In der Seminarreihe Pflege in Verantwortung der Katholischen Erwachsenenbildung stellt Dr. Birgit Seemann am Dienstag, 19. September 2023, um 19.00 Uhr, die jüdische Pflegegeschichte vor. Ein Fokus liegt auf der bislang kaum erforschten jüdisch-christlichen Teamarbeit in jüdischen Krankenhäusern. Interessierte sind herzlich in das Kolpinghaus Limburg (Kolpingstraße 9) eingeladen.
Birgit Seemann
In „allen Stadien der Schutzbedürftigkeit“: Institutionen
der jüdischen Kinder- und Säuglingspflege in
Frankfurt am Main – ein historischer Überblick
Einführung
Dank der Förderung durch die Georg und Franziska Speyer‘schen Hochschulstiftung widmet
sich das Projekt Jüdische Pflegegeschichte neben der Krankenpflege sowie ergänzend der
Altenpflege und Altenhilfe einem dritten Baustein: der Kinderpflege. Das Forschungs- und
Lernmodul trägt den Titel Jüdische Kinder- und Säuglingspflege und ihre Netzwerke in
Frankfurt am Main, Teil 1 (1871–1918): Institutionen, Biografien, Themen und Medien; der
Fokus liegt weiterhin auf der Krankenpflege.

Insgesamt ist die Geschichte der Frankfurter Kinder- und Säuglingspflege inklusive ihres
jüdischen Anteils wenig aufgearbeitet (vgl. in Ansätzen Thomann-Honscha 1988; Steppe
1997; Seemann 2018). Wer sich auf diesen Forschungspfad begibt, ,entdeckt‘ ein
professionelles und ehrenamtliches Netzwerk aus Persönlichkeiten, Institutionen und Orten
(,Jewish Places‘, hierzu Seemann/ Bönisch 2019) der Frankfurter Stadtgeschichte im
gemeinsamen Einsatz für medizinische Behandlung, Krankenpflege, Rehabilitation und
Fürsorge – ein „in allen Stadien der Schutzbedürftigkeit“ (Pappenheim 1920) Engagement,
das viele Kinderleben rettete. Noch für das Jahr 1911 hatte der Frankfurter Verband für
Säuglingsfürsorge in seinem ersten Bericht alarmierende Zahlen vorgelegt (FVfS 1911: 1):
Mehr wie [sic!] 400.000 Säuglinge sterben in ihrem ersten Lebensjahre in unserem
Vaterlande. 1.600 in Frankfurt a.M.! Darunter Hunderte gesunder Kinder, die ärztliche
Aufsicht und geeignete Fürsorge hätten am Leben erhalten können. Mangelhafte
Pflege legt den Keim zu langjährigem Siechtum in so manches Kind, dessen späteres
trauriges Dasein eine Folge von Verhältnissen ist, die zum großen Teil durch
frühzeitige ärztliche Beratung und soziale Fürsorge auszugleichen gewesen wären.
Integraler Bestandteil des Netzwerkes war eine eine erprobte interkonfessionelle
Zusammenarbeit, welche – wenngleich nicht frei von Antisemitismus, „der uns bei angeblich
interkonfessionellen Fürsorgestellen unsicher, scheu und empfindlich macht“ (Pappenheim
1920: 3) – auf erfolgreichen jüdisch-christlichen Gründungen und Arbeitsteams basierte, in
die der Nationalsozialismus zerstörerisch eingriff. Der NS-Staat setzte alles daran, den
überproportional hohen jüdischen Anteil an der Frankfurter Kinder- und Säuglingspflege
auszumerzen. Kein Name, keine Straße sollte mehr an die Verdienste jüdischer
Sozialreformer/innen, Stifter/innen, Mediziner/innen und Krankenschwestern erinnern.
Kinderkliniken, Säuglingsheime und Kureinrichtungen
Die Gründerinnen und Gründer privater Frankfurter Einrichtungen der Kinder- und
Säuglingspflege des 19. Jahrhunderts waren in der Regel religiös motiviert; in Zeiten
mangelnder sozialer Sicherungssysteme setzten sie ihre Vorstellungen von Nächstenliebe,
Barmherzigkeit und Zedaka (soziale Gerechtigkeit durch Wohltätigkeit) in die Tat um. Mit
Sorge registrierten sie die nicht zuletzt durch beengte und unhygienische Wohnverhältnisse
verursachte erhöhte Kinder- und Säuglingssterblichkeit, hinzu kamen ansteckende
Krankheiten wie Scharlach, Diphtherie oder offene Lungentuberkulose, Heranwachsende
trugen teils bleibende Gesundheitsschäden davon. Die 1883 unter Reichskanzler Bismarck
eingeführte staatliche Krankenversicherung galt zunächst der organisierten Arbeiterschaft
(vgl. einführend Draheim 2014:
https://www.dhm.de/lemo/kapitel/kaiserreich/innenpolitik/sozialgesetzgebung.html
[28.03.2022]); Erwerbslose, Berufsunfähige und kleine Selbständige blieben mit ihren
Familien weitgehend auf sich gestellt. Diese Bevölkerungsgruppe vergrößerte sich seit den
1880er Jahren durch die Ankunft jüdischer Flüchtlinge, die den zaristischen Pogromen
entkommen waren und völlig verarmt in Frankfurt am Main und im benachbarten Offenbach
eintrafen.
Der folgende Überblick lässt drei religiös-soziale Grundhaltungen privat gegründeter
Frankfurter Einrichtungen der Kinder- und Säuglingspflege mit jüdischer Beteiligung
erkennen:
- Institutionen der reformorientierten Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main (Muttergemeinde);
- Institutionen der Israelitischen Religionsgesellschaft (,Adass Jisroel‘, neo-orthodoxe Austrittsgemeinde);
- Institutionen als jüdisch-christliche ,partnerships‘ (einschließlich jüdisch geborener, zum Christentum konvertierter Gründer/innen).
Beginnen wir mit dem von der Israelitischen Gemeinde aus privaten Mitteln errichteten, 1875
offiziell eröffneten Gemeindehospital in der Königswarterstraße (als ,Königswarter Hospital‘
bekannt). Leitender Arzt der Inneren Abteilung war der Chirurg Dr. med. Simon Kirchheim
(1843–1915), zugleich ein ausgewiesener Geburtshelfer. Bedürftige wurden unentgeltlich
versorgt. Am Beispiel des Königswarter Hospitals führt uns Sanitätsrat Prof. Dr. med.
Wilhelm Hanauer (1866–1940, vgl. Elsner 2017), selbst Kinderarzt, vor Augen, dass Kinder
in früheren Zeiten wie Erwachsene behandelt wurden. Hier galt es Abhilfe zu schaffen:
„Während bisher die Kinder in denselben Krankensälen wie die Erwachsenen lagen,
wurde 1899 im zweiten Stock des Hauses eine kleine Kinderabteilung, bestehend aus
drei Krankenzimmern und einem Tageraum, ferner eine besondere Abteilung für
ansteckende Krankheiten (Scharlach, Diphtherie) eingerichtet. Der Raum hierfür
wurde dadurch gewonnen, dass man die Verwalterwohnung in das Nebengebäude
verlegte“ (Hanauer 1914: 45).
Noch vor dem Ersten Weltkrieg eröffnete die Israelitische Gemeinde dank des hohen
Spendenaufkommens aus der Frankfurter jüdischen Bevölkerung 1914 ihre neue und
hochmoderne Großklinik in der Gagernstraße 36 mit anfangs 200 Betten. Dort suchten und
fanden bis zur NS-Machtübernahme 1933 auch viele nichtjüdische Erkrankte Heilung (vgl.
Bönisch 2014; siehe auch Seemann 2020). Bei der Vorplanung hatte der Gründungsvorstand
bereits 1906 beschlossen,
„anlässlich der silbernen Hochzeit des Kaiserpaares ein Kapital von 100.000 Mk. als
Grundstock zur Errichtung einer bis dahin fehlenden gynäkologischen Abteilung und
Entbindungsanstalt in dem zu erbauenden Hospital aus Gemeindemitteln zu stiften“
(Hanauer 1914: 56).
Vermutlich im ersten Obergeschoss verfügte der Klinikneubau über
„Kindersaal und Säuglingszimmer, welchen eine Loggia vorgelagert ist. Im Kindersaal
werden ansteckungsverdächtige kleine Patienten zunächst in einer Box isoliert. Die
Säuglinge können durch Glaswände voneinander getrennt werden“ (ebd.: 63).
Wie zuvor im Königswarter Hospital leitete Minna Hirsch (1860–1938) als Oberin des
Krankenhauses Gagernstraße und des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen Frankfurt am
Main weiterhin den umfangreichen Pflegebetrieb, in dem auch einige christliche Schwestern
arbeiteten (vgl. Bönisch 2021; Seemann 2021). Oberin Hirsch genoss als eine der allerersten
ausgebildeten jüdischen Schwestern im Kaiserreich und Mitbegründerin des Frankfurter
jüdischen Schwesternvereins einen ausgezeichneten Ruf. Der Verein erhielt nahe des
Krankenhauses Gagernstraße 36 im der Straße Bornheimer Landwehr 85 ein eigenes
modernes Schwesternhaus (hierzu Bönisch 2015a). Den Vorsitz des Schwesternvereins führte
der als Diabetesforscher renommierte Prof. Dr. med. Simon Isaac (1881–1942), langjähriger
Chefarzt der Abteilung der Inneren Medizin und ärztlicher Direktor der Klinik. Unter
Anleitung von Oberin Hirsch richtete das Krankenhaus eine Säuglingsberatung für jüdische
wie nichtjüdische Mütter ein.
Während das Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde liberal ausgerichtet war, gehörte das
Mathilde von Rothschild‘sche Kinderhospital (1886–1941) – bekannt als das ,Rothschild‘sche
Kinderhospital‘ – zu den Wohlfahrts- und Pflegeinstitutionen der neo-orthodoxen
Austrittsgemeinde ,Israelitische Religionsgesellschaft‘ im Frankfurter Röderbergweg (vgl.
Seemann 2016; dies./ Bönisch 2019; siehe auch Heuberger/ Krohn 1988; Schiebler 1994: 165-
166). Dort fanden bedürftige jüdische Kinder im Alter von vier bis zwölf Jahren
unentgeltliche medizinische Behandlung und Pflege. Über die von Mathilde von Rothschild
(1832–1924) zum Andenken an ihre jung verstorbene Tochter Georgine Sara (1851–1869)
gestiftete Klinik informiert ein eigener Beitrag.
An dieser Stelle sei auch an weitere private Initiativen aus dem Frankfurter Judentum erinnert
und beispielhaft die bereits 1866 von Mitgliedern der liberalen Israelitischen Gemeinde
gegründete „Stiftung für gebrechliche oder verwahrloste bedürftige israelitische Kinder“
(Hanauer 1914: 52 [Hervorhebungen im Original gesperrt]) genannt; sie kam u.a. für
medizinische Behandlungskosten auf. Eine weitere Initiative, die 1899 errichtete Achille
Alexandre‘sche Bikkur Cholim-Stiftung (Bikkur Cholim = Krankenbesuch / Krankenpflege,
vgl. Seemann 2017), „unterstützte kranke israelitische Kinder bis zum 13. Lebensjahr mit
Medikamenten und Barmitteln“ (Schiebler 1994: 158). Diesem Projekt stand 1917 mit dem
Bankier Lyon Seeligmann (1866–1948) ein langjähriger Bruder der Frankfurt-Loge des
Deutschen Ordens B’nai B’rith vor: Der bis heute in zahlreichen Ländern vertretene B’nai
B’rith (hebräisch: Söhne des Bundes [mit Gott]) gehört zu den ältesten jüdischen Wohlfahrts-,
Bildungs- und Menschenrechtsorganisationen. Bis zu seiner NS-Zerschlagung im Jahr 1937
bestand auch in Deutschland ein großer Distrikt (Unabhängiger Orden Bne Briss), langjährig
geleitet von dem bekannten Rabbiner Dr. Leo Baeck (1873–1956) als gewähltem
Großpräsidenten, mit über 100 Einzellogen. In Frankfurt am Main wirkten neben der bereits
1888 gegründeten Frankfurt-Loge die Hermann Cohen-Loge (gegr. 1919) und die Marcus
Horovitz-Loge (gegr. 1922) (vgl. Gut 1928); allen drei Logen waren sozial überaus engagierte
und mit der Frankfurter und deutschen Frauenbewegung gut vernetzte Schwesternschaften
angeschlossen. Der Frankfurter B’nai B’rith findet hier besondere Erwähnung, da er als
Vereinigung sowie durch einzelne Logenangehörige an nahezu allen Frankfurter jüdischen
Sozial- und Pflegeprojekten beteiligt war; des Weiteren hatte er die Professionalisierung der
jüdischen Krankenpflege vorangetrieben (vgl. Steppe 1997). Sowohl der oben erwähnte Prof.
Dr. med. Simon Isaac (Krankenhaus Gagernstraße) als auch Sanitätsrat Prof. Dr. med. Paul
Grosser (1880–1934, leitender Arzt der Kinderklinik Böttgerstraße mit Säuglingsheim, danach
Direktor des Clementine Kinderhospitals) waren beide Brüder des jüdischen Ordens. Michael
Moses Mainz (1842–1927), welcher als Finanzberater Mathilde von Rothschilds (kein
Logenmitglied) maßgeblich den Aufbau ihres beeindruckenden Zedaka-Netzwerks
organisierte, war Mitbegründer der Frankfurt-Loge – und Schwiegervater des oben genannten
Lyon Seeligmann. Von den in verschiedenen Kurorten angesiedelten Projekten sei hier
exemplarisch die von der Frankfurt-Loge initiierte und durch Mathilde von Rothschild
finanzierte Israelitische Kinderheilstätte in Bad Nauheim erwähnt (vgl. Bönisch 2015b; siehe
auch Gut 1928: 40; Schiebler 1994: 162). Das Kurheim diente der Rehabilitation bedürftiger
jüdischer Kinder und wurde von Frankfurt aus verwaltet; der Mitbegründer und Berater
Michael Moses Mainz war auch im Vorstand vertreten. Ein Logenpaar des Frankfurter B’nai
B’rith – Raphael (1852–1909) und Jeanette Ettlinger (um 1856 – 1919) – gründete 1910 in
Hofheim am Taunus das Raphael und Jeanette Ettlinger-Heim e.V. für erholungsbedürftige
jüdische Kinder (vgl. Hanauer 1914: 54; Gut 1928: 41; Schiebler 1994: 160); nur zwei Jahre
versorgte die Institution 83 Mädchen und 41 Jungen. Hierüber informiert uns einmal mehr
Sanitätsrat Prof. Dr. med. Wilhelm Hanauer – ein weiteren Bruder des Frankfurter B’nai
B’rith.
Als in jüdisch-christlicher Zusammenarbeit gediehene Institutionen sind das Clementine
Kinderhospital (vgl. Schiebler 1994: 159-160; Hövels u.a. 1995; Reschke 2012) und
das ,Böttgerheim‘ (Kinderklinik mit Säuglingsheim und Pflegeschule in der Böttgerstraße,
vgl. Gans/ Groening 2008) hervorzuheben; beide Einrichtungen werden wie das orthodox-jüdische
Rothschild‘sche Kinderhospital in Einzelbeiträgen vorgestellt. Das Böttgerheim,
errichtet durch das jüdisch geborene und evangelisch getaufte Ehepaar Auguste (1839–1909)
und Fritz Gans (1833–1920), hatte auch jüdische Unterstützer wie etwa den Frankfurter Notar
Dr. jur. Eduard Baerwald (1875–1934 (vgl. Schiebler 1994:158 sowie Eintrag bei Rotary und
NS: https://memorial-rotary.de/members/19 [28.03.2022]). Dass Louise von Rothschild
(1820–1894), Mitbegründerin des nach ihrer jung verstorbenen Tochter benannten Clementine
Kinderhospitals, die Schwägerin Mathilde von Rothschilds war, verweist einmal mehr auf
jüdische Familiennetze beim Aufbau Frankfurter Institutionen der Kinder- und
Säuglingspflege. Erwähnt sei in diesem Kontext auch das Angebot unentgeltlicher Zahn- und
Kieferbehandlung für bedürftige Kinder und Jugendliche durch die dazumal moderne
Heilanstalt (später Zahnklinik) Carolinum – 1890 gegründet von Louises Tochter und
Mathildes Nichte Hannah-Louise von Rothschild (1850–1892) und benannt nach Hannah-
Louises verstorbenem Vater Mayer Carl Freiherr von Rothschild (1820–1886) (vgl.
Windecker 1990 sowie einführend Carolinum Ffm 2021; siehe auch: Carolinum
Zahnärztliches Universitäts-Institut GGmbH: Poliklinik für Kieferorthopädie. Kinder und
Jugendliche: https://www.kgu.de/einrichtungen/kliniken/carolinum-zahnaerztlichesuniversitaets-
institut-ggmbh/poliklinik-fuer-kieferorthopaedie/leistungsspektrum/kinder-undjugendliche
[28.03.2022]). Das Carolinum stand ebenfalls allen Konfessionen offen. Im
Vorstand von Clementine Kinderhospital und Carolinum wirkten Mitglieder der angesehenen
calvinistisch-christlich geprägten Frankfurter Familie de Bary. Anders als die jüdischen
Krankenhäuser konnten alle drei Kliniken trotz nationalsozialistischer Repressionen und
Gebäudeverlusten durch alliierte Luftangriffe in der Bundesrepublik als Institutionen
fortbestehen.
Vereine und Verbände: Weibliche Fürsorge e.V. und Frankfurter Verband für
Säuglingsfürsorge

(vordere Reihe, zweite von rechts) sowie vermutlich Oberin Minna Hirsch (hintere Reihe, zweite von
links), 1904 – Herkunft: Center for Jewish History / Leo Baeck Institute F 3240, Nachweis:
Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Outdoor_group_portrait_of_the_women_on_the_first_board
of_the_Weibliche_Fuersorge(Care_for_Women_Society);Frankfurt_am_Main(3507968224).jpg?
uselang=de sowie https://www.flickr.com/commons [28.03.2022]
Im Jahr 1901 errichteten die Frankfurter jüdischen Sozialreformerinnen, Frauenrechtlerinnen
und Autorinnen Bertha Pappenheim (1859–1936, vgl. Gedenkbuch JB Neu-Isenburg:
https://gedenkbuch.neu-isenburg.de/bertha-pappenheim [28.03.2022]) und Henriette Fürth
(1861–1938, vgl. Fürth o.J. [28.03.2022]) einen israelitischen Frauenverein „zur Förderung
der gemeinnützigen Bestrebungen für die Gesamtinteressen der jüdischen Frauenwelt“ (zit. n.
Schiebler 1994: 193; siehe auch Kaplan 1918; Klausmann 1997): den Verein Weibliche
Fürsorge e.V. mit Geschäftsstelle in der Langestraße 30. Dritte ,im Bunde‘ der Initiatorinnen
war sehr wahrscheinlich die bereits als Oberin des Krankenhauses Gagernstraße und
Frankfurter jüdischen Schwesternvereins vorgestellte Krankenschwester Minna Hirsch
(Jahrgang 1860 und damit aus der gleichen Generation stammend). Die Weibliche Fürsorge
gehörte zu den Abteilungen des Israelitischen Hilfsvereins. Im Rahmen ihres umfangreichen
sozialen Programms (vgl. Weibliche Fürsorge 1905; Pappenheim 1920) errichtete sie auch
Kommissionen für Säuglingsfürsorge und Kinderschutz. 1911 eröffnete sie im Frankfurter
Stadtteil Sachsenhausen ein eigenes jüdisches Kinderheim (Hauptstandort: Hans-Thoma-
Straße, vgl. Mahnkopp 2020; siehe auch Schiebler 1994: 163-165; Seemann 2018). Zuvor
hatte die Weibliche Fürsorge bereits 1907 das Fundament zur Gründung des Heims des
Jüdischen Frauenbundes in Neu-Isenburg gelegt. Diese dank intensiver Erinnerungsarbeit
wieder bekannt gewordene Institution bot sozial benachteiligten minderjährigen Müttern und
ihren nichtehelichen Kindern Zuflucht, Ausbildung und orthodox-jüdische Anleitung (vgl.
Heubach 1986; Gedenkbuch JB Neu-Isenburg mit Literaturangaben).

Isenburg – Fotograf: Frank Murmann, 31.05.2008,
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Haus_Neu-Isenburg.jpg [28.03.2022]
Um 1903 arbeitete die Säuglingskommission der Weiblichen Fürsorge unter Oberin Minna
Hirschs Vorsitz „mit 9 Damen und beaufsichtigte 40 Kinder (darunter 3 uneheliche), die
größtenteils aus der Freiherrlich von Rothschild‘schen Stiftung mit Milch versorgt wurden“;
auch gab es das zusätzliche Angebot einer „Wägung der Kinder“ im Königswarter Hospital,
das „sehr befriedigende Resultate“ zeigte (Weibliche Fürsorge 1905: 3). Noch im alten
Schwesternhaus des Frankfurter Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen am Königswarter
Hospital hatte die Weibliche Fürsorge 1907 unter Oberin Hirschs Leitung eine Säuglings-
Milchküche für Frankfurter Mütter und ihre Neugeborenen eingerichtet: „Zweck: a)
Verabreichung trinkfertiger Säuglingsnahrung nach ärztlicher Verordnung in solchen Fällen,
in denen nach ärztlicher Aussage nicht gestillt werden kann; b) Unterstützung Stillender“,
hieß es in der Satzung (zit. n. Schiebler 1994: 166). Diese „sozialfürsorgerische Initiative“
sollte „vor allem die Säuglinge armer Mütter aller Konfessionen mit gesunder und hygienisch
hergestellter Kleinkindnahrung“ versorgen“ (Steppe 1997: 209) – eine notwendige
Maßnahme, die Leben rettete und schützte: So waren im Zeitraum 1891–1900 von 100 in
Frankfurt am Main geborenen Säuglingen 16 Prozent bereits im ersten Lebensjahr verstorben
(vgl. Thomann-Honscha 1988: 83). Zum tragischen Säuglingssterben führten häufig
Krankheiten der Verdauungsorgane aufgrund armutsbedingter Mangel- und Fehlernährung,
gefolgt von Tuberkulose und Atemwegserkrankungen. Geleitet von der bewährten
Krankenschwester Johanna Beermann (1863–1942), zog die Säuglings-Milchküche in das im
Mai 1914 eingeweihte neue Schwesternhaus Bornheimer Landwehr 85 am Klinikneubau
Gagernstraße. Im Ersten Weltkrieg arbeitete die Milchküche unter erschwerten
Personalbedingungen. Wie Hilde Steppe (1997: 218) betont, wurden vom Verein für jüdische
Krankenpflegerinnen trotz des hohen Einsatzes in Lazarett und Etappe
„vor allem die Tätigkeitsfelder in sozialfürsorgerischen Bereichen in Frankfurt die
ganze Kriegszeit hindurch aufrecht erhalten, wie die in der Säuglingsmilchküche, im
Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge und im Kinderhaus der Weiblichen
Fürsorge“.
Im Kriegsjahr 1917 bildeten neben Schatzmeisterin Bertha Pappenheim der Vorsitzende
Sanitätsrat Dr. med. Adolf Deutsch (1868–1942) – praktischer Arzt, Leiter der Poliklinik des
Krankenhauses Gagernstraße, stellvertretender Vorsitzender des jüdischen Schwesternvereins
und ein Bruder des Frankfurter B’nai B’rith (Hermann Cohen-Loge) – sowie Max Wertheimer
(Lebensdaten unbekannt) den Vorstand der Säuglings-Milchküche. Bereits im Jahr 1902 hatte
der Verein für jüdische Krankenpflegerinnen seiner Armenschwester Rosa Goldstein (1874–
1942, später verheiratete Fleischer) die Leitung der Kostkinderkommission übertragen – ein
weiteres Projekt der Weiblichen Fürsorge:
„Hier werden Kinder ab einem Alter von etwa zwei Jahren, die entweder Waisen sind
oder in ihren Familien zu verwahrlosen drohen, in Pflegefamilien in und um Frankfurt
vermittelt und regelmäßig besucht“ (vgl. Steppe 1997; siehe auch Fürth 1898;
Thomann-Honscha 1988).
Wie die Säuglingskommission arbeitete auch die Kostkinderkommission mit neun
ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen.
Das Kinderhaus der Weiblichen Fürsorge leitete mit Oberin Frieda (Frida) Amram (1885–
1942, vgl. Seemann 2018) eine weitere Schwester aus dem Verein für jüdische
Krankenpflegerinnen. Durch den Erwerb des 1919 eröffneten Hauses Hans-Thoma-Straße 24
konnte die Institution 50 Kindern vom Säuglingsalter bis zum sechsten Lebensjahr eine
Zuflucht bieten:
„Zweck des Kinderhauses war es, bedürftigen isrealitischen [sic!] Kindern
unentgeltlich oder gegen mäßiges Entgelt Obhut, Verpflegung und Unterweisung zu
gewähren. Aufgenommen wurden Waisenkinder, Kinder[,] die durch missliche
Wohnungsverhältnisse nicht im Elternhause bleiben konnten, uneheliche Kinder und
solche, die keinen Menschen hatten, der sich ihrer annahm“ (Schiebler 1994: 163).
Neben einem geregelten Alltagsablauf legte das Kinderhaus ganz im Sinne von Bertha
Pappenheim großen Wert auf eine jüdische Erziehung, Bildung und Gemeinschaft und bot
zudem einen Schutzraum gegen Antisemitismus. Die Geschichte des 1942 unter dem
Nationalsozialismus vernichteten Kinderhauses hat inzwischen Pfarrer Volker Mahnkopp mit
Unterstützung überlebender Bewohner/innen und ihrer Angehörigen umfassend erforscht (vgl.
Mahnkopp 2020; Frankfurter Kinderhaus). Dank dieses Engagements wurde am 26. April
2017 am Platz der vergessenen Kinder ein eigens entworfenes Mahnmal feierlich eingeweiht.
Eine Gedenktafel informiert die Besucherinnen und Besucher:
Die Skulptur ist angelehnt an die Form eines Dreidels. Das Spiel mit dem Dreidel ist
ein traditionsreiches Kinderspiel zum achttägigen Lichterfest Chanukka. Der Dreidel
ist ein kleiner Kreis mit vier Seiten, auf denen im Original jeweils ein hebräischer
Buchstabe zu sehen ist.“

dem ,Platz der vergessenen Kinder‘, Hans-Thoma-Straße (Künstlerin: Filippa Pettersson) – © 2018 Dr. Edgar Bönisch
Der jüdische Frauenverein Weibliche Fürsorge e.V. und der Verein für jüdische
Krankenpflegerinnen arbeiteten intensiv mit einer weiteren, für andere Städte wegweisenden
Institution zusammen: dem Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge, der über seine
vielfältigen Aktivitäten eigene Jahresberichte vorlegte (vgl. UB JCS Ffm: FVfS 1911–1921).

Säuglingsfürsorge E.V., 1913 – Foto nach Kopievorlage: Dr. Birgit Seemann, 28.03.2022
Der von der Weiblichen Fürsorge neu gegründete ,Ausschuß für Säuglingsfürsorge‘, dem der
Verein für jüdische Krankenpflegerinnen im Herbst 1910 eine Schwester „kostenlos zur
Verfügung“ (Steppe 1997: 210) stellte, gehörte zu den Vorläufern des Frankfurter Verbands
für Säuglingsfürsorge. Der Verband erreichte durch sein vorbildhaftes Wirken später auch
überregional Bekanntheit (vgl. Rosenhaupt 1912; Thomann-Honscha 1988). Entstanden war
er am 8. Dezember 1910 als überkonfessioneller Zusammenschluss vieler engagierter
Einzelpersonen und Einrichtungen, verdankte aber seine Errichtung letztlich einigen
jüdischen Mitgliedern des Frankfurter Ärztlichen Vereins. Hier sei vor allem der Kinderarzt
Dr. med. Heinrich Rosenhaupt (1877–1944, vgl. Frost 1995 sowie Kallmorgen 1936: 388;
DGKJ Datenbank) gewürdigt, in Kooperation mit seinen bereits erwähnten Kollegen Dr. med.
Adolf Deutsch und Sanitätsrat Prof. Dr. Wilhelm Hanauer. Zwei der drei weiblichen Kollegen
in den am 1. Januar 1911 eröffneten neun Beratungsstellen des Verbands – namentlich Dr.
med. Käthe Neumark (1871–1939, vgl. JüdPflege), vor ihrem Medizinstudium
Krankenschwester des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins, und Dr. med. Paula
Philippson (1874–1949, vgl. DGJK Datenbank sowie Eintrag mit Foto bei Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Paula_Philippson [28.03.2022] – waren jüdisch, die dritte, Dr.
Käthe Kehr (1874–1926, vgl. Datenbank ,Ärztinnen im Kaiserreich‘), evangelisch. Um auch
Müttern und ihren Säuglingen zu helfen, die das Beratungsangebot nicht erreichte, setzte der
Verband in den Frankfurter Stadt- und Armenbezirken jüdische, katholische und evangelische
Krankenschwestern ein. Dabei stellte der im Vergleich zu den anderen größeren
konfessionellen Schwesternvereinigungen weitaus geringer ausgestattete Verein für jüdische
Krankenpflegerinnen bereits im ersten Berichtsjahr drei Schwestern zur Verfügung, der Verein
vom Roten Kreuz sowie der Vaterländische Frauenverein jeweils zwei Schwestern (vgl.
Jahresbericht FVfS 1911: 6; siehe zu den Biografien der jüdischen Pflegenden Seemann
2018). Dank der Beratungs- und Rettungsarbeit des Frankfurter Verbands für
Säuglingsfürsorge sank der statistische Anteil der in ihren ersten Lebenswochen verstorbenen
Säuglinge (von 100 in Frankfurt am Main Geborenen) im Zeitraum 1911–1914 von 14,5
Prozent (1901–1910) auf 10,6 Prozent, im Jahr 1923, nach einem traurigen Wiederanstieg
infolge des Ersten Weltkriegs, erstmals unter 10 Prozent (vgl. Thomann-Honscha 1988: 83).
Seit 1922 koordinierte das Stadtgesundheitsamt Frankfurts offene Säuglingsfürsorge, der
Verband für Säuglingsfürsorge erhielt den Status als „ausführendes Organ der Stadt“ (zit. n.
Steppe 1997: 259). 1925 übernahm die Stadt Frankfurt den Verband (vgl. Thomann-Honscha
1988: 127); dessen zuletzt 15 Beratungsstellen (vgl. Daub 2015: 78) gehörten fortan zum
Aufgabengebiet des Stadtgesundheitsamtes.
In die Arbeit der so verdienstvollen Vereinigungen ,Weibliche Fürsorge e.V.‘ und ,Frankfurter
Verband für Säuglingsfürsorge‘ und ihre Leistungen für die Frankfurter Stadtgesellschaft kann
hier nur ein kleiner Einblick gegeben werden. Beide Institutionen – ein Netzwerk von
Ärztinnen und Ärzten, Pflegenden, Wissenschaftlern und Förderinnen – verdienen eigene
Studien und biografische Erinnerungsarbeit.
Birgit Seemann, April 2023
Quellen- und Literaturverzeichnis
Unveröffentlichte Quellen
ISG Ffm: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main
– HB 655: Hausstandsbuch Bornheimer Landwehr 85 (Frankfurt Jüdisches Schwesternhaus),
Sign. 655
– HB 686: Hausstandsbuch Gagernstraße 36 (Frankfurter Jüdisches Krankenhaus), Teil 1,
Sign. 686
– Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge, Sign. S3 / P6056
– Sammlung Personengeschichte S2/ 15.495: Rosenhaupt, Heinrich
– Wohlfahrtsamt: Magistrat, Jugend-Amt Frankfurt am Main, Sign. 1.134: Ausbildung von
Lehrschwestern [im Kinderheim Böttgerstraße, Laufzeit 1921–1928]
– Thomann-Honscha, Cornelia 1988: Die Entstehung der Säuglingsfürsorge in Frankfurt am
Main bis zum Jahre 1914, Diss. med. Univ. Frankfurt a.M. (gedr. Ms.), Sign. S 6a/411
Periodika
Frankfurt UAS Bibl. Ffm: Frankfurt University: Bibliothek: Historische Sondersammlung
Soziale Arbeit und Pflege, Frankfurt a.M.
– Jahresberichte Jüdischer Schwesternverein Ffm: Jahresberichte des Vereins für jüdische
Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main, Frankfurt a.M., 1898–1911 (in Kopie,
unvollständig)
– Rechenschaftsbericht Jüdischer Schwesternverein Ffm 1920: Verein für jüdische
Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main: Rechenschaftsbericht für die Jahre 1913 bis 1919
(Einundzwanzigster bis sechsundzwanzigster Jahresbericht). Frankfurt a.M.
UB JCS Ffm: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt a.M.
– Jahresberichte FVfS: Jahresberichte des Frankfurter Verbandes für Säuglingsfürsorge,
1911–1921
– Judaica Ffm: Judaica Frankfurt, Digitale Sammlung: https://sammlungen.ub.unifrankfurt.
de/judaica/nav/index/all
Literatur
Bayer, Sarah/ Kornberger-Mechler, Cordula 2021: Taschenwissen Kinderkrankenpflege.
München
Blessing, Bettina 2013: Kleine Patienten und ihre Pflege – Der Beginn der professionellen
Säuglingspflege in Dresden. In: Geschichte der Pflege. Das Journal für historische Forschung
der Pflege- und Gesundheitsberufe 2 (2013) 1: 25-34
Bönisch, Edgar 2009: Die Geschichte des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu
Frankfurt am Main, 2009, https://www.juedische-pflegegeschichte.de/die-geschichte-desvereins-
fuer-juedische-krankenpflegerinnen-zu-frankfurt-am-main
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Säuglingspflege: https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%A4uglingspflege
In „liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt“: die Frankfurter jüdische Krankenpflege und ihr überregionales Netzwerk
Verbindungen des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins zu anderen Institutionen im Überblick

Online: Alemannia Judaica Bad Neuenahr [letzter Aufruf am 17.12.2020]
Frankfurt am Main – Köln – Hamburg – Heilbronn – Bad Neuenahr – Aachen: An all diesen Orten war Schwester Sophie Meyer im Auftrag des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt a.M. mit Tatkraft und Unternehmungsgeist im Einsatz. Ihre beruflichen Stationen zeugen von der überregional wegweisenden Bedeutung des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins für die professionelle deutsch-jüdische Krankenpflege. Der folgende Überblick markiert den Beginn einer Spurensuche.
Innerjüdische Verbindungen
Die überregionale Vernetzung war stets ein Hauptanliegen des am 23. Oktober 1893 als erster deutsch-jüdischer Schwesternverband errichteten Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt a.M.: Galt es doch, die berufliche Krankenpflege der jüdischen Minderheit im Deutschen Kaiserreich zu profilieren und weiter auszubauen. Für dieses Ziel begründete der Frankfurter Schwesternverein am 31. Oktober 1905 den DVJK (Deutscher Verband jüdischer Krankenpflegerinnen) mit (vgl. Steppe 1997: 116-122). Die Historie dieser Dachorganisation bleibt – anders als bei der 1917 errichteten ZWST (Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden) (vgl. Hering u.a. 2017) – noch aufzuarbeiten. Mit der bis heute aktiven ZWST hat der DVJK auf dem Gebiet der jüdischen Krankenfürsorge und Wohlfahrtspflege eng kooperiert (vgl. Steppe 1997: 135).
Nach dem Ersten Weltkrieg fusionierte der DVJK mit dem 1919 gegründeten Bund jüdischer Kranken- und Pflegeanstalten. Nach den Forschungsergebnissen der Pflegehistorikerin Hilde Steppe vertrat dieser Dachverband im Jahr 1927 „64 Anstalten“, darunter „vierzehn jüdische Krankenhäuser mit 1417 Betten und etwa 300 im Pflegedienst beschäftigten Personen“; zu einem Drittel war das Pflegepersonal „nicht jüdisch“ (ebd.: 136). Weitere Kontakte unterhielt der DVJK zu dem 1904 gegründeten JFB (Jüdischer Frauenbund) (vgl. Kaplan 1981). Die Mitbegründerin und langjährige Vorsitzende des JFB, die bekannte Sozialreformerin und Frauenrechtlerin Bertha Pappenheim (1859–1938), hat „zumindest zeitweise regen Anteil an der Entwicklung des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen in Frankfurt, ihrem langjährigen Wohnort“ genommen (ebd.: 139). Die berufliche jüdische Krankenpflege unterstützten von Beginn der DIGB (Deutsch-Israelitischer Gemeindebund), vor allem aber der deutsch-jüdische Logen-Verband Unabhängiger Orden Bne Briss mit der besonders aktiven Frankfurt-Loge (1888 gegründet, vgl. Eintrag bei Jüdische Pflegegeschichte).
Verbindungen zu nichtjüdischen Organisationen
Hinsichtlich der außerjüdischen Verbindungen des DVJK erwähnt Hilde Steppe (1997: 146) „sehr punktuell direkte Kontakte“ der jüdischen Schwesternvereinigungen zum BDF (Bund Deutscher Frauenvereine), dem Dachverband der bürgerlichen Frauenbewegung. 1919 organisierten sich die evangelischen, katholischen, jüdischen und Rotkreuzmutterhäuser im Bund Deutscher Mutterhausschwestern- und Bruderschaften (ebd.: 149). Nach eigenen Angaben vertrat der Bund „90% aller Pflegepersonen, nämlich insgesamt 110 000 Angehörige verschiedener Schwestern- und Bruderschaften, darunter 350 Krankenschwestern der jüdischen Vereine“ (ebd.: 149). Bei den christlichen Vereinigungen überwog zu diesem Zeitpunkt das Interesse, ein überkonfessionelles Bündnis gegen die Säkularisierung, Verstaatlichung und befürchtete ‚Sozialisierung‘ des Gesundheitswesens zu schmieden, alle innerchristlichen Fraktionierungen und antijüdischen Abgrenzungen, obgleich sich der Antisemitismus spätestens nach der deutschen Kriegsniederlage wieder lautstark artikulierte. In den 1920er Jahren ging der Bund im Reichsverband der privaten, gemeinnützigen Kranken- und Pflegeanstalten Deutschlands – seit 1931: Reichsverband der freien gemeinnützigen Kranken- und Pflegeanstalten Deutschlands – auf (ebd.: 151).
1929 errichteten die Schwesternschaften des Deutschen Roten Kreuzes, die evangelischen Schwesternschaften sowie die freiberuflichen Vereinigungen Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands und Reichsverband der Krankenschwestern die AGWK (Arbeitsgemeinschaft der weiblichen Krankenpflegeorganisationen). Hier entschloss sich der Deutsche Verband jüdischer Krankenpflegerinnen – als letzte Vereinigung nach dem Beitritt des katholischen Caritasverbands im Februar 1931 – erst im August 1931 zur Mitgliedschaft (ebd.: 154) und entsandte als Vertreterin Martha Salinger (Lebensdaten bislang nicht recherchiert), die Oberin des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Berlin. Nur wenige Jahre später verstießen die NS-gleichgeschalteten beruflichen Dachverbände die jüdischen Krankenschwestern und ihre Vereinigungen aus ihren Reihen. ,Vergessen‘ war die enge Zusammenarbeit in den Lazaretten des Ersten Weltkriegs; der jüdische Anteil an der Verbandsarbeit für die überkonfessionelle berufliche Krankenpflege und -fürsorge wurde totgeschwiegen. Ebenso bleibt weiter zu untersuchen, ob die jüdische Pflege trotz ihres bürgerlichen und religiösen Profils vor und während der NS-Zeit Kontakte zu NS-oppositionellen gewerkschaftlichen und sozialistischen Krankenpflegevereinigungen unterhielt.
Eine Erfolgsstory: die „Außenstellen“ des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins
Die überregionale Vernetzung des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main mit etlichen „Außenstellen“ (zit. n. Steppe 1997: 223) verweist auf dessen hervorragende Verbindungen zu jüdischen Gemeinden und das hohe Ansehen seiner Pflegeausbildung im gesamten Kaiserreich. Neben zeitlich begrenzten Noteinsätzen Frankfurter jüdischer Schwestern – u.a. die Versorgung Typhuskranker in den hessischen Orten Ulmbach (heute Stadtteil von Steinau an der Straße, Main-Kinzig-Kreis) und Nidda (Wetteraukreis) (ebd.: 205) – erfolgte der gezielte Auf- und Ausbau von Kontakten zu anderen Städten und Regionen, häufig auf Nachfrage der dortigen jüdischen Kliniken und Pflegeheime. So entstand bereits 1893, im Gründungsjahr des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins, eine enge Kooperation mit dem Jüdischen Krankenhaus zu Köln (vgl. Steppe 1997: 205; Becker-Jákli 2004; Seemann 2015). Auch in das Israelitische Krankenhaus zu Hamburg entsandte der Schwesternverein seit 1898 seine fähigen Absolventinnen mit dem Auftrag, vor Ort eine moderne Pflege, Ausbildung und berufliche Selbstorganisation aufzubauen (vgl. Steppe 1997: 205; Jenss [u.a.] 2016; Seemann i.E.). Die Oberinnen wurden mit Frieda Brüll (1866–1942, später verheiratete Wollmann) und Klara Gordon (1866–1937) zwei Mitbegründerinnen des Frankfurter Vereins, welche dann den 1899 und 1907 in Köln und Hamburg errichteten jüdischen Schwesternvereinen vorstanden. Auch am Frankfurter Hauptstandort selbst etablierte der Schwesternverein auf Nachfrage langjährige Außenstellen: So wirkten in seinem Auftrag zwischen 1894 (vgl. Steppe 1997: 225, Nr. 5) und 1919 im orthodox-jüdischen Pflegeheim Gumpertz’sches Siechenhaus (vgl. Seemann/ Bönisch 2019) die Oberinnen Thekla Mandel (1867–1941, später verheiratete Isaacsohn), eine weitere Mitbegründerin des Schwesternvereins, und Rahel Spiero (1876–1949, später verheiratete Seckbach); letztere wurde nach ihrem Ausscheiden aus dem Schwesternverein wegen Heirat 1919 vom Verein Gumpertz‘sches Siechenhaus als Oberin und Verwalterin übernommen. Die Vielzahl und Vielfalt der durch Frankfurter jüdische Krankenschwestern errichteten und geleiteten Außenstellen der Pflege beeindruckt noch heute, wie auch die tabellarische Übersicht von Hilde Steppe (1997: 260-261; die teils variierenden Jahreszahlen bleiben in der weiteren Forschung noch zu prüfen).


Nachweis: Steppe 1997: 260-261
Um 1905 werden an „weiteren neuen Arbeitsgebieten“ die „Gemeindepflege in Heilbronn und die Leitung einer Erholungsstätte für Mädchen in König im Odenwald übernommen“ (ebd.: 208). Über das Mädchenerholungsheim im heutigen Bad König (Odenwaldkreis, Hessen, vgl. zur jüdischen Geschichte Alemannia Judaica Bad König) und seinem Personal liegen bislang keine weiteren Informationen vor. Von den in der nordbadisch-jüdischen Gemeinde Heilbronn (Baden-Württemberg) eingesetzten Frankfurter Pflegekräften sind Frieda Amram, Margarethe Hartog, Henriette Kochmann, Sophie Meyer, Clara (Claire) Simon und Rosa Spiero namentlich bekannt. In Heilbronn wurde einem Bericht zufolge bereits 1877, vor der Entstehung der beruflich organisierten jüdischen Krankenpflege, eine nicht näher beschriebene jüdische „Anstalt für Krankenpflegerinnen“ eröffnet (laut Bericht in: AZdJ, 09.10.1877, online bei Alemannia Judaica Heilbronn); möglicherweise baute der Frankfurter jüdische Schwesternverein vor Ort eine eigene Schwesternstation auf.
Im Jüdischen Krankenhaus zu Hannover (vgl. Kap. 2.1) in Niedersachsen und sogar in der Schweiz – hier im Israelitischen Spital zu Basel (vgl. Steppe 1997: 209; Bönisch 2015) – errichtete der Frankfurter jüdische Schwesternverein 1907 weitere wichtige Außenstellen. 1910 folgte in Oberstedten (heute Stadtteil von Oberursel (Taunus), Hessen) das Genesungsheim der Eduard und Adelheid Kann-Stiftung (vgl. Bönisch 2014). Überdies wurde eine Krankenschwester „in der Klinik in Bad Neuenahr eingesetzt“ (vgl. Steppe 1997: 210): Gemeint ist hier das Israelitische Krankenheim zu Bad Neuenahr (heute Bad Neuenahr-Ahrweiler, Rheinland-Pfalz), das ähnlich wie das Frankfurter Gumpertz‘sche Siechenhaus bedürftige Frauen und Männer mit Gebrechen und chronischen Erkrankungen versorgte. Mitbegründer des Trägervereins war der Frankfurter Stifter und Wohltäter Raphael Ettlinger (1852–1909), vermutlich mit Unterstützung der von ihm mitbegründeten Frankfurt-Loge des Unabhängigen Ordens Bne Briss. Bis zur Eröffnung des eigentlichen Krankenheims ein Jahrzehnt später kamen die Patientinnen und Patienten in der Privatpflege unter.

Online: Alemannia Judaica Bad Neuenahr sowie Alicke 2017: Bad Neuenahr [letzter Aufruf am 17.12.2020]
Zu Recht setzte der Trägerverein sein Vertrauen auf eine Absolventin des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins. Über Sophie Meyer, die erste Oberin des im Mai 1910 offiziell eingeweihten orthodox-jüdischen Krankenheims, berichtete am 26. Mai 1911 die Allgemeine Zeitung des Judentums (online nachzulesen bei Alemannia Judaica Bad Neuenahr):
„Seit dem vorigen Jahr [1910, B.S.] hat der Verein in einem […] gemieteten Hause seine Aufgaben unmittelbar in Angriff genommen und die Leitung in die vertrauenswerten Hände der vorzüglich bewährten Oberschwester Sophie Meyer niedergelegt, die der Frankfurter Schwesternverein uns in liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt hat.“
Das Israelitische Krankenheim zu Bad Neuenahr bestand vermutlich bis 1938/40.
Allerdings wurden, wie Hilde Steppe (1997: 211) schreibt, bereits vor dem Ersten Weltkrieg aufgrund „des steigenden Bedarfs an Privatpflege in Frankfurt […] etliche Einsatzorte außerhalb wieder aufgegeben, so Basel, Heilbronn und Bad Neuenahr“. Doch verantwortete der Frankfurter jüdische Schwesternverein von 1911 bis 1918 den gesamten Pflegedienst des Israelitischen Krankenhauses zu Straßburg im Elsass (vgl. Seemann 2017, 2018a, 2018b). 1912 und 1913 folgen in den heutigen Bundesländern Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen mit dem Friedrich-Luisen-Hospiz zu Bad Dürrheim und dem Israelitischen Altenheim zu Aachen (Kap. 2.3) zwei weitere wichtige Außenstellen. Eine weitere ‚Dependance‘ entstand nach dem Ersten Weltkrieg in Baden-Württemberg:
„In Pforzheim sind schon 1918 Krankenschwestern während einer schweren Typhusepidemie tätig; aus dieser Erfahrung heraus wird dort im Juli 1919 ein eigenes jüdisches Schwesternheim eingerichtet, dessen Krankenschwestern alle vom Frankfurter Verein gestellt werden“ (Steppe 1997: 224, siehe auch ebd.: 112).
Namentlich bekannt sind bislang Edith Beihoff, Beate Berger, Paula Block und Hilde Rewalt. Möglicherweise erhöhte auch der im Zuge der deutschen Kriegsniederlage wieder aufflammende Antisemitismus das Bedürfnis nach einer eigenen beruflichen jüdischen Pflege, die es zuvor in Pforzheim nicht gab. Vermutlich existierte das jüdische Schwesternheim (bei Alemannia Judaica Pforzheim nicht erwähnt) nur vorübergehend, seine Geschichte ist noch zu erforschen.
Ebenfalls 1919 übernahm der Frankfurter jüdische Schwesternverein mit dem Lungensanatorium Ethania (auch: Etania) in Davos neben dem Israelitischen Spital zu Basel die Leitung einer weiteren Schweizer jüdischen Pflegeeinrichtung (vgl. Steppe 1997: 224; Bönisch 2015; Alemannia Judaica Davos). In den Folgejahren eröffnete der Verein – abgesehen von der personellen Unterstützung des 1932 eröffneten jüdischen Krankenhauses zu Alexandria (Ägypten) durch die Entsendung von Schwester Thea Levinsohn-Wolf (1907–2005, vgl. dies. 1996) offenbar keine weiteren Außenstellen. Vielmehr konzentrierte er sich auf den wachsenden Pflegebedarf in Frankfurt am Main und Region. Doch wurden nach dem Ersten Weltkrieg „sowohl in Hannover und Aachen als auch in Dürrheim Frankfurter jüdische Krankenschwestern weiterhin als Oberinnen eingesetzt“ (Steppe 1997: 223f., 225-232). Alle drei Einsatzorte werden im Folgenden vorgestellt – auch als Anregung zu weiteren Forschungen.
Oberin Emma Pinkoffs in Hannover (Jüdisches Krankenhaus mit Altersheim und
Krankenpflegeschule)
Drei Jahrzehnte lang stand Emma Pinkoffs (auch: Pincoffs) der Pflege des Jüdischen Krankenhauses Hannover vor, seit 1907 Außenstelle des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt a.M. (vgl. ebd.: 209, 225). Im Gründungsjahr 1893 vom Frankfurter Schwesternverein ausgebildet, gehört Oberin Pinkoffs zu der ‚Pionierinnen‘- Generation der beruflichen jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Geboren wurde sie laut Eintrag in der Online-Datenbank ,Bedeutende Frauen in Hannover‘ (2013: 51) am 30. März 1863 in Gollnow (Westpommern, heute Goleniów, Polen). Das Krankenhaus, dessen Bettenzahl anfangs 27 und nach der Erweiterung 1914 mindestens 60 Betten betrug, hatte sich auf Chirurgie, Innere Medizin und Gynäkologie spezialisiert. Angeschlossen waren eine Krankenpflegeschule sowie ein Altersheim für jüdische Bewohner/innen (vgl. Schulze 2009: 330; siehe auch einführend den Wikipedia-Artikel: Jüdisches Krankenhaus (Hannover)).
Bis zur nationalsozialistischen Zäsur war der Anteil der nichtjüdischen Patientinnen und Patienten hoch: So wurden 1918 125 jüdische und 572 nichtjüdische Kranke versorgt. Im Juli 1942 wurde die Institution von den Nationalsozialisten zwangsgeräumt, die sie zuvor als ‚Ghettohaus‘ und Sammellager missbraucht hatten. Die Zerstörung ihres Lebenswerks musste Emma Pinkoffs nicht mehr persönlich erleben, da sie nach ihrer Pensionierung 1937 nach Berlin gezogen war. Dort verstarb die angesehene Oberin am 25. Februar 1940 mit 76 Jahren und erhielt ihre letzte Ruhestätte auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee.
Der ab 2006 sanierte Gebäudekomplex des in der Shoah vernichteten Jüdischen Krankenhauses zu Hannover steht heute unter Denkmalschutz. Zum Gedenken wurde eine Stadttafel angebracht.

Fotograf: Bernd Schwabe in Hannover, 16.09.2013, Wikimedia, und https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de [letzter Aufruf am 17.12.2020]
Die Oberinnen Dorothea Kochmann und Bettina Falk in Bad Dürrheim (Friedrich-Luisen-Hospiz)

Online: Alemannia Judaica Bad Dürrheim: Friedrich-Luisen_Hospiz [letzter Aufruf am 17.12.2020]
Das Friedrich-Luisen-Hospiz in Bad Dürrheim (Baden-Württemberg) mit anfangs mindestens 70, später 105 Plätzen war seit dem Eröffnungsjahr 1912 Außenstelle des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins (vgl. Steppe 1997: 224; siehe auch Wahl/ Schellinger 2012; Zimmermann 2013; Alemannia Judaica Bad Dürrheim: Friedrich-Luisen-Hospiz). Das rituell geführte und zugleich hochmoderne „Erholungsheim für israelitische Kinder und minderbemittelte Erwachsene“ war weit über Baden hinaus bekannt. Die Namensträgerin Großherzogin Luise zeigte sich bei ihrem Besuch höchst angetan.

Online: Alemannia Judaica Bad Dürrheim: Friedrich-Luisen-Hospiz [letzter Aufruf am 17.12.2020]
Großen Anteil an Erfolg und Bedeutung des stark frequentierten Hospizes hatte seine erste Oberin Dorothea Kochmann. Ihre Ausbildung im Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt a.M. hatte sie 1905 abgeschlossen – gemeinsam mit Henriette Kochmann, vermutlich ihre Schwester. Vor ihrem Einsatz im Friedrich-Luisen-Hospiz arbeitete Dorothea Kochmann in der Privatpflege sowie im Hospital der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main („Königswarter Hospital“), Henriette Kochmann bewährte sich „in Heilbronn, in der Privatpflege, im ersten Weltkrieg in der Etappe“ (Steppe 1997: 228). Beider Lebensdaten sind bislang unbekannt und liegen auch dem Stadtarchiv Bad Dürrheim nicht vor (Auskunft per Mail v. 29.08.2018). Für das Jahr 1924 berichtet das Periodikum Der Israelit von einem Leitungswechsel: „Anstelle der unvergesslichen Oberin Dorothea Kochmann hat Mitte Juli die bisherige Krankenschwester am Israelitischen Spital in Basel, Bettina Falk aus Mergentheim, die Leitung des Friedrich-Luisen-Hospizes übernommen. Dank ihrer früheren Tätigkeit im Hospiz (1920–1922) […] bereitete ihr die neue Aufgabe keine Schwierigkeiten. Gleich ihrer Vorgängerin legt die neue Oberin auf die religiöse Führung der Anstalt hohen Wert.“(Zitiert nach: Der Israelit, 04.09.1924, online: Alemannia Judaica Bad Dürrheim: Friedrich-Luisen-Hospiz [letzter Aufruf am 17.12.2020]).
Dass Bettina Falk wie ihre Vorgängerin Dorothea Kochmann dem Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt a.M. angehörte, ist aufgrund verschollener Akten nicht belegt, doch sehr wahrscheinlich, pflegte sie doch vor ihrem Bad Dürrheimer Einsatz an einer früheren Außenstelle des Frankfurter Schwesternvereins, dem Israelitischen Spital zu Basel. Geboren wurde Oberin Falk am 28. März 1889 in Bad Mergentheim (Baden-Württemberg), ihre ebenfalls unverheiratete jüngere Schwester Emilie Falk (geb. 25.02.1895) arbeitete im Friedrich-Luisen-Hospiz als Sekretärin. Unter dem Nationalsozialismus wurde das jüdische Hospiz bereits 1939 zwangsweise aufgelöst. Ein Jahr später zogen die Schwestern Falk nach Frankfurt am Main – Bettina Falk in den Sandweg 7, Emilie Falk in den Röderbergweg, wo sie vermutlich als Bürokraft im Israelitischen Waisenhaus unterkam. Beide wurden am 24. September 1942 von Frankfurt nach Estland deportiert, wo sich ihre Lebensspuren verlieren; möglicherweise fielen sie dem Morden in Raasiku (NS-‚Tötungsstätte‘) bei Reval (heute Tallinn) zum Opfer. Am Standort Luisenstraße 56 des NS-vernichteten Friedrich-Luisen-Hospizes befindet sich heute die Luisenklinik (Zentrum für Verhaltensmedizin): Die Benennung eines 2010 eingeweihten Erweiterungsbaus – des Bettina-Falk-Hauses – nach der in der Shoah ermordeten Oberin Bettina Falk dokumentiert eine vorbildliche Erinnerungsarbeit (vgl. die Internetseite: Das Klinikum. Die Geschichte der Luisenklinik https://www.luisenklinik.de [letzter Aufruf am 17.12.2020].
Oberin Sophie Meyer in Aachen (Israelitisches Altenheim)
Wie Emma Pinkoffs gehörte auch Sophie Meyer (auch: Maier) – zuweilen „Schwester Bertha“ genannt (vgl. Steppe 1997: 226) – zu den ersten ausgebildeten jüdischen Pflegenden in Deutschland. Geboren wurde sie am 27. Februar 1865 im westfälischen Bergkirchen (Kreis Minden; heute ein Kirchdorf innerhalb der Stadt Bad Oeynhausen in Nordrhein-Westfalen; ISG Ffm HB 655, Bl. 51). Interessiert an einer fortschrittlichen Pflegeausbildung in einem jüdischen Umfeld, verließ Sophie Meyer ihr Heimatdörfchen und bewarb sich erfolgreich beim Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt a.M. Vom Frankfurter Schwesternverein wurde sie an dessen Kölner Außenstelle (Jüdisches Krankenhaus mit Oberin Frieda Brüll) „abgeordnet“ (Steppe 1997: 106) und legte dort 1897 ihr Schwesternexamen ab. Danach bewährte sie sich im Hospital der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main („Königswarter Hospital“) und in der Privatpflege. Zum zehnjährigen Dienstjubiläum zeichnete sie der Schwesternverein 1907 mit der Goldenen Brosche aus. Nach erfolgreichen Einsätzen in Hamburg (Israelitisches Krankenhaus mit Oberin Klara Gordon), Heilbronn (Privatpflege in der jüdischen Gemeinde) und Bad Neuenahr (Israelitisches Krankenheim) stellte sich Sophie Meyer einer weiteren beruflichen Herausforderung: Sie stieg zur Oberin und Leiterin des 1913 eröffneten Israelitischen Altenheims zu Aachen mit 16 (später 24) Plätzen auf. Auch diese Frankfurter Außenstelle „muss eine sehr moderne, hohen medizinischen Anforderungen gerecht werdende Anlage gewesen sein“ (Klein 1997: 51; siehe auch Bierganz/ Kreutz 1988; Bolzenius 1994; Lepper 1994). Das Heim verfügte über einen eigenen Operationssaal und war in eine erholsame Gartenlandschaft eingebettet. Unterstützung erhielt die Oberin von Schwester Babette Zucker (Lebensdaten unbekannt, Ausbildungsjahr 1909, vgl. Steppe 1997: 229) und vermutlich weiteren Frankfurter Kolleginnen. Aufgrund der lückenhaft dokumentierten Personalgeschichte ist ungeklärt, ob Sophie Meyer bis zu ihrer Pensionierung im Amt blieb. Als das Israelitische Altenheim in die Hände der Nazis fiel und um 1941 als ‚Ghettohaus‘ und Sammellager missbraucht wurde, hatte sie Aachen längst verlassen und war nach Frankfurt am Main in die Jügelstraße 46 gezogen. Ihr letzter Alterssitz wurde am 25. März 1937 das Frankfurter jüdische Schwesternhaus. Am 4. November 1940 (ISG Ffm: HB 655, Bl. 51) verstarb mit der 75-jährigen Sophie Meyer eine Persönlichkeit, die ihr gesamtes Leben der Pflege gewidmet und immer wieder die berufliche Herausforderung gesucht hatte – eine jüdische Krankenschwester mit ‚Leib‘ und ‚Seele‘. Die nur zwei Wochen später folgende nationalsozialistische Zwangsräumung des Schwesternheims und die Vertreibung und Deportation ihrer Kolleginnen musste sie nicht mehr erleben. An das von Sophie Meyer geleitete frühere Israelitische Altenheim zu Aachen erinnert seit 1989 ein Gedenkstein.

Fazit
Von Deutschland (bis zum Ende des Ersten Weltkriegs mit Elsaß-Lothringen) über die Schweiz bis nach Ägypten und möglicherweise weiteren bislang unbekannten Orten und Regionen – in der jüdischen Welt war die Wertschätzung der beruflichen wie religiöskulturellen Kompetenz der Schwestern des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt a.M. durchaus verbreitet. So zog Hilde Steppe (1997: 207) bereits für die Wende zum 20. Jahrhundert folgendes Resümee:
„Insgesamt hat sich die jüdische Krankenpflege in Frankfurt fest und erfolgreich mit einer kleinen Gruppe von Krankenschwestern etabliert, wobei der Bedarf das Angebot weit übersteigt, so daß nach wie vor etliche Anfragen vor allem von außerhalb abgelehnt werden müssen.“
Sowohl bei den jüdischen wie bei den nichtjüdischen Patientinnen und Patienten waren die in den „Außenstellen“ eingesetzten Frankfurter Schwestern stets bestrebt, in Zeiten von Antisemitismus und ‚Assimilation‘ das Judentum am Krankenbett würdig zu vertreten und nachhaltig zu verteidigen – „den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre“ (zit. n. Hilde Steppe).
Die Autorin dankt Frau Lydia Wende vom Stadtarchiv Bad Dürrheim für die schnelle Kooperation.
Birgit Seemann, Stand November 2021
Literatur- und Quellenverzeichnis
Ungedruckte Quellen
ISG Ffm: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main
- HB 655: Hausstandsbuch Bornheimer Landwehr 85 (Schwesternhaus der Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen Frankfurt a.M.), Sign. 655
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Periodika
AZdJ: Allgemeine Zeitung des Judentums FrIF: Frankfurter Israelitisches Familienblatt It: Der Israelit
Thekla (Mandel) Isaacsohn (1867–1941) – erste Oberin des Gumpertz’schen Siechenhauses zu Frankfurt am Main, letzte Oberin des Frankfurter Stiftungsprojekts ‚Erholungsheim für Israelitische Frauen Baden-Baden E.V‘
Gewidmet Dr. phil. Claus Canisius (1934–2020),
Enkel von Oberin Thekla (Mandel) Isaacsohn
Thekla (Mandel) Isaacsohn (1867–1941) hat die berufliche deutsch-jüdische Pflege mitbegründet: 1893 initiierte sie mit ihren Kolleginnen Klara Gordon, Lisette Hess, Minna Hirsch und Frieda (Brüll) Wollmann den Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main.

Claus Canisius
Seit 1893/94 leitete Oberin Thekla die Pflege im Frankfurter orthodox-jüdischen Kranken- und Altenheim Gumpertz‘sches Siechenhaus auf dem Röderberg (ihre Nachfolgerin wurde Oberin Rahel (Spiero) Seckbach). Familienpflichten führten sie 1907 in das westfälische Holzminden: In einer „Leviratsehe“ mit dem Witwer ihrer Schwester Betty kümmerte sie sich um die drei hinterbliebenen Kinder, die sie zärtlich „Muttchen“ nannten. 1932 übernahm sie – als Witwe und bereits im Rentenalter – die Co-Leitung des von Frankfurt a.M. aus gegründeten orthodox-jüdischen Kurheims für mittellose erholungsbedürftige Frauen zu Baden-Baden – wie das Gumpertz‘sche Siechenhaus ein von der Stifterin Mathilde von Rothschild und der Frankfurt-Loge Bne Briss (B’nai B’rith) getragenes Projekt. Im Oktober 1940 wurde Oberin Thekla durch die berüchtigte ,Wagner-Bürckel-Aktion‘ gegen die jüdischen Bürgerinnen und Bürger Badens und der Saarpfalz in das südfranzösische Lager Gurs deportiert. In der „Vorhölle von Auschwitz“ erlosch am 3. Mai 1941 das Leben einer Persönlichkeit, die sich unermüdlich für die Ärmsten der Armen engagierte und besonders für benachteiligte Frauen einstand.
Der größere Beitrag erinnert an eine facettenreiche Frauenbiografie und gibt Einblick in eine jüdische Familiengeschichte, die bis in unsere Gegenwart reicht. Am Beginn der Recherchen zu diesem Artikel war von Oberin Thekla lediglich bekannt, dass sie von 1893 oder 1894 bis zu ihrer Heirat 1907 die Pflege im Frankfurter orthodox-jüdischen Kranken- und Altenheim Gumpertz’sches Siechenhaus leitete (vgl. Steppe 1997: 225; Seemann/Bönisch 2019). Doch hier erwiesen sich – anders als bei den allermeisten in der Shoah ermordeten oder vertriebenen deutsch-jüdischen Pflegenden – die Forschungsbedingungen als ungewöhnlich fruchtbar: Ein in Deutschland lebender Enkel Oberin Theklas begab sich auf die Spuren seiner beeindruckenden mütterlichen jüdischen Familiengeschichte. Fotografien und rituelle Gegenstände konnten vor der nationalsozialistischen Zerstörung bewahrt werden.
Eine Westfälin aus orthodox-jüdischer Familie: Herkunft und Sozialisation
Gleich ihren Mitstreiterinnen aus den Anfängen der professionellen jüdischen Krankenpflege hat sich auch Thekla Isaacsohn als eine ausgewiesene Führungskraft bewährt, die Strenge und Selbstdisziplin mit Fürsorglichkeit und Empathie verband. Die in ihrer Familie vorgelebte Zedaka – Gerechtigkeit durch sozialen Ausgleich – war Leitmotiv ihres von jüdischer Frömmigkeit geprägten pflegerischen Handelns. Geboren wurde sie als drittes Kind und dritte Tochter von Leopold und Julie Mandel in Lippstadt (heute: Kreis Soest, Regierungsbezirk Arnsberg, Nordrhein-Westfalen) – nicht 1868 oder 1869, wie bisher angenommen, sondern bereits am 22. Juli 1867 (LA NRW: Geburtseintrag Mandel, Thekla; siehe auch StAF: Personalakte Isaacsohn, Thekla. Vgl. zur Familiengeschichte Mandel: Rings/Rings 1992; Thill 1994; Kieckbusch 1998; Kommunalarchiv Minden Datenbank (https://juedischesleben.kommunalarchiv-minden.de/index.php). Auskünfte erteilten die Stadtarchive Holzminden, Linz am Rhein und Lippstadt). Ähnlich wie in den anderen Regionen Deutschlands bewegte sich die jüdische Minderheit auch im vorwiegend katholischen Westfalen, wo Thekla Mandel zunächst aufwuchs, im Spannungsfeld von Antijudaismus/Antisemitismus, religiöser Selbstbehauptung und Integration (vgl. in Auswahl Handbuch 2008–2016, 4 Bde; Herzig 1973 u. 2012).
Oberin Theklas Vater, der jüdische Religionspädagoge Leopold Mandel, wurde am 12. Dezember 1828 als Sohn von Sara geb. Loeb und Josef Mandel zu Rhens (heute: Landkreis Mayen-Koblenz, Rheinland-Pfalz) geboren. Den Rheinländer verschlug es nach Westfalen in die materiell ungesicherte und zudem mit häufigen Ortswechseln verbundene Existenz eines Lehrers an jüdischen Elementarschulen: Vielen kleineren jüdischen Gemeinden fehlten die Mittel, um den Lebensunterhalt ihrer Lehrkräfte – welche mangels eines Rabbiners oft noch zusätzlich das Amt des Kantors/Chasan (Vorbeter, Vorsänger) und Schochet (Schächters) versahen – und deren kinderreichen Familien ausreichend zu finanzieren. Konflikte schienen ‚vorprogrammiert‘, so auch bei Leopold Mandel, welcher trotz seiner prekären wirtschaftlichen Lage standhaft auftrat. Seine Ausbildung hatte er an der angesehenen Lehrerbildungsanstalt der Marks-Haindorf-Stiftung zu Münster, gegründet von den jüdischen Reformern Elias Marks und Alexander Haindorf zur Förderung armer jüdischer und christlicher Waisen und zur Qualifizierung künftiger jüdischer Schullehrer absolviert und 1863 am Katholischen Lehrerseminar in Büren abgeschlossen (vgl. Rings/ Rings 1993: 32). Leopold Mandel unterrichtete u.a. in Teltge bei Münster, in Hausberge (heute Stadtteil von Porta Westfalica) bei Minden, in Wattenscheid (Ruhrgebiet) und schließlich in Lippstadt, Oberin Theklas Geburtsort. Er war bereits Mitte Dreißig, als er am 21. April 1864 in Minden die dort am 15. Juli 1842 geborene Julie Blaustein heiratete, die Tochter des aus Posen zugewanderten Schneiders und Handelsmannes Moritz Blaustein und seiner Frau Sophie geb. Norden. Im Jahr 1865 (als Geburtsjahr wird auch 1864 genannt, vgl. Kommunalarchiv Minden Datenbank) kam in Wattenscheid ihr erstes Kind Betty – mit zweitem Vornamen ‚Breinle‘ – zur Welt (vgl. Canisius 2016: 608).
Nächste berufliche Station wurde die Industrie- und Handelsstadt Lippstadt, wo die stark angewachsene jüdische Gemeinde im Jahr 1871 240 Mitglieder zählte (vgl. Alicke 2017: Lippstadt (Nordrhein-Westfalen); siehe auch ders. 2008, Band 2). Die jüdische Elementarschule war im Synagogengebäude untergebracht. In Lippstadt konnte sich das Ehepaar Mandel für einige Zeit einrichten. Nach Betty Breinle Isaacsohn geb. Mandel (03.10.1864/1865 Wattenscheid – 05.10.1905 Minden) und der 1867 geborenen Thekla vergrößerte sich die Familie um:
- Alma Feist (02.04.1866 Lippstadt – 08.02.1943 Ghetto Theresienstadt), Handarbeitslehrerin, verheiratet mit Abraham gen. Adolf Feist (Hannover), beide wurden 1943 in Theresienstadt ermordet (BAK Gedenkbuch; Theresienstadt Opferdatenbank mit Todesfallanzeigen);
- Hanna Wolff (1870 Lippstadt – 1931 Hamburg, genaue Lebensdaten unbekannt), verheiratet mit Benno Wolff aus Hamburg;
- Rosa van der Walde (13.07.1872 Lippstadt – 13.05.1942 Vernichtungslager Kulmhof/Chelmno), verheiratet mit Wolf Wilhelm „Willy“ van der Walde, wohnhaft in Minden, Emden und zuletzt Berlin, beide wurden 1942 in Kulmhof ermordet;
- Josef (Joseph) Mandel (10.06.1874 Lippstadt – 14.03.1938 Berlin [Suizid]), Theklas einziger Bruder, 2. Ehe mit Johanna (Chana) geb. Goldsand (15.03.1882 Krakau (Krakow), Galizien (Polen) – 10.05.1942 Vernichtungslager Kulmhof/ Chelmno), jüdischer Religionslehrer, unter der NS-Verfolgung zuletzt Handelsvertreter in Berlin;
- Hermine Norden (07.02.1876 Lippstadt – 09.02.1959 Bad Homburg v.d.H.), genannt „Mins“, verheiratet mit Julius Norden, vor dem Ersten Weltkrieg in Hampstead/Greater London (GB), danach Berlin, überlebte im Exil, zwei Kinder (vgl. Geni).
Das ruhigere Leben in Lippstadt währte nur kurz: Wegen eines eskalierenden Streits mit Mitgliedern der jüdischen Gemeinde verlor Leopold Mandel 1872 seine Lehrerstelle (vgl. Mühle 1985a: 60-61). Für einige Jahre musste der fähige und engagierte Pädagoge seine Familie als „Agent“ (Handelsmann) durchbringen (Stadtarchiv Lippstadt: Auskunft v. Claudia Becker per Mail v. 05.02.2018).
Thekla war ungefähr zehn Jahre alt, als sie zusammen mit ihren Eltern und Geschwistern Lippstadt und Westfalen verließ und 1877 in das Rheinland übersiedelte, woher ihr Vater stammte. Dort hieß die Synagogengemeinde des Städtchens Linz am Rhein (vgl. Alemannia Judaica Linz am Rhein) bei Neuwied ihren neuen Lehrer und Kantor willkommen. Linz wurde Leopold Mandels letzte und wichtigste Wirkungsstätte. In der jüdischen wie in der christlichen Einwohnerschaft fand er endlich die verdiente Anerkennung seiner aufklärerischen pädagogischen Bemühungen, u.a. als Lehrbeauftragter für jüdische Religion am Progymnasium Linz. Die private jüdische Elementarschule, an der er unterrichtete, wurde 1881 zur öffentlichen Schule, wodurch Leopold Mandel den ungesicherten Status des Privatlehrers verließ. Ein Jahr zuvor hatte der auch publizistisch tätige Pädagoge öffentlich gegen die antisemitische Hetze und Herabwürdigung des Judentums durch den evangelischen Theologen und ‚Hofprediger‘ Adolf Stöcker protestiert, was ihm nicht nur Lob einbrachte.

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Mit erst 60 Jahren verstarb Leopold Mandel am 3. November 1889 und wurde drei Tage später unter großer Anteilnahme jüdischer und christlicher Bürger/innen auf dem Jüdischen Friedhof zu Linz beerdigt. Am 18. November 1889 veröffentlichte das orthodox-jüdische Periodikum Der Israelit einen Nachruf aus der Neuwieder Zeitung (vgl. Mandel 1889):
„Seine Gemeinde, die in ihm einen edlen, hoch geschätzten Lehrer, einen geliebten, hochgeachteten Kultusbeamten verloren [sic!], folgte seiner Bahre. Die Gymnasiasten unter Führung ihrer Lehrer […] und seine Schüler zogen voran. Viele Collegen [sic!] und Freunde von nah und fern waren gekommen […]. 12 Jahre hat der Verblichene in seinem Amte hier gewirkt und weit über die Grenzen unserer Stadt hinaus sich Liebe, Vertrauen und Achtung zu verschaffen gewusst. Ein edler, lauterer Charakter, ein treuer Freund und Berather [sic!], ein liebevoller, munterer Gesellschafter, ein erfahrener Schulmann, ein hoch gelehrter jüdischer Theologe, – so lebte er, von Vielen geliebt, von Allen geachtet, von Niemanden [sic!] gering geschätzt.“
Neben dem jähen Verlust von Ehemann und Vater markierte das Jahr 1889 für die Familie Mandel eine weitere Zäsur: Sie musste aus der für Leopold Mandels Nachfolger vorgesehenen Lehrerwohnung ausziehen. Noch im gleichen Jahr kehrte die Witwe Julie Mandel in ihren westfälischen Geburtsort Minden zurück. Auch die 22-jährige Thekla Mandel verließ Linz – in Richtung Frankfurt am Main mit dem Ziel, eine jüdische Krankenschwester zu werden.
Mitbegründerin des jüdischen Schwesternvereins und erste Oberin des Gumpertz’schen Siechenhauses in Frankfurt am Main

Claus Canisius
Die Handels- und Messestadt Frankfurt am Main mit ihrem ökonomisch, sozial und kulturell herausragenden jüdischen Bürgertum trug in der jüdischen Welt den Ehrentitel einer „Muttergemeinde und Hauptstadt in Israel“ (ir wa-em be-Yisrael) (zit. n. Hopp 1997: 14). Fast zwei Jahrzehnte lang sollte sie zu Thekla Mandels Wohn- und Wirkungsstätte werden, und auch danach riss die Verbindung zu Frankfurt nie ganz ab. Wie sie zum Pflegeberuf fand, lässt sich mangels autobiografischer Quellen nicht rekonstruieren. Keineswegs entsprach es den orthodox-jüdischen Geschlechterrollen, dass Thekla Mandel als einzige ihrer Schwestern zunächst unverheiratet blieb. Sollte die pflegerische Ausbildung bis zum Auftritt eines geeigneten Ehepartners auf eine spätere Familiengründung vorbereiten? Oder mochte sich die selbstbewusste und unabhängige junge Frau nicht in das im wilhelminischen Deutschland patriarchalisch angelegte ,Ehejoch‘ fügen? Strebte die gebildete Lehrerstochter anfangs gar den Zugang zu einer Universität an, der ihr aber als Frau und Jüdin doppelt verwehrt blieb? „Krankenpflege war die Alternative zum Studium der Medizin und zugleich eine Vorbereitung auf die ‚eigentliche Bestimmung‘ der Frau“ (Beitrag von Eva-Maria Ulmer, 2009).
Was die Krankenpflege im Kaiserreich selbst anbetraf, hielt sie selbst der jüdische Teil der Bevölkerung für ein christliches Projekt – trotz der hohen Bedeutung des Pflegens in der hebräischen Bibel als religiös-jüdischer Pflicht (Mitzwa) zum Krankenbesuch (vgl. den Beitrag Bikkur Cholim). Die Pflege wurde gleichgesetzt mit Gehorsam, Opferbereitschaft und Selbstaufgabe. Im Deutschen Kaiserreich dominierte das evangelisch-diakonische Hierarchiemodell eines von der Oberin straff geführten ‚Mutterhauses‘. Gleichwohl eröffnete die moderne Krankenpflege, die sich zum ,Frauenberuf‘ professionalisierte, ein qualifiziertes und abwechslungsreiches Aufgabengebiet – zumal eines der wenigen, das auf sich allein gestellten Frauen Existenz- und Aufstiegsperspektiven bot. Für eine fromme Jüdin kam allerdings die Bewerbung bei christlichen oder (vermeintlich) säkularen Einrichtungen, die mancherorts sogar die Taufe verlangten, nicht in Frage. Thekla Mandel wollte nicht allein den Anweisungen von Autoritäten gehorchen, sondern gemeinsam mit Gleichgesinnten lernen – in einem jüdischen Umfeld, das es jedoch erst zu schaffen galt: Die Modernisierung des durch Ghettoisierung jahrhundertelang beeinträchtigten jüdischen Pflegewesens befand sich noch im Aufbau; eine staatlich anerkannte jüdische Krankenpflegeschule existierte nicht. So war es für Thekla Mandel ein Glücksfall, dass sie ihre Ausbildung an einer der fortschrittlichsten jüdischen Kliniken starten konnte: im Hospital der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main, 1875 im jüdisch geprägten Stadtteil Ostend eröffnet und nach dem Namen des Stifterehepaares als „Königswarter Hospital“ bekannt.
Auch im Königswarter Hospital hatten anfangs angelernte Wärter/innen die Kranken versorgt, doch wurde dort bereits 1881 mit Rosalie Jüttner die wohl erste jüdische Krankenschwester in Deutschland ausgebildet. Mit Minna Hirsch (1889 ausgebildet), Lisette Hess, Klara Gordon und Frieda (Brüll) Wollmann gehörte Thekla Mandel (alle vier vor 1893 ausgebildet, vgl. Steppe 1997: 225) zu den ‚Pionierinnen‘ der beruflichen jüdischen Krankenpflege in Deutschland: In einer Zeit, in der das 1850 erlassene ‚Preußische Vereinsgesetz‘ Frauen noch immer die Aktivität in politischen Parteien und Organisationen verbot und damit auch ihr Engagement in privaten Vereinen hemmte, gründeten die fünf Frankfurterinnen zwecks qualifizierter Ausbildung und sozialer Absicherung 1893 ihren eigenen Verband jüdischer Krankenpflegerinnen (ebd.: 200).

jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1909, Titelblatt
Die Initiative des selbstbewussten und füreinander einstehenden Pflegeteams gab vermutlich den Anstoß für die erste deutsch-jüdische Schwesternorganisation Verein für jüdische Krankenpflegerinnen Frankfurt a.M. Den Verein errichteten ihre Vorgesetzten und Ausbilder am Königswarter Hospital, Chefarzt Dr. Simon Kirchheim und Dr. Alfred Günzberg, sowie weitere männliche Förderer des in den jüdischen Gemeinden im Kaiserreich durchaus kontrovers diskutierten jüdischen ‚Frauenberufs‘ Pflege. Die Gründung wurde vorangetrieben durch die Frankfurt-Loge Bne Briss (heute: B‘nai B‘rith), einer den jüdischen Zusammenhalt durch Wohlfahrt, Bildung und Kultur fördernden Vereinigung. Der Verband jüdischer Krankenpflegerinnen ging in dem am 23. Oktober 1893 errichteten und von einem rein männlichen Vorstand geleiteten Verein auf. Der Frankfurter jüdische Schwesternverein avancierte zu einem Erfolgsmodell und damit zum Vorbild für viele weitere Gründungen im gesamten Kaiserreich. Untergebracht wurden die Frankfurter jüdischen Schwestern und Schülerinnen zunächst in einer angemieteten Wohnung („Häuschen“) direkt neben dem Hospital, danach bezogen sie ein provisorisches Schwesternhaus inder Unteren Atzemer 16 (vgl. ebd.). Als 1902 ein neues Schwesternhaus in der Königswarterstraße eröffnet wurde, wohnte Thekla Mandel bereits in ihrer Arbeitsstätte, dem Gumpertz’schen Siechenhaus auf dem Röderberg. Doch blieb sie, die Mitbegründerin, für den Frankfurter jüdischen Schwesternverein aktiv: Um 1905 führte die Lehrerstochter, selbst pädagogisch begabt, gemeinsam mit Sanitätsrat Dr. med. Adolf Deutsch Fortbildungskurse „in Ernährungslehre und Kochen“ für die Schwestern und Schülerinnen durch (vgl. Steppe 1997: 208).
Der Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt a.M. verfügte über ein höchst effektives Karrierenetzwerk, das seine Absolventinnen auf Anfrage jüdischer Gemeinden bis nach Basel und Straßburg schickte, um dort in leitender Funktion eine moderne jüdische Pflege aufzubauen. Während Thekla Mandel, Minna Hirsch, die Oberin der Schwesternschaft wie auch des Königswarter Hospitals, und ihre zeitweilige Stellvertreterin Lisette Hess in Frankfurt a.M. die ‚Stellung‘ hielten, wurden Frieda (Brüll) Wollmann und Klara Gordon Oberinnen der jüdischen Krankenhäuser in Köln und Hamburg. Auch Thekla Mandel wurde um 1894 – nur kurze Zeit nach ihrer Ausbildung – als Oberin des Gumpertz’schen Siechenhauses in eine Leitungsfunktion berufen. Das orthodox-jüdische Pflegeheim für chronisch kranke und gebrechliche Bedürftige beiderlei Geschlechts und aller Altersgruppen trug den Namen seiner Stifterin Betty Gumpertz (vgl. Seemann/Bönisch 2019). Der Vorstand des Vereins Gumpertz’sches Siechenhaus bestand aus Brüdern und Schwestern der Frankfurt-Loge des Unabhängigen Ordens Bne Briss ( B’nai B’rith: Söhne des Bundes); als Präsident amtierte in der Nachfolge des Gründungsvorsitzenden Ferdinand Gamburg der Bankier, Philanthrop und Sozialreformer Charles L. Hallgarten. Dem Vorstand empfohlen hatte Thekla Mandel vermutlich der Gründungs- und Chefarzt des Gumpertz‘schen Siechenhauses, ihr früherer Ausbilder Dr. Alfred Günzburg, der ebenfalls der Frankfurt-Loge angehörte. Eine Oberin wurde dringend benötigt: Der 1892 im Haus Ostendstraße 75 gestartete Pflegebetrieb war in wenigen Jahren von sechs auf zuletzt 20 Plätze angewachsen. Trotz Erweiterungs- und Modernisierungsmaßnahmen konnten im Jahr 1895 von 27 pflegebedürftigen Bewerber/innen nur 13 aufgenommen werden.
1898 erwarb der Verein Gumpertz’sches Siechenhaus eine größere Liegenschaft im Röderbergweg 62-64. Gegenüber lagen das Rothschild’sche Hospital und das Rothschild’sche Kinderhospital, zwei Kliniken, die anders als das Gumpertz’sche Projekt nicht der orthodoxen Minderheit innerhalb der liberalen Israelitischen Gemeinde nahestanden, sondern der neo-orthodoxen Israelitischen Religionsgesellschaft (Austrittsgemeinde). Ein Teil der Gumpertz‘schen Gepflegten kam aus Kostengründen zunächst in der „notdürftig zu Krankenhauszwecken umgewandelte[n] alte[n] Villa“ (Günzburg 1909: 7), später das ,Hinterhaus‘ genannt, unter; parallel wurde der Heimbetrieb am alten Standort Ostendstraße 75 noch eine Weile fortgeführt. Insgesamt versorgte das Heim 1898 bereits 37 Gepflegte. Nach dem 1899 erfolgten Verkauf des Anwesens Ostendstraße 75 bezogen auch die restlichen Bewohner/innen gemeinsam mit Oberin Thekla Mandel das ,Hinterhaus‘ mit bis zu 30 Plätzen; im Mahlau’s Frankfurter Adressbuch (33. Jg., S. 253) war 1901 erstmals „Mandel, Thekla Krankenschw. Röderbergw. 62“ eingetragen. Unterstützt wurde die Oberin durch die 1902 eingestellte evangelische Krankenschwester Frieda Gauer, ebenso seit 1904 durch den neuen Verwalter Hermann Seckbach, der sich weit über seine Stellung hinaus wie ein Hospitalvater um die Belange der Pflegebedürftigen kümmerte. Sowohl Thekla Mandel als auch Hermann Seckbach verstanden ihren Dienst an den jüdischen „Aermsten der Armen“ (ein Zitat von Rabbiner Leopold Neuhaus aus seinem Nachruf auf Thekla Mandels Nachfolgerin Oberin Rahel Seckbach, abgedruckt in der Exilzeitschrift AUFBAU 15 (23.09.1949) 38, S. 41) als religiöse Verpflichtung und Beitrag zur sozialen Stärkung der jüdischen Gemeinde und ihres nichtjüdischen gesellschaftlichen Umfelds. Ebenfalls 1904 konkretisierten sich angesichts der beengten Verhältnisse im ‚Hinterhaus‘ erste Pläne für einen Neubau, die durch die Angliederung der 1905 errichteten Minka von Goldschmidt-Rothschild-Stiftung an den Verein Gumpertz´sches Siechenhaus finanziell umgesetzt werden konnten. Die beiden Stifterinnen – Mathilde von Rothschild und ihre bereits 1903 verstorbene Tochter Minna Caroline („Minka“) – hat Oberin Thekla sehr wahrscheinlich auch persönlich kennengelernt; mit ihnen teilte sie die Aufmerksamkeit für die besonders prekäre Versorgungslage mittelloser pflegebedürftiger Frauen und Mädchen. Es war Mathilde von Rothschilds ausdrücklicher Wunsch, dass in die 1907 eingeweihte und hochmodern ausgestattete neue Villa (das Gumpertz’sche ‚Vorderhaus‘, zugleich Krankenheim mitOperationssaal) vorerst nur weibliche Bewohner einzogen.
Die Anfänge des ‚Vorderhauses‘ gestaltete Thekla Mandel noch mit, doch musste sie ihren geliebten Pflegeberuf bald verlassen. Bereits im Oktober 1905 hatte sie aus Holzminden (Niedersachsen) die traurige Nachricht vom Tod ihrer ältesten Schwester erreicht: Betty Breinle Isaacsohn hinterließ drei kleine Kinder und einen tief trauernden Witwer.

Genehmigung von Dr. Claus Canisius
Hier zeigte sich einmal mehr der Familienzusammenhalt der Mandels: Nach reiflicher Überlegung gab die inzwischen 40jährige und bislang alleinstehende Oberin ihre leitende Position auf, um am 24. Oktober 1907 ihren Schwager Iwan Isaacsohn zu heiraten (Angabe per Mail v. Claus Canisius, 26.05.2018: Familientafel Isaacsohn). Schweren Herzens, aber mit festem Blick auf ihre neue Aufgabe als Ehefrau, Mutter und Erzieherin musste Thekla Mandel ihr Frankfurter Leben – Freundinnen, Kolleginnen und ihre Schützlinge im Gumpertz’schen Siechenhaus – zurücklassen.
„Leviratsmutter“ und Lazarett-Oberschwester in Holzminden (Niedersachsen)
Im November 1907 traf Thekla Mandel – nunmehr Isaacsohn –in der niedersächsischen Mittelstadt an der Weser ein. Die jüdische Gemeinde zu Holzminden, der sie nun angehörte, umfasste nach den Angaben des Lokalhistorikers Klaus Kieckbusch (vgl. ders. 1988) bis zu 130 Mitglieder, zumeist selbständige Kaufleute und Handwerker. Die jüdischen Holzmindener/innen waren bestens in das städtische Vereinsleben integriert. Doch trübten insbesondere nach dem für Deutschland verlorenen Ersten Weltkrieg antisemitische Vorfälle das gute Einvernehmen mit der christlichen Mehrheitsbevölkerung.

Theklas Ehemann, der Schuhkaufmann Iwan Isaacsohn (geb. 23.01.1866 in Hamburg), wohlhabend, gebildet und gut aussehend, stammte aus einer Hamburger orthodox-jüdischen Familie. Zu seinen Vorfahren zählten angesehene jüdische Gelehrte wie Rabbi Jitzhak (geb. um 1780 in Hamburg) und Rabbi Chaver Nehemia Ben Jitzhak (geb. 1810 in Hamburg), welcher an einer Jeschiwa (Tora-Talmud-Hochschule) gelehrt hatte (vgl. Canisius 2015: 318). Möglicherweise hätte auch Iwan Isaacsohn gern diesen Weg beschritten. Angesichts der Frömmigkeit der Isaacsohns und der Mandels verwundert es kaum, dass der Musikwissenschaftler Dr. Claus Canisius in der zweiten Ehe seines Großvaters auch eine religiös-kulturelle Tradition erkannte:
„Starb in einer jüdischen Familie ein kinderloser junger Ehemann, so wurde eine altorientalische Rechtssitte wirksam: die Schwagerehe, beziehungsweise das Levirat oder Jibbum. Um das Geschlecht der Familie zu erhalten, ehelichte ein heiratsfähiger Schwager die Witwe, damit die erbberechtigte Nachkommenschaft der betroffenen israelitischen Familie erhalten blieb. Bei der Familie Iwan Isaacsohns wurde insofern eine Variante des Levirats wirksam, als nach Betty (Mandel) Isaacsohns frühem Tod jetzt Thekla Mandel, ihre Schwester[,] in die Familie an die Seite Iwans kam und gewissermaßen als Leviratsmutter die Erziehung [von] dessen drei Kinder[n], Werner, Leoni und Gretel übernahm […].“
In der Tat kam von den Schwestern der verstorbenen Betty nur die unverheiratete Thekla in Betracht. Obgleich zwei selbstbewusste Persönlichkeiten aufeinandertrafen und offenbar keine Liebesheirat ‚vorlag‘, soll die ‚Leviratsehe‘ den Familieninformationen Claus Canisius‘ zufolge geglückt sein.

Thekla Isaacsohn, die ohne eigene Kinder geblieben war, konnte ihre Mütterlichkeit verwirklichen und erntete dafür die Liebe und Anerkennung der ihr anvertrauten Halbwaisen‘, deren Tante sie zugleich war. Leoni (geb. 16.02.1896), Gretel (Greta) (geb. 31.07.1899) und Werner (geb. 17.04.1904), alle drei in Holzminden zur Welt gekommen, waren zum Zeitpunkt der zweiten Heirat ihres Vaters erst elf, acht und drei Jahre alt; Gretel war ihrer Stiefmutter besonders zugetan. Neben ihren Familienaufgaben engagierte sich die pflichtbewusste und tatkräftige Thekla Isaacsohn im Ersten Weltkrieg für den Holzmindener „Rotkreuz- und Bahnschutzdienst“ und organisierte als Oberschwester den Lazarettdienst mit (vgl. Kieckbusch 1998: 349). Nach dem Krieg wurde sie Witwe: Iwan verstarb im Jahr 1919, ebenso ihre zuletzt bei der Schwester Rosa in Emden lebende Mutter Julie Mandel. Die Grabmäler von Iwan Isaacsohn und seiner ersten Frau Betty Breinle auf dem Jüdischen Friedhof Holzminden sind bis heute erhalten, obwohl in der NS-Zeit viele Gräber – darunter auch Iwans – geschändet wurden. Seine Grabstätte war vermutlich als „Doppelgrab“ (Claus Canisius) angelegt, damit seine Witwe Thekla dort ihre letzte Ruhestätte fände (vgl. Fotografien in Canisius 2016 sowie B. Putensen, 2015, bei Genealogy.net: https://grabsteine.genealogy.net/tomb.php?cem=3887&tomb=24&b=&lang=de).

Nach Iwans Tod zog sich Thekla Isaacsohn nicht in ihre Trauer zurück, sondern setzte ihr soziales Engagement in der jüdischen Gemeinde fort: In Holzminden „florierte über lange Jahre ein 1906 gegründeter“ israelitischer Frauenverein, dem sie 1924/25 sogar vorstand (vgl. Kieckbusch 1998: 311). Zuvor hatte ein antisemitisches Ereignis die Stadt erschüttert, das vor allem Theklas ältere Stieftochter traf: Leoni Isaacsohn hatte 1920 Siegmund Salomon geheiratet und führte mit ihm gemeinsam das Schuhhaus Feist & Co. (offenbar ein überregionales Unternehmen der Familie Feist mit Hauptsitz in Hannover, in die Theklas Schwester Alma eingeheiratet hatte). Am 10. August 1923 griffen demonstrierende Arbeitnehmer/innen das Schuhhaus Feist an. Die aus sozialer Not entstandene Erhebung gegen Holzmindens Unternehmerschaft bekam durch die Plünderung ausschließlich jüdischer Geschäfte einen „stark antisemitischen Aspekt“ (ebd.: 358): Die Demonstranten drangen in das Schuhhaus Feist ein, zerschlugen Türen, Vitrinen und Einrichtungsgegenstände und raubten fast den gesamten Warenbestand. Das Ehepaar Salomon musste sein Geschäft vorläufig schließen, erkämpfte sich aber vom Deutschen Reich und dem Land Braunschweig eine Teilentschädigung – die die Stadt Holzminden mit der Begründung verweigerte, mögliche weitere judenfeindliche Exzesse vermeiden zu wollen (ebd.: 360). 1925 musste Thekla Isaacsohn vom Tod ihrer erst 29-jährigen Stieftochter Leoni Salomon in Höxter erfahren. Leonis jüngere Schwester Gretel wurde danach von ihrer Tante Alma (Mandel) Feist und deren Ehemann Abraham gen. Adolf Feist im Erwachsenenalter adoptiert – vermutlich auch aus erbrechtlichen Gründen, da das Ehepaar Feist keine eigenen Kinder hatte. Am 1. Februar 1933, kurz nach der NS-Machtübernahme, verkaufte Leonis Witwer Siegmund Salomon das Schuhhaus Feist & Co. in Holzminden an seinen nichtjüdischen Prokuristen (ebd.: 421).
Spätestens 1938 erreichte die gezielte NS-‚Arisierung‘ von Grundbesitz auch Holzmindens jüdische Bürger/innen. Nach dem Wegzug ihres Schwiegersohns Siegmund Salomon ging das Haus Fürstenberger Straße 26 in den Besitz von Thekla Isaacsohns Stiefkindern Gretel und Werner über. Gretel lebte inzwischen im westfälischen Minden (Herkunftsort ihrer Großmutter Julie Mandel)
„in einer Ehe mit dem nichtjüdischen Regierungsbaurat Peter Canisius und wollte unter Zustimmung ihres Bruders im Dezember 1938 das Haus ihren beiden Söhnen als Schenkung überschreiben. Auf diese Weise erhofften sich die Beteiligten eine etwas größere Sicherheit für den Besitz. Landrat Knop bezog dem Genehmigungsantrag gegenüber sofort eine ablehnende Position: Es würden schließlich ‚Halbjuden‘ Eigentümer, ‚was ich für unerwünscht halte‚“ (ebd.: 423-424 [Hervorhebung im Original]).
Auf Intervention des braunschweigischen Innenministeriums kam die Schenkung am 24. März 1939 dann doch zustande: Zusatzregelungen der 1935 erlassenen ‚Nürnberger Rassegesetze‘ ließen eine Übertragung des Vermögens der jüdischen Mutter auf ihren nichtjüdischen Ehemann oder die gemeinsamen Kinder zu. Dennoch lebte Gretel Canisius – nach ihrer katholischen Taufe längst kein Mitglied der jüdischen Gemeinde mehr – in ständiger Angst, führte sie doch aus Sicht der NS-Behörden mit dem Ingenieur Peter Anton Canisius (1898–1978) eine „Mischehe“; die gemeinsamen Söhne Peter Paul (geb. 1929 in Peine) und Claus Heinrich (1934 Kolberg – 2020 Leutershausen) waren als „Mischlinge I. Grades“ der NS-Verfolgung ausgesetzt. Antisemitische Ausschreitungen in Minden und die nachfolgenden Deportationen spitzten die Lage weiter zu (vgl. Alicke 2017: Minden (Nordrhein-Westfalen)). Dem enormen Druck des Regimes, sich scheiden zu lassen, hat Peter Canisius widerstanden. Die „arische“ Herkunft des männlichen Ehepartners und ‚Familienoberhaupts‘ ersparte Gretel Canisius und den Kindern die Einweisung in ein Ghettohaus (NS-Jargon: „Judenhaus“). 1940 wurde der jüngere Sohn Claus „im Alter von sechs Jahren während der Shoah auf dem Land in der Nähe von Hameln versteckt“(Altenburg 2015; vgl. auch Gensch/Grabowsky 2010). Im Rückblick schildert Claus Canisius (2015: 329) eine weitere traumatische Erfahrung, die nur dank eines ‚Judenretters‘ nicht in der Katastrophe endete: 1944 informierte der Kriminalbeamte Heinrich Flessner „meine Mutter in Minden an der Haustür in der Gartenstraße 8 über einen bevorstehenden zweiten Abtransport der dort übrig gebliebenen deutschen Juden und gab ihr indirekt den für ihn selbst höchst riskanten Rat, sich ärztlich für transportunfähig erklären zu lassen […]“.
Thekla Isaacsohns Stiefsohn Werner, Gretels Bruder, riss die NS-Verfolgung aus seiner Laufbahn an der berühmten Kunstschule „Bauhaus“ in Weimar: als Grafiker und Mitarbeiter von Walter Gropius und László Moholy-Nagy, mit einem eigenen Atelier für Fotografie und Werbegrafik (vgl. den Wikipedia-Artikel zu Werner (Isaacsohn) Jackson mit weiteren Literaturangaben: https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Jackson [21.09.2020]). 1939 flüchtete er nach England und baute sich als „Marionettenbauer und Spielzeugentwerfer“ (NL 2 Jackson; siehe auch NL 1 Jackson) eine neue Existenz in Oxford auf. Vermutlich aus Sorge, im Zweiten Weltkrieg als gebürtiger Deutscher ausgewiesen zu werden, änderte er seinen Familiennamen in ‚Jackson‘. Werner (Isaacsohn) Jackson verstarb am 3. Juli 1984 im Exil. Dass er seinen künstlerischen und schriftlichen Nachlass zu großen Teilen der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz und dem Bauhaus-Archiv e.V./ Museum für Gestaltung (Berlin) übertrug, dokumentiert seine starke Bindung an die deutsche Herkunft. Werners Schwester Gretel Canisius verstarb am 31. Dezember 1993 hochbetagt im badischen Weinheim. Nach der Shoah hatten Thekla Isaacsohns Stiefkinder um Entschädigung und die Rückerstattung ihres NS-geraubten Erbes gekämpft.
Letzte Oberin des Frankfurter Stiftungsprojekts ‚Erholungsheim für israelitische Frauen Baden-Baden E.V.‘
Nach Iwans Tod am 24. September 1919 wohnte Thekla Isaacsohn zunächst weiterhin in Holzminden. Laut Meldeunterlagen zog sie dreimal für mehrere Monate – erstmals vom 18. April bis zum 1. Oktober 1923 (danach 8. Mai bis 6. Dezember 1926 und 13. Juni bis 30. Oktober 1928) – nach Baden-Baden (Stadtarchiv Holzminden: Auskunft v. Dr. Matthias Seeliger per Mail v. 13.02.2018). In das berühmte Heilbad im Schwarzwald kam sie sehr wahrscheinlich nicht als Kurgast, sondern half im Erholungsheim für israelitische Frauen Baden-Baden E.V. aus, das sie wenige Jahre später selbst leiten sollte. In Baden-Baden sollte sich der Kreis von Oberin Theklas pflegerischem Engagement für hilfsbedürftige Glaubensgenossinnen schließen: Die Gründerin des im Juni 1913 „in Anwesenheit hochrangiger Repräsentanten aus Stadt und Land Baden“ (Schindler 2013: 79; vgl. auch Anonym. 1913; Plätzer 2012) feierlich eröffneten orthodox-jüdischen Frauenkurheims war, mit Unterstützung ihres bewährten Beraters Michael Moses Mainz und der Frankfurt-Loge Bne Briss – Mathilde von Rothschild, welche bereits die ‚Vorderhaus‘-Villa des Frankfurter Gumpertz’schen Siechenhauses, Thekla Isaacsohns früherer Arbeitsstätte, gestiftet hatte. Der Verein Erholungsheim für israelitische Frauen Baden-Baden E.V. mit Sitz in Frankfurt a.M. „hatte den Zweck, mittellosen Frauen und Mädchen, die aufgrund ärztlicher Anordnung nach überstandener Krankheit oder Überarbeitung einer Kur bedurften oder einen Erholungsurlaub benötigten, eine (vierwöchige) Kur in der Anstalt des Vereins in Baden-Baden unentgeltlich oder gegen Ersatz eines Teils der Selbstkosten zu ermöglichen“ (Schiebler 1994). Das in einer parkähnlichen Gartenlandschaft mit Blick auf die Schwarzwaldberge gelegene Heim öffnete seine Pforten saisonal zwischen Frühjahr und Spätherbst. Insbesondere im und nach dem Ersten Weltkrieg fanden auch Frauen mit Doppelbelastung durch Beruf und Familie Aufnahme. Hinzu kamen in den nachfolgenden Inflationsjahren viele weibliche Kurgäste aus der verarmten Mittelschicht.
Im August 1931 meldete sich Thekla Isaacsohn endgültig aus Holzminden ab und kehrte zunächst nach Frankfurt am Main zurück (Auskunft v. Klaus Kieckbusch, Holzminden, per Mail v. 13.02.2018). Ob sie dort ihren früheren Wirkungsort, das Gumpertz’sche Siechenhaus, besuchte oder gar vorübergehend dort wohnte? Gewiss traf sie Rebecka Cohn, langjährige ‚Ehrendame‘ im Vorstand des Vereins sowie Co-Leiterin des Erholungsheims für israelitische Frauen Baden-Baden E.V. Die Frankfurter Aufenthalte währten nur kurz: So war Thekla Isaacsohn seit dem 8. März 1933 im Frankfurter jüdischen Schwesternhaus (Bornheimer Landwehr 85) gemeldet, kehrte aber bereits am 22. März 1933 wieder nach Baden-Baden zurück (ISG Ffm, HB 655, Bl. 35). Auch später besuchte sie wiederholt Frankfurt und wohnte dort vermutlich bei Bekannten, da sie in den Frankfurter Adressbüchern der 1930er Jahre nicht namentlich aufgeführt ist.
Nach einem Bericht im Frankfurter Israelitischen Gemeindeblatt (Anonym. 1933) wurde Thekla Isaacsohn bereits 1932 Oberin des jüdischen Frauenkurheims zu Baden-Baden, das im gleichen Jahr „nahezu 150 Erholungsbedürftige aufnehmen und ihnen eine erfolgreiche Kur darbieten“ konnte. Zuvor war das stark nachgefragte Heim „durch den Bau einer neuen Liegehalle sowie eines neuen Speisesaals nach den Vorschlägen unserer Ärzte erweitert und verschönt worden“ (Anonym. 1930). Obgleich bereits im Rentenalter, stellte sich Thekla einer fordernden Aufgabe. In der NS-Zeit war sie im Angesicht des eskalierenden Antisemitismus bemüht, das Kurheim als Refugium für gesundheitlich geschwächte jüdische Frauen zu erhalten. Zuletzt vergeblich: Am 29. September 1939 wurde das inzwischen als jüdisches Altersheim geführte Erholungsheim für israelitische Frauen Baden-Baden E.V. in die von Reichssicherheitshauptamt und Gestapo kontrollierte Reichsvereinigung der Juden in Deutschland eingegliedert. Am 22. Oktober 1940 folgte die Deportation von Oberin Thekla mit weiterem Personal und vermutlich einigen älteren Bewohnerinnen in das südfranzösische Lager Gurs. Die Polizeidirektion Baden-Baden versiegelte das zwangsgeräumte Anwesen (StAF: Personalakte Isaacsohn, Thekla). Auf deren Anweisung hin veräußerte die Reichsvereinigung der Juden die Liegenschaft (Werderstraße 24) samt Inventar an einen „arischen“ Kaufmann, der den Kurbetrieb – selbstredend mit nichtjüdischen Gästen – fortführen wollte (ebd.). Nach dem Zweiten Weltkrieg beherbergte das frühere jüdische Frauenkurheim, jetzt Sanatorium Haus Rubens, auf Beschluss des Badischen Innenministeriums seit Juni 1946 ein Erholungsheim „für politisch, rassisch und religiös Verfolgte“ (Schindler 2013: 291, Fn 14; siehe auch Alemannia Judaica Baden-Baden nach 1945.
Die Geschichte des Erholungsheim für israelitische Frauen Baden-Baden E.V. gilt es noch weiter aufzuarbeiten.
„Wir wissen hier nichts von der Welt u. sehen nur Stacheldraht“ – NS-Verfolgung und Deportation nach Gurs (Südfrankreich)
Unter der NS-Verfolgung bot das jüdische Frauenkurheim zu Baden-Baden seinen Gästen vorübergehend einen Schutzraum:
„Die Notwendigkeit des Heims hat sich in dem vergangenen, für die deutsche Judenheit so schweren Jahr [1934, B.S.] besonders bewährt. Etwa 150 Erholungsbedürftige konnten im Vorjahre aufgenommen werden. In der Versammlung kam der besondere Dank gegenüber den Leitern des Heims, Frau R. Cohn und Frau Thekla Isaacsohn […] zum Ausdruck“ (Anonym. 1935).
1938 trafen die NS-staatlich organisierten Novemberpogrome auch Baden-Badens jüdische Gemeinde: Ein vorsätzlich gelegter Brand zerstörte ihr Gotteshaus, die männlichen jüdischen Bürger wurden verhaftet und in aller Öffentlichkeit durch die Stadt getrieben. Schon im Frühjahr 1938 musste Thekla Isaacsohn vom Suizid ihres einzigen Bruders Josef Mandel – wie sein Vater jüdischer Religionslehrer, unter der NS-Verfolgung zuletzt Handelsvertreter in Berlin – erfahren; mit Josef, Betty und der 1931 in Hamburg verstorbenen Hanna Wolff hatte sie bereits drei Geschwister verloren. Zwei weitere Schwestern – Alma Feist und Rosa von der Walde – wurden zusammen mit ihren Ehemännern in der Shoah ermordet. Einzig die Jüngste, Hermine Norden, konnte im britischen Exil überleben.
Im Jahr 1939 reiste Thekla Isaacsohn noch einmal nach Frankfurt. In einer Wohnung (Thüringer Straße 19) nahe des Frankfurter Zoo entstand am 13. März 1939 das vermutlich letzte und einzige noch erhaltene gemeinsame Foto mit ihrem geliebten jüngeren Enkel Claus.

Wieder in Baden-Baden, hielt Oberin Thekla im israelitischen Frauenerholungsheim, nunmehr Altersheim, weiterhin die Stellung. „Die letzten Gäste – meist ältere Frauen, für die eine Auswanderung nicht mehr in Frage kam – wurden am 22.10.1940 in das Internierungslager Gurs deportiert“, schreibt die Autorin und Redakteurin Angelika Schindler (dies. 2013: 79). Die Verschleppung der jüdischen Bevölkerung aus Baden und der Saarpfalz in das südfranzösische Lager Gurs war eine der ersten Deportationen aus Nazideutschland. Die als ,Ausweisung‘ getarnte und nach den beiden hauptverantwortlichen NS-Gauleitern benannte ‚Wagner-Bürckel-Aktion‘ stand unter höchster Geheimhaltung (vgl. einführend den Wikipedia-Eintrag ,Wagner-Bürckel-Aktion‘ mit weiteren Literaturangaben: https://de.wikipedia.org/wiki/Wagner-B%C3%BCrckel-Aktion [21.09.2020]). Sie traf die jüdischen Bürger/innen völlig unvorbereitet: In den frühen Morgenstunden des 22. Oktober 1940 drangen Gestapobeamte und Mitglieder nationalsozialistischer Parteiformationen in ihre Häuser und Wohnungen ein und nötigten sie zum hastigen Packen; lediglich 50 Pfund Gepäck und bis zu 100 RM waren erlaubt. Der Überfall ließ keine organisierte Gegenwehr zu, zumal er nach der vorausgegangenen Zwangsemigration jüngerer Menschen viele ältere und gesundheitlich angeschlagene Menschen traf, aber auch Kinder und Jugendliche; jüdische Partner/innen aus so genannten „Mischehen“ blieben vorerst verschont. Durch die Gleichstellung der ‚Ausgewiesenen‘ mit ‚Reichsflüchtlingen‘ unter Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit verschaffte sich der NS-Staat seine ,Legitimation‘ für den Zugriff auf ihr Eigentum. Die Räumlichkeiten der Deportierten wurden behördlich versiegelt, bewegliche Güter im Auftrag der Dienststelle des Generalbevollmächtigten für das jüdische Vermögen öffentlich versteigert.
Auch Thekla Isaacsohn verlor alle finanziellen Rücklagen und nahezu ihre gesamte Habe. Das Gepäck unterlag repressiven Auflagen: „Nicht genehmigt waren z.B. rezeptpflichtige Medikamente, für ältere Menschen – und das waren in Baden-Baden fast alle Deportierten – eine lebensbedrohliche Regelung“ (Schindler 2013: 260). Nur ein wärmender schwarzer Seal-Pelzmantel ,begleitete‘ die 73-jährige Oberin nach Gurs. Den Großteil ihrer Kleidung und Wäsche musste sie zurücklassen, ebenso ihre im Kurheim untergebrachte komplette Wohn- und Schlafzimmereinrichtung sowie Gebrauchsgegenstände und Bücher. Der Verbleib ihres Mobiliars lässt sich nicht mehr ausreichend klären: Nach bisherigem Informationsstand rettete der Noch-Eigentümer des jüdischen Frauenkurheims, die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, vor dem Verkauf (‚Arisierung‘) der Liegenschaft Teile des Inventars für jüdische Altersheime in Mannheim und Konstanz – ohne Kenntnis, dass sich darunter womöglich private Möbel der Oberin befanden (StAF: Personalakte Isaacsohn, Thekla; Restitutionsverfahren Erholungsheim für israelitische Frauen in Baden-Baden e.V.). Die nicht übernommenen Objekte wurden im Haus versteigert oder gelangten gegen eine geringe Gebühr an den Vertreter der jüdischen Reichsvereinigung in den Besitz des Käufers Rubens. Im Sommer 1941 statteten Gretel und Peter Canisius – Thekla Isaacsohn hatte die Lagerhaft bereits das Leben gekostet – dem ‚Haus Rubens‘ einen Besuch ab. Das Ehepaar Rubens zeigte sich kooperativ und händigte einige wenige noch verbliebene Gegenstände aus, die Thekla Isaacsohns Erben als das Eigentum ihrer Mutter und Schwiegermutter erkannten.
Die Deportation am 22. Oktober 1940 in Richtung Südfrankreich, das dem mit Nazideutschland kollaborierenden Pétain-Regime in Vichy unterstand, war mit den französischen Behörden offenbar nicht abgesprochen. Dennoch verweigerten die deutschen Nationalsozialisten strikt die Rückführung der insgesamt über 6.500 jüdischen Badener/innen, Pfälzer/innen und Saarländer/innen nach Deutschland. So leitete das überrumpelte französische Bahnpersonal die Deportationszüge weiter in den Süden. Bis dahin mussten die in verplombten Waggons Eingepferchten mehrere Tage und Nächte ausharren – ohne ausreichende Flüssigkeit, Verpflegung und medizinische Versorgung. Völlig erschöpft erreichten sie das Camp de Gurs und gerieten in ein morastiges, baufälliges und bereits winterlich kaltes Barackenlager am Fuße der Pyrenäen, das „die Dimensionen einer mittleren Stadt hatte“ (Teschner 2002: 123). Das mit Stacheldraht von der Außenwelt abgesperrte Lager „besteht aus ca. 380 Baracken, die weder sanitäre Anlagen noch Trennwände haben. Statt Fenster gibt es unverglaste Lichtluken, die durch Holzklappen verschlossen werden können. In einer Baracke sind etwa 50 bis 60 Menschen untergebracht“ (Gerlach/Weber 2005: 16). Ihre traumatischen Eindrücke vom Lager Gurs im Herbst/Winter 1940 schilderte die Schweizer Rotkreuzschwester Elsbeth Kasser (zit. n. Wiehn 2010: 165-168, hier 165f.):
„Die erste Nacht war kalt und hart. Ratten rannten umher und bissen manchmal zu, Wanzen machten sich bemerkbar. […] Es regnete und regnete… Der Boden war in ein Schlamm-Meer verwandelt, etwas vom Schlimmsten in Gurs. Nur mühsam konnte ich mich fortbewegen, glitt aus, sank ein. […] Als ich zum ersten Mal in eine Baracke eintrat, war es trotz Tageslicht dunkel. Wegen der Kälte hatte man die Fensterläden geschlossen, und Fensterscheiben gab es keine. Da lag und kauerte auf oft feuchten Strohsäcken am Boden Mensch an Mensch. Tisch, Sitzgelegenheit oder Aufhängevorrichtung für Kleider fehlten. Wegen der Kälte schliefen viele in ihren Kleidern. […] Ein spärliches Licht brannte nur von 18 bis 20 Uhr. Ratten und anderes Ungeziefer trieben ihr Unwesen. Die Latrinenverschläge waren bis zu 100 Meter Entfernung in 2 Meter Höhe auf steiler Treppe erreichbar. […] Hier harrten auf engstem Raum vom Unglück verfolgte Menschen: Kranke, Alte und Kinder. Manche erfroren, viele starben vor Schwäche, und auf dem Lagerfriedhof zählte man schon nach dem ersten Winter über 1000 Gräber.“
Auch wegen ihres höheren Alters war die Sterberate unter den jüdischen Gefangenen hoch. „Nach den Unterlagen der Verwaltung starben im Lager Gurs zwischen dem 25. Oktober und dem Jahresende 1940 476 Personen“ (Teschner 2002: 161) – sehr wahrscheinlich an einer Durchfall-Epidemie in Verbindung mit verunreinigtem Trinkwasser. Dieser „Vorhölle von Auschwitz“ entkamen nur wenige Gefangene: Eine minimale Chance hatten Internierte mit Kontakten ins Ausland, die Visa, Schiffspassagen und Devisen beschaffen konnten (vgl. Schindler 2013: 256). Viele Deportierte hatten bei dem hastigen Aufbruch ihre Papiere zurückgelassen; Anträge wurden von den NS-Behörden verschleppt.
Infolge der gezielten Überfall-Strategie der ‚Wagner-Bürckel-Aktion‘ blieben außerhalb Badens und der Saarpfalz lebende Angehörige lange Zeit im Ungewissen und erfuhren erst spät von deren ‚Ausweisung‘. Zu Alma Feist und Rosa van der Walde drang ein Brief ihrer Schwester Thekla durch, der sie über ihre Lagerhaft im fernen Gurs unterrichtete. Korrespondenz von und nach Gurs unterlag, wenn sie überhaupt ihr Ziel erreichte, einer „strengen Zensur“ (Gerlach/Weber 2005: 17). Die im westfälischen Minden wohnende Stieftochter Gretel Canisius hatte anfangs gehofft, die Oberin hätte den Transport der letzten Bewohnerinnen des Baden-Badener Heims nur begleitet und käme bald zurück. Doch sollte sie ihre geliebte „Leviratsmutter“ nie mehr wiedersehen. Selbst unter menschenfeindlichen Lagerbedingungen klardenkend und um ihre Lieben besorgt, bestimmte Thekla Isaacsohn nicht Gretel, sondern deren nach den NS-Rassegesetzen „arischen“ Ehemann zu ihrem offiziellen Erben. Erhalten ist ein Brief (StAF: Personalakte Isaacsohn, Thekla: handschriftliches Schreiben, undatiert (um 1941)) – vermutlich das letzte Lebenszeichen – in dem sie festhielt: „Wir wissen hier nichts von der Welt u.[nd] sehen nur Stacheldraht“. Thekla Isaacsohn überlebte die verheerende Epidemie des Winters 1940/41 im Lager Gurs, doch fiel am 3. Mai 1941 auch sie dem „kalten Mord“ (zitiert nach Resi Weglein, Krankenschwester und Überlebende von Theresienstadt, vgl. dies. 1990) zum Opfer. Von ihrem Tod erfuhren die Angehörigen, wie ihr Enkel Claus Canisius (2015: 325) mitteilt, erst anhand „einer Haarlocke in einem handschriftlichen Brief, geschrieben von einem anonymen Zeitzeugen“.
Seit 2010 erinnern an die Oberin und weitere Mitarbeiter/innen des israelitischen Frauenkurheims am ehemaligen Standort Werderstraße 24 sechs Stolpersteine (vgl. Schindler 2013: 291-292, Fn 14 sowie Badische Landesbibliothek Karlsruhe Verzeichnis: Stadtkreis Baden-Baden, S. 4, Nr. 48; BAK Gedenkbuch; JUF Datenbank; Stolpersteine Baden-Baden; Yad Vashem Datenbank).
Zusammen mit Thekla Isaacsohn wurden deportiert:
- Lina Geismar geb. Katz (1894 Guxhagen/Melsungen – 1942 Auschwitz), Köchin;
- Ludwig Geismar (1896 Breisach – 1942 Auschwitz), Hausdiener;
- Rosa Goldschmidt (1889 Gelnhausen – 1942 Auschwitz), Bürohilfe;
- Katharina (Käthe) Preis (1913 Saarbrücken – 1942 Auschwitz), Hausgehilfin;
- Marion (Maria Karin) Spier (1908 Kassel – 1942 Auschwitz), Hausgehilfin.

Schwarzwaldtanne, Stolperstein und Kiddusch-Kelch: Wege des Gedenkens an Thekla Isaacsohn
Anders als die allermeisten Mordopfer der Shoah erhielten Thekla Isaacsohn und viele ihrer 1940 deportierten Leidensgenossinnen und Leidensgenossen eine Beerdigungsstätte: auf dem Lagerfriedhof des Camp de Gurs mit über tausend noch heute bestehenden Gräbern. Der Friedhof, lange Zeit vergessen und verdrängt, verwahrloste zusehends, ein Zustand, der Angehörige und Nachkommen zusätzlich belastete. Im Jahr 1957 begab sich Gretel Canisius auf die mühselige Spurensuche nach dem Grabstein ihres geliebten „Muttchens“. Aus ihrem Bericht (zit. n. Canisius 2015: 327) sprechen Trauer und Wut, aber auch Erleichterung, dass überhaupt ein Grab existiert:
„Diesen Landstrich muss der Herrgott im Zorn erschaffen haben. Es hat aus Eimern geschüttet. […] wir blieben fast stecken im Schlamm, unbefestigte Wege, Gräber in Reihen, Gräber soweit das Auge reichte. Auf jedem Grab ein Schild mit Nummer & Namen der Toten. In der Mitte des Friedhofs ein großer steinerner Obelisk mit einem Davidstern, von Amerikanern gestiftet. Wir haben gesucht & gesucht und haben Muttchens Grab gefunden. Ich habe eine Schwarzwaldtanne gepflanzt, begießen brauchte ich sie nicht, das haben meine Tränen und der Himmel besorgt. – Heute ist der Friedhof vom Land Baden-Württemberg instand gesetzt und bestens gepflegt. Zur Einweihung war Sohn Peter dabei. Ein Alb ist von meiner Seele gewichen. Ich habe sie noch einmal besucht, wenn auch nicht mehr im Leben, so doch im Tode.“

Der „Deportiertenfriedhof“ (vgl. Stadt Karlsruhe:
https://www.karlsruhe.de/b4/international/gurs.de [21.09.2020]) wurde schließlich auf Initiative des damaligen Karlsruher Oberbürgermeisters Günther Klotz instandgesetzt, neugestaltet und am 26. März 1963 eingeweiht. Seit 2002 beteiligt sich auch die Stadt Baden-Baden an der Finanzierung der Pflege des Friedhofs als einem Gedenkort.

„[…] das Verschleppen meiner Großmutter nach Gurs und damit in den Tod ist grauenhaft trostlos“, trug Gretels jüngerer Sohn Dr. Claus Canisius in seine Publikation Mosaische Spurensuche (ders. 2015: 329) ein. Ermutigung, Selbstvergewisserung und Trost fand der Musikwissenschaftler im Gedenken an die mütterliche jüdische Familiengeschichte der Isaacsohns und der Mandels, deren biografisches und kulturelles Erbe er aufdeckte und in deren Tradition er sich selbst verortete. So besuchte er nicht nur den ‚Stolperstein‘ für seine Großmutter Thekla vor dem ehemaligen Baden-Badener jüdischen Frauenkurheim, sondern ebenso die Gräber seiner Vorfahren auf dem Jüdischen Friedhof Holzminden (vgl. Canisius 2016). Seine 1993 verstorbene Mutter Gretel hinterließ ihm ein kostbares Gut: zwei unversehrte Kiddusch-Kelche. Die vor der nationalsozialistischen Vernichtung bewahrten rituellen Weinkelche befanden sich zuvor im Besitz seines Großvaters Iwan Isaacsohn.

Iwan Isaacsohn hatte die rituellen Weinkelche von seinen Eltern Fanny und Joseph Nehemias Isaacsohn geerbt und diese wiederum von Josephs Vater Rabbi Chaver Nehemia Ben Jitzhak, Sohn von Rabbi Jitzhak und ein hochangesehener jüdischer Gelehrter (Chaver), der an einer Tora-Talmud-Hochschule (Jeschiwa) lehrte. Der jüngere der beiden Kelche, „verziert mit vier religionsgeschichtlichen bedeutenden Gravuren“ (Canisius 2015: 305), war ein Geschenk der Jeschiwa-Studenten an ihren hochverehrten Lehrer.

Die erste Inschrift enthält „die Genealogie der Familie Isaacsohn, die von Lehrern und Schülern gemeinsam erstellten Widmungstexte sowie das Totengedenken“ (ebd.: 307). Diese Entdeckung war für Claus Canisius – als dem Nachfahren und Erben einer von den Nationalsozialisten fast vernichteten jüdischen Familie – von unschätzbarem Wert.

Die gemeinsame jüdische Tradition und Familiengeschichte (vgl. Canisius 2015: 318), symbolisiert durch die geretteten Kiddusch-Kelche und ihre Inschriften, hat Claus Canisius wieder mit seiner schmerzlich vermissten Großmutter vereint. In einem Interview (vgl. Altenburg 2015) hatte Oberin Theklas über 80-jähriger Enkel seinem Gesprächspartner einen Herzenswunsch offenbart: „Ich würde gerne Rabbiner werden.“
Nachbetrachtung und Dank
Bis auf ihren Brief aus dem Camp de Gurs sind von Thekla (Mandel) Isaacsohn bislang keine weiteren Ego-Dokumente wie Tagebücher, Aufzeichnungen und Korrespondenzen bekannt. Gleichwohl gehört ihre berufliche, persönliche und Familienbiografie zu den wenigen Lebensgeschichten deutsch-jüdischer Krankenschwestern, die weitgehend rekonstruiert werden konnten. Eine ähnlich günstige Quellenlage weisen lediglich der erhaltene Teil-Nachlass und die 1996 veröffentlichte Autobiografie Stationen einer jüdischen Krankenschwester. – Deutschland – Ägypten – Israel von Thea Levinsohn-Wolf auf. Am Beispiel Thekla Isaacsohns und ihrer jüngeren Frankfurter Kollegin Thea lassen sich für Bildung, Fortbildung, Unterricht und Lehre wichtige Aspekte deutsch-jüdischer Pflegegeschichte dokumentieren, beleuchten und mit Fotomaterial veranschaulichen, Erkenntnisse über Zusammenhänge von Pflege und Judentum gewinnen, Erinnerung vertiefen.
Für die großartige Unterstützung und Zusammenarbeit bei den Recherchen zu diesem Artikel dankt die Autorin ganz besonders dem im März 2020 leider verstorbenen Musikwissenschaftler und Enkel Dr. Claus Canisius, seiner Frau Dorothea Canisius für die gastfreundliche Aufnahme. Des Weiteren geht der Dank (in alphabetischer Reihenfolge) an Dr. Claudia Becker, Stadtarchiv Lippstadt – Klaus Kieckbusch, Holzminden – Jochen Rees, Staatsarchiv Freiburg – Andrea Rönz, Stadtarchiv Linz am Rhein – Gerd Schmitz, Standesamt Linz am Rhein – Dr. Matthias Seeliger, Stadtarchiv Holzminden – Prof. em. Dr. Erhard Roy Wiehn, Universität Konstanz. Für die Erforschung der Familiengeschichte Mandel/Isaacsohn hilfreich war zudem das digitale Datenbankprojekt Jüdisches Leben in Minden und Umgebung (https://juedisches-leben.kommunalarchiv-minden.de/index.php, Stand 21.09.2020).
Birgit Seemann, Stand November 2021
Literaturverzeichnis
Ungedruckte Quellen
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HB 655: Hausstandsbuch Bornheimer Landwehr 85 (Frankfurter jüdisches
Schwesternhaus), Sign. 655
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Register der Juden und Dissidenten im Regierungsbezirk Arnsberg, Lippstadt: P 5, Nr. 256: Nr. 154 (rechte Seite, letzter Eintrag): Geburtseintrag zu Thekla Mandel zu 1867 (rechte Seite, letzter Eintrag)
StAF: Staatsarchiv Freiburg: Landesarchiv Baden-Württemberg, Abteilung Staatsarchiv Freiburg:
Personalakte (Entschädigungsakte): Bestand F 196/1 Nr. 5886: Isaacsohn, Thekla
Zivilprozessakten (Restiutionsverfahren): Bestand F 168/2 Nr. 762: Canisius, Gretel
Zivilprozessakten (Restitutionsverfahren): Bestand F 166/3 Nr. 3863: Canisius, Peter [Schwiegersohn, von Thekla Isaacsohn als Erbe eingesetzt]
Zivilprozessakten (Restitutionsverfahren): Bestand F 168/2 Nr. 619: Isaacsohn-Jackson, Werner, Oxford (Großbritannien)
Landgericht Baden-Baden (Restitutionsverfahren): Bestand F 165/1 Nr. 121:
Rückerstattung (Grundstück mit Wohnhaus Werderstraße 24, Baden-Baden), Kläger: Erholungsheim für israelitische Frauen in Baden-Baden e.V., Frankfurt a.M.: Beklagte(r): Rubens, Hans, Kaufmann, Baden-Baden; Löw, Emil, Fabrikant, Baden-Baden-Oos (1949-1954)
NL 1 Jackson: Jackson, Werner: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz: Jackson, Werner, Teil-Nachlass: http://kalliope-verbund.info/de/eac?eac.id=1111573360
NL 2 Jackson: Bauhaus-Archiv e.V. / Museum für Gestaltung, Berlin: the jackson archive: Jackson, Werner, Teil-Nachlass, Link mit Kurzvita u. Foto: https://www.bauhaus.de/de/sammlung/6445_schenkungen/6449_the_jackson_archive/
PA Canisius: Privatarchiv Dr. Claus Canisius (Canisius/Isaacsohn/Mandel)
Digitalisierte Quellen
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Badische Landesbibliothek Karlsruhe Verzeichnis: Digitale Sammlung: Verzeichnis der am 22. Oktober 1940 aus Baden ausgewiesenen Juden, Karlsruhe 1941: Der Generalbevollmächtigte für das Jüdische Vermögen in Baden: Stadtkreis Baden-Baden, Baden-Baden, S. 4 (Nr. 48), Online-Ausg. 2012: https://digital.blbkarlsruhe.de/blbihd/content/titleinfo/1079922
Kommunalarchiv Minden
Kommunalarchiv Minden Datenbank: Jüdisches Leben in Minden und Umgebung. Hg.: Kommunalarchiv Minden. Archiv der Stadt Minden und des Kreises Minden-Lübbecke, https://juedisches-leben.kommunalarchiv-minden.de/index.php
UB JCS Ffm: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt a.M.
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Judaica Frankfurt CM: Judaica Frankfurt, Compact Memory: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/nav/index/title
Sekundärliteratur
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Seemann, Birgit/ Bönisch Edgar 2019: Das Gumpertz’sche Siechenhaus – ein „Jewish Place“ in Frankfurt am Main. Geschiche und Geschichten einer jüdischen Wohlfahrtseinrichtung. Einleitung von Eva-Maria Ulmer und Gudrun Maierhof. Frankfurt a.M.
Steppe, Hilde 1997: „… den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre …“. Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Frankfurt a.M.
Teschner, Gerhard J. 2002: Die Deportation der badischen und saarpfälzischen Juden am 22. Oktober 1940. Vorgeschichte und Durchführung der Deportation und das weitere Schicksal der Deportierten bis zum Kriegsende im Kontext der deutschen und französischen Judenpolitik. Frankfurt a.M. [u.a.]
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Weglein, Resi 1990: Als Krankenschwester im KZ Theresienstadt. Erinnerungen einer Ulmer Jüdin. Hg. u. mit e. Zeit- u. Lebensbeschreibung versehen v. Silvester Lechner u. Alfred Moos. Stuttgart
Wiehn, Erhard Roy (Hg.) 2010: Camp de Gurs. Zur Deportation der Juden aus Südwestdeutschland 1940. Konstanz
Internetquellen (letzter Aufruf aller im Text verwendeten Quellen am 21.09.2020)
Alemannia Judaica: Alemannia Judaica – Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum: https://www.alemannia-judaica.de/
Alemannia Judaica Baden-Baden (Stadtkreis): https://www.alemanniajudaica.de/badenbaden_synagoge.htm
Alemannia Judaica Baden-Baden (nach 1945): https://www.alemanniajudaica.de/badenbaden_neu.htm
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Alemannia Judaica Rhens: https://www.alemannia-judaica.de/rhens_synagoge.htm
BAK Gedenkbuch: Bundesarchiv Koblenz: Gedenkbuch: Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945, https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch
Geni: https://www.geni.com (private genealogische Website mit noch weiter zu prüfenden Angaben)
Joseph Mandel: https://www.geni.com/people/Joseph-Mandel/6000000036299037167
GenWiki: http://wiki-de.genealogy.net/Hauptseite. Hg.: Verein für Computergenealogie e.V., Dortmund – Datenbank Grabsteine: http://grabsteine.genealogy.net (unter Mitarbeit v. Holger
Holthausen u. Herbert Juling)
JüdPflege: Jüdische Pflegegeschichte / Jewish Nursing History. Forschungsprojekt an der Frankfurt University of Applied Sciences, https://www.juedische-pflegegeschichte.de
JUF Datenbank: Biographische Datenbank Jüdisches Unterfranken, http://www.historischesunterfranken.uni-wuerzburg.de/juf/
Stolpersteine Baden-Baden: http://stolpersteine-baden-baden.de
Theresienstadt Opferdatenbank: https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/
Yad Vashem Datenbank: Gedenkstätte Yad Vashem, Zentrale Datenbank der Holocaust-Opfer, https://yvng.yadvashem.org/
Gumpertz’sches Siechenhaus – Buchpräsentation im Haus am Dom
Hier finden Sie den LIVESTREAM zu unserer Veranstaltung „Gumpertz’sches Siechenhaus“ bei YouTube Haus am Dom: https://www.youtube.com/watch?v=tetgm6BawEo
Das Gumpertz’sche Siechenhaus – ein „Jewish Place“ in Frankfurt am Main
Prof. Dr. Eva-Maria Ulmer, Dr. Birgit Seemann, Dr. Edgar Bönisch (AK Jüdische Pflegegeschichte – Biographien und Institutionen in Frankfurt am Main)
Am Donnerstag, 12. November 2020, 19.30 -21.30 Uhr live aus dem Haus am Dom, Domplatz 3 in Frankfurt am Main
Weitere Informationen und Aktualisierungen zum Livestream
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Vorgestellt: „Jüdische Pflegegeschichte“ im Haus am Dom
Vortrag
Jüdische Pflegegeschichte in Frankfurt
(Evi Ulmer, Birgit Seemann, Edgar Bönisch, AK Jüdische Pflegegeschichte)
Freitag, 30. Oktober 2020, 19.30-21.00 Uhr
Unser Vortrag im Haus am Dom (Domplatz 3) ist eingebunden in die spannende und vielfältige Tagung „War da was?“ Frankfurt am Main im Nationalsozialismus am 30. und 31. Oktober. Veranstalter ist das Frankfurter Netzwerk für Erinnerungskultur in Kooperation mit dem Haus am Dom: https://hausamdom-frankfurt.de/beitrag/30-und-311020-war-da-was-frankfurt-am-main-im-nationalsozialismus
„Deine Dir gute Obeli“ – Frankfurter jüdische Krankenschwestern in der Kinder- und Säuglingspflege
Der Beitrag erinnert an die in der Kinder- und Säuglingspflege aktiven Schwestern des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen – zugleich ein vergessener Teil der Frankfurter Pflege- und Sozialgeschichte. Unter Anleitung von Oberin Minna Hirsch arbeiteten Johanna Beermann und Anna Ettlinger in der Säuglingsberatung des Krankenhauses der Israelitischen Gemeinde und in der Säuglings-Milchküche im benachbarten jüdischen Schwesternhaus. Rosa (Goldstein) Fleischer leitete die Kostkinderkommission. Alle drei Einrichtungen halfen jüdischen wie nichtjüdischen Müttern und Kindern. Zum Erfolg des überkonfessionell mit hoher jüdischer Beteiligung gegründeten Frankfurter Verbands für Säuglingsfürsorge, dessen Einsatz viele Kinderleben rettete, trug auch der engagierte Pflegedienst von Betty Schlesinger, Doris Unger, Else Unger, Dina Wolf und Babette Zucker bei.
„Obeli“ – so nannten die kleinen Bewohnerinnen und Bewohner des Kinderhauses des jüdischen Frauenvereins ,Weibliche Fürsorge‘ ihre soziale Mutter: Oberin Frieda (Frida) Amram, ebenfalls Mitglied des Schwesternvereins und drei Jahrzehnte lang die Leiterin des Kinderheims. Am ehemaligen Standort Hans-Thoma-Straße 24 im Stadtteil Sachsenhausen ist der ,Platz der vergessenen Kinder‘ mit dem in Frankfurt einzigartigen ,Dreidel‘-Mahnmal heute ein eindrucksvoller Gedenkort.
Einführung
„Deine Dir gute Obeli“ trug Frieda Amram, die Leiterin des Kinderhauses des jüdischen Frauenvereins ,Weibliche Fürsorge e.V.‘ im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen, am 25. Dezember 1939 in das Poesiealbum von Inge Grünwald ein – zum Abschied, denn noch am gleichen Tag zwang die NS-Verfolgung die neunjährige Schülerin, nur von ihrem 16-jährigen Cousin begleitet, ihre Heimatstadt Frankfurt am Main zu verlassen und in das ferne Uruguay zu emigrieren (zit. nach Mahnkopp 2020: 26; siehe auch Maierhof 2004). Mit dem liebevollen Kosewort „Obeli“ für „Oberin“ bedachten die kleinen Bewohnerinnen und Bewohner des Kinderhauses ihre soziale Mutter Frieda Amram: Drei Jahrzehnte lang sorgte die ausgebildete Krankenschwester im Auftrag des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen für verwaiste, vernachlässigte und zuletzt NS-bedrohte jüdische Kinder und schuf ihnen einen Ort der Geborgenheit – eine Lebensaufgabe, die erst NS-Verhaftung und Deportation gewaltsam beendeten.
Der Artikel erinnert an Oberin Frieda (Frida) Amram (1885–1942) und ihre in der Frankfurter Kinder- und Säuglingspflege aktiven Kolleginnen vom Verein für jüdische Krankenpflegerinnen – zugleich ein vergessener Teil der Frankfurter Pflege- und Sozialgeschichte: Die Schwestern arbeiteten in der Geburtshilfestation und der Säuglingsberatung des Krankenhauses der Israelitischen Gemeinde (Königswarterstraße 26, seit 1914: Gagernstraße 36), in der Säuglings-Milchküche im benachbarten jüdischen Schwesternhaus (Königswarterstraße 20, seit 1914: Bornheimer Landwehr 85) für den Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge und sehr wahrscheinlich auch im Rothschild‘schen Kinderhospital der neo-orthodoxen Israelitischen Religionsgesellschaft (vgl. Seemann 2016). Im „Böttgerheim“ leisteten sie vermutlich keinen Dienst, da diese von dem jüdisch geborenen und zum Christentum konvertierten Ehepaar Auguste (1839–1909) und Fritz Gans (1833–1920) errichtete Kinderklinik mit Säuglingsheim in der Böttgerstraße eigene Absolventinnen ausbildete (vgl. Gans/ Groening 2008; JüdPflege; ISG Ffm: Wohlfahrtsamt). Ähnlich verfuhr das von Bertha Pappenheim (1859–1936) geleitete Kinderheim des Jüdischen Frauenbundes in Neu-Isenburg bei Frankfurt (vgl. Gedenkbuch JB Neu-Isenburg). Im wie das Böttgerheim überkonfessionellen Clementine Kinderhospital, das die jüdische Stifterin Louise von Rothschild (1820–1894) mitbegründet hat, pflegten christliche Schwestern (vgl. Reschke 2012; JüdPflege).
Zum Forschungsstand
Die Kinder- und Säuglingskrankenpflege ist ein eigenständiger und vielseitiger Ausbildungsberuf (vgl. einführend Hoehl/ Kullick (Hg.) 2019; siehe auch Wikipedia: Kinderkrankenpflege). Gleichwohl liegen hierzulande noch immer zu wenige neuere Studien vor, die die Geschichte dieses Teilgebiets der Krankenpflege näher beleuchten (vgl. z.B. Blessing 2013; siehe auch Fontanel/ Harcourt 1998; Dill 1999; Chamberlain 2000; Frenken 2011). Sehen wir von Eduard Seidlers wegweisender Publikation (vgl. Seidler 2007; DGKJ Datenbank; siehe auch Livnat/ Tobias 2012ff.; Ärztinnen im Kaiserreich 2015) zu NS-verfolgten jüdischen Kinderärztinnen und -ärzten ab, betrifft das Forschungsdesiderat auch Biografien aus der Kinder- und Säuglingskrankenpflege, insbesondere des Pflegepersonals und seinem in der Shoah vernichteten jüdischen Anteil. Im Folgenden wird in die noch weiter zu erforschende Kinder- und Säuglingskrankenpflege des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main eingeführt. Wegen der Querverbindungen in der Tätigkeit jüdischer Krankenschwestern zur Krankenfürsorge und Sozialen Arbeit wird hier der die Krankenpflege einschließende Oberbegriff der Kinder- und Säuglingspflege verwendet.
Für das Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde (Gagernstraße) und die beiden Rothschild‘schen Spitäler (Röderbergweg) ist der Kenntnisstand zu den Kinder- und Säuglingsschwestern infolge der in der Shoah ,verschollenen‘ Personalakten höchst lückenhaft. Aus der Anonymität NS-ausgelöschter Erinnerung bekamen dank der Recherchen (vgl. die Internetseite ,Vor dem Holocaust, Rubrik: Arbeit/ Krankenschwestern, online erreichbar über das Netzwerk des Fritz Bauer Instituts: https://www.fritz-bauer-institut.de [01.11.2021]) der Historikerin Monica Kingreen Pflegende wie Schwester Selma und Schwester Gisela wieder ein ,Gesicht‘: Selma Sonnenberg (Lebensdaten unbekannt) wurde 1916 im Frankfurter jüdischen Schwesternverein ausgebildet und arbeitete um 1920 im Krankenhaus Gagernstraße. Bei Gisela (Familienname und Lebensdaten unbekannt), dort 1933 Säuglingspflegerin, handelt es sich möglicherweise um Gisela Schwarz, geboren am 19. Juli 1895 in Berlin, am 10. Oktober 1928 nach Frankfurt a.M. in das Krankenhaus Gagernstraße eingezogen, am 12. Juli 1939 von den Nationalsozialisten nach England vertrieben (ISG Ffm: HB 686, Bl. 56).
Der Frankfurter jüdische Schwesternverein im Rettungseinsatz für Kinder
„Gegründet 1907. Zweck: a) Verabreichung trinkfertiger Säuglingsnahrung nach ärztlicher Verordnung in solchen Fällen, in denen nach ärztlicher Aussage nicht gestillt werden kann; b) Unterstützung Stillender“, lautete satzungsgemäß das Aufgabengebiet der im Frankfurter jüdischen Schwesternhaus am damaligen Standort Königswarterstraße 20 eingerichteten Säuglings-Milchküche (zit. n. Schiebler 1994: 166). Diese „sozialfürsorgerische Initiative“ kam jüdischen wie nichtjüdischen Hilfesuchenden zugute und sollte „vor allem die Säuglinge armer Mütter aller Konfessionen mit gesunder und hygienisch hergestellter Kleinkindnahrung“ versorgen (Steppe 1997: 209) – eine dringend notwendige Maßnahme, die zahlreiche Kinderleben rettete: So waren im Zeitraum 1891–1900 von 100 in Frankfurt am Main geborenen Säuglingen 16 Prozent bereits im ersten Lebensjahr verstorben (vgl. ISG Ffm: Thomann-Honscha 1988: 83). Die häufigste Todesursache resultierte aus Krankheiten der Verdauungsorgane wegen armutsbedingter Mangel- und Fehlernährung, gefolgt von Tuberkulose und Atemwegserkrankungen.
Oberin Minna Hirsch: Leiterin der Säuglingskommission der Weiblichen Fürsorge e.V.
Die Säuglings-Milchküche war ein Projekt der ,Säuglingskommission‘ des ,Verein[s] der Weiblichen Fürsorge – Israelitischer Frauenverein zur Förderung gemeinnütziger Bestrebungen‘. Die ,Weibliche Fürsorge‘ umfasste eine maßgeblich von den Frankfurter jüdischen Sozialreformerinnen und Frauenrechtlerinnen Bertha Pappenheim (1859–1936) und Henriette Fürth (1861–1938) errichtete Abteilung des Israelitischen Hilfsvereins, der die jüdische Armenpflege und Sozialarbeit koordinierte (vgl. Pappenheim 1920; siehe auch Fürth 2010). Den Vorsitz der Säuglingskommission übernahm mit Minna Hirsch (1860–1938) die erste Oberin des Frankfurter jüdischen Schwesternhauses und Krankenhauses (vgl. Recherche-Eintrag zu Minna Hirsch bei JüdPflege). Hier deuten sich – insbesondere durch Oberin Minna Hirsch, zugleich Mitglied des Vorstands der ,Weiblichen Fürsorge‘ und vermutlich auch des Vorstands des Frankfurter Ortsvereins des Jüdischen Frauenbundes (vgl. Anonym. 1905: 4; Klausmann 1997: 160, 178; siehe auch Kaplan 1981; Schröder 2001) – Verbindungen der beruflichen jüdischen Krankenpflege zur bürgerlich-jüdischen Frauenbewegung im Kaiserreich an. Um 1903 arbeitete die Säuglingskommission unter Minna Hirschs Vorsitz „mit 9 Damen und beaufsichtigte 40 Kinder (darunter 3 uneheliche), die größtenteils aus der Freiherrlich von Rothschild‘schen Stiftung mit Milch versorgt wurden“; zudem ergab das Zusatzangebot der „Wägung der Kinder“ im israelitischen Gemeindehospital (Königswarterstraße, ab 1914 Gagernstraße) „sehr befriedigende Resultate“ (zit. n. Anonym. 1905: 3).
Rosa (Goldstein) Fleischer: Leiterin der Kostkinderkommission
Vermutlich im Jahr 1902 übertrug der Verein für jüdische Krankenpflegerinnen seiner Armenschwester Rosa Goldstein die Leitung der Kostkinderkommission und unterstützte damit ein weiteres Projekt der ,Weiblichen Fürsorge‘: „Hier werden Kinder ab einem Alter von etwa zwei Jahren, die entweder Waisen sind oder in ihren Familien zu verwahrlosen drohen, in Pflegefamilien in und um Frankfurt vermittelt und regelmäßig besucht“ (vgl. Steppe 1997; siehe auch Fürth 1898; ISG Ffm: Thomann-Honscha 1988). Wie die Säuglingskommission arbeitete auch die Kostkinderkommission mit neun ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen. Für die Jahre 1903 und 1904 berichtet die Allgemeine Zeitung des Judentums:
„Sie [die Kostkinderkommission, B.S.] beaufsichtigte 19 Kinder (darunter 5 uneheliche), die teils in Frankfurt, teils auf dem Lande in Familienpflege untergebracht sind. Jedes Kind wird von der beaufsichtigten [sic!] Dame mindestens viermal im Jahre besucht. Die Kostkinderkommission arbeitet vielfach gemeinsam mit dem Almosenkasten der israelitischen Gemeinde und dem Armenamte, sofern es sich um die Bewilligung der Pflegegelder handelt“ (Anonym. 1905: 3).
Der Leiterin der Kostkinderkommission selbst war die unsichere Existenz eines elternlosen Pflegekindes nur allzu bekannt: Geboren am 21. Januar 1874 in Göppingen (Baden-Württemberg), verlor Rosa Goldstein frühzeitig ihre Eltern sowie drei Geschwister, die „schon als Säuglinge starben“ (Maier-Rubner 2016). Der Vater Martin Goldstein (1847–1928, vgl. Geni), Textilkaufmann und bis 1881 Inhaber eines Herrenbekleidungsgeschäfts in Göppingen, verließ seine Familie und wanderte nach England aus. Ihre Mutter Sofie geb. Fleischer (1851–1888, vgl. Geni) starb unter ungeklärten Umständen in Karlsruhe, als Rosa 14 Jahre jung war. Vermutlich kam sie mit ihren Schwestern Julie, Emilie und Helene bei Verwandten unter. Um auf eigenen Füßen zu stehen, erkämpfte sich Rosa Goldstein einen der begehrten Ausbildungsplätze des Frankfurter Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen. Nach erfolgreichem Abschluss bewährte sie sich in der Privat- und Armenpflege, weshalb ihr der Schwesternverein um 1902 die Leitung der Kostkinderkommission übertrug. Doch schied Rosa Goldstein 1903 oder 1904 nach fast zehnjähriger Pflegetätigkeit wieder aus dem Frankfurter jüdischen Schwesternverein: Sie kehrte nach Göppingen zurück und heiratete im November 1904 ihren (entfernten) Verwandten Leopold „Moritz“ Fleischer (1869–1938, vgl. Geni). Rosa Fleischers neuer Lebensmittelpunkt wurde Cannstatt (heute Bad Cannstadt, Stadtbezirk von Stuttgart, vgl. zur jüdischen Geschichte Alemannia Judaica Bad Cannstadt), wo ihr Ehemann als Prokuristbei der ,Mechanischen Gurten- und Bandweberei Gutmann und Marx‘ angestellt war. In Cannstadt kamen 1906, 1909 und 1918 die drei gemeinsamen Kinder Edgar Siegfried, Sofie Gabriele und Elsbeth Beate zur Welt. Im Ersten Weltkrieg hielt sich Rosa Fleischer möglicherweise für einige Zeit in Frankfurt auf, um ihre früheren Kolleginnen zu unterstützen: So erwähnen zwei Jahresberichte des Frankfurter Vereins für Säuglingsfürsorge eine Schwester „Rosa“ (ohne Angabe des Familiennamens, vgl. Jahresbericht FVfS 1914 u. 1915: 3).
Rosa Fleischers von NS-Verfolgung und schweren Schicksalsschlägen belasteten letzten Lebensjahre führt uns der Göppinger Lokalhistoriker Klaus Maier-Rubner eindrucksvoll vor Augen. Die Familiengeschichte Goldstein/ Fleischer hat er mit Hilfe überlebender Nachkommen rekonstruiert (vgl. ders. 2016 u. 2017): So litt Rosa Fleischer noch zu Lebzeiten ihres Ehemannes Leopold (gest. 1938) an Diabetes, eine Erkrankung, die zu ihrer Erblindung führte. Zwei ihrer inzwischen erwachsenen Kinder, die sie im südamerikanischen Exil sicher glaubte, kamen durch tragische Unfälle ums Leben, nur die mittlere Tochter Sofie Gabriele erlebte in England das Ende des Naziherrschaft. Rosa Fleischer selbst, welche „nach außen hin erstaunlich gefasst blieb, wie mehrere Aussagen bekräftigen“ (Maier-Rubner 2016), wurde am 22. August 1942 nach Theresienstadt deportiert. Ihr tapferes Leben endete am 12. Dezember 1942 im Lager. Seit dem 25. November 2011 erinnert in Göppingen, Lutherstraße 11, ein ,Stolperstein‘ an Rosa Fleischer.
Anna Ettlinger und Johanna Beermann: Leiterinnen der Säuglings-Milchküche
Zur ersten Leiterin der Säuglings-Milchküche bestimmte der Frankfurter jüdische Schwesternverein 1907 seine bewährte Pflegende Anna Ettlinger (vgl. Rechenschaftsbericht Jüdischer Schwesternverein Ffm 1920: 60). Ihre biografischen Daten sind bislang nicht geklärt, doch hat Hilde Steppe (1997: 209) recherchiert, dass sie ihre Ausbildung 1894, im gleichen Jahr wie Rosa (Goldstein) Fleischer, abschloss und danach vorwiegend in der Privatpflege arbeitete. Im Zeitraum ihrer Leitungsfunktion in der Säuglings-Milchküche wurde Anna Etttlinger 1910 für ein Jahr Oberin des Genesungsheims der Eduard und Adelheid Kann-Stiftung zu Oberstedten (Oberursel). Ende 1914 wurde sie pensioniert und von ihren Vorgesetzten mit großem Lob bedacht: „Sie hat dem Verein 20 Jahre sehr gute Dienste geleistet. Besonders verdienstlich hat sie in den letzten acht Jahren die Säuglings-Milchküche geleitet und sich hierbei als außerordentlich tüchtig und pflichttreu bewährt“ (zit. n. Rechenschaftsbericht Jüdischer Schwesternverein Ffm: 60).
Anna Ettlingers Nachfolgerin Johanna Beermann arbeitete vermutlich bereits 1913 in der Säuglings-Milchküche mit. Am 27. April 1914 zog sie vom alten Schwesternhaus Königswarterstraße 20 in das im Mai offiziell eröffnete Schwesternhaus Bornheimer Landwehr 85. Ob die Milchküche in das neue Schwesternhaus oder in den benachbarten Neubau des Krankenhauses Gagernstraße wechselte, lässt sich bislang nicht klären. Johanna Beermann – auch: Johanette/ Johannetta/ Janette/ Jeanette Bermann – gehörte wie ihre Oberin Minna Hirsch zu den jüdischen Krankenschwestern der ,ersten Stunde‘ und widmete ihr gesamtes Leben der Pflege. Geboren am 10. Juli 1863 in Wittlich (Rheinland-Pfalz), stammte sie aus der Südeifel. Nach ihrer Ausbildung (1895) am Jüdischen Krankenhaus Köln wurde sie 1896 Mitglied des Frankfurter Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen. Der Schwesternverein setzte sie im Israelitischen Krankenhaus Hamburg, im Israelitischen Spital zu Basel, in der Privat- und Armenpflege sowie zwischen 1910 und 1912 im Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge ein (vgl. Jahresberichte FVfS 1911: 6 u. 1912: 5). Die Säuglings-Milchküche leitete Johanna Beermann im Ersten Weltkrieg unter erschwerten Personalbedingungen: Trotz des hohen Einsatzes in Lazarett und Etappe wurden vom Frankfurter jüdischen Schwesternverein „vor allem die Tätigkeitsfelder in sozialfürsorgerischen Bereichen in Frankfurt die ganze Kriegszeit hindurch aufrecht erhalten, wie die in der Säuglingsmilchküche, im Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge und im Kinderhaus der Weiblichen Fürsorge“ (Steppe 1997: 218). Zum Vorstand der Säuglings-Milchküche gehörten im Kriegsjahr 1917 als „Kassiererin“ (Schatzmeisterin) Bertha Pappenheim (vgl. Schiebler 1994: 166) und als Vorsitzender der praktische Arzt Dr. Adolf Deutsch (1868–1942, vgl. JüdPflege), Leiter der Poliklinik des jüdischen Krankenhauses Gagernstraße und stellvertretender Vorsitzenden des jüdischen Schwesternvereins. Am 1. November 1920 wurde Johanna Beermann pensioniert, sie nahm ihr Wohnrecht im Frankfurter jüdischen Schwesternhaus wahr. Zu diesem Zeitpunkt ahnte sie noch nicht, dass sie zwanzig Jahre später, am 19. November 1940, ihren Alterssitz durch die nationalsozialistische Zwangsräumung des Schwesternhauses verlieren würde: Zusammen mit ihren Kolleginnen wurde sie in das Krankenhaus Gagernstraße einquartiert. Angesichts der drohenden Verschleppung in ein Konzentrations- oder Vernichtungslager – ihre ältere Schwester Babette Bermann/ Beermann (geb. 15.10.1859 in Leiwen) und weitere Angehörige waren bereits deportiert worden (vgl. Bühler/ Bühler 1993; siehe auch Alemannia Judaica Wittlich) – nahm sich die 77jährige Johanna Beermann am 23. August 1942 das Leben. Beerdigt wurde sie als „Janette Bermann“ auf dem neueren Jüdischen Friedhof Eckenheimer Landstraße (Diamant 1983: 6).
Der Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge – eine ,Erfolgsstory‘ auch für die jüdische Krankenpflege
Dem von der ,Weiblichen Fürsorge‘ neu eingerichteten ,Ausschuß für Säuglingsfürsorge‘ stellte der Verein für jüdische Krankenpflegerinnen im Herbst 1910 eine Schwester „kostenlos zur Verfügung“ (Steppe 1997: 210). Der Ausschuss gehörte zu den Vorläufern des durch sein vorbildliches Wirken später auch überregional bekannten Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge (vgl. Rosenhaupt 1912; Thomann-Honscha 1988). Am 8. Dezember 1910 gründete er sich als eine überkonfessionelle Vereinigung vieler Einzelpersonen und Institutionen. Seine Errichtung verdankte er primär jüdischen Mitgliedern des Frankfurter Ärztlichen Vereins, allen voran dem Kinderarzt Dr. Heinrich Rosenhaupt (1877–1944, vgl. Kallmorgen 1936: 388; DGKJ Datenbank) in Kooperation mit dem bereits erwähnten Dr. Adolf Deutsch sowie dem Sozialmediziner und Kommunalpolitiker Dr. Wilhelm Hanauer (1866–1940, vgl. Daub 2015; Elsner 2017). Zwei der drei weiblichen Kollegen in den am 1. Januar 1911 eröffneten neun Beratungsstellen des Verbands – namentlich Dr. Käthe Neumark (1871–1939, vgl. Seidler 2007; Ärztinnen im Kaiserreich 2015, DGJK Datenbank), vor ihrem Medizinstudium selbst Krankenschwester des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins, und Dr. Paula Philippson (1874–1949, vgl. ebd.) – waren ebenfalls jüdisch, die dritte, Dr. Käthe Kehr (1874–1926, vgl. Ärztinnen im Kaiserreich 2015), evangelisch. Um auch hilfsbedürftige Mütter und ihre Säuglinge zu unterstützen, die das Beratungsangebot nicht erreichte, wurden in den Stadt- und Armenbezirken (vgl. für den heutigen Stadtteil ,Gallus‘ Roos 2017) jüdische, katholische und evangelische Krankenschwestern eingesetzt. Der im Vergleich zu den anderen konfessionellen Schwesternvereinigungen personell weitaus geringer ausgestattete Verein für jüdische Krankenpflegerinnen stellte dabei bereits im ersten Berichtsjahr drei Schwestern zur Verfügung, der Verein vom Roten Kreuz sowie der Vaterländische Frauenverein jeweils zwei Schwestern (vgl. Jahresbericht FVfS 1911: 6. Dank der intensiven Beratungs- und Rettungsarbeit des Verbands für Säuglingsfürsorge sank der statistische Anteil der in ihren ersten Lebenswochen verstorbenen Säuglinge (von 100 in Frankfurt am Main Geborenen) im Zeitraum 1911–1914 von 14,5 Prozent (1901–1910) auf 10,6 Prozent, im Jahr 1923, nach einem traurigen Wiederanstieg als Folge des Ersten Weltkriegs, dann erstmals unter 10 Prozent (vgl. ISG Ffm: Thomann-Honscha 1988: 83). Seit 1922 koordinierte das Frankfurter Stadtgesundheitsamt die offene Säuglingsfürsorge, der Verband für Säuglingsfürsorge erhielt den Status als „ausführendes Organ der Stadt“ (zit. n. Steppe 1997: 259). 1925 übernahm die Stadt Frankfurt den Verband (ebd.: 127); seine zuletzt 15 Beratungsstellen (Angabe nach Daub 2015: 78) gehörten fortan zum Aufgabengebiet des Stadtgesundheitsamtes.
Betty Schlesinger (frühere Oberin des Israelitischen Spitals zu Basel)
Der erste Jahresbericht (FVfS 1911: 6) des Frankfurter Verbands für Säuglingsfürsorge erwähnt für 1910/11 als erste für den Verband tätige jüdische Schwestern „Betty, Doris, Johanna (Verein für jüdische Krankenpflegerinnen)“. Obgleich in früheren Publikationen Pflegekräfte zumeist ohne ihren Familiennamen genannt wurden, was die biografische Spurensuche nicht eben erleichtert, konnten (außer der bereits im ersten Teil vorgestellten Johanna Beermann) auch Betty Schlesinger und Doris Unger (Kap. 4.3) recherchiert werden. Betty Schlesinger, geboren am 8. Oktober 1866 in Pforzheim (Baden-Württemberg), gehörte zu den ersten jüdischen Krankenschwestern im Kaiserreich. Sie wurde bereits 1893, im Gründungsjahr des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins, ausgebildet und arbeitete danach vorwiegend in der Privatpflege. Zu ihrem 10jährigen Dienstjubiläum erhielt sie 1903 die ,Goldene Brosche‘ des Schwesternvereins. In dessen Auftrag ging sie 1907 in die Schweiz und baute als Oberin die Krankenpflege des ein Jahr zuvor eröffneten Israelitischen Spitals zu Basel auf. 1908 kehrte sie nach Frankfurt zurück und betreute 1910/11 für den Verband für Säuglingsfürsorge drei Stadtbezirke (vgl. Steppe 1997: 258). 1912 schied sie vermutlich aus familiären Gründen aus dem Schwesternverein, beteiligte sich aber im Ersten Weltkrieg Seite an Seite mit ihren früheren Kolleginnen an der Verwundetenpflege im Frankfurter jüdischen Schwesternhaus (Vereinslazarett 27) (ebd.: 225). Zuletzt wohnte Betty Schlesinger, die unverheiratet blieb, zusammen mit Ida Schlesinger (1875–1940) – Betty Schlesingers Familiengeschichte bleibt noch zu erforschen, so ist bislang ungeklärt, ob Ida Schlesinger ihre Schwester oder ihre Schwägerin war – in Pforzheim, Calwerstraße 53 (vgl. Brändle 1985: 105, 194; siehe auch Alemannia Judaica Pforzheim; Stadt Pforzheim Gedenkseite). Beide Frauen wurden am 22. Oktober 1940 durch die nach den beiden NS-Gauleitern und Haupttätern benannte ,Wagner-Bürckel-Aktion‘ in das Lager Gurs in Südfrankreich deportiert. Betty Schlesinger wurde in der Shoah ermordet – die Umstände sind nicht bekannt.
Babette Zucker (spätere stellvertretende Oberin des Israelitischen Altenheims zu Aachen)
Babette Zucker stammte wie Betty Schlesinger und Rosa (Goldstein) Fleischer aus dem heutigen Bundesland Baden-Württemberg. Geboren wurde sie am 11. Juni 1881 als Tochter des Handelsmanns Männlein (Max) Zucker (geb. 1851) und der Näherin Kela (Karoline) geb. Neumann (geb. 1856) im badisch-fränkischen Külsheim (Main-Tauber-Kreis). Das elterliche Wohn- und Geschäftshaus, in dem Babette Zucker mit vielen Geschwistern aufwuchs, ist auf einer Erinnerungswebsite über die jüdische Gemeinde Külsheim abgebildet (vgl. Spengler 2013 sowie ders. 2011; siehe auch Alemannia Judaica Külsheim). Aus dem Örtchen Külsheim zog die junge Frau in die Frankfurter Metropole und absolvierte 1909 ihre Pflegeausbildung im angesehenen Verein für jüdische Krankenpflegerinnen (vgl. Steppe 1997: 229; siehe auch Jahresbericht Jüdischer Schwesternverein Ffm 1910: 5; Rechenschaftsbericht Jüdischer Schwesternverein Ffm: 64). Im Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge setzte sie der jüdische Schwesternverein laut Jahresberichten während des gesamten Ersten Weltkriegs ein (vgl. FVfS 1914 u. 1915: 7; FVfS 1916, 1917, 1918: 9). 1919 unterstützte Babette Zucker im Auftrag des Schwesternvereins ihre Frankfurter Kollegin Sophie Meyer (1865–1940, vgl. JüdPflege, Rubrik ,Recherche‘) als stellvertretende Oberin des Israelitischen Altenheims Aachen. Danach verliert sich ihre biografische Spur.
Doris und Else Unger (spätere Oberschwestern am Krankenhaus der Frankfurter Israelitischen Gemeinde)
Im Jahr 1908 beendete mit Doris (Lebensdaten unbekannt) und Else Unger (geb. 03.06.1880, Sterbedatum unbekannt) ein Schwesternpaar aus dem damals ostpreußischen Schildberg/ Posen erfolgreich die Ausbildung im Verein für jüdische Krankenpflegerinnen, darauf folgte für beide der Einsatz in der Privatpflege (vgl. Steppe 1997: 229; siehe auch Jahresbericht Jüdischer Schwesternverein Ffm 1909: 5; Rechenschaftsbericht Jüdischer Schwesternverein Ffm 1920: 62, 64). Im Auftrag des Schwesternvereins arbeitete Doris Unger von 1910/11 bis 1913 (vgl. Jahresberichte FVfS 1911: 6; FVfS 1912: 5; FVfS 1913: 3) im Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge – gemeinsam mit Johanna Beermann, Betty Schlesinger sowie Clara (Claire) Simon (Lebensdaten unbekannt, vgl. JüdPflege), der späteren Oberin des
Krankenhauses der Israelitischen Krankenkassen in der Rechneigrabenstraße. Im Ersten Weltkrieg übernahmen die Unger-Schwestern Leitungsfunktionen in der Pflege des jüdischen Krankenhauses Gagernstraße: Doris Unger als Oberschwester der Chirurgischen Abteilung, Else Unger nach ihrem Dienst im Lazarett des Krankenhauses sowie im Lazarettzug P.I als Oberschwester der Poliklinik. Vermutlich arbeiteten beide Schwestern seit 1919 in der Säuglingspflege, doch ist nur Else Unger im Jahresbericht des Frankfurter Verbands für Säuglingsfürsorge namentlich erwähnt (vgl. FVfS 1919: 10), zusammen mit Ida Holz (1875–1942) und der Röntgenschwester Blanka Heymann [Blanca Heimann] (Lebensdaten unbekannt, 1899 ausgebildet). Während zu Doris Ungers weiterem Lebensweg keine Informationen vorliegen, ist Else Ungers Abmeldung am 23. März 1933 aus dem Frankfurter jüdischen Schwesternhaus, in dem sie seit dem 27. April 1914 fast zwei Jahrzehnte lang gelebt hatte, dokumentiert. Sie zog nach Berlin, kehrte am 2. Februar 1939 noch einmal in das Schwesternhaus zurück, verließ es dann aber am 1. November 1940 – möglicherweise wegen der NS-Verfolgung – wieder in Richtung Berlin (ISG Ffm: HB 655, Bll. 29, 60; siehe auch HHStAW 518/ 67483).
Dina Wolf (spätere Oberin des Jüdischen Krankenhauses zu Köln)
Auch Dina Wolf (geb. 05.06.1876) kam aus einem Dorf – Krudenburg (auch: Crudenburg), heute Ortsteil der Gemeinde Hünxe im Kreis Wesel, Nordrhein-Westfalen – nach Frankfurt am Main. Dort absolvierte sie 1904 ihre Ausbildung im Verein für jüdische Krankenpflegerinnen und arbeitete danach in der Privatpflege, im Frankfurter jüdischen Krankenhaus Gagernstraße sowie im Israelischen Krankenhaus Hamburg. Im Ersten Weltkrieg organisierte sie als Oberschwester die Pflege in der Inneren Abteilung des Krankenhauses Gagernstraße, ihre Nachfolgerin in dieser Funktion wurde 1919 die aus Straßburg zurückgekehrte Oberin Julie Glaser. Dina Wolf ist in der Zeitschrift des Frankfurter Verbands für Säuglingsfürsorge nicht namentlich aufgeführt, soll aber seit 1919 in diesem Aufgabengebiet tätig gewesen sein (vgl. Steppe 1997: 228; siehe auch Jahresbericht Jüdischer Schwesternverein Ffm 1905: 4; Rechenschaftsbericht Jüdischer Schwesternverein Ffm 1920: 62). Später ging sie nach Köln und bekleidete dort vermutlich von 1924 bis 1932 das Amt der Oberin des jüdischen Krankenhauses (vgl. Becker-Jákli 2004: 234, 297, 412). Die Machtübergabe 1933 an die Nationalsozialisten zwang Dina Wolf zur Flucht nach Amsterdam. Von dort wurde sie am 28. September 1942 zusammen mit ihrem jüngeren Bruder Willy Wolf (geb. 1882), ihrer Schwägerin Bettina Wolf-Oppenheimer (geb. 1888) und ihrer Nichte Charlotte Wolf (geb. 1922) in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert (vgl. Joods Monument: https://www.joodsmonument.nl/en/page/157246/dina-wolf; siehe auch Gedenkbuch BAK; Yad Vashem Datenbank [12.08.2020]).
„… die keinen Menschen hatten, der sich ihrer annahm“ – Frieda Amram und das Kinderhaus der Weiblichen Fürsorge e.V.
„Zweck des Kinderhauses war es, bedürftigen isrealitischen [sic!] Kindern unentgeltlich oder gegen mäßiges Entgelt Obhut, Verpflegung und Unterweisung zu gewähren. Aufgenommen wurden Waisenkinder, Kinder[,] die durch mißliche Wohnungsverhältnisse nicht im Elternhause bleiben konnten, uneheliche Kinder und solche, die keinen Menschen hatten, der sich ihrer annahm“ (Schiebler 1994: 163).
Neben dem geregelten Alltagsablauf legte das Kinderhaus ganz im Sinne von Bertha Pappenheim großen Wert auf eine jüdische Erziehung, Bildung und Gemeinschaft und bot zudem einen geschützten Raum vor Antisemitismus. Im Jahr 1932 hob der Trägerverein ,Weibliche Fürsorge‘ die Altersbeschränkung auf sechs Jahre trotz des drohenden Verlustes öffentlicher Pflegegelder auf: Zuvor mussten die kleinen Bewohner/innen das Kinderhaus bei Eintritt in das Schulalter verlassen und wurden mangels jüdischer Pflegestellen vom Frankfurter Jugendamt nichtjüdischen Einrichtungen zugewiesen (vgl. Mahnkopp 2020: 7). Erstmals richtete das Kinderhaus eine Gruppe für 6-14jährige Mädchen ein, welche das Philanthropin, die Samson-Raphael-Hirsch-Realschule oder auch die Synagoge der neo-orthodoxen Israelitischen Religionsgesellschaft in der Friedberger Anlage besuchten. 1942, zehn Jahre später, führten die nationalsozialistischen Zwangsschließungen der Frankfurter Israelitischen Waisenanstalt im Röderbergweg und des Heims des Jüdischen Frauenbundes in Neu-Isenburg erstmals zur Aufnahme von 6–14jährige Jungen, so dass die Zahl der Bewohner/innen zeitweise auf 70 Kinder anstieg. Am 15. September 1942 trafen die menschenfeindlichen Räumungen von Gestapo und NS-Behörden auch das Kinderhaus: Zusammen mit ihren Betreuerinnen und weiterem Personal wurden die Mädchen und Jungen – darunter Kleinkinder! – in das KZ Theresienstadt deportiert: „Von den am 11.09.1942 im Kinderhaus lebenden 74 Personen erlebten elf Minderjährige sowie eine Erwachsene das Ende des Zweiten Weltkrieges“ (ebd: 3, siehe auch S. 17). Jahrzehntelang wurde die Existenz dieser wichtigen Institution der Frankfurter jüdischen Kinder- und Säuglingspflege und -fürsorge vergessen und ,verdrängt‘. Reichhaltige Informationen mit geretteten seltenen Dokumenten und Fotografien zu der Geschichte des Kinderhauses und seiner Biografien bietet dank der engagierten Recherche des Frankfurter Pfarrers Volker Mahnkopp – unterstützt von überlebenden ehemaligen Heimkindern und ihren Angehörigen – inzwischen die Website https://www.platz-der-vergessenen-kinder.de (vgl. Frankfurter Kinderhaus [01.11.2021]).
Für das Kinderhaus der ,Weiblichen Fürsorge‘ erwies sich Oberin Frieda Amram als ein Glücksfall: Drei Jahrzehnte lang leitete sie das Heim mit großer Kompetenz, Belastbarkeit und Warmherzigkeit für ihre aus schwierigen sozialen Verhältnissen geretteten Schützlinge. Am 6. Oktober 1885 wurde sie als Tochter des Lehrers Wolf Amram (1854–1909, vgl. Geni) und seiner Ehefrau Julie geb. Lomnitz (1857–1942) im nordhessischen Zwesten (heute der Kurort Bad Zwesten im Schwalm-Eder-Kreis) geboren (vgl. zu Biografie und Werdegang Lutz-Saal 2017; Mahnkopp 2020; JüdPflege; siehe auch Steppe 1997: 228, 259). Der Frankfurter Verein für jüdische Krankenpflegerinnen bildete sie im Jahr 1905 aus. Danach bewährte sie sich im Auftrag des Schwesternvereins in der Privatpflege, im Israelitischen Krankenhaus Hamburg und in der Krankenpflege für die jüdische Gemeinde zu Heilbronn (Baden-Württemberg), einer Außenstelle des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins. Den Dienst als leitende Oberschwester des Kinderhauses trat Frieda Amram vermutlich 1912 an – lediglich unterbrochen durch einen Pflegeeinsatz „im Felde“ (Steppe 1997: 228) während des Ersten Weltkriegs. Möglicherweise half in dieser Zeit ihre jüngere Schwester Goldine Hirschberg (1894–[1944]) in der Heimleitung aus.
Von den ebenfalls im Frankfurter jüdischen Schwesternverein ausgebildeten Mitarbeiterinnen in Oberin Amrams Team konnte Fanny Schragenheim namentlich recherchiert werden (vgl. JüdPflege; Geni; Rechenschaftsbericht Jüdischer Schwesternverein Ffm 1920: 57, 64; Steppe 1997: 229, 230): Nach bisherigem Wissensstand (vgl. Geni) wurde sie am 1. März 1891 als Tochter von Elise Esther geb. Gotthelf (1860–1937) und Samuel Schragenheim (1855–1935), Bankier und Ziegeleibesitzer, in Verden a.d. Aller (Niedersachsen) geboren; die 1908 ebenfalls im Schwesternverein ausgebildete Sara (Sitta, Sita) Schragenheim (1888–1957) war ihre Schwester. Fanny Schragenheim arbeitete nach ihrer Ausbildung (1914) in der Privatpflege und im jüdischen Krankenhaus Gagernstraße. Seit 1919 tat sie Dienst als Schwester im Kinderhaus der Weiblichen Fürsorge. Später emigrierte sie – vermutlich unter der NS-Verfolgung – nach Amerika, wo sie im November 1984 mit 93 Jahren in Encino, einem Stadtteil von Los Angeles in Kalifornien, verstarb.
Stellvertretend für die vermutlich nicht im Frankfurter jüdischen Schwesternverein ausgebildeten Säuglingspflegerinnen im Kinderhaus sei Paula Adelsheimer genannt: Sie wurde am 3. September 1914 als Tochter von Ida geb. Götz (1878 – Sterbedatum unbekannt) und des Kaufmanns Leopold Adelsheimer (1874–1940) in Göppingen (Baden-Württemberg) geboren. Sara Adelsheimer (1877 – um 1965), in den 1920er Jahren die Oberin des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins, war ihre Tante. Als Säuglingskrankenschwester im Kinderhaus arbeitete Paula Adelsheimer um 1939. Später zog sie nach Stuttgart und wurde von dort am 22. August 1942 nach Theresienstadt und danach am 19. Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert (vgl. JüdPflege; Geni; Mahnkopp 2020; Alemannia Judaica Jebenhausen; Theresienstadt Opferdatenbank [12.08.2020]). Erinnert sei auch an Luise Löwenfels (geb. 05.07.1915 in Trabelsdorf, heute Ortsteil der Gemeinde Lisberg, Landkreis Bamberg, Bundesland Bayern) und ihren recht ungewöhnlichen Werdegang: Aus einer frommen oberfränkisch-jüdischen Viehhändler-und Metzgerfamilie stammend, wurde sie später bekannt als die katholische Ordensschwester Maria Aloysia (vgl. Haas/ Humpert 2015; Humpert/ Ramb 2019; Lehnen 2019; Alemannia Judaica Trabelsdorf; JüdPflege; siehe auch Eintrag bei Wikipedia [12.08.2020]). Die ausgebildete Kindergärtnerin arbeitete 1935 für einige Monate im Kinderhaus und konvertierte danach noch im gleichen Jahr im Kloster der Armen Dienstmägde Jesu Christi (Dernbacher Schwestern) zum Katholizismus. Die Taufe konnte sie ebenso wenig vor der rassistisch-antisemitischen NS-Verfolgung bewahren wie ihre vormaligen jüdischen Glaubensgenossen und -genossinnen: Sie flüchtete in die Niederlande, wurde aber nach der nationalsozialistischen Besetzung gleich der jüdisch geborenen Philosophin und katholischen Nonne Teresia Benedicta vom Kreuz (Edith Stein) nach Auschwitz deportiert und vermutlich am 9. August 1942 ermordet. Seit 2007 trägt in ihrem zeitweiligen früheren Wohnort Ingolstadt eine Straße ihren Geburtsnamen Luise Löwenfels. Weitere Ehrungen erfuhr Schwester Aloysia posthum durch die Aufnahme als Glaubenszeugin in das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts und die Eröffnung eines kirchlichen Seligsprechungsverfahrens.
Letzte Schwester im Kinderhaus war Bertha (Berta, Berti, Betty) Heilbrunn, geboren am 27. Mai 1918 in Borken (Hessen), nach anderen Quellen (Geni) in Wichmannshausen (heute Stadtteil von Sontra), woher vermutlich beide Eltern – Selma geb. Rosenbusch (geb. 1885) und Siegmund Heilbrunn (geb. 1877) – stammten. Vor ihrem um 1938 angetretenen Dienst im Kinderhaus hatte Bertha Heilbrunn vermutlich eine kurze Pflegeausbildung absolviert – ob im Frankfurter jüdischen Schwesternverein, ist bislang ungeklärt. Mit der Oberin des Kinderhauses war „Schwester Berti“ gut bekannt, hatten doch ihre Mutter Selma und Frieda Amram im nordhessischen Borken die gleiche Schule besucht. Zuletzt versorgte Bertha Heilbrunn etwa 15 Kinder, die dem Transport der Bewohner/innen des Kinderhauses am 15. September 1942 nach Theresienstadt nicht zugeteilt worden waren, bevor sie selbst am 24. September 1942 nach Raasiku bei Reval (heute: Tallinn, Estland) deportiert wurde. Im August 1944 traf die junge Frau im KZ Stutthof bei Danzig ein und wurde dort sehr wahrscheinlich ermordet (vgl. Mahnkopp 2020; Geni; zur Herkunftsfamilie Heilbrunn (auch: Heilbronn): Alemannia Judaica Sontra [12.08.2020]).
Für das Kinderhaus war es ein großer Schock, als die Gestapo Oberin Frieda Amram am 25. Juli 1942 verhaftete und in das Frauen-KZ Ravensbrück deportierte; in den Ravensbrücker Archivakten hat die Historikerin Petra Betzien (Düsseldorf) den Eintrag: „politische Jüdin“ recherchiert (Mitteilung an die Autorin). Bereits im Oktober 1942 wurde Frieda Amram einem Todestransport nach Auschwitz zugeteilt. Weitere Informationen verdanken wir ihrem Neffen Jechiel Hirschberg: „1942 wurde Frieda Amram beschuldigt, Essen für die Kinder gehamstert zu haben. Wurde verhaftet und [war] verschollen“ (zit. n. Beykirch 2006: 126 (Fußnote 262). Für ihre Schützlinge im Kinderhaus tat die „Obeli“ alles.
In den 1970er Jahren besuchte die Autorin vorliegenden Artikels ein Gymnasium gegenüber dem früheren jüdischen Kinderheim, ohne je von dessen Existenz zu erfahren. Am 26. April 2017 wurde dank Pfarrer Mahnkopps Bemühungen feierlich ein Mahnmal an der Hans-Thoma-Straße 24 eröffnet – dem eindrucksvollen Gedenkort ,Platz der vergessenen Kinder‘ sind weiterhin viele große und kleine Besucherinnen und Besucher zu wünschen.
Über das in Frankfurt einzigartige Mahnmal informiert eine Gedenktafel: „Die Skulptur ist angelehnt an die Form eines Dreidels. Das Spiel mit dem Dreidel ist ein traditionsreiches Kinderspiel zum achttägigen Lichterfest Chanukka. Der Dreidel ist ein kleiner Kreis mit vier Seiten, auf denen im Original jeweils ein hebräischer Buchstabe zu sehen ist.“
Im Frankfurter Stadtteil Kalbach gibt es zudem inzwischen einen ,Frida-Amram-Weg‘, doch bleibt die Sozialgeschichte der jüdischen Kinder- und Säuglingspflege in Frankfurt am Main wie auch in anderen Städten und Regionen weiter zu erforschen. Für wichtige Hinweise und Anregungen zu diesem Beitrag dankt die Autorin Dr. Petra Betzien, Dr. Bettina Blessing, Martina Hartmann-Menz M.A., Eduard Kaesling, Dr. Monica Kingreen (†), Pfarrer Volker Mahnkopp und Prof. Dr. Gudrun Maierhof, ebenso Dr. Edgar Bönisch für seine schönen Fotografien vom ,Platz der vergessenen Kinder‘.
Birgit Seemann, Stand November 2021
Quellen- und Literaturverzeichnis
Unveröffentlichte Quellen
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Bestand 518 Nr. 53055: Sara Adelsheimer (Oberin und Tante von Paula Adelsheimer): Fallakte (Entschädigungsakte)
Bestand 518 Nr. 67483: Else Unger: Fallakte (Entschädigungsakte)
ISG Ffm: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main
HB 655: Hausstandsbuch Bornheimer Landwehr 85 (Jüdisches Schwesternhaus, Frankfurt a.M.), Sign. 655
HB 686: Hausstandsbuch Gagernstraße 36 (Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde Frankfurt a.M.), Teil 1, Sign. 686
Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge: Sign. S 3/ P6056
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Gedenkbuch JB Neu-Isenburg: Gedenkbuch für das Heim des Jüdischen Frauenbundes in Neu-Isenburg (1907–1942). Hg.: Stadt Neu-Isenburg. Red.: Heidi Fogel, Website: https://gedenkbuch.neuisenburg.de
Geni: Geni – A MyHeritage company [genealogische Website mit noch weiter zu prüfenden Angaben], https://www.geni.com/
Joods Monument: Joods Monument [Online-Datenbank für aus den Niederlanden deportierte Shoah-Opfer]. Hg.: Joods cultureel kwartier, https://www.joodsmonument.nl
JüdPflege: Jüdische Pflegegeschichte – Biographien und Institutionen in Frankfurt Main. Forschungsprojekt an der Frankfurt University of Applied Sciences, https://www.juedischepflegegeschichte.de
Stadt Pforzheim Gedenkseite: Stadt Pforzheim: Gedenkseite an ehemalige jüdische Mitbürger/innen. Dokumentation der zwischen 1919 und 1945 in Pforzheim geborenen bzw. ansässigen jüdischen Bürgerinnen und Bürger und deren Schicksale, https://www.pforzheim.de/stadt/stadtgeschichte/gedenken-friedenskultur/juedische-buerger.html
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Wikipedia: Kinderkrankenpflege: https://de.wikipedia.org/wiki/Kinderkrankenpflege
Minderheit im Frauenberuf: jüdische Krankenpfleger in Frankfurt am Main
Jakob Grünebaum – Leopold Kahn – Hermann Rothschild Walter Samuel Hayum – Jonas Neuberger
Sie sind selbst in der pflegehistorischen Forschung kaum präsent: Männer in der deutsch-jüdischen Krankenpflege. Mit Jakob Grünebaum, Walter Samuel Hayum, Leopold Kahn, Jonas Neuberger und Hermann Rothschild stellt der Artikel fünf jüdische Pfleger mit Dienstort Frankfurt am Main vor. Weitere Namen sind: Alfred Hahn, Walter Kleczewski, Max Ottensoser, Ludwig Strauß. Viele Ego-Dokumente und persönliche Quellen gingen in der Shoah verloren, doch hat ein seltenes Foto ,überlebt‘.
Gewidmet ist der Beitrag der Stuttgarter Pflegehistorikerin Dr. Sylvelyn Hähner Rombach (1959–2019) und den von ihr begonnenen Studien zu Männern in der Krankenpflege. Eingesetzt wurden die Pfleger ihren Recherchen zufolge häufig in der Urologie, Dermatologie und Psychiatrie sowie in der Kriegskrankenpflege und im Sanitäts- und Katastrophendienst.
Diese Aufnahme hat die Shoah überlebt. Sie stammt aus der Zeit der NS-Verfolgung und gehört zu den seltenen noch erhaltenen Bildquellen mit deutsch-jüdischen Krankenpflegern in Berufskleidung. Wer das Pflegeteam auf dem Gelände seines Arbeitsplatzes – des Krankenhauses der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main in der Gagernstraße 36 – um 1941 fotografiert hat, ist bislang unbekannt. Das Foto trat die weite Reise in das US-amerikanische Exil an und fand den Weg zu einem Großneffen des links abgebildeten Leopold Kahn; bei dem jüngeren Kollegen rechts im Bild handelt es sich sehr wahrscheinlich um Walter Samuel Hayum. Zwischen den beiden aufrecht stehenden Pflegern sitzen einträchtig und miteinander plauschend vier Schwestern. Die Fotografie gibt Hinweise auf damalige Geschlechterverhältnisse: Während die Schwestern – hier des 1893 gegründeten Frankfurter Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen – eine Gemeinschaft bildeten und den Frauenberuf Pflege dominierten, traten ihre männlichen Kollegen eher vereinzelt auf. Soweit bekannt, hatten die Männer in der deutsch-jüdischen Krankenpflege keine eigene Vereinigung gegründet. Was den Zugang zu christlichen Organisationen betraf, setzte er in der Regel die Taufe voraus. Unter der rassistisch-antisemitischen Verfolgung im NS-Staat blieben die jüdischen Krankenpfleger aus den nichtjüdischen beruflichen Verbänden ausgeschlossen.
Einleitung
„[…] empfiehlt sich für Tag- u. Nachtpflege, besonders für schwere Fälle u. Nervenpflege“, inserierte der Privatpfleger Moritz Blau (Lebensdaten unbekannt) in der Novemberausgabe 1936 des Frankfurter Israelitischen Gemeindeblatts. Er gehörte zu einer beruflichen Gruppe, die selbst in der pflegehistorischen Forschung kaum präsent ist: Männer in der deutsch-jüdischen Krankenpflege. Immer noch wird der männlichen Minderheit im ‚Frauenberuf‘ Pflege zu wenig Aufmerksamkeit zuteil (mit Ausnahmen wie z.B. Kolling 2008; Schwamm 2021). Dieses Forschungsdesiderat hat für den deutschen Untersuchungsraum erstmals die 2019 leider verstorbene Stuttgarter Pflegehistorikerin Sylvelyn Hähner-Rombach ausgelotet und mit einem weiterführendem Literatur- und Quellenverzeichnis versehen (vgl. dies. 2015). Vermutet werden häufige Einsätze männlicher Pflegender in der Psychiatriepflege, Urologie (Männerkrankheiten) und Dermatologie (Haut- und Geschlechtskrankheiten) sowie in Kriegskrankenpflege, Sanitäts- und Katastrophendienst, doch bleiben viele Fragen offen:
„Fakt ist, dass wir noch viel zu wenig über Männer in diesem Berufsfeld wissen. Das beginnt schon mit quantitativen Erhebungen: Wie hoch war ihr Anteil an den Pflegenden im Laufe des 20. Jahrhunderts, wie verteilten sie sich auf die verschiedenen Sparten, wie Krankenhaus, psychiatrische Einrichtungen, Privatpflege, Sanitätswesen bzw. auf die verschiedenen Abteilungen, welche Ausbildung(en) haben sie durchlaufen, wie lange blieben sie im Beruf, in welchen Stellungen waren sie dort, etc. […] Gab es Unterschiede in den Praktiken, im Pflegeverständnis, im beruflichen Selbstverständnis, im Umgang mit Kranken und Ärzten, in der Wahrnehmung von Krisen und Katastrophen, etc. zwischen Krankenpflegern und Krankenschwestern?“
(Hähner-Rombach 2015: 136).
Eine von Hähner-Rombach nachfolgend aufgeführte Statistik zur „Verbreitung des Heilpersonals, der pharmazeutischen Anstalten und des pharmazeutischen Personals im Deutschen Reiche“ ergab für das Jahr 1909, dass „von 68.778 Krankenpflegepersonen 12.881 männlichen Geschlechts waren, das entspricht einem Anteil von rund 18,7 Prozent“ (dies. 2017: 544, 545). 1887 und 1898 lag der männliche Anteil noch bei 11 bzw. 10,7 Prozent. 1927 „wurden im Deutschen Reich (ohne das Saargebiet) 88.872 Krankenpflegepersonen gezählt, davon waren 14.033 männlichen Geschlechts, also rund 15,8 Prozent“ (ebd.: 545). Auch liegen Daten über den männlichen und weiblichen Anteil an Pflegenden vor, die einem „weltlichen“, evangelischen oder katholischen Verband angehörten – ausgenommen den jüdischen, die möglicherweise in die Rubrik „sonstige“ erfasst wurden (ebd.).
Familienblatt: UB JCS Ffm: FIF 6 (1908) 26, 03.07.1908, S. 11
Angesichts des Recherchestands verwundert es kaum, dass wir über die Berufsbiografien männlicher jüdischer Pflegender in Deutschland bislang weitaus weniger wissen als inzwischen über die der weiblichen (vgl. z.B. Steppe 1997; JüdPflege. Siehe auch Levinsohn-Wolf 1996; Lorz 2016). Laut Thea Levinsohn-Wolf, von 1927 bis 1932 Schwester am Frankfurter jüdischen Krankenhaus Gagernstraße, gab es dort während „meiner Zeit […] keine männlichen Krankenpfleger“ (zit. aus Fragebogen, Nachlass Hilde Steppe: Sign. 0113-1/8, 30, Hinweis von Edgar Bönisch).
Zu den in Ansätzen erforschten Bruderschaften der Diakonie hatten jüdische Männer vermutlich nur nach der Taufe Zugang; Ego-Dokumente und weitere persönliche Quellen gingen in der Shoah verloren. ‚Stellvertretend‘ für ihre namentlich unbekannten Kollegen erinnert der Artikel im Folgenden an fünf jüdische Krankenpfleger mit Dienstort Frankfurt am Main: Jakob Grünebaum, Leopold Kahn, Hermann Rothschild, Walter Samuel Hayum und Jonas Neuberger. Sie gehörten verschiedenen Generationen an: So betrug der Altersunterschied zwischen Jakob Grünebaum, Jahrgang 1870, und dem 1916 geborenen Jonas Neuberger 46 Jahre. Am 30. September 1938 verbot ihnen der NS-Staat die Versorgung nichtjüdischer Patienten und Patientinnen: „Juden dürfen die Krankenpflege nur an Juden oder in jüdischen Anstalten berufsmäßig ausüben.“ (zit. n. Deutsches Reichsgesetzblatt 1938 I, Nr. 154, Tag der Ausgabe: 30. September 1938, S. 346: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f9/Deutsches_Reichsgesetzblatt_38T1_154_1313.jpg.
Ein israelitischer Krankenpfleger: Jakob Grünebaum (1870–1943)
Inseriert und auf seine Kompetenz in der koscheren Versorgung jüdischer Patientinnen und Patienten hingewiesen hat hier der staatlich geprüfte, selbstständig tätige Krankenpfleger und Masseur Jakob Grünebaum. Wohl aus Gründen der Barrierefreiheit bot er seine Dienste laut Frankfurter Adressbuch seit 1913 von einer Parterre-Wohnung in der Helmholtzstraße 32 im jüdisch geprägten Ostend an, danach in der Friedberger Landstraße 26 (vgl. UB JCS Ffm: Frankfurter Adressbücher). Wie Jakob Grünebaum zu diesem Beruf kam und in welchem Krankenhaus er ausgebildet wurde, ist bislang unbekannt; ging er zuvor einem anderen Gewerbe nach? Geboren am 15. Mai 1870 im tauberfränkischen Wenkheim (heute Ortsteil der Gemeinde Werbach, Baden-Württemberg) als Sohn des Handelsmannes Herz Grünebaum und seiner Ehefrau Sara geb. Adler, zog er laut Entschädigungsakte (HHStAW 518/12659) im Jahr 1895 nach in Frankfurt am Main. Am 7. April 1899 heiratete er, am 24. April 1900 wurde sein einziges Kind, Hedwig Hahn geb. Grünebaum, geboren.
In Frankfurt kümmerte sich Jakob Grünebaum – nach seinem eigenen beruflichen und religiösen Selbstverständnis ein „israelitischer Krankenpfleger“ – jahrzehntelang um seine Patientinnen und Patienten. Seine Dienstleistungen umfassten außer der Pflege und Massage auch die „Pedikur“ (Pediküre, Fußpflege) und das „Hühneraugenschneiden“. Möglicherweise war ihm die Pflege neben dem Beruf auch Berufung, verbunden mit der Erfüllung der religiösen Pflicht (Mitzwa) zur Krankenbetreuung (Bikkur Cholim, vgl. Seemann 2017a). Zugleich musste der Pflegeberuf ihm selbst und seiner kleinen Familie – Ehefrau und Tochter – den Lebensunterhalt sichern.
1931 zog das Ehepaar Grünebaum in die Rotteckstraße 6, danach in den Bäckerweg 7 und zuletzt in die Straße Am Tiergarten 28. Die in der Entschädigungsakte (HHStAW 518/ 12659) genannten Anschriften sind in den Frankfurter Adressbüchern teils nicht verifizierbar; möglicherweise hat sich die Familie Grünebaum nicht immer umgemeldet. 1933 laut Akteneintrag mit einem NS-Berufsverbot belegt, musste der mittlerweile 63-jährige Jakob Grünebaum den Pflegeberuf aufgeben und stattdessen mit Obst und Gemüse handeln. Fünf Jahre später bewahrte ihn nach dem Novemberpogrom 1938 möglicherweise sein Alter vor den Deportationen und mehrwöchigen KZ-Inhaftierungen jüdischer Männer zwischen 18 und 60 Jahren. Doch wenn sich auch „die Leipziger und die Frankfurter Gestapostelle zumindest bei der Einweisung in das Lager im wesentlichen noch an die Altersvorgabe hielten, kamen aus kleineren Städten und Landgemeinden in Thüringen und Hessen vor allem am 10. und 11. November viele Männer im Alter über 60, einige 70jährige und Jugendliche unter 18 Jahren in Buchenwald an“, schreibt Harry Stein, damaliger Kustos an der KZ-Gedenkstätte Buchenwald (vgl. ders. 1999: 26). In Monica Kingreens Auflistung (vgl. dies. 1999a) der im November 1938 von Frankfurt am Main in das KZ Dachau Verschleppten sind die Namen der hier vorgestellten Krankenpfleger nicht zu finden – allesamt jünger als Jakob Grünebaum, wurden sie möglicherweise von Frankfurt am Main oder aus anderen Orten in das KZ Buchenwald deportiert und wochenlang unter brutalen Bedingungen festgehalten. An Leib und Seele geschädigt, kehrten die Überlebenden traumatisiert zu ihren Angehörigen zurück; es war ihnen strikt verboten, über ihre KZ-Haft zu sprechen. Viele Angehörige und Nachkommen sind daher nicht informiert, in Entschädigungsakten fehlen häufig entsprechende Hinweise.
Inzwischen 72 und 70 Jahre alt, traf das Ehepaar Grünebaum am 15. September 1942 die Deportation in das KZ Theresienstadt. Im Lager erlag Jakob Grünebaum am 31. März 1943 dem Hungertyphus. Seine Ehefrau, deren Geburtsdaten aus Datenschutzgründen im Artikel ungenannt bleiben, überlebte Theresienstadt und kehrte im Juni 1945 nach Frankfurt zurück. Dort verstarb sie 1963 im Jüdischen Altersheim Gagernstraße 36, dem früheren Standort des 1942 NS-zwangsaufgelösten letzten Frankfurter jüdischen Krankenhauses. Jakob Grünebaums Tochter, die Büroangestellte Hedwig Hahn, und seine Enkelin Inge Hahn (geb. 1936) wurden ebenfalls Opfer der Shoah; sein Schwiegersohn konnte in die USA flüchten.
Vom Kaufmann zum Krankenpfleger: Leopold Kahn (1889–1944)
Leopold Kahn wäre – anders als Jakob Grünewald – ohne die nationalsozialistische Verfolgung vermutlich nie Krankenpfleger geworden. Der gelernte Kaufmann wurde am 12. Juni 1889 in Worfelden (heute Stadtteil von Büttelborn, Kreis Groß-Gerau, Hessen) geboren und war mit seiner Cousine Johanna geb. Kahn (geb. 13.06.1895 in Worfelden) verheiratet; ihr einziges Kind Jakob verstarb in seinem Geburtsjahr 1920. Seit 1920 war das Ehepaar Kahn zu 50 Prozent Teilhaber des Textilwarengeschäfts „Kaufhaus J. & L. Kahn OHG“ in Groß-Gerau (Darmstädter Straße 12); der Familienbetrieb wurde in der NS-Zeit zwangsenteignet (HHStAW 518/ 11069, Antragsteller: Leopold Kahns überlebender Bruder; siehe auch die Internetseiten: Alemannia Judaica Worfelden und Groß-Gerau; Juden in Groß-Gerau). Ihres Lebensunterhalts beraubt, zogen Johanna und Leopold Kahn am 15. November 1937 nach Frankfurt am Main in die Bockenheimer Landstraße 91. Im Zuge des Novemberpogroms 1938 wurde wie viele jüdische Männer möglicherweise auch Leopold Kahn verhaftet und wochenlang im Lager festgehalten: Laut Transportliste des Gestapobereichs Frankfurt/Main hatte ihn die Stapo Frankfurt/Main für einen Transport am 12. November 1938 in das KZ Buchenwald vorgesehen; in den Veränderungsmeldungen des von Buchenwald sind mehrere am gleichen Tag deportierte Männer mit Namen Leopold Kahn ohne weitere Personalangaben eingetragen, die als „Aktionsjude“ inhaftiert waren.
Die Frankfurter Adressbücher 1938 und 1939 (UB JCS Ffm) verzeichnen Leopold Kahn für die Jahre 1937 und 1938 noch als Kaufmann, für das Jahr 1939 ist er als Krankenpfleger eingetragen. Diese zeitliche Angabe stimmt mit dem Hinweis in seiner Entschädigungsakte überein, wonach er Anfang 1939 – mit fast fünfzig Jahren – im Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde, Gagernstraße 36, seine Ausbildung startete; für die geplante Auswanderung in die USA erschien ihm die Krankenpflege als ein geeigneter Brotberuf im Exil. Nach der Ausbildung arbeitete Leopold Kahn nicht wie Jakob Grünebaum in der Privatpflege, sondern weiterhin in der Klinik: „Seine Devisenakte im Hess.[ischen] Hauptstaatsarchiv Wiesbaden belegt, dass er am 9.4.1940 66,40 RM als Krankenpfleger in Frankfurt im Krankenhaus in der Gagernstraße 36 verdient und nur ein begrenzt verfügbares Sicherungskonto mit einem Freibetrag von monatlich 570 RM besitzt“ (zit. nach: Juden in Groß-Gerau, http://www.erinnerung.org/gg/haeuser/da10.html [12.06.2020]). Aus dieser Zeit stammt auch das eingangs abgebildete seltene Foto (vgl. Abb. 1), das außer Leopold Kahn (links) möglicherweise Walter Samuel Hayum (vgl. Kap. 5) sowie vier Kolleginnen der jüdischen Schwesternschaft zeigt.
Tragischerweise ist die von Leopold und Johanna Kahn nach Chicago geplante Flucht aus Nazideutschland gescheitert. Beide zogen am 22. November 1941 – nach einer Zwischenstation in der Schumannstraße 51 – in das Krankenhaus Gagernstraße (ISG Ffm: HB 687, Bl. 169). Am 1. September 1942 wurde das Ehepaar aus dieser nunmehr letzten Frankfurter jüdischen Klinik – bis zur endgültigen NS-Liquidierung im September/Oktober 1942 ein NS-Sammellager – nach Theresienstadt deportiert. Im Oktober 1944 wurden sie in getrennten Todestransporten – am 1. Oktober der 55-jährige Leopold Kahn, am 6. Oktober die 49-jährige Johanna Kahn – in das Vernichtungslager Auschwitz verschleppt. Leopold Kahn wurde am 31. Dezember 1945 für tot erklärt. An das in der Shoah ermordete Ehepaar Kahn erinnern seit dem 4. Juni 2011 in Frankfurt am Main (Bockenheimer Landstraße) sowie seit dem 16. November 2012 in Groß-Gerau (Darmstädter Straße) zwei „Stolpersteine“ (vgl. Stolpersteine Ffm Dok. 2011: 80; Juden in Groß-Gerau).
„Einspritzungen, Katheterisieren, Spülungen aller Art“: Hermann Rothschild (1898–1941)
„Einspritzungen, Katheterisieren, Spülungen aller Art“ – 1938 bot Hermann Rothschild seine pflegerischen Dienstleistungen im Frankfurter Israelitischen Gemeindeblatt an. Der selbständige Krankenpfleger und frühere Kaufmann wurde am 25. Juli 1898 in Völkershausen (heute Ortsteil der Stadt Vacha, Thüringen) als Sohn des Kaufmanns Salomon Rothschild und seiner Frau Luise geb. Weisskopf geboren. Bis auf eine im New Yorker Exil lebende Schwester (geb. 1889) und die früh verstorbene jüngste Schwester Rose (1901–1917) wurden vier seiner ebenfalls in Völkershausen geborenen Geschwister in der Shoah ermordet: Simon (geb. 1886), Isidor (geb. 1891), Max (geb. 1893) und Mally (Mali) Löbenstein (geb. 1895) (HHStAW 518/ 31778; BAK Gedenkbuch). Zu Anfang arbeitete Hermann Rothschild im thüringischen Stadtlengsfeld im väterlichen Geschäft. Später zog er nach Bad Nauheim (Hessen) und heiratete am 8. September 1929 Sofie (Sophie) geb. Scheuer (geb. 05.01.1902 in Ostheim, heute Stadtteil von Butzbach, Hessen), Kauffrau und Tochter eines Metzgerei-Inhabers (Mitteilung des Heiratsdatums von Herbert Begemann, Brüder-Schönfeld-Forum e.V., Maintal, per Mail v. 14.08.2020). Ihr einziges Kind Hans kam am 10. Dezember 1931 in Bad Nauheim zur Welt. Vor der Eheschließung hatte Sofie Rothschild seit 1925 das Delikatessengeschäft Scheuer geleitet, das die jüdischen Frauen- und Kinderheime sowie Hotels und Gaststätten belieferte (HHStAW 518/ 36224: Entschädigungsakte Rothschild, Sophie geb. Scheuer). Seit Oktober 1929 firmierte das Geschäft in der damaligen Fürstenstraße 8 als „Feinkosthaus Scheuer. Inhaber Hermann Rothschild“. 1931 kam es zur Geschäftsaufgabe. Von Februar 1931 bis Oktober 1935 hatte Hermann Rothschild einen Handel mit Kleintextilien als Gewerbe angemeldet. Von der Kursstraße 11 in Bad Nauheim zogen Hermann, Sofie und Hans Rothschild am 2. Januar 1936 nach Frankfurt am Main. Zuletzt wohnte die Familie in der Straße Am Tiergarten 42 – nur wenige Häuser entfernt von Jakob Grünebaum und seiner Frau.
Wie Leopold Kahn wechselte auch Hermann Rothschild von dem kaufmännischen in den pflegerischen Beruf: 1936/1937 absolvierte er am Krankenhaus Gagernstraße erfolgreich eine zweijährige Ausbildung, blieb aber nicht auf der Station, sondern ging in die Privatpflege. Durch Entscheid des Regierungspräsidenten in Wiesbaden war er seit dem 24. November 1937 als selbständiger Krankenpfleger zugelassen. Hermann Rothschilds Wohnung Am Tiergarten 42 lag im Erdgeschoss und ermöglichte damit auch in ihrer Mobilität eingeschränkten Kunden barrierefreien Zugang; ob Hermann Rothschild auch weibliche Kranke versorgte, ist unbekannt. Aufgrund der NS-Ausplünderung unterlagen seine Honorare starken Schwankungen und setzten sich häufig aus geringen Honoraren seiner verarmten jüdischen Patienten zusammen (HHStAW 518/ 31778).
Auch Hermann Rothschild verband mit dem Pflegeberuf erhöhte Emigrationschancen, doch auch hier scheiterte die Flucht aus Nazideutschland. Am 22. November 1941 wurden Hermann, Sofie und Hans Rothschild in das NS-besetzte Litauen verschleppt – im gleichen Deportationszug wie die junge Frankfurter Krankenschwester Zilli Heinrich (geb. 1922) und ihre Mutter Emilie. Laut Online-Gedenkbuch des Bundesarchivs Koblenz (siehe BAK) fiel die Familie Rothschild am 25. November 1941 den NS-Massenerschießungen im Festungs-Lager Fort IX in Kauen (Kaunas/ Kowno) zum Opfer. Das 2016 eingeweihte „Holocaust Erinnerungsmal Bad Nauheim“ erwähnt auch die Namen von Hermann, Sophie und dem erst neunjährigen Hans Rothschild (vgl. https://www.holocaust-erinnerungsmal-badnauheim.com/[12.06.2020]).
An dieser Stelle sei auch an Hermann Rothschilds etwa gleichaltrigen Kollegen Max Ottensoser erinnert: Der Kaufmann und Krankenpfleger wurde am 5. Februar 1899 in Bad Neustadt an der Saale (Bayern) in der unterfränkischen Rhön geboren (ISG Ffm: HB 686, Bl. 91; HB 687, Bl. 248). Vom 14. Januar 1939 bis zum 31. Dezember 1941 pflegte er im Krankenhaus Gagernstraße, kehrte dann aber wieder zu seiner Familie in Bad Neustadt an der Saale zurück. Am 25. April 1942 wurde er zusammen mit seiner Ehefrau Mina geb. Heippert (geb. 1897) und seiner Tochter Selma (geb. 1929) ab Würzburg in ein Todeslager (laut BAK Gedenkbuch: Krasnystaw; laut BDJU: Krasniczyn) im NS-besetzten Polen deportiert und vermutlich in einem Vernichtungslager ermordet. Sechs Jahre jünger als Hermann Rothschild war der am 20. August1905 in Bad Ems (Rheinland-Pfalz) geborene Kaufmann und Krankenpfleger Ludwig Strauß (Strauss). Am 8. August 1939 zog er vom Röderbergweg 38 in das Krankenhaus Gagernstraße und arbeitete dort als Pfleger (ISG Ffm: HB 687, Bl. 339). Am 2. August 1940 verließ er Frankfurt in Richtung Köln. Von dort wurde er am 7. Dezember 1941 zusammen mit seiner Ehefrau Berta geb. Kohlhagen (geb. 1906) und seiner Tochter Doris (geb. 1934) in das NS-besetzte Lettland (Ghetto Riga) deportiert. An die Familie Strauß erinnern heute in Bad Ems, Lahnstraße 5, „Stolpersteine“, ebenso Gedenkblätter in der Opferdatenbank der Gedenkstätte Yad Vashem.
Verschollen in Minsk: Walter Samuel Hayum (1909 – 1941 deportiert)
Walter Samuel Hayum stammte aus einer jüdischen Viehhändlerfamilie (vgl. ISG Ffm: HB 686, Bl. 94; HB 687, Bl. 121; Geni: https://www.geni.com/people/Elias-Eliyahu-Hayum/6000000014157844756 [12.06.2020]; Alemannia Judaica Kirf [12.06.2020]). Geboren wurde er am 6. März 1909 als jüngstes von sechs Kindern des Ehepaares Amalia geb. Mayer (1872 – 1944 KZ Theresienstadt) und Elias (Eliyahu) Hayum (1863–1935) in dem katholischen Bauerndorf Kirf (heute Verbandsgemeinde Saarburg-Kell, Rheinland-Pfalz). Wo er seine Pflegeausbildung erhielt und ob er zuvor ebenfalls in einem kaufmännischen oder einem anderen Beruf tätig war, konnte bislang nicht recherchiert werden. Vom Baumweg 3 – dort befanden sich verschiedene Institutionen der Frankfurter Jüdischen Gemeinde – zog Walter Samuel Hayum am 28. April 1939 in das Krankenhaus Gagernstraße und pflegte dort zweieinhalb Jahre. In der Klinik traf er vermutlich auf einen fast gleichaltrigen, ebenfalls unverheirateten Kollegen: Walter Kleczewski wurde am 31. Juli 1910 in Herne (Nordrhein-Westfalen) geboren. Von Essen war er vermutlich aufgrund der NS-Verfolgung nach Frankfurt gezogen und seit dem 28. September 1939 im Krankenhaus Gagernstraße gemeldet. Für den 9. Juni 1941 verzeichnet das Hausstandsbuch Gagernstraße 36 (ISG Ffm: HB 687, Bl. 166). Walter Kleczewskis Abmeldung nach Posen im NS-besetzten Polen, wo sich seine biografischen Spuren verlieren. Möglicherweise konnte er überleben.
Kehren wir zurück zu Walter Samuel Hayum: Er zog vermutlich auf Druck der NS-Behörden 17. Oktober 1941 vom Krankenhaus in die Zobelstraße 9. Dabei handelte es sich sehr wahrscheinlich um ein ,Judenhaus‘ (NS-Behördenjargon), in der neueren Forschung inzwischen als „Ghettohaus“ benannt, einem NS-zwangsenteigneten Wohnhaus aus ehemals jüdischem Eigentum, in das die NS-Behörden jüdische Mieter/innen und Untermieter/innen zwangsweise einwiesen – die letzte Station vor der Deportation. Vom ,Ghettohaus‘ wurde Walter Samuel Hayum am 11. November 1941 mit weiteren Bewohnerinnen und Bewohnern in das Ghetto Minsk im NS-besetzten Weißrussland verschleppt – im gleichen Deportationszug wie die seine Kollegin Amalie Stutzmann (geb. 1890). Auch diesen zweiten Todestransport aus Frankfurt am Main mit bis zu 1.052 Opfern haben nur wenige Menschen überlebt (vgl. Kingreen 1999; Rentrop 2011; Yad Vashem Deportationen Minsk).
Wie Walter Samuel Hayum wurden auch seine Mutter Amalia und fünf ebenfalls in Kirf geborene Geschwister samt ihren Familien in der Shoah ermordet (vgl. BAK Gedenkbuch; Geni; Yad Vashem): Johanna Hayum (vermutlich verheiratete Bach, geb. 1901), die Viehhändler Jakob (geb. 1902), Alfred (geb. 1903) und Siegfried Hayum (geb. 1905) und Erna Hayum (geb. 18.01.1907, vermutlich identisch mit Erna Hayum verheiratete Herz, geb. 23.10.1906). Zu Walter Samuel Hayums Bruder Alfred ist inzwischen bekannt, dass er sich unter 86 in Auschwitz selektierten jüdischen Frauen und Männern befand, die am am 17. oder 19. August 1943 im KZ Natzweiler-Struthof (Elsass) in der Gaskammer ermordet wurden – im Auftrag der SS-Wissenschaftsorganisation „Ahnenerbe“: Die Skelette der Opfer sollten bei einer rassenideologischen Ausstellung im Anatomischen Institut der Reichsuniversität Straßburg zur Schau gestellt werden (vgl. Lang 2007; ders. o.J.).
Aus neo-orthodoxem Hause: Jonas Neuberger (1916–1942)
Auch Jonas (Jona) Neuberger hatte vor seinem Einstieg in die Krankenpflege in einem kaufmännischen Beruf gearbeitet. Geboren wurde er am 26. August 1916 in Berlin als Sohn von Sara Hulda Neuberger geb. Ansbacher (geb. 1881 in Nürnberg) und Menachem Max Neuberger (geb. 1880 in Frankfurt a.M.). Mit seinen Geschwistern wuchs er im religiös-kulturellen Milieu der jüdischen Neo-Orthodoxie auf, die sich in Opposition zu den vorwiegend liberalen jüdischen Mehrheitsgemeinden gründete und in ‚Austrittsgemeinden‘ organisierte. So stand Jonas Neubergers Vater Max, ein gebürtiger Frankfurter, in der Tradition Samson Raphael Hirschs, des Begründers der jüdischen Neo-Orthodoxie in Deutschland und langjährigen Rabbiners der Israelitischen Religionsgesellschaft Frankfurt am Main. In Berlin bekleidete Max Neuberger das Amt des Gemeindesekretärs der neo-orthodoxen Israelitischen Synagogen-Gemeinde (Adass Jisroel):
„Einer der aktivsten, geradezu vom Arbeitseifer besessenen, dabei äußerst bescheidenen Mitarbeiter der Adass war ihr Sekretär Max Neuberger, der seine Jugend in der Austrittsgemeinde Frankfurt a.M. verlebt [hatte] und vom Geiste Samson Raphael Hirschs beseelt war. […] Max Neuberger wurde von den Herren des Rabbinats, von den Mitgliedern der Verwaltung wegen seiner Tüchtigkeit und unbedingten Zuverlässigkeit hochgeschätzt“ (Sinasohn 1966: 43, zit. n. Kalisch 2012).
Die Familie Neuberger wohnte „damals im Haus der Gemeinde in Berlin N4, Artilleriestraße 31, wo der Vater auch tätig war […]. Dort, in der heutigen Tucholskystraße im Bezirk Mitte, standen Rabbinerseminar, Schule, Synagoge und Gemeindehaus der ‚Adassianer'“ (zit. n. Kalisch 2012).
Jonas Neuberger besuchte von 1922 bis 1932 das Adass Jisroel-Gymnasium in Berlin und legte dort das Einjährigen-Abitur ab; anschließend folgte bis 1933 eine kaufmännische Lehre in dem Berliner jüdischen Metallbetrieb „Firma Hirsch Erz- und Metalle A.-G“ am Kurfürstendamm (HHStaW 518/ 41479). Nach dreijähriger Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter verlor er unter der NS-Verfolgung 1936 seinen Arbeitsplatz. In Vorbereitung seiner Flucht aus Nazideutschland ließ sich Jonas Neuberger von 1936 bis um 1939 im Israelitischen Krankenheim von Adass Jisroel (vgl. https://adassjisroel.de/ [15.10.2021] zum diplomierten Krankenpfleger ausbilden. Am 30. Oktober 1940 wechselte er nach Frankfurt am Main und pflegte im Hospital der Georgine Sara von Rothschild´schen Stiftung (Röderbergweg) der Israelitischen Religionsgesellschaft, wo u.a. der Krankenpfleger Alfred Hahn (1911 – um 1944 [ermordet]) zum Team gehörte (vgl. Seemann 2017 u. 2020). Seit dem 7. Mai 1941 wohnte Jonas Neuberger vorübergehend im Personalwohnhaus des Rothschild’schen Hospitals, Rhönstraße 51 (ISG Ffm: HB 742, Bl. 236). Wegen der NS-Zwangsauflösung des Rothschild’schen Hospitals zog er am 20. Mai 1941 in das letzte noch bestehende jüdische Krankenhaus Gagernstraße.
Jonas Neuberger wurde vermutlich 1942 aus Frankfurt deportiert – der Eintrag im Hausstandsbuch Gagernstraße lautet: „27.6.42 evakuiert (Stapo)“ (ISG Ffm: HB 687, Bl. 236). Am 25. Juli 1942 wurde der junge Krankenpfleger, noch keine 26 Jahre alt, im Vernichtungslager Majdanek ermordet. Auch seine Eltern Hulda und Max Neuberger und die Geschwister Markus (geb. 1909), Salomon (geb. 1912), Miriam (geb. 1913) und Simon Neuberger (geb. 1915) haben samt ihren Familien die Shoah nicht überlebt; nur zwei Brüder konnten noch rechtzeitig flüchten (BAK Gedenkbuch; Yad Vashem Opferdatenbank; Kalisch 2012).
Ausblick und Dank
Infolge der schwierigen Quellenlage liegt der Fokus dieses Artikels auf jüdischen Krankenpflegern, deren Namen im Kontext der Holocaust Studies recherchiert werden konnten. Die hier vorgestellten Personen waren bis auf Jakob Grünebaum nachweislich kaufmännisch tätig und fanden vermutlich erst unter der NS-Verfolgung den Weg zum Pflegeberuf, von dem sie sich verbesserte Chancen auf Emigration und einen verlässlichen Lebensunterhalt im Exil erhofften. Anders als ihre Kolleginnen im aktiven Dienst waren sie zumeist verheiratet und Ernährer ihrer Familien. Ihre erfolgreiche Bewältigung der Pflegeausbildung lässt Neigungen und Fähigkeiten vermuten, die sie für den Pflegeberuf prädestinierten.
Insgesamt steht die Forschung zu Männern in der deutsch-jüdischen Krankenpflege noch am Anfang und bedarf dringend weiterer Recherchen. Hinweise sind herzlich willkommen. Für wichtige Informationen dankt die Autorin insbesondere Herbert Begemann (Brüder-Schönfeld-Forum e.V., Maintal), Hartmut Schmidt (Stolpersteine Frankfurt am Main) und Hans-Georg Vorndran (Erinnerungsprojekt und Website „Juden in Groß-Gerau“). Diesen Artikel widme ich unserer Kollegin Dr. Sylvelyn Hähner-Rombach (1959–2019) und ihrem wegweisenden Beitrag zur Geschichte der Männer in der Krankenpflege.
Birgit Seemann, Stand November 2021
Quellen- und Literaturverzeichnis
8.1. Ungedruckte Quellen
HHStaW: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden
Bestand 518 Nr. 11069: Entschädigungsakte Kahn, Leopold
Bestand 518 Nr. 12659: Entschädigungsakte Grünebaum, Jakob
Bestand 518 Nr. 31778: Entschädigungsakte Rothschild, Hermann
Bestand 518 Nr. 36224: Entschädigungsakte Rothschild, Sophie geb. Scheuer
Bestand 518 Nr. 41479: Entschädigungsakte Neuberger, Jonas
ISG Ffm: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main
HB 686: Hausstandsbuch Gagernstraße 36 (Frankfurter Jüdisches Krankenhaus), Teil 1, Sign. 686
HB 687: Hausstandsbuch Gagernstraße 36 (Frankfurter Jüdisches Krankenhaus), Teil 2, Sign. 687
HB 742: Hausstandsbuch Rhönstraße 47-55 (Personalwohnungen des
Rothschild’schen Hospitals), Sign. 186/742
8.2. Digitale Quellen
FES Bibliothek: Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, https://www.fes.de/bibliothek/
Die Sanitätswarte: http://library.fes.de/gewerkschaftszeitschrift/sol/?q=libtitle:Die%20Gewerkschaft&start=1360
UB JCS Ffm: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt a.M.
Frankfurter Adressbücher (Digitalisate, bis 1943): https://www.ub.unifrankfurt.
de/wertvoll/adressbuch.html
Judaica Frankfurt (Digitalisate): http://sammlungen.ub.unifrankfurt.
de/judaica/nav/index/all
Judaica Frankfurt / Compact Memory (digitalisierte jüdische Periodika):
https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/nav/index/title
FIG: Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main (Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt)
FIF: Neue jüdische Presse (Frankfurter Israelitisches Familienblatt)
8.3. Literatur
Alicke, Klaus-Dieter o.J. [2014]: Aus der Geschichte jüdischer Gemeinden im
deutschen Sprachraum, http://www.jüdische-gemeinden.de/index.php/home [URL inaktiv, aber zugänglich, zuletzt aufgerufen am 12.06.2020]
Hähner-Rombach, Sylvelyn 2015: Männer in der Geschichte der Krankenpflege. Zum Stand einer Forschungslücke / Men in the history of nursing. In: Medizinhistorisches Journal 50 (2015) H. 1/2, Themenheft: Geschlechterspezifische Gesundheitsgeschichte: Warum nicht einmal die Männer …?, S. 123-148
Hähner-Rombach, Sylvelyn 2017: Geschlechterverhältnisse in der Krankenpflege. In: dies. (Hg.): Quellen zur Geschichte der Krankenpflege. Mit Einführungen und Kommentaren. Hg. unter Mitarbeit v. Christoph Schweikardt. 4., überarb. u. erw. Aufl. Frankfurt a.M.: 535-555
Israelitische Synagogen-Gemeinde (Adass Jisroel) zu Berlin, K.d.ö.R. (Hg.) o.J.:
https://adassjisroel.de/
Kalisch, Christoph 2012: Flora Rabinowitz (Neuberger, verh.). In: Gedenkbuch für die Karlsruher Juden, Dezember 2012, http://gedenkbuch.informedia.de/gedenkbuch.php/PID/2.html [12.06.2020]
Kingreen, Monica 1999a: Von Frankfurt in das KZ Dachau. Die Namen der im November 1938 deportierten Männer. In: dies. 1999 (Hg.): 55-89
Kingreen, Monica 1999b: Gewaltsam verschleppt aus Frankfurt. Die Deportationen der Juden in den Jahren 1941–1945. In: dies. (Hg.) 1999: 357-402
Kingreen, Monica (Hg.) 1999: „Nach der Kristallnacht“. Jüdisches Leben und antijüdische Politik in Frankfurt am Main 1938–1945. Frankfurt a.M.
Kolling, Hubert 2008: Krankenpfleger, Gewerkschafter und Fachbuchautor Franz Bauer (1898–1969). Sonneberg: Sonneberger Museums- und Geschichtsverein
Lang, Hans-Joachim 2007: Die Namen der Nummern. Wie es gelang, die 86 Opfer eines NSVerbrechens zu identifizieren. Überarb. Ausg. Frankfurt a.M.
Lang, Hans-Joachim [o.J.]: Die Namen der Nummern. Erinnerung an 86 jüdische Opfer eines Verbrechens von NS-Wissenschaftlern, https://www.die-namen-dernummern.de/index.php/de/ [12.06.2020]
Rentrop, Petra 2011: Tatorte der „Endlösung“. Das Ghetto Minsk und die Vernichtungsstätte von Maly Trostinez. Berlin
Schwamm, Christoph 2021: Wärter, Brüder, neue Männer. Männliche Pflegekräfte in Deutschland ca. 1900–1980. Medizin, Gesellschaft und Geschichte – Beiheft 79, hg. v. Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung. Stuttgart
Seemann, Birgit 2017a: Der jüdische Krankenbesuch (Bikkur Cholim), updated 2017: JüdPflege
Seemann, Birgit 2017b: Das Hospital der Georgine Sara von Rothschild’schen Stiftung: JüdPflege
Seemann, Birgit 2017b: Das Hospital der Georgine Sara von Rothschild’schen Stiftung (1870–1941) Teil 4: biographische Wegweiser: JüdPflege
Seemann, Birgit 2020: Frankfurter jüdische Krankenschwestern und ihre Verbindungen nach Mittelfranken (Nürnberg, Fürth), 2013, updated 2020: JüdPflege
Sinasohn, Max 1966: Adass Jisroel, Berlin. Entstehung, Entfaltung, Entwurzelung. 1869-1939: eine Gemeinschaftsarbeit. Jerusalem
Stein, Harry 1999: Das Sonderlager im Konzentrationslager Buchenwald nach den Pogromen 1938. In: Kingreen 1999 (Hg.): 19-54
Steppe, Hilde 1997: „… den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre …“. Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Frankfurt a.M.
8.4. Online-Datenbanken und Links [zuletzt aufgerufen am 12.06.2020]
Alemannia Judaica: Alemannia Judaica – Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum: http://www.alemanniajudaica.de
Alemannia Judaica Bad Ems: http://www.alemannia-judaica.de/bad_ems_synagoge.htm
Alemannia Judaica Bad Neustadt an der Saale: http://www.alemanniajudaica.
de/neustadt_saale_synagoge.htm
Alemannia Judaica Groß-Gerau: http://www.alemannia-judaica.de/gross-gerau_synagoge.htm
Alemannia Judaica Kirf: http://www.alemannia-judaica.de/kirf_synagoge.htm
Alemannia Judaica Völkershausen: http://www.alemanniajudaica.
de/voelkershausen_synagoge.htm
Alemannia Judaica Wenkheim: http://www.alemannia-judaica.de/wenkheim_synagoge.htm
Alemannia Judaica Worfelden: http://www.alemannia-judaica.de/worfelden_synagoge.htm
Arcinsys: Archivinformationssystem Hessen, https://arcinsys.hessen.de
BAK Gedenkbuch: Das Gedenkbuch des Bundesarchivs für die Opfer der
nationalsozialistischen Judenverfolgung in Deutschland (1933–1945),
http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/index.html.de
BDJU: Biographische Datenbank Jüdisches Unterfranken, http://www.historischesunterfranken.uni-wuerzburg.de/juf/
Geni: Geni – A MyHeritage Company, https://www.geni.com/people [private genealogische Website mit weiter zu prüfenden Daten]
JM Ffm Gedenkstätte: Jüdisches Museum Frankfurt am Main, Gedenkstätte Neuer Börneplatz
– Lebensläufe [interne Datenbank, im Jüdischen Museum einsehbar]
Juden in Bad Neustadt: Wiederentdeckte Gemeinden: Die verlorenen Juden von Bad Neustadt. Ein Projekt des Hadassah Academic College Jerusalem in Kooperation mit der Stadt Bad Neustadt an der Saale, http://www.judaica-badneustadt.de/de/index.html
Juden in Groß-Gerau: Juden in Groß-Gerau. Eine lokale Spurensuche. Red.: Hans-Georg Vorndran, http://www.erinnerung.org/gg/ [Historische Fotogalerie Leopold und Johanna Kahn: http://www.erinnerung.org/gg/histfotogal/kahn_leo.html]
JüdPflege: Jüdische Pflegegeschichte – Biographien und Institutionen in Frankfurt Main
Levinsohn-Wolf, Thea 1996: Stationen einer jüdischen Krankenschwester. Deutschland – Ägypten – Israel. Frankfurt a.M.
Lorz, Andrea 2016: „… primo et uno loco als Oberin fuer unser Haus empfohlen …“ – Eine Spurensuche nach dem Wirken von Angela Pardo, Oberin im Israelitischen Krankenhaus zu Leipzig von 1928 bis 1938. In: Heidel, Caris-Petra (Hg.): Jüdinnen und Psyche. Frankfurt a.M.: 195-211.
Stadt Ffm Stolpersteine: Stadt Frankfurt am Main: Stolpersteine in Frankfurt am Main, https://frankfurt.de/frankfurt-entdecken-und-erleben/stadtportrait/stadtgeschichte/stolpersteine
Stolpersteine Ffm Dok. 2011: Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main: 9. Dokumentation 2011: Westend, Bockenheimer Landstraße 91: Leopold und Johanna Kahn, http://www.stolpersteine-frankfurt.de/downloads/doku2011_WEB_1.pdf, S. 79f. [mit Abb.]
Yad Vashem: Yad Vashem – Internationale Holocaust Gedenkstätte, Jerusalem,
https://www.yadvashem.org/de.html
Yad Vashem Deportationen Minsk: Das Internationale Institut für Holocaust-Forschung: Transport, Zug Da 53 von Frankfurt am Main, Frankfurt a. Main (Wiesbaden), Hessen-Nassau, Deutsches Reich nach Minsk, Minsk City, Minsk, Weißrussland (UdSSR) am 11/11/1941, http://db.yadvashem.org/deportation/transportDetails.html?language=de&itemId=9437934
Yad Vashem Opferdatenbank: Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer, https://yvng.yadvashem.org/index.html?language=de
Wie entstand die organisierte, beruflich ausgeübte Jüdische Pflege?
Ein Vortrag von Prof. Dr. Eva-Maria Ulmer bei der „International Conference on The History of Nursing“ in Florenz, 13. bis 15. Februar 2020
Die Präsentation, vorgestellt auf der Tagung der European Assocation for the History of Nursing (EAHN) in Florenz (http://www.florence2020.org), können Sie in einer deutschen und einer englischen Fassung nachlesen. Nachgezeichnet wird die Entstehungsgeschichte der beruflichen jüdischen Krankenpflege in Deutschland, von Frankfurt am Main ging dabei „sowohl eine Magnet- als auch eine Signalwirkung“ aus. Pionierarbeit in der Aufarbeitung leistete die Frankfurter Pflegehistorikerin Hilde Steppe in Zusammenarbeit mit der Krankenschwester und Autobiografin Thea Levinsohn-Wolf. Lernen Sie weitere Persönlichkeiten kennen: die Mitbegründerin des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen in Frankfurt und Oberin in Hamburg, Klara Gordon, und ihre Kollegin Toni Spangenthal, vor ihrer NS-Vertreibung in das argentinische Exil Schwester im Krankenhaus der Frankfurter Israelitischen Gemeinde. Für den Vortrag hat ihre Tochter Silvia Berg, die ebenfalls Krankenschwester wurde, wertvolle Informationen und Fotografien zur Verfügung gestellt.

© Eva-Maria Ulmer
Den Artikel finden Sie hier als PDF-Publikation in Deutsch und Englisch:
German:
Eva-Maria Ulmer: Vortrag Jüdische Pflegegeschichte in Florenz
English:
Eva-Maria Ulmer: Presentation Jewish Nursing History in Florence
The development of professionalized Jewish nursing in Germany
Presentation at the „International Conference on The History of Nursing“ in Florence held by Prof. Dr. Eva-Maria Ulmer, 13. to 15. February 2020
The following findings are based on the foundational work of Hilde Steppe (1947–1999), a pioneer of research into nursing history. She was the first to document the successful history of Jewish nursing in Germany, particularly in Frankfurt am Main, in her dissertation in 1997. Following her early death, we – Dr. Birgit Seemann, Dr. Edgar Bönisch, and myself – have continued and expanded the work on this topic within the Research Project „Jewish Nursing History“ since 2006. You are invited to find out more in this article about the Frankfurt Verein für jüdische Krankenpflegerinnen (Association of Jewish nurses) and the biographies of the nurses Klara Gordon (matron), Thea Levinsohn-Wolf, Toni Spangenthal and Toni‘s daughter.

© Eva-Maria Ulmer
PDF-Publication (English)
Eva-Maria Ulmer: Presentation Jewish Nursing History in Florence
PDF-Publication (German)
Eva-Maria Ulmer: Vortrag Jüdische Pflegegeschichte in Florenz