Jüdische Pflege- geschichte

Jewish Nursing History

Biographien und Institutionen in Frankfurt am Main

Frankfurter jüdische Krankenschwestern und ihre Verbindungen nach Mittelfranken (Nürnberg, Fürth)

Fotografie: Jüdisches Krankenhaus Fürth / Gebäude des ehemaligen Jüdischen Krankenhauses (Israelitisches Hospital) Fürth
Jüdisches Krankenhaus Fürth / Gebäude des ehemaligen Jüdischen Krankenhauses (Israelitisches Hospital) Fürth Urheber: K. Salimi, 02.09.2007, http://www.fuerthwiki.de (Creative Commons-Lizenz)

Auch aus Bayern verlegten junge jüdische Frauen ihren Lebensmittelpunkt nach Frankfurt am Main, wo sie im Verein für jüdische Krankenpflegerinnen eine fortschrittliche Ausbildung mit Karrierechancen erwartete. Der Artikel stellt im ersten Teil Krankenschwestern aus dem an Unterfranken grenzenden Regierungsbezirk Mittelfranken vor; er war nicht wie Unterfranken katholisch, sondern stark protestantisch geprägt. Der zweite Teil macht auf die bislang noch weitgehend unbekannte jüdische Pflegegeschichte der Stadt Nürnberg aufmerksam: Dort befand sich der einzige jüdische Schwesternverein Mittelfrankens, dem auch Pflegende aus Hessen angehörten.

Teil 1: Jüdische Krankenschwestern zwischen Hessen und Mittelfranken
Die genaue Zahl der aus Mittelfranken stammenden Mitglieder des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main lässt sich nicht mehr ermitteln. Namentlich recherchiert werden konnten unter anderem (geordnet nach Geburtsjahr bzw. Generationskohorte): Else Baumann (geb. 1903 in Nürnberg), Berta Hermann (geb. 1903 in Nürnberg), Marianne Joel (geb. 1920 in Ansbach) und Elisabeth Rosenthal (geb. 1920 in Fürth). Der Mitbegründerin des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins und Kölner Oberin Frieda (Brüll) Wollmann (geb. 1866 in Erlangen) ist ein eigener Beitrag gewidmet. Näheres ist auch über Berta Hahn und Betti Bilha Farntrog aus Fürth bekannt, deren Biographien im Folgenden vorgestellt werden – dies ist zugleich ein Stück Erinnerungsarbeit, da beide die Shoa nicht überlebten.

Fotografie: Berta Hahn, Portrait mit Schwesternhaube, ohne Jahr (um 1940) Memorbuch für die Fürther Opfer der Shoah.
Hahn, Berta / Berta Hahn, Portrait mit Schwesternhaube, ohne Jahr (um 1940) Memorbuch für die Fürther Opfer der Shoah, http://www.juedische-fuerther.de

Berta (Schuster) Hahn (Jahrgang 1911) – eine Bäckerstochter aus Fürth
Berta (Schuster) Hahn wurde am 24. Dezember 1911 im unterfränkischen Kitzingen geboren (vgl. Schneeberger 2011), wuchs aber in Fürth (Regierungsbezirk Mittelfranken, Bayern) auf. Fürth, einst ein Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit und des hebräischen Buchdrucks, war in der jüdischen Welt als das ‚fränkische Jerusalem‘ bekannt; der jüdische Anteil an der Stadtbevölkerung war hoch und umfasste zeitweise fast ein Fünftel. Vor der Shoa war Fürth Standort eines der ältesten jüdischen Krankenhäuser Deutschlands. Zur jüdischen Pflege in Frankfurt am Main bestanden offenbar Querverbindungen: So sind in den Hausstandsbüchern (ISG Ffm) Fürther Aufenthalte der Frankfurter Schwestern Else Baumann, Berta David und Regine Goldsteen vermerkt.

Nach den Einträgen in der von Gisela Naomi Blume betreuten Website ‚Jüdische Fürther‘ (vgl. Blume 2010ff.) stammte Berta Hahns Mutter, die Bäckerstochter Recha Rachel geb. Oppenheimer (geb. 1887), aus Fürth, ihr Vater, der Bäckermeister Hugo Schuster (geb. 1879) aus der südhessischen Vogelsberg-Gemeinde Birstein im heutigen Main-Kinzig-Kreis. Bertas Großvater, der Lehrer und Kantor Israel Schuster (gest. 1909), unterrichtete viele Jahre lang an der Israelitischen Volksschule Birstein, über ihre Großmutter Nannchen, an deren Grab sich 1921 auch zahlreiche christliche Trauergäste versammelten, heißt es im Nachruf: „Vornehmes, bescheidenes Wesen und wahre Frömmigkeit waren ihr stets eigen“ (zit. n. Der Israelit, 03.02.1921, Alemannia Judaica Birstein). Das junge Ehepaar Schuster lebte zunächst in Kitzingen, bevor es 1914 mit der kleinen Berta nach Fürth zog. Dort arbeitete Hugo Schuster bei seinem Schwiegervater Bernhard Oppenheimer und trat 1921 in den Familienbetrieb ‚Neumann’sche Bäckerei, Konditorei u. Mehlhandel‘ ein. Berta Hahns jüngere Schwestern kamen in Fürth zur Welt: Martha Schuster (1914–1918), Ruth Hanna Goldmann (geb. 1918) und Nelly Schuster (geb. 1923).

Ob Berta Hahn bereits in Fürth als Krankenschwester tätig war, ist bislang unbekannt. 1940 zog sie, möglicherweise verfolgungsbedingt, nach Frankfurt am Main und pflegte im Rothschild’schen Hospital. Dort lernte sie den gleichaltrigen Krankenpfleger Alfred Hahn kennen, welcher aus Nordhessen stammte. Im Mai 1941 wechselten Personal und Patienten des Rothschild’schen Hospitals nach dessen Zwangsschließung in das von den NS-Behörden als Sammellager missbrauchte letzte Frankfurter jüdische Krankenhaus, Gagernstraße 36. Trotz der widrigen Umstände entschlossen sich Berta Schuster und Alfred Hahn zur Heirat. Bereits am 24. September 1942 befand sich Berta Hahn „in dem Transport von Frankfurt über Berlin nach Raasiku in Estland, in dem sich Krankenschwestern, Ärzte und Heimleiterinnen und weitere Angestellte der aufgelösten jüdischen Gemeinde Frankfurt befanden. Mit demselben Transport und von derselben Adresse wurden auch ihr Ehemann (geb. 08.02.1911 Gudensberg Krs. Fritzlar) und Jenny Hahn (geb. 13.11.1908 Birstein Krs. Gelnhausen) deportiert, die vermutlich ihre Schwägerin war“ (zit. n. Blume 2010ff.: Memorbuch: Hahn, Berta). Von Berta Hahns Familie überlebte nur ihre 1939 noch rechtzeitig in die USA geflüchtete Schwester Ruth Goldmann. Ihre Eltern und die jüngste Schwester Nelly wurden mit dem Nürnberger Transport vom 29.11.1941 nach Riga (Lettland) deportiert, wo Hugo Schuster vermutlich am 1. März 1942 ermordet wurde, Nelly Schuster (zuletzt 09.10.1944 KZ Stutthof bei Danzig) und ihre Mutter Recha gelten als verschollen, ebenso Alfred Hahn (zuletzt um 1944 KZ Stutthof). Am 19. Januar 1945 wurde Berta Hahn im Alter von 33 Jahren in Stutthof ermordet.

Fotografie: Farntrog, Betti / Betti Bilha Farntrog, Portrait, undatiert (um 1941)
Farntrog, Betti / Betti Bilha Farntrog, Portrait, undatiert (um 1941)
Quelle: Yad Vashem, Jerusalem (Gedenkblatt)

Betti Bilha Farntrog (Jahrgang 1920): aus einer frommen jüdischen Familie
Betti Bilha Farntrog wurde am 21. Oktober 1920 in Fürth geboren, ihre Familie war sehr wahrscheinlich mit der Bäckersfamilie Schuster-Oppenheimer bekannt, aus der ihre Kollegin Berta Hahn stammte. Bettis Vater Lazarus Elieser Farntrog (geb. 1886 in Fürth) war im Ersten Weltkrieg als Rotkreuz-Sanitäter im Einsatz. Um den Lebensunterhalt seiner Familie zu sichern, führte er gegenüber dem Fürther Rathaus (Königstraße) ein Textilgeschäft. Außerhalb des Brotberufs engagierte sich Lazarus Farntrog als Mitglied der Fürther israelitischen ‚Beerdigungsbruderschaft‘ (Chewra Kadischa) für die ehrenamtliche jüdische Krankenpflege (Bikkur Cholim) und die rituelle Versorgung und Beerdigung Verstorbener, ein Beispiel jüdischer Frömmigkeit, dem seine beiden ältesten Töchter auf beruflichem Wege nachfolgten; sein einziger Sohn sollte an einer jüdischen Hochschule (Jeschiwa) in Frankreich Tora und Talmud studieren.

Der Zeitzeuge Ludwig Rothschild erinnert sich: „Es ist eine der größten Mizwot [religiöse jüdische Pflichten, B.S.], für unsere Toten immer da zu sein. […] Der allerletzte, der bis zum bitteren Ende noch diese Mizwa erfüllte, um dann selbst ein Opfer der ruchlosen Zeit zu werden, war Lazarus Farntrog selig“ (zit. n. Blume 2010ff.: Memorbuch: Farntrog, Lazarus Elieser). 1937 beantragte Lazarus Farntrog bei den NS-Behörden einen Ausweis, um als „Leichenbegleiter bei vorkommenden Fällen im In- und Ausland“ (zit. n. ebd.) das Fahrzeug der Fürther jüdischen Gemeinde nutzen zu können. Verheiratet war er mit Jettchen Jael geb. Nachmann, 1899 in Hamburg geboren, welche nach der möglicherweise arrangierten Eheschließung (in orthodox-jüdischen Familien dazumal nicht unüblich) nach Fürth zog; Betti Farntrog war vermutlich nach ihrer Hamburger Großmutter Betti Nachmann benannt. Jettchen Farntrog, eine selbstbewusste Frau, führte in der Königstraße 137 noch 1933 ein Grabsteingeschäft. Am 6. Mai 1942 verurteilte sie das Amtsgericht Hamburg wegen „fahrlässigen Nichtanzeigens der Führung des zusätzl.[ichen] Vornamens [in der Regel „Sara“, B.S.] als Jüdin“ (zit. n. ebd.: Farntrog, Jettchen Jael) zu einer Geldstrafe von 25 Reichsmark oder ersatzweise fünf Tagen Gefängnis.

Fotografie: Lazarus Farntrog, Vater der Krankenschwester Betti Farntrog, Rot-Kreuz-Sanitäter im Ersten Weltkrieg, undatiert (um 1916).
Farntrog, Lazarus / Lazarus Farntrog, Vater der Krankenschwester Betti Farntrog, Rot-Kreuz-Sanitäter im Ersten Weltkrieg, undatiert (um 1916)
Credit of Yad Vashem, Jerusalem (Gedenkblatt)

Betti Farntrog wuchs zusammen mit ihrer älteren Schwester Rosi Rivka (geb. 1919), ebenfalls Krankenschwester, und den jüngeren Geschwistern Gerda (geb. 1922), Erwin Isaak (geb. 1923) und Emmy Esther (geb. 1925) in Fürth auf. Auch für diese jüdische Familie markierte der nationalsozialistische Machtantritt 1933 eine tiefe Zäsur. Die sich verschärfenden antisemitischen Selektionsmaßnahmen des NS-Staates engten das schulische und berufliche Fortkommen der jüdischen Kinder und Jugendlichen zunehmend ein. Immerhin konnte Betti Farntrog von 1935 bis 1936 das oberbayerische Mädchenheim Wolfratshausen besuchen, eine von der Ortsgruppe München des Jüdischen Frauenbundes gegründete ‚Wirtschaftliche Frauenschule‘: Dort sollten die jüdischen Schülerinnen die Führung eines koscheren Haushalts lernen und sich für Wirtschafts-, Sozial- und Erziehungsberufe qualifizieren (vgl. Alemannia Judaica Wolfratshausen; Jörgensen/Krafft 2009); in der NS-Zeit rückte die ‚Tauglichmachung‘ (Hachschara) für eine Auswanderung in das damalige britisch kontrollierte Palästina in den Fokus. Auch Betti Farntrog, inzwischen Lehrerin, plante die Alija (Rückkehr in das ‚Gelobte Land‘ Israel), weshalb sie 1939 eine Unbedenklichkeitsbescheinigung – die Bestätigung des Finanzamts, dass mit der Zahlung der Reichsfluchtsteuer (hier als antisemitische Zwangsabgabe) sowie weiterer Steuern eine ‚legale‘ Ausreise vorlag – beantragte. Ihr Vater bemühte sich weiterhin um die Auswanderung der gesamten Familie nach Palästina, doch verweigerten die Nazibehörden die erforderlichen Dokumente. Einem Eintrag in der Datenbank ‚Erinnern‘ des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands zufolge unterrichtete Betti Farntrog offenbar an der Jüdischen Konfessionsschule Nürnberg (vgl. BLLV 2015), besucht von Schülerinnen und Schülern, die mittels der ‚Nürnberger Rassegesetze‘ (1935) aus dem allgemeinen Schulbetrieb ausgeschlossen waren (vgl. Jochem 2015 sowie Wetzel 1992).

Wann sich Betti Farntrog für die Pflege entschied, ist unbekannt, vielleicht erhoffte sie sich als gelernte Krankenschwester bessere Aussichten auf die Emigration. Ihre ältere Schwester Rosi arbeitete im jüdischen Krankenhaus Fürth. Im Sommer 1941 traf Betti Farntrog in Frankfurt am Main ein und war seit dem 3. Juli 1941 (ISG Ffm: HB 687, Bl. 82) im Frankfurter jüdischen Krankenhaus Gagernstraße 36 gemeldet. Von dort wurde sie am 11. Juni 1942 „evakuiert“ (zit. n. ebd.) – die NS-Tarnbezeichung für den Transport in ein Vernichtungslager. Die junge Frau wurde möglicherweise nach Sobibor oder Majdanek deportiert. Seitdem gilt Betti Farntrog als verschollen, ebenso ihre 1942 nach Lublin verschleppte Schwester Rosi und ihre 1943 zusammen mit der jüngsten Schwester Emmi deportierten Eltern Jettchen und Lazarus Farntrog. In der Shoa blieb auch ihr Bruder Erwin Isaak, welcher von Frankreich (Lager Casseneuil) nach Auschwitz deportiert wurde. Nur die Schwester Gerda erreichte 1940 das rettende Palästina, wäre aber an Bord des Flüchtlingsschiffes ‚Patria‘ im Hafen von Haifa beinahe Opfer einer Explosion geworden, die 267 Menschen tötete und viele verletzte; sie lebte zuletzt mit ihrem Ehemann Benjamin Weinstein in den USA. Der Gedenkstätte Yad Vashem stellte Frau Weinstein Gedenkblätter mit biografischen Daten und Fotografien ihrer ermordeten Angehörigen zur Verfügung.

Teil 2: Blick auf Nürnberg und seine jüdische Pflegegeschichte: der Verein für jüdische Krankenpflegerinnen und das Israelitische Schwesternheim

Anzeige: Verein für jüdische Krankenpflegerinnen Nürnberg - Annonce / Anzeige des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Nürnberg.
Verein für jüdische Krankenpflegerinnen Nürnberg – Annonce / Anzeige des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Nürnberg
Der Israelit v. 31.10.1901

Während jüdische Frauen aus Mittelfranken Mitglieder des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins wurden, fanden auf umgekehrtem Wege Pflegende aus Frankfurt und Hessen Aufnahme im Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Nürnberg. Namentlich bekannt sind Ruth Retha Kahn, Veronika Fränkel, Rosa Strauss und die beiden Schwestern Sara Levi und Johanna (Levi) Sämann. Der einzige jüdische Schwesternverein Mittelfrankens bestand (wie das Israelitische Schwesternheim in München) seit 1900 (vgl. StadtAN, Sign. E 6/157: Jahresberichte des Nürnberger Schwesternvereins 1906-1920; Freudenthal 1925: 138-139; Steppe 1997a: 107, 112, siehe auch Ledermann/ Wolff 1996: 55). Die Ausbildung finanzierte von Berlin aus die Großloge der humanitären jüdischen Organisation Unabhängiger Orden Bne Briss (UOBB). Die süddeutschen Schwesternvereine ordneten sich daher nicht dem Frankfurter, sondern als „externe ‚Filialanstalten‚“ (zit. n. ebd.: 107 [Hervorhebung im Original]) anfangs dem geographisch viel weiter entfernten Berliner jüdischen Schwesternverein (gegründet 1894) zu. Da es in Nürnberg kein israelitisches Krankenhaus und in der jüdischen Klinik im benachbarten Fürth keine eigene Krankenpflegeschule gab, schickte der Schwesternverein seine Schülerinnen zunächst nach Berlin und seit 1906 nach Breslau: Dort hatte die Israelitische Krankenverpflegungsanstalt (vgl. Reinke 1999) gerade eine (1908 staatlich anerkannte) Krankenpflegeschule eröffnet, bereits 1899 war das Breslauer ‚Jüdische Schwesternheim‘ gegründet worden.

Fotografie: Klara Hess, Oberin des Vereins der jüdischen Krankenpflegerinnen zu Nürnberg, o.J. [um 1935].
Hess, Klara / Klara Hess, Oberin des Vereins der jüdischen Krankenpflegerinnen zu Nürnberg, o.J. [um 1935]
Mit freundlicher Genehmigung des Stadtarchivs Nürnberg, Sign. C 21/VII Nr. 64

1912 gehörten dem Nürnberger jüdischen Schwesternverein 9 Pflegende an, alle in der unentgeltlichen Privatpflege für Kranke aller Konfessionen tätig, „der höchste Stand im Schwesternheim war im Jahre 1918 mit 15 Schwestern außer der Oberin erreicht“ (Freudenthal 1925: 139). Seit 1913 war jeweils eine Schwester für die Armenpflege und für die Leitung eines von Nürnberg aus gestifteten israelitischen Kindererholungsheims im Büger Schloss zu Forth zuständig. Bis 1924 wurden insgesamt 33 Krankenschwestern ausgebildet. Die Pflegestation mit Schwesternwohnungen befand sich in der Feldstraße 3, erst 1931 konnte ein eigenes neues Schwesternhaus in der Wielandstraße 6 (vgl. Kolb 1946: 103) bezogen werden. Der Nürnberger jüdischen Schwesternschaft stand zuletzt Oberin Klara Hess (1875 Ermreuth bei Forchheim – 1941 deportiert nach Riga/ Lettland) vor; die biografischen Daten ihrer Vorgängerinnen Oberin Hedwig Thonn und Oberin Therese Markus sind bislang nicht bekannt.

Wie in Frankfurt unterstützte auch in Nürnberg die humanitäre jüdische Logenvereinigung Bne Briss die berufliche jüdische Krankenpflege, hier vertreten durch die Maimonides-Loge, 1903 gegründet und nach dem berühmten jüdischen Arzt, Rechtsgelehrten und Philosophen benannt, und die Jakob-Herz-Loge, 1921 gegründet und nach ersten jüdischen Professor Bayerns, ebenfalls Mediziner, benannt (vgl. Freudenthal 1925: 127-129). Eine tragende Kraft beider Logen war der Nürnberger Reformrabbiner Dr. Max Freudenthal (1868 Neuhaus a.d. Pegnitz – 1937 München), der dem Nürnberger jüdischen Schwesternverein lange Zeit vorstand. Zu den Vorsitzenden des Vereins gehörte auch Rechtsanwalt Fritz Josephthal (1890 Nürnberg – 1954 New York), ein couragierter Mann, welcher sich 1923 einmal sogar auf offener Straße mit Julius Streicher, dem späteren berüchtigten NS-Gauleiter Mittelfrankens und Verleger des Hetzblatts Der Stürmer, anlegte (vgl. Berliner 2001: 2). Über seine Mutter Auguste geb. Brüll war Fritz Josephthal möglicherweise mit der Frankfurter Krankenschwester und Kölner Oberin Frieda (Brüll) Wollmann verwandt. Sein Verwandter Ludwig C. Berlin erinnert sich: „Im jüdischen Leben Nürnbergs war der Verein für jüdische Krankenpflegerinnen, der sogenannte ‚Schwesternverein‘, dessen 1. Vorsitzender er war, eine Herzensangelegenheit für ihn. Es liegt nahe, daß die vier Monate, die er 1915/1916 als Schwerverwundeter in Lazaretten verbrachte, ihm eine besondere Einsicht in die Arbeit von Krankenschwestern vermittelt hatten. Die jüdischen Schwestern pflegten unentgeltlich Kranke aller Konfessionen. Der Verein mußte Mitte der dreißiger Jahre seine Tätigkeit einstellen[,] und Fritz Josephthal übernahm die Umwandlung des bisherigen Schwesternwohnheimes in der Wielandstraße in ein Altersheim. Als solches wurde es bis zur Deportation aller Nürnberger Juden, die im November 1941 begann, benützt“ (ebd.). Vermutlich setzten einige ehemalige Vereinsschwestern ihre Pflegetätigkeit im Altersheim fort.

Der nationalsozialistische Griff nach dem Nürnberger jüdischen Schwesternhaus erfolgte laut dem langjährigen Vorsitzenden der Nürnberger jüdischen Nachkriegsgemeinde, Arno Hamburger, bereits 1935 durch die Deutsche Arbeitsfront (DAF): „[…] 1945 hatte ich mich aktiv eingeschaltet bei der Beschaffung des ersten Hauses für die jüdische Nachkriegsgemeinde in der Wielandstraße. Hier war ursprünglich einmal ein Haus für jüdische Krankenschwestern, das im Jahre 1935 von der DAF arisiert wurde. Es wurde der jüdischen Gemeinschaft auf meine Initiative hin noch im Mai 1945 zurückgegeben, von der Militärregierung“ (Hamburger 1995: 171). Arno Hamburger und andere Shoa-Überlebende konnten im Nachkriegsdeutschland wieder eine neue Nürnberger jüdische Gemeinde errichten und das frühere jüdische Schwesternhaus Wielandstr. 6 als Altenwohnheim, Gemeindeverwaltung und Gebetshaus nutzen. Seit dem 8. September 1984 verfügt die Israelitische Kultusgemeinde Nürnberg (IKGN) in der Johann-Priem-Straße 20 wieder über ein eigenes jüdisches Gemeindezentrum. Hierzu gehört das nach Arno Hamburgers Vater Adolf Hamburger benannte Senioren- und Pflegeheim der IKGN mit 108 Plätzen (vgl. http://www.ikg-nuernberg.de/pflegeheim.html [letzter Aufruf am 19.10.2017]).

Die spannende Biografie- und Sozialgeschichte des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Nürnberg gilt es im Kontext seiner städtischen und überregionalen Vernetzung weiter zu erforschen. Für wichtige Hinweise und Unterstützung dankt die Autorin Gisela Naomi Blume (Online-Gedenkprojekt „Jüdische Fürther“), Dr. Eckart Dietzfelbinger (Historiker, Nürnberg), Dr. Wiltrud Fischer-Pache und Gerhard Jochem (beide Stadtarchiv Nürnberg), Förderung zeitgeschichtlicher Forschung in Nürnberg und der Vermittlung ihrer Ergebnisse (FZFN), Leibl Rosenberg (Stadtbibliothek Nürnberg: Sammlung der Israelitischen Kultusgemeinde), Dr. Martina Switalski (Historikerin und Lehrerin, Melanchthon-Gymnasium Nürnberg) und Jim G. Tobias (Nürnberger Institut für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts e.V.).

Birgit Seemann, 2013, updated 2020

 

Archivalische Quellen


FRA UAS Bibl.: Frankfurt University of Applied Sciences, Bibliothek: Historische Sondersammlung Soziale Arbeit und Pflege:

Rechenschaftsberichte des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main

  ISG Ffm: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main:

Hausstandsbuch HB 655: Bornheimer Landwehr 85 (Schwesternhaus)

Hausstandsbuch HB 686 und 687: Gagernstraße 36 (Krankenhaus)

  StadtAN: Stadtarchiv Nürnberg:

GSI 133: Quellen des Stadtarchivs zum jüdischen Leben in Nürnberg, Neufassung 1997, bearb. v. Gerhard Jochem: http://www.nuernberg.de/imperia/md/stadtarchiv/dokumente/gsi133_quellen_juedischen_lebens.pdf

Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Nürnberg: Bestand C 7/I Generalregistratur: Sign. C 7/I Nr. 9262 (Laufzeit 1900–1938)

Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Nürnberg: estand E 6 Vereinsarchive: Sign. E 6/157 (Laufzeit 1906–1920): Jahresberichte des Schwesternvereins

Fränkel, Veronika: Einwohnermeldekartei: Sign. C 21/X Nr. 3; Passkarteikarte: C21/VII Nr. 42)

Sämann, Johanna: Einwohnermeldekartei: Sign. C 21/X Nr. 8, Nr. 10)

 UB JCR Ffm: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt am Main:

Spezialsammlungen: Digitale Sammlungen: Judaica: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaica/

Ausgewählte Literatur


Alicke, Klaus-Dieter 2008: Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum. Gütersloh, 3 Bände

Alicke, Klaus-Dieter 2014: Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum, http://www.jüdische-gemeinden.de (Aufruf vom 21.09.2015)

Berlin, Ludwig C. 2001: Fritz Josephthal, Nürnberg (9.7.1890 in Nürnberg – 14.2.1954 in New York), http://www.rijo.homepage.t-online.de/pdf/DE_NU_JU_joseph2d.pdf [letzter Aufruf am 21.09.2015]

Bielefeldt, Katrin 2005: Jüdisches Krankenhaus: Vom „Judenheckisch“ zum modernen Hospital. In: dies.: Geschichte der Juden in Fürth. Jahrhundertelang eine Heimat. Hg.: Geschichte für Alle e.V. – Institut für Regionalgeschichte. Nürnberg: 48-51

BLLV 2015: Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband: Das BLLV-Geschichtsprojekt Erinnern. Jüdische Lehrer und Schulen in Bayern, https://www.bllv.de (Rubrik ‚Initiativen‘) [Stand bzw. letzter Aufruf v. 21.09.2015]

Blume, Gisela Naomi 2010ff.: Memorbuch für die Fürther Opfer der Shoah, http://www.juedische-fuerther.de (Einträge zu Betti Bilha Farntrog, Berta (Schuster) Hahn und ihren Familien) [letzter Aufruf vom 21.09.2015]

Brenner, Michael/ Eisenstein, Daniela F. (Hg.) 2012: Die Juden in Franken. München

Freier, Thomas 2015: Statistik und Deportation der jüdischen Bevölkerung aus dem Deutschen Reich: http://www.statistik-des-holocaust.de [letzter Aufruf am 21.09.2015]

Freudenthal, Max 1925: Die israelitische Kultusgemeinde Nürnberg. 1874–1924. Von Dr. Max Freudenthal, Rabbiner. Nürnberg. – Online-Ausg.: Frankfurt a.M.: Univ.-Bibliothek, 2009, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hebis:30-180014736001 [letzter Aufruf am 21.09.2015

Gedenkbuch Nürnberg 1998: Jochem, Gerhard/ Kettner, Ulrike (Bearb.) 1998: Gedenkbuch für die Nürnberger Opfer der Schoa. Hg. v. Michael Diefenbacher u. Wiltrud Fischer-Pache [für das Stadtarchiv Nürnberg]. Mit e. Essay v. Leibl Rosenberg. Nürnberg

Gedenkbuch Nürnberg 2002: Jochem, Gerhard/ Kettner, Ulrike (Bearb.) 2002: Gedenkbuch für die Nürnberger Opfer der Schoa. [Ergänzungsband] Hg. v. Michael Diefenbacher u. Wiltrud Fischer-Pache [für das Stadtarchiv Nürnberg]. Mit e. Beitrag v. Kurt Kellermann. Nürnberg

Glaser, Willie o.J. [2007]: The history of the Jewish hospital in Fürth until 1942. Edited by Gerhard Jochem, http://www.rijo.homepage.t-online.de/pdf/EN_FU_JU_hospital.pdf [letzter Aufruf am 21.09.2015]

Hamburger, Arno 1995: Heimkehr in der Uniform der Jüdischen Brigade. In: Brenner, Michael: Nach dem Holocaust. Juden in Deutschland 1945–1950. München: 169-173

Jochem, Gerhard (Bearb.) 1998: Mitten in Nürnberg. Jüdische Firmen, Freiberufler und Institutionen am Vorabend des Nationalsozialismus / Stadtarchiv Nürnberg. Hrsg. von Michael Diefenbacher und Wiltrud Fischer-Pache [für das Stadtarchiv Nürnberg]. Nürnberg

Jochem, Gerhard 2006a: Chronologie der jüdischen Gemeinde in Fürth bis 1945, 25.05.2006, http://www.rijo.homepage.t-online.de/pdf/DE_FU_JU_fuerth4.pdf [letzter Aufruf am 21.09.2015]

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Jochem, Gerhard (Bearb.) 2015: Blutvergiftung. Rassistische NS-Propaganda und ihre Konsequenzen für jüdische Kinder und Jugendliche in Nürnberg. Nürnberg 2015: Stadtarchiv Nürnberg

Jörgensen, Kirsten/ Krafft, Sybille (Hg.) 2009: „Wir lebten in einer Oase des Friedens…“. Die Geschichte einer jüdischen Mädchenschule 1926–1938. Hamburg, München

Kluxen, Andrea M./ Krieger, Julia (Hg.) 2011: Juden in Franken. 1806 bis heute. Hg. v. Bezirk Mittelfranken durch Andrea M. Kluxen und Julia Krieger. 3., teilw. überarb. Aufl. Würzburg

Kolb, Bernhard 1946: Die Juden in Nürnberg 1839–1945. Bearb. v. Gerhard Jochem. Online-Ausg. v. Juni 2007: http://www.rijo.homepage.t-online.de/pdf/DE_NU_JU_kolb_text.pdf [letzter Aufruf am 21.09.2015]

Ledermann, Marita/ Wolff, Horst-Peter 1996: Zur Geschichte jüdischer Pflegevereine im fränkischen Raum. In: Beiträge zur Pflegegeschichte in Deutschland (Teil I). Heft 5 der Schriften aus dem Institut für Pflegegeschichte. Qualzow: Eigenverlag: 48-62

Reinke, Andreas 1999: Judentum und Wohlfahrtspflege in Deutschland. Das jüdische Krankenhaus in Breslau 1726–1944. Hannover (insbes. S. 216-223: Das Krankenhaus als Lehr- und Ausbildungsstätte)

Schneeberger, Michael 2011: Berta Hahn geb. Schuster. In: ders. (Hg., Bearb.): Gedenkbuch Kitzingen – yiskor. Zum Gedenken an die in der Shoah ermordeten Kitzinger Juden. Recherchiert u. zsgest. v. Michael Schneeberger unter Mitarb. v. Christian Reuther u. Elmar Schwinger. Mit e. Beitrag v. Elmar Schwinger: Schicksalswege der ehemaligen Israelitischen Kultusgemeinde Kitzingen. Kitzingen: Förderverein Ehemalige Synagoge Kitzingen: 187-189

Seemann, Birgit 2019: „Die jüdische Schwester ist längst heimisch geworden in unserer Stadt‟. Der Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Nürnberg (1900–1938). In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 106 (2019), S. 165-206

Steppe, Hilde 1997: „… den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre …“. Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Frankfurt a.M.

Steppe 1997a: Organisationsformen und Institutionalisierung. In: dies. 1997: 90-127

Wetzel, Juliane 1992: Ausgrenzung und Verlust des sozialen Umfeldes. Jüdische Schüler im NS-Staat. In: Benz, Ute/ Benz Wolfgang (Hg.) 1992: Sozialisation und Traumatisierung. Kinder in der Zeit des Nationalsozialismus. Frankfurt a.M.: 92-102

Internetquellen (letzter Aufruf am 11.10.2017)

Alemannia Judaica Birstein: http://www.alemannia-judaica.de/birstein_synagoge.htm

Alemannia Judaica Ermreuth: http://www.alemannia-judaica.de/ermreuth_synagoge.htm

Alemannia Judaica Fürth: http://www.alemannia-judaica.de/fuerth_synagoge.htm

Alemannia Judaica Fürth (Israelitisches Hospital): http://www.alemannia-judaica.de/fuerth_hospital.htm

Alemannia Judaica Kitzingen: http://www.alemannia-judaica.de/kitzingen_synagoge.htm

Alemannia Judaica Nürnberg: Nürnberg – Texte/Berichte zur jüdischen Geschichte der Stadt:http://www.alemannia-judaica.de/nuernberg_texte.htm

Alemannia Judaica Wolfratshausen: http://www.alemannia-judaica.de/wolfratshausen_erholungsheime.htm

Bayerische Staatsbibliothek: http://www.bavarikon.de

BA Koblenz Gedenkbuch: Bundesarchiv Koblenz: Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945, http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/intro.html.de

Deportation und Flucht von Juden aus Fürth: https://www.wikipedia.de

Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, Nürnberg: https://www.museen.nuernberg.de/dokuzentrum

FZFN: Förderung zeitgeschichtlicher Forschung in Nürnberg und der Vermittlung ihrer Ergebnisse, Nürnberg: http://www.rijo.homepage.t-online.de/testimon/index.html

Israelitische Kultusgemeinde Nürnberg: http://www.ikg-nuernberg.de

Jüdisches Krankenhaus (Israelitisches Spital) Fürth: http://www.fuerthwiki.de

Jüdisches Museum Franken: http://www.juedisches-museum.org

Nürnberger Institut für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts e.V.: Nuremberg Institute for Holocaust Studies: http://www.nurinst.org

RIJO RESEARCH: Hg. v. Susanne Rieger u. Gerhard Jochem, http://www.rijo.homepage.t-online.de/index-d.html

Stadtbibliothek Nürnberg: Sammlung der Israelitischen Kultusgemeinde: http://www.nuernberg.de/internet/stadtbibliothek/sammlungikg.html

Synagoge (Nürnberg): https://www.wikipedia.de

Yad Vashem, Jerusalem (Gedenkstätte mit Datenbank): http://www.yadvashem.org

Krankenhaus Strassburg

Frankfurter jüdische Krankenpflege in Straßburg (Elsass)

Zeichnung: Strassburg - Adassa / Israelitisches Krankenhaus Straßburg, Hagenauer Platz (Place de Haguenau), um 1894.
Strassburg – Adassa / Israelitisches Krankenhaus Straßburg, Hagenauer Platz (Place de Haguenau), um 1894
Aus: Architekten- und Ingenieur-Verein für Elsass-Lothringen (Hg.): Strassburg und seine Bauten, Strassburg 1894, S. 523

Die deutsch-jüdische Pflegegeschichte in Straßburg (Elsass), heute Strasbourg, im Osten Frankreichs ist ein bislang unerforschtes pflegehistorisches Thema. Der Artikel beleuchtet erstmals einen Ausschnitt, der zugleich die überregionale Vernetzung und Bedeutung des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main dokumentiert. Von 1911 bis zum Ersten Weltkrieg pflegten im Israelitischen Krankenhaus (Clinique Adassa) Frankfurter jüdische Schwestern unter der Leitung ihrer Oberin Julie Glaser. Auch danach blieben die Schwestern auf ihrem Posten und versorgten in einem großen Straßburger Festungslazarett Schwerverwundete aller Nationen.

Das Israelitische Krankenhaus zu Straßburg (Elsass) / Clinique Adassa de Strasbourg
Am 17. September 1878 errichtete die jüdische Gemeinde zu Straßburg (Strasbourg/ Elsass) das Israelitische Krankenhaus (La Maison de Santé Israélite, später Clinique Adassa) in der Rue de Couples (Kuppelhof). Dort suchten nicht nur jüdische Straßburger/innen Heilung, sondern auch viele Angehörige des elsässischen Landjudentums. „Viele Straßburger sind in der 1878 gegründeten Klinik Adassa geboren“ (Lorey 2014). Wegen des erhöhten Bedarfs zog das Krankenhaus 1885 in einen von Stadtbauinspektor Edouard Roederer konzipierten Neubau am Hagenauer Platz (Place de Haguenau), die feierliche Einweihung fand am 20. Januar 1886 statt. „Die Zahl der Betten für Kranke und Pensionäre beträgt 65. Allen hygienischen Anforderungen ist in ausreichendster Weise Rechnung getragen“ (zit. n. Strassburg 1894: 523).

Das Krankenhaus, die heutige Clinique Adassa (vgl. https://www.clinique-rhena.fr/fr) überlebte als Institution beide Weltkriege und die Shoa; sie ist die einzige jüdische Klinik Frankreichs (Stand 2017) wird der traditionelle Standort in der Rue de Haguenau als eine Stätte jüdischen Lebens vermutlich der Vergangenheit angehören: Im Straßburger Osten entsteht aus Kostengründen das interkonfessionelle Klinikzentrum ‚Rhéna‘, getragen von Adassa (jüdisch), Diaconat (evangelisch) und Sainte Odile (katholisch). „Abstriche müssen die drei Krankenhäuser an der konfessionellen Ausrichtung machen: ‚Wir werden in den Türpfosten keine jüdische Mesusa-Schriftkapsel anbringen und im Krankenzimmer auch kein Kreuz aufhängen‘, so Guillaume Lohr, Generaldirektor der ‚Rhéna-Klinik‘. ‚Die konfessionelle Seite bei der Pflege wird völlig verschwinden.‘ Im Zentrum des Klinikums werde es einen multikonfessionellen Andachtsraum ohne religiöse Symbole geben, der für Christen, Juden und auch Muslime offen sei“ (zit. n. Lorey 2014).

Rosa Spiero / In New York
Aus: Thea Levinsohn-Wolf 1996: Stationen einer Krankenschwester. Frankfurt a. M.: 139

Frankfurter jüdische Krankenschwestern in Straßburg
Um 1910 fanden im Israelitischen Krankenhaus zu Straßburg umfangreiche Modernisierungen statt, die auch die Etablierung einer professionellen Krankenpflege betrafen. Zu der Gründung eines eigenen jüdischen Schwesternvereins kam es indes nicht. Dass sich die dringlichen Anfragen aus Straßburg nach gut ausgebildeten und zugleich deutschsprachigen jüdischen Pflegekräfte an den Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main richteten, dokumentiert dessen Ansehen und Bedeutung in der überregionalen jüdischen Pflege (vgl. auch den Beitrag zu Basel und Davos).

Für die anspruchsvolle Aufgabe des Aufbaus einer modernen Pflege entsandte der Verein am 1. Juli 1911 drei bewährte und tatkräftige Schwestern: Operationsschwester Bertha Schönfeld, Narkoseschwester Rosa Spiero und als Oberin Julie Glaser. Für Bertha Schönfeld und Rosa Spiero – nach der Erinnerung ihrer Frankfurter Kollegin Thea Levinsohn-Wolf zwei „starke Charaktere“, die manchen Disput austrugen (Levinsohn-Wolf 1996: 27) – endete die Straßburger Episode bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Seit Beginn der 1920er Jahre oblag den beiden „Kampfhähnen“ (ebd.) die gemeinsame Verantwortung für den pflegerischen Bereich der Chirurgie des Frankfurter jüdischen Krankenhauses Gagernstraße, Rosa Spiero wurde als Oberschwester Bertha Schönfelds direkte Vorgesetzte.

Fotografie: Bertha Schönfeld / Schwester Bertha im Operationssaal des Krankenhauses der Israelitischen Gemeinde in der Gagernstraße 36.
Bertha Schönfeld / Schwester Bertha im Operationssaal des Krankenhauses der Israelitischen Gemeinde in der Gagernstraße 36
Thea Levinsohn-Wolf, Stationen einer jüdischen Krankenschwester. Deutschland – Ägypten – Israel, Frankfurt am Main 1996, S. 28

Das Straßburger Team verstärkten zudem Blondine Brück und Rahel (Recha) Wieseneck. 1909 waren sie zusammen mit zwei weiteren Schülerinnen nach ihrer „Lehrzeit“ von anderthalb Jahren „auf Grund des Reifezeugnisses der ausbildenden Aerzte mit Zustimmung des Schwesternrats in den Schwesterverband [sic] aufgenommen“ worden (JüdSchwVereinFfm 1910: 5). Nach dem Konzept des Verwaltungsausschusses des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins abwechselnd im stationären Dienst des „Königswarter Hospitals“ und in der Privatpflege tätig, verfügten Schwester Blondine und Schwester Recha über reichhaltige berufliche Erfahrung. Weitere ‚Frankfurterinnen‘ im Israelitischen Krankenhaus Straßburg waren die zwischen 1911 und 1914 ausgebildeten Jenny Cahn, Gertrud Glaser, Ricka Levy und Bella Peritz. Als die politischen Verhältnisse sie im November 1918 aus Straßburg vertrieben, kehrten alle Schwestern mit ihrer Oberin Julie Glaser in das Frankfurter jüdische Schwesternhaus zurück, aus dem Ricka Levy kurz darauf ausschied. Bis auf Gertrud Glaser (Privatpflege) pflegten sie im 1914 eingeweihten neuen Krankenhaus Gagernstraße, Blondine Brück stieg zur Oberschwester der Privatabteilung auf. Mitte der 1920er Jahre folgte Julie Glaser der pensionierten Minna Hirsch in das Amt der Oberin des Großkrankenhauses.

„… den Posten, auf dem man uns gestellt“ – Berichte Frankfurter jüdischer Schwestern aus Straßburg im Ersten Weltkrieg
Infolge politischer Umbrüche waren der Frankfurter jüdischen Pflege in Straßburg nur wenige Jahre (1911–1918) beschieden. Zum Zeitpunkt des Aufenthalts der Frankfurter Schwestern gehörte Elsass-Lothringen, nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 durch das neu gegründete Deutschen Kaiserreich annektiert, noch zu Deutschland. Gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs im August 1914 leerte sich das Israelitische Krankenhaus Straßburg, aus dem die Patientinnen und Patienten wegen der befürchteten französischen Rückeroberung in Panik flüchteten. Hingegen blieben Oberin Julie Glaser und die Schwestern Blandine Brück, Jenny Cahn, Gertrud Glaser, Ricka Levy, Bella Peritz und Rahel (Recha) Wieseneck auf ihrem ‚Posten‘: Sie kehrten nicht nach Frankfurt zurück, sondern stellten sich unverzüglich der Kriegskrankenpflege vor Ort zur Verfügung (vgl. Beitrag zu Frankfurter jüdischen Pflegenden im Ersten Weltkrieg; Seemann 2014). Neben Einsätzen in der Etappe organisierten die Schwestern mit Julie Glaser als Lazarett-Oberin die Verwundetenpflege im Festungslazarett XXII B, eingerichtet in einem ehemaligen Lyzeum. „Dieses Lazarett in Straßburg wird bald zum hauptsächlichen Gefangenenlazarett für Verwundete aus Frankreich, Russland, Italien, Rumänien, England und Amerika und besteht bis November 1918“ (Steppe 1997c: 217). Nach dem für Deutschland verlorenen Krieg fiel Elsass-Lothringen wieder an Frankreich. Eine vorausgegangene kurze Episode als unabhängige Republik – verbunden mit Angriffen nationalistischer Elsässer gegen noch verbliebene ‚Reichsdeutsche‘ – endete mit dem Einmarsch französischer Truppen. Als sie am 21. November 1918 Straßburg erreichten, hatten die Frankfurter jüdischen Schwestern die Stadt bereits verlassen. Doch lassen wir sie selbst erzählen.

Schwesternbericht (Verfasserin unbekannt, zit. n. JüdSchwVereinFfm 1920: 38-39)

Uns Schwestern traf die Nachricht vom Krieg überraschend und niederschmetternd. Schwester Oberin war noch auf Urlaub. In Straßburg herrschte die größte Erregung. Niemand dort zweifelte, daß die Stadt in den nächsten Tagen von den Franzosen besetzt oder mindestens eingeschlossen und belagert würde. Das bis auf das letzte Bett besetzte Krankenhaus entleerte sich in wenigen Stunden. Die meist aus der Umgebung stammenden Kranken wurden, selbst in schwersten Zuständen, von den kopflosen Angehörigen nach Hause abgeholt. Uns Schwestern fragte der Krankenhausarzt, Herr Dr. Bloch, ob wir nicht nach Frankfurt abreisen wollten, oder was wir sonst beabsichtigten. Aber wir erklärten ihm einstimmig, daß wir den Posten, auf dem man uns gestellt, nicht verlassen würden. Bald darauf kam noch die Depesche aus Frankfurt, die uns die gleichlautende Anordnung des Mutterhauses brachte. Dann waren wir von Frankfurt abgeschlossen. Von unserem Verein wie von unseren Angehörigen hörten wir lange nichts mehr.

Unser Krankenhaus war inzwischen von seinem Vorstande der Militärbehörde zur Verfügung gestellt worden. Die nächsten Tage verbrachten wir voller Ungeduld damit, das Haus zum Lazarett herzurichten, es durch Aufstellung neuer Betten in den Korridoren und allen sonst verwendbaren Räumen zu vergrößern, Wäsche und Verbandzeug herzustellen und andere Vorbereitungen zur Aufnahme der Verwundeten zu treffen. Als aber die Belegung immer wieder ausblieb (wie wir hörten, weil das Haus der Behörde zu klein war), konnten wir das Nichtstun, wo andere überlastet waren, nicht länger ertragen und meldeten uns mit Zustimmung des Krankenhaus-Vorstandes persönlich beim Roten Kreuz. Wir wurden freundlich aufgenommen und schon am nächsten Tag von Dr. Ducroix, dem Chirurgen unseres Krankenhauses, angefragt, ob wir mit in die Vogesen fahren wollten, um bei Verwundetentransporten zu helfen. Dann sollten wir in dem ihm als Chefarzt übertragenen Festungslazarett im Lyzeum die Pflege übernehmen. Wir sagten freudig zu.

Am 17. August fuhren wir mit zwei Autos vom Krankenhaus ab. In einem der Stabsarzt, ein Chirurg, ein Apotheker, das Sanitätspersonal und die Schwestern; im anderen Verbandmaterial und Instrumente. In rasender Fahrt ging es nach dem Verbandplatz Hohwald bei Saarburg. Dort hatte am Tage ein Gefecht stattgefunden. Die Verwundeten mußten von der Höhe herunter nach dem Verbandplatz gebracht werden, einem Gasthaus mit vielen geräumigen Zimmern. Da der Wirt sich geweigert hatte, die Türen zu öffnen und Wasser und Seife herzugeben, wurde mit Gewalt vorgegangen. Deutsche und Franzosen harrten der ersten Hilfe, viele starben bereits auf dem Transport. Mit Mühe wurden die Schwerverwundeten in Zimmern und Gängen geborgen. Die Verbundenen wurden auf Leiterwagen nach der ersten Bahnstation gefahren, in den bereitstehenden Güterzug eingeladen und nach Straßburg verbracht. Leider war es nicht möglich, alle Verwundeten mitzunehmen, da morgens um fünf Uhr der Wiederanmarsch der Franzosen gemeldet wurde und das Feld geräumt werden mußte. Am 18. und 19. August waren wieder zwei von uns in den Vogesen und brachten 200 Schwerverwundete mit.“

Bericht von Oberin Julie Glaser (zit. n. JüdSchwVereinFfm 1920: 39-40)

Als ich, nachts um zwei Uhr angekommen, nach dem Lyzeum kam, war alles eifrig beschäftigt, 500 Verwundete in dem halbfertig eingerichteten Gebäude unterzubringen. Unser Chefarzt mußte mit einem Hilfsarzt für diese alle sorgen. Es wurde fieberhaft gearbeitet, operiert und verbunden, durchschnittlich blieben uns nur vier bis fünf Stunden Schlaf. Trotzdem kamen wir über diese schwerste Zeit mit ihrer aufreibenden Tätigkeit gut hinweg. Die Schwestern gaben überall ihr Bestes; an den vielen Helferinnen hatten wir nur geringe Stütze. Anfangs waren im Lazarett nur Deutsche und Franzosen, bald wurde es ein Gefangenenlazarett. Wir hatten durchschnittlich 250 Deutsche und 300 Gefangene, die sich aus Franzosen, Russen, Italienern, Rumänen, Engländern und Amerikanern zusammensetzten. Im Operationssaal konnte man beim Verbinden die interessantesten Völkerstudien machen; am besten schnitten unstreitig die Amerikaner ab.
Und so verging Jahr um Jahr, das uns viel Arbeit, aber auch viel Befriedigung brachte. Wir lebten im schönsten Einvernehmen mit unseren Ärzten; unsere Verwundeten, besonders auch die Elsässer, waren des Lobes und Dankes voll.

Wie rasch kam der Umschwung! Schon im August 1918 brachten uns die Amerikaner die traurige Kunde, daß wir verlieren würden. Wir lachten sie aus und blieben voller Zuversicht. Sie behielten recht. Es kam die fürchterliche Zeit der Revolution und mit ihr zeigte sich der ungeheure Haß im Elsaß gegen alles, was deutsch war. Wir durften uns nicht mehr auf der Straße blicken lassen, wir waren verfehmt. Im Lazarett herrschte keine Disziplin mehr, der Chefarzt wurde abgesetzt und ein Schreiber rückte an seine Stelle. Die Kleiderkammer wurde von den elässischen Verwundeten ausgeplündert; für die Deutschen blieb ein Rest. Wir sahen ein, daß unseres Bleibens nicht mehr war. In der Nacht vom 15. bis 16. November erging der Befehl, alle deutschen Verwundeten aus Straßburg nach Baden zu schaffen; das deutsche Sanitätspersonal schloß sich an. Am 16. November schnürten wir traurigen Herzens unser Bündel; Amerikaner und Engländer erwiesen uns den Liebesdienst, unser Gepäck an die Bahn zu bringen! Als Vertriebene zogen wir zum großen Tor hinaus, aus dem Hause, in dem wir 4 1/2 Jahre unser Bestes gegeben hatten. Wir erreichten noch den letzten Zug, der von Straßburg nach Frankfurt fuhr, unser treuer Stabsarzt gab uns das Geleite.
Bald lag die wunderschöne Stadt hinter uns. Noch ein letzter Gruß des unvergeßlichen Münsters, und hinein ging’s in den dichten Novembernebel, des Vaterlandes grauer Zukunft entgegen.“

Ausblick

Zeichnung: Standortkarte / Institutionen und Organisationen der jüdischen Krankenpflege im Deutschen Reich 1914.
Standortkarte / Institutionen und Organisationen der jüdischen Krankenpflege im Deutschen Reich 1914
Aus: Hilde Steppe, „… den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre…“, S. 115

Wie bereits Hilde Steppes Standardwerk über die deutsch-jüdische Krankenpflege (vgl. Steppe 1997) dokumentiert hat, ist die Quellenlage für einzelne jüdische Schwesternvereine und -stationen lückenhaft. Dieser Befund trifft auch auf Metz in Lothringen zu, wo anders als in Straßburg sogar ein deutsch-jüdischer Schwesternverein bestand, der vermutlich vor 1908 gegründet wurde (vgl. ebd.: 113). Wie die Standortkarte zeigt, gilt es noch manche Forschungslücken jüdischer Pflegegeschichte zu schließen und dabei Biografien, Institutionen und Stätten jüdischen Lebens und Wirkens zu entdecken. Die Spurensuche geht weiter.

Birgit Seemann, 2015, updated 2017

 

Primärquellen


Archives départementales du Bas-Rhin, Strasbourg: http://archives.bas-rhin.fr

Bestandsübersicht zu Spitälern mit jüdischer Geschichte im damaligen Elsaß

 Centrum Judaicum Berlin: Stiftung Neue Synagoge Berlin ‒ Centrum Judaicum

Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main (Eingetragener Verein). Jahresberichte 1898-1911, Frankfurt a.M.: Akte CJA, 1, 75 A und C

 FRA UAS Bibl.: Frankfurt University of Applied Sciences, Bibliothek, Historische Sondersammlung Soziale Arbeit und Pflege:

Jahres- und Rechenschaftsberichte des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins

 ISG Ffm: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main:

Hausstandsbuch HB 655: Bornheimer Landwehr 85 (Frankfurter jüdisches Schwesternhaus)

Hausstandsbuch HB 686 und 687: Gagernstraße 36 (Frankfurter jüdisches Krankenhaus)

 UB JCR Ffm: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt am Main:

Spezialsammlungen: Digitale Sammlungen: Judaica (mit Compact Memory): http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaica/

Literatur und Links (aufgerufen am 20.10.2017)


Alicke, Klaus-Dieter 2008: Straßburg (Elsass). In: ders.: Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum. Band 3: Ochtrup – Zwittau. Gütersloh: 3982-3988

Alicke, Klaus-Dieter 2014: Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum, http://www.jüdische-gemeinden.de: Straßburg (Elsass)

Assall, Paul 1984: Juden im Elsass. Moos: Elster

Clinique Adassa: https://www.clinique-rhena.fr/fr

Ginsburger, Moses 1911: Die Medizin und Hygiene der Juden in Elsass-Lothringen. Vortrag. Gebweiler: Dreyfus. – Online-Ausg.: Universitätsbibliothek JCS Frankfurt a.M., 2009, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hebis:30-180010731118

JüdSchwVereinFfm 1898–1911: Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main, Rechenschaftsberichte, Frankfurt a.M. 1898–1911

JüdSchwVereinFfm 1920: Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main, Rechenschaftsbericht für die Jahre 1913 bis 1919. Frankfurt a.M.

Levinsohn-Wolf, Thea 1996: Stationen einer jüdischen Krankenschwester. Deutschland – Ägypten – Israel. Frankfurt a.M.

Lorey, Jürgen 2014: Interkonfessionell gesunden. In Straßburg entsteht aus dem Zusammenschluss dreier konfessioneller Krankenhäuser eine neue Klinik. In: Mittelbadische Presse, Zeitungen der Ortenau, 03.10.2014, http://www.bo.de/nachrichten/nachrichten-regional/interkonfessionell-gesunden

Seemann, Birgit 2014: „Wir wollen sein ein einig Volk von Schwestern“. Jüdische Krankenpflege und der Erste Weltkrieg. In: Tobias, Jim G./ Schlichting, Nicola (Hg.) 2014: nurinst – Jahrbuch 2014. Beiträge zur deutschen und jüdischen Geschichte. Schwerpunktthema: Davidstern und Eisernes Kreuz – Juden im Ersten Weltkrieg. Im Auftrag des Nürnberger Instituts für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts hg. Nürnberg: 87-101

Steppe, Hilde 1997: „… den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre …“. Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Frankfurt a.M.

Steppe, Hilde 1997a: Organisationsformen und Institutionalisierung. In: dies. 1997: 90-127

Steppe, Hilde 1997b: Jüdische Krankenpflege im ersten Weltkrieg. In: ebd.: 128-131

Steppe, Hilde 1997c: Der erste Weltkrieg und das Jahr 1919. In: ebd.: 215-220

Strassburg 1894: Architekten- und Ingenieur-Verein für Elsass-Lothringen (Hg.) 1894: Strassburg und seine Bauten. Mit 655 Abb. im Text, 11 Tafeln u. e. Plan der Stadt Strassburg. Strassburg, online: https://archive.org/stream/strassburgundsei00arch/strassburgundsei00arch_djvu.txt

Wallach, Peter 2006: Jüdisches Leben in der Europahauptstadt Straßburg. In: Freiburger Rundbrief. Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung 13 (2006) 4: 289, online: http://www.freiburger-rundbrief.de/de/?item=1133

Frankfurter Grabsteine als letzte Zeugen – die Krankenschwestern Bertha Schönfeld und Thekla Dinkelspühler

Durchgang vom Eingangshof zum Friedhof, Jüdischer Friedhof Eckenheimer Landstraße, 2010
© Edgar Bönisch

Auf dem neueren Friedhof der Jüdischen Gemeinde Frankfurt in der Eckenheimer Landstraße zeugen etwa 800 Grabsteine von antisemitisch Verfolgten, die sich in den Jahren 1938 bis 1943 der nationalsozialistischen Verfolgung und Deportation durch Freitod entzogen haben. Sie bieten ein eindrucksvolles Zeugnis dieser tragischen historischen Ereignisse (http://www.jg-ffm.de/de/religioeses-leben/juedische-friedhoefe, letzter Aufruf dieses und aller folgenden Links am 19.10.2017). Ihre Namen trug in mühevoller Kleinarbeit der Chronist und Schoah-Überlebende Adolf Diamant (1924-2008) zusammen (vgl. ders. 1983). Auch zwei Krankenschwestern des früheren jüdischen Krankenhauses in der Gagernstraße sind darunter: Bertha Schönfeld und Thekla Dinkelspühler, beide gebürtige Hessinnen. Woher kamen sie, wie haben sie gelebt?

Schwester Bertha Schönfeld (1883 Kesselbach/Rabenau – 1941 Frankfurt a.M.)

Schwester Bertha Schönfeld im OP, 1931
Thea Levinsohn-Wolf, Stationen einer jüdischen Krankenschwester. Deutschland – Ägypten – Israel, Frankfurt am Main 1996, S. 28

Herkunft
Schwester Bertha entstammte dem Landjudentum im mittleren Hessen (nördlich von Frankfurt am Main). Geboren am 13. September 1883 um 8.00 Uhr in der elterlichen Wohnung in dem Dorf Kesselbach (heute Ortsteil von Rabenau, Landkreis Gießen), war sie, wie damals auf dem Land üblich, eine ‚Hausgeburt‘ (OuSt Rabenau). In Kesselbach lebten um diese Zeit sieben jüdische Familien (etwa 30 Personen), die der Synagogengemeinde im größeren Nachbarort Londorf angehörten. Die jüdischen Kesselbacherinnen waren für ihre besonderes Engagement in der ehrenamtlichen Krankenpflege bekannt; sie versorgten Glaubensgenossen in angrenzenden Dörfern und möglicherweise ebenso christliche Nachbarn: „[…] so haben sich die hiesigen Frauen zusammengefunden und eine Frauen-Chebra gegründet, deren Tätigkeit darin bestehen soll, den Armen bei Krankheit und Trauerfällen hilfreich beizustehen“ („Der Israelit“ v. 01.04.1889, zit. n. http://www.alemannia-judaica.de/londorf_synagoge.htm). Von handwerklichen und landwirtschaftlichen Berufen in der Regel ausgeschlossen, arbeiteten auch die Kesselbacher Juden hauptsächlich „als Viehhändler, als Metzger oder als Kleinkaufleute“; sie lebten wie ihre christlichen Nachbarn „in durchweg einfachen Verhältnissen“ (zit. n. ebd.). Die Eltern Bertha Schönfelds waren:

  • Zimmel „gen.[annt] Emilie“ Schönfeld geb. Wallenstein (geb. 24.07.1859) aus Alten-Buseck (vgl. http://www.alemannia-judaica.de/alten-buseck_synagoge.htm) im Landkreis Gießen, Tochter des Handelsmanns Abraham Wallenstein und der Hannchen geb. Stern (OuSt Rabenau);
  • Simon Schönfeld (geb. 20.07.1850) aus Kesselbach, von Beruf Kaufmann, Sohn des Handelsmanns Moses Schönfeld und der Rebekka geb. Maas.

Bertha Schönfeld war die Zweitgeborene von sechs Geschwistern, deren Lebensdaten zum Teil ebenfalls rekonstruiert werden konnten:

  • Rebekka (Rebeka, Rivka) Fuld (01.11.1881 Kesselbach – 05.02.1939 Frankfurt a.M.), die Älteste, welche als einzige noch einen jüdischem Vornamen trug;
  • Gertrud Schönfeld (21.05.1886 Kesselbach – 05.03.1889 Kesselbach), bereits als Kleinkind verstorben;
  • Adolph Friedrich Schönfeld (27.07.1888 Kesselbach – 17.12.1915), der einzige Bruder, gefallen im Ersten Weltkrieg;
  • Amalie Schönfeld (geb. 09.07.1890 in Kesselbach);
  • Johanna Senger geb. Schönfeld (22.06.1894 Kesselbach – [1942 deportiert]).

Bertha Schönfeld und ihre Geschwister besuchten wahrscheinlich die jüdische Schule in Londorf, wo sich auch eine Synagoge und der jüdische Friedhof befanden. Für jüdische Mädchen auf dem Lande mangelte es an beruflichen Aussichten ebenso wie an geeigneten Heiratskandidaten. Was Bertha Schönfeld betraf, legte sie zeitlebens großen Wert auf ihre persönliche Unabhängigkeit (vgl. Levinsohn-Wolf 1996: 27). Im September 1904 mit 21 Jahren volljährig geworden, verließ sie ihr Heimatdorf und nahm Kurs auf die Großstadt Frankfurt am Main, um bei dem überregional angesehenen Verein für jüdische Krankenpflegerinnen Krankenschwester zu lernen.

Stationen einer Krankenschwester: Privatpflege – Israelitisches Krankenhaus Straßburg – OP-Schwester in der Chirurgie des Jüdischen Krankenhauses Frankfurt a.M.
Als tatkräftige junge Frau Anfang Zwanzig startete Bertha Schönfeld noch in der ‚alten‘ Klinik („Königswarter Hospital„) der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main und dem ebenfalls in der Königswarterstraße gelegenen Schwesternhaus des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen (im Folgenden bezeichnet als: Frankfurter jüdischer Schwesternverein) ihre Ausbildung. Wie alle Bewerberinnen hatte sie den Richtlinien des Deutschen Verbandes Jüdischer Krankenpflegerinnenvereine von 1905 zufolge „einen ihrem künftigem Beruf entsprechenden Bildungsgrad, Gesundheitszustand und moralischen Lebenswandel“ (zit. n. Steppe 1997: 374) nachzuweisen. 1906 (vgl. ebd: 228) schloss sie ihre Ausbildung erfolgreich ab und war im Anschluss laut Satzungen des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins zu einer dreijährigen Dienstzeit verpflichtet. Der Verein hielt Bertha Schönfeld, wohl infolge ihrer Eigenständigkeit, für die ambulante häusliche Pflege befähigt: Die in Privathaushalten eingesetzten Schwestern hatten die Weisungen des Hausarztes zu befolgen, waren aber in keine Krankenhaushierarchie eingebunden, sondern bei pflegerischen Entscheidungen und im Umgang mit Kranken und deren Angehörigen auf sich gestellt. Hierzu waren „Schlüsselqualifikationen“ (siehe Palesch (Hg.) u.a. 2012: 9) wie selbständige Arbeitsweise, Organisationsvermögen, Belastbarkeit, Zuverlässigkeit und Einfühlungsvermögen unerlässlich. Nicht selten oblag der Schwester neben der eigentlichen Krankenpflege die gesamte Haushaltsführung inklusive Kinderbetreuung, Verköstigung und Wäschereinigung. Zum Schutz der Pflegekräfte vor beständiger Verfügbarkeit und Überlastung stellte der Frankfurter jüdische Schwesternverein ein eigenes Regelwerk auf, beaufsichtigt von Oberin Minna Hirsch: So sollte die in der Privatpflege tätige Schwester „täglich 1 bis 2 Stunden das Haus, in welchem sie pflegt, verlassen, um sich in frischer Luft zu erholen. Die Zeit des Ausgangs ist je nach der Lage des Krankheitsfalls in Uebereinstimmung mit dem behandelnden Arzte und der Familie festzusetzen“ (zit. n. Steppe 1997: 384). Auch war es ihr „im Interesse ihrer eigenen Gesundheit streng untersagt, mehr als zwei aufeinanderfolgende Nachtwachen zu leisten. Die zweite Nachtwache darf nur unter Zustimmung der Oberin oder deren Stellvertreterin geleistet werden“ (ebd.). Grundsätzlich konnte die Privatpflege auch in nichtjüdischen Haushalten stattfinden, doch waren gerade jüdische Haushalte wegen der gesicherten rituellen Versorgung an einer jüdischen Pflegekraft interessiert. Damit ihr eigenes religiöses Leben nicht zu kurz kam, konnte die Pflegende beim Schwesternverein eine Hilfskraft anfordern.


1911 stand Bertha Schönfeld vor einer neuen beruflichen Herausforderung: Ihr Arbeitsplatz verlagerte sich von Frankfurt in das Elsass (bis 1918 Verwaltungsgebiet des Deutschen Reiches), wo der Frankfurter jüdische Schwesternverein unter der Leitung von Oberin Julie Glaser die Pflege am Israelitischen Krankenhaus Straßburg (Clinique Adassa) übernommen hatte. Noch vor dem Ersten Weltkrieg kehrte Schwester Bertha wieder zurück, da das im Mai 1914 neu eröffnete große Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main in der Gagernstraße (im Folgenden bezeichnet als: Krankenhaus Gagernstraße) weiteres qualifiziertes Pflegepersonal benötigte; sie wohnte im neuen modernen jüdischen Schwesternhaus in der angrenzenden Bornheimer Landwehr. Als nur wenig später, im August 1914, die Völkerschlacht des Ersten Weltkriegs begann, wurde Schwester Bertha zunächst nicht in den in Krankenhaus und Schwesternhaus eingerichteten Lazaretten eingesetzt. Stattdessen leistete sie zusammen mit Oberschwester Ida (vermutlich Ida Elise Holz) und einer weiteren (namentlich unbekannten) Kollegin Verwundetenpflege im Städtischen Lazarett „Krankenhaus Ost“ (vgl. Rechenschaftsbericht 1920: 37, 63); dort arbeiteten die drei Jüdinnen mit hauptsächlich nichtjüdischen/christlichen Pflegekräften und Ärzten zusammen.
Mitten im Krieg, am 1. Februar 1917, erhielt Bertha Schönfeld, inzwischen Operationsschwester in der Chirurgischen Abteilung des Krankenhauses Gagernstraße, für zehnjährige „treue Tätigkeit“ die goldene Brosche des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins (Rechenschaftsbericht 1920: 62). Gewiss erlebte sie die Kapitulation 1918 des so siegesgewiss angetretenen wilhelminischen Kaiserreichs wie die großen Mehrheit der Deutschen, ob jüdisch oder nichtjüdisch, als Schmach. Wie mochte sie zugleich die antisemitischen Hetzkampagnen, die ‚die Juden‘ sowie ‚die Linken‘ als Schuldige der Niederlage darstellten, empfunden haben, zumal sich unter den insgesamt etwa 12.000 gefallenen deutsch-jüdischen Soldaten auch ihr einziger Bruder Friedrich befand?


Wohl aus organisatorischen Gründen zog Bertha Schönfeld am 30. Dezember 1925 vom Schwesternhaus in das Krankenhaus um (ISG Ffm: HB 686: 56). Sie war eine tüchtige und erfahrene Pflegekraft, galt aber im persönlichen Umgang als schwierig (vgl. Levinsohn-Wolf 1996: 26-28). Sah sich die unverheiratet und kinderlos gebliebene über Vierzigjährige als ’spätes Mädchen‘ und ‚alte Jungfer‘, wie es zu dieser Zeit abschätzig hieß? Wurde sie bei anstehenden Beförderungen, etwa zur Oberschwester, übergangen? Mangels veröffentlichter Selbstzeugnisse ist über die Kommunikation zwischen Pflegenden und ihren ärztlichen Vorgesetzten sowie untereinander wenig bekannt. Umso wertvoller sind die Einblicke in den Großbetrieb des Krankenhauses Gagernstraße, die uns Thea Levinsohn-Wolf, eine jüngere Kollegin Bertha Schönfelds, durch ihre Autobiographie gewährt. Wie an nahezu jeder Arbeitsstätte gab es dort neben Teamsolidarität auch zwischenmenschliche Konflikte. Im Operationssaal der Chirurgie, so berichtet Schwester Thea, „herrschte seit vielen Jahren Schwester Bertha. Sie behielt ihre vielen jeweiligen Hilfen allerhöchstens für ein Jahr. Böse Zungen sagten von ihr, daß sie fürchterlich eifersüchtig auf jede junge Schwester sei, auf deren eventuelle Tüchtigkeit und eine möglicherweise wachsende Vorliebe des Chirurgen für sie als instrumentierende Schwester. Die Ärzte hätten allerdings niemals gewagt, einen Finger zu rühren – ohne Schwester Berthas vorherige Einwilligung“ (Levinsohn-Wolf 1996: 26f.). Chefarzt der Chirurgie war Dr. Emil Altschüler, sein Stellvertreter Dr. Fritz Katz. Zusammen mit ihrer Kollegin Rosa Spiero (der jüngsten Schwester von Rahel Seckbach, Oberin des Gumpertz´schen Siechenhauses) oblag Bertha Schönfeld nicht nur die Assistenz bei den Operationen, sondern die pflegerische Verantwortung für die gesamte chirurgische Abteilung. Oberschwester war allerdings die etwas jüngere Rosa Spiero und damit Bertha Schönfelds direkte Vorgesetzte und zudem Anästhesieschwester. Ihre beruflichen Wege hatten sich immer wieder gekreuzt: Sie waren der gleiche Abschlussjahrgang (1906) im jüdischen Schwesternhaus und hatten beide vor dem Ersten Weltkrieg im Israelitischen Krankenhaus Straßburg gepflegt. Freundinnen wurden sie nicht. Thea Levinsohn-Wolf erinnert sich: „[…] wir jungen Schwestern hatten einen Heidenspaß an diesen beiden Kampfhähnen, denn sie konnten sich ganz schön laut anschreien, was für Abwechslung und Luftbereinigung sorgte“ (ebd., 27). Und sie fügt hinzu: „Beide Schwestern waren starke Charaktere“ (ebd.).

NS-Zeit

Grab der Bertha Schönfeld auf dem Jüdischen Friedhof Eckenheimer Landstraße, 2011
© Birgit Seemann

Seit dem 3. Februar 1934 war Bertha Schönfeld in der Waldschmidtstraße 82 gemeldet (ISG Ffm: HB 686: 56). Weshalb sie während der NS-Zeit für einige Jahre außerhalb von Krankenhaus und Schwesternhaus wohnte, ist unbekannt. Leistete sie trotz eigener gesundheitlicher Beschwerden wieder Privatpflege? Unterstützte sie Verwandte? Vielleicht war sie bereits Rentnerin und hatte eine eigene Wohnung bezogen, obwohl ihr ein Alterssitz im Frankfurter jüdischen Schwesternhaus zustand. Später wohnte sie in der Hanauer Landstraße 27. Als Bertha Schönfeld, möglicherweise unter dem Eindruck des Novemberpogroms und seiner Nachwirkungen, am 5. Dezember 1938 wieder in das Schwesternhaus zurückkehrte, war sie in den Akten als ‚Schwester in Rente‘ vermerkt (ISG Ffm: HB 655: 59). Seit dem 1. Januar 1939 musste sie gemäß der von den Nationalsozialisten zwangsverordneten Änderung von Familiennamen und Vornamen den Zusatznamen „Sara“ (bei Männern: „Israel“) tragen. Am 5. Februar 1939 traf sie ein schwerer persönlicher Schicksalsschlag: Ihre ältere Schwester Rebekka Fuld nahm sich in Frankfurt am Main mit 57 Jahren das Leben (Yad Vashem: Datenbank, Gedenkblatt). Bertha Schönfelds Schwager August Fuld (geb. 11.01.1882 in Wolfenhausen) – Dekorateur, Tapezierer und Inhaber der bei dem Novemberpogrom 1938 zerstörten Polsterwerkstatt „A. Fuld“ (Jüdisches Museum Frankfurt a.M.: interne Datenbank) – war zuvor aus dem KZ Buchenwald zurückgekehrt und schlug sich fortan als Hilfsarbeiter durch; am 11. November 1941 wurde er von Frankfurt in das Ghetto Minsk (Weißrussland) deportiert und später für tot erklärt. Berthas jüngste Schwester Johanna Senger – sie hatte nach Sachsen-Anhalt geheiratet – wurde am 14. April 1942 ab Magdeburg, zusammen mit Felix Senger (geb. 23.07.1882 in Ueckermünde/Pommern) und Friedrich Senger (geb. 14.07.1925 in Bernburg), vermutlich Ehemann und Sohn, in das Ghetto Warschau verschleppt, wo sich ihre Spuren verlieren.
Am 19. November 1940 vertrieb die NS-Zwangsräumung des Schwesternhauses Bertha Schönfeld von ihrem Alterssitz, sie musste zusammen mit ihren Kolleginnen in das Krankenhaus Gagernstraße umziehen (ISG Ffm: HB 655: 59). Wie die letzten Monate ihres Lebens verliefen, ist unbekannt. Doch war sie sich angesichts der starken Fluktuation des medizinischen und Pflegepersonals durch Emigration (etwa von Oberschwester Rosa Spiero, ihrer früheren Kontrahentin, am 24. März 1941) und der Räumung (1941) des Gumpertz’schen Siechenhauses und der Rothschild’schen Spitäler im Röderbergweg darüber im Klaren, dass sich auch das Krankenhaus Gagernstraße in Auflösung befand. Die letzte Frankfurter jüdische Klinik, Zuflucht für kranke, alte und und weitere Hilfe suchende antisemitisch Verfolgte, war völlig überfüllt und wurde als NS-Sammelstelle vor den Deportationen missbraucht. Am 29. Juni 1941 schied Bertha Schönfeld durch Gift aus dem Leben (ISG Ffm: HB 687: 326) – mit 57 Jahren, wie ihre Schwester Rebekka. Thea Levinsohn-Wolf (1996: 27) schreibt: „Schwester Bertha hatte beschlossen, ihr Leben auf ihre Art zu leben und gegebenenfalls auch zu beenden. Um nicht die Schmach der Deportation erdulden zu müssen, nahm sie sich das Leben.“
Der Suizid Verfolgter unter dem NS-Regime wird in der Forschung unterschiedlich gedeutet (vgl. etwa Fischer (Hg.) 2007; Goeschel 2011): War es ein „Akt der Verzweiflung“, ein letzter „Fluchtweg“, eine bewusste „Entziehung, die gar eine aktive Widerstandshandlung implizieren kann“ (Ohnhäuser 2010: 23)? Für die NS-Täter bedeutete der Suizid eines Opfers offenbar eine Art Niederlage, entzogen sich doch die Betroffenen durch einen eigenständigen Akt ihrer totalitären Kontrolle; „so dominierte in der zweiten Hälfte der NS-Herrschaft der Anspruch der Machthaber auf die Entscheidungsgewalt über Leben und Tod ihrer ausgesuchten ‚Gegner'“ (ebd.: 24). Der Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig verzeichnet für 1942 zwei Dissertationen an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien: ‚Der Selbstmord, unter besonderer Berücksichtigung der Juden‘ (Wolfgang Damus) und – im NS-Jargon – ‚Der Selbstmord bei Juden und Judenmischlingen‘ (Hans Kallenbach).
In seiner Studie zu dem Berliner Internisten a.o. Prof. Dr. med. Arthur Nicolaier (geb. 1862), welcher sich 1942 das Leben nahm, verweist Tim Ohnhäuser zudem darauf, dass dieser schon längst den ’sozialen Tod‘ der aus dem NS-Alltag selektierten jüdischen Deutschen erlitten hatte. Den zweiten ’sozialen Tod‘ ereilte Dr. Nicolaier dann nach der NS-Zeit durch „Vergessen als Teil der Vernichtung“ (Ohnhäuser 2010: 31): Lange Zeit erinnerte sich kaum jemand an den Entdecker des Tetanuserregers, der wesentlich dazu beitrug, den Wundstarrkrampf zu besiegen.

Auch Bertha Schönfeld, deren Pflege so vielen jüdischen wie nichtjüdischen Kranken zugutekam, ist heute vergessen. Wie ihre Schwester Rebekka Fuld wurde sie auf dem Jüdischen Friedhof in der Eckenheimer Landstraße beerdigt; der Eintrag im Gräberverzeichnis und auf dem Grabstein lautet „Berta Schonfeld“. Schwester Thekla Dinkelspühler (1901 [Bad] Homburg v.d.H. – 1942 Frankfurt a.M.)

Geburtsurkunde von Thekla Dinkelspühler
© Stadtarchiv Bad Homburg

Anders als Bertha Schönfeld war Thekla Dinkelspühler wohl keine Krankenschwester aus Berufung, sondern aus Not: Mit 38 Jahren trat sie unter den repressiven Bedingungen der NS-Zeit als Lernschwester in das Krankenhaus Gagernstraße ein. Während Schwester Bertha aus einem kleinen hessischen Dorf stammte und „echten Frankfurter Dialekt“ (Levinsohn-Wolf 1996: 28) sprach, war Schwester Thekla städtisch geprägt und in einem mittelständischen Geschäftshaushalt aufgewachsen.
Geboren wurde Thekla Dinkelspühler am 4. Juni 1904 zusammen mit ihrer kurz nach ihr auf die Welt gekommenen Zwillingsschwester Luise (auch: Louise; urkundlich: Louisa) in der Wohnung ihrer Eltern, Louisenstraße 34, in der südhessischen Kurstadt Homburg vor der Höhe (seit 1912 Bad Homburg). Sie waren die jüngsten Töchter des Kaufmanns Moritz Dinkelspühler (01.11.1856 Fürth – 01.05.1917 [Bad Homburg v.d.H.]) und seiner Frau Klara (Clara) geb. Eichenberg (20.10.1867 Bad Homburg – 30.05.1934 [Bad Homburg v.d.H.]); der Familienname Dinkelspühler leitet sich vermutlich von der bayerisch-mittelfränkischen Reichsstadt Dinkelsbühl her. Thekla und Luise hatten drei Schwestern:

  • Minna (Mina) Dörnberg (09.07.1888 Homburg v.d.H. – 23.01.1943 Ghetto Theresienstadt [Suizid]) (vgl. auch Daume u.a. (Hg.) 2013, 413);
  • Hedwig Sandberg (1890 Homburg v.d.H. – 1940 oder 1941);
  • Frieda Sandberg (11.10.1892 Homburg v.d.H. – [12.10.1944 deportiert nach Auschwitz]).
  • Die Zwillingsschwester Luise Dinkelspühler, bis zu ihrer NS-bedingten Entlassung als Stenotypistin und Büroangestellte in Bad Homburg sowie in einer Zwieback-Fabrik im nahgelegenen Friedrichsdorf/Ts. tätig, konnte im April 1937 in die USA flüchten. In New York arbeitete sie als Krankenschwester: seit 1941 im Krankenhaus, seit 1946 als Privatschwester (HHStA Wiesbaden).

Moritz Dinkelspühler hatte in das Manufakturwarengeschäft Lehmann & Eichenberg in der Louisenstraße 23 eingeheiratet, er war Mitglied des angesehenen Talmud-Thora-Vereins (vgl. Grosche 1991: 29). Nach seinem Tod (1917) führte die Witwe Klara Dinkelspühler das Geschäft für Textilien, Stoffe, Garne und Damen- und Herrenwäsche fort (ebd.: 44); sie selbst verstarb 1934. Ein Jahr zuvor hatte sie am 1. April noch den staatlich organisierten NS-Boykott jüdischer Unternehmen miterlebt. Ob das Haus Louisenstraße 23 vor oder erst nach der ‚Arisierung‘ einem nichtjüdischen Kohlenhändler gehörte, bleibt noch näher zu prüfen. In den 1930er Jahren wohnte Thekla Dinkelspühler zusammen mit einer ihrer Schwestern im 2. Stock zur Miete (ebd.: 79). Geschäft und Erbe waren verloren. Als 1938 der Novemberpogrom in Bad Homburg tagsüber, vor aller Augen, stattfand, blieb ihre Wohnung nicht verschont. Anlässlich eines nach dem Krieg angestrengten Gerichtsverfahrens berichtete ein Tatbeteiligter: „Auf der ersten Treppe nach oben begegnete ich den Geschwistern Dinkelspühler. Ich ging sodann in den II. Stock […]. Dort waren mehrere Leute […] mit der Demolierung der Wohnungseinrichtung beschäftigt. […] Ich will bekunden, daß ich einen der Männer daran gehindert habe, einige Toilettenseifen einzustecken“ (zit. n. Grosche 1991: 79). Zeugen warfen dem NS-Täter vor, er habe sich sehr wohl „in der Wohnung der Geschwister Dinkelspühler an der Zerstörung der Wohnungseinrichtung aktiv beteiligt“, wo er sogar „auch das Bad zerschlagen“ wollte (Tätervernehmung, zit. n. ebd.: 80).
Am 30. April 1939 hob das NS-Regime den Mieterschutz für alle von ihm als Juden Klassifizierte auf. Auch Thekla Dinkelspühler drohte nun die Zwangseinweisung in ein Ghettohaus (‚Judenhaus‘). Möglicherweise bemühte sie sich vergeblich um eine Ausreise aus Nazideutschland. Sie nutzte die noch verbliebenen wenigen Handlungsoptionen und verließ ihre Geburtsstadt Richtung Frankfurt am Main. Am 14. August 1939 nahm sie der Frankfurter jüdische Schwesternverein als Lernschwester auf (ISG Ffm: HB 655: 64); nicht bekannt ist, ob sie bereits über Pflegeerfahrung verfügte. Sie wohnte wie Bertha Schönfeld im Schwesternhaus und war am 19. November 1940 ebenfalls vom Zwangsumzug in das Krankenhaus Gagernstraße betroffen (vgl. ebd.). Dort beteiligte sie sich vermutlich an der Kranken- und Altenpflege, die infolge der zunehmenden NS-Repressionen unter immer schwierigeren Bedingungen stattfand. Von Schwester Berthas Suizid im Juni 1941 erhielt sie gewiss Kenntnis.

Fotografie: Grab von Thekla Dinkelspühler, Jüdischer Friedhof Eckenheimer Landstraße, Frankfurt a.M., 2011
Grab von Thekla Dinkelspühler, Jüdischer Friedhof Eckenheimer Landstraße, 2011
© Birgit Seemann
Fotografie: Gebetstext am Eingang zum Jüdischen Friedhof Eckenheimer Landstraße, Frankfurt a.M., 2011
Gebetstext am Eingang zum Jüdischen Friedhof Eckenheimer Landstraße, 2011
© Birgit Seemann

Auch Thekla Dinkelspühler nahm sich am 22. Mai 1942 im Krankenhaus Gagernstraße das Leben (ISG Ffm: HB 687, S. 48). Sie wurde 40 Jahre alt. Nur zwei Tage später fand eine weitere große Deportation von Frankfurt nach Polen, diesmal nach Majdanek oder in das Durchgangslager Izbica, statt, von der niemand zurückkehrte. Anders als die in der Schoah Ermordeten erhielt Schwester Thekla auf dem Jüdischen Friedhof Eckenheimer Landstraße ein eigenes Grab. Weder von Thekla Dinkelspühler noch von Bertha Schönfeld sind bislang autobiographische Quellen, etwa Briefe und Tagebücher, überliefert, sie gelten als verschollen. So kann auch dieser Artikel nur eine Annäherung an ihre Biographien sein.

Die Autorin dankt Frau Mira Schneider (Ordnungs- und Standesamt Rabenau), Frau Dr. Krüger und Herrn Mengl (Stadtarchiv Bad Homburg) sowie Dr. Siegbert Wolf (Institut für Stadtgeschichte Frankfurt a.M.) für ihre Unterstützung und wertvollen Hinweise. Ohne Adolf Diamants, Thea Levinsohn-Wolfs, Allan Hirshs oder Hilde Steppes Erinnerungsarbeit wären Bertha Schönfeld und Thekla Dinkelspühler heute wohl völlig vergessen.

Birgit Seemann, 2014, updated 2017

Ungedruckte Quellen

ISG Ffm: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main Hausstandsbücher:

HB 655: Hausstandsbuch Bornheimer Landwehr 85 (Verein der jüdischen Krankenpflegerinnen zu Frankfurt a.M.), Sign. 655

HB 686: Hausstandsbücher Gagernstraße 36 (Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde Frankfurt a.M.), Sign. 686, Teil 1

HB 687: Hausstandsbücher Gagernstraße 36 (Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde Frankfurt a.M.), Sign. 687, Teil 2

 OuSt Rabenau: Ordnungs- und Standesamt Rabenau:

Personenstandsunterlagen Familie Schönfeld

 HHStA Wiesbaden: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden:

Entschädigungsakte Luise Dinkelspühler, Sign. 518/10299.

 StAHG: Stadtarchiv Bad Homburg, Personenstandsunterlagen:

Geburtsurkunde Nr. 129 Dinkelspühler, Thekla

Geburtsurkunde Nr. 130 Dinkelspühler, Louisa

Literatur


Alicke, Klaus-Dieter 2008: Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum. Gütersloh, 3 Bde.

Améry, Jean 2012: Hand an sich legen. Diskurs über den Freitod. 14. Aufl. Stuttgart.

Daume, Heinz u.a. (Hg.) 2013: Getauft, ausgestoßen – und vergessen? Zum Umgang der evangelischen Kirchen in Hessen mit den Christen jüdischer Herkunft im Nationalsozialismus. Ein Arbeits-, Lese- und Gedenkbuch. Red.: Renate Hebauf u. Hartmut Schmidt. Hanau.

Diamant, Adolf 1983: Durch Freitod aus dem Leben geschiedene Frankfurter Juden. 1933–1943. Frankfurt a.M. [Selbstverlag].

Fischer, Anna (Hg.) 2007: Erzwungener Freitod. Spuren und Zeugnisse in den Freitod getriebener Juden der Jahre 1938–1945 in Berlin. Berlin.

Goeschel, Christian 2011: Selbstmord im Dritten Reich. Berlin.

Grosche, Heinz 1991: Geschichte der Juden in Bad Homburg vor der Höhe. 1866 bis 1945. Hg. v. Magistrat der Stadt Bad Homburg vor der Höhe. In Zsarb. mit Klaus Rohde. Mit e. Beitr. v. Oberbürgermeister Wolfgang R. Assmann. Frankfurt a.M.

Herz, Yitzhak Sophoni 1981: Meine Erinnerung an Bad Homburg und seine 600jährige jüdische Gemeinde. (1335–1942). Rechovoth (Israel): Y. S. Herz; Bad Homburg v.d.H. – 2. Aufl. 1983.

Kieser, Harro o. J.: Jüdische Erinnerungsstätten in Bad Homburg. In: Gemeinschaftskreis UNSER HOMBURG: http://www.gemeinschaftskreis-unser-homburg.de/wp-content/uploads/2010/03/Jüdische-Erinnerungsstätten-in-Bad-Homburg.pdf.

Kingreen, Monica (Hg.) 1999: „Nach der Kristallnacht“. Jüdisches Leben und antijüdische Politik in Frankfurt am Main 1938–1945. Frankfurt a.M., New York.

Levinsohn-Wolf, Thea 1996: Stationen einer jüdischen Krankenschwester. Deutschland – Ägypten – Israel. Frankfurt a.M.

Ohnhäuser, Tim 2010: Der Arzt und Hochschullehrer Arthur Nicolaier (1862–1942). Eine Annäherung an die Suizide der als „nicht arisch“ verfolgten Ärzte im Nationalsozialismus. In: Kühl, Richard u.a. (Hg.): Verfolger und Verfolgte. Bilder ärztlichen Handelns im Nationalsozialismus. Münster, 15-38.

Palesch, Anja u.a. (Hg.) 2012: Leitfaden Ambulante Pflege. Unter Mitarb. v. Anne Ewering u. Tengü Topuzoglu. 3. Aufl. München.

Rechenschaftsbericht 1920: Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main, Rechenschaftsbericht für die Jahre 1913 bis 1919, Frankfurt a.M., 1920.

Steppe, Hilde 1997: „… den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre …“. Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Frankfurt a.M.

Internetquellen (aufgerufen am 19.10.2017)


Alemannia Judaica (Alten-Buseck/ Buseck, Kreis Gießen): http://www.alemannia-judaica.de/alten-buseck_synagoge.htm

Alemannia Judaica (Bad Homburg): http://www.alemannia-judaica.de/bad_homburg_vdh_synagoge.htm

Alemannia Judaica (Kesselbach/ Rabenau): http://www.alemannia-judaica.de/londorf_synagoge.htm

Gedenkbuch BA Koblenz: Bundesarchiv Koblenz: Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945. Gedenkbuch: http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/directory.html.de

Hirsh, Allan o.J.: Bamberger/Wassermann Family Tree [private genealogische Website]: http://www.ahirsh.com/pdfs/BAMBERGER-WASSERMANN_TREE.pdf

Jüdische Friedhöfe in Frankfurt: http://www.jg-ffm.de/de/religioeses-leben/juedische-friedhoefe

Jüdisches Museum Frankfurt am Main (mit interner Datenbank der aus Frankfurt Deportierten): http://www.juedischesmuseum.de

Spurensuche. Jüdische Friedhöfe in Deutschland. Eine Einführung für Lehrer und Schüler. Website des Salomon Ludwig Steinheim-Instituts für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen, Duisburg: http://spurensuche.steinheim-institut.org/index.html

Yad Vashem (Jerusalem): Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer: http://www.yadvashem.org

Das Hospital der Georgine Sara von Rothschild’schen Stiftung (1870–1941) Teil 4: biographische Wegweiser

Denn der Mensch ist keine Maschine,
es gibt auch kein Schema in der Medizin;
da jeder Mensch ein Individuum für sich ist,
so trägt er auch seine Bestimmung und sein Geschick für sich
.“

Dr. Willy Hofmann, Chirurg, zur Einweihung des Hospital-Umbaus (Hofmann 1932, S. 13)

[…] diese Anstalt ist mehr als ein gewöhnliches Krankenhaus,
hier sind die Patienten keine Nummern,
hier sind sie Hausgenossen bzw. Glieder einer grossen Familie
.“

Verwaltungskommission des Rothschild’schen Hospitals, Jahresbericht 1900(1901), S. 4

Einführung
Auch Teil 4 der Artikelserie über das Frankfurter Hospital der Georgine Sara von Rothschild’schen Stiftung im Röderbergweg markiert wissenschaftliches Neuland: Während Teil 1, Teil 2 und Teil 3 erstmals die Geschichte des Rothschild’schen Hospitals nachzeichnen, folgt dieser Beitrag den biographischen Spuren seiner Krankenschwestern und Pfleger und ihrer ärztlichen Vorgesetzten. Den Patientenkreis, um den sie sich kümmerten, hatte das Stifterpaar Mathilde und Wilhelm von Rothschild in den Gründungsstatuten ausdrücklich festgelegt: bedürftige Glaubensgenossen beiderlei Geschlechts, „welchen ein Anspruch auf unentgeldliche Aufnahme in eine der anderen hiesigen jüdischen Heilanstalten laut deren Statuten nicht zusteht“ (RothHospStatut 1878: 5). Es war ihr erklärter „Wille, dass diese Anstalt für ewige Zeiten streng nach den religiösen Vorschriften des orthodoxen Judenthums gehandhabt werden soll“ (ebd.: 7). Hierzu gehören – neben der Einhaltung des Schabbat (‚Ruhetag‘ am Samstag), der jüdischen Feiertage und der rituellen Speisevorschriften (Kaschrut) – die Mitzwot (jüdisch-religiöse Pflichten) der medizinischen Betreuung (vgl. Hofmann 1932) und der Krankenpflege (hebr.: Bikkur Cholim).

Das Rothschild’sche Hospital zählte zum Krankenhausnetz der neo-orthodoxen Frankfurter Austrittsgemeinde ‚Israelitische Religionsgesellschaft‘ (IRG) (vgl. Teil 1). Zuständig für das Personal war die Verwaltungskommission, die dem aus IRG-Mitgliedern zusammengesetzten Hospital-Vorstand unterstand. Ärzte, Pflegekräfte und weitere Angestellte sollten – hierbei spielte möglicherweise die Abgrenzung der traditionell-jüdischen IRG zur größeren liberalen Israelitischen Gemeinde Frankfurt eine Rolle – die orthodox-jüdische Richtung vertreten. Doch konnte laut Satzung auch christliches Personal eingestellt werden, das der Rabbiner der IRG – Dr. Samson Raphael Hirsch und seine Nachfolger Dr. Salomon Breuer und Josef Jona Zwi Horovitz – in die religionsgesetzlichen Vorschriften einwies; es wurde vor allem am Schabbat und an den jüdischen Feiertagen tätig. Alle Rothschild’schen Angestellten hatten die humane und gewissenhafte Behandlung der Erkrankten zur Auflage – sogar „bei Androhung des Verlustes der Anstellung“ (RothHospStatut 1878: 22). Denn „diese Anstalt ist mehr als ein gewöhnliches Krankenhaus, hier sind die Patienten keine Nummern, hier sind sie Hausgenossen bzw. Glieder einer grossen Familie. […] Die hier geübte Wohlthätigkeit erstreckt sich häufig noch über den Aufenthalt im Hospital hinaus, indem Patienten, die es benöthigen, neu gekleidet und mit Reisegeld versehen werden“ (Jahres-Bericht der Verwaltungs-Commission der Georgine Sara von Rothschild’schen Stiftung. Frankfurt a.M. 1900(1901), S. 4).

Die Ärzte

Dr. Marcus Hirsch, Portrait, undatiert (um 1873)
Dr. Marcus Hirsch, Portrait, undatiert (um 1873)
Nachweis: [Nachruf:] Dr. med. Markus Hirsch [sel. A.] – Frankfurt a.M. In: Der Israelit. Ein Centralorgan für das orthodoxe Judenthum 34 (06.11.1893) 88, Beilage, S. 1675

Weder die Biographien der Krankenschwestern und Pfleger des Rothschild’schen Hospitals noch die ihrer ärztlichen Vorgesetzten wurden bislang erforscht. Die folgenden Hinweise sollen zur Spurensuche und Erinnerungsarbeit anregen.

Dr. Marcus Hirsch: Gründungsarzt – Leiter einer Kurklinik – Mitbegründer des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins
Die Anfänge des Rothschild’schen Hospitals im Unterweg 20 (heute Schleidenstraße 20) seit 1870 und seine Expansion im neuen großen Klinikgebäude Röderbergweg 97 seit 1878 sind mit dem Namen seines Gründungs- und ersten Chefarztes Dr. Marcus Hirsch verbunden. Zuvor hatte der praktische Arzt in Würzburg promoviert und berufliche Erfahrungen an Frauenkliniken in Prag und vermutlich auch Bozen (Südtirol) gesammelt. Geboren wurde Dr. Marcus Hirsch 1838 in Oldenburg (Niedersachsen) als Sohn des 1850 von der Israelitischen Religionsgesellschaft nach Frankfurt am Main berufenen Rabbiners Dr. Salomon Raphael Hirsch – bekannt als Begründer der jüdischen Neo-Orthodoxie in Deutschland – und seiner Frau Johanna geb. Jüdel (vgl. Arnsberg 1983, Bd. 1: 659). Er wuchs mit zahlreichen Geschwistern auf, die erste Medizinprofessorin Preußens, Dr. Rahel Hirsch, war seine Nichte. Verheiratet war er mit Johanna geb. Schwabacher und nach deren Tod mit Clementine geb. Tedesco; seine Enkel Dr. Remy Hirsch und Dr. Therese Friedemann praktizierten als Hautärzte.

Anzeige von Dr. Hirsch's Kurklinik zu Falkenstein im Taunus, 1879
Anzeige von Dr. Hirsch’s Kurklinik zu Falkenstein im Taunus, 1879
Der Israelit, 26.11.1879, http://www.alemannia-judaica.de/falkenstein_synagoge.htm

Die Recherche ergab, dass Dr. Marcus Hirsch seit den 1870er Jahren – zusätzlich zu seiner leitenden Tätigkeit im Rothschild’schen Hospital – im Kurort Falkenstein (heute Stadtteil von Königstein im Taunus) bei Frankfurt mit großem Erfolg eine orthodox-jüdische Kurklinik betrieb: die Dr. Hirsch’s Klimatische Heilanstalt für Brustkranke, Blutarme und Nervenleidende. In dem Periodikum Der Israelit vom 20. Juli 1881 berichtete ein Kurgast: „Erst seit wenigen Jahren hat Herr Dr. med. Hirsch aus Frankfurt am Main hier eine Anstalt gegründet, die […] sich eines großen und in der Tat wohlverdienten Rufes erfreut. Dieselbe […] erfreut sich einer so lebhaften Frequenz, dass in diesem Jahre zwei weitere Häuser zur Unterbringung der Fremden gemietet wurden und der Besitzer genötigt ist, eine weitgehende bauliche Vergrößerung der Anstalt vorzunehmen. Deutsche, Russen, Engländer, Franzosen und Holländer verkehren hier in einer so herzlichen, ungezwungenen Weise, dass man sich in eine große, zusammengehörige Familie versetzt glaubt […]. Auch Nichtjuden zählt der gesellige Kreis. […] Dass sämtliche Speisen und Getränke den rigorosesten Anforderungen des Religionsgesetzes entsprechen, braucht nicht erst erwähnt zu werden. […] Einer der christlichen Gäste hielt mir dieser Tage einen ganzen Lobhymnus über die jüdische Küche, die er hier zum ersten Male kennen lernte. Dabei sind im Vergleich zu anderen Kurorten und der Reichlichkeit alles hier Gebotenen die Preise so außerordentlich billig, dass auch weniger bemittelte Leute in der Lage sind, einige Wochen hier zu leben. […] Es ist jedenfalls nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, dass die hiesige Pensions-Anstalt des Herrn Dr. Hirsch in ihrer Art einzig dasteht […]“ (Anonym. 1881: 730). In den 1880er Jahren wurde Dr. Hirschs Kurklinik in Falkenstein weiter ausgebaut und modernisiert.

Deckblatt: Marcus Hirsch, Kulturdefizit am Ende des 19. Jahrhunderts.
Marcus Hirsch, Kulturdefizit am Ende des 19. Jahrhunderts. Frankfurt a.M. 1893, Cover

Derweil ruhte auch in Frankfurt am Main die Arbeit nicht, wo Dr. Marcus Hirsch zusätzlich im ebenfalls orthodox-jüdisch geleiteten Krankenhaus der Israelitischen Krankenkassen behandelte. 1889 bewegte ihn die Armut vieler Glaubensgenossen zur Gründung des Vereins zur Pflege und Unterstützung israelitischer Kranker ‚Bikkur Cholim‘, der bedürftige jüdische Kranke und Genesende nach ärztlicher Anweisung kostenlos mit Lebens-, Stärkungs- und Heilmitteln versorgte. Besondere Verdienste erwarb sich Dr. Marcus Hirsch bezüglich der Professionalisierung der Krankenpflege als jüdischem Frauenberuf: Er war Mitinitiator der ersten jüdischen Schwesternvereinigung des Kaiserreichs, dem Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main. Die Gründung im Oktober 1893 konnte er noch erleben, verstarb aber, keine 55 Jahre alt, in der Nacht vom 1. auf den 2. November 1893. So verlor der Vorstand des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins „bereits im ersten Vereinsjahre […] einen trefflichen Arzt und hochgeschätzten Führer des gesetzestreuen Judentums“ (Jüdischer Schwesternverein Ffm 1920: 32f.). Auf dem Jüdischen Friedhof Rat-Beil-Straße sprach auch Dr. Simon Kirchheim, Vorsitzender des Schwesternvereins und Chefarzt des Königswarter Hospitals der liberalen Israelitischen Gemeinde Frankfurt, am Grab seines orthodox-jüdischen Kollegen. Für wenige Stunden schlug die Beerdigungsfeier für Dr. Marcus Hirsch eine Brücke zwischen den beiden einander entfremdeten Frankfurter jüdischen Gemeinden.
Der Nachwelt hinterließ Dr. Marcus Hirsch das Buch Kulturdefizit am Ende des 19. Jahrhunderts (vgl. Hirsch 1893, siehe auch ders. 1866 sowie 1890) als Vermächtnis, in dem er eindringlich vor dem Antisemitismus warnte – „anerkanntermaßen eines der hervorragendsten, eingehendsten, schlagendsten und populärsten Werke, die zur Abwehr der schmählichen Angriffe auf Juden und Judenthum verfasst worden sind“ (Hirsch [Nachruf] 1893: 1675).

Fotografie: Geheimer Sanitätsrat Dr. med. Elieser Rosenbaum, Chefarzt des Rothschild'schen Hospitals, undatiert (um 1910
Geheimer Sanitätsrat Dr. med. Elieser Rosenbaum, Chefarzt des Rothschild’schen Hospitals, undatiert (um 1910)
© Courtesy of the Leo Baeck Institute: Paul Arnsberg Collection AR 7206

Die Chefärzte Geheimer Sanitätsrat Dr. Elieser Rosenbaum und Dr. Sally Rosenbaum (Vater und Sohn), weitere Ärzte


Dr. Marcus Hirschs Nachfolger als Chefarzt des Rothschild’schen Hospitals – die gleiche Position bekleidete er später auch im benachbarten Mathilde von Rothschild’schen Kinderhospital – wurde Geheimer Sanitätsrat Dr. Elieser Rosenbaum. Der praktische Arzt war langjähriger Vorsitzender der Israelitischen Religionsgesellschaft Frankfurt am Main. Dr. Elieser Rosenbaum wurde 1850 geboren. Die Angaben zu seinem Geburtsort sind widersprüchlich, sehr wahrscheinlich stammt er aus der bayerisch-fränkischen Rabbiner- und Gelehrtenfamilie Rosenbaum. Mit seiner Frau Ida hatte er mehrere Kinder; ein Enkel war Rabbiner Jehuda Leo Ansbacher (vgl. Arnsberg 1983, Bd. 3: 20). Im Januar 1922 verstarb Dr. Elieser Rosenbaum an seiner Wirkungsstätte, dem Rothschild’schen Hospital. Wie Dr. Marcus Hirsch liegt er auf dem Jüdischen Friedhof Rat-Beil-Straße begraben. In die Fußstapfen als Chefarzt der beiden Rothschild’schen Spitäler trat 1922 sein Sohn Dr. Sally Rosenbaum, Jahrgang 1877 und ein gebürtiger Frankfurter. Ende 1939 musste der praktische Arzt und Kinderarzt die Klinikleitung wegen eines Augenleidens aufgeben. Am 20. Oktober 1941 wurde Dr. Sally Rosenbaum zusammen mit seiner Frau Lina, die aus der alteingesessenen Frankfurter jüdischen Familie Schwarzschild stammte, in das Lager Litzmannstadt/Lodz (vgl. Löw 2006) deportiert; das Ehepaar gilt als verschollen.

Die Satzungen des von seinem Selbstverständnis her orthodox-jüdischen Rothschild’schen Hospitals hielt die Möglichkeit einer Einstellung nichtjüdischer und christlicher Ärzte ausdrücklich fest. So waren die Stellvertreter von Dr. Marcus Hirsch und Dr. Elieser Rosenbaum, Dr. Heinrich Schmidt (seit 1878) und sein Nachfolger Dr. (Carl?) Cassian (vermutlich seit 1890) sowie Hofarzt Dr. Heinrich Roth sehr wahrscheinlich nichtjüdisch. Zu den jüdischen Ärzten des Hospitals gehörte der Chirurg und Urologe Dr. Willy Hofmann, ein Schwiegersohn von Abraham Erlanger, dem Begründer und langjährigen Vorsteher der jüdischen Gemeinde zu Luzern (Schweiz). Anlässlich der feierlichen Einweihung des großen Hospital-Umbaus im September 1932 hielt er eine Rede über die Verbindungen von jüdischer Sozialethik und medizinischer Heilung (vgl. Hofmann 1932).

Publikation von Dr. med. Willy Hofmann (Deckblatt); Die Stellung der jüdischen Weltanschauung zu Krankheit, Arzt und Medizin. Rede zur Einweihungsfeier des Hospital-Umbaus der Georgine Sara von Rothschildschen Stiftung zu Frankfurt a. M. am 18. September 1932
Publikation von Dr. med. Willy Hofmann (Deckblatt)
Nachweis: Hofmann, Willy 1932: Die Stellung der jüdischen Weltanschauung zu Krankheit, Arzt und Medizin. Rede zur Einweihungsfeier des Hospital-Umbaus der Georgine Sara von Rothschildschen Stiftung zu Frankfurt a.M. am 17. Elul 5692, 18. Sept. 1932. Frankfurt a.M.

Sein weit über Frankfurts Grenzen hinaus als Spezialist für Blinddarmoperationen gefragter Kollege Dr. Sidney Adolf Lilienfeld praktizierte zugleich auch im evangelischen Bethanien-Krankenhaus (vgl. Nördinger/Bauer 2008). In seiner Geburtsstadt Frankfurt war Dr. Lilienfeld, Bruder (Mitglied) der angesehenen Hermann-Cohen-Loge (B’nai B’rith, Frankfurt a.M.), überdies als Sammler von Francofurtensien und Förderer klassischer Musik bekannt, mitunter spielte er selbst Geige im Orchester der Frankfurter Oper. Als er infolge der rassistischen NS-Repressalien seine langjährige Arbeitsstätte, das Bethanien-Krankenhaus, nicht mehr betreten durfte, übernahm er bis zu seiner erzwungenen Emigration 1939 nach England die Leitung der Chirurgie des Rothschild’schen Hospitals. Ein weiterer renommierter Chirurg, tätig an beiden Rothschild’schen Spitälern sowie im Gumpertz‘ schen Siechenhaus, war Geheimer Sanitätsrat Dr. Oskar Pinner. Der praktische Arzt und Geburtshelfer Dr. Godchaux Schnerb entstammte mit hoher Wahrscheinlichkeit der Rabbiner- und Gelehrtenfamilie Schnerb aus Merzig (Saarland) und war vermutlich ein Sohn des Frankfurter Münzkaufmanns Moses Schnerb, Leiter des Synagogenchors der Israelitischen Religionsgesellschaft zu Frankfurt und 1937 im Rothschild’schen Hospital verstorben. Nicht unerwähnt bleiben sollen auch Dr. Adolf Löwenthal (Urologie) und Dr. Arnold Merzbach (Neurologie).

Der letzte Chefarzt: Dr. Franz Grossmann
Als Nachfolger des 1939 ausgeschiedenen Dr. Sally Rosenbaum beauftragte die Frankfurter jüdische Gemeinde einen Katholiken: den Chirurgen Dr. Franz Stefan Grossmann, der von dem kaufmännischen Leiter des Rothschild’schen Hospitals, Artur Rothschild, unterstützt wurde. Dr. Grossmann, 1904 in Berlin als Jude geboren, war vor seiner Trauung mit einer Christin 1931 zum katholischen Glauben konvertiert, galt aber nach den Nürnberger NS-Rassegesetzen dennoch als „Volljude“. Angeblich deshalb, weil er sich nicht als Mitglied der Frankfurter jüdischen Gemeinde gemeldet hatte, geriet er im Januar 1943 in Gestapohaft. Zu diesem Zeitpunkt waren alle Frankfurter jüdischen Krankenhäuser längst zwangsaufgelöst und ‚arisiert‘. Dr. Franz Grossmann konnte das Vernichtungslager Auschwitz als Häftlingsarzt überleben und war zuletzt im KZ Mauthausen (Österreich) inhaftiert. Nach der Befreiung kehrte er zu seiner in Frankfurt zurückgebliebenen Familie zurück. Trotz gesundheitlicher Schäden setzte der angesehene Chirurg seine Laufbahn fort und wurde in der südhessischen Kurstadt Bad Homburg ärztlicher Direktor des Kreiskrankenhauses Obertaunus. 1953 holten ihn die Spätfolgen der KZ-Haft ein: Dr. Franz Grossmann erlag mit 48 Jahren einem Herzinfarkt. „Am Todestag des Vaters erfuhr sein damals 17 Jahre alter Sohn Franz […], dass sein Vater, den er nur als sehr frommen Katholiken kannte, jüdischer Abstammung war“ (zit. n. Hirschmann 2011: 12). Auf den Namen des letzten Chefarztes des Rothschild’schen Hospitals stieß die Autorin dieses Artikels dank der biographischen Spurensuche des Sohnes Franz Grossmann.

Die Pflegenden

Fotografie: Zilli Heinrich, Krankenschwester, um 1939
Zilli Heinrich, um 1939
© Yad Vashem, Jerusalem (Gedenkblatt)

Als schwierig erweist sich die Spurensuche nach Pflegenden sowie weiterem Personal auch im Hinblick auf das Hospital der Georgine Sara von Rothschild’schen Stiftung und das Mathilde von Rothschild’sche Kinderhospital; so sind Schwestern und Pfleger in Jahres- und Rechenschaftsberichten nicht namentlich erwähnt. Eher zufällig stieß die Verfasserin dieses Beitrags im orthodox-jüdischen Presseorgan Der Israelit auf den Namen der christlichen Krankenschwester Anna Sang: Fast 35 Jahre lang, von etwa 1896 bis 1931, wirkte sie als Oberschwester des Rothschild’schen Hospitals; sie verstarb ein Jahr nach ihrem krankheitsbedingten Ausscheiden. Einige Personendaten enthalten die im Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main (ISG Ffm) aufbewahrten Hausstandsbücher Bornheimer Landwehr 85 (jüdisches Schwesternhaus) und Gagernstraße 36 (Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde). Zwischen dem Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main und dem Rothschild’schen Hospital können, wie Hilde Steppe 1997 in ihrer Doktorarbeit über die Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland konstatierte, „personelle Verbindungen erst in den 30er Jahren nachgewiesen werden, als 1932 drei Krankenschwestern des Vereins aus dem Schwesternhaus dorthin umziehen und in den folgenden Jahren einzelne Krankenschwestern sowohl von dort wieder in das Schwesternhaus zurückkommen als auch andere dorthin ziehen. Nach der Zwangsschließung […] ziehen sieben Krankenschwestern von dort in das Krankenhaus in der Gagernstraße 36 ein“ (Steppe 1997: 259f.). Die Autorin dieses Beitrags konnte im Institut für Stadtgeschichte zusätzlich das Hausstandsbuch Rhönstraße 47-55 – einem Gebäudekomplex nahe des Röderbergwegs, der sich teilweise im Besitz der Rothschild’schen Stiftung befand, die dort Personalwohnungen bereitstellte – recherchieren, das weitere verschollene Namen und Daten enthält. Dennoch bleibt die Quellenlage dürftig und der nun folgende Überblick über den Pflegepersonalbestand entsprechend lückenhaft. Vor allem fehlen bislang Informationen zu Rothschild’schen Pflegekräften der ersten Ausbildungsgeneration (1860er und 1870er Geburtsjahrgänge).

Jahrgänge 1886–1900

Fotografie: Ottilie Winter, Krankenschwester, o.J. (um 1930)
Ottilie Winter, o.J. (um 1930)
© Yad Vashem, Jerusalem (Gedenkblatt)

Ottilie Winter, genannt „Tille“, wurde 1886 in Kempen (Nordrhein-Westfalen) am Niederrhein geboren. 1915 erhielt sie ihre Ausbildung im Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main. Die erfahrene Krankenschwester pflegte im jüdischen Krankenhaus Gagernstraße und vermutlich auch im Seebad Kolberg (Hinterpommern). Im Amt der Oberin leitete sie die Pflege im Israelitischen Altersheim Sontheim bei Heilbronn, im Rothschild’schen Hospital (Nachfolge der verstorbenen christlichen Oberschwester Anna Sang) und im Israelitischen Kinderheim in der hessischen Kurstadt Bad Nauheim. Ottilie Winter wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert, ihr arbeitsreiches Leben im Dienste der Kranken endete vermutlich 1944 in Auschwitz.

Sara Jameson, 1887 in London geboren, war britische Staatsbürgerin. Am 29. Dezember 1934 meldeten britische Medien, dass Schwester Sara am 24. Dezember nach dem Verlassen eines Frankfurter jüdischen Schuhgeschäfts antisemitisch beleidigt wurde und sofort bei dem zuständigen Generalkonsul Beschwerde einlegte. Der Frankfurter Polizeipräsident musste sich daraufhin offiziell entschuldigen (vgl. findmypast.ie/search, Aufruf v. 02.02.2015). Aufgrund der nationalsozialistischen Verfolgung kehrte Sara Jameson vermutlich nach England zurück.

Erna Sara Heimberg, 1889 in dem Dorf Madfeld (Nordrhein-Westfalen) im Sauerland geboren, wurde 1911 im Verein für jüdische Krankenpflegerinnen ausgebildet. Im Ersten Weltkrieg versorgte sie als OP-Schwester verwundete Soldaten. 1936 kehrte sie aus Mannheim nach Frankfurt in das jüdische Schwesternhaus zurück. Ihre Fluchtversuche in das britisch kontrollierte Mandatsgebiet Palästina scheiterten. Erna Sara Heimberg war vermutlich die letzte Oberin des im Frühjahr 1941 NS-liquidierten Rothschild’schen Hospitals und danach des letzten Frankfurter jüdischen Krankenhauses in der Gagernstraße. Sie wurde am 15. September 1942 mit Ottilie Winter und weiteren Kolleginnen nach Theresienstadt deportiert und 1944 mit hoher Wahrscheinlichkeit in Auschwitz ermordet.

Fotografie: Amalie Stutzmann, Krankenschwester, undatiert (um 1938)
Amalie Stutzmann, undatiert (um 1938)
Nachweis: Markus Abraham Bar Ezer, Die Feuersäule, S. 2

Amalie Stutzmann, 1890 in Keskastel (Elsass, heute Frankreich) geboren und evangelisch getauft, trat 1931 zum Judentum über. Vermutlich hätte sie sich, nach den Nürnberger NS-Rassegesetzen als Nichtjüdin geltend, retten können, ging jedoch am 11. November 1941 gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen den Weg der Deportation. Er führte nach Minsk in Weißrussland, wo sich Amalie Stutzmanns Lebensspuren verlieren. Zu ihrem Gedenken wurde 2010 – in Anwesenheit ihres Sohnes Abraham Bar Ezer (Markus Stutzmann) und seiner Tochter Amalya – ein Stolperstein im Frankfurter Ostend (Sandweg 11) verlegt.

Ruth Kauders, 1894 in München geboren, wurde 1918 im Verein für jüdische Krankenpflegerinnen ausgebildet. Sie befand sich im gleichen Deportationszug wie Ottilie Winter und Erna Sara Heimberg. Schwester Ruth wurde vermutlich in Theresienstadt ermordet (vgl. Gedenkbuch München). Emilia Schäfer, 1898 in Langsdorf bei Gießen (Hessen) geboren, war wie Amalie Stutzmann evangelisch. Weder von ihr noch von Jetti Ettlinger (geb. Diamant), 1900 in Szolnok (Ungarn) geboren, sind weitere biographische Daten bekannt. Ungefähr im gleichen Alter war Ruth (Retha) Kahn; sie ging nach ihrer Ausbildung im Rothschild’schen Hospital nach Nürnberg und wurde 1920 Mitglied des dortigen jüdischen Schwesternvereins.

Jahrgänge 1905 bis 1912

Selma Lorch, um 1930 Nachweis: Keim, Günter 1993: Beiträge zur Geschichte der Juden in Dieburg. [Hg.: Magistrat der Stadt Dieburg]. Dieburg, S. 130 
© Stadtarchiv Dieburg

Käthe Popper wurde 1905 im niedersächsischen Lingen, nahe der niederländischen Grenze, geboren. Sie war die Tochter des Lehrers und Kantors Ignatz Popper, der u.a. Sophie Landsberg (siehe unten) unterrichtete. Schwester Käthe arbeitete seit den späten 1930er Jahren im Rothschild’schen Hospital. 1941 wurde sie mit ihren Eltern und ihrer Schwester Lea nach Kauen (Kowno, Litauen, vgl. Dieckmann 2011) deportiert; die Familie fiel am 25. November 1941 vermutlich den brutalen Massenerschießungen auf der Festung Fort IX zum Opfer.

Auch Selma Lorch, 1906 in Dieburg (Hessen) geboren, pflegte nur für kurze Zeit – als Lernschwester – im Rothschild’schen Hospital. Zuvor war sie als Hausangestellte gemeldet. Nach der Zwangsschließung des Hospitals musste sie in das jüdische Krankenhaus Gagernstraße umziehen und war dort bis zum 29. Juni 1942 gemeldet. Danach wurde sie „evakuiert“, was die Deportation in ein Vernichtungslager im Osten bedeutete. Zuvor hatten die Nationalsozialisten bereits Selma Lorchs Mutter und ihre beiden jüngeren Schwestern von Darmstadt in das Ghetto Piaski verschleppt. Alle vier Frauen gelten als verschollen, ihr Todestag wurde auf den 8. Mai 1945 festgelegt.

Regine Goldsteen wurde 1907 in Bentheim (heute Bad Bentheim, Niedersachsen) nahe der niederländischen Grenze geboren. 1929 zog die junge Frau nach Frankfurt am Main in das jüdische Schwesternhaus. Seit 1935 wohnte und pflegte sie im Rothschild’schen Hospital. Mit ihren Eltern und beiden Schwestern flüchtete sie im November 1939 in die Niederlande, die jedoch nur wenige Monate später nationalsozialistisch besetzt wurde. Regine Goldsteen wurde 1943 im NS-Lager Vught/Herzogenbusch inhaftiert und danach über das Durchgangslager Westerbork in das Vernichtungslager Sobibor (Polen) deportiert. Für die Familie Goldsteen wurden 2006 die ersten Stolpersteine in Bad Bentheim verlegt.

Luise Fleischmann kam 1908 im oberfränkischen Oberlangenstadt (heute Ortsteil von Küps, Bayern) zur Welt. 1931 zog sie nach Frankfurt am Main in das jüdische Schwesternhaus, 1932 als Lehrschwester in das Rothschild’sche Hospital. Luise Fleischmann kehrte Nazideutschland am 15. März 1933 den Rücken und emigrierte nach Paris. Ebenfalls aus Bayern stammte die 1909 in Würzburg (Unterfranken) geborene Rosa (Ruth) Goldschmidt. 1928 zog sie von Hanau (Hessen) nach Frankfurt in das jüdische Schwesternhaus und von dort 1932 in das Rothschild’sche Hospital. 1936 ging sie nach Bad Kissingen (Unterfranken, Bayern).

Bertha Klein (geb. Feldmann), 1910 in Frankfurts Nachbarstadt Offenbach am Main geboren, war eine jüdische Judenretterin (vgl. Bonavita 2009). Auch sie gehörte in den 1930er Jahren zum Pflegepersonal des Rothschild’schen Hospitals. Selbst antisemitisch gefährdet, unterstützten Schwester Bertha und ihr Ehemann, der Mathematiker, Physiker und Lehrer Emil Klein, jüdische NS-Verfolgte auf der Flucht. Emil Klein wurde verhaftet und in Auschwitz ermordet. Bertha Klein und ihre kleinen Söhne Ralph und Alex konnten überleben und wanderten 1950 nach Israel aus.

Fotografie: Selma Lorch mit ihren Eltern Rosa und Gustav Lorch II und ihrer Schwester Ilse im Garten des Elternhauses, 1933
Selma Lorch mit ihren Eltern Rosa und Gustav Lorch II und ihrer Schwester Ilse im Garten des Elternhauses, 1933 Nachweis: Keim, Günter 1993: Beiträge zur Geschichte der Juden in Dieburg. [Hg.: Magistrat der Stadt Dieburg]. Dieburg, S. 130
© Stadtarchiv Dieburg
Selma Lorch, 1940, Kennkarte Nr. 606
Selma Lorch, 1940, Kennkarte Nr. 606
Nachweis: Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland, Sig. B 5.1., Abt. IV, 606

Auf eine weitere Krankenschwester sowie zwei Mitarbeiterinnen des Rothschild’schen Hospitals machte uns Amalie Stutzmanns Enkelin Amalya Shachal aufmerksam: Adele Nafschi (geb. Seligmann), 1911 in Hamburg geboren, zog 1930 von Berlin nach Frankfurt in das jüdische Schwesternhaus. Von 1931 bis 1933 pflegte sie im Rothschild’schen Hospital, wo auch Bella Flörsheim (geb. Posen) sowie in der Küche der Klinik Aranka Kreismann arbeiteten. Alle drei Frauen retteten sich vor der nationalsozialistischen Verfolgung nach Palästina (vgl. Shachal 2010).

Alfred Hahn gehörte zu den wenigen Männern in der Krankenpflege, wobei er diesen Beruf vermutlich deshalb ergriff, um emigrieren zu können. Er wurde 1911 in Gudensberg (Hessen) geboren und kam 1938 von Kassel nach Frankfurt am Main. Vermutlich lernte er seine Ehefrau, die 1911 in Kitzingen (Unterfranken, Bayern) geborene Krankenschwester Berta Hahn (geb. Schuster) – sie kam 1940 aus Fürth nach Frankfurt – im Rothschild’schen Hospital kennen. Nach der NS-Zwangsauflösung der Klinik zogen beide im Mai 1941 in das jüdische Krankenhaus Gagernstraße um. Am 24. September 1942 wurde das Ehepaar Hahn mit anderen Kolleginnen und Kollegen über Berlin nach Raasiku bei Reval (Estland) deportiert. Die 33jährige Berta Hahn wurde am 19. Januar 1945 im KZ Stutthof bei Danzig (Polen) ermordet, wohin vermutlich auch Alfred Hahn, der als verschollen gilt, verschleppt wurde. Ebenfalls in Stutthof ermordet wurde Juliane Wolff, zuletzt Stationsschwester im Rothschild’schen Hospital. Der 1912 in Bocholt (Nordrhein-Westfalen) geborenen Tochter der ersten jüdischen Bundestagsabgeordneten Jeanette Wolff ist ein eigener Artikel (Teil 5) gewidmet.

Jahrgänge 1915-1922

Fotografie: Regina Herz, o.J. (um 1940)
Regina Herz, o.J. (um 1940)
Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem (Gedenkblatt)

Dass das Rothschild’sche Hospital während der NS-Zeit antisemitisch Verfolgten Unterschlupf bot, zeigt das Beispiel von Regina Herz (geb. 1915 in Bengel an der Mosel, Rheinland-Pfalz): Nach der Verwüstung ihrer Offenbacher Wohnung während des Novemberpogroms 1938 war sie gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester Johanna in das benachbarte Frankfurt geflüchtet. Sie war vermutlich nicht die einzige, die sich im Rothschild’schen Hospital ‚illegal‘ aufhielt. Dort beteiligte sie sich an der Versorgung der Kranken, war doch die Klinik angesichts des NS-bedingten fluktuierenden Personalbestands froh über jede tüchtige Pflegekraft, auch wenn Regina Herz vermutlich keine ausgebildete Krankenschwester war.
Hingegen lernte Johanna Herz, 1921 in Bengel geboren, Krankenschwester im Frankfurter jüdischen Schwesternhaus; sie pflegte im Krankenhaus Gagernstraße. Um 1941 verschlug es die Schwestern Herz nach Berlin, wo beide Zwangsarbeit leisten mussten. Während sich ihre Mutter noch rechtzeitig nach Argentinien retten konnte, wurden Regina und Johanna Herz im März 1943 mit zwei unterschiedlichen Transporten in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Das Datum der Ermordung der beiden jungen Frauen wurde auf den 31. Dezember 1945 festgesetzt.

Jonas Neuberger wurde 1916 in Berlin geboren, wo sein Vater Menachem Max Neuberger als Gemeindesekretär der dortigen orthodox-jüdischen Israelitischen Synagogen-Gemeinde (Adass Jisroel) tätig war. Nach Abschluss seiner kaufmännischen Lehre in einem Berliner Metallbetrieb wurde er dort als Angestellter übernommen, verlor aber 1936 aufgrund der NS-Verfolgung seinen Arbeitsplatz. Jonas Neuberger strebte die Hachschara, die Vorbereitung auf eine Rückkehr aus der Galut (deutsch: Verbannung; jüdische Diaspora) in das Gelobte Land der Väter (Israel) an. Um seine Chancen auf eine Emigration aus Nazideutschland zu verbessern, ließ er sich von 1936 bis um 1939 im Berliner orthodox-jüdischen Israelitischen Krankenheim (Adass Jisroel), Elsässer Straße 85, zum Krankenpfleger ausbilden. Nach erfolgreicher Diplomprüfung ging er im Oktober 1940 nach Frankfurt am Main, wo er vermutlich sofort im Rothschild’schen Hospital arbeitete. Nach der Klinikauflösung im Mai 1941 wohnte er vorübergehend in einer Rothschild’schen Personalwohnung in der Rhönstraße und war danach im Krankenhaus Gagernstraße gemeldet. Die Umstände seiner Deportation sind bislang unbekannt. Noch keine 26 Jahre alt, wurde Jonas Neuberger am 25. Juli 1942 im Vernichtungslager Majdanek ermordet.

Fotografie: Johanna Herz, o.J. (um 1940)
Johanna Herz, o.J. (um 1940)
Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem (Gedenkblatt)

Auch das junge Leben der 1920 in Leer (Niedersachsen) geborenen jüdischen Ostfriesin Sophie Landsberg endete in der Schoah. Schwester Sophie, auch Sonni oder Henny gerufen, pflegte vermutlich von 1939 bis zur Klinikauflösung im Mai 1941 im Rothschild’schen Hospital. Kurz darauf verließ sie Frankfurt in Richtung Würzburg; ihr Deportationsweg verlief ab Nürnberg über Theresienstadt nach Auschwitz. Zu der jüngsten und infolge der Schoah letzten Generation deutsch-jüdischer Krankenschwestern gehörte auch die 1921 in Würzburg (Unterfranken, Bayern) geborene Fanny Ansbacher. Sie lernte vom Mai 1940 bis Februar 1941 Krankenschwester am Rothschild´schen Hospital. Wie bei Jonas Neuberger scheiterte die von ihr beabsichtigte Hachschara. Am 3. März 1943 wurde sie von Berlin nach Auschwitz deportiert, wo sie zunächst als Krankenpflegerin auf der Krankenstation Birkenau überleben konnte. Noch im gleichen Jahr erkrankte sie an Typhus und erlag den Folgen von Aushungerung und Unterversorgung. Für Fanny Ansbacher und ihre Familie wurden 2006 in Würzburg Stolpersteine verlegt.

Zilli Heinrich, Jahrgang 1922, war eine der wenigen gebürtigen Frankfurterinnen im Rothschild’schen Hospital. Nach dem Besuch der Samson-Raphael-Hirsch-Schule lernte sie Krankenschwester im Rothschild’schen Hospital, auch ihre Mutter Emilie Hirsch war dort gemeldet. Vermutlich pflegte Zilli Heinrich auch im Rothschild’schen Kinderhospital. 1940 wurde sie aus ihrem beruflichen Werdegang gerissen, um Zwangsarbeit in einer Waffenfabrik zu leisten. Von Frankfurt (letzte Wohnadresse: Am Tiergarten 28) wurden Zilli und Emilie Heinrich am 22. November 1941 nach Kauen (Kowno, Litauen) deportiert. Dort fiel sie – wie ihre älteren Kolleginnen Käthe Popper (siehe oben) und Käthe Mariam – am 25. November 1941 mit ihrer Mutter gleich nach der Ankunft den Massenerschießungen im Fort IX zum Opfer.

Fotografie: Zilli Heinrich und ihre Mutter Emilie Heinrich, um 1939

Schlussbemerkung und Dank
Die hier vorgestellten biographischen Wegweiser führten zu 23 Pflegekräften des Rothschild’schen Hospitals. Von ihnen waren zwei männlich. Zwei waren evangelische Christinnen vermutlich nichtjüdischer Herkunft, von denen eine zum Judentum konvertierte. Jeweils drei Pflegende stammten aus den heutigen nördlichen Bundesländern Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, eine aus der heutigen Rheinland-Pfalz, eine aus Hamburg, einer aus Berlin, fünf aus Bayern, eine aus England, eine aus Ungarn, eine aus dem heute französischen Elsass, bei einer Pflegenden ist die Herkunft unbekannt. Fünf wurden in Hessen geboren, darunter als einzige Frankfurterin Zilli Heinrich. Nur wenigen gelang die Emigration, die meisten wurden in der Schoah ermordet.
An dieser Stelle sei auch an Emma Rothschild (geb. 1894 in Echzell, Hessen) erinnert. Aus schwierigen Verhältnissen – sie war zeitweise Heimkind im Frankfurter Israelitischen Waisenhaus im Röderbergweg – hatte sie sich zur langjährigen Oberin des Rothschild’schen Kinderhospitals hochgearbeitet. Oberin Emma war keine gelernte Krankenschwester, sondern Kindergärtnerin; das renommierte reformpädagogische Fröbel-Kindergärtnerinnen-Seminar verließ sie mit einem Examen erster Klasse. Nach der NS-Zwangsschließung des Rothschild’schen Kinderhospitals im Juni 1941 leitete sie die Mädchenabteilung der Israelitischen Waisenanstalt. Emma Rothschild wurde (wie ihre Schwestern Sophie und Dina Rothschild) am 8. Mai 1945 für tot erklärt; Deportationsdatum und Deportationsziel konnten bislang nicht herausgefunden werden.

Der besondere Dank der Autorin geht an Dr. Peter Honigmann (Zentralarchiv zur Erforschung der Juden in Deutschland, Heidelberg), Sandra Jahnke und Dr. Siegbert Wolf (Institut für Stadtgeschichte Frankfurt a.M.), Michael Simonson und Lottie Kestenbaum (Leo Baeck Institute), Gisela Marzin und Janine Wolfsdorff (Stadtarchiv Dinslaken), Monika Rohde-Reith (Stadtarchiv Dieburg), Michael Lenarz (Jüdisches Museum Frankfurt a.M.) und die Pflegehistorikerin Petra Betzien (Düsseldorf).

Birgit Seemann, 2017

 

Unveröffentlichte Quellen


CAHJP: The Central Archives for the History of the Jewish People Jerusalem:

Sammlung Familien Friedemann / Hirsch – P 59 (1828-1947), mit Dokumenten zur Dr. Marcus Hirsch und seiner Familie

 HHStAW Wiesbaden: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden:

Entschädigungs-, Rückerstattungs- und Devisenakten

 ISG Ffm: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main:

Hausstandsbuch Sig. 186/742: Rhönstraße 47-55 (Personalwohnungen der Rothschild’schen Stiftung)

Hausstandsbuch Sig. 655: Bornheimer Landwehr 85 (Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main, Schwesternhaus)

Hausstandsbücher Sig. 686, Sig. 687: Gagernstraße 36 (Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde Frankfurt a.M.) Magistratsakten V Sig. 707 (1922)

Hirsch, Marcus: Sammlung Personengeschichte S 2, Sig. 15.893 (mit Auszug aus dem Frankfurter Einwohnermelderegister)

Lilienfeld, Sidney Adolf, Sammlung Personengeschichte S 2, Sig. 390

Pinner, Oskar, Nachlass Sig. S 1-368 (Laufzeit 1926-1928)


Rosenbaum, Elieser, Sterbeurkunde, Personenstandsunterlagen, Sig. 1922/V/35

 StA Dinslaken: Stadtarchiv Dinslaken:

Sammlung Jeanette Wolff: Wolff, Juliane: Dokumente, Fotos

 Zentralarchiv Heidelberg: Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland, Heidelberg:

Personenstandsregister: Archivaliensammlung Frankfurt: Abteilung IV: Kennkarten, Mainz 1939: http://www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/aj/STANDREG/FFM1/117-152.htm: Lorch, Selma (27.10.1906) Frankfurt, 606

Literatur


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Arnsberg, Paul 1983: Die Geschichte der Frankfurter Juden seit der Französischen Revolution. Darmstadt, 3 Bände

Daub, Ute 1998: Zur Vertreibung und Vernichtung der jüdischen Ärzteschaft in Frankfurt am Main zwischen 1933 und 1945. In: Bareuther, Herbert [u.a.] (Hg.) 1998: Medizin und Antisemitismus. Münster: 49-73 [vgl. auch Drexler-Gormann, Birgit im gleichen Band]

Bonavita, Petra 2009: Mit falschem Pass und Zyankali. Retter und Gerettete aus Frankfurt am Main in der NS-Zeit. Stuttgart

Dieckmann, Christoph 2011: Deutsche Besatzungspolitik in Litauen 1941–1944. 2 Bände, GöttingenHeidel, Caris-Petra (Hg.) 2011: Jüdische Medizin – Jüdisches in der Medizin – Medizin der Juden? Frankfurt a.M.

Hildesheimer, Meir/ Morgenstern, Matthias 2013: Rabbiner Samson Raphael Hirsch in der deutschsprachigen jüdischen Presse. Materialien zu einer bibliographischen Übersicht. Berlin, Münster: 13, 337

Hirsch, Marcus 1866: Die pathologische Anatomie des Talmud. Ein Beitrag zur Kenntniß der talmudischen Medizin. In: Jeschurun. Ein Monatsblatt zur Förderung jüdischen Geistes und jüdischen Lebens in Haus, Gemeinde und Schule 13 (1866) 3, Dezember, S. 83-91. – Online-Ausg.: Compact Memory: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaica/

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Hirsch, Marcus 1893: Kulturdefizit am Ende des 19. Jahrhunderts. Frankfurt a. M. – Online-Ausg.: Univ.-Bibl. J.C. Senckenberg Frankfurt a.M, 2007, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hebis:30-180010709006

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Hofmann, Willy 1932: Die Stellung der jüdischen Weltanschauung zu Krankheit, Arzt und Medizin. Rede zur Einweihungsfeier des Hospital-Umbaus der Georgine Sara von Rothschildschen Stiftung zu Frankfurt a.M. am 17. Elul 5692, 18. Sept. 1932. Frankfurt a.M.: Hermon-Druck. – Online-Ausg. in Vorbereitung: Univ.-Bibl. J.C. Senckenberg Frankfurt a.M. (Stand 02.02.2015)

Jüdischer Schwesternverein Ffm 1920: Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt a.M.: Rechenschaftsbericht 1913 bis 1919. Frankfurt/M.

Kallmorgen, Wilhelm 1936: Siebenhundert Jahre Heilkunde in Frankfurt am Main. Frankfurt a.M.

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Landkreis Darmstadt-Dieburg/Lange, Thomas (Hg.) 1997: „L’chajim“. Die Geschichte der Juden im Landkreis Darmstadt-Dieburg. [Mit Beitr. v. Eckhart G. Franz u.a.]. Reinheim

Löw, Andrea 2006: Juden im Getto Litzmannstadt. Lebensbedingungen, Selbstwahrnehmung, Verhalten. Göttingen

Nördinger, Marc/ Bauer, Thomas 2008: Der Schwestern Werk. Die Geschichte des Bethanien-Krankenhauses in Frankfurt am Main von 1908–2008. Frankfurt a.M.: 91-96

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Steppe, Hilde 1997: „… den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre …“. Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Frankfurt a.M.

Links (Aufruf v. 23.10.2017)

Alemannia Judaica: Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum: http://www.alemannia-judaica.de

Blume, Gisela Naomi o. J. [2010]: Jüdische Fürther, http://www.juedische-fuerther.de

Biographisches Gedenkbuch der Münchner Juden 1933–1945. Hg.: Landeshauptstadt München: Stadtarchiv: https://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Direktorium/Stadtarchiv/Juedisches-Muenchen/Gedenkbuch.html

Compact Memory (Universitätsbibliothek J.C. Senckenberg Frankfurt a.M.: Digitale Sammlungen: Judaica): http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaica/

Jüdisches Leben in Echzell. Hg.: Dr. Jochen Degkwitz, Arbeitskreis jüdisches Leben in Echzell: http://www.juedisches-echzell.de/index.php?seite=de-willkommen

Klein, Hans-Peter/Pettelkau, Hans (Hg.) 2014: Juden in Nordhessen: http://jinh.lima-city.de/index.htm (Stand: 10.08.2017)

Klein, Ralph 2002: Claims Resolution Tribunal, Zürich: Holocaust Victim Assets Litigation (Swiss Banks), Case No. CV96-4849: http://www.crt-ii.org/_awards/_apdfs/Klein_Emil.pdf

Livnat, Andrea/ Tobias, Jim G.: Jüdische Ärzte aus Deutschland und ihr Anteil am Aufbau des israelischen Gesundheitswesens, http://aerzte.erez-israel.de

Seckbach, Raziel Yohai 2014a: Eliezer [sic] Rosenbaum, http://www.geni.com/people/Eliezer-Rosenbaum/6000000002528345033 (private genealogische Website, Stand: 21.11.2014)

Seckbach, Raziel Yohai 2014b: Sally Rosenbaum, http://www.geni.com/people/Sally-Rosenbaum/6000000003674607604 (private genealogische Website, Stand: 29.11.2014)

Stolz, Benita/ Försch, Helmut: Würzburger Stolpersteine, http://www.stolpersteine-wuerzburg.de

Bad Nauheimer jüdische Krankenschwestern

Bad Nauheim übte als Kurort seit ca. 1869, als es den Namenszusatz „Bad“ erhielt, bis zu den 1930er Jahren eine große Anziehungskraft auf ein internationales Kurpublikum aus. Gerne kamen auch jüdische Gäste, da sie durch die vielen jüdischen und nicht-jüdischen hoch angesehenen Ärzte und Spezialisten für Herzleiden sich in guten Händen wussten und in den jüdisch geführten Hotels und Pensionen rituell adäquate Bedingungen vorfanden. In der Gruppe der jüdischen Gäste spielten die Frankfurterinnen und Frankfurter eine besondere Rolle. Zum einen traten sie als Stifterinnen und Stifter auf, wie z. B. Mathilde und Adelheid von Rothschild oder Michael Moses Mainz und die Frankfurt-Loge, die sich insbesondere um das Israelitische Kinderheim und das Israelitische Frauenkurheim verdient machten. Zum anderen kamen auch viele Wochenendgäste aus dem nahegelegenen Frankfurt (vgl. Kolb 1987: 104f.). Bei weitem nicht alle jüdische Bad Nauheimer Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger konnte ich ausfindig machen. Die identifizierten stelle ich in alphabetischer Reihenfolge vor.

Die Krankenschwestern

Ida Aaron wird als Krankenschwester von dem Historiker Stephan Kolb erwähnt (vgl. Kolb 1987: 82). Im Stadtarchiv von Bad Nauheim konnte ihre Anwesenheit in Bad Nauheim nicht verifiziert werden (StABN 09.04.14).

Sara Beit wird als Krankenschwester ebenfalls von dem Historiker Stephan Kolb erwähnt (vgl. Kolb 1987: 82). Ihre Anwesenheit in Bad Nauheim konnte im Stadtarchiv nicht verifiziert werden (StABN 09.04.2014). Vermutlich handelt es sich um die spätere Sara Kallner, verheiratet mit Dr. Adolf Kallner, die zusammen die Villa Aspira, ein streng rituell geführtes Erholungsheim in Bad Soden, führten (Link) und deren Schwester Ida Beith, die Oberin der Bad Sodener Israelitischen Kuranstalt war.

Friedel (Frieda) Fröhlich, geb. Löwenstein, wurde am 6. Oktober 1907 in Fulda geboren. Sie zog am 3. April 1929 von Bad Dürrheim in das Schwesternhaus des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main, dort war sie als Krankenschwester eingetragen, also sehr wahrscheinlich ein Mitglied des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main. Am 22. Februar 1933 verzog sie nach Fulda (vgl. ISG 655). Sie heiratete am 14. Mai 1933 den Hilfsarbeiter Julius Fröhlich, und am 25. März 1935 wurde ihr Sohn Walter in Nieder Weisel, das heute zu Butzbach gehört, geboren. In die Hermann-Göring-Straße 103 zog sie am 25. Februar 1936 (vgl. StABN 25.08.2014) und übernahm dort die Leitung der Kinderheilstätte (vgl. Kingreen 1997). Nachdem die Kinderheilstätte im selben Jahr, nach Beendigung der Kursaison, auf grund fehlender finanzieller Mittel, geschlossen werden musste, übernahm Friedel Fröhlich die Oberinnenstelle in der am selben Ort neu gegründeten jüdischen Bezirksschule (Januar 1937). Auf dem Foto (oben) sehen wir Friedel Fröhlich als Oberin der Bezirksschule Bad Nauheim mit dem Lehrerkollegium im Jahr 1938. Im Mai 1939 musste die Schule geschlossen werden.


1940 zog Friedel Fröhlich mehrfach um. Ihre Wohnadressen waren die Hermann-Göring-Straße 65 und 103 (ehemaliges Frauenkurheim) und zusammen mit ihrer Familie die Karlstraße 28 (Villa Flörsheim) und die Hermann-Göring-Straße 58 (ehemaliges Männerkurheim). Ihr Mann konnte am 27. April 1940 ausreisen. Der geborene Butzbacher erreichte am 30. April in Genua das Schiff „S.S. Rex“ und landete am 9. Mai 1940 in New York (vgl. Ancestry). Sie selbst konnte mit ihrem Sohn am 24. Juli 1940 nach Frankfurt a. M. ziehen. Dort war sie unter der Adresse Danziger Platz 15 (Gumpertz‘sches Siechenhaus) gemeldet. Am 3. April 1941 zog in das Krankenhaus in der Gagernstraße 36, von wo sie am 3. Juni 1941 nach Alpena, USA, entkam (vgl. ISG 687).

Fotografie: Das Lehrerkollegium der Bezirksschule Bad Nauheim, mit Schwester Rosi Klibanksi (5.v.l.) und Schwester Oberin Friedel Fröhlich (6.v.l.).
Das Lehrerkollegium der Bezirksschule Bad Nauheim, mit Schwester Rosi Klibanksi (5.v.l.) und Schwester Oberin Friedel Fröhlich (6.v.l.)
© Sammlung Monica Kingreen

Auf dem selben Foto, neben Friedel Fröhlich, ist auch Rosi Klibansky (Klibanski) zu sehen. Sie wurde am 5. Dezember 1902 als Rosi Spier in Schwalbach, Kreis Wiesbaden, geboren. Am 4. September 1928 heiratete sie Joseph Klibansky. Aus der Ehe ging Sohn Wolfgang (geb. 4. Dezember 1934 in Frankfurt a. M.) hervor. Das Paar wurde jedoch am 3. August 1937 in Aschaffenburg geschieden. Am 8. April kam Frau Klibansky nach Bad Nauheim in die Frankfurter Str. 103, das Israelitische Kinderheim, welches zu dieser Zeit schon als jüdische Bezirksschule fungierte. Mutter und Sohn Klibansky konnten am 15. Januar 1939 nach New York entkommen (vgl. StABN 25.8.2014), beide schifften sich auf der „S.S. Hamburg“ am 26. Januar 1939 in Hamburg ein. In Hamburg lebt auch der Bruder von Frau Klibansky, Arthur Spier, den sie bei der Einreise in die USA als Kontaktperson angab. Ziel der Reise ist Rosi Klibanskys Onkel Herman Stern in Valley City, North Dakota. Mit 25 Dollar in der Tasche erreichen die beiden New York (vgl. Ellis Island). Herman Stern war bereits 1903 nach einer Lehre bei einem Kleidungshändler in Mainz ausgewandert. Er konnte bis 1941 ca. 120 Ausreisevisa für Familienmitglieder beschaffen (vgl. Stern).

Eine der Leiterinnen der Kinderheilstätte war Helene Koppel. Geboren wurde sie am 5. Januar 1883 in Altona als Tochter von Samuel Koppel, ihre Mutter war vermutlich eine geborene Leipheimer. Sie zog am 6. April 1921 in die Frankfurter Str. 67 und 1930 weiter in die Frankfurter Straße 103 (Kinderkurheim). Frau Koppel arbeitete in Bad Nauheim immer während der Kursaison (April bis Oktober). In den Jahren 1921 bis 1934 meldete sie sich außerhalb der Saison regelmäßig nach Altona ab (StABN 25.8.2014).

Es gibt einige Informationen über die Krankenschwester Henriette Jockelsohn (Jochilson) in Bad Nauheim, woraus jedoch nicht hervorgeht wo sie gearbeitet hat. Die wurde am 10. Februar 1880 in Mainz geboren und kam am 27. Juni 1922 nach Bad Nauheim, wo sie zuletzt in der Frankfurter Straße 58 (ehemaliges Männerkurheim) wohnte. Sie zog am 22. Juli 1941 als 61jährige nach Sayn bei Koblenz in die Heil- und Pflegeanstalt Bendorf (vgl. StABN 09.04.2014 und Kolb 1987: 82), wobei nicht geklärt ist, ob sie sich dort als Patientin oder als Pflegerin aufhielt. Henriette Jockelsohn war im Zug, der am 15. Juni 1942 über Köln und Düsseldorf in das Vernichtungslager Sobibor fuhr (vgl. Gedenkbuch).

Regina Lehmann wurde am 28. November 1881 in Würzburg geboren und zog am 15. April 1923 nach Bad Nauheim, wo sie in der Frankfurter Straße 63/65, dem Israelitischen Frauenkurheim, wohnte (vgl. StABN 09.04.2014). An anderer Stelle wird Rebekka Lehmann als Leiterin des Israelitischen Frauenheims im Jahr 1925 vermerkt (vgl. Alemannia Judaica). Sie ist vermutlich identisch mit der Oberin des Frauenkurheims Regina Lehmann, die 1930 zum 25-jährigen Bestehen des Heims angeführt wird: „die aufopferungsvolle Oberin, Frl. Regina Lehmann und die ihr zur Hand stehenden Schwestern und Helferinnen“ (vgl. Der Israelit 3. Juli 1930, zitiert nach Alemannia Judaica).
Nach der Schließung des Israelitischen Frauenkurheims 1937, wird als letzte Wohnadresse von Regina Lehmann in Bad Nauheim die Frankfurter Straße 49 genannt, von wo sie seit 21. Juni 1937 als „auf Reisen“ geführt wird (vgl. Kolb 1987: 276). Frau Lehmanns letzter feststellbarer Wohnort war dann in Würzburg, von wo sie am 27. Juli 1939 nach München verzog (vgl. Ancestry). Ihre Spur findet sich im Gedenkbuch des Bundesarchivs, welches das Deportationsziel Izbica, Ghetto, ab Düsseldorf 22. April 1942, angibt, als letzter Wohnort wird dort „München Gladbach“ genannt. Es gibt allerdings auch eine Auskunft, die der Historiker Stephan Kolb vermerkte: Danach hat die Nichte von Frau Lehmann berichtet, dass Regina Lehmann nach Palästina emigrieren konnte und in Israel verstorben sei (vgl. Kolb 1987: 276).

Fotografie: Lina Wagner, geb. Sandenell / Möglicherweise war Frau Wagner Krankenschwester in Bad Nauheim.
Lina Wagner, geb. Sandenell / Möglicherweise war Frau Wagner Krankenschwester in Bad Nauheim.
© Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden

Lina Wagner, geb. Sandenell (Sandinell) wurde am 9. September 1876 in Großlangheim, Unterfranken, geboren. Sie heiratete am 7. Mai 1924 in Bad Nauheim den Buchdruckereibesitzer Friedrich Wilhelm Wagner, dessen zweite Ehefrau sie war. Sie zählte zu den Überlebenden von Theresienstadt (Sh’arit ha-pl’atah, zit.nach United States Holocaust Memorial Museum). In Bad Nauheim wohnte sie am 26. Juni 1945 in der Stresemannstraße 36 und ab dem 1. Februar 1951 in der Karlstraße 28, der Residenz der Jüdischen Gemeinde im Haus Flörsheim. Lina Wagner starb am 6. Juli 1958 in Gießen. Stephan Kolb erwähnt ihren Beruf als Krankenschwester (vgl. Kolb 1987: 82).
In ihrer Wiedergutmachungsakte erwähnt Lina Wagner niemals ihre Tätigkeit als Krankenschwester. Ein möglicher Hinweis auf diesen Beruf könnte jedoch die Trauzeugenschaft bei Frau Wagners Hochzeit sein, die die Oberin Regine Lehmann übernommen hatte (vgl. HHStA).

Fotografie: Ottilie Winter, o.J. (um 1940)
Ottilie Winter / Ottilie Winter, o.J. (um 1940)
Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem (Gedenkblatt)

Ottilie Winter wurde am 28. Dezember 1886 in Kempen/Rheinland geboren. Die Eltern waren Simon und Helene (Hannah) Winter (Yad Vashem, Gedenkblatt). Sie absolvierte ihre Ausbildung zur Krankenschwester 1915 im Verein für jüdische Krankenschwestern zu Frankfurt am Main und war anschließend im Krankenhaus in Frankfurt in der Gagernstraße 36 tätig (vgl. Steppe 1997: 231). Mit Unterbrechungen arbeitete sie auch in Kolberg und Sontheim. Das Hausstandsbuch des Schwesternhauses in der Bornheimer Landstraße 85 vermerkt, dass Ottilie Winter am 26. Juni 1924 aus Kolberg kam, dann im Schwesternhaus wohnte und am 29. Oktober 1931 nach Sontheim ging (ISG 655: 30). Zu einem unbekannten Zeitpunkt zog sie in den Röderbergweg 93 (Rothschildsches Krankenhaus) von wo aus sie am 2. Mai 1935 in die Bornheimer Landwehr 85, das Schwesternhaus des jüdischen Krankepflegerinnenvereins zu Frankfurt am Main, umzog. Von dort ging sie am 20. Juni 1935 nach Bad Nauheim (vgl. ISG 655: 45). Hier lebte und arbeitete sie in der Hermann-Göring-Straße 103 als Oberin der Kinderheilstätte, sie war also die Vorgängerin von Frieda Fröhlich. Von Bad Nauheim ging sie am 16. Januar 1936 zurück nach Frankfurt am Main. Hier war sie vom 22. Januar 1936 bis zum 19. November 1940 wieder im Schwesternhaus des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen gemeldet. Dann musste sie wegen der erzwungenen Auflösung des Vereins ins Israelitische Krankenhaus in der Gagernstraße 36 umziehen (vgl. ISG 655: 47). Von dort wurde sie am 15. September 1942 nach Theresienstadt verschleppt (vgl. ISG 687: 397). Am 16. Oktober 1944 kam sie in das Vernichtungslager Auschwitz (vgl. Gedenkbuch).

Für viele Informationen danke ich der Stadtarchivarin von Bad Nauheim, Brigitte Faatz.

Edgar Bönisch, 2015

Unveröffentlicht

HHStA = Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Signatur: Abt. 518 Nr. 44541 ISG = Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main

Hausstandsbuch 655, Bornheimer Landwehr 85

Hausstandsbuch 687, Gagernstraße 36

StABN = Stadtarchiv Bad Nauheim

09.04.2014 Einwohnermeldekartei, Mitteilung der Stadtarchivarin in Bad Nauheim, Frau Brigitte

Faatz
25.08.2014 Einwohnermeldekartei, Mitteilung der Stadtarchivarin in Bad Nauheim, Frau Brigitte Faatz

 
 
Literatur

Kingreen, Monica 1997: Die jüdischen Kurheime in Bad Nauheim. Kinderheilstätte I. In: Frankfurter Rundschau, Lokalrundschau, Ausgabe: Wetteraukreis, 29.10.1997: 2

Kolb, Stephan 1987: Die Geschichte der Bad Nauheimer Juden. Bad Nauheim

Steppe, Hilde 1997: „… den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre…“.
Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Frankfurt am Main

 
Links

Alemannia Judaica [Alemannia Judaica Bad Nauheim/Synagoge]:
Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum: Bad Nauheim (Wetteraukreis) Jüdische Geschichte/Synagoge.
http://www.alemannia-judaica.de/bad_nauheim_synagoge.htm. (29.08.2014)

Ancestry: Eintrag: Julius Fröhlich, http://www.ancestry.de/ (03.09.2014)

Ancestry: Eintrag: Rosi Klibansky/Ellis Island, http://www.ancestry.de/ (03.09.2014)

Ancestry: Eintrag: Regina Lehmann, http://www.ancestry.de/ (29.8.2014)

Ellis Island: http://libertyellisfoundation.org/passenger-details/czoxMzoiOTAxMTk4MjI3MDczMSI7/czo5OiJwYXNzZW5nZXIiOw==#passengerListAnchor (12.03.15)

Gedenkbuch: Das Gedenkbuch des Bundesarchivs für die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung in Deutschland (1933-1945), http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/directory.html (29.8.2014)

Sh’arit ha-pl’atah [], zit.nach United States Holocaust Memorial Museum
http://www.ushmm.org/online/hsv/person_view.php?PersonId=3955222 (16.02.2015)

Stern, Hermann http://web.mnstate.edu/shoptaug/HermanStern.htm (03.09.2014)

Yad Vashem: Gedenkblatt Ottilie Winter
http://db.yadvashem.org/names/nameDetails.html?itemId=1455018&language=de
http://db.yadvashem.org/names/nameDetails.html?itemId=1936553&language=de
http://db.yadvashem.org/names/nameDetails.html?itemId=1164975&language=de (29.8.2014)

Bne Briss - jüdisches Kochbuch - Erster Weltkrieg

„Ausdauer, Energie und Opferbereitschaft“ – Frankfurter jüdische Krankenschwestern im Ersten Weltkrieg

Gleich zu Kriegsbeginn Anfang August 1914 hatte der Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main das gesamte 1. Stockwerk und die Hälfte der 2. Etage seines gerade bezogenen Neubaus in der Bornheimer Landwehr als Lazarett eingerichtet. „Die Flagge mit dem Roten Kreuz hing hoch über unserem Hause“ (zit. n. Rechenschaftsbericht JüdSchwesternvereinFfm 1920: 28). Schon bald trafen die ersten Verwundeten ein.

Fotografie: Schwesternhaus des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main, Frontansicht, Bornheimer Landwehr 85, Frankfurt a.M.
Schwesternhaus des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main, Frontansicht, Bornheimer Landwehr 85, Frankfurt am Main
Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main, Rechenschaftsbericht für die Jahre 1913 bis 1919. Frankfurt a.M. 1919, S. 16f.

Die bis zum Ersten Weltkrieg gegründeten jüdischen Schwesternhäuser und -stationen des Kaiserreichs – nach Frankfurt a.M. (1893) in Berlin, Beuthen, Breslau, Dortmund, Hamburg, Heidelberg, Köln, Mannheim, Metz, München, Nürnberg, Stuttgart, Wiesbaden, Worms und Würzburg (vgl. Steppe 1997: 112-115; siehe auch Bönisch 2009) – bildeten die Basis einer sich rasch organisierenden jüdischen Kriegskrankenpflege (vgl. ausführlicher Seemann 2014a). Sie waren Teil der Mehrheit innerhalb des Judentums, welche durch die gemeinsame Vaterlandsverteidigung die antisemitisch gezogenen Grenzen zu den nichtjüdischen Deutschen überwinden, endlich ‚dazugehören‘ wollte (vgl. Mosse 1971; Tobias/Schlichting 2014). Die wenigen jüdischen und nichtjüdischen Stimmen gegen den Krieg blieben ungehört, zumal sich auch die weibliche Bevölkerung größtenteils patriotisch zeigte. Hierbei kämpften die deutschen Jüdinnen nicht nur für die Anerkennung als weibliche, sondern auch als jüdische Staatsbürgerinnen (vgl. Steer 2014, siehe auch Eschelbacher 1919).

Die Frankfurter jüdische Krankenpflege im Ersten Weltkrieg
Ungeachtet der jeweiligen liberalen, orthodoxen und (minoritären) zionistischen Richtung war der Einsatz der jüdischen Deutschen auch in der Garnison Frankfurt am Main hoch. Rabbiner Dr. Nehemia Anton Nobel betreute als Feldgeistlicher und Seelsorger die jüdischen Soldaten (vgl. Heuberger/Krohn 1988: 129-133; siehe auch Drews-Lehmann 2003). Auf dem Jüdischen Friedhof Rat-Beil-Straße liegen die Grabstätten von 467 jüdischen Gefallenen.
Unter den insgesamt 91 Lazaretten der Frankfurter Heeressanitätsverwaltung – daneben gab es noch etwa 200 Privatlazarette wie das Lazarett der Israelitischen Frauenkrankenkasse (vgl. Hoffmann u.a. (Bearb.) 1976: 428) – befanden sich drei wichtige Institutionen der jüdischen Krankenpflege: außer dem Schwesternhaus des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen (Lazarett 27), das als Lazarett 26 geführte Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde (im Folgenden bezeichnet als: Jüdisches Krankenhaus Gagernstraße) und das Gumpertz’sche Siechenhaus (Lazarett 33) im Röderbergweg. Gleich zu Kriegsbeginn koordinierte der Vorstand von Schwesternverein und Krankenhaus die Freistellung ausgebildeter Pflegekräfte (in dieser Zeit unterstanden sie dem Sanitätsdienst der Heeresverwaltung), die Fortführung des zivilen Krankenhausbetriebs sowie die Organisation und Schulung freiwilliger Helferinnen und Helfer. Seit August 1914 verfügten kaiserliche Erlasse die Verkürzung der Pflegeausbildung auf sechs Monate sowie eine der Kriegsdauer entsprechende befristete staatliche Anerkennung; Lernschwestern konnten eine vorzeitige Notprüfung ablegen. Der Aufgabenbereich jüdischer Kriegskrankenschwestern unterschied sich nicht von dem ihrer nichtjüdischen Kolleginnen: „Generell arbeiteten sie in den OP-Sälen, in der Pflege Verwundeter und Kranker. Sie richteten Lazarette ein und lösten sie auch wieder auf. Sie wurden beauftragt, Kriegsgefangene in Russland zu betreuen. Sie begleiteten Lazarettzüge, arbeiteten auf Lazarettschiffen, an Bahnhöfen, kochten und putzten, wuschen, bauten Gemüse und Kartoffeln an. Zudem kümmerten sie sich um den Nachschub an Verbandsmaterial, d.h. sie organisierten den gesamten Wirtschaftsbetrieb eines Lazarettes“ (Panke-Kochinke/Schaidhammer-Placke 2002: 16). Neben akuter Ansteckungsgefahr z.B. in Seuchenlazaretten waren ständige Verfügbarkeit und abrupte Wechsel von Stoßzeiten und Leerlauf zu bewältigen. Wenig erforscht wurden bislang Traumatisierungen von Kriegskrankenschwestern (vgl. für die englischen Pflegekräfte Hallett 2009).
Nach einer Meldung des Frankfurter Israelitischen Familienblatts vom 21. August 1914 stellte die Frankfurter jüdische Gemeinde dem Roten Kreuz mit 150 Betten sofort drei Viertel der Räumlichkeiten ihres erst kürzlich eröffneten Klinikneubaus in der Gagernstraße zur Verfügung. Den dortigen Pflegealltag schildert der Krankenhausvorstand im Rechenschaftsbericht: „Im Laufe des Krieges entwickelte sich das Verhältnis so, dass fast sämtliche schweren chirurgischen Fälle aus der großen Gruppe Reserve-Lazarett III unserem Krankenhause zur Operation und Pflege überwiesen wurden; ebenso wurden von dort die ansteckenden Krankheiten, wie Typhus, Paratyphus, Scharlach, Ruhr, Diphtherie und die am Anfang des Krieges noch häufigen Fälle von Wundstarrkrampf der Infektions-Abteilung unseres Krankenhauses überwiesen. Die medizinische Abteilung war mit schweren Tuberkulosen, Lungenentzündungen, den so häufigen Nierenentzündungen der Kriegsteilnehmer, Nervenstörungen und anderen schweren Erkrankungen besetzt. Zeitweilig bestand noch eine Station für Kehlkopf- und Ohrenkranke. Von Frühjahr 1918 an war die Tätigkeit durch das Auftreten der Grippe erschwert, die nicht nur unter den Soldaten, sondern auch unter den Schwestern Erkrankungen veranlasste. Zeitweilig musste nahezu die Hälfte der Schwesternschaft wegen eigener Erkrankung an Grippe gepflegt werden […]“ (zit. n. Rechenschaftsbericht JüdSchwesternvereinFfm 1920: 35). Zu den Anforderungen gehörte, dass die Pflegekräfte die Schwerverwundeten bei den oft nächtlichen Fliegerangriffen in sichere Räumlichkeiten transportieren mussten.
Auch das auf Bedürftige mit chronischen Leiden spezialisierte Gumpertz´sche Siechenhaus leistete unter der Leitung von Stabsarzt Dr. Jacob Meyer, Dr. Gustav Löffler und Oberin Rahel Spiero Außerordentliches: „Es war als Schwerkranken-Station für Offiziere und Mannschaften bestimmt und hatte 32, zeitweilig 40 Betten. Es war von der Mobilmachung bis zum 12. Dezember 1918 belegt, verpflegte 671 Soldaten, darunter 434 Verwundete. Außerdem wurden dort 154 Militärpersonen ambulant behandelt“ (zit. n. ebd.: 36; vgl. auch Rechenschaftsbericht GumpSiechenhaus 1916).

Das ‚Vereinslazarett 27 Verein für jüdische Krankenpflegerinnen‘
Höchste Anerkennung zollten Patienten und Militärbehörden auch dem Lazarett des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins. Das am 16. August 1914 als funktionsfähig gemeldete Lazarett wurde von der Frankfurter Lazarett-Kommission unter Führung von Oberbürgermeister Georg Voigt besichtigt, übernommen und dem Reservelazarett III als Teillazarett zugeteilt. Betreut wurden vor allem Schwerverwundete und Soldaten mit inneren Krankheiten – selbstverständlich ohne Beachtung ihrer Herkunft, für die rituelle Versorgung und Ernährung jüdischer Soldaten war zugleich gesorgt. Im Hause gingen „Geistliche aller Konfessionen […] ein und aus“; „Gelegenheit zu kleinen Feiern boten alljährlich Kaisers Geburtstag, Weihnachten und Chanuka. An diesen Feiern nahmen alle gemeinsam teil, Soldaten, Personal, Schwestern und Verwaltung“ (zit. n. Rechenschaftsbericht JüdSchwesternvereinFfm 1920: 31, 32). Das Schwesternhaus-Lazarett unterstand Dr. Adolf Deutsch, dem bisherigen Leiter der Poliklinik des Jüdischen Krankenhauses Gagernstraße. Im ersten Kriegsjahr assistierte ihm seine Kollegin Dr. Käthe Neumark, vor ihrem Medizinstudium Krankenschwester und Mitglied des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins. Oberin Minna Hirsch organisierte den Pflege- und Wirtschaftsdienst des Lazaretts, führte Narkosen und Röntgenaufnahmen durch und koordinierte den Freiwilligen-Einsatz. In dem eigens für die verwundeten Soldaten eingerichteten Operationsraum des Schwesternhauses taten u.a. Beate Berger, Erna Heimberg, Josephine „Irma“ Hirsch und Else Unger Dienst.
Der erste Verwundetentransport traf am 2. September 1914 ein: „Bleich, erschöpft, verschmutzt, viele vom Schmerz gequält oder vom Fieber geschüttelt, alle aber so müde! – so werden des Krieges Opfer ins Haus getragen, wo alle Hände bereit sind, sie zu empfangen und zu versorgen“ (ebd.: 29) – und dies mit großem medizinischen und pflegerischen Erfolg: „[…] Verpflegt wurden im ganzen 850 Soldaten, darunter 26 Offiziere. Unter den Verpflegten waren 116 Juden. Entlassen wurden als geheilt 677 Mann; dienstfähig: 324 Mann; arbeitsverwendungsfähig: 134 Mann; verlegt als fast geheilt: 219; in anderweitige Behandlung überführt: 113 Mann, entlassen als dienstunfähig: 50 Mann; gestorben: 10 Mann. Laut Operationsbuch wurden 216 Operationen ausgeführt. Röntgenaufnahmen und Durchleuchtungen wurden in 530 Fällen vorgenommen. Der Nachbehandlung wurde große Aufmerksamkeit zugewandt. Hitzebehandlung verschiedener Art, Lichtbehandlung, Gymnastik und Massage wurden reichlich angewandt“ (ebd.: 30). Im Rahmen der Rehabilitationsmaßnahmen leitete Schwester Margarethe Hartog ‚Handfertigungskurse‘: Genesende Soldaten halfen im großen Garten des Schwesternhauses beim Gemüseanbau, der Errichtung eines Gewächshauses, der Geflügelzucht und der Ziegenhaltung; dazu bot das Schwesternhaus kulturelle und pädagogische Angebote. Von August bis Oktober 1916 beteiligte sich der jüdische Schwesternverein zudem an der großen Kriegsausstellung im Frankfurter Holzhausenpark. Dort präsentierte er u.a. medizintechnische Geräte zur Behandlung und Unterstützung Schwerverwundeter, etwa „Hilfsapparate für Zugverbände zur Behandlung von Knochenbrüchen und Knochenschüssen“ oder „aus Gipsverbänden und Metallstreifen hergestellte unterbrochene Schienenverbände zur Behandlung vereiterter Gelenkschüsse“ und „abnehmbare Gehschienen für Knochenverletzte und für Amputierte“ (ebd.: 35).
Am 8. Dezember 1918 verließen die letzten gesund gepflegten Soldaten das Lazarett des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins.

„Im Operationssaal konnte man beim Verbinden die interessantesten Völkerstudien machen“: weitere Pflegestätten Frankfurter jüdischer Krankenschwestern im Krieg
Mitglieder des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins taten auch in nichtjüdischen Lazaretten der Stadt Dienst, etwa im ‚Kyffhäuser‘ und im ‚Krankenhaus Ost‘, wo Schwester Bertha Schönfeld und ihre beiden (namentlich unbekannten) Kolleginnen die einzigen Jüdinnen waren. Andere Schwestern leiteten als Oberinnen die Verwundetenpflege in zu Lazaretten umgerüsteten jüdischen Institutionen außerhalb Frankfurts, so Emma Pinkoffs im Israelitischen Krankenhaus Hannover und Sophie Meyer im Israelitischen Altersheim zu Aachen. Für das Israelitische Krankenhaus Straßburg hatte der Frankfurter jüdische Schwesternverein bereits 1911 den dortigen Pflegedienst übernommen, geleitet von Oberin Julie Glaser. Dessen Patientinnen und Patienten verließen zu Kriegsbeginn die Klinik aus Furcht vor der Besetzung durch französische Truppen. Julie Glaser wechselte als Lazarett-Oberin in das Festungslazarett XXII B, einem ehemaligen Lyzeum, und organisierte zusammen mit den Frankfurter jüdischen Schwestern Blondine Brück, Jenny Cahn, Gertrud Glaser, Ricka Levy, Bella Peritz und Rahel (Recha) Wieseneck die Kriegskrankenpflege: „Dieses Lazarett in Straßburg wird bald“ – so die Pflegehistorikerin Hilde Steppe (1997b: 217) – „zum hauptsächlichen Gefangenenlazarett für Verwundete aus Frankreich, Russland, Italien, Rumänien, England und Amerika und besteht bis November 1918.“ In ihrem Bericht notierte Oberin Julie Glaser: „Im Operationssaal konnte man beim Verbinden die interessantesten Völkerstudien machen […]“ (zit. n. Rechenschaftsbericht JüdSchwesternvereinFfm 1920: 39). Nach der deutschen Niederlage kehrten die Krankenschwestern nach Frankfurt zurück.
Von den Pflegenden in der Etappe – dabei handelte es sich um das Gebiet hinter der Front, wo sich neben den Lazaretteinheiten u.a. auch Verwaltungs-, Versorgungs- und Instandsetzungseinheiten befanden -, die der Frankfurter jüdische Schwesternverein dem Roten Kreuz zur Verfügung stellte, sind namentlich bekannt: Frieda Amram (Oberin des Frankfurter Kinderhauses ‚Weibliche Fürsorge‘), Clara Bender (Narkoseschwester und Innere Station), Emmy Grünebaum (Innere Station), Hilde Rewalt (zuständig für die Pflege der Zivilbevölkerung), Martha Miriam Sachs (Laboratorium) und Rosa Spiero (Operations- und Narkoseschwester); erwähnt sind zudem (ohne Familiennamen) ‚Wäscheschwester‘ Ella und die auf der Zahnstation tätige Schwester Susanne (vgl. ebd. 40-49). Sie pflegten als Teil des Kriegslazarettrupps 125 an der Westfront (u.a. Deynze, Roulers, Emelghem, Iseghem) und der Ostfront (Bialystok, Grodno, Lida (Rußland), Plewna, Bukarest), in Belgien (Chimay, Montmigny) und in Frankreich (Monthermé, Pesches, Rochefort, Jemelle u.a.). „So haben sie den meisten blutigen Schauplätzen dieses unerhört schweren und langen Kampfes tätig nahe gestanden, Höhepunkte und Tiefen des Ringens mit erlebt, unter günstigen und schwierigen Umständen ihre Pflicht getan und nach allen Strapazen und Entbehrungen des Feldzugs zum Schluss den neuen Jammer und die neuen Gefahren des Rückzuges mit durchgemacht. Was sie in so langen Zeiten, auf so vielen Plätzen, unter so verschiedenartigen Ansprüchen geleistet und erduldet haben, verlangt ein reiches Maß von Ausdauer, Energie und Opferbereitschaft und umfasst eine Fülle segensreicher Arbeit“ (zit. n. ebd.: 41). An der Ostfront lernten die deutsch-jüdischen Schwestern Not und Elend der aus den Kampfgebieten evakuierten jüdischen Bevölkerung (vgl. Schuster 2004) kennen und versuchten nach Kräften zu helfen.

Dokument: Dokument zum Lazarettzug P.I (1915) des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main
Dokument zum Lazarettzug P.I (1915) des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main
© Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Sammlung Ortsgeschichte, S3/A, Sig. 6747

Eine anonyme Großspende ermöglichte 1915 den Einsatz Frankfurter jüdischer Krankenschwestern für die Deutsche Sanitätsmission für Bulgarien: Freiwillig meldeten sich Oberschwester Sara Adelsheimer (OP-Schwester), die erfahrene Frontschwester Beate Berger sowie Grete Seligmann und Lina Spier. Dort taten sie von Januar 1916 bis Oktober 1918 Dienst und organisierten zunächst den Krankenhausbetrieb in Jamboli. Danach pflegten sie im Alexander-Spital zu Sofia, einem Großkrankenhaus mit 1000 Betten und einer internationalen Patientenschaft.

Deckblatt: Kriegskochbuch für die rituelle Küche. Bne Briss - Kriegskochbuch
Bne Briss – Kriegskochbuch / Deckblatt: Kriegskochbuch für die rituelle Küche. Unter Benutzung des Kochbuchs der Lebensmittel-Kommission der Stadt Frankfurt am Main

Der Frankfurter Lazarettzug P.I und der Vereinslazarettzug M.3 der Bne Briss-Logen
Gleich zu Kriegsbeginn organisierten und finanzierten die deutschen Logen der sozial engagierten jüdischen Vereinigung Bne Briss (heute: B’nai B’rith; dt.: ‚Söhne des Bundes‘) einen eigenen Lazarettzug; er erhielt die offizielle Bezeichnung ‚Vereinslazarettzug M.3‘ und war im Februar 1915 fertiggestellt. Hieran beteiligten sich auch die Frankfurt-Loge (vgl. Gut 1928), „seit dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts die bedeutendste jüdische Loge im deutschen Reich“ (Drews-Lehmann 2003: 49), und deren Frauenvereinigung; für den Frankfurter jüdischen Schwesternverein richteten sie sogar ein eigenes mobiles Lazarett ein: sechs neue Wagen mit kompletter Inneneinrichtung für den vom Frankfurter Roten Kreuz betriebenen ‚Frankfurter Lazarettzug P.I‘, die ab 1. März 1915 zum Einsatz kamen (vgl. Rechenschaftsbericht JüdSchwesternvereinFfm 1920: 54-56). Zudem bestand im Logenhaus in der Eschersheimer Landstraße ein Privatlazarett, wo unter der Regie der Logenschwestern (Frauenvereinigung der Loge) verwundete Soldaten betreut wurden. Die beiden Bne-Briss-Lazarettzüge standen der Allgemeinheit zur Verfügung und erhielten staatliche Zuschüsse, für Verpflegung und Versicherung des Zugpersonals sowie die Instandsetzung der Inneneinrichtung kamen die Logen selbst auf.


Für den Frankfurter Lazarettzug P.I waren ein Arzt und zwei Schwestern freigestellt: Dr. Adolf Deutsch und Schwester Ida Holz, zeitweise Emmy Grünebaum, Grete Seligmann, Else Unger sowie der Ersthelfer August Landsberg. Die Fahrt im Lazarettzug barg durchaus Gefahren, da trotz der Rot-Kreuz-Kennzeichnung auf den Wagendächern Fliegerangriffe drohten. Die ersten Reisen führten in die Kriegsgebiete Flandern und Frankreich. In vier Jahren und einem Monat wurden insgesamt 147 Transporte im Westen und im Osten bewältigt, 177.000 Kilometer zurückgelegt, fast 30.000 Menschen befördert. Ida Holz, eine Veteranin der jüdischen Kriegskrankenpflege, „blieb bis zur letzten Fahrt des Zuges am 31. Dezember 1918, also etwa drei Jahre […] in dessen Dienst. […]. Über die vorzügliche dienstliche und außerdienstliche Bewährung der Schwestern, besonders der Schwester Ida, hatten wir wiederholt Gelegenheit, die lobendsten Äußerungen von militärischen und ärztlichen Vorgesetzten (Major von der Marwitz, Sanitätsrat Dr. Werthmann) zu hören“ (zit. n. ebd.: 55).

Gedenktafel: Ehrentafel für die Schwesternschaft des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main, um 1918.
Ehrentafel für die Schwesternschaft des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main, um 1918 Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main
Rechenschaftsbericht für die Jahre 1913-1919. Frankfurt a.M. 1920, S. 164

Im Dezember 1918 war der Kriegspflegedienst auch für die Frankfurter jüdischen Krankenschwestern offiziell beendet. Sie hatten sich bewährt: „49 Schwestern erhielten im ganzen 78 Auszeichnungen, die meisten die Rote-Kreuz-Medaille III. Kl., einige auch II. Kl. und die Frankfurter Schwesternmedaille“ (zit. n. ebd.: 56). Die Verwaltung des Frankfurter Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen stiftete für das Schwesternhaus eine Ehrentafel mit der Inschrift: „Den Schwestern zum Gedenken treuer Pflichterfüllung in langen schweren Kriegsjahren“ (zit. n. Steppe 1997: 219).
Doch mussten sich insbesondere die Frontschwestern nach ihrer Rückkehr aus dem verlorenen Krieg in einen krisenhaften Alltag hineinfinden. Anders als ihre christlichen Kolleginnen waren sie zudem einem wiedererstarkenden Antisemitismus ausgesetzt – eine bittere Enttäuschung angesichts ihres entbehrungsreichen und aufopfernden Dienstes für Deutschland. Zugleich erlebten auch viele jüdische Krankenschwestern das Kriegsende „als tiefe Niederlage“, die Novemberrevolution 1918 „als fürchterliche Zeit“ (ebd.: 220). Hier zeigt sich einmal mehr ihre patriotische Einstellung. Andererseits hieß es im Rechenschaftsbericht des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins: „Ob uns Erfolge beschieden waren, inmitten einer Welt alter und neuer Vorurteile und Gehässigkeiten, wissen wir nicht“ (zit. n. Rechenschaftsbericht JüdSchwesternvereinFfm 1920: 57). Diese Aussage bezog sich gewiss auch auf die nachhaltige Wirkung der antisemitischen „Judenzählung“ des Kriegsministeriums im November 1916 auf die jüdischen Gemeinden (hierzu Rosenthal 2007). Nur anderthalb Jahrzehnte später waren alle jüdischen Bemühungen und Verdienste um Deutschland vergessen.

‚Veteraninnen‘ der Frankfurter jüdischen Kriegskrankenpflege in der NS-Zeit
Hinsichtlich der Aufarbeitung der deutsch-jüdischen Kriegskrankenpflege sind vorerst lediglich Hinweise auf die Lebenswege ehemaliger Frontschwestern unter dem Nationalsozialismus möglich (vgl. z.B. Ulmer 2009; Seemann/Bönisch 2013); in der Regel gehörten die Pflegenden den Alterskohorten zwischen 1860 und 1895 an. Minna Hirsch, die erste Oberin des Frankfurter jüdischen Krankenhauses und Schwesternvereins, musste die NS-Zeit noch miterleben. Doch entging sie durch ihren Tod am 27. April 1938 mit 77 Jahren Vertreibung und Emigration, den Novemberpogromen 1938, den Deportationen und der Schoah, die so viele ihrer Kolleginnen und Kollegen trafen. Recht gut dokumentiert ist die Lebensgeschichte der bislang einzigen namentlich bekannten Zionistin im Frankfurter jüdischen Schwesternverein, der Operationsschwester Beate Berger: Die spätere Leiterin des Berliner jüdischen Kinderheims Beit Ahawah rettete viele ihrer Schützlinge aus NS-Deutschland in das damalige Palästina. Auch Minna Hirschs Nachfolgerin als Oberin der Frankfurter jüdischen Schwesternvereins, Sara Adelsheimer, wie Beate Berger während des Ersten Weltkriegs in Bulgarien, erreichte Eretz Israel und starb in den 1960er Jahren in Tel Aviv. Nach Amerika flüchtete Frontschwester Irma Vorenberg aus Reinheim bei Darmstadt (ob sie Mitglied des Frankfurter jüdischen Schwesternhauses war, ist bislang unbekannt), welche sich noch im Sommer 1935 „unter den wenigen jüdischen Frauen“ befand, „die das Kriegsehrenkreuz erhielten“; sie war „die Gattin des Herrn Bernh.[ard] Vorenberg, welcher als Frontkämpfer ebenfalls dasselbe besitzt“ (zit. n. Der Israelit 76 (13.06.1935) 24, S. 11). Was geschah, wenn die Emigration scheiterte, zeigt das tragische Beispiel der Käthe Mariam. Dass sie, obwohl verheiratet und Mutter eines kleinen Sohnes, sich gleich zu Kriegsbeginn gemeinsam mit anderen ehemaligen Frankfurter jüdischen Kolleginnen zum Dienst bei Krankenhaus und Schwesternverein gemeldet hatte, spielte in der NS-Zeit keine Rolle mehr. Flugangst hinderte sie in letzter Minute an der Flucht, sie geriet in die Fänge ihrer Verfolger, die sie nach Litauen deportierten und am 25. November 1941 im Lager Fort IX in Kowno (Kaunas) ermordeten. Im Exil warteten vergeblich Ehemann, Sohn und Tochter.

Dr. Käthe Neumark: Krankenschwester, Kinderärztin, Sanitätsoffizierin, Emigrantin
Die vertriebenen deutsch-jüdischen Krankenschwestern und -pfleger waren dem organisierten NS-Massenmord entkommen, aber im Aufnahmeland häufig völlig auf sich allein gestellt. Sie mussten sich unter großen Anstrengungen eine neue Existenz aufbauen. Viele Lebenswege liegen noch im Dunkeln. Während die meisten Pflegenden nach England und Amerika flüchteten, verschlug es Dr. Käthe Neumark in die Niederlande. Die ungewöhnliche berufliche Biographie der Krankenschwester und Kinderärztin – sie war eine der ersten Frankfurter Schulärztinnen und gehört zu den ersten weiblichen Sanitätsoffizieren Deutschlands – soll hier abschließend kurz vorgestellt werden.
1871 im ostfriesischen Emden als Tochter eines Kaufmanns geboren, pflegte Käthe Neumark ihre Eltern bis zu deren Tod. Sie zog nach Frankfurt am Main und erlernte dort seit August 1897 den Beruf der Krankenschwester, danach ging sie in die Privatpflege. Im Februar 1902 verließ sie den Frankfurter jüdischen Schwesternverein mit dem Ziel, ihre unterbrochene Schulausbildung fortzusetzen und Medizin zu studieren. 1910 promovierte sie an der Universität München über Diabetes insipidus (umgangssprachlich: ‚Wasserharnruhr‘). Seit 1912 praktizierte sie in Frankfurt – mit kriegsbedingten Unterbrechungen – als Kinderärztin.
Dem Frankfurter jüdischen Schwesternverein fühlte sich Käthe Neumark weiterhin verbunden. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs stellte sie sich dem Schwesternhaus-Lazarett als Ärztin zur Verfügung – in dieser Funktion die einzige Frau: „Für Aushilfe und Vertretung des leitenden Arztes [Dr. Adolf Deutsch, d.V.] sowie für Assistenz bei Operationen sind wir zu großem Dank verpflichtet: Fräulein Dr. Käte [sic!] Neumark, den Herren Sanitätsrat Dr. Rudolf Oehler, Dr. Otto Victor Müller, Dr. M. Witebsky, Dr. Arthur Marum, Dr. Max Jüngster, Dr. Fritz Ansbacher“ (zit. n. Rechenschaftsbericht JüdSchwesternvereinFfm 1920: 33). Den Status eines Sanitätsoffiziers erhielt Käthe Neumark aber nicht in Frankfurt, sondern während ihres nachfolgenden Lazarettdienstes in Halle a.d. Saale (vgl. Bleker/Schleiermacher 2000: 78; Koch 2008: 24, Anm. 58; Dokumentation Ärztinnen 2013). Danach kehrte sie wieder nach Frankfurt zurück. Ihre erfolgreiche Tätigkeit als Kinderärztin und städtische Schulärztin im Nebenamt endete mit der NS-Machtübernahme. Nach dem antisemitischen Entzug der Kassenzulassung emigrierte sie in die Niederlande.

Zeitungsinserat: Anzeige der Kinderpension Dr. Käthe Neumark (Zandvoort, Niederlande).
Anzeige der Kinderpension Dr. Käthe Neumark (Zandvoort, Niederlande)
Nachweis: Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt 11 (1933) 12, August, S. 340

Im Nordseebad Zandvoort unweit von Amsterdam eröffnete Dr. Käthe Neumark Anfang September 1933 eine Kinderpension (vorher: Kinderheim Hiegentlich). Das jüdisch geführte Haus stand unter der religiösen Aufsicht des Oberrabbiners von Nordholland, Abraham ben Samson ha-Kohen Onderwijzer.

Nach einer Zwischenstation in der Oosterparkstraat – dort verbrachten 1934 nach bisherigem Kenntnisstand auch Anne Frank und ihre Schwester Margot einige Sommerwochen – leitete Dr. Käthe Neumark die Kinderpension in der Brederodestraat 35.

Von der Kinderpension waren es nur wenige Gehminuten zum nahen Nordseestrand. Die idyllische Lage des niederländischen Badeorts Zandvoort soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um ein erzwungenes Exil handelte: Käthe Neumark war und blieb eine vertriebene Frankfurterin. Am 30. Mai 1939 wurde sie in Zandvoort „tot aufgefunden“ (zit. n. Seidler 2007: 263). Die nationalsozialistische Besetzung der Niederlande nur ein Jahr später und die Deportationen der jüdischen Bevölkerung blieben ihr erspart.

Fotografie: Dr. Käthe Neumark, Exilort Zandvoort/Niederlande, Kinderpension, Brederodestraat 35, Juni 2014.
Dr. Käthe Neumark, Exilort Zandvoort/Niederlande, Kinderpension, Brederodestraat 35, Juni 2014
© 02.06.2014 by Dr. Birgit Seemann
Fotografie: Dr. Käthe Neumark, Exilort Zandvoort/Niederlande, Blick auf die Nordsee, Juni 2014.
Dr. Käthe Neumark, Exilort Zandvoort/Niederlande, Blick auf die Nordsee, Juni 2014
© 02.06.2014 by Dr. Birgit Seemann

Die Autorin dankt Michael Berger (Bund jüdischer Soldaten (RjF) e.V.), Dr. Gabriela Betz (Historisches Museum Frankfurt a.M.), Franziska Schumacher, (Historisches Archiv Halberstadt) und Jim G. Tobias (Nürnberger Institut für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts e.V.) für weiterführende Informationen.

Birgit Seemann, 2014, aktualisiert 2016

Unveröffentlichte Quellen


HMF: Historisches Museum Frankfurt am Main (Vgl. Hoffmann u.a. (Bearb.) 1976: Inventarkatalog, S. 179-559)

ISG Ffm: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main: Sammlung Ortsgeschichte, S 3/A, Sig. 6747: Der Frankfurter Lazarettzug P.I (1915)

Drews-Lehmann, Maren 2003: Geschichte der Frankfurter Juden im Ersten Weltkrieg. Universität Marburg, Magisterarbeit (ungedr. Ms.)

Seemann, Birgit 2014b: „Der Stadt, dem Vaterlande, der Menschheit zum Segen!“ Das neue Frankfurter jüdische Schwesternhaus und der Erste Weltkrieg. Unveröffentlichtes Vortragsmanuskript, Veranstaltung: Jüdische Pflege in Frankfurt: 100 Jahre Jüdisches Kranken- und Schwestern-Haus, Jüdisches Gemeindezentrum Frankfurt a.M.

Literatur


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Steppe, Hilde 1997: „… den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre …“. Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Frankfurt a.M.

Steppe, Hilde 1997a: Jüdische Krankenpflege im ersten Weltkrieg. In: ebd.: 128-131

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Stölzle, Astrid 2013: Kriegskrankenpflege im Ersten Weltkrieg. Das Pflegepersonal der freiwilligen Krankenpflege in den Etappen des Deutschen Kaiserreichs, Stuttgart

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Tobias, Jim G./ Schlichting, Nicola (Hg.) 2014: nurinst – Jahrbuch 2014. Beiträge zur deutschen und jüdischen Geschichte. Schwerpunktthema: Davidstern und Eisernes Kreuz – Juden im Ersten Weltkrieg. Im Auftrag des Nürnberger Instituts für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts hg. Nürnberg

Ulmer, Eva-Maria 2009: Krankenpflege als Beruf jüdischer Frauen und die Ausübung der beruflichen Krankenpflege im Exil, in: Feustel, Adriane u.a. (Hg.): Die Vertreibung des Sozialen. München: 152-163

Jüdische Pflegegeschichte in Bad Soden: Ida Beith und Jenny Jeidel, die Oberinnen der Israelitischen Kuranstalt

Die Arbeitsstätte: Zur Geschichte der Israelitischen Kuranstalt (1885–1938)

Buchseite: Frühe Publikation des Frankfurter und Bad Sodener Arztes Dr. Salomo Friedrich Stiebel über die Sodener Heilquellen, 1840
Frühe Publikation des Frankfurter und Bad Sodener Arztes Dr. Salomo Friedrich Stiebel über die Sodener Heilquellen, 1840
© Dr. S. F. Stiebel

Vor den Toren Frankfurts liegt im Taunus die Stadt Bad Soden, deren eindrucksvolle Kurgeschichte bis in die Anfänge des 18. Jahrhunderts zurückreicht. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Soden (seit 1922 ‚Bad‘) zum international bekannten Kurort mit vielen prominenten Gästen: neben der Aristokratie oder den Frankfurtern Ludwig Börne (politischer Publizist), Friedrich Stoltze (Mundart-Dichter) und Heinrich Hoffmann (Psychiatrie-Reformer, Autor des „Struwwelpeter“) etwa die Schriftsteller Theodor Fontane, Leo Tolstoi und Iwan Turgenjew, die Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy, Giacomo Meyerbeer und Richard Wagner (vgl. Ulrich/Vetter 2005: 160-180). Die Sodener Israelitische Kultusgemeinde (Rabbinatsbezirk Wiesbaden) war recht klein, so dass vor allem jüdische Frankfurterinnen und Frankfurter an der kurhistorischen Erfolgsgeschichte mitwirkten. 1840 erschien Dr. Salomo Friedrich Stiebels vielbeachtete Schrift Soden und seine Heilquellen, deren Erschließung er selbst förderte. Der Sodener jüdische Lungen- und Badearzt Dr. David Rothschild veröffentlichte 1903 seine Gedanken und Erfahrungen über Kuren in Bad Soden a.T.

Deckblatt: David Rothschild: Gedanken und Erfahrungen über Kuren in Bad Soden a. T., 1903
Publikation des Bad Sodener jüdischen Badearztes Dr. David Rothschild, Deckblatt, 1903 David Rothschild

Angesichts des auch im Hinblick auf jüdische Gäste expandierenden Sodener Kurbetriebs stellte sich für die orthodoxe Frankfurter Israelitische Religionsgesellschaft die Frage nach einer angemessenen rituellen Betreuung und Versorgung; zudem stieg in Frankfurt, auch durch den Zuzug osteuropäisch-jüdischer Pogromflüchtlinge, der Bedarf an einer Kurstätte für verarmte Glaubensgenossen. 1885 erweiterte der orthodoxe Zweig der Frankfurter Bankiersfamilie Rothschild, das Ehepaar Wilhelm Carl und Mathilde von Rothschild und seine Tochter Adelheid de Rothschild, sein umfangreiches Stiftungwerk in Richtung Soden: Geplant war eine Kuranstalt mit bis zu 37 Betten für brust- und lungenkranke, bedürftige „Israeliten beiderlei Geschlechts zu einem Kurgebrauch von vier bis sechs Wochen“ (Schiebler 1994). Sie sollte das orthodox-jüdische Pflegenetzwerk in Frankfurt mit dem Gumpertz’schen Siechenhaus und dem Rothschild’schen Hospital ergänzen, zu dem seit 1903 noch das Frankfurter Rothschild’sche Kinderhospital und die M.A. von Rothschild´sche Lungenheil-Anstalt („Rothschild’sches Sanatorium“) im badischen Nordrach zählten.
Die Sodener Kuranstalt für arme Israeliten startete am 1. Mai 1885 zunächst als koschere Speiseanstalt des ‚Vereins zur Verpflegung kurbedürftiger armer Israeliten in süddeutschen Bädern‘; der erste Standort ist nicht ganz geklärt. Bereits am 20. April verkündete Der Israelit, das Central-Organ für das orthodoxe Judenthum: „Ein hiesiger Wohltäter hat die Mittel herbeigeschafft, für arme Brustleidende, die in Soden ihre Heilung suchen, eine Speiseanstalt für die Dauer der Saison ins Leben zu rufen. Dass für strenges Kaschruth [jüdische Speisevorschriften, d.V.] Sorge getragen ist, dafür bürgt schon der Name des Mannes [vermutlich Michael Moses Mainz als Beauftragter der Familie Rothschild, d.V.], welcher die ganze Angelegenheit in die Hand genommen hat und ihr seine ganze Fürsorge widmet. […] Wer bedenkt, dass eine gute und nahrhafte Kost das erste Erfordernis einer erfolgreichen Kur ist, und wie gerade dies zu beschaffen den armen Kranken gewöhnlich am schwierigsten ist, wird die Bedeutung dieses wohltätigen Unternehmens […] zu würdigen wissen.“ (Israelit XXVI (20.04.1885) 31, Beilage, S. 511).
Die Realisierung ihres Stiftungsprojekts hatten Mathilde und Wilhelm von Rothschild einem bewährten Organisator, ihrem Finanzberater Michael Moses Mainz, anvertraut. Wie seine Auftraggeber stammte Mainz, von Beruf Kursmakler an der Frankfurter Börse, aus einer alteingesessenen Frankfurter jüdischen Familie. Der Sohn eines angesehenen Talmud-Gelehrten war tief religiös. In Erfüllung der Zedaka (soziale Gerechtigkeit durch materiellen Ausgleich) lag ihm die jüdische Armenpflege besonders am Herzen: „Unter M.M. Mainz‘ Leitung entstanden zahlreiche Rothschildsche Stiftungen für Hospitäler, Kinder- und Erholungsheime u.a. in Baden-Baden, Bad Nauheim, Diez und eben die Sodener Israelitische Kuranstalt“ (Ullrich/Vetter 2005: 116). In Bad Soden erwarb Moses Michael Mainz 1886 das ‚Haus Philosophenruh‘, Dachbergstraße 19 [heute Nr. 25] (vgl. ebd.: 40). Und noch im gleichen Jahr bekam das bis 1889 offiziell als koschere ‚Speiseanstalt‘ geführte Kurheim seine erste Oberin und Verwalterin.

Sie trug „stets Schwesterntracht“: Oberin Ida Beith (1855–1918)

Herkunft aus Norddeutschland
Oberin Ida Beith, „Jettche“ genannt, wurde am 8. August 1855 in Altona (heute Bezirk von Hamburg) geboren, im einst kulturell und ökonomisch bedeutenden „jüdischen Zentrum des Nordens“ (Alicke 2008: 92) mit einer aschkenasisch-deutschen und einer portugiesisch-sephardischen Gemeinde. Ida Beiths Großvater Gabriel Benjamin Hacohen hatte das Rabbinat für seine besondere religiöse Gelehrsamkeit den Titel eines ‚Morenu‘ (hebräisch: ‚unser Lehrer‘) verliehen. Ihre Mutter Henriette „Hendel“ (geb. Hacohen) und vermutlich auch ihr Vater R.[abbiner] (vgl. Vetter/Wagner 1987: 163) Abraham Mordechai Beith siedelten später ebenfalls in das südhessische Bad Soden über, ebenso ihre jüngere Schwester Sara Kallner, die das Sodener orthodox-jüdische Erholungsheim Villa Aspira leitete. Was Ida Beiths Ausbildung anging, war sie, da sich die professionelle deutsch-jüdische Krankenpflege erst seit 1893 institutionalisierte, möglicherweise nur angelernt worden: in einem jüdischen Wohlfahrtsverein oder Spital, möglicherweise sogar im Israelitischen Krankenhaus zu Hamburg (vgl. zur Hamburger jüdischen Pflegegeschichte Hackmann 2012).


Drei Jahrzehnte Oberin (Wilhelminisches Kaiserreich, Erster Weltkrieg)
In Erinnerung blieb Ida Beith als eine „zierliche, dunkelhaarige Frau“, die „stets Schwesterntracht trug“ (AK Frauen Bad Soden (Hg.) o.J.: 9). Den herausfordernden Posten der Oberin und Verwalterin einer expandierenden Kurklinik trat sie 1886 mit Anfang Dreißig an. In den nächsten drei Jahrzehnten bewältigte sie nicht nur ein wachsendes pflegerisches und organisatorisches Aufgabengebiet, sondern auch die Auswirkungen umfangreicher Bau- und Modernisierungsmaßnahmen auf den betrieblichen Ablauf. 1889 wurde dank der engagierten Förderung Mathilde von Rothschilds und der von Michael Moses Mainz mitbegründeten Frankfurt-Loge Bne Briss am Abhang des Dachbergs die eigentliche Kuranstalt mit anfangs 22 Betten eröffnet; die Klinikverwaltung erhielt ihren Sitz in der Talstraße 2: „Das durch die Großmuth der Freifrau Wilhelm von Rothschild erbaute Haus, Speisesaal und Küche enthaltend, mit schöner, luftiger Veranda, wurde seiner Bestimmung übergeben. 133 Patienten (gegen 98 im Vorjahre) fanden Pflege durch Herrn Dr. Heinrich Mayer. Wie dem angefügten Berichte des Arztes zu entnehmen ist, waren von den Patienten 75 Männer, 58 Frauen, der jüngste 10, der älteste 81 Jahre, Deutsche 126, Russen 6, Österreicher 1 […]“ (Israelit und Jeschurun XXXI (12.05.1890) 37, S. 672, http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaica/nav/index/all).


Betreut wurden Bedürftige, deren Lungenleiden sich noch im Anfangsstadium befanden und durch beengte Wohnverhältnisse weiter verschlimmerten; auch sollten die Abwehrkräfte wiederhergestellt und stabilisiert werden. Die Nachfrage überstieg bei weitem die Kapazitäten: „Das Haus selbst enthält nur Raum für elf weibliche Kranke, Männer werden in das Haus nicht aufgenommen; die übrigen vom Verein nach Soden Entsandten haben auf eigene Kosten für Wohnung zu sorgen, hingegen erhalten sämtliche Kranken Verpflegung, ärztliche Behandlung, Bäder und Arzneien kostenfrei in der Anstalt. In dem großen und prächtigen Speisesaale, der ungefähr 100 Personen fasst, versammeln sich die Pfleglinge zum gemeinschaftlichen Mittagsmahle […]. Allein, wenn es das Wetter irgendwie zulässt […] wird in der freien, jedoch vor Zugluft geschützten Veranda gespeist. Die Kost, natürlich streng rituell, ist eine vorzügliche und entspricht, wie auch alle Einrichtungen des Hauses, allen Anforderungen der Hygiene. Hinter dem Hause breitet sich ein prächtiger, Obst- und Zierbäume enthaltender Garten aus, der den Patienten zum Aufenthalt dient. […] Es ist ein Hochgefühl aus dem Berichte des leitenden Arztes, Herr Dr. Heinrich Mayer […] zu erfahren, dass von den 133 Patienten, welche den vorigen Sommer die Anstalt frequentierten, und von denen 80% lungenleidend waren, nur bei 10 ein geringer Erfolg der Kur zu verzeichnen ist“ (Israelit und Jeschurun“ XXXI (22.05.1890) 40, Belletristische Beilage, S. 741-743, hier 741, 742). 1894 stellte Mathilde von Rothschild weitere Mittel zur Verfügung, „um über unserem Speisesaal neue Wohnräume bauen zu lassen; dadurch wird es uns ermöglicht werden, einen großen Teil der Patienten, die bisher auf ihre eigene Rechnung in Privathäusern sich Wohnung miethen mussten, in Zukunft in der Anstalt selbst unterbringen zu können und dadurch auch unter besserer ärztlicher Controlle zu haben. […] Im verflossenen Sommer wurde unsere Anstalt von 170 Patienten besucht; noch nie haben wir auch nur annähernd eine solche Frequenz-Ziffer erreicht, und doch musste ein großer Teil der Bittgesuche wegen Mangel an Platz zurückgewiesen werden. Von diesen 170 Kranken waren 71 Männer, 88 Frauen, 4 Knaben und 7 Mädchen […]“ (Israelit XXXV (10.05.1894) 37, 2. Beilage, S. 687). Oberin Ida Beiths Pfleglinge litten vorwiegend unter Lungensucht, Emphysemen, Bronchialkatarrh, Konstitutionskrankheiten und Nervenleiden.


1895 war Ida Beith mit den Vorbereitungen zum 10jährigen Jubiläum der Israelitischen Kuranstalt befasst. „Mit 50 Patienten wurde vor 10 Jahren die Kuranstalt für arme Israeliten hier eröffnet, sie zeigt von Jahr zu Jahr eine je steigende Zunahme, bis im Jahre 1894 die stattliche Zahl 192 erreicht wurde. Der neue Etagenbau über dem Speisesaal wurde im Sommer fertiggestellt und bereits bei Eintritt der kälteren Jahreszeit von den brustkranken Wintergästen, die diesmal die Zahl 46 erreicht, in Gebrauch genommen. Den ganzen Neubau umgibt eine Veranda, die auch bei schlechter Witterung den Kranken den Aufenthalt im Freien gestattet […]. Der Vorstand der Berliner jüdischen Gemeinde, ferner die Berthold Auerbach-Loge, die deutsche Reichsloge und die Montefiore-Loge des U.O.B.B. unterstützen die Anstalt […]“ (Allgemeine Zeitung des Judentums 59 (07.06.1895) 23, Beilage ‚Der Gemeindebote‘, S. 3).
1898 stellte eine Feier die Oberin einmal selbst im Mittelpunkt. Sie fand anlässlich des 80. Geburtstags ihres Vaters Abraham statt, der zu dieser Zeit mit ihrer Mutter Hendel in Altona lebte: „Als am verflossenen Sonntagmorgen […] die frohe Kunde den Speisesaal der israelitischen Kuranstalt dahier durchlief, der Vater des allverehrten und hochgeschätzten Fräulein Beith […] begehe heute seinen achtzigsten Geburtstag, da musste es jeden Augenzeugen wirklich rühren, wie die Patienten der Anstalt wetteiferten, ihre warme und innige Teilnahme bezeugen zu können. Fräulein Beith war sichtlich überrascht, als man ihr beim Eintritt in den Saal allerseits die herzlichsten Glückwünsche darbrachte, indem dieselbe von einer öffentlichen Kundgebung aus Bescheidenheit absehen wollte. […] Ebenso gedachte ein Patient rühmend in seinem Trinkspruche der vielen Verdienste, die sich die geehrte Verwalterin durch ihr unermüdliches Ausüben in Wohltätigkeit erwirbt und betonte unter anderem, dass es uns zwar nicht vergönnt ist, Herrn Beith persönlich zu kennen, allein durch das edle und gerechte Schalten und Walten der Verwalterin dieses Hauses können wir uns deren Vater im Geiste vorstellen. […] Das Dienstpersonal sowie eine Gesellschaft von Damen und eine von Herren der Anstalt sandten Glückwunschtelegramme an die Familie Beith nach Altona ab“ (Israelit XXXIX (01.09.1898) 69, 3. Beilage, S. 1292-1293).
Aus der Frankfurter jüdischen Gemeinde kam weiterhin großzügige Unterstützung. Um 1900 errichtete die Witwe Sara Kulp zum Gedenken an ihren Mann Menko Marx Kulp eine Freibettstiftung. Der ein Jahr zuvor verstorbene Sussmann Una hinterließ der Israelitischen Kuranstalt 24.000 Mark für Freibettstiftungen. „Zum ewigen Gedächtnis an die Stifter haben wir Marmortafeln mit entsprechender Inschrift an geeigneter Stelle in unserem Anstaltsgebäude errichtet“ (Israelit 41 (17.05.1900) 40, 1. Beilage, S. 820). Zu den langjährigen Vorstandsmitgliedern der Kuranstalt gehörte neben Michael Moses Mainz (stellv. Vorsitzender) der Chefarzt der orthodox-jüdischen Frankfurter Kliniken Rothschild’sches Hospital und Rothschild’sches Kinderhospital, Dr. Elias Rosenbaum (Vorsitzender). Erster leitender Arzt der Israelitischen Kuranstalt war Dr. Heinrich Mayer. Im Jahre 1900 erhielt Ida Beith mit Dr. Max Isserlin einen neuen medizinischen Vorgesetzten, der den Posten des Chefarztes bis 1938 innehatte. Der angesehene Lungenarzt stammte (wie die Oberin des Frankfurter Gumpertz’schen Siechenhauses, Rahel Seckbach) aus Prostken (vgl. StA BS: Personenstammdatenblatt), einer Kleinstadt an der damaligen deutsch-russischen Grenze (andere Quellen nennen als Geburtsort Königsberg i.Pr., vgl. Genealogien Isserlin).
In den Folgejahren weitete sich das Aufgabengebiet der Oberin aus: „Waschanstalt, Desinfektionsgebäude, Badeanstalt und Absonderungsräume für TBC-Kranke entstanden zwischen 1902 und 1905. Bereits […] 1909 musste ein großer Anbau erstellt werden, in dem Einrichtungen der für die Tuberkulose-Behandlung wichtig gewordenen Röntgen-Diagnostik Platz fanden. Eine separate Milchküche, bessere Personal-Wohnräume und die Vergrößerung der Veranda […] entstanden ebenfalls […]“ (Ullrich/Vetter 2005: 117 [Hervorheb. im Orig.]). 1909 stellte die getreue Stifterin Mathilde von Rothschild Mittel bereit, um „den schon lange erforderlichen Neubau eines modern ausgestatteten und den Zwecken der Anstalt entsprechend eingerichteten Kurhauses zu errichten. […] Wie dem […] ärztlichen Bericht zu entnehmen ist, setzten sich die Patienten so ziemlich aus allen Teilen Deutschlands zusammen, doch waren auch einige Aufnahmen […] aus Belgien, Frankreich, Russland und der Schweiz zu verzeichnen“ […] (Allgemeine Zeitung des Judentums 74 (06.05.1910) 18, Beilage ‚Der Gemeindebote‘, S. 3). Von ihrem Selbstverständnis her war die Sodener Israelitische Kuranstalt „das einzige jüdische Sanatorium, welches Sommer wie Winter Männer und Frauen ihren religiösen Grundsätzen getreu verpflegt. […] Mit größter Opferfreudigkeit begründet, blickt die Sodener Anstalt heute auf eine überaus segensreiche Entwicklung zurück. […] Niemals hat es unserem Volke an offenen Händen und Herzen gefehlt, wenn es galt, eine der großen Mizwaus [= Mitzwot: Gebote, d.V.), wie Bikur Chaulim (= Bikkur Cholim: Krankenbesuch/ Krankenpflege, d.V.) es ist, zu erfüllen“ (Frankfurter Israelitisches Familienblatt 8 (09.09.1910) 35, S. 4). Und zum 25jährigen Jubiläum schrieb das Frankfurter Israelitische Familienblatt: „Wenn wir bei einem Ausflug in den lieblichen Taunus durch das alt-berühmte Bad Soden kommen – wir haben uns in seinem schönen Kurparke an den herrlichen Anlagen erfreut, haben in dem Quellenpark die verschiedenen Brunnen gekostet und sogar ‚Champagner‘ getrunken – […] da lenkt ein eigenartiger Gebäudekomplex unsere Aufmerksamkeit auf sich. Wir treten näher heran und lesen die Inschriften: ‚Unbefugten ist der Zutritt verboten‘, ‚Besuchszeit von 5-7 Uhr nachmittags‘ – […] ‚Die Kuranstalt für arme Israeliten.‘ […] Wir treten in einen weiten hellen Vorraum, der eine Flucht von Zimmern verbindet. Im Parterre finden wir das modern eingerichtete Sprechzimmer, Laboratorium und Dunkelkammer, das Wartezimmer und das Büro. Auf der anderen Seite des Ganges liegen die Küchenräume. Fleisch- und Milchküche natürlich getrennt, mit den neusten hygienischen Einrichtungen versehen. Von hier aus kommt man in den Speisesaal, einen freundlichen hellen Raum, der von 2 Seiten nur Glaswände hat und volles Licht empfängt. – Im Sommer braucht man nur die großen Fenster zu öffnen, und die Patienten speisen vollständig im Freien. Hieran schließt sich der Gesellschaftsraum. Spieltische laden hier zu allerhand Brettspielen ein, ein Flügel ermöglicht musikalische Unterhaltungen, und Zeitschriften und Bücher bieten jedem Zerstreuung. Ein Schrein mit Torarollen erzählt uns, dass die Patienten sich hier zum Gebet vereinigen können. Im zweiten Stock besuchen wir zuerst die Liegehalle, ein weiter, breiter Raum, in dem etwa 30 Patienten Liegekur machen können. […] Wir kommen die Treppen herunter und lesen folgende Inschrift: ‚Dieser Bau wurde errichtet zum Wohle leidender Israeliten durch Freifrau Wilhelm von Rothschild im Jahre 1909.‘ […] in den 25 Jahren sind zirka 5000 Patienten verpflegt worden. […] Eine Anzahl von Freibettstiftungen sind durch Tafeln am Eingang mit den Namen der edlen Spender verewigt“ (vgl. Anonym. 1910).
1912 erhielten insgesamt 273 Lungenkranke medizinische und pflegerische Betreuung (vgl. Schiebler 1994). Der Beginn des Ersten Weltkriegs im August 1914 hielt für Ida Beith weitere Anforderungen bereit, zumal Dr. Isserlin im Hause nicht zur Verfügung stand, sondern als Stabsarzt an der Westfront diente. 1915 wurde er „für seine Verdienste im Priesterwalde [nordöstlich von Pont-à-Mousson/ Moselbrück, d.V.] und bei anderen Gefechten“ mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet (Frankfurter Israelitisches Familienblatt v. 26.08.1915, http://www.alemannia-judaica.de/bad_soden_synagoge.htm).

Dokument: Sterbeurkunde von Ida Beith, der ersten Oberin der Israelitischen Kuranstalt zu Bad Soden
Sterbeurkunde von Ida Beith, der ersten Oberin der Israelitischen Kuranstalt zu Bad Soden
© Stadtarchiv Bad Soden

Im gleichen Jahr wurde Ida Beith 60 Jahre alt. Als Oberin unterstand ihr auch das in der Israelitischen Kuranstalt eingerichtete Lazarett für verwundete und erholungsbedürftige Soldaten. 1917 verstarb ihre Mutter Hendel, welche in der Kuranstalt gewohnt und nach Kräften geholfen hatte: „Sie unterstützte ihre Tochter bei der Pflege der meist schwer lungenkranken Patientinnen und Patienten, selbstverständlich unentgeltlich, wohl nur für kostenlose Unterkunft und Versorgung“ (AK Frauen Bad Soden (Hg.) o.J.: 9). Nur ein Jahr später, am 9. Oktober 1918, verstarb nach einem anstrengenden Berufsleben mit 63 Jahren auch Ida Beith. Ihre letzte Ruhestätte fand sie an der Seite ihrer Mutter auf dem Jüdischen Friedhof Bad Soden (vgl. Vetter/Wagner 1987: 185, 204).
Dank seiner epigraphischen Forschungsarbeit hat der Arbeitskreis für Bad Sodener Geschichte die Inschrift auf ihrem Grabstein zugänglich gemacht (zit. n. ebd.: 163):

Ihre Hand streckte sie aus dem Armen
und ihre Hände reichte sie dem Dürftigen,
die Pflegerin, JETTCHE BEITH
Tochter des d.i. Abraham Mordechai sel.A.
30 Jahre lang führte sie die Kranken-
Anstalt und mehr als 3000 (Patienten)
die in ihr Zuversicht suchten
werden in den Toren ihre Taten loben
und die sie gebar, glücklich preisen.“
Auch die Verdienste von Ida Beiths Mutter wurden posthum gewürdigt:
„Viele Töchter erwiesen sich tüchtig,
du aber ragtest über alle hinaus!
die fromme Greisin Hendel Beith
Tochter des Morenu
Gabriel Benjamin Hacohen,
Ehefrau des R. Abraham Mordechai sel.A. aus Altona,
alle ihre Lebenstage waren voller Mühsal;
doch alle Sorgen besiegte das Vertrauen;
es fiel die Krone unseres Hauptes mit ihrem Hinscheiden […].“

Anzeige: Orthodox-jüdisches Kurheim in Bad Soden, ganzseitige Anzeige in: Der Israelit 52 (1911) 38, 21.09.1911, S. 20
Orthodox-jüdisches Kurheim in Bad Soden, ganzseitige Anzeige in: Der Israelit 52 (1911) 38, 21.09.1911, S. 20

Sara Kallner (geb. Beith) und das jüdische Erholungsheim Villa Aspira in Bad Soden
Ihre letzten Lebensstunden hatte Oberin Ida Beith in der Villa Aspira verbracht, dem Sodener orthodox-jüdischen Kurheim, das ihre jüngere Schwester Sara Kallner und der Schwager Dr. Adolf Kallner leiteten. Das 1911 eröffnete „große Haus mit seinen Liegeterrassen und Balkonen, ganz im Grünen gelegen, war von Anfang an als Erholungsheim für strenggläubige Juden konzipiert worden“ (Ullrich/Vetter 2005: 115). Über seine Ausstattung informiert eine ganzseitige Werbeanzeige im Israelit (52 (1911) 38, 21.09.1911, S. 20, vgl. auch http://www.alemannia-judaica.de/bad_soden_synagoge.htm): „Individuelle Sanatoriums-Behandlung. Diätkuren, Kalt-Wasserkuren, medizinische Bäder, Liege-Kuren, Sonnenbäder. Mit allem Komfort in jedem Zimmer. Zentralheizung, elektrisches Licht, Wasserleitung, schallsichere Wände, Sanitas-Boden, Balkon. Freundliche Gesellschaftsräume“. Die ‚Erholungsheim Villa Aspira GmbH‘, gegründet von Sara Beith (später Kallner), Dr. Adolf Kallner und Ignatz Aron, stand unter der rituellen Aufsicht der Rabbiner Dr. Auerbach (Halberstadt/Sachsen-Anhalt), Dr. Kohn (Ansbach/Bayern) und Dr. Munk (Berlin). Auf weitere überregionale Verbindungen des Kurheims verweisen auch die Ortsangaben zu den drei beteiligten Ärzten Dr. Ascher (Nordrach/Baden), Dr. Frank (Altona, dem Geburtsort Ida Beiths und Sara Kallners) und Dr. med. Hirsch (Bad Nauheim/Hessen). Der aus Lettland stammende Leiter Adolf Kallner war kein Mediziner, sondern Philologe: 1902 hatte er an der Philosophischen Fakultät der Universität Gießen über den „Mischnah-Kommentar des berühmten jüdischen Arztes und Philosophen Maimonides zum Traktat Taanith I. II.“ promoviert (UB Gießen, Gießener Diss., Sign. 179; Kallner 1902). Dr. Kallner verstarb 1922 im Alter von 50 Jahren. Im Nachruf heißt es: „Er hatte ein gutes jüdisches Wissen und vertiefte es tagtäglich. Da die jüdische Gemeinde Sodens keinen Kultusbeamten hat, so fungierte er auch als Schliach Zibbur [‚Gesandter der Gemeinde‘, Vorbeter, d.V.]. Durch sein gütiges Wesen hatte er sich viele Freunde erworben“ (Frankfurter Israelitische Familienblatt 20 (19.01.1922) 3, S. 2). Wie die Schwägerin Ida Beith und seine Schwiegermutter Hendel liegt Adolf Kallner auf dem Sodener Friedhof begraben (vgl. Kromer 1991: 422). Seine Witwe Sara Kallner führte das Kurheim fort. Zudem war sie Vorsitzende des Bad Sodener Israelitischen Frauenvereins (1924: 15 Mitglieder), der sich u.a. um das rituelle Bestattungswesen kümmerte (vgl. Alemannia Judaica (Bad Soden: Jüdische Geschichte)). In der NS-Zeit versuchte sie den antisemitischen Angriffen auf ihr Lebenswerk so lange wie möglich zu widerstehen, doch vergebens: 1934 ‚übernahm‘ die NSDAP 1934 das Gebäude, die Deutsche Arbeitsfront richtete dort 1938 Büros und Schulungsräume ein (vgl. Ullrich/Vetter 2005: 215). 1937 heißt es im Wanderbericht des Lehrers und Kantors Saul Lilienthal über jüdische Stätten in Hessen: „Die frühere Besitzerin der Kuranstalt der Villa Aspira […] gewährt nach vorheriger Anmeldung Dauergästen und Durchwanderern auch heute noch Unterkunft und streng rituelle Verpflegung“ (Lilienthal 1937: 26). Sara Kallner verließ Nazideutschland und ging nach Eretz Israel, wohin auch ihre Tochter Eva Kallner, eine Zahnärztin, emigrierte (vgl. Kromer 1991: 239). Von dem Leben und Wirken der frommen jüdischen Familie Beith und ihrer Bedeutung für die Bad Sodener Kur- und Pflegegeschichte zeugen heute nur noch die Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof.

Oberin Jenny Jeidel (1885 – 1942 deportiert)

Herkunft aus Südhessen
1919 war für Ida Beith eine Nachfolgerin gefunden: Jenny Jeidel, „Jettchen“ genannt, geboren am 13. November 1885 in Pfungstadt (bei Darmstadt). Ihr Ausbildungsort ist unbekannt, doch erfüllte sie hinsichtlich Herkunft und Sozialisation alle Voraussetzungen einer jüdischen Krankenschwester, so entstammte sie einem soliden jüdischen Familienverband der unteren Mittelschicht. Ihr Vater Hirsch Jeidel und sein Bruder Joseph führten den Familienbetrieb Lazarus Jeidel (Jennys Großvater), welcher „mit Stoffen, Kleidern, Papier und Eisen“ handelte (Goethals u.a. 2007: 30). Jennys Onkel Joseph Jeidel (vgl. Abb. in ebd.), langjähriger Vorsitzender der Pfungstädter jüdischen Gemeinde, galt als „streng orthodox“ (ebd.). Ihr Vater Hirsch Jeidel verstarb bereits 1912, über die Mutter Mathilde geb. Meyer (1854–1927) ist wenig bekannt. Jennys Schwestern Agathe Blum (1882–1918) und Mina Rothschild (geb. 1894, 1942 deportiert) heirateten spät, Jenny blieb ledig und musste selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen.


Zwei Jahrzehnte Oberin (Weimarer Republik, NS-Zeit)
Auf welchen Wegen Jenny Jeidel, ob durch Kontakte oder eine Stellenannonce, nach Bad Soden gelangte, ist unbekannt. Als sie ihre Stelle am 6. Oktober 1919 (vgl. StA BS: Liste 1938) antrat, lag der Erste Weltkrieg mit seinen Verwüstungen bereits ein Jahr zurück, doch kämpfte die Israelitische Kuranstalt ebenso wie die anderen Pflege- und Sozialeinrichtungen mit finanziellen Problemen, in den Kurorten blieben die Gäste aus. Während der Inflationsjahre halfen wiederholt Mathilde von Rothschild und von Paris aus ihre Tochter Adelheid mit weiteren Zuwendungen. Aus Kostengründen versorgte die Kuranstalt inzwischen auch bessergestellte Patientinnen und Patienten. 1934 war sie „neuerdings weitgehend modernisiert und auch ärztlich noch ausgebaut worden. Privatpatienten, Versicherte und von jüdischen Organisationen betreute Patienten finden Aufnahme und ärztliche Betreuung zu mäßigen Sätzen. Die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte belegt die Anstalten seit vielen Jahren. Es ist uns bekannt, dass sie entsprechenden Anträgen von Kranken, die auf rituelle Verpflegung Wert legen, im allgemeinen Rechnung trägt“ (Israelit 75 (09.05.1934) 19, S. 8).

Gedenkstein: für die 1938 zerstörte Israelitische Kuranstalt zu Bad Soden, 2013
Gedenkstein für die 1938 zerstörte Israelitische Kuranstalt zu Bad Soden, 2013
© Dr. Birgit Seemann

Jenny Jeidels Dienstzeit reichte bis in die NS-Zeit, in der die jüdischen Institutionen einem staatlich organisierten und gezielt gesteigerten Antisemitismus ausgesetzt waren. Bis 1934 verliefen die jüdisch-nichtjüdischen Beziehungen in Bad Soden offenbar noch weitgehend problemlos: „Man begegnete den jüdischen Glaubensgewohnheiten mit einer Mischung von Scheu und Achtung“ (Kromer 1988: 15). Eine 1936 veranlasste Zwangsschließung der Israelitischen Kuranstalt wurde mangels anderweitiger Behandlungsmöglichkeiten für jüdische Kranke wieder aufgehoben; die erwogene Zusammenlegung mit der zweiten Rothschild’schen Kurklinik im badischen Nordrach veweigerten die dortigen Nationalsozialisten. 1937 notierte Saul Lilienthal in seinen Wanderbericht: „Ursprünglich eine Kuranstalt für arme Israeliten, muss sie sich seit der Inflation, die fast alle Stiftungen verschlang, selbst erhalten. In einem besonderen Gebäude sind Lungenkranke untergebracht, die sonst in Soden überhaupt keine Aufnahme finden. Die Anstalt wird streng rituell geführt, ist fast immer gut besetzt (mit 25 bis 30 Patienten) und zählt etwa 10 Angestellte (Leiter: Dr. Isserlin, Vertreter Dr. Vollmann und Dr. Heinemann). Im Winter wird in der Anstalt selbst, im Sommer in der Synagoge noch regelmäßig Gottesdienst gehalten, den entweder einer der Ärzte oder ein Patient leitet“ (Lilienthal 1937).


Von der Zerstörung der Israelitischen Kuranstalt während des Novemberpogroms 1938 existieren Fotografien (vgl. HHStAW \ 3008/1); mitten in der Nacht brannten die Nazitäter die Lungenklinik bis auf die Grundmauern nieder. Zuvor hatten die Brandstifter die Patientinnen und Patienten hinaus in die winterliche Kälte getrieben. Zeitzeugen berichteten: „Als ich am nächsten Tag in die Schule kam, waren alle Schüler in heller Aufregung und erzählten, dass die Häuser der jüdischen Mitbürger in der Nacht zerstört worden waren und dass die Israelitische Kuranstalt, die die Nazis abfällig ‚Wanzenbude‘ nannten, abgebrannt war. Man hatte die kranken alten Menschen aus den Betten gerissen und in Bademänteln und Pantoffeln auf die Straße getrieben. Viele Jahre später berichtete mir eine Augenzeugin, dass sie damals sah, wie man die alten Menschen durch die Unterführung im Höchster Bahnhof in Richtung Ostbahnhof trieb“ (zit. n. Sieberhagen/ Thilenius 2013). Auch das Personal, darunter Oberin Jenny Jeidel, musste die Kuranstalt für immer verlassen; es wurde mit den Patientinnen und Patienten nach Frankfurt in das Rothschild’sche Hospital verlegt. Der Chefarzt Dr. Max Isserlin flüchtete vor der Verhaftung und KZ-Einweisung, die nach dem Novemberpogrom 1938 den jüdischen Männern drohte, zusammen mit seiner Frau Regina nach England. 1940 ging die gesamte Liegenschaft in den Besitz der Stadt Bad Soden über. An die vernichtete Israelitische Kuranstalt erinnert seit 1982 ein Gedenkstein.

Um sich vor den Deportationen zu retten, flüchtete Jenny Jeidel aus Frankfurt und traf am 11. November 1941 in ihrer Geburtsstadt Pfungstadt ein, wo die NS-Behörden sie sogleich in das ‚Ghettohaus‘ Bornstraße 12 einquartierten (vgl. Goethals u.a. 2007: 163). Das Elternhaus Kirchstraße 54 (ebd.: 28, 162 (Abb.)) war bereits verloren. Am 18. März 1942 verfügte die Gestapo die ‚Abschiebung‘ von Jenny Jeidel, ihrer verwitweten Schwester Mina Rothschild und sieben Mitbewohner/innen (vgl. Kingreen 2007: 192), darunter vier Kinder, nach Darmstadt: In den frühen Morgenstunden mussten sie „unter Misshandlungen und Beschimpfungen vor dem Rathaus einen Lastwagen besteigen […]. Es gab noch einige wenige Pfungstädter, die sich verabschieden wollten, von den Begleitpersonen aber beschimpft und brutal zurückgestoßen wurden“ (Goethals u.a. 2007: 164). Nach einem Zwangsaufenthalt in der als Sammellager missbrauchten Darmstädter Liebigschule wurden die jüdischen Pfungstädter/innen am 25. März 1942 bei der ersten Massendeportation aus Darmstadt nach Polen verschleppt. Dort hatten die NS-Mörder in Piaski (Wojwodschaft Lublin) ein so genanntes Transitghetto errichtet, aus dem Deportationszüge in die Vernichtungslager Belzec und Sobibor fuhren. Oberin Jenny Jeidel und Mina Rothschild haben die Schoah mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht überlebt. An die beiden Schwestern erinnern seit 2011 zwei Pfungstädter ‚Stolpersteine‘.

Die Autorin dankt Frau Dr. Schalles (Stadtarchiv Bad Soden) und Herrn Nördinger (Kulturamtsleiter der Stadt Bad Soden) für wichtige Hinweise und die freundliche Aufnahme.

Birgit Seemann, 2014

Ungedruckte Quellen

Stadtarchiv Bad Soden (StA BS)
– Fremdenlisten
– Liste mit Angestellten der Israelitischen Kuranstalt (10.03.1938)
– Personenstammdatenblatt: damalige jüdische Einwohner/innen Bad Sodens (Zusammenstellung StA BS)
– Sterberegister 1917–1924

Universitätsbibliothek Gießen (UB Gießen):
– Gießener Dissertationen, Sign. 179 (Kallner, Adolf)

Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW)
– HHStAW \ 3008/1, Allgemeine Bildersammlung: Bad Soden: brennende Israelitische Kuranstalt; Bad Soden: Israelitische Kuranstalt nach dem Brand [Bilderserien 1938, fotogr. v. Lothar Schilling, Kopien im StA BS]

Literatur

AK Frauen Bad Soden (Hg.) o. J.: Arbeitskreis Frauen leben in Bad Soden (Hg.) o. J.: In 200 Jahre Frauenalltag in Bad Soden. In Zsarb. mit d. Magistrat. Bad Soden am Taunus.

Alicke, Klaus-Dieter 2008: Altona (Schleswig-Holstein). In: ders.: Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum. Bd. 1: Aach – Groß-Bieberau. Gütersloh, S. 92-96.

Anonym. 1910: Zum 25jährigen Jubiläum der Sodener Kuranstalt für arme Israeliten. In: Frankfurter Israelitisches Familienblatt 8 (30.09.1910) 38, Beilage ‚Jüdische Jugend‘, S. 5.

Goethals, Stephanie [u.a.] 2007: Abschied ohne Wiederkehr. Jüdisches Leben in Pfungstadt von 1933 bis 1945. Hg. v. Stadtarchiv Pfungstadt. Pfungstadt.

Gut, Elias 1928: Geschichte der Frankfurt-Loge 1888-1928. Frankfurt a.M.

Hackmann, Mathilde 2012: „Guter Ruf wegen der Betreuung seiner Patienten“. Die Entwicklung der jüdischen Pflege in Hamburg Pflegezeitschrift 65 (2012) 1, S. 40-42.

Isserlin, Issor Josua 1911: Nachruf. In: Israelit 52 (19.10.1911) 42, S. 9, online: Alemannia Judaica; Compact Memory.

Kallner, Adolf 1902: Mischnah-Commentar des Maimonides zum Traktat Taanith I. II. Im Urtext mit hebräischer Übersetzung des El-Fawwal mit Einl. u. Anm. zum ersten Male hg. Leipzig 1902 [Gießen Phil. Diss. v. 1902]

Kingreen, Monica 2007: Die Opfer des Holocaust aus Pfungstadt und Eschollbrücken. Biografische Skizzen. In: Goethals [u.a.] 2007, S. 191-206.

Kromer, Joachim 1988: Der 10. November 1938. Darstellung der Entwicklungen und der Aktionen gegen Juden in Bad Soden a. Ts. nach den Akten des Prozesses vom Juni 1949. Hg. v. Arbeitskreis für Bad Sodener Geschichte mit Unterstützung des Magistrats der Stadt Bad Soden a.Ts. Bad Soden.

Ders. 1990: Bad Soden am Taunus: Stadtgeschichte. Hg. v. Magistrat der Stadt Bad Soden am Taunus. [Bd. 1:] Leben aus den Quellen. Frankfurt a.M.

Ders. 1991: Bad Soden am Taunus: Stadtgeschichte. Hg. v. Magistrat der Stadt Bad Soden am Taunus. Bd. 2: Bestehen aus der Geschichte. Frankfurt a.M.

Lilienthal, S. 1937: Rund um den Feldberg. In: Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main 15 (1937), April, Nr. 7, Beilage Jugend und Gemeinde, S. 26-29 (S. 26: Bad Soden)

Rothschild, David 1903: Gedanken und Erfahrungen über Kuren in Bad Soden a.T. Von Dr. med. David Rothschild, Badearzt in Bad Soden a.Taunus. Frankfurt a.M.

Schiebler, Gerhard 1994: Kuranstalt für arme Israeliten in Bad Soden/Taunus. In: Lustiger, Arno (Hg.) 1994: Jüdische Stiftungen in Frankfurt am Main. Stiftungen, Schenkungen, Organisationen und Vereine mit Kurzbiographien jüdischer Bürger dargest. v. Gerhard Schiebler. Mit Beitr. v. Hans Achinger [u.a.]. Hg. i.A. der M.-J.-Kirchheim’schen Stiftung in Frankfurt am Main. 2. unveränd. Aufl. Sigmaringen, S. 146.

Sieberhagen, Christine/Thilenius, Dietmut 2013: „Ständige Wachsamkeit ist nötig“. Bad Sodener Ärztin erlebt als Kind die Pogrome 1938 mit und setzt sich deshalb heute für Minderheiten ein, Frankfurter Neue Presse v. 09.11.2012, aktualis. 13.04.2013, http://www.fnp.de/lokales/main-taunus-kreis/Staendige-Wachsamkeit-ist-noetig;art676,237245 (Aufruf v. 19.05.2014).

Stiebel, S.[alomon] F.[riedrich] 1840: Soden und seine Heilquellen. Frankfurt a.M.

Ullrich, Erika/ Vetter, Edith 2005: Wo Sodens Kurgäste logierten. 2. Aufl. Norderstedt.

Vetter, Edith/ Wagner, Kurt 1987: Der Jüdische Friedhof Bad Soden a.Ts. Bericht und Darstellung der Anlage – Auswertung des Protokoll-Buches der „Todenhofs-Anlage“. Hg. v. Arbeitskreis für Bad Sodener Geschichte mit Unterstützung des Magistrats der Stadt Bad Soden a.Ts.

Institutionen und Links (Aufruf aller Websites im Artikel am 19.05.2014)

Alemannia Judaica (Pfungstadt): Alemannia Judaica – Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum: Pfungstadt mit Eschollbrücken (Kreis Darmstadt-Dieburg) – Jüdische Geschichte / Synagoge: http://www.alemannia-judaica.de/pfungstadt_synagoge.htm

Alemannia Judaica (Bad Soden: Jüdische Geschichte): Alemannia Judaica […] Bad Soden (Main-Taunus-Kreis) – Jüdische Geschichte / Synagoge, http://www.alemannia-judaica.de/bad_soden_synagoge.htm

Alemannia Judaica (Bad Soden: Kuranstalt): Alemannia Judaica […] Bad Soden (Main-Taunus-Kreis) – Texte/Berichte zur Geschichte der jüdischen „Kuranstalt für arme Israeliten“, http://www.alemannia-judaica.de/bad_soden_kuranstalt.htm

Arbeitskreis Ehemalige Synagoge Pfungstadt e.V.: http://www.synagoge-pfungstadt.de

Compact Memory – Internetarchiv jüdischer Periodika: http://www.compactmemory.de

Fritz Bauer Institut: Vor dem Holocaust Fotos zum jüdischen Alltagsleben in Hessen. Red.: Monica Kingreen, http://www.vor-dem-holocaust.de (Bad Soden, Pfungstadt)

Gedenkbuch BA Koblenz: Bundesarchiv Koblenz, Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945, http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/directory.html.de

Genealogien Isserlin:
Isserlis, Martin George 2012: Isserlis Family Genealogy (updated 23.08.2012), http://familytreemaker.genealogy.com/users/i/s/s/Martin-G-Isserlis/WEBSITE-0001/UHP-0281.html

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Cibella, Roger 2002: Jewish Families of Frankfurt am Main: http://goldschmidt.tripod.com/mainz.htm
Guggenheim, Alain o.J.: http://gw.geneanet.org/alanguggenheim?lang=de;p=michael+moses;n=mainz

Gesellschaft CJZ Main-Taunus Kreis: Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit im Main-Taunus Kreis e.V.: „Spuren jüdischen Lebens: Bad Soden: http://main-taunus.deutscher-koordinierungsrat.de/gcjz-main-taunus-spuren-bad-soden [mit Abbildungen zur Villa Aspira und der Israelitischen Kuranstalt]

Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Hamburg: http://www.igdj-hh.de/

„Hervorgegangen aus einer berühmten Gelehrtenfamilie…“: Jüdische Pflegegeschichte und Familienforschung am Beispiel der Krankenschwester Johanna Sämann

Wer ruft die Geschlechter von Anfang her?
Ich bin’s der Herr,
der Erste und bei den Letzten dennoch derselbe.“
Jesaja, 41,4

Deckblatt: Titelblatt der Zeitschrift "Jüdische Familienforschung", Sonderausgabe, Berlin 1936
Titelblatt der Zeitschrift „Jüdische Familienforschung“, Sonderausgabe, Berlin 1936
© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe

Der Grundstein für die Wahl eines Berufs – mitunter sogar einer Berufung – wird oft schon im Elternhaus gelegt, wo in der Regel die ersten sozialen Lernprozesse stattfinden. Fähigkeiten, Defizite sowie der Umgang mit Anforderungen und Konflikten werden teils von Generation zu Generation weiter getragen. Für die sozialgeschichtliche Aufarbeitung der Krankenpflege kommt deshalb neben der Biographieforschung (vgl. „Biographisches Lexikon zur Pflegegeschichte“; Grypma 2008; Hanses/ Richter 2009) auch der historischen Familienforschung (Genealogie) grundlegende Bedeutung zu. Forschungsperspektiven eröffnen sich auch und gerade für den jüdischen Teil der deutschen Pflegegeschichte: Woher kamen die jüdischen Pflegenden? Wie wuchsen sie auf? Wie lebten sie ihr Judentum? Welche Faktoren beeinflussten ihre Entscheidung für den Pflegeberuf? Aber auch: Was geschah in der NS-Zeit mit den Familien der Schwestern und Pfleger? Hier steht die Recherche und Rekonstruktion jüdischer Pflegebiographien vor anderen Herausforderungen als die der christlichen.

Enkelin eines jüdischen Toragelehrten: die Krankenschwester Johanna Sämann

Die bisher recherchierten Daten zu Pflegenden der deutsch-jüdischen Krankenhäuser dokumentieren bezüglich der sozialen Herkunft eine relative Homogenität. Zur Verdeutlichung einiger Aspekte wird im Folgenden die recht gut erforschte Familienbiographie der Krankenschwester Johanna Sämann vorgestellt.
Am 25. Februar 1891 als Johanna [Johanne] Levi in dem Dorf Altengronau (heute Ortsteil von Sinntal bei Schlüchtern, Main-Kinzig-Kreis) geboren, war sie mütterlicherseits vom württembergisch-fränkischen, väterlicherseits durch das hessische Landjudentum geprägt. Beide Eltern entstammten angesehenen Familien: Die Mutter, Mirjam (Mari) Levi geb. Sulzbacher, war eine Tochter von Rabbi David Sulzbacher aus (Bad) Mergentheim, „welcher als berühmter Gelehrter in hiesiger Gegend wohl bekannt war“ (Israelit, 28. Jg, H. 52 (07.07.1887), S. [943]-944, Beil.). Hirsch Sulzbacher, Johanna Sämanns Onkel, unterrichtete als Lehrer im südhessischen Groß-Bieberau. Als Mirjam Levi im Jahre 1930 kurz vor ihrem 80. Geburtstag starb, hieß es im Nachruf: „Mit Frau Levi ist eine jener herrlichen jüdischen Frauengestalten von uns geschieden, wie sie leider in jetziger Zeit immer seltener werden“ (Israelit, 71. Jg., H. 49 (04.12.1930), S. 9). Johanna Sämanns Vater, Raphael Levi, wirkte über viele Jahre als Torarollenschreiber (Sofer), Schächter (Schochet) und Verwalter des Friedhofs der hessisch-jüdischen Gemeinde Altengronau. 1926 mit über 70 Jahren verstorben, wurde er ebenfalls im „Israelit“ gewürdigt: „Hervorgegangen aus einer berühmten Gelehrtenfamilie – schon der Großvater des Gestorbenen hatte hier die göttliche Arbeit des Torarollenschreibens ausgeübt – war auch er ein seltener Gottesfürchtiger und in seinem Fache ein Künstler, wovon die von ihm geschriebenen Torarollen und hergestellten Tefillin [Gebetsriemen, d.V.] ein beredtes Zeugnis ablegen“ (Israelit, 67. Jg., H. 24 (10.06.1926), S. 7).


Offenbar lebten die Sulzbachers und Levis ihrer Umgebung jüdische Religiosität und Gelehrsamkeit, soziale Gerechtigkeit (Zedakah) und Mildtätigkeit (Gemilut Chassadim) besonders beispielhaft vor. Bereits familienbiographisch in ihrer jüdischen Identität gefestigt, entsprach Johanna Sämann somit nahezu perfekt dem von Dr. Gustav Feldmann und anderen Vorkämpfern einer modernen jüdischen Pflegeausbildung entworfenen Berufsprofil (Feldmann 1901): Zwischen jüdischen Integrationsbestrebungen und einer oft antisemitisch abwehrenden Umgebung hatte die jüdische Pflegerin – neben ihrem professionellen und engagierten Dienst an jüdischen wie nichtjüdischen Krankenbetten – für die positiven Werte des Judentums einzustehen.

Familienbiographie und Pflegeberuf

Auch in anderer Hinsicht ist Johanna Sämanns Herkunft für die Familienbiographien anderer jüdischer Pflegender exemplarisch; viele zog es aus ländlichen Regionen (vgl. zum Landjudentum Richarz/ Rürup 1997) zur Ausbildung an jüdische Krankenhäuser (Frankfurt am Main, Berlin, Hamburg, Köln, Breslau, u.a.). Jüdische Familienforschung verbindet sich häufig mit Regionalforschung, zumal wenn es sich um „Judendörfer“ (Jeggle 1999) mit einem hohen jüdischen Anteil an der Dorfbevölkerung handelt. Von den Sozialisationserfahrungen christlicher Pflegender unterschieden sich die jüdischen vor allem darin, dass die Jahrhunderte lange Existenz als diffamierte und jederzeit angreifbare Minderheit im Verein mit periodischen antijüdischen Ausbrüchen, Pogromen und Vertreibungen im Familiengedächtnis haften blieb. Berufsverbote hatten zur Folge, dass das jüdische Pflegepersonal sich nicht aus Bauern-, Handwerker- oder Arbeiterkindern zusammensetzte, sondern fast ausschließlich der Schicht der kleinen Kaufleute, Viehhändler, Ladenbesitzer oder wie Johanna Sämann der Toragelehrten und  Dorflehrer angehörte. Deren ökonomische Situation war allerdings prekär: Besonders seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts schrumpften die jüdischen Dorfgemeinden zusehends, weil junge jüdische Männer in den Städten ihr Auskommen suchten oder nach Amerika auswanderten. Auch Johanna Sämanns Großvater, Rabbi David Sulzbacher, musste seine Jeschiva (Talmudschule für junge jüdische Männer) schließen und seine Familie mit kaufmännischen Tätigkeiten durchbringen. Ihr Vater Raphael Levi, der die kleine jüdische Gemeinde von Altengronau betreute, hatte seine Frau und acht Töchter zu versorgen; Johanna war die zweitjüngste. Sie musste einen Ehemann als Ernährer finden oder einen Beruf lernen – und wählte die Krankenpflege, ebenso ihre ältere Schwester Sara Levi. Ohnehin waren die Heiratschancen für gläubige Jüdinnen weiter gesunken, nicht nur wegen der Abwanderung junger Glaubensgenossen, sondern auch durch deren vermehrte Eheschließungen mit Christinnen im Zuge der Integration (Assimilation). Erst später heiratete Johanna Sämann einen viele Jahre älteren Witwer, den Nürnberger jüdischen Kaufmann Sigmund Sämann, und bekam mit 33 Jahren ihren einzigen Sohn Gerhard (Skyte/ Skyte 2006).
Ihre Entscheidung für den Krankenschwesternberuf entsprach zudem zeitgenössischen Zuschreibungen scheinbar ,natürlich´-weiblicher Eigenschaften wie „Mütterlichkeit, Fürsorglichkeit, Zärtlichkeit“, Tugenden wie „Aufopferung, Fleiß, Geduld“ (Walter 1991, S. 9), die lukrativere Erwerbsmöglichkeiten für Frauen im Wilhelminischen Kaiserreich gar nicht erst zuließen. Diese Geschlechterstereotypen betrafen allerdings Krankenschwestern aller Konfessionen. Spekulativ bleibt die ebenfalls jüdische wie christliche Pflegerinnen gleichermaßen betreffende Frage, inwieweit die familiäre Geschwisterstellung Karrieren im Pflegeberuf mitbeeinflusst(e): Wurde Julie Glaser Oberin am Frankfurter jüdischen Krankenhaus, weil sie, zudem aus einer aufstrebenden bürgerlichen Familie stammend, als Älteste von vier Schwestern Führungspotenziale entwickelte, während Johanna Sämann, von der ein solcher Aufstieg nicht bekannt ist, als zweitjüngste von acht Schwestern eher zu den beaufsichtigten jüngeren Geschwistern gehörte? Absolvierte andererseits die Büglerin Erika Neugarten deshalb keine Schwesternausbildung am Frankfurter jüdischen Krankenhaus, weil sie anders als Julie Glaser und Johanna Sämann keine so genannten geordneten Familienverhältnisse vorweisen konnte?

Nachbetrachtung: Reise in die Familienvergangenheit nach der Schoah

Johanna Sämann, ihr Ehemann und ihr minderjähriger Sohn gehören zu den Vernichteten der Schoah. Überlebende und Nachkommen begeben sich häufig auf eine mühsame und schmerzliche Suche nach ermordeten Angehörigen und Familienzweigen. Jüdische genealogische Forschung kann aber auch Kräfte freisetzen, wenn Lebensspuren und Verdienste Verschollener entdeckt und gewürdigt werden. Beide Sichtweisen vereint der Lebensbericht von Thea Levinsohn-Wolf (1907–2005), einem der wenigen veröffentlichten Selbstzeugnisse deutsch-jüdischer Krankenschwestern. In dem Buch hat sie ihren Eltern, ihrer Schwester, dem kleinen Neffen sowie insgesamt über fünfzig in der Schoah gebliebenen Angehörigen ein bewegendes Kaddisch (jüdisches Gebet für Verstorbene) gewidmet. Trost fand sie im Andenken an ihre Vorfahren, deren rheinländischen Spuren sie 1991 auf einer Reise durch Deutschland folgte: „Das „Oberland“, wie meine Eltern den Hunsrück [eine Region in Rheinland-Pfalz, d.V.] nannten, kam in meinem Elternhaus fast täglich irgendwie zur Sprache. Das war die Heimat, wo ihre Wiege stand, wie es ein Lied sagt, und auch die Wiegen ihrer Väter, Großväter und Großväter standen hier […]. (Levinsohn-Wolf 1996, S. 150). Im Alter erlebte Thea Levinsohn-Wolf noch einmal „bewegt die Landschaft und die Orte, deren Namen mir seit meiner Kindheit vertraut sind. Der Kreis schloss sich“ (ebd. S. 157).

Birgit Seemann, 2011, aktualisiert 2020

Literatur und Links (letzter Aufruf am 06.07.2015)


Biographisches Lexikon zur Pflegegeschichte = Who was who in nursing history. Bde. 1-3 hg. v. Horst-Peter Wolff. (Bd 1: Berlin, Wiesbaden 1997; Bd. 2-3: München 2001, 2004); Bde. 4-5 hg. v. Hubert Kolling. München 2008, 2011

Ellmann-Krüger, Angelika G. 2007: Bibliographie zur deutsch-jüdischen Familienforschung und zur neueren Regional- und Lokalgeschichte der Juden [Elektron. Ressource] = Bibliography on German-Jewish family research and on recent regional and local history of the Jews. Wiesbaden, 1 CD-ROM + Beil.

Grypma, Sonya J. 2008: Critical Issues in the Use of Biographic Methods in Nursing History. In: Lewenson, Sandra B./ Krohn Hermann, Eleanor (eds.): Capturing Nursing History. A Guide to Historical Methods in Research. New York, N.Y., S. 63-78

Hanses, Andreas/ Richter, Petra 2009: Biographieforschung. In: Darmann-Finck, Ingrid u.a. (Hg.): Fallrekonstruktives Lernen. Ein Beitrag zur Professionalisierung in den Berufsfeldern Pflege und Gesundheit. Frankfurt/M., S. 63-82

Israelit: Der Israelit. Ein Central-Organ für das orthodoxe Judentum. Online-Ausg.: Compact Memory – Internetarchiv jüdischer Periodika: www.compactmemory.de

XVIII. Jahresbericht für das Jahr 1917 sowie XX. Jahresbericht für das Jahr 1919 des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen E.V. zu Nürnberg. Nürnberg: J. Rosenfeld´s Druckerei

Jeggle, Utz 1999: Judendörfer in Württemberg. Erw. Neuaufl. Tübingen

Joergens, Bettina 2011: Jüdische Genealogie im Archiv, in der Forschung und digital. Quellenkunde und Erinnerung. Essen

Levinsohn-Wolf, Thea 1996: Stationen einer jüdischen Krankenschwester. Deutschland – Ägypten – Israel. Frankfurt/M.

Richarz, Monika/ Rürup, Reinhard (Hg.) 1997: Jüdisches Leben auf dem Lande. Studien zur deutsch-jüdischen Geschichte. Tübingen

Seemann, Birgit 2019: „Die jüdische Schwester ist längst heimisch geworden in unserer Stadt‟. Der Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Nürnberg (1900–1938). In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 106 (2019), S. 165-206

Skyte, Heinz/ Skyte Thea Ruth 2006: Our Family. Isaac of Sugenheim and his Descendants. www.rijo.homepage.t-online.de/pdf/en_de_ju_sky30200.pdf

Walter, Ilsemarie 1991: Krankenpflege als Beruf. Aspekte beruflicher Sozialisation und Identität dargestellt anhand einer empirischen Untersuchung. Wien u.a.

Interessante Links (Auswahl)


Alemannia Judaica – Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum: www.alemannia-judaica.de

Avotaynu – Publisher of Works on Jewish Genealogy, Bergenfield, NJ: www.avotaynu.com

The Central Database of Shoah Victims‘ Names: www.yadvashem.org

Gesellschaft für Familienforschung in Franken e.V.: Die Judenmatrikel 1813-1861 für Mittelfranken (Staatsarchiv Nürnberg): www.gf-franken.de(Publikationen/ Digitale Quellen)

International Association of Jewish Genealogical Societies (IAJGS): www.iajgs.org

JewishGen, New York: www.jewishgen.org/jgff

Joods Historisch Museum, Amsterdam: www.communityjoodsmonument.nl

Gumpertz’sches Siechenhaus: biographische Wegweiser

Minka von Goldschmidt-Rothschild, Fotografie von einem Gemälde (ohne Jahr)
Minka von Goldschmidt-Rothschild, Fotografie von einem Gemälde (ohne Jahr)
© Courtesy of the Leo Baeck Institute (Paul Arnsberg Collection)

1905 stellte sich mit der Bankiers- und Stifterfamilie von Goldschmidt-Rothschild eine finanzkräftige Förderin ein: Zum Gedenken an die erst 45-jährig verstorbene Minka von Goldschmidt-Rothschild (1857-1903) errichteten ihre Mutter Mathilde von Rothschild und der Witwer Max von Goldschmidt-Rothschild eine unselbständige Stiftung, nachfolgend unterstützt von Minkas fünf Kindern Albert, Rudolf, Lili, Lucy und Erich sowie ihrer in Paris lebenden Schwester Adelheid de Rothschild. Minka (eigentlich Minna Caroline, vgl. Lenger 1994; siehe auch Rothschild 1994) war die jüngste der drei Töchter von Mathilde und Wilhelm Carl, des 1901 verstorbenen letzten Frankfurter Bankiers Rothschild. Selbst eine engagierte Stifterin ‒ u.a. gründete sie das bis heute bestehende Rothschild´sche Damenheim für sozial schwache Mieterinnen ‒ hat Minka möglicherweise schon zu Lebzeiten das Gumpertz´sche Pflegeprojekt unterstützt. 1907 errichtete die an den Verein Gumpertz´sches Siechenhaus angegliederte Minka von Goldschmidt-Rothschild-Stiftung im Röderbergweg 62-64 ein großes modernes Gebäude (‚Vorderhaus‘), weshalb das Heim mitunter auch ‚Rothschild´sches Siechenhaus‘ genannt wurde; zusammen mit einer weiteren, kleineren, später restaurierten Villa (‚Hinterhaus‘) bildete es das Gumpertz´sche Siechenhaus. 1938 vertrieben die NS-Machthaber die alteingesessene jüdische Familie von Goldschmidt-Rothschild (vgl. u.a. Heuberger (Hg.) 1994a u. 1994b; Kasper-Holtkotte 2010; Liedtke 2006: 109f.; siehe auch Ferguson 2002) in die Schweiz, zuvor verlor sie ihre gesamten Frankfurter Besitztümer (ISG Ffm: Sammlung Personengeschichte S 2: Sign. S2/12.001). Nach dem Ende des NS-Regimes kehrte eine Enkelin Minkas, Nadine von Mauthner, wieder in ihre Geburtsstadt zurück, wo sie ihre Herkunft lange Zeit verbarg (ebd., Sign. 18.355). Ihr Vater und Minkas ältester Sohn, der Bankier und Diplomat Albert von Goldschmidt-Rothschild, nahm sich 1941 das Leben und wurde im Exil-Familiengrab der von Goldschmidt-Rothschilds in Lausanne beerdigt (vgl. auch Lessing Gymnasium 1998).

Dr. med. Alfred Günzburg: Gründungsarzt und Förderer der jüdischen Krankenpflege

Er war in uneigennützigster, aufopferndster Weise für unsere Anstalt tätig, und seinem Wirken ist das rasche Emporblühen der Anstalt mit zu verdanken. Besonders verdient machte er sich um die sanitäre und praktische Gestaltung des Prachtbaues [‚Vorderhaus‘ des Siechenhauses, B.S.] der Minka von Goldschmidt-Rothschild-Stiftung, der unter seiner verständnisvollen Leitung errichtet wurde“ (GumpSiechenhaus 1909: 5).

So würdigte der Vorstand des Gumpertz´schen Siechenhauses seinen scheidenden Gründungsarzt, den am 27. März 1861 in Offenbach am Main geborenen Internisten Dr. med. Alfred Günzburg. Nach ihm ist die ‚Günzburgsche Reaktion‘ (auch ‚Günzburg-Reagenz‘, ‚Günzberg-Probe‘) benannt, ein von ihm entwickeltes diagnostisches Verfahren zum Nachweis erhöhter Magensäure. Vom Siechenhaus wechselte Dr. Günzburg zum 1. Januar 1909 als Chefarzt der Inneren Abteilung an das Frankfurter Israelitische Gemeindehospital (Königswarterstraße) und ab 1914 an das neu eröffnete Krankenhaus der jüdischen Gemeinde (Gagernstraße), an dessen Planung er mitwirkte. Am Königswarter Hospital war er bereits jahrelang tätig und hatte dort die beiden ersten jüdischen Krankenschwestern in Deutschland, Rosalie Jüttner aus Posen und Minna Hirsch aus Halberstadt, ausgebildet. An der Professionalisierung und Etablierung der Krankenpflege als jüdischem Frauenberuf nahm er großen Anteil, u.a. 1893 als Mitinitiator des in Frankfurt am Main gegründeten ersten Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen und 1904 als Mitorganisator der ersten Delegiertenversammlung der deutsch-jüdischen Ausbildungsvereine für die Krankenpflege. Ende 1935 vertrieben die Nationalsozialisten den über 70-jährigen Alfred Günzburg aus Deutschland. Er ließ sich im damaligen Palästina nieder, wohin 1933 bereits sein Sohn Dr. med. Ludwig Günzburg (geb. 1895 in Frankfurt/M.), zuvor praktischer Arzt in Frankfurt und im Verein sozialistischer Ärzte engagiert, geflüchtet war. Alfred Günzburg verstarb 1945 mit 84 Jahren in Ramoth Hashavim bei Tel Aviv, wo sein Sohn ein Heim der Cupath Cholim für chronisch Kranke leitete (vgl. Günzburg 1946 [Nachruf]; Toren 2005). Ludwig Günzburg, der die erste Reha-Klinik in Israel aufbaute, verstarb 1977 (vgl. Drexler [u.a.] 1990: 35).
Alfred Günzburgs Nachfolger als Chefarzt des Gumpertz´schen Siechenhauses wurde 1910 der praktische Arzt Dr. med. Jakob Meyer (vgl. Kallmorgen 1936: 354 sowie GumpSiechenhaus 1913ff.). Als Dr. Meyer im Ersten Weltkrieg als Stabsarzt der Reserve diente, leitete sein Stellvertreter Dr. med. Gustav Löffler (vgl. Kallmorgen 1936: 341) vorübergehend das Siechenhaus samt Verwundeten-Lazarett (vgl. GumpSiechenhaus 1913ff.). Namentlich bekannt sind zudem folgende Ärzte (ebd. 1909: 5): der praktische Zahnarzt Heinrich Borchard (vgl. Kallmorgen 1936: 229), der Kinderarzt Dr. Max Plaut (ebd.: 373), der Chirurg Dr. Otto Rothschild (ebd.: 390) und der Augenarzt Dr. Michael Sachs (ebd.: 393). Zur älteren Medizinergeneration (1850er Jahrgänge) am Siechenhaus gehörten der praktische Arzt Dr. Hermann Schlesinger (ebd.: 400) und der Ohrenarzt Dr. Heinrich Seligmann (ebd.: 411).

Fotografie von Dr. Richard Merzbach, ohne Jahr [um 1900]
Fotografie von Dr. Richard Merzbach, ohne Jahr [um 1900]
© Jüdisches Museum Frankfurt am Main

Der letzte Präsident: Dr. jur. Richard Merzbach
Nach Ferdinand Gamburg, Charles L. Hallgarten und Julius Goldschmidt wurde der Rechtsanwalt und Notar Dr. jur. Richard Merzbach letzter Präsident des Vereins Gumpertz´schen Siechenhauses. Geboren wurde er am 26. Oktober 1873 in Frankfurt am Main (vgl. Dölemeyer/Ladwig-Winters 2004: 174). Nach noch zu verifizierenden Angaben (vgl. http://www.geni.com/people/Richard-Joseph-Merzbach/6000000000158338859, letzter Aufruf aller Links im Artikel am 30.08.2016) war er der Sohn von Marie geb. Heim aus Fürth und Emanuel Merzbach aus Offenbach am Main und verheiratet mit Trude (Gertrude) geb. Alexander aus Königsberg i.Pr. In seiner Geburtsstadt Frankfurt amtierte Dr. Merzbach zeitweise als (liberaler) Präsident der Jüdischen Gemeindevertretung. Sein besonderes Interesse galt den jüdischen Pflegeinstitutionen: 1911 gehörte er dem Vorstand der Israelitischen Frauenkrankenkasse und (spätestens) 1917 des Gumpertz´schen Siechenhauses an.
Die im Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main vorliegenden Akten (z.B. ISG Ffm: Magistratsakten Sign. 8.957) dokumentieren, wie standhaft der Jurist Merzbach nach der NS-Machtübernahme 1933 die Existenz des Siechenhauses verteidigte. Die Zwangsauflösung des Pflegeheims um 1939 und die Verlegung seiner Bewohner/innen in das letzte Gumpertz´sche Domizil am Danziger Platz 15 konnte er nicht verhindern. Schon 1935 hatten die NS-Behörden Richard Merzbach das Notariat entzogen, am 1. Dezember 1938 folgte das NS-Berufsverbot als Rechtsanwalt und die Löschung aus dem Anwaltsverzeichnis. Im Oktober 1938 flüchtete das Ehepaar Merzbach in die USA.
Dr. Richard Merzbach starb am 22. August 1945 in Seattle, seine Frau Trude offenbar nur wenige Tage später am 25. August 1945. Ihre Töchter waren schon 1933 aus Nazideutschland geflüchtet: Edith Alice Lobe arbeitete im US-Exil als Sozialarbeiterin (vgl. Nachruf v. Dave Birkland: http://community.seattletimes.nwsource.com/archive/), Hilde Birnbaum (vgl. Nachruf v. Mary Spicuzza: http://community.seattletimes.nwsource.com/archive/) studierte Wirtschaftswissenschaft und war mit dem Mathematikprofessor Zygmunt William Birnbaum verheiratet. Sie engagierten sich für ein fortschrittliches Sozial- und Gesundheitssystem und machten sich als Bürgerrechtlerinnen für soziale Gerechtigkeit und Frauenemanzipation einen Namen. Richard Merzbach wäre bestimmt stolz auf seine kämpferischen Töchter gewesen.

Die Seele des Hauses: Hermann Seckbach, Verwalter und Autor

Hermann Seckbach, Publikation „Das Glück im Hause des Leids, Titelblatt


Für Hermann Seckbach, von 1904 bis 1939 Verwalter des Gumpertz´schen Siechenhauses, war diese Stellung Beruf und Berufung zugleich. Verlässliche biographische Daten sind schwer zu ermitteln, entstammt er doch der von Heddernheim (heute Stadtteil von Frankfurt) und Frankfurt am Main bis nach Halberstadt (Sachsen-Anhalt) verzweigten Familie Seckbach (vgl. Klamroth 2006), in der die männlichen Vornamen ‚Lassar‘ (auch Elazar, Lazar, Lazarus) und ‚Hermann‘ häufiger vorkamen; vielleicht war er auch mit dem Architekten Max Seckbach verwandt. Im Ersten Weltkrieg verwaltete Hermann Seckbach zusätzlich das im Gumpertz´schen Siechenhaus eingerichtete Verwundeten-Lazarett. Am 7. März 1919 heiratete er Oberin Rahel Spiero, ihre Tochter Ruth Rosalie kam noch im gleichen Jahr zur Welt. Anlässlich seines 25jährigen Dienstjubiläums meldete das Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main (Heft 4, Dezember 1929: 154): „Neben seiner aufopfernden, fürsorglichen Tätigkeit hat sich Herr Seckbach um die Gründung der ganz aus Stiftungen errichteten Anstaltssynagoge – deren künstlerische Eigenart bei Insassen und Besuchern eine weihevolle Stimmung auslöst – besonders verdient gemacht“. 1939 vertrieben ihn die Nationalsozialisten aus seiner Lebensstellung ins englische Exil.
Auch seine Publikationen zu jüdischen und sozialen Themen (vgl. Seckbach 1917, 1918a, 1918b, 1928, 1933) hat der Autor Hermann Seckbach, gerade in wirtschaftlichen Notzeiten, ganz in den Dienst der Öffentlichkeitsarbeit für das Gumpertz´sche Siechenhaus gestellt. 1917 informierte er in den Frankfurter Nachrichten über das (offiziell) 25-jährige Bestehen des Pflegeheims (ders. 1917). 1918 warb er in der Zeitschrift Im deutschen Reich des Centralvereins Deutscher Staatsbürger Jüdischen Glaubens um eine bessere „Soziale Fürsorge für jüdische Nerven- und Gemütskranke!“ (ders. 1918b). Über sein Buch „Sabbatgeist“. Erzählungen und Skizzen hieß es in einer Kurzrezension im Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt a. Main (Juni 1928, Heft 10): „Das Büchlein ist aus der Anschauungswelt des überlieferten Judentums erwachsen und kann, trotzdem es keine literarischen Ansprüche erhebt, als Lektüre für die Jugend um so mehr empfohlen werden, als der Reinerlös dem Gumpertz´schen Siechenhaus zufließt.“ Ebenso verfuhr Hermann Seckbach mit seinen Einkünften aus dem nachfolgenden Buch Der Seder auf Schloß Grüneburg. Erzählungen aus der Kinderecke (ders. 1933). Seine wohl eindrucksvollste Veröffentlichung ist die 1918 erschienene Schrift Das Glück im Hause des Leids. Skizzen aus einem Krankenhaus und Lazarett in der Kriegszeit; er hat sie „Meinem lieben Bruder Lassar Seckbach, Halberstadt“ (ders. 1918a) gewidmet. In erzählerischen Miniaturen hat Hermann Seckbach Bewohnerinnen und Bewohnern wie der blinden und gelähmten Rabbinertochter Rosa Dobris (ebd.: 18-21) ein Denkmal gesetzt.

Engagierte Bewohnerinnen und Bewohner: „Gustchen“ und Siegmund Keller
Hermann Seckbachs Einblick in die komplexe und ganz eigene Innenwelt eines (hier jüdischen) Heims für chronisch Gebrechliche und unheilbar Kranke offenbart zugleich dessen fortschrittliches Pflegekonzept: statt entmündigender Verwahrung die Förderung größtmöglicher Eigenständigkeit. Im Gumpertz´schen Siechenhaus hatte jede Biographie ihren Platz, konnten Betreuer/innen und Betreute voneinander lernen. Eines seiner liebevollen Porträts widmete Seckbach einem infolge einer Kopfgeschwulst sehbehinderten Mädchen namens „Gustchen“ (vermutlich „Auguste“, der Familienname ist nicht überliefert): „Umgeben von 60 anderen Leidensgenossen war sie, die Blinde, ein Lichtblick. […] Um bald sechs raus, um schnell den Schwerleidenden einen heißen Morgentrunk zu bringen. Und dann ging´s von Zimmer zu Zimmer, ein lustiges Liedchen trällernd, um allen Liebesdienste zu erweisen. […] So sehr die Schwestern auf ihrem Platze waren, Gustchen, das frohe Gustchen, mußte immer dabei sein, wenn es galt, die Kranken zu betten, hier einer Gelähmten beizustehen, dort einer Fiebernden Kühlung zu bringen“ (Seckbach 1918a: 60).
Weiteres erfahren wir aus einem Zeitungsbericht der Besucherin Fanny Cohn-Neßler: „In der Frauenabteilung bemerkte ich ein 17jähriges Mädchen in Größe eines sechsjährigen Kindes; Verstand einer Dreijährigen. Ein dickes Kindergesicht, nur wulstiger Mund. Dicker Hängezopf mit rosa Bandschleife; eine dicke Kinderpatschhand wurde mir lachend gereicht. Es aß vergnügt sein Süppchen am Kindertischchen. Die Kleine stammt aus Mähren. Wäre eine ‚Sehenswürdigkeit‘. In einem blütenweißen Bettchen ein hübscher zweijähriger Knabe; mit geschlossenen Augen liegt das Köpfchen ins Kissen gedrückt. Die Schwester hebt es empor – die andere Gesichtshälfte ist völlig schief. Es kann sich nicht rühren. Das Kind hat kein Empfinden, es nimmt Nahrung zu sich, das ist alles. […] Die gar zu traurigen Fälle lasse ich unberührt“ (Cohn-Neßler 1920, S. 174f.).
Die Betreuten waren in der Regel jüdischen Glaubens und gehörten allen Altersgruppen an, die meisten konnten weder einen Beruf erlernen noch eine eigene Familie gründen. Darunter befanden sich Sozialrentner/innen und Wohnungslose, die das Frankfurter Fürsorgeamt an das Gumpertz´sche Siechenhaus überwies. Neben unheilbaren Geschwüren, Knochenerkrankungen und Gelenkentzündungen, Multipler Sklerose und Spinaler Kinderlähmung, die die Bewegungsfähigkeit dauerhaft einschränkten, stellten Senilität, Frühdemenz und Schlaganfälle hohe Anforderungen an Pflege und Medizin. Die kranken Menschen waren häufig unfreiwillige Bettnässer/innen und Kotschmierer/innen. Sie gehörten zu den „Aermsten der Armen“ (zit. n. Anzeige in: Der Israelit, Nr. 24, 16.06.1921, S. 12). Viele kamen aus Frankfurt und dem hessischen Umland, manche auch aus dem heutigen Rheinland-Pfalz. Bei der 20jährigen Minna Kann (geb. 1873 in Lonndorf b. Gießen) erfolgte die Aufnahme nach dem Tod beider Eltern. Die 1908 eingewiesene Leopoldine Karbe (geb. 1851 in Lich/Oberhessen) verstarb am 14. Dezember 1922 in Siechenhaus. Auch der 70jährige Salomon Kahn (geb. 1849 in Steinfischbach/Taunus), von Beruf Handelsmann, wurde 1919 vom Armenamt seines Wohnorts an das Siechenhaus überwiesen.
Aus Kostengründen fungierte das Gumpertz´sche Siechenhaus seit 1922 vermehrt als Altersheim. So verstarb : „[…] im 64. Lebensjahre der Lehrer a.D., Herr Gerson Mannheimer. Infolge eines tückischen Leidens war er seit 4 Jahren im Gumpertz’schen Siechenhaus untergebracht […]. Sein Beruf als Lehrer führte ihn durch verschiedene Gemeinden, so z.B. Zwingenberg, Babenhausen und Rüsselsheim. […] Schon vor ca. 20 Jahren musste er durch sein Leiden seinem Berufe entsagen. So hat er jetzt ausgekämpft […]“ (Nachruf in: Der Israelit, 14.03.1929). Mitbedingt durch die NS-Zeit beschloss 1938 auch Salomon Goldschmidt, das frühere Vorstandsmitglied der jüdischen Gemeinde Hochstadt (Kreis Hanau), sein Leben im Siechenhaus: „Der Heimgegangene, der vor zwei Jahren nach Frankfurt übersiedelte, war ein von tiefer Frömmigkeit erfüllter Jehudi [Jude, B.S.], der an vielen Schiurim [religiösen Unterweisungen, B.S.] mit Hingabe teilnahm […] Die Herren Rabbiner Wolpert, Rabbiner Korn und Hermann Seckbach schilderten ihn dann noch insbesondere in seiner Verbundenheit mit ’seiner‘ Kehilloh [Gemeinde, B.S.] Gumpertz […]“ (Nachruf in: Der Israelit, 17.02.1938).
Auch für den Bewohner Siegmund Keller galt, was Hermann Seckbach gleichsam als pflegerisches Anliegen des Siechenhauses beschrieb: „Und die Kranken und Siechen, die hier untergebracht waren, sie empfanden bald gar nicht mehr ihr Leid, sie wurden neue Menschen, die zu ihrem Teil mitarbeiteten an den Problemen des Lebens“ (Seckbach 1918a: 9). Er wurde am 6. September 1871 als Sohn von Henriette und David Keller in dem rheinhessischen Weinort Gimbsheim (vgl. zur jüdischen Geschichte: Alemannia Judaica: http://www.alemannia-judaica.de/gimbsheim_synagoge.htm; Alicke 2008 Bd. 1: 1472f.) geboren. Siegmund Keller blieb wegen seines chronischen Leidens ledig und ohne Beruf. Im Jahre 1898 wurde das Gumpertz´sche Siechenhaus sein Zuhause – für mehr als vier Jahrzehnte! Insbesondere kümmerte er sich um dessen geistig-kulturelles Herzstück, die Haussynagoge (vgl. GumpSiechenhaus 1936: 14). Möglicherweise half er bei der Ausrichtung des Sabbat und der jüdischen Feiern in den Zimmern der Bettlägerigen.

Siegmund Keller / Todesfallanzeige, Ghetto Theresienstadt
Siegmund Keller / Todesfallanzeige, Ghetto Theresienstadt
© National Archives, Prague; Terezín Initiative Institute

Auch Siegmund Keller hätte sein Leben im Gumpertz´schen Siechenhaus beschließen können, doch wurde er am 7. April 1941 bei der NS-Räumung des Hauses Danziger Platz 15 in das letzte Frankfurter jüdische Krankenhaus (Gagernstraße) zwangsverlegt, eine Tortur für die Bewohner/innen, von denen viele im Krankenhaus verstarben. Am 18. August 1942 wurde Siegmund Keller mit anderen Betreuten, der Gumpertz´schen Oberin Rahel Seckbach und weiteren Pflegekräften nach Theresienstadt deportiert. Wie durch ein Wunder überlebte der Geschwächte den Transport, erlag aber am 29. August 1942 nach wenigen Tagen den menschenfeindlichen Lagerbedingungen. Laut Todesfallanzeige litt Siegmund Keller unter Tuberkulose und Knochentuberkulose, die offizielle Todesursache lautete ‚Herzlähmung‘ (vgl. Theresienstädter Initiative, Datenbank).

Der Dank der Autorin geht an Herrn Lenarz (stellv. Direktor des Jüdischen Museums Frankfurt a.M.) für die rasche Übermittlung und Reproduktionsgenehmigung zweier Richard Merzbach-Fotografien, Herrn Simonson (Leo Baeck Institute) für die Reproduktionsgenehmigung der Minka von Goldschmidt-Rothschild-Abbildung sowie Herrn Prof. Stascheit (Leiter des Fachhochschulverlags Frankfurt a.M.) für wichtige Hinweise zu Alfred und Ludwig Günzburg.

Birgit Seemann, 2013, aktualisiert 2018

Ungedruckte Quellen


ISG Ffm: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main:

Hausstandsbücher Gagernstraße 36: Sign. 686 (Teil 1); Sign. 687 (Teil 2)

Nullkartei

Personenstandsunterlagen

Sammlung Personengeschichte S 2: Sign. 398: Goldschmidt, Julius

Sammlung Personengeschichte S 2: Sign. S2/12.001: Goldschmidt-Rothschild, Familie

Sammlung Personengeschichte S 2: Sign. 18.355: Mauthner, Nadine von

Stiftungsabteilung: Sign. 157: Verein Gumpertz´sches Siechenhaus

Stiftungsabteilung: Sign. 146: Minka von Goldschmidt-Rothschild-Stiftung (1939-1940)

Wohlfahrtsamt: Sign. 877 (1893–1928): Magistrat, Waisen- und Armen-Amt Frankfurt a.M.

Toren, Benjamin [Günzburg, Heiner] (2005): Die Familie Günzburg (Toren) von Frankfurt am Main. Unveröff. Ms. Privatarchiv Prof. Dr. Ulrich Stascheit, Frankfurt a.M.

Ausgewählte Literatur


Alicke, Klaus-Dieter 2008: Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum. Gütersloh, 3 Bände.

Arnsberg, Paul 1983: Die Geschichte der Frankfurter Juden seit der Französischen Revolution. Darmstadt, 3 Bände.

Cohn-Neßler, Fanny 1920: Das Frankfurter Siechenhaus. Die Minka-von-Goldschmidt-Rothschild-Stiftung. In: Allgemeine Zeitung des Judentums 1920, H. 16 (16.04.1920), S. 174-175. Digitale Ausg.: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaica/

Dölemeyer, Barbara/ Ladwig-Winters, Simone 2004: Kurzbiographien der Anwälte jüdischer Herkunft im Oberlandesgerichtsbezirk Frankfurt. In: 125 Jahre. Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main. Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Rechtspflege. Ausstellung: Anwalt ohne Recht. Festveranstaltung 1.10.2004 Paulskirche Frankfurt am Main. Hg.: Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main, Oberlandesgericht Frankfurt am Main, S. 137-201.

Dörken, Edith 2008: Hannah-Luise, Luise, Adele Hannah, Hannah Mathilde, Adelheid, Minna Caroline von Rothschild. Stifterinnen der Rothschildfamilie. „Gegen die Not und Bedrängnis der Mitmenschen“. In: dies.: Berühmte Frankfurter Frauen. Frankfurt/M., S. 78-89.

Drexler, Siegmund [u.a.] 1990: Ärztliches Schicksal unter der Verfolgung 1933–1945 in Frankfurt am Main und Offenbach. Eine Denkschrift. Erstellt im Auftr. der Landesärztekammer Hessen. 2. Aufl. Frankfurt/M.

Ferguson, Niall 2002: Die Geschichte der Rothschilds. Propheten des Geldes. Band II: 1848 – 1999. Stuttgart, München.

Günzburg, Alfred [Nachruf] (1946): M. R.: Alfred Günzburg. In: Aufbau 12 (1946) 2 (11.01.1946), S. 24, Spalte a, http://archive.org/stream/aufbau1219461946germ#page/n29/mode/1up.

GumpSiechenhaus 1909: Sechzehnter Rechenschaftsbericht des Vereins „Gumpertz`sches Siechenhaus“ in Frankfurt a.M. für das Jahr 1908. Frankfurt/M.: Slobotzky.

GumpSiechenhaus 1913ff.: Rechenschaftsbericht des Vereins „Gumpertz`sches Siechenhaus“ und der „Minka von Goldschmidt-Rothschild-Stiftung“. Frankfurt/M.: Slobotzky, 1913ff. Online-Ausg.:Frankfurt am Main : Univ.-Bibliothek, 2011: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hebis:30:1-306391.

GumpSiechenhaus 1936: Gumpertz´sches Siechenhaus. [Bericht von der Generalversammlung des Vereins.] In: Der Israelit, 20.05.1936, Nr. 21, S. 14f.: http://edocs.ub.uni-frankfurt.de/volltexte/2008/38052/original/Israelit_1936_21.pdf.

GumpStatut 1895: Revidirtes Statut für den Verein Gumpertz´sches Siechenhaus zu Frankfurt am Main. Frankfurt/M.: Druck v. Benno Schmidt, Stiftstraße 22. [ISG Ffm: Sammlung S3/N 5.150].

Heuberger, Georg (Hg.) 1994a: Die Rothschilds. Bd. 1: Eine europäische Familie. Sigmaringen.

Heuberger, Georg (Hg.) 1994b: Die Rothschilds. Bd. 2: Beiträge zur Geschichte einer europäischen Familie. Sigmaringen.

Kallmorgen, Wilhelm 1936: Siebenhundert Jahre Heilkunde in Frankfurt am Main. Frankfurt/M.

Kasper-Holtkotte, Cilli 2010: Die jüdische Gemeinde von Frankfurt/Main in der Frühen Neuzeit. Familien, Netzwerke und Konflikte eines jüdischen Zentrums. Berlin, New York.

Kingreen, Monica (Hg.) 1999: Zuflucht in Frankfurt. Zuzug hessischer Landjuden und städtische antijüdische Politik. In: dies. (Hg.): „Nach der Kristallnacht“. Jüdisches Leben und antijüdische Politik in Frankfurt am Main 1938 – 1945 Frankfurt/M., New York., S. 119-155.

Kirchheim, Simon [u.a.] 1904: Delegierten-Versammlung der Vereinigungen zur Ausbildung jüdischer Krankenpflegerinnen in Deutschland. Am 4. September 1904 zu Frankfurt a. M. im Schwesternheim Königswarterstraße 20. Frankfurt/M.

Klamroth, Sabine 2006: Die Mayers – die Halberstadts – die Bachs – die Seckbachs. In: dies.: „Erst wenn der Mond bei Seckbachs steht“. Juden im alten Halberstadt. Halle, S. 122-133 [siehe auch: http://www.juden-im-alten-halberstadt.de].

Lenger, Christine 1994: Der Name lebt weiter. Die Familie Goldschmidt-Rothschild. In: Heuberger (Hg.) 1994a: 190f. [mit Abb. v. Minka von Goldschmidt-Rothschild].

Liedtke, Rainer 2006: N M Rothschild & Sons. Kommunikationswege im europäischen Bankwesen im 19. Jahrhundert. Köln [u.a.].

Lessing Gymnasium 1998: Die jüdischen Schüler und Lehrer am Lessing Gymnasium 1897-1938. Dokumentation zur Ausstellung der Archiv-AG des Lessing Gymnasiums Frankfurt am Main Februar 1998. Frankfurt/M.

Rothschild, Miriam 1994: Die stillen Teilhaber der ersten europäischen Gemeinschaft. Gedanken über die Familie Rothschild II: Die Frauen. In: Heuberger (Hg.) 1994b, S. 159-170 [S. 166: Abb. von Minka von Goldschmidt-Rothschild mit ihrer Großmutter Mathilde von Rothschild].

Schiebler, Gerhard 1994: Stiftungen, Schenkungen, Organisationen und Vereine mit Kurzbiographien jüdischer Bürger. In: Lustiger, Arno (Hg.) 1994: Jüdische Stiftungen in Frankfurt am Main. Stiftungen, Schenkungen, Organisationen und Vereine mit Kurzbiographien jüdischer Bürger dargest. v. Gerhard Schiebler. Mit Beitr. v. Hans Achinger [u.a.]. Hg. i.A. der M.-J.-Kirchheim’schen Stiftung in Frankfurt am Main. 2. unveränd. Aufl. Sigmaringen 1994, S. 11-288.

Seckbach, Hermann 1917: Fünfundzwanzig Jahre Siechenhaus. Von Verwalter H. Seckbach. In: Frankfurter Nachrichten, 20.09.1917.

Seckbach, Hermann 1918a: Das Glück im Hause des Leids. Skizzen aus einem Krankenhaus und Lazarett in der Kriegszeit. Frankfurt/M. = Kriegsschrift der Agudas Jisroel Jugendorganisation; 4.

Seckbach, Hermann 1918b: Soziale Fürsorge für jüdische Nerven- und Gemütskranke! In: Im deutschen Reich. Zeitschrift des Centralvereins Deutscher Staatsbürger Jüdischen Glaubens, H. 10 (Okt. 1918), S. 403 (online: Univ.bibl. Frankfurt a.M.: Compact Memory: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/2354746).

Seckbach, Hermann 1928: „Sabbatgeist“. Erzählungen und Skizzen. Frankfurt/M.: Sänger u. Friedberg.

Seckbach, Hermann 1933: Der Seder auf Schloß Grüneburg. Erzählungen aus der Kinderecke. Frankfurt/M.: Verlag des Israelit und Hermon.

Seemann, Birgit 2014: „Glück im Hause des Leids“. Jüdische Pflegegeschichte am Beispiel des Gumpertz’schen Siechenhauses (1888-1941) in Frankfurt/Main. In: Geschichte der Pflege. Das Journal für historische Forschung der Pflege- und Gesundheitsberufe 3 (2014) 2, S. 38-50

Seemann, Birgit 2017: Judentum und Pflege: Zur Sozialgeschichte des orthodox-jüdischen Gumpertz’schen Siechenhauses in Frankfurt am Main (1888–1941). In: Nolte, Karin/ Vanja, Christina/ Bruns, Florian/ Dross, Fritz (Hg.): Geschichte der Pflege im Krankenhaus. Historia Hospitalium. Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Krankenhausgeschichte, Band 30. Berlin, S. 13-40

Internetquellen in Auswahl (Aufruf am 23.10.2017)


Alemannia Judaica: Alemannia Judaica – Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum: http://www.alemannia-judaica.de.

ISG Ffm: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main (mit Datenbank): http://www.stadtgeschichte-ffm.de sowie http://www.ffmhist.de/.

JM Ffm: Jüdisches Museum und Museum Judengasse Frankfurt am Main (mit der internen biographischen Datenbank der Gedenkstätte Neuer Börneplatz): http://www.juedischesmuseum.de.

MJ Ffm: Museum Judengasse Frankfurt am Main (Infobank): http://www.museumjudengasse.de/de/home/

Theresienstädter Initiative: Institut Terezínské iniciativy: Datenbank der Holocaust-Opfer: http://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/

Rahel Seckbach - Foto

„Geschick, Pflichttreue und große Herzensgüte“ – Rahel (Spiero) Seckbach, Oberin des Gumpertz’schen Siechenhauses

Die Vorgängerin: Oberin Thekla (Mandel) Isaacsohn
Das Hausstandsbuch zum Röderbergweg 62-64 (Hauptstandort des Gumpertz´schen Siechenhauses) ist bislang nicht auffindbar, die Datenlage zu den Pflegekräften und weiteren im Heim Tätigen wie der Krankenschwester Paula Ring und der Hausangestellten Rachel Kaplan entsprechend spärlich. Ergänzende Hinweise enthalten aber die Hausstandsbücher des Krankenhauses der Israelitischen Gemeinde (Gagernstraße) und des jüdischen Schwesternvereins (Bornheimer Landwehr), ebenso die Rechenschaftsberichte (vgl. z.B. Jüdischer Schwesternverein Ffm 1920) sowie Jahresberichte (vgl. Steppe 1997: 330-333) des Schwesternvereins. Solchen archivalischen Quellen verdanken wir die Namen der beiden Gumpertz´schen Oberinnen Thekla Mandel (von 1893/94 bis 1907) und Rahel Spiero (von 1907 bis 1941). Wie andere junge jüdische Frauen aus dem gesamten Kaiserreich reisten sie hochmotiviert in die jüdische Pflegemetropole Frankfurt am Main, um dort eine professionelle Ausbildung mit Zukunft zu erhalten.
Oberin Thekla Mandel (später verheiratete Isaacsohn), die Vorgängerin Rahel Spieros, wurde am 22. Juli 1867 im westfälischen Lippstadt geboren. Als Mitbegründerin des 1893 gegründeten Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main war sie gut bekannt mit Dr. Alfred Günzburg, Chefarzt des Gumpertz´schen Siechenhauses und Mitstreiter für eine professionelle und profilierte jüdische Krankenpflege. Um 1894 baute sie am damaligen Standort des Siechenhauses, Ostendstraße 75, die Pflege auf, schied aber 1907 wegen Heirat aus dem Schwesterndienst aus. Später kehrte sie wieder in den Pflegeberuf zurück, zuletzt als Leiterin eines von Mathilde von Rothschild gestifteten Erholungsheims für israelitische Frauen in Baden-Baden. Thekla Isaacsohn gehörte zu den Opfern der noch als ‚Ausweisung‘ getarnten Deportation der badischen und saarpfälzischen Jüdinnen und Juden am 22. Oktober 1940 (‚Wagner-Bürckel-Aktion‘) in das südfranzösische Lager Gurs, wo die über Siebzigjährige am 3. Mai 1941 umkam.

Herkunft

Kartenansicht Polen mit Wojwodschaft Ermland-Masuren (Geburtsregion von Rahel Seckbach)
Kartenansicht Polen mit Wojwodschaft Ermland-Masuren (Geburtsregion von Rahel Seckbach)
© CC-by-sa 2.0 (Odder, 07.10.2007, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wojewodztwa.svg)

Für Oberin Thekla sandte der Frankfurter jüdische Schwesternverein 1907 eine Nachfolgerin an das Gumpertz´sche Siechenhaus: Rahel Spiero (später verheiratete Seckbach), Anfang Dreißig und eine erfahrene Pflegekraft, hatte sich nach ihrer Ausbildung sieben Jahre lang im Krankenhaus und in der Privatpflege in Frankfurt sowie Hamburg bewährt. Sie stammte aus Ostpreußen (vgl. zur dortigen jüdischen Geschichte Brocke u.a. (Hg.) 2000): Am 23. Oktober 1876 wurde sie in dem Städtchen Prostken (heute Prostki, Polen) an der damals deutsch-russischen Grenze geboren und gehörte dem weitverzweigten Familienverband Spiero (auch: Spiro, Spira, Shapiro, Schapira, offenbar benannt nach der oberrheinischen Stadt Speyer, lateinisch: Spira) mit angesehenen Rabbinern und Gelehrten an. Außer ihrem Bruder Oskar L. Spiero hatte sie noch drei jüngere Schwestern: Minna (Wilhelmine) Spiero (geb. 1878), Rosa (Rosalie) Spiero (geb. 1885), Oberschwester am Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main, und Ida Spiero (geb. 1886), von Beruf Lehrerin. Sie blieben, vermutlich mangels geeigneter jüdischer Ehekandidaten, alle drei ‚ledig‘, und auch Rahel heiratete erst spät. Als einzige trug sie noch einen jüdischen Namen (nach der biblischen Stamm-Mutter Rachel), während die Vornamen ihrer Geschwister bereits die fortschreitende Akkulturation der deutsch-jüdischen Minderheit an die preußisch dominierte Mehrheitsgesellschaft widerspiegeln. Wie andere Oberinnen (etwa Julie Glaser) trug Rahel als Älteste mehrerer Geschwister frühzeitig familiäre Verantwortung und trainierte dabei organisatorische Fähigkeiten, die ihrer pflegerischen Laufbahn zugutekamen.

Oberin am Gumpertz´schen Siechenhaus
Schon ein Jahr nach ihrem Eintritt zeigte sich der Gumpertz´sche Vorstand hochzufrieden: „Die neue Oberin, Schwester Rahel, hat sich nun zu allseitiger Zufriedenheit in ihren neuen großen und verantwortungsvollen Pflichtenkreis eingewöhnt. Wir danken ihr aufrichtigst für die liebevolle Weise, in der sie ihre Obliegenheiten erfüllt“ (GumpSiechenhaus 1909: 5). Im Röderbergweg 62-64 unterstanden ihr die neu errichtete große Villa der Minka von Goldschmidt-Rothschild-Stiftung (Vorderhaus, anfangs 60 Betten) sowie das kleinere ältere Hinterhaus (etwa 20 Betten). Im Ersten Weltkrieg hielt sie zudem den Pflegebetrieb des Gumpertz´schen Lazaretts für verwundete Soldaten im Vorderhaus aufrecht und kooperierte dabei eng mit dem Verwalter Hermann Seckbach. Elf Jahre lang hatten sie am gleichen Arbeitsort Seite an Seite für die Schwächsten der Gesellschaft gewirkt und sich dabei als unentbehrliche Stützen des Pflegeheims erwiesen, bevor sie bei der gemeinsamen Bewältigung der Kriegskrankenpflege ein Paar wurden. Oberin Rahel Spiero war bereits 42 Jahre alt, als sie am 7. März 1919 Hermann Seckbach heiratete – zur großen Freude des gesamten Siechenhauses. Noch im gleichen Jahr kam am 15. Dezember das Töchterchen Ruth Rosalie zur Welt.
Bis zu ihrer Eheschließung war Rahel Seckbach Mitglied des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main, der sie als Oberin an das Gumpertz´sche Siechenhaus entsandt hatte; zwischen Verein und Siechenhaus bestand ein entsprechender Vertrag. Obgleich die Statuten keine diesbezüglichen Regelungen vorsahen, schied sie nach fast 20 Dienstjahren aus dem Verein und folgte dabei offenbar einem ungeschriebenen Gesetz: „Schwester Rahel hat […] 1907 die Oberinstelle am Gumpertz´schen Siechenhaus übernommen. Auf diesem schwierigen Posten an der Spitze eines ausgedehnten Betriebes mit recht schwierigen Aufgaben hat sie in der Leitung der Verwaltung wie der Krankenpflege durch Geschick, Pflichttreue und große Herzensgüte die größte Anerkennung und Wertschätzung bei der Verwaltung, den Ärzten und den Pfleglingen gefunden und sich große Verdienste erworben. Dezember 1918 entschloss sie sich, unseren Verein zu verlassen, um in die Ehe zu treten“ (Jüdischer Schwesternverein Ffm 1920: 60f. [Hervorheb. im Orig.]). Das Siechenhaus forderte beim Schwesternverein denn auch keine Nachfolgerin an, sondern „sah bei der Verheiratung seiner bisherigen Oberin von einer Erneuerung seines Vertrages mit uns ab und nahm diese bei ihm bewährte Kraft als Verwalterin weiter in seine eigenen Dienste“ (ebd. S. 70). In dieser offiziellen Funktion blieb Rahel Seckbach – für verheiratete Krankenschwestern ihrer Zeit eher ungewöhnlich – weiterhin in ihrem Amt: „Die Frau des Verwalters fungierte als Oberin des Spitals bei den Operationen. Sie hat auch jetzt noch den Posten in beiden Häusern inne“ (Cohn-Neßler 1920, S. 174).
Stress und Erschöpfung bei langjährigen Pflegekräften, die Unheilbare und Schwerbehinderte betreuten (vgl. z.B. Lubkin 2002; Schmidt 2015), wurden damals weniger thematisiert als heute. Doch liegt nahe, dass Oberin Rahel, die in die für ihre Frömmigkeit bekannte Familie Seckbach (vgl. Klamroth 2006) einheiratete und selbst in enger Verbindung zum traditionellen osteuropäischen Judentum, „wo noch der Geist der jüdischen Lehre so ganz die Menschen erfüllt“ (Seckbach 1918: 19), aufgewachsen war, ihre Motivation und Energie zu helfen aus den Heilkräften der jüdischen Sozialethik gewann. Bikkur Cholim (Krankenbesuch, Krankenpflege) und Gemilut Chasadim (Mildtätigkeit, Solidarität) waren religiöse Pflicht (Mitzwa), ohne sich selbst dabei zu ‚vergessen‘: „Die Betätigung im Dienste der Nächstenliebe gehört zu den höchsten Idealen des Judentums“ – so der auch als Autor tätige Hermann Seckbach (1918b: 403).

Bewährung in der NS-Zeit
Über drei Jahrzehnte lang gestaltete und meisterte „Schwester Rahel“, wie sie respekt- und liebevoll genannt wurde, als Oberin die Pflege am Hauptstandort Röderbergweg 62-64: zuerst in beiden Häusern, seit den späten 1920er Jahren nach der Vermietung des Vorderhauses an die Stadt Frankfurt im kleineren ‚Hinterhaus‘. Gleich nach der NS-Machtübernahme 1933 bekam sie ‚gestandene‘ Nationalsozialisten als unliebsame Nachbarn, die sich im ‚Vorderhaus‘ einquartierten. Im ‚Hinterhaus‘, jetzt mit Anschrift Danziger Platz 15, kamen später verfolgungsbedingt auch ihre Schwestern Minna und Ida Spiero unter (vgl. ISG Ffm: Hausstandsbücher Gagernstraße 36: Sign. 687 (Teil 2)), die sie bei den durch die NS-Repressalien erschwerten Pflegeaufgaben wahrscheinlich unterstützten.
Rahels Ehemann Hermann Seckbach verlor durch die faktische Auflösung des Gumpertz´schen Siechenhauses seine Lebensstellung als Verwalter; möglicherweise wurde er nach dem Novemberpogrom 1938 – wie viele andere männliche jüdische Leidensgenossen – vorübergehend in einem KZ festgehalten. Am 7. März 1939 flüchtete er nach England. Die Tochter Ruth Seckbach hatte Nazideutschland entweder schon vorher verlassen oder ihren Vater ins Exil begleitet, wo sie später als Lehrerin arbeitete; ihre Erfahrungen als „enemy alien“ (feindlicher Ausländer) in England während des Zweiten Weltkriegs hielt sie schriftlich fest (vgl. http://www.movinghere.org.uk/search/, siehe auch http://www.london-gazette.co.uk/issues/38179/pages/433/page.pdf, Aufrufe am 30.08.2013). Vermutlich sollte Rahel Seckbach ihrer Familie nachfolgen, was widrige Umstände, vor allem der Kriegsbeginn im September 1939, verhinderten.

Passfoto von Oberin Rahel Seckbach, 19.11.1940
Passfoto von Oberin Rahel Seckbach, 19.11.1940
© Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden

Nach der Zwangsräumung des ‚Hinterhauses‘ am 7. April 1941 begleitete sie 46 Gumpertz´sche Bewohner/innen an ihre frühere Wirkungsstätte, das nunmehr letzte Frankfurter jüdische Krankenhaus in der Gagernstraße. Dort leistete sie Hospizpflege, da viele ihrer Betreuten den Strapazen des erzwungenen Ortswechsels erlagen. Rahels Schwester und Kollegin Rosa Spiero, langjährige Oberschwester im Krankenhaus, war am 24. März 1941 gerade noch rechtzeitig nach New York geflohen, wo sie bis ins hohe Alter als Krankenschwester arbeitete.

Todesanzeige, Rahel Seckbach
Todesanzeige, Aufbau 15 (16.09.1949) 37, S. 30
Online-Ausgabe: Digitalisat, Leo Baeck Institute (Library Periodical Coll.)

KZ-Haft und Rettung
Am 18. August 1942 wurde Rahel Seckbach zusammen mit ihren Schwestern Minna und Ida Spiero in das Ghetto und Durchgangslager Theresienstadt deportiert. Im gleichen Transport befanden sich einige ihrer Betreuten wie Siegmund Keller sowie viele weitere Pflegekräfte, Bewohner/innen und Patientinnen/Patienten (vgl. den Artikel zu Karl Falkenstein) aus den zerstörten Frankfurter jüdischen Pflegeinstitutionen. Oberin Rahel war fast zweieinhalb Jahre in Theresienstadt inhaftiert, ihre nie nachlassende Sorge um die Hilfsbedürftigen hielt sie selbst am Leben. 1944 wurde ihre jüngste Schwester Ida Spiero von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert, wo sie mit hoher Wahrscheinlichkeit ermordet wurde.
Rahel Seckbach und ihrer Schwester Minna Spiero wurde unverhofft Rettung zuteil (siehe USHMM Database): Am 5. Februar 1945 entkamen sie mit einem von Himmler aus taktischen Gründen zugelassenen Rettungstransport von Theresienstadt in die Schweiz (St. Gallen) – dem einzigen, da Hitler weitere Transporte persönlich untersagte (hierzu Adler 2012; Flügge 2004). Nachdem Rahel wieder einigermaßen zu Kräften gekommen war, konnte sie nach Kriegsende zusammen mit Minna endlich zu Ehemann und Tochter nach England ausreisen. Sie blieb durch die KZ-Haft geschwächt, doch verlebte das Ehepaar Seckbach im Exil noch vier gemeinsame Jahre. Rahel Seckbach verstarb am 4. September 1949 mit 72 Jahren in Manchester. Ein ehemaliger Mithäftling, Dr. Leopold Neuhaus, der 1946 nach Detroit ausgewanderte erste Rabbiner der Frankfurter jüdischen Nachkriegsgemeinde, veröffentlichte einen bewegenden Nachruf: „Was diese wunderbare Frau als langjährige Leiterin des Jüdischen Siechenheims in Frankfurt am Main. geleistet hat, ist allen Frankfurtern [der jüdischen Gemeinde, B.S.] bekannt. Sie hat die Aermsten der Armen, die hilflosen Siechen, die jahrelang ans Bett gefesselt waren, so betreut, dass sie ein Engel in Menschengestalt genannt werden kann. […] Das ging so weit, dass sie sogar den Unmenschen der Gestapo Hochachtung abgerungen hat. Und als sie trotz alledem das Siechenhaus dieser Gestapo überlassen musste, ging sie mit ihren Kranken ins Konzentrationslager Theresienstadt und hat dort fast 3 Jahre für sie in der selben Hingebung gearbeitet wie früher in besseren Zeiten. Das kleine Zimmer, in der Jägerstraße in Theresienstadt, war von morgens bis abends […] ‚überfüllt‘ von den Menschen, und das Ghetto rühmte ihr Wirken, die Arbeit von ‚Schwester Rahel'“ (Neuhaus 1949).

Birgit Seemann, 2013, aktualisiert 2018

 

Ungedruckte Quellen


ISG Ffm: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main:

Hausstandsbücher Gagernstraße 36: Sign. 686 (Teil 1); Sign. 687 (Teil 2)

Hausstandsbuch Bornheimer Landwehr 85: Sign. 655

Nullkartei

StAFreiburg: Landesarchiv Baden-Württemberg: Abteilung Staatsarchiv Freiburg

Bestand F 196/1 Nr. 5886: Personalakte (Entschädigungsakte) Isaacsohn, Thekla

Ausgewählte Literatur


Adler, H.[ans] G.[ünther] 2012: Theresienstadt. 1941–1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft. Mit e. Nachw. v. Jeremy Adler. 2. Aufl. Reprint d. Ausg. Tübingen 1960, 2. Aufl. Darmstadt.

Brocke, Michael [u.a.] (Hg.) 2000: Zur Geschichte und Kultur der Juden in Ost- und Westpreußen. Hildesheim [u.a.].

Cohn-Neßler, Fanny 1920: Das Frankfurter Siechenhaus. Die Minka-von-Goldschmidt-Rothschild-Stiftung. In: Allgemeine Zeitung des Judentums 1920, H. 16 (16.04.1920), S. 174-175. Digitale Ausg.: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaica/ (Compact Memory)

Flügge, Manfred 2004: Rettung ohne Retter oder: ein Zug aus Theresienstadt. München.

GumpSiechenhaus 1909: Sechzehnter Rechenschaftsbericht des Vereins „Gumpertz`sches Siechenhaus“ in Frankfurt a.M. für das Jahr 1908. Frankfurt/M.: Slobotzky.

GumpSiechenhaus 1913ff.: Rechenschaftsbericht des Vereins „Gumpertz`sches Siechenhaus“ und der „Minka von Goldschmidt-Rothschild-Stiftung“. Frankfurt/M.: Slobotzky, 1913ff. Online-Ausg.: Frankfurt/M.: Univ.-Bibliothek Frankfurt/M., 2011: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hebis:30:1-306391.

Jüdischer Schwesternverein Ffm 1920: Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt a.M.: Rechenschaftsbericht 1913 bis 1919. Frankfurt/M.

Kingreen, Monica (Hg.) 1999: „Nach der Kristallnacht“. Jüdisches Leben und antijüdische Politik in Frankfurt am Main 1938-1945 Frankfurt/M., New York., S. 119-155.

Klamroth, Sabine 2006: Die Mayers – die Halberstadts – die Bachs – die Seckbachs. In: dies.: „Erst wenn der Mond bei Seckbachs steht“. Juden im alten Halberstadt. Halle, S. 122-133.

Lubkin, Ilene Morof 2002: Chronisch Kranksein. Implikationen und Interventionen für Pflege- und Gesundheitsberufe. Unter Mitarb. v. Pamala D. Larsen. Aus d. Amerikan. v. Silvia Mecke. Bearb. v. Rudolf Müller. Dt.-sprach. Ausg. hg. v. Regina Lorenz-Krause u. Hanne Niemann. Bern [u.a.].

Neuhaus, Leopold 1949: [Nachruf auf Rahel Seckbach]. In: Aufbau 15 (23.09.1949) 38, S. 41 [siehe auch Todesanzeige in: Aufbau 15 (16.09.1949) 37, S. 30].

Schmidt, Brinja 2015: Burnout in der Pflege. Risikofaktoren – Hintergründe – Selbsteinschätzung. 2., erw. u. überarb. Aufl. Stuttgart.

Seckbach, Hermann 1918: Das Glück im Hause des Leids. Skizzen aus einem Krankenhaus und Lazarett in der Kriegszeit. Frankfurt/M. = Kriegsschrift der Agudas Jisroel Jugendorganisation; 4.

Seemann, Birgit 2014: „Glück im Hause des Leids“. Jüdische Pflegegeschichte am Beispiel des Gumpertz’schen Siechenhauses (1888-1941) in Frankfurt/Main. In: Geschichte der Pflege. Das Journal für historische Forschung der Pflege- und Gesundheitsberufe 3 (2014) 2, S. 38-50

Seemann, Birgit 2017: Judentum und Pflege: Zur Sozialgeschichte des orthodox-jüdischen Gumpertz’schen Siechenhauses in Frankfurt am Main (1888–1941). In: Nolte, Karin/ Vanja, Christina/ Bruns, Florian/ Dross, Fritz (Hg.): Geschichte der Pflege im Krankenhaus. Historia Hospitalium. Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Krankenhausgeschichte, Band 30. Berlin, S. 13-40

Seemann, Birgit 2018: Seckbach (geborene Spiero), Rahel Sara (1876–1949). In: Kolling, Hubert (Hg.): Biographisches Lexikon zur Pflegegeschichte. Band 8. Nidda, S. 258- 262

Steppe, Hilde 1997: „… den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre …“. Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Frankfurt/M.

Internetquellen in Auswahl (Aufruf am 23.10.2017)


JM Ffm: Jüdisches Museum und Museum Judengasse Frankfurt am Main (mit der internen biographischen Datenbank der Gedenkstätte Neuer Börneplatz): http://www.juedischesmuseum.de.

Theresienstädter Initiative: Institut Terezínské iniciativy: Datenbank der Holocaust-Opfer: http://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/

USHMM Database: United States Holocaust Memorial Museum: Holocaust Survivors and Victims Database: https://www.ushmm.org/remember/the-holocaust-survivors-and-victims-resource-center