institute: Fritz Nathan Collection, AR 1443 / MF 533

 Als „besonders bemerkenswert“ hob der Verfasser hervor, „daß für alle Klassen des Krankenhauses freie Arztwahl besteht“ (ebd.: 34). Im ehemaligen Tages- und Betraum des Erdgeschosses war eine moderne Röntgenabteilung „für diagnostische und therapeutische Zwecke“ entstanden. Die gesamte Chirurgie wurde „in ein neu aufgestocktes, 2. Obergeschoß verlegt, das in mustergültig neuzeitlicher Weise die Operationsabteilung in zwei räumlich vollkommen getrennte Einrichtungen für septische und antiseptische Fälle gliedert“ (ebd.: 34).

Fotografie: Rothschild'sches Hospital, Entbindungszimmer, um 1932.
Rothschild’sches Hospital, Entbindungszimmer, um 1932
© Courtesy of the Leo Baeck Institute: Fritz Nathan Collection, AR 1443 / MF 533

„In naher Verbindung mit der chirurgischen Abteilung wurde […] ein Entbindungszimmer ausgebaut […]. Sämtliche Krankenzimmer erhielten Wascheinrichtungen mit kaltem und warmem Wasser, in jedem Geschoß stehen zwei Badeeinrichtungen, 2 Toiletten für die Patienten und 1 Toilette für Personal zur Verfügung. […] An jedem Bett ist ein Radiostecker und […] aus rituellen Gründen eine Signaleinrichtung für Samstag und Feiertage, ohne Benutzung des elektrischen Stroms, angebracht“ (ebd.: 35).

Mit diesem letzten Foto endet die kleine Bilderreise durch das Rothschild’sche Hospital. Über den fast vergessenen NS-Vertriebenen Fritz Nathan liegt erfreulicherweise eine Biographie (vgl. Schenk 2015) mit neuen Erkenntnissen über sein Leben und seine Werke vor.

Die Autorin ist den Nachkommen von Fritz Nathan sowie Herrn Michael Simonson (Archivar) und dem Leo Baeck Institute New York für die freundliche Genehmigung der Veröffentlichung der seltenen Abbildungen auf www.juedische-pflegegeschichte.de zu großem Dank verpflichtet.

Birgit Seemann, 2014, aktualisiert 2018

Primärquellen


ISG Ffm: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main
Sammlung Personengeschichte S 2, Sig. 6.829: Nathan, Fritz

LBI NY: Leo Baeck Institute, New York/Berlin
Fritz Nathan Collection, AR 1443 / MF 533

Literatur und Links


Arnsberg, Paul 1983: Nathan, Fritz. Dipl.-Ing., Architekt. [Nach brieflichen Informationen seiner Tochter Doris Nathan]. In: ders.: Die Geschichte der Frankfurter Juden seit der Französischen Revolution, Band 3. Darmstadt: 314 [mit Abb.]

Hartwich, Inna 2009: Dokument jüdischer Geschichte. Abriss des Pauline-Maier-Hauses des Architekten Fritz Nathan in der Oststadt. In: Mannheimer Morgen, 19.08.2009

Hofacker, Karl 1932: Das Rothschild’sche Krankenhaus. In: Die Anstalten des Verbandes Frankfurter Krankenanstalten. Düsseldorf: 33-35

Hofmann, Willy 1932: Die Stellung der jüdischen Weltanschauung zu Krankheit, Arzt und Medizin. Rede zur Einweihungsfeier des Hospital-Umbaus der Georgine Sara von Rothschildschen Stiftung zu Frankfurt a.M. am 17. Elul 5692, 18. Sept. 1932. Frankfurt a.M.: Hermon-Druck

Leo Baeck Institute New York / Berlin: http://www.lbi.org

Schenk, Andreas 2015: Fritz Nathan – Architekt. Sein Leben und Werk in Deutschland und im amerikanischen Exil. In Zusammenarbeit mit Roland Behrmann. Basel

Schenk, Andreas 2016: Nathan, Fritz. In: Brockhoff, Evelyn (Hg) 2016: Akteure des Neuen Frankfurt. Biografien aus Architektur, Politik, Kultur. Frankfurt a.M., S. 158

Völckers, Otto 1930: Völckers: Geschäftshausbauten von Reg.-Baum. Fritz Nathan, BDA, Frankfurt a.M. (Verlag Stein Holz Eisen)

Das Hospital der Georgine Sara von Rothschild’schen Stiftung (1870 – 1941) Teil 2: Standort Röderbergweg

Das Rothschild’sche Hospital (1878–1941) im Röderbergweg 93/97, heute Waldschmidtstraße 129-131

Zeichnung: Rothschild'sches Hospital, Wanduhr, 26.02.1932 (Signatur des Architekten Fritz Nathan).
Rothschild’sches Hospital, Wanduhr, 26.02.1932 (Signatur des Architekten Fritz Nathan)
© Courtesy of the Leo Baeck Institute: Fritz Nathan Collection, AR 1443 / MF 533

Die Kapazitäten des kleinen Hospitals im Unterweg 20 waren bald erschöpft. 1874 wurden die Patientinnen und Patienten wegen der Renovierung des Hauses vorübergehend verlegt. „[…] dem offenen Auge der hochverehrten Stifterin [Mathilde von Rothschild, d.V.] entging es nicht, dass in jenen eng begrenzten Räumen Grosses nicht geleistet werden konnte […] worauf der Neubau am Röderbergweg entstand, herrlich angelegt, aufs sorgfältigste ausgerüstet mit allen Einrichtungen und hygienischen Anforderungen jener Zeit […]“ (RothHospJahresbericht 1901: 4). Hierfür erwarb die Rothschild’sche Stiftung Grundstücke im Ostend: am Röderbergweg Nr. 97 (Klinik) und Nr. 93 (Ärztehaus der Klinik); die gesamte Liegenschaft befand sich auf dem Areal der heutigen Waldschmidtstraße 129-131. Von 1875 bis 1878 schuf der namhafte Frankfurter Architekt Franz van Hoven einen „vornehmen und gediegenen Neubau nebst Seitengebäude“ (Hofacker 1932: 33); für die Innenausstattung zeichnete Dr. Marcus Hirsch verantwortlich. Am 26. September 1878 wurde das neue Krankenhaus der Verwaltung übergeben, am 1. Oktober 1878 nahm es seinen Betrieb auf.

Im ersten veröffentlichten Jahresbericht für 1878 lobte die Verwaltungskommission u.a. die „Bade-Einrichtungen, namentlich die Dampfbäder, die Ventilations- und Heizungsvorrichtungen […]. Ein völlig getrenntes Nebenhaus gestattet die Reinigung der Kranken und Desinficirung der Kleidungsstücke vor der Aufnahme in das Hospital. Die Gebäulichkeiten liegen in der Mitte eines grossen Gartens, der von der Strasse durch eine eiserne Staketenwand, von den benachbarten Geländen durch eine Mauer getrennt ist“ (RothHospJahresbericht 1879: 5). In dem neuen Hospitalgebäude selbst standen jetzt bis zu 19 Betten bereit: 12 Freibetten sowie aus Kostengründen 7 Betten für zahlungsfähige Erkrankte; die Zahl der im Parterre untergebrachten männlichen Patienten war auf neun begrenzt. Das Personal bestand 1878 aus Dr. Marcus Hirsch, dem konsultierenden und stellvertretenden Arzt (vermutlich Dr. Heinrich Schmidt, dem Buchhalter, der Verwalterin (vermutlich Peppi Heidingsfeld), dem Kastellan (Hausmeister), Köchin und Hausmädchen sowie zwei Wärterinnen (vgl. RothHospJahresbericht 1885: 4) – ausgebildete jüdische Schwestern standen erst nach der Gründung (1893) des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main zur Verfügung.

Aufgaben einer Oberin: die Hausmutter
Die „Hausmutter“ (anfangs möglicherweise die Verwalterin) übte teilweise die Funktion einer Oberin aus. So hatte sie bei der Aufnahme eines Patienten „für etwa erforderliche Reinigung desselben zu sorgen. Derselbe hat sich, soweit er es selbst kann, zu kämmen, zu waschen, – nöthigenfalls den ganzen Körper – welches letztere hinter einem im Saale vorräthigen Schirme zu geschehen hat. […] Die Hausmutter hat ihr Augenmerk darauf zu richten, ob der Kranke etwa mit Ausschlag oder sonst unreiner Krankheit behaftet ist […]. Nach Vollendung der Reinigung ist der Kranke mit frischer Leibwäsche zu versehen […] und in das vorschriftsmässig hergerichtete Bett zu verbringen“ (vgl. RothHospHausordnung 1878: 17f.). Strenge Hygiene und eine angemessene Lüftung der Krankenräume waren im Rothschild’schen Hospital obligatorisch. Arbeitsbelastung und zeitliche Beanspruchung der Hausmutter, welcher die „stete, sorgsame Beobachtung der Kranken“ oblag, waren groß, sollte sie doch auch des Nachts „von Zeit zu Zeit nach den Kranken sehen, erforderlichen Falles bei ihnen wachen“ (ebd.: 23); bei Bettlägerigen hatte sie der „Verhütung des Durchliegens […] die grösste Aufmerksamkeit zuzuwenden“ (ebd.: 24). Sie gab die Medikamente aus und verwaltete deren Bestand. Ganz im Sinne des Stifterpaares verlangte der Hospitalvorstand von der als Hausmutter Angestellten eine „sorgfältige, aufmerksame und gewissenhafte Wartung der Kranken, sowie ein beispielgebend unverdrossenes, freundliches und mildes Begegnen gegen dieselben“; sie hatte „das Ihrige dazu beizutragen, die Leiden der Kranken zu mindern und durch ein theilnehmendes Begegnen zu erleichtern“ (ebd.: 26f.). Auf keinen Fall sollte sich die Hausmutter „auf längere Zeit vom Hospitale entfernen“ (ebd. 28). Stand doch einmal eine längere Abwesenheit an, fungierte satzungsgemäß die Wirtschafterin als ihre Vertreterin. Neben der Tätigkeit im Hospital durften weder die Hausmutter noch die Wirtschafterin ein weiteres Gewerbe oder einen zusätzlichen Dienst ausüben.

Dokument/Deckblatt: Rothschild'sches Hospital, Jahresbericht von 1878 (Deckblatt).
Rothschild’sches Hospital, Jahresbericht von 1878 (Deckblatt)
Nachweis: Jahres-Bericht der Verwaltungs-Commission der Georgine Sara von Rothschild’schen Stiftung für 1878. Frankfurt a.M. 1879

Patientinnen und Patienten
Für das Jahr 1878 berichtete Dr. Marcus Hirsch von insgesamt 64 Patientinnen und Patienten (vgl. RothHospJahresbericht 1879: 13-19): 42 Männer, 19 Frauen, 3 Kinder. 16 von ihnen – darunter gegen ein geringes Verpflegungsgeld offenbar auch Dienstboten und Lehrlinge von Mitgliedern der Israelitischen Religionsgesellschaft – stammten aus Frankfurt, die gleiche Anzahl (2 Frauen und 14 Männer) aus Russland, 13 aus Österreich, sonst aus Hessen, Preußen, Baden, Württemberg, Rumänien und dem Elsass. 42 Betreute wurden als geheilt, 10 als gebessert entlassen. Nicht mehr gerettet werden konnte ein vierjähriges „im Gefolge des Keuchhustens schwindsüchtig gewordenes Mädchen, das zum Scelett abgemagert mit hohem Fieber fast in den letzten Zügen ins Hospital gebracht wurde“ (ebd.: 17). Hingegen wurde ein 17jähriger Metzgerlehrling, dessen Körper fast zur Hälfte durch Petroleum verbrannt worden war, so weit wiederhergestellt, dass er wieder im Metzgerberuf arbeiten konnte. Seit September 1886 wurden erkrankte Kinder entsprechend ihren speziellen Bedürfnissen zunehmend im neu eröffneten Mathilde von Rothschild’schen Kinderhospital (Röderbergweg 109, heute Habsburgerallee 112) versorgt.

Für 1893 machte der Jahresbericht des Rothschild’schen Hospitals die traurige Mitteilung vom Tod seines Chefarztes Dr. Marcus Hirsch, „ein tüchtiger, pflichttreuer und hingebender Arzt“ (RothHospJahresbericht 1894: 4). Sein Nachfolger wurde, bewilligt durch Wilhelm von Rothschild, Geheimer Sanitätsrat Dr. Elieser Rosenbaum, unterstützt von seinem Stellvertreter Dr. Carl Cassian. Seit 1878 waren die Patientenzahlen im Zeitraum von 15 Jahren um ein Drittel gestiegen: 1893 wurden im Rothschild’schen Hospital 83 Erkrankte (42 Männer, 40 Frauen, 1 Kind) behandelt. Für 1899 waren bereits 131 Patienten (77 Frauen, 54 Männer, darunter 12 Männer und 4 Frauen aus Russland) registriert, im darauf folgenden Berichtsjahr 1900 sogar 165 Kranke (106 Frauen, 59 Männer), die zumeist aus Frankfurt a.M., Preußen und Hessen, außerdem aus Bayern, Österreich-Ungarn, Holland, Frankreich, Russland und Palästina kamen; davon wurden 122 als geheilt, 27 als gebessert entlassen; es gab drei Todesfälle durch Leberzirrhose, Leberkrebs und Darmkrebs. Nach dem Tod des Stifters Wilhelm von Rothschild im Jahre 1901 wurde die Veröffentlichung eigener Reports offenbar eingestellt; im letzten Jahresbericht (vgl. RothHospJahresbericht 1901) verweist die Verwaltungskommission (Elias Rosenbaum, Emmanuel Ettinghausen, Moritz Bass, Aron Wolf, Karl Guggenheim) auf die Fortführung der Stiftung durch die Witwe Mathilde von Rothschild.

Personelle Veränderungen und Umbau des Rothschild’schen Hospitals

Zeichnung: Rothschild'sches Hospital, Bauskizze des Architekten Fritz Nathan zum Umbau 1932.
Rothschild’sches Hospital, Bauskizze des Architekten Fritz Nathan zum Umbau 1932
© Courtesy of the Leo Baeck Institute: Fritz Nathan Collection, AR 1443 / MF 533

Die frühen 1920er Jahre brachten für das Rothschild’sche Hospital weitere personelle Veränderungen: 1922 verstarb Geheimer Sanitätsrat Dr. Elieser Rosenbaum; seine Position als ärztlicher Direktor des Rothschild’schen Hospitals und Kinderhospitals übernahm sein Sohn Dr. Sally Rosenbaum. Ein großer Verlust traf das Krankenhaus 1924 durch den Tod der hochbetagten Mathilde von Rothschild, die Nachfolge traten ihr Schwiegersohn Maximilian von Goldschmidt-Rothschild, der Ehemann ihrer verstorbenen Tochter Minka von Goldschmidt-Rothschild, und ihre Tochter Adelheid de Rothschild an; letztere hatte das Hospital von ihrem Wohnort Paris aus bereits um 1920 aus finanzieller Not gerettet, in die es wie die anderen Sozial- und Pflegeinstitutionen nach dem Ersten Weltkrieg geraten war (vgl. ISG Ffm, Nachlassakten 1871 Sig. 515). Dank ihrer Großspende konnte 1932 der von dem Architekten Fritz Nathan geleitete umfangreiche Umbau des Rothschild’schen Hospitals (vgl. Teil 3) mit insgesamt 50 Betten feierlich eröffnet werden.

In seiner Ansprache gab Dr. Willy Hofmann, langjähriger Chirurg des Hauses, folgende Worte mit auf den Weg: „Es ist eine altjüdische Sitte beim Beziehen eines neuen Hauses oder einer neuen Wohnung, daß der Hausherr seine Freunde zu einer Einweihungsfeier zu Gaste lädt und bei dieser Gelegenheit zunächst einen Abschnitt aus der mündlichen Gesetzeslehre, der Mischna, mit ihnen bespricht. […] Es soll damit bezeugt werden, daß es nicht auf den schönen Bau oder dessen schöne Innenausstattung ankommt, sondern auf den religiösen Geist, der in dem neuen Hause herrscht. Der Hausherr bekennt sich damit zu dem Schriftworte: Ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen! […] Wir handeln daher gewiß im Sinne unserer Satzung und der soeben erwähnten alten Ueberlieferung, wenn wir die Stellung der jüdischen Weltanschauung zu Krankheit, Arzt und Medizin, wie sie sich aus den Quellenschriften ergibt, einer näheren Betrachtung unterziehen. Krankheiten sind wie alle Leiden des Menschen Erziehungsmittel der g’ttlichen Waltung und sollen ihn vor allem veranlassen, seinen sittlichen Lebenswandel nachzuprüfen. […] Es ist ein religiöses Gebot für jeden Menschen, einen Kranken zu besuchen. G’tt selbst besucht die Kranken, so heißt es ja: Er erschien dem Abraham im Haine Mamre (Gen. 18, 1). Nach der Ueberlieferung hatte damals Abraham die Beschneidung an sich vollzogen, so daß sein Körper noch geschwächt war. G’tt erschien ihm daher, um ihm einen Krankenbesuch abzustatten. Diese Pflicht des Krankenbesuches [hebr.: Bikkur Cholim], d.V.] erstreckt sich übrigens auch auf nichtjüdische Kranke“ (Hofmann 1932: 3f. [Anm. d.V.: Gottes Name wird im orthodoxen Judentum nicht ausgeschrieben]).

NS-Zeit

Zeichnung: Rothschild'sches Hospital, Röderbergweg 97, Eingangsbereich .
Rothschild’sches Hospital, Röderbergweg 97, Eingangsbereich
Aus: Hofacker, Karl 1932: Die Anstalten des Verbandes Frankfurter Krankenanstalten. Düsseldorf, S. 34

Die Mitgliedschaft des Rothschild’schen Hospitals im Verband Frankfurter Krankenanstalten (vgl. Hofacker 1932) weist die orthodox-jüdische Klinik noch 1932 als selbstverständlichen Teil des Frankfurter Gesundheitssystems aus. Nur ein Jahr später setzten die nationalsozialistischen Machthaber alles daran, die jüdischen Krankenhäuser antisemitisch zu selektieren. Da das Rothschild’sche Hospital hauptsächlich jüdische Patientinnen und Patienten versorgte, war es vom NS-erzwungenen Ausbleiben nichtjüdischer Kranker wenig betroffen. Durch die Zuweisung jüdischer Kranker, die in nichtjüdischen (städtischen und christlichen) Kliniken nicht mehr behandelt wurden, stieß es – ebenso wie das Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde in der Gagernstraße – zunehmend an seine Grenzen. Antisemitisch verfolgte Ärztinnen und Ärzte verlagerten nach dem Verlust ihrer Praxen und ihrer nichtjüdischen Patientinnen und Patienten ihre Arbeitsstätte in den Röderbergweg oder die Gagernstraße. Erzwungene Emigration bewirkte eine hohe Fluktuation unter den medizinischen und Pflegekräften: „[…] Mit dem allgemeinen Approbationsentzug erfolgte im September 1938 das totale Berufsverbot für jüdische Ärzte, nur wenige durften als ‚jüdische Krankenbehandler‘ weiterarbeiten. Diese existenzvernichtende Maßnahme führte zu einer letzten großen Auswanderungswelle“ (zit. n. Livnat/Tobias 2011ff., Aufruf v. 17.11.2014).

Während des Novemberpogroms 1938 betreute das Rothschild’sche Hospital die von den Nazihorden blutig geschlagenen Opfer (vgl. Andernacht/ Sterling 1963: 31, 45). Ende 1939 gab der langjährige ärztliche Direktor Dr. Sally Rosenbaum seine Position wegen eines Augenleidens auf. Sein Nachfolger wurde der Chirurg Dr. Franz Grossmann, welcher trotz seines Übertritts zum Katholizismus als ‚Volljude‘ verfolgt wurde. Die durch Nazi-Eingriffe zunehmend beinträchtigte betriebliche Innenorganisation bewältigte vermutlich der kaufmännische Leiter Artur Rothschild. Seit August 1940 schufen das Rothschild’sche Hospital und das Krankenhaus Gagernstraße trotz mangelnder Ausstattung zusätzlichen Platz für psychisch Erkrankte, die aus „arischen“ Psychiatrien vertrieben wurden; ihnen drohte außer antisemitischer auch eugenische Verfolgung (NS-„Euthanasie“), eine Emigration war kaum möglich. Entsprechend bereitwillig genehmigte die Stadt Frankfurt für die Aufnahme „Leicht-Gemütskranker“ die von beiden Kliniken beantragte Erhöhung der Belegung um 20 (Krankenhaus Gagernstraße) und 5 Betten (Rothschild´sches Hospital). Zum 28. September 1940 erzwangen die NS-Behörden die Eingliederung der Georgine Sara von Rothschild’schen Stiftung in die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland (vgl. Schiebler 1994: 152). Ihre Liegenschaften umfassten außer dem Röderbergweg 93/97 noch Grundstücke (Mietshäuser, teils mit Personalwohnungen für die Hospital-Beschäftigten) in der Rhönstraße 48, 50 und 54. Die traurige Abwicklung leistete der letzte Vorstand des Rothschild’schen Hospitals: Hugo Bondi, Moritz Feibel, Dr. Marx Marxheimer, Dr. Leopold Neuhaus und Alfred Weil (vgl. ebd.).

Im Mai 1941 kam es zur Zwangsschließung des Rothschild´schen Hospitals. Die Nationalsozialisten zwangen Personal und Patienten in das nunmehr letzte Frankfurter jüdische Krankenhaus in der Gagernstraße, das als Sammellager missbraucht wurde. Von dort wurden sie in die Todeslager deportiert. Die Stadt Frankfurt ‚übernahm‘ gemäß dem ‚zweiten Judenvertrag‘ die Liegenschaft des ‚arisierten‘ Hospitals; es wurde vom NS-Bauamt als Hilfskrankenhaus ausgewiesen. Um 1943 zerstörten die alliierten Luftangriffe auf Frankfurt Gebäude und Grundstück. Auf dem Areal entstanden nach Kriegsende anonyme Wohnungsbauten. Bis heute erinnert keine Gedenktafel an die Rothschild’schen Spitäler.

Ausblick
Nach den Zerstörungen der Schoah konnte die Georgine Sara von Rothschild’sche Stiftung als eine von wenigen Frankfurter jüdischen Stiftungen wiederbelebt werden; den ersten „Notvorstand“ (Schiebler 1994: 152) bildeten 1964 Rabbiner Josef J. Horowitz und Rechtsanwalt Dr. Salomon Goldsmith. Die offizielle Errichtung der Stiftung am 23. März 1967 qua Genehmigung des Regierungspräsidenten in Wiesbaden verdankt sich vor allem dem Engagement des Juristen, Journalisten und Historiographen des Frankfurter Judentums, Dr. Paul Arnsberg. Unter seiner Federführung fand am 1. November 1976 die (ebenfalls vom Regierungspräsidenten genehmigte) Neuausrichtung der bis heute bestehenden gemeinnützigen ‚Georgine Sara von Rothschildsche Stiftung zur Förderung von Krankenbetreuung für Israeliten‘ statt. Mitglieder des Vorstands waren 1976 außer dem Vorsitzenden Dr. Paul Arnsberg sein Stellvertreter Bert W. Strassburger, Fred J. Bechhofer (Schatzmeister), Julius Katz (Schriftführer), Henry Felson, Ernst Frenkel und Arno Lustiger. Nach Dr. Arnsbergs Tod im Jahre 1978 übernahm seine ebenso engagierte Witwe Rosl Arnsberg den Vorsitz. Dem Vorstand gehörten im Jahr 1987 außerdem Bert W. Strassburger (stellv. Vors.) Fred J. Bechhofer, Henry Felson, Moshe G. Hess, Dr. Salomon Korn, Arno Lustiger und Thea Nadel an. Der Stiftungszweck umfasst die Förderung von Krankenbetreuung, medizinische Beihilfe sowie weitere humanitäre Aufgaben.

Der herzliche Dank der Autorin geht an Ulrike Heinisch (Institut für Stadtgeschichte Frankfurt a.M.), Michael Simonson und Lottie Kestenbaum (beide Leo Baeck Institute New York) sowie Michael Meyer, Lokalhistoriker (Dierdorf).

Birgit Seemann, 2014, aktualisiert 2016

Primärquellen


ISG Ffm: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main:

Bauaufsicht (BA): Sign. 18.823: Röderbergweg 97

Hausstandsbuch Sign. 186/742: Rhönstraße 47-55

Magistratsakten T: Sign. 2.229: Georgine Sarah [sic] von Rothschild´sche Stiftung, Röderbergweg 97 (1876-1877, 1894)

Magistratsakten V Sign. 707 (1922)

Nachlassakten: Sign. 515: Rothschild, von, Georgine Sara (1871)

Sammlung Ortsgeschichte: S3/N Sig. 7.363: Rothschild´sches Krankenhaus

Stiftungsabteilung: Sign. 400: Mathilde von Rothschildsches Kinderhospital (1903-1967)

 
LBI NY: Leo Baeck Institute, New York/Berlin:

Fritz Nathan Collection, AR 1443 / MF 533 (mit Abb.)

Paul Arnsberg Collection: Mathilde von Rothschild (Abb.)

Paul Arnsberg Collection: Wilhelm von Rothschild (Abb.)

 UB Ffm: Universitätsbibliothek J.C. Senckenberg, Frankfurt a.M., Zentralbibliothek, Sig. Zsq 2791:

Geschäftsordnung für die Verwaltungs-Commission der Georgine Sara v. Rothschild´schen Stiftung in Frankfurt a.M. Frankfurt a.M. 1878: C. Adelmann

Hausordnung für die Georgine Sara v. Rothschild´sche Stiftung für erkrankte fremde Israeliten in Frankfurt a.M. Frankfurt a.M. 1878: C. Adelmann

Jahres-Bericht der Verwaltungs-Commission der Georgine Sara von Rothschild’schen Stiftung. Frankfurt a.M. (Druck von C. Adelmann): 1878(1879)–1884(1885); 1888(1889); 1891(1892)–1897(1898); 1899(1900)–1900(1901)

Statuten für die Georgine Sara v. Rothschild´sche Stiftung für erkrankte fremde Israeliten in Frankfurt a.M. Frankfurt a.M. 1878: C. Adelmann

Unveröffentlichte Quelle: Georgine Sara von Rothschild’sche Stiftung, Nachtrag zum Statut, 03.12.1885

 HHStAW: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden:

HHStAW Abt. 365 Nr. 915: Geburts-, Trau- und Sterberegister der Juden von Wiesbaden (Abschrift v. September 1943) 1832-1876: Sterbeeintrag Georgine Sara von Rothschild (Information von Michael Meyer per Email v. 08.11.2015)

Literatur


AIV (Hg.) 2012: Frankfurter Architekten- und Ingenieurverein (Hg.) 2012: Frankfurt am Main und seine Bauten. Nachdruck der Ausgabe Frankfurt, 1886. Bremen: 164-165

Andernacht, Dietrich/ Sterling, Eleonore (Bearb.) 1963: Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden 1933-1945. Hg v. d. Kommission zur Erforschung der Geschichte der Frankfurter Juden. Frankfurt a.M.

Cleminius, Johann-Georg 1834: Kalenderbuch. Vollständig ausgeführt für die beiden christlichen, den jüdischen und türkischen Kalender […] von 1701 bis 2000 […]. Frankfurt a.M.: Sauerländer, online: http://books.google.de

Heuberger, Georg (Hg.) 2000: Ostend. Blick in ein jüdisches Viertel. [Begleitbuch zur Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt am Main. Red.: Helga Krohn, Ernst Benz.] Frankfurt a.M.

Heuberger, Rachel/ Krohn, Helga 1988: Auseinandersetzungen um das Wesen der Gemeinde. [Kap. V]. In: dies.: Hinaus aus dem Ghetto… Juden in Frankfurt am Main. 1800–1950. Frankfurt a.M.: 71-81

Hirsch, Samson Raphael (Hg.) 1854ff.: Jeschurun (Alte Folge: 1854–1888). Ein Monatsblatt zur Förderung jüdischen Geistes und jüdischen Lebens, in Haus, Gemeinde und Schule. Hg. v. Samson Raphael Hirsch, Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft zu Frankfurt am Main. Online-Ausg.: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaica/ [Jeschurun ging 1889 im ‚Israelit‘ auf, Neue Folge: 1914–1930]

Hofacker, Karl 1932: Das Rothschild’sche Krankenhaus. In: Die Anstalten des Verbandes Frankfurter Krankenanstalten. Düsseldorf: 33-35

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Morgenstern, Matthias 2010: Die Geschichte der Israelitischen Religionsgesellschaft in Frankfurt am Main. Ein Lehrstück über den Kulturkampf, die Integration religiöser Minderheiten und die Liebe zur deutschen Kultur. In: Initiative 9. November [Hg.]: 2010: Erinnerung braucht Zukunft. Der Ort der zerstörten Synagoge an der Friedberger Anlage in Frankfurt am Main. [Bearb. u. Red.: Petra Bonavita]. Frankfurt a.M.: 42-52

Preißler, Dietmar 1989: Frühantisemitismus in der Freien Stadt Frankfurt und im Grossherzogtum Hessen (1810 bis 1860). Heidelberg

Rosenkranz, Michael 2013: Kaschrut – Die jüdischen Speisevorschriften, http://www.talmud.de/tlmd/kaschrut-die-juedischen-speisevorschriften, 12.12.2013 (Aufruf v. 17.11.2014)

RothHospGeschäftsordnung 1878: Geschäftsordnung für die Verwaltungs-Commission der Georgine Sara v. Rothschild´schen Stiftung in Frankfurt a.M. Frankfurt a.M.: C. Adelmann

RothHospHausordnung 1878: Hausordnung für die Georgine Sara v. Rothschild´sche Stiftung für erkrankte fremde Israeliten in Frankfurt a.M. Frankfurt a.M.: C. Adelmann

RothHospJahresbericht 1879–1901: Jahres-Bericht der Verwaltungs-Commission der Georgine Sara von Rothschild’schen Stiftung für 1878. Frankfurt a.M. 1879: C. Adelmann — [1878(1879)–1884(1885); 1888(1889); 1891(1892)–1897(1898); 1899(1900)–1900(1901)]

RothHospStatut 1878: Statuten für die Georgine Sara v. Rothschild´sche Stiftung für erkrankte fremde Israeliten in Frankfurt a.M. Frankfurt a.M. 1878: C. Adelmann

RothHospStatut 1885: Georgine Sara von Rothschild’sche Stiftung, Nachtrag zum Statut, 03.12.1885

Rothschild, Georgine Sara von [Nachruf] 1869: In: Der Israelit X (1869) 18, 05.05.1869, S. 355 [Rubrik ‚Zeitungsnachrichten und Correspondenzen: Deutschland: Mainz], online: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaica/; http://www.alemannia-judaica.de/wiesbaden_personen.htm (Aufruf v. 20.10.2017)

Schembs, Hans-Otto 1994: „Kranken zur Pflege, der Gemeinde zum Frommen, der Vaterstadt zur Zierde“. Die wohltätigen Stiftungen der Rothschilds in Frankfurt am Main. In: Heuberger, Georg (Hg.): Die Rothschilds [Bd. 2]. Beiträge zur Geschichte einer europäischen Familie [Essayband zur Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt a.M.]. Sigmaringen: 211-224

Schembs, Hans-Otto 2007: Jüdische Mäzene und Stifter in Frankfurt am Main. Mit e. Einf. v. Hilmar Hoffmann. Hg. von der Moses-Jachiel-Kirchheim’schen Stiftung. Frankfurt a.M.

Schiebler, Gerhard 1994: Stiftungen, Schenkungen, Organisationen und Vereine mit Kurzbiographien jüdischer Bürger. In: Lustiger, Arno (Hg.) 1994: Jüdische Stiftungen in Frankfurt am Main. Stiftungen, Schenkungen, Organisationen und Vereine mit Kurzbiographien jüdischer Bürger dargest. v. Gerhard Schiebler. Mit Beitr. v. Hans Achinger [u.a.]. Hg. i.A. der M.-J.-Kirchheim’schen Stiftung in Frankfurt am Main. 2. unveränd. Aufl. Sigmaringen 1994: 11-288

Schlotzhauer, Inge 1989: Ideologie und Organisation des politischen Antisemitismus in Frankfurt am Main. 1880–1914. Frankfurt a.M.

Steppe, Hilde 1997: „… den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre …“. Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Frankfurt a.M.

Spiess, Alexander (Bearb.) 1888: Die hygienischen Einrichtungen von Frankfurt am Main. Mit Zugrundelegung der Herrn Geh. Sanitätsrath Dr. Varrentrapp im Jahr 1881 gewidmeten Festschrift: Frankfurt am Main in seinen hygienischen Verhältnissen und Einrichtungen. Bearb. unter Mitwirkungen der Herren Stadtbauräthe Behnke und Lindley von Stadtarzt Dr. Spiess. Frankfurt a.M. 1888. – Online-Ausg.: Frankfurt am Main: Univ.-Bibliothek, 2015, S. 276ff., http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hebis:30:2-246024

Weitere Links (Aufruf v. 17.11.2014)

Leo Baeck Institute New York / Berlin: http://www.lbi.org

The Rothschild Archive:https://www.rothschildarchive.org/

Das Hospital der Georgine Sara von Rothschild’schen Stiftung (1870 – 1941) Teil 1: eine Klinik unter orthodox-jüdischer Leitung

Es ist unser Wille, dass diese Anstalt für ewige Zeiten streng nach den
religiösen Vorschriften des orthodoxen Judentums gehandhabt werden soll.“

(Fundamental-Satzung des Rothschild’schen Hospitals, zit. n. RothHospStatut 1878: 7)

Entstehungsgeschichte im Kontext der Israelitischen Religionsgesellschaft (Kehilat Jeschurun) zu Frankfurt am Main

Auf einem der luftigsten und freundlichsten Punkte der Stadt, auf dem Röderberge, sind die jüdischen Spitäler

(Krohn 2000)

Fotografie: Rothschild'sches Hospital, Röderbergweg 97, Frontansicht.
Rothschild’sches Hospital, Röderbergweg 97, Frontansicht
Aus: Hofacker, Karl 1932: Die Anstalten des Verbandes Frankfurter Krankenanstalten. Düsseldorf, S. 34

Das Hospital der Georgine Sara von Rothschild’schen Stiftung (im Folgenden: Rothschild’sches Hospital) gehörte zum Medizin- und Pflegenetzwerk der neo-orthodoxen Israelitischen Religionsgesellschaft: Das Rothschild’sche Hospital (Röderbergweg 93/97, heute Waldschmidtstraße 129-131) und das Mathilde von Rothschild’sche Kinderhospital (Röderbergweg 109, heute Habsburgerallee 112) standen nah beieinander, das Gumpertz’sche Siechenhaus (Röderbergweg 62-64, heute Nr. 82) lag schräg gegenüber. Eine weitere neo-orthodox geführte Klinik, das Krankenhaus der Israelitischen Krankenkassen, befand sich in der Rechneigrabenstraße 18-20. In der Frankfurter jüdischen Sozial- und Pflegegeschichte nimmt die Israelitische Religionsgesellschaft (im Folgenden: IRG) somit eine bedeutende Rolle ein.

Die Israelitische Religionsgesellschaft (IRG)
Neun Jahrzehnte lang wirkten in Frankfurt am Main zwei jüdische Gemeinden, bis sie durch nationalsozialistischen Zwang wiedervereinigt und dann beide vernichtet wurden. Die konservativ-jüdische Austrittsgemeinde ‚Israelitische Religionsgesellschaft‘ (Kehilat Jeschurun = Gemeinde Israels; vgl. Heuberger/Krohn 1988, Hopp 1996, Morgenstern 1995, 2000 u. 2010) gründeten 1850 alteingesessene Frankfurter jüdische Familien: Sie sahen das traditionelle Judentum durch die größere, mehrheitlich liberale und reformorientierte Israelitische Gemeinde gefährdet. Trotz ihres lange Zeit nur privatrechtlichen Status stellte die IRG mit Dr. Samson Raphael Hirsch (1808-1888) bereits 1851 einen eigenen, zudem prominenten Rabbiner, in der jüdischen Welt bekannt als Begründer der deutsch-jüdischen Neo-Orthodoxie des 19. Jahrhunderts. Seit 1854 zeichnete Rabbiner Dr. Hirsch für Jeschurun (vgl. Hirsch (Hg.) 1854ff.), dem Presseorgan des neo-orthodoxen Judentums, verantwortlich; es ging 1889, ein Jahr nach seinem Tod, in der Zeitschrift Der Israelit auf.

Von jeher hat das Judentum als eine transformative und diskursive Religion neue gesellschaftliche Entwicklungen reflektiert und adaptiert. So bewegte sich Rabbiner Dr. Hirsch ganz in der jüdischen Tradition, als er sie für moderne Bildung und bürgerliche Kultur öffnete. Dabei ging es keineswegs darum, sich an die nichtjüdisch-christliche Umwelt zu ‚assimilieren‘, was aus der Sicht des orthodoxen Judentums einer Selbstauflösung gleichkam, sondern „die Einflüsse der Umwelt im Dienste der Thora zu integrieren“ (Heuberger/Krohn 1988: 75). Im Zuge des preußischen Austrittsgesetzes von 1876 konnten Juden die israelitische ‚Hauptgemeinde‘ ihres Wohnorts ohne Verlust ihrer Rechtszugehörigkeit zum Judentum verlassen (vgl. Morgenstern 2000: 45). Gleichwohl folgte Rabbiner Dr. Hirschs Aufruf an seine orthodoxen Mitstreiter, der Israelitischen Gemeinde Frankfurt den Rücken zu kehren und sich der IRG anzuschließen, nur eine Minderheit: Die Mehrzahl der Orthodoxen blieb, nun als ‚Konservative‘ oder ‚Gemeindeorthodoxie‘ bezeichnet, in der liberalen jüdischen Gemeinde, nicht zuletzt, um eine Spaltung, auch innerhalb der Familiennetzwerke, zu vermeiden. Obgleich es Doppelmitgliedschaften in der Israelitischen Gemeinde und der IRG gab, war das Band zwischen ‚Gemeindeorthodoxie‘ und der ‚unabhängigen‘ Orthodoxie um Rabbiner Dr. Hirsch gerissen.

Fotografie: Wilhelm Carl von Rothschild, 1884.
Wilhelm Carl von Rothschild, 1884
© Courtesy of the Leo Baeck Institute: Paul Arnsberg Collection AR 7206

Die Stifterfamilie von Rothschild und die IRG
Dass Frankfurter Bankiers wie Wilhelm von Rothschild die Gründung der IRG forcierten, lag zum Teil in ökonomischem und politischem Frühantisemitismus (vgl. u.a. Preißler 1989; Schlotzhauer 1989) begründet: Das Stereotyp des ‚jüdischen Kapitalisten‘ durchdrang trotz ihres gleichzeitigen Rufs nach politischer ‚Judenemanzipation‘ selbst Freiheitsbewegungen wie die bürgerliche Revolution von 1848/49. Frankfurts jüdische Bevölkerung war tief gespalten: Dr. Leopold Stein (1810-1882), Rabbiner der reformorientierten Israelitischen Gemeinde, hatte „mehrmals öffentlich die revolutionären Ereignisse freudig begrüßt. Die zahlreichen in Frankfurt ansässigen jüdischen Bankiersfamilien galten dagegen als politisch konservativ und hatten während der Revolution ständig zunehmende Angriffe gegen das jüdische Finanzwesen und jüdische Finanziers hinnehmen müssen. So waren viele von ihnen nun durchaus bereit, der Israelitischen Gemeinde ihre Unterstützung zu entziehen und diese der neugegründeten IRG zugutekommen zu lassen, auch wenn sie selbst in der Mehrzahl nicht orthodox waren“ (Heuberger/Krohn 1988: 74).

Die innerjüdischen Kontroversen machten auch vor der Bankiers- und Stifterfamilie von Rothschild nicht Halt: Mayer Carl von Rothschild und seine Frau Louise von Rothschild waren liberal gesinnt, sein jüngerer Bruder Wilhelm Carl von Rothschild und dessen Gattin Hannah Mathilde von Rothschild – Begründer und Begründerin des Rothschild’schen Hospitals – bekannten sich zur IRG. Dennoch blieb Wilhelm von Rothschild Mitglied der Israelitischen Gemeinde. Er war „fromm und gesetzestreu, aber er lehnte es ab, aus der Gesamtgemeinde auszutreten und Mitglied der orthodoxen Israelitischen Religionsgesellschaft zu werden. Dies führte zur Weigerung deren [sic] Rabbiners Samson Raphael Hirsch, die religiöse Trauung von Wilhelm Carl von Rothschilds Tochter Minka mit Maximilian Goldschmidt vorzunehmen. Wilhelm Carl von Rothschild war dennoch ein Anhänger des Rabbiners und wurde Geldgeber der Israelitischen Religionsgesellschaft für deren Institutionen. Er gab 350.000 Mark zum Bau der Realschule der Israelitischen Religionsgesellschaft und finanzierte den Synagogenneubau in der Schützenstraße“ (Schembs 2007: 127).

Fotografie: Hannah Mathilde von Rothschild (Bildausschnitt), undatiert.
Hannah Mathilde von Rothschild (Bildausschnitt), undatiert
© Courtesy of the Leo Baeck Institute: Paul Arnsberg Collection AR 7206

Wilhelm und Mathilde von Rothschild gehörten zum ‚linken‘ Flügel der IRG: Nach dem Tod (1888) von Rabbiner Dr. Samson Raphael Hirsch unterstützten sie die Nachfolge seines ältesten Sohnes Dr. Mendel Hirsch (Direktor der IRG-Realschule), obwohl seine Tochter Dr. Rahel Hirsch (die erste Medizinprofessorin Preußens) die orthodox-jüdische Lebensführung verlassen hatte. Dies nahmen Mendel Hirschs Gegner vom ‚rechten‘ IRG-Flügel, der sich besonders sittenstreng gab, wiederum zum Anlass, Dr. Salomon Breuer, einen Schwiegersohn Samson Raphael Hirschs, als Rabbiner durchzusetzen. Die trotz aller Differenzen anhaltende Verbundenheit des Ehepaares von Rothschild mit der neo-orthodoxen Rabbinerfamilie Hirsch betraf noch einen weiteren Sohn: Dr. Marcus Hirsch, Gründungsarzt und erster Chefarzt des Rothschild’schen Hospitals.

Die Anfänge: das Rothschild’sche Hospital (1870 – 1878) im Unterweg 20, heute Schleidenstraße 20

Fotografie: Grabstätte von Georgine Sara von Rothschild, Jüdischer Friedhof Rat-Beil-Straße.
Grabstätte von Georgine Sara von Rothschild, Jüdischer Friedhof Rat-Beil-Straße
© 03.09.2014 by Dr. Birgit Seemann

Der Anlass der Gründung des Hospitals der Georgine Sara von Rothschild’schen Stiftung war ein trauriger: Im Jahre 1869 erlag die Namensgeberin Georgine Sara von Rothschild mit erst 17 Jahren einer plötzlichen Krankheit; sie hinterließ ihre Eltern Mathilde und Wilhelm von Rothschild und die beiden jüngeren Schwestern Adelheid und Minka in tiefer Trauer. Trotz des eigenen Leids dachte die Familie an jene Glaubensgenossen, denen es noch schlechter erging. Im Januar 1870 schufen Mathilde und Wilhelm von Rothschild die finanziellen und juristischen Voraussetzungen für eine ‚Georgine Sara von Rothschild’sche Stiftung für erkrankte fremde Israeliten in Frankfurt a.M.‘, wie sie zu Anfang hieß: „Durch diese Stiftung wollen wir einem bisher in den öffentlichen hiesigen jüdischen Wohlthätigkeitsbestrebungen schmerzlich fühlbar gewordenen und auch von der Verewigten [Georgine Sara von Rothschild, d.V.] wiederholt mit inniger Theilnahme zur Sprache gebrachten Bedürfnisse zu genügen suchen und setzen demgemäss hierdurch urkundlich fest, dass das genannte Capital von fl. 50,000 (in Worten: Fünfzig Tausend Gulden) den Fonds zu einem […] Hospitale für solche unbemittelte jüdische Kranke beiderlei Geschlechts bilden soll, welchen ein Anspruch auf unentgeldliche Aufnahme in eine der anderen hiesigen jüdischen Heilanstalten laut deren Statuten nicht zusteht“ (RothHospStatut 1878: 5). Am Jahrzeittag (Jahrestag des Todes) der Namensgeberin, dem 1. Ijar (1869: 2. Mai; 1870: 22. April, vgl. Cleminius 1834: 84, 90), sollte alljährlich „in dem Hospitale die dreimalige Gebetversammlung (Minjan) abgehalten, das übliche Kaddisch [Gebet zum Totengedenken, d.V.] gesprochen und ein Jahreszeitlicht [sic] unterhalten werden“ (RothHospStatut 1878: 6 [Hervorhebungen im Original fett gedruckt]). Am 2. Dezember 1870 verlieh König Wilhelm von Preußen (seit 1871 Kaiser Wilhelm I.) der Stiftung die Rechte einer juristischen Person (vgl. RothHospStatut 1878: 25); als ‚milde Stiftung‘ war sie von Erbschaftssteuern befreit. Das Hospital (6-8 Betten), ein Haus mit Garten, hatte seine Pforten bereits am 8. März 1870 im Unterweg 20 (heute im Stadtteil Nordend-West) geöffnet; die erste Patientin traf am 22. März ein. Bis Ende 1870 wurden 34 Kranke mit 815 Verpflegungstagen betreut (vgl. RothHospJahresbericht 1879: 5, 19).

Dokument/Deckblatt: Rothschild'sches Hospital, Hausordnung von 1878 (Deckblatt).
Rothschild’sches Hospital, Hausordnung von 1878 (Deckblatt)
Nachweis: Hausordnung für die Georgine Sara v. Rothschild´sche Stiftung für erkrankte fremde Israeliten in Frankfurt a.M. Frankfurt a.M. 1878

Unter der Auflage, dass ihnen bei allen wichtigen Angelegenheiten sowie Statutenänderungen die letzte Entscheidung oblag, übergaben Mathilde und Wilhelm von Rothschild die Klinik „der Aufsicht und Verwaltung des Rabbiners [bis 1888 Dr. Samson Raphael Hirsch, d.V.] und Vorstandes der gegenwärtig unter dem Namen ‚Israelitische Religionsgesellschaft‘ hier bestehenden orthodoxen jüdischen Gemeinde, welche auf unser Ersuchen sich zur Uebernahme dieser Verwaltungs-Angelegenheit bereit erklärt haben. Dieselben bilden den Hospital-Vorstand“ (RothHospStatut ebd.: 9 [Hervorhebungen im Original fett gedruckt]). Diesem unterstand die für die organisatorische und finanzielle Leitung zuständige „Verwaltungs-Commission„, mit drei ehrenamtlichen IRG-Mitgliedern „von anerkannt streng orthodox jüdischem Lebenswandel […], welche durch Charakter, Einsicht und menschenfreundliche Gesinnung […] entsprechend qualificiert sind“ (ebd.). Zu ihren Aufgaben gehörte die Aufnahme der Kranken, die Einstellung und Beaufsichtigung des Personals, die Überwachung der religionsgesetzlichen Haushaltsführung, die Einhaltung der Hausordnung und die Instandhaltung der Inneneinrichtung. 1870 bestand die Verwaltungskommission aus Isaac H. Bing, Lissmann Ehrmann, und Moritz Jacob Kann, 1878 aus Lissmann Ehrmann, Emanuel Schwarzschild, Elias Rosenheim und Hermann Baer (vgl. RothHospJahresbericht1879: 3, 6).

Dass das Wohl der Betreuten im Mittelpunkt stand, war nicht nur ein Lippenbekenntnis: Der „Seniorrat“, der unter den drei nichtärztlichen Mitgliedern der Verwaltungskommission monatlich wechselte („Monats-Senior“), hatte das Hospital mindestens dreimal in der Woche zu inspizieren und speziell „jeden Kranken hinsichtlich seiner Pflege und Wartung um etwaige berechtigte Wünsche zu befragen“ (RothHospStatut 1878: 11). Wie die Bewohner/innen des Gumpertz’schen Siechenhauses waren die oft aus einfachen oder gar ärmlichen Verhältnissen kommenden Patientinnen und Patienten des Rothschild’schen Spitals keine Objekte der Verwahrung, sondern gehörten zur Familie des Judentums. Die Statuten schlossen die Aufnahme nichtjüdischer Kranker keineswegs aus, doch hatten Männer, Frauen und Kinder, die in anderen jüdischen Kliniken laut deren Statuten nicht unterkamen oder während ihres Aufenthaltes in Frankfurt bzw. auf der Durchreise erkrankten, den Vorrang. In Ausnahmefällen konnten, hier gegen Vergütung, auch in Frankfurt wohnende sowie wohlhabendere Erkrankte versorgt werden, wenn sie orthodox-jüdische Betreuung und Verpflegung wünschten. Jeden Aufnahmeschein unterzeichneten der jeweils amtierende Monats-Senior und der leitende Hospitalarzt gemeinsam. Verstarb jemand im Krankenhaus, so durfte die „Section einer Leiche […] in Folge religionsgesetzlicher Vorschrift nicht stattfinden“ (ebd.: 19), für die rituelle Beerdigung war selbstverständlich gesorgt.

Die Leitung „in Allem, was Heilung und Förderung der Gesundheitspflege betrifft“ (ebd.: 10), oblag dem leitenden Hospitalarzt (ärztlicher Direktor), welcher an den Sitzungen der Verwaltungskommission mit beratender Stimme teilnahm. Von ihm wurde erwartet, dass er „mit seinen Grundsätzen und seinem Lebenswandel auf dem Boden des gewissenhaft orthodoxen Judentums steht“ (ebd.: 20). Umso bemerkenswerter erscheint, dass laut Statuten grundsätzlich die Möglichkeit bestand, in „Ermangelung eines solchen“ einen „Arzt christlicher Confession anzustellen und von dem Rabbiner der Israelitischen Religions-Gesellschaft [sic] über die vom jüdischen Kranken zu beachtenden religionsgesetzlichen Vorschriften zu instruiren“ (ebd.: 20). Dazu ist es allerdings nie gekommen: Gründungsarzt und bis zu seinem Tod im Jahre 1893 leitender Arzt des Rothschild’schen Hospitals war Dr. Marcus Hirsch, ein Sohn von Rabbiner Dr. Samson Raphael Hirsch; ihm folgten nacheinander sein ebenfalls neo-orthodoxer Kollege Geheimer Sanitätsrat Dr. Elieser Rosenbaum und dessen Sohn Dr. Sally Rosenbaum. Erst der letzte ärztliche Direktor des sich unter der nationalsozialistischen Verfolgung im Auflösungsprozess befindlichen Rothschild’schen Hospitals, Dr. Franz Grossmann, war katholischen Glaubens, jedoch jüdisch geboren und von den Nazibehörden gemäß der ‚Nürnberger Rassegesetze‘ als ‚Volljude‘ eingestuft.

Dokument: Rothschild'sches Hospital, Hausordnung von 1878 (Auszug).
Rothschild’sches Hospital, Hausordnung von 1878 (Auszug)
Nachweis: Hausordnung für die Georgine Sara v. Rothschild´sche Stiftung für erkrankte fremde Israeliten in Frankfurt a.M. Frankfurt a.M. 1878, S. 12-13

Dr. Marcus Hirschs Team bestand anfangs aus einem Assistenzchirurgen, der Hausmutter (zugleich Wärterin) und der für die koschere Küche zuständigen Wirtschafterin. Assistenzarzt, Hausmutter sowie Krankenwärter/in konnten satzungsgemäß ebenfalls der christlichen Konfession angehören; an Schabbat und den jüdischen Festtagen kam nur christliches Personal zum Einsatz. Eine besonderes Amt hatte die Wirtschafterin inne, durfte doch „stets nur eine solche Person angestellt werden, welche einen gewissenhaft orthodoxen jüdischen Lebenswandel führt. Sie ist dem Arzte und der Verwaltungs-Commission untergeordnet“ (ebd.: 21). Der Wirtschafterin beaufsichtigte die koschere Essenszubereitung für die Kranken gemäß der jüdischen Speisegesetze (Kaschrut, deutsch: ‚rituelle Eignung‘; vgl. einführend Rosenkranz 2013). Die Küche hatte sie „streng nach den religionsgesetzlichen Vorschriften des orthodoxen Judenthums zu führen. Namentlich sind auch das Fleisch, das Brod und die Mazzoth [ungesäuertes Brot zu Pessach, d.V.] nur von solchen Verkäufern zu beziehen, die von der […] orthodox jüdischen Gemeinde approbirt sind“ (RothHospStatut 1878: 22); ähnliche Bestimmungen galten für Wein und Milch. Die Einhaltung der rituellen Speisevorschriften war Teil des Heilungsprozesses.

Das Quellen- und Literaturverzeichnis finden Leserin und Leser im Teil 2 des Artikels.

Birgit Seemann, 2014