Jüdische Pflege- geschichte

Jewish Nursing History

Biographien und Institutionen in Frankfurt am Main

Edith (Siesel) Einhorn (1930 [Frankfurt a.M.] – 1944 Vernichtungslager Auschwitz), ohne Jahr, u.a. Kinderheim der Weiblichen Fürsorge, Frankfurt a.M. – © Credit of Yad Vashem, Jerusalem (s. auch Mahnkopp 2023; JM Ffm Shoah Memorial; Stolpersteine Ffm [23.03.2024]

Die Frankfurter jüdische Kinder- und Säuglingspflege unter dem Nationalsozialismus

Einführung

„Die Jüdische Wohlfahrtspflege hat in immer steigendem [sic!] Maße während des ganzen Jahres die Wirtschafts-, Jugend-, Kranken- und Auswandererfürsorge für die jüdischen Hilfsbedürftigen Frankfurts durchzuführen. Hierzu tritt während des Sommers die Erholungsfürsorge. (…). Aber auch für unsere Kinder und Jugendlichen muß gesorgt werden. Ihr Gesundheitszustand hat sich erheblich verschlechtert.“

Aufruf der Israelitischen Gemeinde und der Jüdischen Wohlfahrtspflege (unterzeichnet von Dr. Blau und Dr. Ettlinger), Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt, Juni 1936 (zit. n. Andernacht/ Sterling 1963: 307, VI 32)

Aron Geld wurde am 20. August 1920 in Frankfurt am Main geboren. Er stammte aus einer frommen polnisch-jüdischen Familie mit sechs Kindern, ein Bruder verstarb bereits als Kleinkind. Sein Vater Naftali betrieb in der damaligen Obermainstraße 28, seit 1921 zugleich die Familienwohnung, eine Uhrenreparaturwerkstatt. Im März 1933 floh Naftali Geld aus Nazideutschland nach Paris, seine Frau Brakha folgte mit Arons vier Geschwistern nach. Ende 1934 erreichte die Familie Geld das damalige britische Mandatsgebiet Palästina mit hohen Einreisehürden. Wohl deshalb musste sie Aron, welcher an einer chronischen Beinlähmung litt, in Frankfurt zurücklassen. Um 1934 fand der Jugendliche Aufnahme im Gumpertz’schen Siechenhaus, einem orthodox-jüdischen Pflegeheim im Röderbergweg zur Langzeitversorgung Bedürftiger mit chronischen Leiden; unter den mehrheitlich älteren Bewohner/-innen war er vermutlich das „Nesthäkchen“. Mit Freude begleitete Arons neue Familie, die „Kehilloh Gumpertz“, seine Ausbildung zum Chasan (Kantor und Vorbeter in der Synagoge) – bis zu dem Tag der von den NS-Behörden angeordneten Zwangsräumung. Es war der 7. April 1941, ein Montag. Binnen 24 Stunden wurden die teils bettlägerigen Bewohner/innen in die eilends eingerichtete Alten- und Siechenabteilung des (für eine Langzeitversorgung gar nicht ausgerichteten) Krankenhauses der Israelitischen Gemeinde in der Gagernstraße 36 zusammengepfercht. Diejenigen, die nicht bereits in der Klinik verstarben, erlitten am 18. August 1942 – zwei Tage vor Aron Gelds 22. Geburtstag – zusammen mit dem Gumpertz’schen Personal die Deportation nach Theresienstadt. Im Lager ist die Stimme des begabten jungen Chasan am 12. April 1943 für immer verstummt (Seemann 2019: 163; JM Ffm Shoah Memorial; Terezin Opferdatenbank; Yad Vashem; s. auch Kingreen/ Eichler 2023: 125-133).

Der Fokus dieses Artikels liegt auf Frankfurter oder von Frankfurt am Main aus verwalteten jüdischen Institutionen mit medizinischer, pflegerischer und therapeutischer Versorgung von Säuglingen, Kindern und Jugendlichen. In diesem Kontext kann etwa auf die Israelitische Waisenanstalt, das Erziehungsheim der Flersheim-Sichel-Stiftung oder das Kinderheim der Weiblichen Fürsorge (s. auch Mahnkopp 2023) nicht näher eingegangen werden. Insbesondere nach den 1935 erlassenen „Nürnberger Rassegesetzen“ hatten wegen physischer, psychischer oder mentaler Einschränkungen besonders schutzbedürftige Kinder und Jugendliche jüdischer Herkunft auch noch unter den gezielt gesteigerten antisemitischen Ausgrenzungen und Angriffen des NS-Staates zu leiden. Der britische Historiker Simon Parkin gab zudem zu bedenken: „Unter einem Regime zu leben, das einen selbst und die eigene Familie ausbeuten, unsichtbar machen oder gar töten will, übt einen bedrückenden und verstörenden psychischen Druck auf die menschliche Seele aus (…)“ (Parkin 2023: 70). Wie bei Aron Geld blieb Kindern mit gesundheitlichen Einschränkungen die Flucht aus Nazideutschland gemeinsam mit Angehörigen oder durch Kinderrettungsaktionen (für Frankfurt a.M. Rieber/ Lieberz-Groß 2018; Hebauf 2022; s. auch Maierhof u.a. 2004) häufig verwehrt.

Bislang kennt niemand ihre genaue Zahl. Hinweise für die weitere Spurensuche übermittelt das Online-Portal Shoah Memorial Frankfurt, das ab dem Geburtsjahr 1920 die Namen und Daten von 1.283 aus Frankfurt a.M. deportierten Kindern und jungen Menschen verzeichnet (JM Ffm Shoah Memorial, Stand: 23.03.2024).

Gedenkblatt für die in Frankfurt am Main geborene Inge Regina Heippert (geb. 1932, Schwester von Lydia Heippert), nach heutiger Kenntnis Opfer der NS-Massenerschießungen am 25.11.1941 in Kaunas/Kowno, Litauen – © Credit of Yad Vashem, Jerusalem (s. auch JM Ffm Shoah Memorial) [23.03.2024])
Gedenkblatt für die in Frankfurt am Main geborene Inge Regina Heippert (geb. 1932, Schwester von Lydia Heippert), nach heutiger Kenntnis Opfer der NS-Massenerschießungen am 25.11.1941 in Kaunas/Kowno, Litauen – © Credit of Yad Vashem, Jerusalem (s. auch JM Ffm Shoah Memorial) [23.03.2024])
Gedenkblatt für die in Frankfurt am Main geborene Lydia Heippert (geb. 1938, Schwester von Inge Regina Heippert), nach heutiger Kenntnis Opfer der NS-Massenerschießungen am 25.11.1941 in Kaunas/Kowno, Litauen – © Credit of Yad Vashem, Jerusalem (s. auch JM Ffm Shoah Memorial) [23.03.2024])
Gedenkblatt für die in Frankfurt am Main geborene Lydia Heippert (geb. 1938, Schwester von Inge Regina Heippert), nach heutiger Kenntnis Opfer der NS-Massenerschießungen am 25.11.1941 in Kaunas/Kowno, Litauen – © Credit of Yad Vashem, Jerusalem (s. auch JM Ffm Shoah Memorial) [23.03.2024])
Edith (Siesel) Einhorn (1930 [Frankfurt a.M.] – 1944 Vernichtungslager Auschwitz), ohne Jahr, u.a. Kinderheim der Weiblichen Fürsorge, Frankfurt a.M. – © Credit of Yad Vashem, Jerusalem (s. auch Mahnkopp 2023; JM Ffm Shoah Memorial; Stolpersteine Ffm [23.03.2024]
Edith (Siesel) Einhorn (1930 [Frankfurt a.M.] – 1944 Vernichtungslager Auschwitz), ohne Jahr, u.a. Kinderheim der Weiblichen Fürsorge, Frankfurt a.M. – © Credit of Yad Vashem, Jerusalem (s. auch Mahnkopp 2023; JM Ffm Shoah Memorial; Stolpersteine Ffm [23.03.2024]
Horst Bergmann (1926 Frankfurt a.M. – 1942 Vernichtungslager Majdanek), ohne Jahr, u.a. Israelitisches Kinderheim Diez an der Lahn, Israelitische Waisenanstalt Frankfurt a.M. – © Credit of Yad Vashem, Jerusalem (s. auch JM Ffm Shoah Memorial; Stolpersteine Ffm [23.03.2024])
Horst Bergmann (1926 Frankfurt a.M. – 1942 Vernichtungslager Majdanek), ohne Jahr, u.a. Israelitisches Kinderheim Diez an der Lahn, Israelitische Waisenanstalt Frankfurt a.M. – © Credit of Yad Vashem, Jerusalem (s. auch JM Ffm Shoah Memorial; Stolpersteine Ffm [23.03.2024])
Kurt de Jong (1932 Frankfurt a.M. – 1942 Vernichtungslager Auschwitz) – © Credit of Yad Vashem, Jerusalem (s. auch JM Ffm Shoah Memorial; Stolpersteine Ffm [23.03.2024])
Kurt de Jong (1932 Frankfurt a.M. – 1942 Vernichtungslager Auschwitz) – © Credit of Yad Vashem, Jerusalem (s. auch JM Ffm Shoah Memorial; Stolpersteine Ffm [23.03.2024])

Biografische Daten und teils sogar gerettete Fotografien übermitteln neben Shoah Memorial Frankfurt und der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem für Frankfurt auch die Internetseiten der Erinnerungsprojekte Stolpersteine in Frankfurt am Main (Stolpersteine Ffm), Jüdisches Leben in Frankfurt (Jüdisches Leben Ffm) oder Platz der vergessenen Kinder: Das Kinderhaus der Weiblichen Fürsorge e.V. (Mahnkopp 2023). Insgesamt aber erweist sich die Quellenlage vor allem wegen fehlender Personal- und Krankenakten auch hier als disparat. Deshalb liest sich im Folgenden auch dieser Beitrag als eine mosaikförmige Zusammenschau – und zugleich als Ermutigung zu weiterer Forschungs- und Erinnerungsarbeit.

Jüdische Frankfurter Stiftungen der Kinderpflege

Die Lebensspuren der aus Polen stammenden Frankfurter jüdischen Geschwister Edith (geb. 1930) und David Einhorn (geb. 1932) enden im Vernichtungslager Auschwitz. Über ihren Gesundheitszustand vor der Shoah ist wenig bekannt, doch lässt ihre Familienbiografie – aufgezeichnet auf der Internetseite https://frankfurt.de/frankfurt-entdecken-und-erleben/stadtportrait/stadtgeschichte/stolpersteine/stolpersteine-im-ostend/familien/einhorn-sabine-philipp-mendel-bertha-josef-karniel-edith-und-david (Stolpersteine Ffm: Stolperstein-Biographien im Ostend) – schwierige soziale Verhältnisse und unstete Heimkindheiten vermuten (s. auch Mahnkopp 2023). Möglicherweise halfen ihnen Kinderpflege-Stiftungen aus dem Frankfurter jüdischen Bürgertum (Schiebler 1994: 157-166); sie sind durch ihre zwangsweise NS-Auflösung heute kaum noch bekannt. Erwähnt sei etwa die 1899 errichtete Achille Alexandre’sche Bikkur Cholim-Stiftung, welche „kranke israelitische Kinder bis zum 13. Lebensjahr mit Medikamenten und Barmitteln“ unterstützte (ebd.: 158). Leitendes Verwaltungsmitglied war 1917 mit Lyon Seeligmann (1866 – 1948 im Londoner Exil, Bankhaus Mainz & Seeligmann) ein Schwiegersohn des Zedaka-Organisators Michael Moses Mainz (Seemann 2023); der Verbleib der Stiftung ist bislang ungeklärt. Die 1916 gegründete selbständige Dr. Karl und Mathilde Kaufmann-Stiftung widmete ihre Erträge der Behandlung in Krankheitsfällen sowie von Kuraufenthalten für Kinder „jeden Alters und Glaubens“ (Schiebler 1994: 163). Im Vorstand wirkte 1917 u.a. Sanitätsrat Dr. med. John Rothschild (1869 – 1951 im Exil von Key Gardens/ New York), einer der ersten niedergelassenen Frankfurter Kinderärzte und langjähriger Stadtschularzt. Dank einer Schenkung der Brüder Max und Gustav Kaufmann zugunsten erholungsbedürftiger Kinder entstand im gleichen Gründungsjahr (1916) wie die Dr. Karl und Mathilde Kaufmann-Stiftung als unselbständige Stiftung der Stadt Frankfurt am Main die ebenfalls interkonfessionell angelegte Leopold H. Kaufmann-Stiftung. Unter dem Nationalsozialismus wurde das Restvermögen der Dr. Karl und Mathilde Kaufmann-Stiftung und vermutlich auch der Leopold H. Kaufmann-Stiftung im Jahr 1939 in die Frankfurter Jugendfürsorge-Stiftung eingegliedert (Schiebler 1994: 163; ISG FFM: Bestand A.30.02 Nr. 244; Arcinsys Hessen).

Weiter zu erforschen bleibt auch ein ambitioniertes Sozialprojekt der Frankfurter jüdischen Kinderpflege: die „Stiftung zur Erziehung geistig oder körperlich gefährdeter israelitischer Kinder (Israelitischer Kinderhort) e.V.“ in der damaligen Bleichstraße 8 (ISG FFM A.30.02 Nr. 223; HHStAW 519/3 Nr. 16340). Über das Wirken der anfänglichen „Stiftung für gebrechliche oder verwahrloste bedürftige israelitische Kinder“ – deren Vereinsgründung erfolgte nach Gerhard Schieblers Recherche im Jahr 1881 (Schiebler 1994: 166; s. auch Arnsberg 1983 Bd. 2: 119) – informierte der Pädiater, Sozialmediziner und Stadtverordnete Sanitätsrat Prof. Dr. Wilhelm Hanauer (1866–1940):

„Ihr Zweck ist, bedürftigen israelitischen Kindern, die mit körperlichen, geistigen oder sittlichen Gebrechen behaftet sind, Unterhalt, Kleidung und Erziehung oder sonst geeignete Beihilfe, unter anderem auch eine entsprechende Unterkunft und ärztliche Behandlung, zu gewähren und sie arbeits- und erwerbsfähig zu machen. 1912 wurden 29 Kinder unterstützt. Seit etwa 10 Jahren [um 1904, d.V.] hat diese Stiftung Kinderhorte errichtet (…).“

(Hanauer 1914: 52-53)

Die Horte der Stiftung zur Erziehung geistig oder körperlich gefährdeter israelitischer Kinder boten 70 Plätze für Mädchen und Jungen. Verbunden ist das Zedaka-Projekt vor allem mit den heute nicht mehr bekannten Namen des wohltätigen Ehepaares Moritz Metzger (1853-1915) und Ida Henriette Metzger geb. Kahn (1868-1934) (Einträge bei Geni: https://www.geni.com/people/Moritz-Metzger/6000000005934755245 und https://www.geni.com/people/Ida-Metzger/6000000005933795757 [23.03.2024]). Neben weiteren Ämtern im Dienste der Wohlfahrt für benachteiligte Kinder führte Moritz Metzger bis zu seinem Tod den Vorsitz der Stiftung (Kurznachruf in: NJP/FIF 13 (1915) 34, S. 4, online: UB JCS Ffm: Compact Memory, Judaica Frankfurt, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/2692957). Er verstarb 1915 vermutlich aus Kummer um seinen kurz zuvor im Ersten Weltkrieg gefallenen Sohn Franz – wohl das einzige Kind. Seine Witwe Ida Metzger übernahm den Vorsitz, ein Amt, das sie fast zwei Jahrzehnte lang bis zu ihrem eigenen Tod im Jahr 1934 ausübte. Stellvertretender Vorsitzender war in den 1930er Jahren der Direktor der Frankfurter jüdischen Schule Philanthropin Dr. phil. Otto Iwan Driesen (geb. 1875), ein höchst innovativer Pädagoge und Philologe sowie Bruder der Frankfurter Marcus Horovitz-Loge des jüdischen Ordens B’nai B’rith (Hoppe 2023; Seemann 2023; Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Driesen [23.03.2024]), dessen Leben vermutlich 1943 im Vernichtungslager Sobibor gewaltsam endete. Den Verein der Stiftung zur Erziehung geistig oder körperlich gefährdeter israelitischer Kinder (Israelitischer Kinderhort) lösten die Nationalsozialisten vermutlich im Jahr 1939 auf.

Annonce des Israelitischen Kinderhorts, 1936 – Nachweis: Israelitisches Familienblatt 38 (1936) 29 (digitalisiert o.S.), online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/11582637
Annonce des Israelitischen Kinderhorts, 1936 – Nachweis: Israelitisches Familienblatt 38 (1936) 29 (digitalisiert o.S.), online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/11582637

Jüdische Kur- und Therapieprojekte für Kinder und Jugendliche

Das Raphael und Jeanette Ettlinger‘sche Kinderheim, Hofheim – Nachweis: Neue Jüdische Presse/ Frankfurter Israelitisches Familienblatt 11 (1913) 2, S. 4, online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/2702486
Das Raphael und Jeanette Ettlinger‘sche Kinderheim, Hofheim – Nachweis: Neue Jüdische Presse/ Frankfurter Israelitisches Familienblatt 11 (1913) 2, S. 4, online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/2702486

Als Vorstandsmitglieder des Raphael und Jeanette Ettlinger-Heims e.V. (Schiebler 1994: 160-161; Seemann 2023; HHStAW 518 Nr. 1274; Alemannia Judaica Hofheim) kümmerten sich Ida und Moritz Metzger überdies um ein von Frankfurt am Main aus gegründetes und verwaltetes Kinderkurheim in Hofheim am Taunus. Auch diese jüdische Institution lösten die NS-Behörden im Jahr 1939 gewaltsam auf (s. auch Andernacht/ Sterling 1963: 327); drei Jahre zuvor hatten sie bereits eine Sammlung zugunsten des Kinderheims beschlagnahmt (HHStAW 474/3 Nr. 936). Zum Hofheimer Projekt heißt es in einem Überblick über jüdische Kinderheilstätten, 1937 gedruckt im Gemeindeblatt der Deutsch-Israelitischen Gemeinde zu Hamburg:

„In den letzten fünf Jahren fanden in den Frühjahrs- und Herbstmonaten auch Erwachsene und Kinder von 4-6 Jahren Aufnahme. Zur Aufnahme gelangen Fälle wie Anämie, Rachitis, chronische Erkrankungen der Atmungsorgane, Herzneurose, ferner Rekonvaleszenten nach akuten Krankheiten. Heilverfahren: neben reichlicher und abwechslungsreicher Kost Höhensonne, Liegekur und medizinische Bäder.“

(Jüdische Kinderheilstätten 1937: 4)

Der Artikel erwähnt auch die ebenfalls von Frankfurt aus verwaltete Israelitische Kinderheilstätte zu Bad Nauheim (Schiebler 1994: 162; Kingreen 1999); bei Erscheinen des Beitrags (1937) war die Einrichtung bereits geschlossen:

„Außer Kindern mit Herzkrankheiten kommen vor allem auch solche mit Erkrankungen des Stoffwechsels, der Muskeln und Gelenke, Skrofulose, Rachitis, Blutarmut in Frage. (…) Zur Aufnahme kommen Kinder von 4-16 Jahren.“

(Jüdische Kinderheilstätten 1937: 4)

Die NS-„Arisierung“ beider Kurheime bedeutete eine weitere drastische Einschränkung der Genesungs- und Erholungsmöglichkeiten für jüdische Mädchen und Jungen; die letzten Schutzräume wurden ihnen genommen.

Der Kalmenhof und seine Jüdische Abteilung

Kalmenhof in Idstein (Taunus): Gründungstafel mit den Namen von Rudolph Ehlers, Charles L. Hallgarten und August von Hergenhahn, 1952 – Nachweis: Fotoaufnahme 15.11.2010 (Frank Winkelmann), Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ausstellung_Kalmenhof_002.JPG?uselang=de [24.03.2024]
Kalmenhof in Idstein (Taunus): Gründungstafel mit den Namen von Rudolph Ehlers, Charles L. Hallgarten und August von Hergenhahn, 1952 – Nachweis: Fotoaufnahme 15.11.2010 (Frank Winkelmann), Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ausstellung_Kalmenhof_002.JPG?uselang=de [24.03.2024]

Überregionale Bekanntheit erlangte die interkonfessionelle Heil- und Pflegeeinrichtung Kalmenhof in Idstein (Rheingau-Taunus-Kreis) mit einer eigenen Jüdischen Abteilung, heute eine sozial- und heilpädagogische Einrichtung (mit Gedenkstätte) der Vitos Teilhabe (Vitos GmbH, Landeswohlfahrtsverband Hessen, https://www.vitos.de/gesellschaften/vitos-teilhabe [23.03.2024]). 1888 auf Initiative jüdischer und christlicher Bürger/innen – vor allem des Frankfurter jüdischen Sozialreformers Charles L. Hallgarten (1838-1908) und seiner Gattin Elise geb. Mainzer (1840-1895) – errichtet, genoss der Kalmenhof (zu Anfang: „Calmenhof“) den Ruf einer humanitären Reformanstalt. Dann folgte mit dem Nationalsozialismus der Absturz in die rassenideologische Menschenfeindlichkeit: Der Kalmenhof wurde „Zwischenanstalt“ für die NS-Tötungsanstalt Hadamar; in der Kinderfachabteilung seines Krankenhauses fielen Hunderte von Kindern und jungen Menschen dem NS-„Euthanasie“-Massenmord zum Opfer (einführend Wikipedia mit Literaturhinweisen: https://de.wikipedia.org/wiki/Kalmenhof; HHStAW Bestand 430/3: Landesheilanstalten: Heilerziehungsanstalt Kalmenhof in Idstein [mit ausführlicher Bestandsgeschichte] sowie weitere Einträge bei Arcinsys Hessen; Schneider, Christoph 2024 (im Erscheinen): Der Kalmenhof. NS- „Euthanasie“ und ihre Nachgeschichte. Paderborn; die Erinnerungsseiten Gedenkort Kalmenhof: https://www.gedenkort-kalmenhof.de sowie https://www.kalmenhof-gedenken.de [23.03.2024]).

Gewaltsam aufgelöst wurde auch die Jüdische Abteilung der damaligen „Heilerziehungsanstalt“ Kalmenhof, eingerichtet in den 1920er Jahren eingerichtet und verwaltet durch den Hessischen Landesverband für Jüdische Wohlfahrtspflege mit Sitz in Frankfurt, Lange Straße 30 (Kalmenhof 1925 u. 1930; Schiebler 1994: 159; s. auch Alemannia Judaica Idstein). Es wurde Religionsunterricht angeboten und am 21. September 1924, wie das orthodox-jüdische Presseorgan Der Israelit berichtete, eine „rituelle Küche“ im Heim eröffnet:

„Hier wird von jüdischem Personal nach den strengen Vorschriften ihres Glaubens für die jüdischen Zöglinge gekocht und gegessen. Der Vorstand der Anstalt hat durch diese Einrichtung gezeigt, dass es ihm ernst ist mit der Ausübung wirklicher Toleranz, nicht in dem Sinne einer Verwischung der religiösen Eigentümlichkeiten und des Aufgehens des konfessionellen Lehrgutes in einem allgemeinen religiösen Bildungsbrei, sondern in der Achtung und gegenseitigen Anerkennung der religiösen Eigenart, wohl wissend, welche starken erziehlichen Kräfte gerade für Schwachsinnige [damals eine gängige Bezeichnung, d.V.] in der Ausübung des religiösen Kultus ruhen.“

(Kalmenhof 1925 [Orthografie nach Original])

Über Herkunft, Alter und Ausbildung der jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner des Kalmenhofs im Jahr 1930 erfahren wir aus der Zeitschrift der Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden:

„Von den 152 jüdischen Zöglingen im Jahre 1930 waren 125 männlich, 27 weiblich, 33 im Alter von 6 bis 14, 68 im Alter von 14 bis 21, und 49 über 21 Jahre alt (bei zweien fehlen die Angaben). Von den 152 Pfleglingen waren 39 vor ihrer Einweisung nach Idstein schon in einer Anstalt untergebracht. In 55 Fällen lag Geisteskrankheit in der Familie vor.
35 Pfleglinge sind in Hessen geboren, davon 14 in Frankfurt a.M., aus Berlin stammen 15, aus Hamburg 13, aus der Rheinprovinz sind 21 Zöglinge in der Anstalt untergebracht worden, davon 10 aus Köln; aus Westfalen wurden der Anstalt 11, aus Bayern 9, aus Hannover 4, aus Thüringen, Sachsen und Baden je 3, aus dem Saargebiet und Schlesien je 2, aus Ostpreußen, Pommern, Westpreußen und Württemberg je 1 Pflegling überwiesen. Aus Polen stammen 10 Zöglinge, aus der Tschechei 3, aus Palästina, der Schweiz und Griechenland je 2 Pfleglinge, aus Amerika, Rußland, Holland, Elsaß, Belgien und Aegypten je 1. (…) Die größte Zahl der in der Heilerziehungsanstalt befindlichen Pfleglinge (53 [sic!]) ist dauernd anstaltsbedürftig (…).
41 Zöglinge machen eine handwerkliche Ausbildung durch (Korbmacher, Bürstenmacher, Buchbinder, Schneider, Spengler, Schreiner, Sattler, Bäcker, Schlosser, Buchdrucker, Schuhmacher), 16 werden im Haushalt beschäftigt (Nähstube, Küche, Plätterei [Bügeln von Wäsche, d.V.], Haushalt, Hausbursche). 19 Pfleglinge werden in der Landwirtschaft und in der Gärtnerei ausgebildet. Sonstigen Berufen konnten 8 Personen zugeführt werden (Hilfsarbeit, Kinderpflege, Büro, Lagerverwalter), 32 Kinder gingen noch zur Schule, 36 Pfleglinge können keinen Beruf ausüben.“

(Kalmenhof 1930: 482-483 [Orthografie nach Original])

Noch 1932 waren nach Auskunft des Wiesbadener Oberkantors und Lehrers Saul Lilienthal (1877 – 1944 Vernichtungslager Auschwitz) 150 von insgesamt 750 „Pfleglingen“ des Kalmenhofs jüdisch, in der Jüdischen Abteilung betreut von einem Lehrer, einem Gehilfen und einer Köchin. Unter dem Nationalsozialismus sank ihre Zahl bis 1935/36 auf nur noch etwa 60 jüdische Bewohner/innen (Lilienthal S. 1936: 396). Die Jüdische Abteilung hörte auf zu existieren. Die Rekonstruktion der Biografien und der NS-Verfolgung jüdischer Heimbewohner/innen gestaltet sich insgesamt als schwierig (s. auch Lilienthal G. 2009; Hinz-Wessels 2013), doch liegen dank der Historikerin Martina Hartmann-Menz Informationen zu einem jüdischen Gepflegten des Kalmenhofs vor: Semi Rothschild (geb. 1911), „im Juni 1930 in die Heilerziehungsanstalt Kamenhof in Idstein überwiesen“ (Hartmann-Menz o.J.). Nach der NS-Schließung der Jüdischen Abteilung erkämpfte Semi Rothschilds Vater 1936 die Entlassung seines Sohnes, konnte aber dessen Zwangssterilisierung auf Antrag der Kalmenhof-Anstaltsleitung wegen angeblichen „angeborenen Schwachsinns“ nicht verhindern. Semi Rothschild kehrte zu seiner Familie zurück. Vermutlich 1942 wurde er zusammen mit seinen Eltern im Ghetto von Riga (Lettland) ermordet (ebd.; siehe zu Albert Wolf (1892-1941), einem weiteren jüdischen Kalmenhof-Bewohner, Flick 2023).

Von weiteren namentlich bekannten Kalmenhof-Bewohner/-innen jüdischer Herkunft ist nicht überliefert, ob sie wie Semi Rothschild ebenfalls aus frommen Familien stammten und in der Jüdischen Abteilung betreut wurden. Hierzu gehören Julius Steinberger (geb. 1917) und Erwin Strauss (geb. 1924), beide in Frankfurt am Main geboren: Sie gingen mit ihrer Verlegung vom Kalmenhof über die Landesheilanstalt Weilmünster in die Tötungsanstalt Hadamar, wo beide am 7. Februar 1941 ermordet wurden, den gleichen Leidensweg (BArch Gedenkbuch; Yad Vashem).

Gedenkblatt für Erwin Strauss (geb. 1924), 1991 – Nachweis: © Credit of Yad Vashem, Jerusalem
Gedenkblatt für Erwin Strauss (geb. 1924), 1991 – Nachweis: © Credit of Yad Vashem, Jerusalem

Zu der 1926 ebenfalls in Frankfurt am Main geborenen Lieselotte (Liselotte) Wagner lautet der Eintrag im Online-Portal Shoah Memorial Frankfurt: „Einweisung unbekannten Datums in die Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof (Idstein). Verlegung am 5. Juni 1943 in die Tötungsanstalt Hadamar, wo Lieselotte Wagner nach nationalsozialistischer Definition als ,halbjüdisches Kind’ registriert war“ (zit. n. JM Ffm Shoah Memorial [23.03.2024]). Nur zwei Tage später wird die Jugendliche in Hadamar ermordet (BArch Gedenkbuch). Aus einer durch die NS-„Rassengesetze“ verbotenen jüdisch-nichtjüdischen Beziehung stammte auch die 1929 in Gießen geborene Ingeborg Donges, wohnhaft in Gießen, Idstein (Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof) sowie in Wetzlar (Städtisches Kinderheim) (BArch Gedenkbuch; Yad Vashem). Nach einem Monat Aufenthalt in der Anstalt Hadamar wird sie dort am 25. Juni 1943 durch eine Medikamentenüberdosis ermordet.

Gedenkblatt für Ingeborg Donges (geb. 1929), 1991 – Nachweis: © Credit of Yad Vashem, Jerusalem
Gedenkblatt für Ingeborg Donges (geb. 1929), 1991 – Nachweis: © Credit of Yad Vashem, Jerusalem

Ingeborg Donges’ jüdischer Vater ist möglicherweise identisch mit dem in Gießen wohnhaften Manfred Rosenbaum (geb. 1905), welcher im August 1933 nach Frankreich floh, leider entdeckt und über das Sammellager Drancy 1942 nach Auschwitz und von dort 1944 nach Buchenwald deportiert wurde. In Buchenwald verstarb er nach bisherigem Kenntnisstand am 22. Mai 1945 (nach der Befreiung). Von der Mutter Lina Dietzel (geb. Donges) ist lediglich der Name überliefert.
Die Erinnerungsarbeit rund um den Kalmenhof ist noch längst nicht beendet.

Das Hauptgebäude des Kalmenhofs in Idstein, 2011 – Nachweis: Frank Winkelmann, Saibo, Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hauptgeb%C3%A4ude_Kalmenhof-2.JPG [23.03.2024]
Das Hauptgebäude des Kalmenhofs in Idstein, 2011 – Nachweis: Frank Winkelmann, Saibo, Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hauptgeb%C3%A4ude_Kalmenhof-2.JPG [23.03.2024]

Spurensuche: NS-verfolgte Kinder und Jugendliche im Rothschild’schen Kinderhospital und im Frankfurter Jüdischen Krankenhaus

Im Juni 1941 schlossen die NS-Behörden zwangsweise das Mathilde von Rothschild’sche Kinderhospital (1886-1941) im Röderbergweg 109 (heute Habsburgerallee 112), eine der Pflege- und Wohlfahrtsinstitutionen der neo-orthodoxen Israelitischen Religionsgesellschaft (Austrittsgemeinde). Die Klinik hatte bis 1927 bedürftige Kinder beiderlei Geschlechts behandelt, spezialisierte sich aber vermutlich inflationsbedingt qua Satzungsänderung auf die (weiterhin unentgeltliche) Behandlung von Mädchen im Alter von vier bis 14 Jahren; 1932 versorgte sie 140 kleine Patientinnen. Unter der NS-Verfolgung stieg deren Zahl durch die zunehmende Verdrängung antisemitisch verfolgter Kinder und Jugendlicher aus als „arisch“ kategorisierten Krankenhäusern, so im Jahr 1937 auf 155 Patientinnen (s. auch Seemann 2016; Schiebler 1994: 165-166). Auch diese Institution stand im Fadenkreuz NS-behördlicher Schikanen und Gestapo-Hausdurchsuchungen. Am 28. September 1940 kam es zur Eingliederung der Trägerstiftung in die vom NS-Reichssicherheitshauptamt und der Gestapo kontrollierte Reichsvereinigung der Juden in Deutschland. Im Rahmen der Zwangsschließung im Juni 1941 „erwarb“ die Stadt Frankfurt am Main Liegenschaft, Gebäude und Inventar des Rothschild‘schen Kinderhospitals (mit Gartengrundstück an der angrenzenden Habsburger Allee). Am 12. Juli 1941 meldete der Gestapo-Beauftragte bei der Jüdischen Wohlfahrtspflege Ernst Holland an die Geheime Staatspolizei Frankfurt: „Die zusammenhängenden Liegenschaften Röderbergweg 97 und 109 und Rhönstraße 50 sind vom Bauamt, Raum- und Quartierbeschaffung[,] als Hilfskrankenhäuser sichergestellt“ (Andernacht/ Sterling 1963: 464, s. auch 272-275; ISG FFM: A.02.01 Nr. 9574, A.30.02 Nr. 400, A.62.02 Nr. 2141). Nach der Shoah und dem Zweiten Weltkrieg scheiterte der Versuch einer Wiederbelebung der Stiftung für das Mathilde von Rothschild‘sche Kinderhospital (Schiebler 1994: 166).

Aus dem Album der Oberärztin Dr. Margarete Katzenstein: Kinder im Jüdischen Krankenhaus Gagernstraße, ohne Jahr (ab 1933) – Nachweis: Margarete Katzenstein Collection AR 25067, Folder 5 in Series II, Center for Jewish History/Leo Baeck Institute: https://archives.cjh.org/repositories/5/resources/6943
Aus dem Album der Oberärztin Dr. Margarete Katzenstein: Kinder im Jüdischen Krankenhaus Gagernstraße, ohne Jahr (ab 1933) – Nachweis: Margarete Katzenstein Collection AR 25067, Folder 5 in Series II, Center for Jewish History/Leo Baeck Institute: https://archives.cjh.org/repositories/5/resources/6943

Vorgeblich auf Veranlassung der Reichsvereinigung der Juden war das dem Rothschild’schen Kinderhospital benachbarte Georgine Sara von Rothschild’sche Hospital (1870-1941, Röderbergweg 93/97, heute Waldschmidtstraße 129-131) im Frühjahr 1941 mit dem Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde zusammengelegt worden (Andernacht/ Sterling 1963: 463f.; s. auch Mainz 1946: 249-250; Karpf 2003; Schiebler 1994: 145f.; Steppe 1997: 237-240; 245f.; ISG FFM: A.12.03 Nr. 686 u. Nr. 687). Das Rothschild’sche Kinderhospital verlor bis zu seiner endgültigen Schließung jegliche Finanzierung; in Behandlung befindliche kleine Patientinnen und noch vorhandenes Personal wurden in das Krankenhaus Gagernstraße eingewiesen. Zu diesem Zeitpunkt herrschten in dieser letzten Frankfurter jüdischen Klinik bereits drangvolle Enge und infolge von KZ-Einweisungen und NS-Vertreibungen eine hohe Fluktuation an medizinischem, pflegerischem und technischem Personal. Das hierfür gar nicht ausgestattete Krankenhaus musste neben der bereits erwähnten Einrichtung einer „Alten- und Siechenabteilung“ zudem behördlich eingewiesene „Leicht-Gemütskranke“ unterbringen. Eine Kinderabteilung ist in den bisher vorliegenden lückenhaften Quellen zur NS-Zeit nicht eigens erwähnt, doch befanden sich laut der Festschrift zur Eröffnung des Klinikneubaus im Mai 1914 im 1. Obergeschoss des Hauptgebäudes „Kindersaal und Säuglingszimmer“ (Festschrift Krankenhaus Gagernstraße 1914: 63). Als verheerende Wirkung der „Nürnberger Rassegesetze“ und damit verbunden der antisemitischen Aufspaltung des Gesundheitswesens kamen behandlungsbedürftige jüdische Kinder nur noch im Krankenhaus Gagernstraße unter. Diese letzte Zuflucht organisierten die NS-Behörden als Sammelstelle vor den Deportationen: „1942 sind fast 400 Menschen im Krankenhaus als Patienten untergebracht, dazu über 100 Angestellte und 37 Lehrschwestern. Bis Oktober 1942 wird das Krankenhaus vollständig geräumt (…)“ (Steppe 1997: 246).

Aufgrund der zeitlichen begrenzten Verweildauer und „verschollener“ Akten und Dokumente sind von den im Krankenhaus Gagernstraße vor der NS-Zwangsräumung befindlichen Kinder und Jugendlichen nur wenige Namen überliefert – mit Ausnahme einer jungen Patientin: Inge Simon wurde am 29. September 1925 in Berlin geboren und wohnte mit ihrer Familie in Arnstadt (Thüringen), wo der Vater ein Geschäft für Herrenmoden führte. Ihr älterer Bruder flüchtete 1938 mit 17 Jahren in das damalige britische Mandatsgebiet Palästina und lebte zuletzt als Dov Shimoni in Israel. Inge Simon selbst wurde – vorgeblich wegen des Verdachts auf Tuberkulose – am 1. November 1940 „in ein Heim verschickt“ (Tittelbach-Helmrich 1999: 32; s. auch Gedenkbuch Thüringen). Wie sie nach Hessen gelangte und wo sie dort unterkam, ist bislang unbekannt. Vermutlich unter dem Eindruck der Deportation am 11. Juni 1942 – aus Frankfurt und dem Regierungsbezirk Wiesbaden in die Region Lublin (Majdanek, Sobibor) (Kingreen/Eichler 2023: 117-122) – unternahm sie einen Suizidversuch und verstarb am 15. Juni 1942 mit 16 Jahren im Krankenhaus Gagernstraße. Möglicherweise hatte sie zuvor auch von der Deportation ihrer Eltern erfahren: Ilka Julia geb. Brandt und Georg Simon wurden beide am 10. Mai 1942 über Weimar und Leipzig in das Ghetto Belzyce (Region Lublin) verschleppt und in der Shoah ermordet.

Grabstein von Inge Simon auf dem neueren Frankfurter Jüdischen Friedhof Eckenheimer Landstraße – © Dr. Birgit Seemann, 2011
Grabstein von Inge Simon auf dem neueren Frankfurter Jüdischen Friedhof Eckenheimer Landstraße – © Dr. Birgit Seemann, 2011
„Stolperstein“ für Inge Simon in Arnstadt, Rosenstraße 10 – Nachweis: © Aschroet, 17.08.2014, https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Stolperstein_Arnstadt_Rosenstra%C3%9Fe_10-Inge_Simon.JPG [23.03.2024]
„Stolperstein“ für Inge Simon in Arnstadt, Rosenstraße 10 – Nachweis: © Aschroet, 17.08.2014, https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Stolperstein_Arnstadt_Rosenstra%C3%9Fe_10-Inge_Simon.JPG [23.03.2024]

An Inge Simon erinnern ein Grabstein auf dem neueren Frankfurter Jüdischen Friedhof Eckenheimer Landstraße und ein „Stolperstein“ in ihrem langjährigen Heimatort Arnstadt (Rosenstraße 10). Die spätestens im Oktober 1942 abgeschlossene NS-Zwangsräumung des letzten Frankfurter jüdischen Krankenhauses Gagernstraße und die parallel stattfindenden Verschleppungen in die Todeslager musste sie nicht mehr erleben.

Anders erging es zwei weiteren Mädchen, die gemeinsam mit ihren Eltern in der Klinik wohnten: Inge Henriette Herlitz (geb. 1930) und Lieselotte Kahn (geb. 1937) (Strauß 2006; BArch Gedenkbuch; JM Ffm Shoah Memorial; Yad Vashem mit Abb. des Elternpaares Kahn). Inge und ihre Eltern, die Modistin Lina Herlitz geb. Stern (geb. 1904) und der Elektromonteur Sally Herlitz (1903-1992), waren 1938 unter der NS-Verfolgung aus Wachenbuchen (Maintal) nach Frankfurt a.M. gezogen (Peter Heckert: https://www.peterheckert.de/maintal/wachenbuchen [23.03.2024]). Im Krankenhaus Gagernstraße kam Lina Herlitz als Wirtschafterin unter. Über den Vater der kleinen Liselotte, dem Mediziner Dr. Edmund Kahn (geb. 1897), informiert das Gedenkbuch Karlsruhe: „Nach seiner Entlassung aus Buchenwald ging Edmund Kahn zu seiner Familie nach Karlsruhe. Nach langwierigen Bemühungen gelang es ihm schließlich, im September 1939 als angestellter Arzt am Israelitischen Krankenhaus in Frankfurt a.M. in der Gagernstraße 36 wieder eine Existenz zu finden. Auch Frau [Louise Flora Kahn geb. Dreyfuß, geb. 1908, d.V.] und Tochter zogen noch im gleichen Monat zu ihm nach Frankfurt; im Krankenhaus bekamen sie eine kleine Wohnung“ (Strauß 2006). Die Familien Herlitz und Kahn wurden am 24. September 1942 bei der zehnten großen Deportation aus Frankfurt „nach Osten“ verschleppt:

„Alle jüdischen Einrichtungen wie die Jüdischen Altersheime und das Jüdische Krankenhaus hatten durch die Transporte nach Theresienstadt ihre Bewohner verloren und mussten aufgelöst werden. Hierzu waren in Frankfurt a.M. noch mehrere jüngere Angestellte der Gemeinde mit ihren Familien verblieben, z.B. Krankenschwestern, Ärzte, Heimleiter und Handwerker. Nur zwei Wochen nach dem Abschluss der Deportationen nach Theresienstadt wurden auch sie deportiert: 237 Personen aus Frankfurt a.M. Infolge der Auflösung des Jüdischen Krankenhauses ist dessen Adresse ,Gagernstraße 36‘ auf der Namensliste der Deportierten 51mal [sic!] zu lesen.“

(Kingreen/ Eichler 2023: 179-193, hier S. 179)

Der Todestransport endete am Bahnhof von Raasiku in Estland. Dort trennte die SS Sally Herlitz und vermutlich auch Edmund Kahn von ihren Familien und deportierte sie als Zwangsarbeiter in weitere Lager. Inge Herlitz, Lieselotte Kahn und ihre Mütter gehören sehr wahrscheinlich zu den Opfern der von den deutschen Nationalsozialisten organisierten und von estländischen Kollaborateuren ausgeführten Massenerschießungen in den Dünen von Kalevi-Liiva: „Aus einem Bericht einer in Estland gebildeten sowjetischen Kommission zur Feststellung und Untersuchung nationalsozialistischer Verbrechen stammt die Information: Von der Bahnstation Raasiku fuhren die Busse in die Dünen an der Ostsee. Dort war in einer Talmulde ein großer Graben ausgehoben worden. Etwa 15 m vor der Grube hielten die Busse, die Menschen wurden heraus getrieben und musten sich nackt ausziehen. Sie wurden dann gezwungen, in den etwa 3 m tiefen Graben zu gehen, in den eine Art Rampe hinein führte. Dort wurden sie von einem estländischen Kommando von 6-8 Männern erschossen, erst die Erwachsenen, dann die Kinder. Die Leichen wurden mit Sand bedeckt“ (zit. n. Strauß 2006).

Von den Familien Herlitz und Kahn hat nur Inges Vater die Shoah überlebt: Sally Herlitz kehrte nach Frankfurt am Main zurück und verstarb dort am 20. März 1992 (Arcinsys Hesssen: Entschädigungsakte: HHStAW 518/1491; Kingreen/ Eichler 2023: 181, 191).

Ein unbekanntes Kapitel: freiberufliche Säuglings- und Kinderpflege unter der NS-Verfolgung

Information zum „Arierparagraph“ in Sachsen auch für Kinder- und Säuglingsschwestern und Hebammen im Israelitischen Familienblatt, 20. Juni 1935 – Nachweis: IF 37 (1935) 25, S. 2, online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/11582831
Information zum „Arierparagraph“ in Sachsen auch für Kinder- und Säuglingsschwestern und Hebammen im Israelitischen Familienblatt, 20. Juni 1935 – Nachweis: IF 37 (1935) 25, S. 2, online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/11582831
Annonce in der Jüdischen Rundschau vom 16. Juli 1937 – Nachweis: JR 42 (1937) 56, S. 14, online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/2653679
Annonce in der Jüdischen Rundschau vom 16. Juli 1937 – Nachweis: JR 42 (1937) 56, S. 14, online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/2653679
Annonce einer freiberuflichen Säuglingspflegerin für Frankfurt a.M. in Der Israelit 28.01.1937 – Nachweis: It 78 (1937) 4, S. 16, online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/2450965
Annonce einer freiberuflichen Säuglingspflegerin für Frankfurt a.M. in Der Israelit 28.01.1937 – Nachweis: It 78 (1937) 4, S. 16, online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/2450965

„Neuzeitl.[iche] Kinderernährung, Säuglingsturnen, Nähen und Arbeit von Kindersachen perfekt, übern.[immt] auch Haushaltspflichten (…)“, inserierte eine 46jährige Krankenpflegerin in der Jüdischen Rundschau vom 16. Juli 1937 (JR 42 (1937) 56, S. 14) auf ihrer Suche nach einer Anstellung als Säuglings- und Kinderschwester. Unter der NS-Verfolgung mehrten sich im Arbeitsfeld der freiberuflichen jüdischen Kinder- und Säuglingspflege in jüdischen Medien die Stellenannoncen und Stellengesuche. Pflegende jüdischer Herkunft hatten im Zuge der NS-Gleichschaltung oder „Arisierung“ von Kliniken und Kinder- und Säuglingsheimen ihren Arbeitsplatz verloren. Zugleich suchten junge jüdische Eltern dringend nach einer professionellen Betreuung ihrer Babys und Kleinkinder. Hieraus ergaben sich mitunter Optionen, gemeinsam mit den Arbeitgeber/-innen aus Nazideutschland zu emigrieren. Mit Blick auf das Exil ermutigen jüdische Gemeinden und Institutionen junge Frauen zum Beruf der Kinder- und Säuglingspflegerin.

Bericht von W.H. über das Säuglings- und Waisenheim der Women’s Zionist Organization in Jerusalem, Jüdische Rundschau, 21.06.1936 – Nachweis: JR 41 (1936) 6, S. 11, online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/2653929
Bericht von W.H. über das Säuglings- und Waisenheim der Women’s Zionist Organization in Jerusalem, Jüdische Rundschau, 21.06.1936 – Nachweis: JR 41 (1936) 6, S. 11, online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/2653929

In der Forschung fand die freiberufliche jüdische Säuglings- und Kinderpflege unter der NS-Verfolgung bislang wenig Beachtung. Für Frankfurt am Main sei an zwei in der Shoah vernichtete Frankfurter Ausbildungs-, Wohn- und Fürsorgestätten erinnert, welche besonders in der NS-Zeit Lehrgänge für die berufliche Kinder- und Säuglingspflege in Heimen oder Privathaushalten anboten und Kenntnisse in Krankenpflege vermittelten: die Jüdische Haushaltungsschule e.V. mit Mädchenwohnheim (1897 – um 1937, Königswarterstraße 20 [NS-Zeit: Quinckestraße]), vorwiegend getragen von weiblichen Mitgliedern der Frankfurter Israelitischen Gemeinde (Höxter 1925; Laquer 1931; Schiebler 1994: 24), und das Israelitische Mädchenheim (1908 – um 1937, Taunusplatz 17), gegründet durch die Frauenvereinigung der Frankfurt-Loge des jüdischen Ordens B’nai B’rith und geleitet von Logenschwester Dr. Camilla Burstyn-Tauber (1877[1879]–1951) (Wertheimer 1935; Seemann 2023: Kapitel 5).

Annonce für Säuglingskurse im Frankfurter Israelitischen Mädchenheim, 1934 – Nachweis: Central-Verein-Zeitung 12 (1934) 9, S. 371, online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/3094408
Annonce für Säuglingskurse im Frankfurter Israelitischen Mädchenheim, 1934 – Nachweis: Central-Verein-Zeitung 12 (1934) 9, S. 371, online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/3094408

Die hauswirtschaftliche Ausbildung in beiden Häusern legte bereits den Grundstein für spätere pflegerische und pädagogische Berufe (Schlesinger 1936); unter der NS-Verfolgung sollten Kinder- und Säuglingspflegekurse die Absolventinnen zunehmend auf die erzwungene Emigration und die Existenzbewältigung im Exil vorbereiten. In der deutsch-jüdischen Presse erschienen Inserate hilfesuchender Mütter und Väter, welche mit ihren Säuglingen oder Kleinkindern, auch wenn sie krank waren, aus Nazideutschland flüchten mussten. Sie suchten eine zuverlässige Pflegekraft, die sich zugleich als Haushälterin und Köchin bewährte.

Am Ende widmet sich der Beitrag zwei in der Shoah ermordeten Frankfurter Kinderpflegerinnen: Resi Jelen und Nelly Ginsberg, aus osteuropäisch-jüdischen Familien stammend, waren beide Schülerinnen der Jüdischen Haushaltungsschule. Der Vater von Resi (Rosa) Jelen (geb. 1916 in Frankfurt a.M. – [1943]) war Mitglied der bereits erwähnten neo-orthodoxen Israelitischen Religionsgesellschaft, Resi Jelen selbst im Jugendbund „Esra“ aktiv. Nach der Jüdischen Volksschule besuchte sie von 1931 bis 1933 die Jüdische Haushaltungsschule und arbeitete fortan als Kinderpflegerin bei einem Kinderarzt. Laut Angaben des Shoah Memorial Frankfurt wurde Resi Jelen „vermutlich 1943 zusammen mit ihrer Mutter in ein Konzentrations- oder Vernichtungslager verschleppt. Datum und Umstände ihres Todes sind nicht bekannt“ (JM Ffm Shoah Memorial). Nelly (Nechama, Nechuma, Nelli) Ginsberg (1903 geb. in Wischnitz, Polen) war polnische Staatsangehörige und kam vermutlich 1908 als Kind nach Frankfurt am Main. Nach dem Besuch der Jüdischen Volksschule und seit etwa 1917 der Jüdischen Haushaltungsschule arbeitete sie als Kinderpflegerin und Haushälterin. Am 28. Oktober 1938 war sie sehr wahrscheinlich von den NS-Massenabschiebungen nach Polen (euphemistisch: „Polen-Aktion“) betroffen, konnte aber nach Frankfurt zurückkehren. „Von dort wurde Nelly Ginsberg am 11. November 1941 bei der zweiten großen Deportation aus Frankfurt in das Getto Minsk verschleppt, wo sie wahrscheinlich ermordet wurde“ (JM Ffm Shoah Memorial).
Zahlreiche Biografien aus der Kinder- und Säuglingspflege bleiben noch zu erforschen.

Nelly Ginsberg, ohne Jahr – Nachweis: © Credit of Yad Vashem, Jerusalem
Nelly Ginsberg, ohne Jahr – Nachweis: © Credit of Yad Vashem, Jerusalem

Wichtige Anregungen für diesen Beitrag verdankt die Verfasserin insbesondere den Forschungen der Historikerin Martina Hartmann-Menz und dem verdienstvollen Internetportal Shoah Memorial Frankfurt des Jüdischen Museums Frankfurt.

Birgit Seemann, März 2024

Quellen- und Literaturverzeichnis

Ungedruckte und digitalisierte Quellen

HHStAW: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden
• Bestand 474/3 Nr. 936: Beschlagnahmung einer Sammlung für das Raphael und Jeanette Ettlinger-Heim, Verein für erholungsbedürftige jüdische Kinder E.V., in Hofheim am Taunus im Jahre 1936, Laufzeit: (1934–1937) 1938
• Bestand 518 Nr. 1274: Jüdische Gemeinde Hofheim: Raphael und Jeanette Ettlinger’sches Kinderheim
• Bestand 519/3 Nr. 16340: Stiftung zur Erziehung körperlich oder geistig gefährdeter israelitischer Kinder, Sitz: Frankfurt a.M. (Devisenakte, Laufzeit: 1939)

ISG FFM: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main
• Bestand A.02.01 Nr. 9574: Mathilde von Rothschild’sches Kinderhospital (Sachakte, 1938–1940, 1951)
• Bestand A.12.03 Nr. 686: Gagernstraße, Nr. 36: Israelisches [sic!] Krankenhaus: Erfassung der Hausbewohner, erstellt im 5. Polizeirevier (S. 477-480 fehlen) sowie Bestand A.12.03 Nr. 687 (eingeschränkte Nutzung beider Akten bis 2045)
• Bestand A.30.02 Nr. 223: Verein für gebrechliche oder verwahrloste bedürftige israelitische Kinder e. V. von 1916 bzw. Israelitischer Kinderhort (Laufzeit: 1916, 1934–1954)
• Bestand A.30.02 Nr. 244: Dr.-Karl-und-Mathilde-Kaufmann-Stiftung von 1916, Laufzeit 1916, 1934–1940 [„Für die Erholung sowie Behandlung kranker bedürftiger Kinder. 1939 eingegliedert in die Jugendfürsorgestiftung“, vgl. Arcinsys Hessen]
• Bestand A.30.02 Nr. 400: Mathilde von Rothschild’sches Kinderhospital: Zur unentgeltlichen Versorgung von israelitischen Mädchen. 1940 eingegliedert in die Reichsvereinigung der Juden (1903–1967) (enthält u.a. Satzungen von 1903 und 1927, als Ms. gedr.)
• Bestand A.62.02 Nr. 2141: Erwerb von 15 Grundstücken der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland durch die Stadt Frankfurt: Röderbergweg 77 (ehem. israelitische Versorgungsanstalt), Röderbergweg 87 (ehem. israelitisches Waisenhaus), Röderbergweg 93 (ehem. Ärztehaus des Rothschild‘schen Krankenhauses), Röderbergweg 97 (ehem. von Rothschild’sche Georgine Sara Stiftung für erkrankte fremde Israeliten), Röderbergweg 109 (ehem. Rothschild’sches Kinderhospital), Grundstück an der Habsburger Allee (Garten zum Kinderhospital Röderbergweg 109) (…). – (Sachakte, 1942–1943)

UB JCS Ffm: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt a.M.
• Frankfurter Adressbücher online: https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/periodika/nav/classification/8688176
• Judaica Ffm: Judaica Frankfurt, Digitale Sammlung: https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaica/nav/index/all

Literatur und Internetquellen [zuletzt aufgerufen am 23.03.2024]

Andernacht, Dietrich/ Sterling, Eleonore (Bearb.) 1963: Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden 1933–1945. Hg.: Kommission zur Erforschung der Geschichte der Frankfurter Juden. Frankfurt a.M.

Arnsberg, Paul 1983: Die Geschichte der Frankfurter Juden seit der Französischen Revolution. Darmstadt. – Bd. 1: Der Gang der Ereignisse – Bd. 2: Struktur und Aktivitäten der Frankfurter Juden von 1789 bis zu deren Vernichtung in der nationalsozialistischen Ära. Handbuch – Bd. 3: Biographisches Lexikon der Juden in den Bereichen: Wissenschaft, Kultur, Bildung, Öffentlichkeitsarbeit in Frankfurt am Main. Darmstadt

Beddies, Thomas (Hg.) 2012: Im Gedenken der Kinder. Die Kinderärzte und die Verbrechen an Kindern in der NS-Zeit / In memory of the children. Hg. im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DGKJ). Berlin

Dieckmann, Rebekka 2023: Psychiatrische Zwischenanstalten: Wartestationen auf den Tod. Forschungsprojekt zu NS-Euthanasie. [Mit Abb.]. Stand: 19.09.2023, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/forschungsprojekt-zu-ns-euthanasie-psychiatrische-zwischenanstalten—wartestationen-auf-den-tod-v1,zwischenanstalten-104.html

Drexler-Gormann, Birgit 2009: Jüdische Ärzte in Frankfurt am Main 1933–1945. Isolation, Vertreibung, Ermordung. Frankfurt a.M.

Festschrift Krankenhaus Gagernstraße 1914: Festschrift zur Einweihung des Neuen Krankenhauses der Israelitischen Gemeinde zu Frankfurt am Main. Historischer Teil von Dr. med. W. Hanauer, Baubeschreibung von den Architekten und Ärzten des Krankenhauses. Frankfurt a.M., Online-Ausgabe 2011: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaicaffm/urn/urn:nbn:de:hebis:30:1-300863

Flick, Klaus 2023: Albert Wolf. In: ders.: Die „Judenhäuser“ in Wiesbaden. Ghettoisierung und Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung 1939 bis 1942. Stand der Bearbeitung: 15.09.2023, https://moebus-flick.de/die-judenhaeuser-wiesbadens/hermannstr-26/albert-wolf

Hanauer, Wilhelm 1914: Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Frankfurt a.M. In: Festschrift Krankenhaus Gagernstraße 1914: 7-54

Hartmann-Menz, Martina o.J. [2023]: Semi Rothschild ein jüdischer Bewohner der Heilerziehungs-anstalt Kalmenhof. In: Gedenkort Kalmenhof: https://www.gedenkort-kalmenhof.de/biografien-1

Hebauf, Renate 2022: „Du wirst nach Amerika gehen“. Flucht und Rettung unbegleiteter jüdischer Kinder aus Frankfurt am Main in die USA zwischen 1934 und 1945. Frankfurt a.M.

Hinz-Wessels, Annette 2013: Antisemitismus und Krankenmord. Zum Umgang mit jüdischen Anstaltspatienten im Nationalsozialismus. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 61 (2013) 1: 65-92, online bei DNB Ffm OPAC: https://d-nb.info/1285199529/34

Höxter, Marie 1925: Neue Frauenberufe. In: Orden BB (1925) Nr. 6/7, S. 126-127, online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/6074653

Hoppe, Dorothee 2023: Driesen, Otto. Stand: 28.6.2023. In: Frankfurter Personenlexikon: https://frankfurter-personenlexikon.de/node/8375

Jüdische Kinderheilstätten 1937: Unsere Kinderlandverschickung. [Bericht o.Verf.]. In: HIG 13 (1937) 4, S. 4-5, online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/5445093 [u.a. Israelitische Kinderheilstätte in Bad Nauheim; Ettlinger-Heim in Hofheim am Taunus mit Abb.]

Kalmenhof 1925: Frankfurter Berichte: Heilerziehungsanstalt Calmenhof in Idstein. [Aus dem Jahresbericht des Calmenhofs]. In: It 66 (1925) 19, S. 13, online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/2450355

Kalmenhof 1930: Jüdische Pfleglinge in der Heilerziehungsanstalt Calmenhof in Idstein. In: JWS Bd. 1 (1930) 12, S. 482-483, online über DNB Ffm: https://portal.dnb.de/bookviewer/view/1026606187#page/482/mode/1up

Karpf, Ernst 2003: Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde an der Gagernstraße. Stand: 01.01.2003. In: ISG FFM: Frankfurt 1933–1945: https://www.frankfurt1933-1945.de/beitraege/institutionen-juedischen-lebens/beitrag/krankenhaus-der-israelitischen-gemeinde-an-der-gagernstrasse

Kingreen, Monica 1999: Israelitische Kinderheilstätte und Jüdische Bezirksschule. In: Garmeister, Veronika u.a. (Hg., Bearb.): 100 Jahre Frankfurter Straße 103. 1899–1999. Festschrift aus Anlass der 100jährigen Nutzung des Gebäudes Frankfurter Straße 103. Bad Nauheim: 7-33

Kingreen, Monica/Eichler, Volker 2023: Die Deportation der Juden aus Hessen 1940 bis 1945. Selbstzeugnisse, Fotos, Dokumente. Aus dem Nachlass hg. u. bearb. v. Volker Eichler. Wiesbaden: Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen

Laquer, Lucie 1931: Jüdische Haushaltungsschule e.V. Frankfurt a.M. In: Orden BB Logenschwester 4 (1931) 3, S. 10-11, online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/9579867

Lilienthal, Georg 2009: Jüdische Patienten als Opfer der NS-„Euthanasie“-Verbrechen. In: Medaon 3 (2009) 5: https://www.medaon.de/de/artikel/juedische-patienten-als-opfer-der-ns-euthanasie-verbrechen

Lilienthal, Saul 1936: Von Frankfurt zur Lahn. (Fortsetzung und Schluss). Von Lehrer S. Lilienthal – Wiesbaden. In: FIG 14 (1936) 10, S. 395-397: 396, online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/3094436

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Online-Datenbanken und Internetquellen [zuletzt aufgerufen am 23.03.2024]

Alemannia Judaica: Alemannia Judaica – Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum: https://www.alemannia-judaica.de

Arcinsys Hessen: Archivinformationssystem Hessen: https://arcinsys.hessen.de

BArch Gedenkbuch: Bundesarchiv Koblenz: Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945, https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/

DGKJ Datenbank: DGKJ – Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin: Jüdische Kinderärztinnen und -ärzte 1933–1945: https://www.dgkj.de/die-gesellschaft/geschichte/juedische-kinderaerztinnen-und-aerzte-1933-1945. Red.: Vera Seehausen (s. auch Seidler 2000 u. 2007)

DGSPJ: Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e.V. (DGSPJ), https://www.dgspj.de

Frankfurter Personenlexikon: Frankfurter Personenlexikon. Ein Projekt der Frankfurter Bürgerstiftung. Hg.: Clemens Greve, Sabine Hock (Chefred.), Online-Ausgabe: https://frankfurter-personenlexikon.de

Gedenkbuch JB Neu-Isenburg: Gedenkbuch für das Heim des Jüdischen Frauenbundes in Neu-Isenburg (1907–1942). Hg.: Stadt Neu-Isenburg. Red.: Heidi Fogel u. Esther Erfert-Piel, Website: http://gedenkbuch.neu-isenburg.de

Gedenkort Kalmenhof : Gedenkort Kalmenhof e.V. : https://www.gedenkort-kalmenhof.de

Gedenkbuch Thüringen: Friedrich-Schiller-Universität Jena, Förderverein für jüdisch-israelische Kultur in Thüringen e.V., Erfurt: Thüringer Gedenkbuch für die ermordeten Jüdinnen und Juden, https://menora.uni-jena.de/gedenkbuch

ISG FFM: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main: https://www.stadtgeschichte-ffm.de
– Archivbestand online: Arcinsys Hessen: https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/start
– Frankfurt 1933–1945: https://www.frankfurt1933-1945.de

JM Ffm Shoah Memorial: Jüdisches Museum Frankfurt am Main: Shoah Memorial Frankfurt: https://www.shoah-memorial-frankfurt.de

Jüdisches Leben Ffm: Projekt Jüdisches Leben in Frankfurt am Main [Red.: Angelika Rieber [u.a.], https://www.juedisches-leben-frankfurt.de

Lagis Hessen: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS): https://www.lagis-hessen.de

Stolpersteine Ffm: Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main: https://www.stolpersteine-frankfurt.de sowie https://frankfurt.de/frankfurt-entdecken-und-erleben/stadtportrait/stadtgeschichte/stolpersteine (Stadt Frankfurt am Main, Online-Datenbank)

Terezin Opferdatenbank: Terezin Initiative Institute, Opferdatenbank: https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank

Yad Vashem Datenbank: Zentrale Datenbank der Namen der Holoaustopfer der Internationalen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem, https://yvng.yadvashem.org/index.html?language=de

Periodika

AZJ: Allgemeine Zeitung des Judentums

CVZ: Central-Verein-Zeitung. Blätter für Deutschtum und Judentum / C-V-Zeitung. Organ des Central-Vereins Deutscher Staatsbürger Jüdischen Glaubens

FIG: Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt / Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main / Jüdisches Gemeindeblatt für Frankfurt

HIG: Gemeindeblatt der Deutsch-Israelitischen Gemeinde zu Hamburg

IF: Israelitisches Familienblatt

It: Der Israelit. Ein Centralorgan für das orthodoxe Judentum

JR: Jüdische Rundschau. Organ der Zionistischen Vereinigung für Deutschland

JWS: Jüdische Wohlfahrtspflege und Sozialpolitik – Zeitschrift der Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden (…)

Medaon – Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung: https://www.medaon.de

NJP/FIF: Neue Jüdische Presse / Frankfurter Israelitisches Familienblatt

Orden BB: Der Orden Bne Briss. Mitteilungen der Großloge für Deutschland VIII U.O.B.B.

Orden BB Logenschwester: Die Logenschwester. Mitteilungsblatt des Schwesternverbandes der U.O.B.B. Logen/ Die Zeitschrift des Schwesternverbandes der Bnei Brith/ Bnë Briss

Erste Seite (oberer Abschnitt) des 3. Jahresberichts des Frankfurter Verbandes für Säuglingsfürsorge, 1913 (Künstler: Heinz Wetzel, 1858-1913, Margueritentag Frankfurt a.M., 11. Oktober 1910) – Foto nach Kopievorlage: Dr. Birgit Seemann, 11.08.2023

Der Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge (1910–1925) und seine jüdische Geschichte

Für Rina

Einführung

Foto eines schlafenden Neugeborenen – © 2009 Catalin Bogdan, Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bebelus-nou-nascut1.JPG?uselang=de [04.03.2024]
Foto eines schlafenden Neugeborenen – © 2009 Catalin Bogdan, Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bebelus-nou-nascut1.JPG?uselang=de [04.03.2024]

Der Begriff der „Säuglingspflege“ umfasst auch in diesem Beitrag zugleich die „Säuglingskrankenpflege“ mit ihren vielfältigen Querverbindungen zur Säuglingsfürsorge. Bei der Differenzierung nach Altersklassen bewährt sich die Definition der heutigen Kassenärztlichen Bundesvereinigung, hier angewandt auf kassenärztliche Leistungen. Danach betrifft die „Verwendung der Begriffe Neugeborenes, Säugling, Kleinkind, Kind, Jugendlicher und Erwachsener“ folgende Zeiträume (KBV: https://www.kbv.de/tools/ebm/html/4.3.5_162395004446927562274884.html [04.03.2024]):
– Neugeborenes bis zum vollendeten 28. Lebenstag;
– Säugling ab Beginn des 29. Lebenstages bis zum vollendeten 12. Lebensmonat;
– Kleinkind ab Beginn des 2. bis zum vollendeten 3. Lebensjahr;
– Kind ab Beginn des 4. bis zum vollendeten 12. Lebensjahr;
– Jugendlicher ab Beginn des 13. bis zum vollendeten 18. Lebensjahr;
– Erwachsener ab Beginn des 19. Lebensjahres.

Von Beginn an widmete sich der damalige überkonfessionelle Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge der koordinierten Rettung und Versorgung benachteiligter und gefährdeter Neugeborener und Säuglinge – die Kleinsten und Schutzbedürftigsten eines Gemeinwesens und zugleich die Zukunft der Menschheit.

Erste Seite (oberer Abschnitt) des 3. Jahresberichts des Frankfurter Verbandes für Säuglingsfürsorge, 1913 (Künstler: Heinz Wetzel, 1858-1913, Margueritentag Frankfurt a.M., 11. Oktober 1910) – Foto nach Kopievorlage: Dr. Birgit Seemann, 11.08.2023
Erste Seite (oberer Abschnitt) des 3. Jahresberichts des Frankfurter Verbandes für Säuglingsfürsorge, 1913 (Künstler: Heinz Wetzel, 1858-1913, Margueritentag Frankfurt a.M., 11. Oktober 1910) – Foto nach Kopievorlage: Dr. Birgit Seemann, 11.08.2023

Aus eigenen Ressourcen und auf der Basis von Spendenaktionen eröffnete der Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge (im Folgenden: FVfS) im gesamten Frankfurter Stadtgebiet bis zu fünfzehn Beratungsstellen mit engagierten Ärzten und Ärztinnen, Pflegenden und ehrenamtlichen Helferinnen. 1910 dank einer Initiative im Frankfurter Ärztlichen Verein entstanden, gestaltete der FVfS als Netzwerk und eingetragener Verein eineinhalb Jahrzehnte lang die Sozial- und Pflegegeschichte seiner Stadt mit, bis das Frankfurter Stadtgesundheitsamt dessen segensreiche Arbeit in seine Struktur übernahm. Den FVfS trugen über alle religiösen Unterschiede hinweg namhafte Persönlichkeiten des Frankfurter Bürgertums, doch mangelt es bislang (Stand: März 2024) an eigenständigen Untersuchungen. Bemerkenswert war der hohe jüdische Anteil, welcher nach der Shoah ebenfalls in Vergessenheit „geriet“.

„Margueritentag“ in Frankfurt

Das Projekt startete mit einem „Margueritentag“ in Frankfurt am Main – diesen kündigte für den 11. Oktober 1910 neben anderen Frankfurter Medien auch das Frankfurter Israelitische Familienblatt vom 23. September 1910 an:

„Am 11. Oktober [1910] findet im Gebiet von Groß-Frankfurt eine neue und eigenartige Wohltätigkeitsveranstaltung statt. Frauen und Mädchen werden allenthalben Margaretenblüten, die Blumen der Barmherzigkeit, feilbieten zu niedrigem Preis, so daß jedermann sich mit ihnen schmücken kann und so sein Scherflein beitragen zum so bedeutungsvollen Werk der Säuglingsfürsorge, denn ihr soll der Ertrag zufließen. Gilt es doch, in Frankfurt – auf die Anregung des Ärztlichen Vereins hin – eine große Organisation der Säuglingsfürsorge zu schaffen, aufbauend auf dem schon Vorhandenen. Es gilt, die Krippen auszubauen, Mütterberatungsstellen zu schaffen und vor allen Dingen eine großzügige Propaganda für die natürliche Ernährung der Säuglinge einzuleiten. Das Ziel ist eine Verminderung der Säuglingssterblichkeit und ein Vorbeugen der Säuglingserkrankungen.“

(Margueritentag und Säuglingsfürsorge 1910)

Der „Margueritentag“ (auch: Margaretentag, Margeritentag, Blumentag) – u.a. benannt nach der als Schutzpatronin und Nothelferin verehrten Heiligen Margareta von Antiochien (3. Jahrhundert) – bezeichnet eine ganz besondere Spendenkampagne aus dem Bürgertum und seinen sozialen Vereinigungen zur Behebung drängender Missstände und zur Förderung der Wohlfahrt, insbesondere bei der Kinderversorgung. Hierbei galten Margeriten als die „Blumen der Barmherzigkeit“. Im Deutschen Reich fand der „Margueritentag“ unter der Schirmherrschaft von Kaiserin Auguste Viktoria und weiteren Mitgliedern des Kaiserhauses in der Hauptstadt Berlin und zahlreichen weiteren Städten statt.

Blumen-„Verkäuferinnen“ am „Margueritentag“ in Friedenau bei Berlin, hier veranstaltet durch den Vaterländischen Frauenverein, 06.05.1911 – Nachweis: Bundesarchiv, Bild 183-T0706-514 / CC-BY-SA 3.0, Wikimedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Bundesarchiv_Bild_183-T0706-514,_Berlin-Friedenau,_Sammlung_am_Margueritentag.jpg
Blumen-„Verkäuferinnen“ am „Margueritentag“ in Friedenau bei Berlin, hier veranstaltet durch den Vaterländischen Frauenverein, 06.05.1911 – Nachweis: Bundesarchiv, Bild 183-T0706-514 / CC-BY-SA 3.0, Wikimedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Bundesarchiv_Bild_183-T0706-514,_Berlin-Friedenau,_Sammlung_am_Margueritentag.jpg

Auf ihrem Online-Portal Garten-Literatur informiert Maria Mail-Brandt:

„Junge Mädchen aus dem Bürgertum putzten sich mit weißen Margeriten (oder den jeweils anderen Blumen) geschmückten Kleidern heraus und verteilten Kunstblumen gegen eine Spende. Erhaltene Postkarten und Plakate zeugen von aufwändig gestalteten Blumentagen in verschiedenen Städten wie Hannover, Bayreuth, Chemnitz, Berchtesgaden, Leipzig, Marburg und Trier, die zwischen 1910 bis zum Beginn des 1. Weltkrieges stattfanden.“

(Zitiert nach: Garten-Literatur: https://www.garten-literatur.de/Kalender/margaretentag.html)
Aufruf „Frankfurter Margueritentag“ in: Neue Jüdische Presse (Frankfurter Israelitisches Familienblatt) 8 (1910) 39, S. 15, online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/2692704
Aufruf „Frankfurter Margueritentag“ in: Neue Jüdische Presse (Frankfurter Israelitisches Familienblatt) 8 (1910) 39, S. 15, online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/2692704

In Frankfurt am Main stand der Margueritentag ganz im Zeichen der Säuglingsrettung – hier unter der Schirmherrschaft der mit dem Landgrafen von Hessen verheirateten Prinzessin Friedrich Karl von Hessen (Prinzessin Margarethe von Preußen, die jüngste Schwester des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II.). Angesichts hoher Mortalität wurde Säuglingspflege zur patriotischen Pflicht erklärt: „400.000 Säuglinge sterben in unserem Vaterlande im 1. Lebensjahr[,] und unberechenbar viele verfallen späterem Siechtum durch die mangelhafte Fürsorge in ihrer ersten Lebenszeit“, vermeldet der obige Aufruf zum „Frankfurter Margueritentag“ im Frankfurter Israelitischen Familienblatt vom 7. Oktober 1910 das erschreckende Ausmaß der Säuglingssterblichkeit im Deutschen Reich. Es galt die Allgemeinheit „ohne Unterschied des Standes, der Konfession und der Partei“ aufzurütteln und die gesellschaftliche Notwendigkeit einer kompetenten Säuglingsfürsorge in das öffentliche Bewusstsein zu heben. Federführend für den Frankfurter Margueritentag des 11. Oktober 1910 war gemeinsam mit dem Krippenverein ein vom Frankfurter Ärztlichen Verein eigens für die „einheitliche Organisation der Säuglingsfürsorge“ gebildeter Ausschuss. Die Spendenaktion, ein überwältigender Erfolg, „brachte einen Reinerlös von mehr als 112.000 Mark“ (Thomann-Honscha 1988a: 120). Die Hälfte des Betrags als erste finanzielle Basis nutzend, gründete sich der Frankfurter Verein für Säuglingsfürsorge am 8. Dezember 1910. Zunächst vermutlich in Räumlichkeiten des Frankfurter Vereins für Hygiene untergebracht, befand sich seine Geschäftsstelle spätestens nach dem Ersten Weltkrieg in der Neuen Kräme 9 (UB JCS Ffm: Frankfurter Adressbücher: https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/periodika/nav/classification/8688176).

Exkurs: Säuglingssterblichkeit und Säuglingspflege im Deutschen Reich

„[Im] Anfang des 20. Jahrhunderts hatte Deutschland eine der höchsten Säuglingssterblichkeitsraten in ganz Europa aufzuweisen. (…) Die Säuglingssterblichkeit hatte in Deutschland im Durchschnitt der Jahre 1892–1895 gravierende 22,2 Prozent, 1901 dann 20,7 Prozent, 1902 immer noch 18,3 Prozent und 1903 wieder 20,4 Prozent betragen. Deutschland stand damit bezüglich der Höhe der Säuglingssterblichkeit mit Russland an letzter Stelle im europäischen Vergleich. In allen anderen Ländern blieb die Säuglingssterblichkeit unter 20 Prozent. (…) Als Ursachen gerieten vor allem die Mängel in der Ernährung und Pflege des Säuglings in den Fokus. So war zu dieser Zeit die Verabreichung von Mehlbrei und Zuckerwasser, die in der Regel am Morgen zubereitet und dann mehrmals täglich aufgewärmt wurden, sowie oft auch Branntwein oder Bier zur Ernährung des Säuglings durchaus üblich.“

(Gellrich 2012a: 127, 129)

Die Gründe für die hohe Säuglingssterblichkeit im Deutschen Kaiserreich bis in das 20. Jahrhundert können hier nur kurz angesprochen werden (in Auswahl Thomann-Honscha 1988; Dahlmann 2001; Fehlemann 2007; Vögele 2009; Gellrich 2012 u. 2012a; Blessing 2013; s. auch Bönisch 2022 u. 2023). In Deutschland war die Gesundheits- und Infektionsgefahr mit der „nachholenden“ dynamischen Industrialisierung im 19. Jahrhundert, Massenzuwanderung in die Städte, riskanter Lohnarbeit (u.a. mangelnder Arbeitsschutz, Unfälle, Erwerbsminderung ohne sozialversicherungsrechtliche Absicherung) und miserablen Wohnverhältnissen dramatisch gestiegen – was zugleich den Anstoß zum Auf- und Ausbau eines modernen Gesundheitswesens gab: „Traditionelle Formen der Lebensweise, Gesundheitspflege und Krankenfürsorge durch Familie und Dorfgemeinschaft lösten sich auf, Alternativen wurden notwendig“ (Dahlmann 2001: 5). Zuvor galt Säuglingssterblichkeit vielerorts als unvermeidliches Schicksal – wenn nicht gar „als Regulativ gegen Überbevölkerung im Rahmen einer natürlichen Selektion“ (ebd.: 8), das vermeintlich Schwächere und weniger Lebensfähige betraf. Als sich um die Jahrhundertwende ein Geburtenrückgang ankündigte, wuchs in den Eliten und dem Bürgertum allerdings die Befürchtung, dass drohender Arbeitskräfte- und Soldatenmangel womöglich die Zukunft der deutschen Nation gefährde. Vor diesem Szenario konnten Kinderärzte Überzeugungsarbeit leisten, dass sich Investitionen in das Überleben des einzelnen Säuglings wie Kosten für Arzt, Hebamme und die Ernährung des Säuglings sich gesellschaftlich „lohnten“. Eine Säuglingsfürsorgebewegung entstand, in der „neben der Kaiserin und hohen Staatsbeamten auch Teile der Ärzteschaft, führende Kommunalbeamte, lokale Honoratioren, konservative Frauenvereine sowie Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung“ zusammenwirkten (Fehlemann 2007: 13). Zugleich war hier, wie der Medizinhistoriker Paul Weindling kritisch anmerkt, „eine breite Unterstützungsbasis vorhanden, die dem Ziel der herrschenden Eliten dienen sollte, tiefe gesellschaftliche Widersprüche des Kaiserreichs zu neutralisieren“ (zit. n. ebd.). Die Modernisierung der Kinderheilkunde und Säuglingsfürsorge und -pflege mit neuen Berufsfeldern drängte die „traditionelle“ Hebamme zunehmend in den Hintergrund (ebd.: 260-279). Im Wissenschafts- und Universitätsbereich differenzierte sich das Fachgebiet der Kinder- und Sozialmedizin aus; Lehrstühle wurden geschaffen und gemäß der damaligen Geschlechterhierarchie männlich besetzt, während die Pflege „weiblich“ konnotiert blieb:

„Zunächst ist der Beruf der Säuglingspflegerin beziehungsweise der Säuglingskrankenpflegerin zu nennen. Hier kam es früh (…) zu einer Zweiteilung. Danach war die Säuglingspflegerin für die Pflege des gesunden Säuglings in der Familie zuständig, die Säuglingskrankenpflegerin für die Pflege des kranken Säuglings in der Anstalt. Daneben entstand der Beruf der Säuglingsfürsorgerin. Diese arbeitete mit dem Arzt in den neu entstandenen Mütter- und Säuglingsfürsorgestellen, machte Hausbesuche, kontrollierte die Befolgung ärztlicher Anweisungen und war für eine Reihe organisatorischer Aufgaben zuständig. (…) Vom Ende der 1890er Jahre, als erstmals in Deutschland Säuglingspflegerinnen ausgebildet wurden, bis 1930, als im Bereich der Pflegeberufe die Ausbildung zur Säuglings- und Kinderpflegerin bzw. Säuglings- und Kinderkrankenschwester als erste reichseinheitlich geregelt worden war, begann sich auch die Säuglingsfürsorge in Deutschland zu entwickeln und sich schließlich in der Weimarer Republik als Teil der öffentlichen Gesundheitsfürsorge fest zu etablieren. Es waren die nationale Relevanz und die große öffentliche Präsenz der Säuglingsfürsorge, die die Professionalisierung der Pflegeberufe auf diesem Gebiet entscheidend beförderten.“

(Gellrich 2012a: 127f.)

Aus der Säuglingsfürsorgebewegung hervorgegangene Vereinigungen wie der Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge widmeten sich primär der „offenen Fürsorge“, wozu vor allem die Schaffung von Standorten zur Mütterberatung und zur Verteilung von Säuglingsmilch zählten: „Die Fürsorgestellen waren das wichtigste Instrument der Säuglingsfürsorgebewegung. (…) Insbesondere seit 1904/5, als die Senkung der Säuglingssterblichkeit als nationale Aufgabe etabliert wurde, ist der Ausbau dieser Institutionen vorangetrieben worden“ (Fehlemann 2007: 298). Die Angebote richteten sich vor allem an Bedürftige und Industriearbeiter/innen. Eine weitere „besondere Zielgruppe innerhalb der Mütter- und Säuglingsfürsorge waren die unverheirateten Mütter. Ihre spezielle Rolle wurde damit begründet, dass bei den unehelich geborenen Kindern die Säuglingssterblichkeit besonders hoch war“ (ebd.: 309). Hier fand die Frauenrechtlerin Anna Pappritz (Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Anna_Pappritz) deutliche Worte und

„berichtete von den zahlreichen Vergewaltigungsopfern, die in den Anstalten Aufnahme fanden, von den noch unkonfirmierten, also unter 14-jährigen schwangeren Mädchen. ,Andere wieder kommen durch die schrecklichen Wohnungsverhältnisse in ihre traurige Lage. Man findet in fast jedem Wöchnerinnenheim halbe Kinder von 14-16 Jahren, die von Verwandten oder Schlafburschen missbraucht wurden’. (…) Obwohl unter den unehelichen Müttern in Dresden die Fabrikarbeiterinnen die weitaus größte Gruppe bildeten, stellten vor allem Dienstmädchen die Klientel der Versorgungshäuser. Dies lag nicht zuletzt an den besonderen Lebensumständen dieses Berufes. Anders als die Fabrikarbeiterinnen verloren sie bei einer Schwangerschaft nicht nur die Arbeit, sondern auch die Wohnstätte.“

(Ebd.: 328)

Große Sorge bereitete darüber hinaus der enorme Anstieg der Säuglingssterblichkeit bis zu 40 Prozent während sommerlicher Hitzewellen in den Städten, vor allem hervorgerufen durch Magen-Darm-Störungen wie Erbrechen. Zum tragischen Höhepunkt wurde in Deutschland und Europa das Hitzejahr 1911 mit Wasserknappheit, Ernteverlusten und erhöhten Lebensmittelpreisen für Grundnahrungsmittel.

Gemäß der statistisch fundierten Überzeugung, dass eine durch wissenschaftliche Erkenntnisse fundierte Ernährung des Säuglings mit Muttermilch (anstelle der von Unternehmen wie etwa Nestlé angepriesenen künstlich erzeugten Ersatzmilch) die Konstitution des Säuglings stärke und die Sterblichkeit senke, propagierte die Säuglingsfürsorgebewegung eine Rückkehr zum Stillen (zur Kulturgeschichte des Stillens etwa Seichter 2020). Hier verwiesen sozial engagierte Mediziner/innen auf häufige Ursachen von Stillverweigerung bis hin zur Stillunfähigkeit: Armut, Unterernährung, mangelnde Hygiene, außerhäusliche Frauenlohnarbeit ohne Still-Räume. Dringend empfahlen sie eine Verbesserung der Lebensbedingungen hinsichtlich „Wohnungshygiene, Wasserversorgung, Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, gesetzliche[] Regelungen zum Arbeiterinnen- und Mutterschutz“ (Fehlemann 2007: 281). Auch wenn etwa der Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge seine Zielgruppen ungeachtet ihrer Herkunft und Schichtzugehörigkeit ansprach, lag der Fokus der Beratungsstellen auf den unterprivilegierten Müttern; nebenamtlich tätige Ärzte und Ärztinnen arbeiteten mit ausgebildeten Krankenschwestern und Fürsorgerinnen Hand in Hand. Neben der Gesundheitsberatung der Mütter wurden die Säuglinge medizinisch untersucht, Stillgelder und saubere Milch verteilt, Säuglingskurse sowie gegebenenfalls Hausbesuche von Fürsorgerinnen organisiert. Vermittelt wurden Kenntnisse wie das richtige Anlegen des Säuglings, Brustwarzenpflege und Stundenpläne für geregelte Mahlzeiten. Aus „Anlage oder Milieu“, wie 1923 die Sozialwissenschaftlerin und Reformerin der Säuglingsfürsorge Dr. Marie Baum (eine Nachfahrin des jüdischen Aufklärers Moses Mendelssohn, Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Marie_Baum) formulierte, ergaben sich allzu häufig

„Überfütterung (…), falsche Zusammensetzung der künstlichen Nahrung oder Beikost, mangelhafter Stillwille, der berüchtigte Schnuller, der ‚lange Sauger’, das schwere Federbett, das Wickelband, der Mangel eines eigenen Bettchens, Standort des Bettchens am Herd oder Ofen, mangelhafte Lüftung – wer vermag alle die Quälereien aufzuzählen, die meist in guter Absicht das arme Opfer treffen!“

(Zitiert nach: Fehlemann 2007: 286)

Während des Ersten Weltkrieges wurde die Säuglingsfürsorge im Kaiserreich, wie der Medizinhistoriker Jörg Vögele ausführt, keineswegs eingeschränkt, sondern im Gegenteil weiter ausgebaut:

„Wenn schon die Hitzewelle 1911 als Argument genutzt wurde, sich stärker um das Wohl der Säuglinge zu kümmern, so verstärkte sich dies durch erneut steigende Säuglingssterberaten unmittelbar nach Ausbruch des Krieges. Zahlreiche fürsorgerische Maßnahmen wurden in die Wege geleitet, und tatsächlich ging die Säuglingssterblichkeit insbesondere in den Städten in den folgenden Jahren 1915 und 1916 signifikant zurück, was im Wesentlichen auf ein verändertes Stillverhalten zurück zu führen ist. (…) Die Arbeit der Beratungsstellen wurde so in das öffentliche Leistungsangebot integriert. Daraus erwuchs ein enormer Ausbau von Säuglingsfürsorgestellen während des Ersten Weltkrieges.“

(Vögele 2009: 75f.)

Die Säuglingspflege galt jetzt vermehrt als „nationale und patriotische Pflicht (…). Noch während des Krieges kam es schließlich zur ersten reichseinheitlichen Regelung bezüglich der Ausbildung in der Säuglingspflege“ (Gellrich 2012a: 143). Die Historikerin Silke Fehlemann beschreibt in ihrer Düsseldorfer Dissertation Armutsrisiko Mutterschaft. Mütter- und Säuglingsfürsorge im Deutschen Reich 1890–1924 den enormen Ausbau der Säuglings- und Kleinkinderversorgung:

„Insgesamt waren in den Kriegsjahren 1.274 neue Säuglingsfürsorgestellen eingerichtet worden, von denen allein 1.020 auf die Jahre 1917/18 fielen. Die Kriegsfolgen auf die Gesundheit der Säuglinge wurden kontrovers diskutiert. (…) Richtig deutlich zeigten sich die Kriegsfolgen jedoch bei den Kleinkindern anhand von Krankheiten wie Rachitis, Tuberkulose und anderer Infektionskrankheiten. Insofern wurde die Säuglingsfürsorge schon während des Ersten Weltkrieges auf vielen Ebenen durch die Kleinkinderfürsorge ergänzt.“

(Fehlemann 2007: 341)

Nach dem Ersten Weltkrieg mit seinen immensen Verlusten an Menschenleben wurde die Säuglingsfürsorge zunehmend unter dem Aspekt bevölkerungspolitischer und sozialhygienischer Maßnahmen betrachtet. In der Weimarer Republik fand angesichts des drohenden Bankrotts vieler Wohlfahrtsinstitutionen infolge Krieg und Hyperinflation eine Koordinierung und Zentralisierung des Gesundheits- und Wohlfahrtswesens statt. Die Mütter-, Säuglings-, Kinder- und Jugendfürsorge wurde weiter ausgebaut und in Städten wie Frankfurt am Main, die über ein eigenes Gesundheitsamt verfügten, dort angesiedelt. 1924 trat das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz in Kraft als ein „umfassendes Regelwerk, das von der Säuglingsfürsorge über die Fürsorgeerziehung und die Vormundschaft bis hin zur Jugendgesundheitsfürsorge zentrale Fragen der Jugendfürsorge erstmals gesetzlich organisierte“ (Fehlemann 2007: 348). Am 28. Juli 1925 wurde das Reichsgesetz über den Ausbau der Angestellten- und Invalidenversicherung und über Gesundheitsfürsorge in der Reichsversicherung wirksam. Die Reformen scheiterten letztlich an der Weltwirtschaftskrise; um sich greifende eugenische Vorstellungen öffneten die Falltore für die mörderische völkische Rassenhygiene des Nationalsozialismus.

Unter den Fittichen des auch als Stadtverordneter kommunalpolitisch aktiven Kinder- und Sozialmediziners Wilhelm Hanauer waren die zuletzt fünfzehn Beratungsstellen des 1925 aufgelösten Frankfurter Verbandes für Säuglingsfürsorge in die Struktur des Frankfurter Gesundheitsamtes integriert worden. Sein Kollege Heinrich Rosenhaupt, ebenfalls Mitbegründer des Verbands und 1921 Stadtarzt am Frankfurter Gesundheitsamt, war bereits 1922 an das neu gegründete Mainzer Gesundheitsamt gewechselt (Frost 1995).

Adolf Deutsch, Wilhelm Hanauer, Heinrich Rosenhaupt: zur jüdischen Geschichte des Frankfurter Verbands für Säuglingsfürsorge

Auch aus heutiger Sicht ist der hohe jüdische Anteil an der Säuglingsfürsorgebewegung in Deutschland signifikant. Dies schließt neben den Mediziner/-innen, Pflegenden, Fürsorgerinnen und Akteurinnen der Frauenbewegung (für Frankfurt a.M. Seemann 2023b) auch beteiligte Unternehmen ein. Großen Teilen des Bürgertums war selbst an der Gesundheit und Leistungskraft seiner Bediensteten und Arbeiter/innen und ihrer Familien gelegen; einige Firmen behandelten soziale Fragen als programmatische „Chefsache“ und widmeten sich etwa der betrieblichen Säuglingsfürsorge. Dies war finanzkräftigen Konzernen wie Henkel (Düsseldorf), Bayer (Leverkusen) oder BASF (Ludwigshafen) möglich. Als ein herausragendes Beispiel hebt Silke Fehlemann das Unternehmen Karl Bensinger (Rheinische Gummi- und Celluloid-Fabrik Mannheim-Neckerau) hervor:

„Bensinger verfügte über eine Entbindungsanstalt, eine Milchküche und ein Säuglingsheim. Um die Arbeiterinnen, wie es ein firmeninternes Merkblatt formulierte, zu ihrer heiligsten Pflicht, dem Stillen, zu animieren, wurden die Arbeitspausen verlängert, um der Arbeiterin die Möglichkeit zu geben, ihren Säugling in diesen Pausen selbst zu ernähren. Dieser umfassende Ansatz stellt eine absolute Ausnahme dar.“

(Fehlemann 2007: 294)

Hier handelte es sich interessanterweise um ein jüdisch gegründetes Unternehmen (Alemannia Judaica Mannheim: https://www.alemannia-judaica.de/mannheim_personen.htm; Geni: https://www.geni.com/people/Karl-Bensinger/6000000028161492637; s. auch Marchivum: https://scope.mannheim.de/detail.aspx?ID=751028 [letzte Aufrufe am 04.03.2024]). Richten wir den Blick wieder auf den Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge, finden wir in dessen Mitgliederverzeichnis die Namen der Gebrüder Albert und Fritz Sondheimer sowie von Louis Feist (UB JCS Ffm: Jahresberichte FVfS 1913) – die beiden Teilhaber und der Prokurist des orthodox-jüdisch geführten Metallkonzerns Beer, Sondheimer u. Co.. Hier lag die Motivation über praktische Erwägungen hinaus in der Erfüllung des jüdischen Gebots der Zedaka (soziale Gerechtigkeit durch Wohlfahrt und Ausgleich).

Ein hoher Anteil: Pionier/-innen der Säuglings- und Kinderheilkunde in Deutschland mit jüdischer Herkunft

Die ärztlichen Pioniere und Pionierinnen einer eigenständigen, modernen und lebenserhaltenden Säuglingskrankenpflege und -fürsorge in Deutschland stammten zu einem erheblichen Teil aus der jüdischen Minderheit. Dem hiesigen Nestor der Geschichte der Kinderheilkunde Eduard Seidler (1929–2020) zufolge waren im Deutschen Reich um 1933 insgesamt zwischen 15 und 16 Prozent der Ärztinnen und Ärzte jüdischer Herkunft – bei einem jüdischen Bevölkerungsanteil von lediglich 0,9 Prozent (Seidler 2000: 15). Bevorzugt engagierten sie sich im Fachgebiet Kindermedizin; 611 von 1.253 aus verschiedenen Quellen nachgewiesenen deutschen Pädiater/-innen fielen nach der NS-Machtübernahme unter die Nürnberger „Rassegesetze“: „Dies sind 48,8% – nahezu jeder zweite Kinderarzt in Deutschland war oder galt als Jude (…). Der jüdische Kinderarzt gehört vielfach noch zum Erinnerungsgut derjenigen, die zu dieser Zeit noch Kinder waren“ (ebd). Was den Frauenanteil betraf, waren 1930 45,7 Prozent aller Fachärztinnen Kinderärztinnen (bei einem Gesamtanteil an der damaligen Ärzteschaft von nur 6,3 Prozent im Jahr 1932). Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten betrug der Frauenanteil an den antisemitisch verfolgten Pädiater/-innen nahezu ein Drittel (32 Prozent). In Berlin praktizierten 1933 74 jüdische Kinderärztinnen, in Breslau elf, in Frankfurt a.M. dreizehn, in Hamburg acht (ebd.: 22). Der 1924 zur Behebung der Frauenbenachteiligung im Medizinberuf begründete Bund Deutscher Ärztinnen (heute Deutscher Ärztinnenbund e.V.: https://www.aerztinnenbund.de [04.03.2024]) bestand 1933 „zu fast zwei Dritteln aus ,nichtarischen’ Mitgliedern“ (ebd.). Zu den möglichen Gründen für diese hohe Repräsentanz zählt Andrea Autenrieth in ihrer Dissertationsstudie über NS-verfolgte Mediziner/innen am Dr. von Haunerschen Kinderspital (München) neben sozialen und humanitären Zielen auch die Möglichkeit, die neuen Fachgebiete und Berufsfelder der Säuglings-, Kinder- und Sozialmedizin außerhalb der bis zum Ersten Weltkrieg und darüber hinaus häufig antisemitisch agierenden Universitäten zu etablieren (Autenrieth 2012: 90ff.). Dies gelang so erfolgreich, dass sich nach dem Ersten Weltkrieg auch die Hochschulen öffneten und die ersten Lehrstühle für Kinder- und Sozialmedizin einrichteten. An die eindrucksvollen Projekte dieser Vorkämpfer/innen – nicht wenige befanden sich später unter den Verfolgten, Vertriebenen und Ermordeten des Nationalsozialismus – erinnert der Neuropädiater Michael Straßburg:

„Ab Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten sich vor allem jüdische Kinderärzte für den Auf- und Ausbau sozialpädiatrischer Einrichtungen verdient gemacht. Neben Arthur Schloßmann in Dresden waren dies u.a. Hugo Neumann und Heinrich Finkelstein in Berlin sowie Max Taube in Leipzig mit der vorbildlichen Betreuung von kranken Neugeborenen und Säuglingen sowie der Einrichtung von Mütterberatungsstellen. Gustav Tugendreich aus Berlin hat in einem ausführlichen Handbuchartikel zusammen mit Max Mosse am Beispiel der kindlichen Tuberkulose die Zusammenhänge von Krankheiten und sozialer Lage publiziert.“

(Straßburg 2012; s. auch ders. 2022)

1898 begründete Arthur Schloßmann mit dem Dresdner Säuglingsheim das erste Hospital für kranke Säuglinge in Deutschland (Dorothea Eickemeyer in: Sächsische Biografie, https://saebi.isgv.de/biografie/Arthur_Schlo%C3%9Fmann_(1867-1932); s. auch Blessing 2013; Bönisch 2022; DGKJ Datenbank; Wikipedia mit Foto: https://de.wikipedia.org/wiki/Arthur_Schlo%C3%9Fmann). Gustav Tugendreich (1948 im Exil von Los Angeles verstorben) gehörte 1909/10 zu den Herausgebern des wegweisenden Handbuchs Die Mutter- und Säuglingsfürsorge (Benjamin Kuntz in: Kinderärztliche Praxis 89 (2018) 3, S. 206-208, online: https://www.kinderaerztliche-praxis.de/a/gustav-tugendreich-erinnerung-an-einen-wegbereiter-der-modernen-sozialpaediatrie-1891857; DGKJ Datenbank). Adolf Baginsky leitete als Mitbegründer und langjähriger Direktor das Kaiser- und Kaiserin-Friedrich-Kinderkrankenhaus zu Berlin (Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_Baginsky). Jüdisch geboren war auch der später getaufte Leo (Leopold) Langstein, Direktor des Kaiserin-Auguste-Victoria-Hauses, Präsident der Reichsanstalt zur Bekämpfung der Kinder- und Säuglingssterblichkeit im Deutschen Reich und der erste Vorsitzende des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (DGKJ Datenbank; Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Leopold_Langstein). Erwähnt seien noch Lucie Adelsberger, welche über Die Verdauungsleukocytose beim Säugling promovierte (Kuntz 2020; Wikpedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Lucie_Adelsberger), Georg Peritz, ein vergessener Wegbereiter der Neuropädiatrie und Autor des erstmals 1912 veröffentlichten Standardwerks Die Nervenkrankheiten des Kindesalters (Straßburg/ Kuntz 2020) oder Kurt Huldschinsky, welcher erfolgreich die Rachitis bei Kindern bekämpfte (Kuntz 2021; Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Huldschinsky) [letzter Aufruf aller Links am 04.03.2024].

Zu diesem innovativen Kreis gehörten mit Heinrich Rosenhaupt, Wilhelm Hanauer und Adolf Deutsch auch die drei Hauptinitiatoren des überkonfessionellen Frankfurter Verbands für Säuglingsfürsorge. Über dessen Gründungsmotive informiert der sehr wahrscheinlich von Heinrich Rosenhaupt (s. auch ders. 1912) verfasste erste Jahresbericht:

„Wissenschaftliche Vorträge der Herren Dr. Hanauer und Dr. Deutsch und anschließende Diskussionen im Frankfurter Ärztlichen Verein hatten die Aufmerksamkeit des Vereins auf eine empfindliche Lücke in der sozialen Fürsorge in unserer Stadt gelenkt. (…) Die reichen Erfahrungen der letzten Jahre auf dem Gebiete der Säuglingsfürsorge ergeben die überwiegende Bedeutung der offenen Fürsorge für die Lösung dieses Problems, das für den Bestand und die Kraft unseres Volkes von ausschlaggebender Bedeutung ist. Mehr als 400.000 Säuglinge sterben im ersten Lebensjahre in unserem Vaterlande. 1.600 in Frankfurt a.M.! Darunter Hunderte gesunder Kinder, die ärztliche Aufsicht und geeignete Fürsorge hätten am Leben erhalten können. Mangelhafte Pflege legt den Keim zu langjährigem Siechtum in so manches Kind, dessen späteres trauriges Dasein eine Folge von Verhältnissen ist, die zum großen Teil durch frühzeitige ärztliche Beratung und soziale Fürsorge auszugleichen gewesen wären.
Bei der Vorbesprechung über eine großzügige Organisation der Säuglingsfürsorge in Frankfurt meldeten sich 70 Ärzte, die bereit waren, dessen Aufgabe durch ihre Mitarbeit zu fördern.“

(FVfS 1911 [Hervorhebungen im Original])

Während aus der sozialen Fürsorge u.a. der jüdische Frauenverein Weibliche Fürsorge e.V. zu den Vorreitern zählte, war es auf medizinischem Gebiet der oben erwähnte Frankfurter Ärztliche Verein und damit die Standesorganisation der in Frankfurt a.M. ansässigen Ärzte und Ärztinnen (vgl. zu der noch weiter zu erforschenden Geschichte des Ärztlichen Vereins Flehr 1982; Thomann-Honscha 1988a; Hafeneger u.a. 2016; ISG FFM V48 Nr. 332). Dort hatte sich Dr. Heinrich von Mettenheimer (auch: Mettenheim, 1867–1944) – zu dieser Zeit Leiter des Christ’schen Kinderhospitals, danach der Städtischen Kinderklinik im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen, bis 1935 Ordinarius für Kinderheilkunde und Direktor der Universitäts-Kinderklinik, „März 1935 vorzeitige Entlassung und Emeritierung wegen jüdischer Herkunft der Ehefrau“ (DGKJ Datenbank) – schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts für eine allgemeine Säuglingsfürsorge in Frankfurt a.M. eingesetzt, um die Säuglingssterblichkeit zu senken. In einem weiteren im Ärztlichen Verein gehaltenen Referat (1906) sagte Sanitätsrat Dr. med. John Rothschild (1869 – 1951 im Exil von Key Gardens/ New York, vgl. DGKJ-Datenbank), einer der ersten niedergelassenen Frankfurter Kinderärzte und langjähriger Stadtschularzt, der Propagierung künstlicher Säuglingsnahrung den Kampf an und empfahl dringend die Förderung des Stillens (Thomann-Honscha 1988b: 113f.).

Anders als Dr. Rothschild befürwortete Dr. Heinrich Rosenhaupt, Gründer und Leiter der ersten privaten Fürsorgestelle für Mütter und ihre Säuglinge in Frankfurt, den systematischen Ausbau weiterer Beratungsstellen; ungeachtet der Kontroverse schloss sich auch Dr. Rothschild später den beratenden Ärzten des FVfS an. Im Ärztlichen Verein referierte 1908 Dr. Adolf Deutsch, Leiter der Säuglingsberatungsstelle am Israelitischen Gemeindehospital (Königswarterstraße), über die Bedeutung von Säuglings-Milchküchen im Kampf gegen die Säuglingssterblichkeit. Und Dr. Wilhelm Hanauer „lieferte 1909 mit seinem wissenschaftlichen Vortrag über Säuglingssterblichkeit in Frankfurt am Main wichtige statistische und epidemiologische Daten“ (Thomann-Honscha 1988b: 114; vgl. Hanauer 1910a, 1910b, 1911). Als Resultat dieser nachhaltigen Bemühungen wählte der Ärztliche Verein eigens eine Kommission, welche mit dem Anliegen einer organisierten Säuglingsfürsorge mit „allen interessierten Behörden, Instituten, Vereinen und Personen“ in Kontakt trat (ebd.: 119). Trotz staatspolitisch bedingter Vorbehalte seitens des Frankfurter Oberbürgermeisters Franz Adickes als dem damaligen Vorsitzenden der (heute noch bestehenden) Wilhelm und Auguste Viktoria Stiftung für Säuglingsfürsorge in Frankfurt am Main gegen eine neue kommunal angelegte Organisation veranstaltete der Ärztliche Verein, wie oben erwähnt, am 11. Oktober 1910 mit dem Krippenverein den „Margueritentag“ und rief am 8. Dezember 1910 den Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge ins Leben.

Dieser Erfolg im Dienste der Kinderrettung verdankte sich hauptsächlich den jüdischen Kinderärzten im Frankfurter Ärztlichen Verein, allen voran Dr. Rosenhaupt, Dr. Deutsch und Dr. Hanauer. Wie auch ihren Kollegen Dr. Rothschild trieben sie neben der Sorge um das Überleben und die Gesundheit Neugeborener, die soziale Not ihrer Mütter und den Fortbestand einer leistungsfähigen deutschen Nation ebenso jüdische Anliegen um: Als gläubige Juden erfüllten sie mit ihrem Engagement für die Kranken und die Schwächsten der Gesellschaft zugleich die Mitzwot (religiöse Gebote und Pflichten) der Zedaka und der Gemilut Chessed (Taten der Nächstenliebe). Adolf Deutsch, Wilhelm Hanauer und John Rothschild waren nachweislich Brüder der Frankfurt-Loge des B’nai B’rith („Söhne des Bundes“ [mit Gott]), einem jüdischen Orden, der sich gemeinsam mit seinen Schwesternvereinigungen unter dem Dach von Zedaka, Bildung und Kultur für den Zusammenhalt und die humanitäre Fortentwicklung der von Antisemitismus, „Assimilation“ und Konversion (Taufe) bedrohten deutsch-jüdischen Minderheit einsetzte (Gut 1928; Seemann 2023c). Dies schloss die Fürsorge für die jüdischen Nachkommen ein (deren Sterblichkeit statistisch gesehen unterhalb der Mortalität christlicher Säuglinge lag). Zu diesem Themenfeld hatte Regierungsrat Ludwig Knöpfel (gest. 1939), Experte und von 1920 bis 1924 Leiter der Großherzoglichen Zentralstelle für die Landes-Statistik (heute das Hessische Statistische Landesamt), mehrere Fachbeiträge in der vom Bureau für Statistik der Juden herausgegebenen Zeitschrift für Demographie und Statistik der Juden publiziert (Knöpfel 1910, 1913, 1914a u. 1914b; s. in Auswahl auch Hanauer 1919, 1924, 1928 sowie Bureau für Statistik der Juden 1908; Fürth 1916; Löffler 1916).

Adolf Deutsch

Im Folgenden werden Adolf Deutsch, Wilhelm Hanauer und Heinrich Rosenhaupt, deren Leistungen für die Stadt Frankfurt am Main (und bei Dr. Rosenhaupt auch für Mainz) als Nachwirkung der Shoah noch heute zu wenig bekannt sind, kurz vorgestellt. So hatte sich Sanitätsrat Dr. med. Adolf Deutsch (1868–1942) auf innere und Kinderkrankheiten spezialisiert. Er war ein entschiedener Förderer der beruflichen jüdischen Krankenpflege und viele Jahre lang Vorsitzender des von ihm mitbegründeten ersten Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen in Deutschland (Frankfurt a.M.); in dieser Funktion leitete er auch die von Müttern aller Konfessionen aufgesuchte Säuglingsberatungsstelle mit Säuglings-Milchküche im jüdischen Krankenhaus und Schwesternhaus. 1892 hatte sich Dr. Deutsch nach seiner Heidelberger Promotion über „kryptogene Sepsis“ (Blutvergiftung mit unbekanntem Infektionsherd) als praktischer Arzt in Frankfurt niedergelassen und behandelte zudem als Assistenzarzt am Israelitischen Gemeindehospital Königswarterstraße. Dort und im nachfolgenden neuen jüdischen Gemeindekrankenhaus Gagernstraße leitete er von 1895 bis zu ihrer inflationsbedingten Schließung 1923 die Polikliniken. Als Armenarzt der Israelitischen Gemeinde versorgte er voller Hingabe jüdische wie nichtjüdische Frankfurter/innen und gehörte darüber hinaus dem Vorstand des Krankenunterstützungsvereins Bikkur Cholim an. 1931 wählte ihn der Frankfurter Ärztliche Verein zum Vorsitzenden. Trotz aller Verdienste liegt von Adolf Deutsch bislang kein Foto vor, die biografischen Informationen sind spärlich. Doch findet sich anlässlich seines 70. Geburtstages ein Beitrag im Frankfurter Israelitischen Gemeindeblatt, verfasst von seinem langjährigen Kollegen, zeitweiligen Vorgesetzten sowie Logenbruder Prof. Dr. Simon Isaac (Chefarzt der inneren Abteilung und später des gesamten Jüdischen Krankenhauses Gagernstraße): Die Würdigung betraf einen „der bekanntesten Ärzte unserer Stadt, der in früheren Jahren auch eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten, meist chirurgischen Inhalts[,] veröffentlicht hat (…)“ (Isaac 1938: 11). Einige Monate vor dem Novemberpogrom 1938 musste der hochangesehene Mediziner mit 70 Jahren aus Nazideutschland flüchten. Dr. Adolf Deutsch verstarb 1942 im englischen Exil von Oxford (s. auch Entschädigungsakte HHStAW 518/ 10261; Kallmorgen 1936; Drexler-Gormann 2009).

Wilhelm Hanauer

Wilhelm Hanauer, ohne Jahr – Nachweis: Heuer, Renate/ Wolf, Siegbert (Hg.) 1997: Die Juden der Frankfurter Universität. Frankfurt a.M., New York: 151 (UAF Bestand 854 Nr. 484, Urheber unbekannt)
Wilhelm Hanauer, ohne Jahr – Nachweis: Heuer, Renate/ Wolf, Siegbert (Hg.) 1997: Die Juden der Frankfurter Universität. Frankfurt a.M., New York: 151 (UAF Bestand 854 Nr. 484, Urheber unbekannt)

Den ebenfalls höchst renommierten praktischen Arzt, Kinderarzt, Arbeits- und Sozialmediziner sowie Stadtverordneten und Kulturförderer Sanitätsrat Prof. Dr. Wilhelm (Wolf) Hanauer (1866–1940) benannte der Frankfurter jüdische Historiker Paul Arnsberg als einen „Vorkämpfer der sozialen Ausgestaltung der Tuberkulosefürsorge in Frankfurt a.M.“ (Arnsberg 1983 Bd. 3: 175-176; s. auch Heuer/ Wolf 1997: 151-153; Schembs 2007: 79-80; Walter 2014; Elsner 2017; Blum 2020; Seemann 2023c; JM Ffm: Shoah Memorial; Stolpersteine Ffm). Die Frankfurter Universität berief Wilhelm Hanauer infolge seiner Habilitation und weiterer herausragender Fachpublikationen zum außerordentlichen Professor eines neuen Wissenschaftszweigs: der Sozialmedizin. In der Frankfurter Israelitischen Gemeinde bekleidete er als Vertreter der Gemeindeorthodoxie verschiedene Ämter. Aus seinen vielfältigem Wirkungskreis riss ihn 1933 die nationalsozialistische Verfolgung:

„Im Jahr 1934 erlitt er einen Nervenzusammenbruch, von dem er sich zeitlebens nicht mehr erholte. Er musste seine Arbeit aufgeben und wurde in der Israelitischen Heil- und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn bei Koblenz aufgenommen. In diesem Krankenhaus, das später aufgelöst und in eine ,Euthanasie‘-Zwischenanstalt für die in preußischen Heil- und Pflegeanstalten lebenden jüdischen psychiatrischen Patientinnen und Patienten umgewandelt wurde, starb er an ,Arteriosklerose und körperlichem und geistigem Marasmus‘ [Auszehrung, Entkräftung, d.V.]. Am 18. Juni 1940 wurde er auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Frankfurt beerdigt.“

(Zitiert nach: Stolpersteine Ffm: https://frankfurt.de/frankfurt-entdecken-und-erleben/stadtportrait/stadtgeschichte/stolpersteine/stolpersteine-im-westend/familien/hanauer-wilhelm [04.03.2024])

Hinsichtlich der sozialen Ursachen von Säuglingssterblichkeit machte Wilhelm Hanauer als Spezialist für Berufserkrankungen das zumeist verborgene Elend der Heimarbeiter/innen in der Öffentlichkeit sichtbar: Ganze Familien arbeiteten in ihren oft dunklen und feuchten Behausungen – mangels Arbeitszeitregelung fast rund um die Uhr: „Die Heimarbeit kennt keine Nachtruhe, keine Sonntagsruhe, keine Schonung der Frau und der zarten Kinder“ (W.H., zit. n. Elsner 2017: 88). Am häufigsten erkrankten die Heimarbeiter/innen an Tuberkulose. Für Wilhelm Hanauer stand die Säuglingssterblichkeit in einem unmittelbaren Zusammenhang mit rasch aufeinander folgenden Geburten und beengten Wohnverhältnissen. 1914 legte er in der Reihe Die Heimarbeit im rhein-mainischen Wirtschaftsgebiet (Herausgeber: Professor Paul Arndt) seine Studie Die hygienischen Verhältnisse der Heimarbeiter im rhein-mainischen Wirtschaftsgebiet vor, eingeführt von dem Bakteriologen Professor Max Neisser, Direktor des Frankfurter Hygienischen Instituts und wie Dr. Hanauer im Verwaltungsausschuss des Frankfurter Verbands für Säuglingspflege aktiv.

Heinrich Rosenhaupt

Heinrich Rosenhaupt, um 1920 – Eschler, Juliane 2022: Mainzer Medizin im Nationalsozialismus (…). In: Berkessel, Hans/ Cornelia Dold (Hg.) 2022: „Das Leben war draußen und ich war dort drinnen“. Zwangssterilisation und Ermordung im Rahmen der NS-„Euthanasie“ und ihre Opfer in Mainz und Rheinhessen. (…) Frankfurt a.M.: 106 (Stadtarchiv Mainz, BPSF16666A)
Heinrich Rosenhaupt, um 1920 – Eschler, Juliane 2022: Mainzer Medizin im Nationalsozialismus (…). In: Berkessel, Hans/ Cornelia Dold (Hg.) 2022: „Das Leben war draußen und ich war dort drinnen“. Zwangssterilisation und Ermordung im Rahmen der NS-„Euthanasie“ und ihre Opfer in Mainz und Rheinhessen. (…) Frankfurt a.M.: 106 (Stadtarchiv Mainz, BPSF16666A)

Die „Seele“ des Frankfurter Verbands für Säuglingsfürsorge war von Beginn an Dr. Heinrich Rosenhaupt (1877 – 1944 im Exil von Colorado Springs, USA). Verheiratet war er mit Fanny Marie Freudenthal, der Tochter des jüdischen Philosophen und Spinoza-Experten Dr. Jakob Freudenthal (Geni: https://www.geni.com/people/Heinrich-Rosenhaupt/6000000029264267905 [04.03.2024]); sein Sohn Hans Wilhelm Rosenhaupt (über ihn hat Armin Wishard biografisch gearbeitet) korrespondierte mit Katia und Thomas Mann. Nach Lehre und Tätigkeit als Bankkaufmann entschied sich Heinrich Rosenhaupt für die medizinische Laufbahn. Bevor er sich 1905 als praktischer Arzt und Kinderarzt in seiner Geburtsstadt Frankfurt am Main niederließ, hatte er u.a. als Assistenzarzt an Arthur Schloßmanns Dresdner Säuglingsheim berufliche Erfahrungen gewonnen. Noch 1905 gründete er auf eigene Initiative Frankfurts erste Säuglingsberatungsstelle und engagierte sich zwei Jahre später als Sekretär für Deutschland in der Internationalen Vereinigung für Säuglingsschutz (Goutte de Lait). Vor dem Ersten Weltkrieg leitete er die Auskunftsstelle des Frankfurter Verbands für Säuglingsfürsorge. 1921 gab er seine Praxis auf und arbeitete als Stadtarzt im Frankfurter Gesundheitsamt, zuständig für Schulhygiene, Säuglings- und Kleinkinderfürsorge. 1922 wechselte er an das neu gegründete Mainzer Gesundheitsamt und erreichte die Funktion des Stadtmedizinaldirektors. 1933 durch die Nationalsozialisten seines Amtes enthoben, kehrte er im März 1934 nach Frankfurt zurück und eröffnete trotz der restriktiven NS-Bedingungen erneut eine Praxis. Nach einer kurzzeitigen Inhaftierung im KZ Sachsenhausen flüchtete er 1939 gemeinsam mit seiner Frau über England in die USA und verstarb 1944 im Exil von Colorado Springs (Thomann 1993; Frost 1995; Eschler 2022; DGKJ Datenbank; s. auch Schmidt C. 2022). An den verdienten Mediziner erinnert in Mainz heute die Dr.-Heinrich-Rosenhaupt-Straße. Im Kontext der Pflegegeschichte und dazumal neuen Berufe in der Säuglingsfürsorge sei abschließend noch aus Dr. Rosenhaupts Beitrag Die Hilfsorgane der Gesundheitsfürsorge, ihr Wirkungskreis und ihre Ausbildung zitiert, veröffentlicht im Band 4 (1927) des von Adolf Gottstein, Arthur Schloßmann und Ludwig Teleky 1927 herausgegebenen Handbuchs der sozialen Hygiene und Gesundheitsfürsorge:

„Die Gesundheitsfürsorgerin muss über die Fähigkeit der Krankenpflegerin hinaus die soziale Ätiologie [hier: Krankheitsursachen, d.V.]) des Einzelfalls zu erforschen suchen. Sie unterstützt den Arzt der Fürsorge schon bei der Diagnose, während die Krankenpflegerin an der Diagnosenstellung sich nur gelegentlich und nur dadurch beteiligt, dass sie dem Arzt wertvolles Material durch ihre Krankenbeobachtung zu liefern imstande ist. (…) Aber über diese Fähigkeit des Sehens und Beobachtens hinaus muss ihr Auge offen sein für die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse ihrer Fürsorgebefohlenen, für die Wirkungen der Umwelt des einzelnen; mehr noch als die Krankenpflegerin muss die Gesundheitspflegerin die seelischen Werte und Unwerte erkennen und in ihren Zusammenhängen zu beurteilen imstande sein.“

(Zitiert nach: Reinicke 2008: 41)

Mediziner/innen und Pflegende des Verbands für Säuglingsfürsorge

Heinrich Rosenhaupt hat wohl auch den ersten Jahresbericht (1911) des Frankfurter Verbands für Säuglingsfürsorge verfasst (s. auch Rosenhaupt 1912). Aus dem Bericht geht hervor, dass in Frankfurt a.M. bis zur Öffnung der Beratungsstellen des Verbands lediglich drei Versorgungsstellen für die offene Säuglingsfürsorge bestanden: neben Heinrich Rosenhaupts Initiative und der von Adolf Deutsch geleiteten Säuglingsberatungsstelle im Israelitischen Gemeindehospital nur noch die Anlaufstelle in dem von Dr. med. Friedrich „Fritz“ Cuno (1865–1957) geleiteten Dr. Christ’schen Kinderhospital (mit christlich-jüdischen Bezügen). Der hohe jüdische Anteil an Mediziner/-innen setzte sich auch nach der Eröffnung der Beratungsstellen des Verbands für Säuglingsfürsorge fort. Beispielhaft seinen einige Namen (in alphabetischer Reihenfolge) genannt:

– Dr. med. Henry Böhm (auch: Boehm), Mitbegründer des FVfS (DGKJ Datenbank);
– Sanitätsrat Dr. med. Eugen Cahen-Brach, für die Frankfurter Armenklinik Leiter der Säuglingsberatungsstelle IV (Bezirk: Stadtteil Bornheim), leitender Arzt des Dr. Christ’schen Kinderhospitals. Seine Ehepartnerin Alice Cahen-Brach geb. Bing und deren verwitwete Schwester Anna Luise Dreifuss (auch: Dreyfuss, Dreyfus, Dreyfus-Bing) engagierten sich beide als freiwillige Helferinnen des FVfS. Sie wurden allesamt in Theresienstadt ermordet (Hock 2021; DAV Ffm Spurensuche mit Abb.; Terezin Opferdatenbank).
– Dr. med. Samuel Cobliner, vor seinem Frankfurter Einsatz tätig am Städtischen Kinderasyl und Waisenhaus Berlin sowie am Städtischen Säuglingsheim Breslau (Seemann 2023c);
– Sanitätsrat Prof. Dr. med. Paul Grosser, leitender Arzt des Städtischen Kinderheims mit Säuglingspflegeschule (Böttgerstraße) und bis zu seiner NS-Suspendierung des Clementine Kinderhospitals, Vater des bekannten Politikwissenschaftlers und Publizisten Alfred Grosser;
Dr. med. Max Plaut, u.a. Kinderarzt am Gumpertz’schen Siechenhaus;
– Dr. med. Hugo Salvendi, als Kinderarzt spezialisiert auf Chirurgie und Orthopädie, aus einer Rabbinerfamilie, Vorstandsmitglied der 1912 gegründeten Frankfurter Kinder-Jeschiwa Thoralehranstalt Ez-Chajim („Baum des Lebens“) (Seemann 2023c).

Entsprechend der damaligen gesellschaftlichen und politischen Geschlechterhierarchie war die Zahl der in den FVfS-Beratungsstellen aktiven Ärztinnen gering. Die im Folgenden genannten Pädiaterinnen, allesamt promoviert, können als Vorreiterinnen im damaligen „Männerberuf“ Medizin gelten:

– Dr. med. Käthe (Käte) Kehr, evangelisch, zuletzt Frankfurt a.M. (Ärztinnen im Kaiserreich);
Dr. med. Käthe Neumark, jüdisch, vor ihrem Medizinstudium Krankenschwester (Verein für jüdische Krankenpflegerinnen Frankfurt a.M.), einer der ersten weiblichen Sanitätsoffiziere Deutschlands, nach ihrer NS-Vertreibung Leiterin einer orthodox-jüdischen Kinderpension im niederländischen Exil (Zaandvoort), 1939 Suizid wegen NS-Einmarsch (Ärztinnen im Kaiserreich; DGKJ Datenbank);
– Dr. med. Paula Philippson, jüdisch, langjährige Kinderärztin sowie 1914 Schulärztin in Frankfurt a.M., nach ihrer NS-Vertreibung Religionswissenschaftlerin in Basel (Ärztinnen im Kaiserreich; DGKJ Datenbank; Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Paula_Philippson).
Des Weiteren während des Ersten Weltkriegs:
– „Fräulein Dr. med. Herz“: vermutlich Dr. Johanna Sophia Hertz [sic!], evangelisch, Tochter des Entdeckers der „elektromagnetischen Wellen“ Prof. Dr. Heinrich Herz (getauft, aus jüdischer Familie, einführend Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Hertz), 1967 im englischen Exil verstorben (Ärztinnen im Kaiserreich; DGKJ Datenbank);
– „Fräulein Dr. med. Knippen“: möglicherweise Dr. Maria Knippen, katholisch, zuletzt leitende Ärztin der Kneipp-Kuranstalt Dr. Knippen in Königstein (Taunus) bei Frankfurt a.M. (Ärztinnen im Kaiserreich).

Im „Frauenberuf“ der Pflege setzte der FVfS in den Frankfurter Stadt- und Armenbezirken jüdische, katholische und evangelische Krankenschwestern ein. Bereits im ersten Berichtsjahr stellte der im Vergleich zu den größeren christlichen Schwesternvereinigungen weitaus geringer ausgestattete Verein für jüdische Krankenpflegerinnen drei Schwestern, der Verein vom Roten Kreuz sowie der Vaterländische Frauenverein jeweils zwei Schwestern (FVfS 1911: 6). In der folgenden Auflistung aus dem zweiten Jahresbericht (FVfS 1912: 5) sind, wie dazumal leider üblich, die Familiennamen der Pflegenden nicht verzeichnet:

„Schwester Auguste (Verein Bethesda);
Schwester Christine (Diakonie Eschersheim);
Schwester Claire, Doris, Johanna (Verein für jüdische Krankenpflegerinnen);
Schwester Claire, Ruth (Verein Rotes Kreuz);
Schwester Ernestine (Schwester der städt.[ischen] Beratungsstelle 11);
Schwester Gerda, Jenny (Vaterländischer Frauenverein).“

Ein Who’s who des Frankfurter Bürgertums: Persönlichkeiten des Verbands für Säuglingsfürsorge

Auch der Verwaltungsausschuss des FVfS, in dem sich der sozial aufmerksame Teil des Frankfurter Bürgertums engagierte, war laut Jahresberichten überkonfessionell zusammengesetzt: evangelisch-lutherisch, evangelisch-reformiert, katholisch und ebenfalls mit einem hohen jüdischen Anteil – letzterer etwa „vertreten“ durch die Ärzte Dr. Deutsch,

Dr. Hanauer und Dr. Rosenhaupt, Bertha Pappenheim oder Emil L. Heidenheimer, Vorstandsmitglied der Israelitischen Gemeinde Frankfurt a.M., Vorsitzender der Israelitischen Frauenkrankenkasse, aktiv im Vorstand der Vereinigung jüdischer Wohlfahrtseinrichtungen (Vorläuferin der Zentrale für jüdische Wohlfahrtspflege) sowie des Raphael und Jeanette Ettlinger-Heims für erholungsbedürftige jüdische Kinder zu Hofheim/Taunus.
Weitere Mitglieder des Verwaltungsausschusses waren Stadtrat Dr. jur. Karl Flesch (jüdisch, evangelisch getauft, Leiter des Frankfurter Armen- und Waisenamtes), Stadtrat Wilhelm Woell (katholisch), Eduard Gräf (Vorsitzender der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK), später 2. Frankfurter Bürgermeister), Stadtrat Prof. Dr. Philipp Stein (Leiter des Instituts für Gemeinwohl), Prof. Dr. Christian Jasper Klumker (Direktor der Centrale für private Fürsorge), Prof. Dr. Max Neisser (Direktor des Städtischen Hygienischen Instituts), Prof. Dr. Heinrich von Mettenheim(er) (Professor für Kinderheilkunde, Direktor der Frankfurter Universitäts-Kinderklinik), Frau Schinkel-Otto (Vorname ungenannt, Vorsitzende des Preußischen Hebammenverbandes, einem Teilverband der damaligen Vereinigung Deutscher Hebammen (VDH)), Generalkonsul Carl von Weinberg (jüdisch, evangelisch getauft). Aus dem Mitgliederverzeichnis seien noch hervorgehoben:

– Prof. Dr. Friedrich Dessauer (Direktor der Vereinigten Elektrotechnischen Institute Frankfurt-Aschaffenburg (VEIFA), nach dem Ersten Weltkrieg Frankfurter Stadtverordneter (Zentrumspartei) sowie ordentlicher Professor und Gründungsdirektor des Instituts für physikalische Grundlagen der Medizin, Ehrenbürger der Stadt Frankfurt a.M., als sozial engagierter Katholik politisch Verfolgter des Nationalsozialismus (Frankfurter Personenlexikon; Wikipedia mit Foto);
– Geheimer Regierungsrat Dr. Wilhelm von Gwinner, Jurist, Schriftsteller und Schopenhauer-Freund, aktiver evangelischer Christ (Frankfurter Personenlexikon; Wikipedia);
– der spätere Nationalsozialist Prof. Dr. Wilhelm Polligkeit als Direktor der Centrale für private Fürsorge, von 1916 bis 1918 im Verwaltungsausschuss des FVfS (Frankfurter Personenlexikon; Wikipedia mit weiteren Literaturangaben).

Zu den Mitgliedern des FfVS mit jüdischer Herkunft gehörten laut Verzeichnis 1913:
– Alice Buseck-Una, Eigentümerin der Dampfwaschanstalt Schwan (später Wagenreparaturwerkstatt Uga. Apparatebau GmbH), 1941 nach Lodz/ Ghetto Litzmannstadt deportiert (JM Ffm Shoah Memorial);
– Ludwig Cohnstaedt (später Prof. Dr. h.c.) und sein Sohn Dr. Wilhelm Cohnstaedt (auch: Cohnstädt), beide führende Mitarbeiter und Mitgestalter der Frankfurter Zeitung, 1937 Suizid von Wilhelm Cohnstädt im Exil von Philadelphia (Frankfurter Personenlexikon; Lagis Hessen; Stolpersteine Ffm);
– Rosy Fischer, Kunstmäzenin und -sammlerin bedeutender expressionistischer Werke.

Philippine (Ellinger) Hochschild, um 1915 – Nachweis: Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Philippine_hochschild_nee_ellinger.png [04.03.2024]
Philippine (Ellinger) Hochschild, um 1915 – Nachweis: Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Philippine_hochschild_nee_ellinger.png [04.03.2024]

– Neben dem Führungspersonal (Albert und Fritz Sondheimer, Louis Feist) des bereits oben erwähnten orthodox-jüdisch geführten Unternehmens Beer, Sondheimer u. Co. befanden sich unter den Mitgliedern des FVfS drei Mitbegründer eines weiteren Frankfurter Weltkonzerns mit bekanntem Namen – der „Metallgesellschaft“: Dr. Wilhelm Merton (jüdisch, evangelisch getauft), Mitbegründer des Instituts für Gemeinwohl und der Centrale für private Fürsorge (einführend: Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Institut_f%C3%BCr_Gemeinwohl), Zachary Hochschild (jüdisch) und dessen Schwager Leo Ellinger (jüdisch, getauft?), des Weiteren Zachary Hochschilds Witwe Philippine Hochschild (jüdisch, Schwester von Leo Ellinger) sowie ihr Schwiegersohn Rudolf Euler (Vorstandsmitglied der Metallgesellschaft, evangelisch). Philippine Hochschilds aktive Zedaka zeigte sich auch in ihrer Gründung (1913) der Zachary Hochschild’schen Unterstützungskasse für Angestellte der Metallgesellschaft (Angabe nach Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Zachary_Hochschild [04.03.2024]).
– Geheimrat Leo Gans, der bekannte Chemiker und Unternehmer, und seine Neffen Arthur und Carl von Weinberg, allesamt jüdisch geboren, später evangelisch getauft (einführend Wikipedia);
– Fritz Hallgarten, der älteste Sohn des Bankiers und Sozialreformers Charles L. Hallgarten und Schwager von Prof. Dr. Max Neisser, Mitglied des FfVS-Verwaltungsausschusses, jüdisch, Übertritt zur evangelisch-reformierten Kirche;
– Stadtrat Anton Horkheimer, Bankier und langjähriger Vorsitzender des Pflegamts des Almosenkastens der Frankfurter Israelitischen Gemeinde (Arnsberg 1983 Bd. 3: 207);
– Stadtrat Dr. med. Simon Kirchheim, Chirurg, Geburtshelfer, Förderer der beruflichen jüdischen Krankenpflege, langjähriger Chefarzt der Inneren Station des Frankfurter Israelitischen Gemeindehospitals Königswarterstraße, 1885 Vorsitzender des Frankfurter Ärztevereins (Steppe 1997);
– Emma Livingston aus der ursprünglich jüdischen Familie Löwenstein, beteiligt an der Centrale für private Fürsorge, verwandt mit Rose Livingston (Gründerin des Nellini-Stifts) und der Arztfamilie Herxheimer (Jenner, Harald 2015: Die Familie Livingston und das Nellinistift in Frankfurt am Main. Frankfurt a.M.);
– Kommerzienrat Ludo Mayer aus Frankfurts Nachbarstadt Offenbach a.M., Lederfabrikant, Mäzen und Offenbacher Ehrenbürger, Förderer der Tuberkulose- und Säuglingsfürsorge (Wikipedia; Alemannia Judaica Offenbach)
– Freiherr Philipp Schey von Koromla aus der Bankiersfamilie von Goldschmidt-Rothschild (Seemann/ Bönisch 2019);
– die Schuhfabrikanten Louis und Simon Spier sowie der Unternehmer und Mäzen Isaak (Isaac) C. Weill (Seemann 2023c);
– der Kaufhauspionier Hermann Wronker (Mönch, Dieter 2019: Vergessene Namen – vernichtete Leben. Die Geschichte der jüdischen Frankfurter Unternehmerfamilie Wronker und ihr großes Warenhaus an der Frankfurter Zeil. Frankfurt a.M.; Seemann 2023c; Seemann/ Bönisch 2019).

Mit Unterstützung dieses ebenso vielfältigen wie beeindruckenden Netzwerkes aus dem Frankfurter Bürgertum (mit vielen spannenden Biografien) trug die intensive Beratungs- und Rettungsarbeit des Verbands für Säuglingsfürsorge dazu bei, den statistischen Anteil der in ihren ersten Lebenswochen verstorbenen Säuglinge (von 100 in Frankfurt am Main Geborenen) im Zeitraum 1911–1914 von 14,5 Prozent (1901–1910) auf 10,6 Prozent, im Jahr 1923, nach einem traurigen Wiederanstieg infolge des Ersten Weltkriegs, erstmals unter 10 Prozent zu senken (Thomann-Honscha 1988: 83). Im Kontext der Zentralisierungsmaßnahmen im Gesundheitswesen während der Weimarer Republik koordinierte seit 1922 das Stadtgesundheitsamt Frankfurts offene Säuglingsfürsorge, der Verband für Säuglingsfürsorge erhielt dabei den Status als „ausführendes Organ der Stadt“ (zit. n. Steppe 1997: 259). 1925 übernahm die Stadt Frankfurt den Verband (Thomann-Honscha 1988: 127) mit der bereits erwähnten Eingliederung der zuletzt fünfzehn Beratungsstellen (Ute Daub in: Hövels u.a. 1995: 78) in das Stadtgesundheitsamt.

Jenen Frauen und Männern im Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge, die der NS-Staat als „Nichtarier“ verfolgte, wurde ihr Engagement für die Kinderrettung nicht gedankt: Sie wurden zur Emigration gezwungen, in den Suizid getrieben, im KZ gefoltert, in der Shoah ermordet. Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte für eine lange Zeit der „soziale Tod“ des Vergessens.

Birgit Seemann, Stand: März 2024

Quellen- und Literaturverzeichnis

Ungedruckte und digitalisierte Quellen

ISG FFM: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main
• Bestand A.02.01 Nr. R-1566-1: Versorgung der Pfleglinge, Kost- und Ziehkinder; Säuglingsfürsorge (Laufzeit: 1881–1910)
• Bestand A.02.01 Nr. R-1566-2: Versorgung der Pfleglinge, Kost- und Ziehkinder; Säuglingsfürsorge (Laufzeit: 1911–1916)
• Bestand A.02.01 Nr. R-1566-3: Versorgung der Pfleglinge, Kost- und Ziehkinder; Säuglingsfürsorge (Laufzeit: 1917–1930)
• Bestand A.02.01 Nr. S-1839: Verein für öffentliche Gesundheitspflege in Frankfurt, Frankfurter Verein für Hygiene (Laufzeit: 1895–1930)
• Bestand A.02.01 Nr. V-609: Margueritentag, Volkskindertag, Muttertag (Laufzeit: 1910–1913, 1924)
• Bestand A.51.01 Nr. 1312: Säuglingsfürsorge
• Bestand S3 Nr. 6056: Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge
• Bestand S3 Nr. 14209: Margueritentag der Frankfurter Kinderhilfe (Datierung: 11.10.1910)
• Bestand S6b-75 Nr. 178: Lebensverhältnisse von Proletarierfamilien in Frankfurt (ca. 1920) [enth.: Gewichtkarte des Frankfurter Verbandes für Säuglingsfürsorge für Christine Kalis, geb. 13.10.1916]
• Bestand S7Z Nr. 1910-32: Foto: „Margueritentag“ der Frankfurter Kinderhilfe: Damen der Gesellschaft verkaufen im Dienste der Wohltätigkeit Margueriten (…) (Datierung: 11.10.1910)
• Bestand S7Z Nr. 1910-33: Postkarte: „Margueritentag“ der Frankfurter Kinderhilfe: Damen der Gesellschaft verkaufen im Dienste der Wohltätigkeit Margueriten (Datierung: 11.10.1910)
• ISG FFM Bestand S7Z Nr. 1910-34: Postkarte: „Margueritentag“ der Frankfurter Kinderhilfe: Damen der Gesellschaft verkaufen im Dienste der Wohltätigkeit Margueriten (…) (Datierung: 10.11.1910)
• Bestand S7Z Nr. 1910-35: Postkarte: „Margueritentag“ der Frankfurter Kinderhilfe: Umzug der Frankfurter Jugendwehr in der Bergerstraße am Uhrtürmchen (…) (Datierung: 11.10.1910)
• Bestand V48 Nr. 332: Ärztlicher Verein Frankfurt a.M., 01.05.1839–17.10.1921 (digitalisiert zugänglich bei Arcinsys Hessen: https://arcinsys.hessen.de)
• Sammlung S2 (Personengeschichte), S2/ 15.495: Heinrich Rosenhaupt
• Sammlung S3, Sign. S3 / P6056: Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge
• Thomann-Honscha, Cornelia 1988: Die Entstehung der Säuglingsfürsorge in Frankfurt am Main bis zum Jahre 1914, Diss. med. Universität Frankfurt a.M. (gedr. Ms.), Sign. S 6a/411

UB JCS Ffm: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt a.M.
• Jahresberichte FVfS: Jahresberichte des Frankfurter Verbandes für Säuglingsfürsorge, 1911–1921
• Judaica Ffm: Judaica Frankfurt, Digitale Sammlung: https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaica/nav/index/all

Literatur und Internetquellen (zuletzt aufgerufen am 04.03.2024)

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Straßburg, Hans Michael 2022: Die Geschichte der Sozialpädiatrie. Kinder – Gesellschaft – Medizin. Lübeck

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– 1988b: Der Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge: 121-127

Vögele, Jörg 2009: Wenn das Leben mit dem Tod beginnt: Säuglingssterblichkeit und Gesellschaft in historischer Perspektive. In: Historical Social Research 34 (2009) 4: 66-82, online: https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/28758

Walter, Katja 2014: Verfolgte jüdische Ärzte am Frankfurter Klinikum während der NS-Herrschaft. In: Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main (Hg.): Bürger, die Geschichte schreiben. Das Projekt „Stadtteilhistoriker“ 2010 bis 2014. Frankfurt a.M. 2014: 70-71 (u.a. Wilhelm Hanauer), https://sptg.de/files/Mediathek/SPTG/Projekte/Stadtteil-Historiker/stadtteil-historiker-band2-2010-2014.pdf

Online-Datenbanken [zuletzt aufgerufen am 04.03.2024]

Alemannia Judaica: Alemannia Judaica – Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum: https://www.alemannia-judaica.de

Ärztinnen im Kaiserreich: Ärztinnen im Kaiserreich. Wo bleiben die Frauen in der Medizingeschichte? Hg.: Charité – Universitätsmedizin Berlin, CC1 Human- und Gesundheitswissenschaften, Institut für Geschichte der Medizin, Berlin. Red.: Jutta Buchin, 2015, Online-Datenbank: https://geschichte.charite.de/aeik

Arcinsys Hessen: Archivinformationssystem Hessen: https://arcinsys.hessen.de

BArch Gedenkbuch: Bundesarchiv Koblenz: Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945, https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/

DAV Ffm Spurensuche: Spurensuche. Ein Projekt der Sektion Frankfurt am Main des Deutschen Alpenvereins (DAV): https://spurensuche.dav-frankfurtmain.de

DGKJ Datenbank: DGKJ – Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin: Jüdische Kinderärztinnen und -ärzte 1933–1945: https://www.dgkj.de/die-gesellschaft/geschichte/juedische-kinderaerztinnen-und-aerzte-1933-1945. Red.: Vera Seehausen (s. auch Seidler 2000 u. 2007)

DGSPJ: Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e.V. (DGSPJ), https://www.dgspj.de

Frankfurter Personenlexikon: Frankfurter Personenlexikon. Ein Projekt der Frankfurter Bürgerstiftung. Hg.: Clemens Greve, Sabine Hock (Chefred.), Online-Ausgabe: https://frankfurter-personenlexikon.de

JM Ffm Shoah Memorial: Jüdisches Museum Frankfurt am Main: Shoah Memorial Frankfurt: https://www.shoah-memorial-frankfurt.de

Lagis Hessen: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS): https://www.lagis-hessen.de

Stolpersteine Ffm: Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main: https://www.stolpersteine-frankfurt.de sowie https://frankfurt.de/frankfurt-entdecken-und-erleben/stadtportrait/stadtgeschichte/stolpersteine (Stadt Frankfurt am Main, Online-Datenbank)

Terezin Opferdatenbank: Terezin Initiative Institute, Opferdatenbank: https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank

Yad Vashem Datenbank: Zentrale Datenbank der Namen der Holoaustopfer der Internationalen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem, https://yvng.yadvashem.org/index.html?language=de

Periodika

AZJ: Allgemeine Zeitung des Judentums

FIG: Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt / Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main / Jüdisches Gemeindeblatt für Frankfurt

It: Der Israelit. Ein Centralorgan für das orthodoxe Judentum

NJP/FIF: Neue Jüdische Presse / Frankfurter Israelitisches Familienblatt

ZDSJ: Zeitschrift für Demographie und Statistik der Juden

Deckblatt: Leopold Stein: Rede zur Einweihung des, zum Gedächtniss der verewigten Fräulein Clementine v. Rothschild s. A., von Freifrau Carl v. Rothschild gestifteten Clementinen-Mädchen-Spitales zu Frankfurt a.M. Gehalten im Auftrag der Stifterin von Rabbiner Dr. Leopold Stein. (Montag, 15. November 1875). Frankfurt a.M. 1875, Online-Ausgabe 2011: UB JCS Ffm, Judaica Frankfurt, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaicaffm/urn/urn:nbn:de:hebis:30:1-307045

„(…) denn diess Haus ist Allen geweihet“ – das Clementine-Mädchen-Spital (eröffnet 1875): liberal-jüdische Anfänge und interkonfessionelle Zusammenarbeit

Einführung: Kinder- und Säuglingspflege in Frankfurt am Main als interkonfessionelles Projekt

Deckblatt: Leopold Stein: Rede zur Einweihung des, zum Gedächtniss der verewigten Fräulein Clementine v. Rothschild s. A., von Freifrau Carl v. Rothschild gestifteten Clementinen-Mädchen-Spitales zu Frankfurt a.M. Gehalten im Auftrag der Stifterin von Rabbiner Dr. Leopold Stein. (Montag, 15. November 1875). Frankfurt a.M. 1875, Online-Ausgabe 2011: UB JCS Ffm, Judaica Frankfurt, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaicaffm/urn/urn:nbn:de:hebis:30:1-307045
Deckblatt: Leopold Stein: Rede zur Einweihung des, zum Gedächtniss der verewigten Fräulein Clementine v. Rothschild s. A., von Freifrau Carl v. Rothschild gestifteten Clementinen-Mädchen-Spitales zu Frankfurt a.M. Gehalten im Auftrag der Stifterin von Rabbiner Dr. Leopold Stein. (Montag, 15. November 1875). Frankfurt a.M. 1875, Online-Ausgabe 2011: UB JCS Ffm, Judaica Frankfurt, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaicaffm/urn/urn:nbn:de:hebis:30:1-307045

„[…] denn diess Haus ist Allen geweihet“, verkündete 1875 der bekannte liberal-jüdische Reformer Leopold Stein (ders. 1875: 3), bis 1862 Rabbiner der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main, in seiner Rede zur Einweihung des Clementine-Mädchen-Spitals das Anliegen der Frankfurter jüdischen Stifterin Louise von Rothschild. Gemeinsam mit dem bereits 1845 evangelisch gestifteten Dr. Christ‘schen Kinderhospital gehört das Mädchenhospital zu den beiden Vorgängern des heutigen Clementine Kinderhospitals in Frankfurt am Main. Das „Clemi“ setzt als eines der ältesten deutschen Kinderkrankenhäuser die Tradition einer eigenständigen medizinischen und pflegerischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen, Neugeborenen und Säuglingen, erfolgreich fort – im Verbund mit dem von Dr. Johann Christian Senckenberg (1707–1772) gestifteten Bürgerhospital (,zuständig‘ für die Erwachsenenmedizin und -pflege und zugleich ausgestattet mit einer eigenen Klinik für Neugeborenen-, Kinderchirurgie und -urologie). Die Geschichte aller drei Institutionen ist auf schön gestalteten Internetseiten nachzulesen, mit Hinweisen auf frühe biografische und fachliche Querverbindungen (Bürgerhospital Ffm: https://www.buergerhospital-ffm.de/das-buergerhospital/geschichte; CKH Stiftung: https://www.ckh-stiftung.de; Clementine Kinderhospital Geschichte: https://www.clementine-kinderhospital.de/das-clementine/geschichte; Dr. Senckenbergische Stiftung: https://www.senckenbergische-stiftung.de [letzte Aufrufe am 21.02.2024]). Vertieftes Wissen, seltene Abbildungen und spannende Einblicke in Frankfurts beachtliche Krankenhaus-, Pflege- und Stiftungsgeschichte gewinnen interessierte Leserinnen und Leser durch die Publikationen Festschrift zum 150-jährigen Jubiläum der Dr. Christ‘schen Stiftung 1845–1995 (Hövels u.a. 1995), Clementine von Rothschild. 1845–1865. Full of talent and grace. Zum 125-jährigen Bestehen des Clementine-Kinderhospitals (Reschke 2011; s. auch Schembs 1978: 134-135) oder Mit offenen Armen. Die Geschichte des Frankfurter Bürgerhospitals (Bauer 2004).

Der vorliegende Beitrag beleuchtet mit dem Fokus auf die Pflegegeschichte den unerforschten jüdischen Anteil an den institutionellen Anfängen der Frankfurter Kinder- und Säuglingskrankenpflege – des Weiteren bezeichnet als Kinder- und Säuglingspflege, zumal sich zwischen Krankenpflege und Armenpflege (Soziale Arbeit) Querverbindungen ergaben. Zugleich ist hervorzuheben, dass sich die Entstehung und Entwicklung beider Vorgänger bis zum heutigen Clementine Kinderhospital, dem einzigen Kinderkrankenhaus in Frankfurt am Main, einer intensiven interkonfessionellen Zusammenarbeit und Netzwerkbildung verdankten, die sogar die NS-Zeit überdauerten. Diese Kooperation, in welcher sich auch familiengeschichtliche Zusammenhänge widerspiegeln, stand ganz im Zeichen des Aufbaus einer unentgeltlichen stationären Krankenversorgung benachteiligter Mädchen und Jungen aus prekären Verhältnissen. Getragen wurde sie von Frankfurter Bürgerinnen und Bürgern mit religiös-sozialethischer Überzeugung und dem reformerischem Willen, die Kinder- und Säuglingssterblichkeit zu verringern und einer Chronifizierung von Leiden bei Heranwachsenden vorzubeugen. Sie erkannten frühzeitig die Dringlichkeit einer eigenständigen Kindermedizin und -pflege und den Bedarf an Kliniken, die kleine Patientinnen und Patienten nicht mehr wie die Erwachsenen behandelten – ein dazumal höchst moderner Gedanke.

Der Beitrag geht der Frage nach, welche ideellen Grundprinzipien das geistige Fundament zur Errichtung der beiden Frankfurter Kinderkrankenhäuser legten und wie sich in diesem interkonfessionellen Gefüge der jüdische Anteil der Kinder- und Säuglingspflege gestaltete. Hier sei angemerkt, dass bislang keine Informationen zu einer maßgeblichen Beteiligung von Stifterinnen und Stiftern katholischen Glaubens vorliegen – möglicherweise ein Resultat der damaligen stark protestantischen Ausrichtung der Stadt Frankfurt am Main wie auch der im 19. Jahrhundert in Deutschland voranschreitenden Entwicklung und Modernisierung der deutschen Diakonie gegenüber der katholischen Caritas (lateinisch: ,Nächstenliebe‘). ,Diakonie‘, griechisch: ,Dienst‘ (am Menschen), beschreibt das Leitmotiv des evangelischen Arztes Theobald Christ, welcher testamentarisch den Aufbau des ersten Kinderhospitals in Frankfurt am Main verfügte. Zur Seite stand ihm sein Kollege und Freund Salomon Stiebel, jüdisch geboren und zum Protestantismus übergetreten.

Für die Stifterin Louise von Rothschild verband sich das bereits in der hebräischen Bibel angelegte Werk der Nächstenliebe (Gemilut Chessed), hier in Gestalt des drei Jahrzehnte später eröffneten, ebenfalls interkonfessionellen Clementine-Mädchen-Spitals, mit der Zedaka (Gerechtigkeit durch sozialen Ausgleich). Gemeinsam mit ihrer Tochter Clementine, der Namensgeberin, bekannten sich Louise und Mayer Carl von Rothschild zur liberal-reformerischen Richtung im Judentum. Hingegen standen Mayer Carls jüngerer Bruder Wilhelm Carl von Rothschild und seine Gattin Hannah Mathilde, die Stifterin des Frankfurter Rothschild‘schen Hospitals und Kinderhospitals der oppositionellen neo-orthodoxen Austrittsgemeinde ,Israelitische Religionsgesellschaft‘ nahe. Hier ist von Bedeutung, dass wie das liberale auch das orthodoxe Judentum trotz dessen primärer Ausrichtung auf die eigene Gemeinschaft, die sie neben dem Antisemitismus durch ,Assimilation‘, vermehrte Taufen und interkonfessionelle Ehen bedroht sah, die soziale Emanzipation der gesamten Menschheit im Blick hatte (und hat): „Die Förderung des Gemeinwohls für alle Menschen, ob Juden oder nicht, ist eines dieser universalistischen Postulate der jüdischen Religion“, betont der Frankfurter jüdische Historiker Arno Lustiger in seinem Vorwort Zum 125-jährigen Jubiläum des Clementine Kinderhospitals (ders. 2011: 12). Sollten doch die Mitzwot (religiös-jüdische Pflichten) Gemilut Chessed, Zedaka und Bikkur Cholim (Krankenbesuch, Krankenpflege) über die jüdische Gemeinde hinaus allen Notleidenden zugute kommen und die Weltgemeinschaft verbessern helfen. Bereits 1912 formulierte der neo-orthodoxe Kölner Rabbiner Benny (Benedikt Pinchas) Wolf (1875–1968, BHR: http://www.steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/bhr?id=2685 [derzeit nicht erreichbar, Stand: 21.02.2024]):

„Als wenn überhaupt von der universalistisch denkenden und kosmopolitisch wirkenden Bibel angenommen werden könnte, daß sie nur für [sic] die Gesundheit des kleinsten Völkchens besorgt wäre, die übrige Welt sie aber gar nichts anginge. Als wenn Gott, der Gesetzgeber der Bibel, nicht Vater aller Menschen wäre, der ,die ganze Welt in seiner Güte speist!‘“

(Wolf B. 1912: 5 [Hervorhebung im Original gesperrt])

In die Verwaltung und medizinische Leitung des Clementine-Mädchen-Spitals berief Louise von Rothschild mit Dr. Jakob de Bary ein Mitglied der calvinistisch geprägten Familie de Bary: Der reformierten Kirche zugehörig, hatte sie innerhalb des in Deutschland lutheranisch dominierten Protestantismus ebenfalls den Status einer Minderheit. Über alle hier hier nur kurz dargelegten religiösen Bekenntnisse hinweg einte die frühen Gestalter/innen des heutigen Clementine Kinderhospitals ein gemeinsames Ziel: die Sorge um bedürftige und kranke Kinder und Säuglinge – den Ärmsten der Armen.

Vorgeschichte: Salomon Stiebel, Theobald Christ und das Christ‘sche Kinderhospital

Dr. Christ‘sches Kinderhospital, Entbindungsanstalt, Postkarte zum Kinderhilfstag in Frankfurt a.M. am 18. Oktober 1904 – Nachweis: Otto Hövels u.a.: Festschrift zum 150-jährigen Jubiläum der Dr. Christ‘schen Stiftung 1845–1995. Gießen 1995: 36
Dr. Christ‘sches Kinderhospital, Entbindungsanstalt, Postkarte zum Kinderhilfstag in Frankfurt a.M. am 18. Oktober 1904 – Nachweis: Otto Hövels u.a.: Festschrift zum 150-jährigen Jubiläum der Dr. Christ‘schen Stiftung 1845–1995. Gießen 1995: 36

„Das Haus war vollendet und eingerichtet, bedeutende Ärzte des Vaterlandes und des Auslandes, die es sahen, hatten ihre Freude daran, und wir natürlich mit […]. […] allein nach Abzug der Vermöge [sic] der Testaments-Verfügung noch jährlich auszuzahlenden Renten und der Gehalte des Personals blieb so wenig für Krankenpflege übrig, dass wir Administratoren uns gegenseitig mit etwas traurigen Gesichtern ansahen […]. Nun war noch das erste angemeldete Kind 18 Monate alt, konnte daher nach der Testaments-Verfügung nicht zugelassen werden. Aber gerade dieses Ereignis war uns eine Weisung und richtete unseren Mut wieder auf. Den ersten Pflegling zurückweisen, das ging nicht; die Mittel für denselben wurden angeschafft, und es ward nun beschlossen im Vertrauen auf Gott und auf die Liebe der Menschen, ohne Rücksicht auf Alter, alles aufzunehmen, was hilfsbedürftig wäre, natürlich immer mit Berücksichtigung der letzten Willensmeinung des Stifters, die Zinsen des Christ‘schen Capitals nur für Kinder von 4-12 Jahren zu verwenden.“

Rechenschaftsbericht (1846 für das Jahr 1845, vgl. Hövels u.a. 1995: 51)

Zitiert wurde aus einem frühen Rechenschaftsbericht (1846 für das Jahr 1845, vgl. Hövels u.a. 1995: 51) für das Dr. Christ‘sche Kinderhospital, verfasst von Dr. Salomon Stiebel, leitender Arzt und Mitglied der Administration. Die Lektüre vermittelt einen lebendigen Eindruck von dem Mitgefühl und der Entschlossenheit der am Aufbau einer eigenen Kinder- und Säuglingspflege Beteiligten. Frankfurts erstes Kinderkrankenhaus hatte seine Pforten im Jahr 1845 geöffnet – drei Jahrzehnte vor Louise von Rothschilds Clementine-Mädchen-Spital. Erbaut wurde es am heutigen Standort Theobald-Christ-Straße 16 des Clementine Kinderhospitals; die Straße trägt den Namen des Stifters. Den finanziellen Verhältnissen geschuldet, hatte Theobald Christ testamentarisch die Aufnahme von Kindern zwischen vier und zwölf Jahren verfügt – eine Regel, die Dr. Stiebel und seine Mit-Administratoren um der Nächstenliebe willen ,missachteten‘ und damit sehr wahrscheinlich im Sinne des Stifters handelten. Mit Erfolg: Zusätzliche Spenden trafen ein, die die Aufhebung der Altersgrenzen für das Jahr 1845 sicherten; viele weitere Zuwendungen und Zustiftungen durch Angehörige der Frankfurter Patrizierfamilien wie den Neufvilles oder den Bethmanns folgten (Hövels 1995). Für das Jahr 1849 ist als Unterstützerin auch eine „Baronin Charlotte Anselm von Rothschild“ genannt (ebd.: 53): Charlotte von Rothschild (1807–1859, Londoner Zweig), Gattin des gebürtigen Frankfurters Anselm Salomon Freiherr von Rothschild (Wiener Zweig) – und zugleich die Schwester und die Mutter der beiden Kinderhospital-Stifterinnen Louise und Hannah Mathilde von Rothschild (The Rothschild Archive: https://www.rothschildarchive.org [21.02.2024]).

Sohn eines evangelischen Kantors: Dr. Theobald Christ

Theobald Christ, ohne Jahr – Nachweis: Festschrift zum 150-jährigen Jubiläum des Clementine Kinderhospitals – Dr. Christ‘sche Stiftung 1845–1995: 22 / Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dr_med_johann_theobald_christ_1777-1841.jpeg [21.02.2024]
Theobald Christ, ohne Jahr – Nachweis: Festschrift zum 150-jährigen Jubiläum des Clementine Kinderhospitals – Dr. Christ‘sche Stiftung 1845–1995: 22 / Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dr_med_johann_theobald_christ_1777-1841.jpeg [21.02.2024]

Dr. Johann Theobald Christ (1777–1841) wuchs in Frankfurt als Sohn des Kantors der evangelischen Sankt-Katharinen-Kirche auf (Hock 2020a, s. auch Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Theobald_Christ [21.02.2024]). Der engagierte und vielbeschäftigte Arzt war auch als Geburtshelfer sowie Ausbilder von Hebammen gefragt. Leider zog er sich berufsbedingt ein Rückenmarksleiden, zunehmende Lähmungserscheinungen banden ihn zuletzt an den Rollstuhl. Dr. Christ galt als sehr kinderlieb, war jedoch selbst zeitlebens unverheiratet und ohne eigene Nachkommen geblieben.

Geboren Im Judenghetto: Dr. Salomon Stiebel

Durch ihr gemeinsames Projekt ,Dr. Christ‘sches Kinderhospital‘ wurden mit Theobald Christ und Salomon Stiebel zwei erfahrene Mediziner und enge Freunde zu ,Vätern‘ der Frankfurter stationären Kinderkrankenversorgung. Dr. Salomon (Salomo) Friedrich Stiebel (1792–1868) hatte einen gänzlichen anderen Start in Leben erfahren als sein Mitstreiter, wurde er doch in die ärmlichen und beengten Verhältnisse des Frankfurter Judenghettos hineingeboren. Erst nachdem ihr Wohnhaus „bei der französischen Belagerung der Stadt im Juli 1796 abgebrannt war, zog die Familie in die Gelnhäuser Gasse außerhalb des Ghettos. Bis zu seinem achten Lebensjahr erhielt S. keine schulische Ausbildung: Das einzige Buch, das er besaß, war eine hebräische Bibel, die er zu lesen und mündlich ins Deutsche zu übersetzen gelehrt wurde“ (Hock 2021a, s. auch Arnsberg 1983 Bd. 1: 499-501; Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Salomon_Friedrich_Stiebel [21.02.2024]).

Neben Lernleidenschaft und vielseitiger Begabung zeichneten Salomon Stiebel Energie, Tatkraft und eine gehörige Portion Abenteuerlust aus. 1813/14 kämpfte er als „Feldwebel Bär“ in den Befreiungskriegen und diente zuletzt als Bataillonsarzt der Königlich Preußischen Armee. Zurück in Frankfurt, setzte er seine medizinische Laufbahn fort und erhielt „den Posten des dritten Arztes am Israelitischen Krankenhaus, wo er für Chirurgie und Augenheilkunde zuständig war“ (Hock 2021a). 1817 übernahm er die Arztpraxis von Dr. Seligmann Joseph Oppenheimer und wurde zudem als Leiter der Chirurgischen Abteilung des alten israelitischen Fremdenhospitals am Völckerschen Bleichgarten (Vorläufer des Israelitischen Gemeindehospitals) fest angestellt. Trotz des Antisemitismus fühlte sich Salomon Stiebel offenbar neben dem jüdischen auch in seinem christlichen Umfeld zuhause und genoss hier wie dort hohes Ansehen. 1817 wurde er „– als einziger Jude unter den 32 Stiftungsmitgliedern – an der Gründung der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft beteiligt“ (Hock 2021a) und stand ihr später zeitweise als Direktor vor.

Grabdenkmal von Salomon (Salomo) Friedrich Stiebel auf dem Hauptfriedhof Frankfurt am Main, Teilabbildung (Porträt), 2015 – Fotograf: Karsten Ratzke, 2015, Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Frankfurt,_Hauptfriedhof,_Grab_E_adM_415-417_Reiss-Stiebel,_Salomon_Friedrich_Stiebel_(1).JPG [21.02.2024]
Grabdenkmal von Salomon (Salomo) Friedrich Stiebel auf dem Hauptfriedhof Frankfurt am Main, Teilabbildung (Porträt), 2015 – Fotograf: Karsten Ratzke, 2015, Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Frankfurt,_Hauptfriedhof,_Grab_E_adM_415-417_Reiss-Stiebel,_Salomon_Friedrich_Stiebel_(1).JPG [21.02.2024]

Obwohl sie beide aus alteingesessenen Frankfurter jüdischen Familien stammten, trat der 35-jährige Salomon Stiebel, möglicherweise angeregt durch das Beispiel des ihm persönlich bekannten Journalisten Ludwig Börne, 1828 gemeinsam mit seiner Frau Röschen geb. Ochs zum evangelisch-lutherischen Glauben über; er erhielt den Taufnamen ,Friedrich‘. Ein 1824 erlassener Senatsbeschluss, der den in Frankfurt am Main zugelassenen Ärzten die Behandlung von Kranken aller Konfessionen erlaubte, ermöglichte ihm, die Leitungstätigkeit am Israelitischen Hospital auch als Christ fortzusetzen. Dr. Stiebel erlangte erst mit der Konversion und nach dem Ablegen des Bürgereids die uneingeschränkten Rechte eines Frankfurter Stadtbürgers und eröffnete zugleich seinen ebenfalls getauften Kindern Sophie und Fritz alle Möglichkeiten der gesellschaftlichen Partizipation. Jetzt konnte er politische Ämter bekleiden und gehörte zwischen 1832 und 1847 mehrfach der Gesetzgebenden Versammlung der Stadt an, u.a. „gestaltete er etwa eine neue Medizinalordnung für Ffm. federführend mit“ (Hock 2021a.). Als Hausarzt sowie in seiner Praxis behandelte er bekannte Frankfurter Persönlichkeiten wie Ludwig Börne, Friedrich Stoltze, die Brentanos und den berühmten Philosophen Arthur Schopenhauer – ebenso Gudula Rothschild, die Stammmutter der Bankiersdynastie, und weitere Mitglieder der Rothschild-Familie. Hier treffen wir auch wieder auf Dr. Theobald Christ, der wie andere Arztkollegen Dr. Stiebels medizinischen Rat suchte.

An der Realisierung des ersten Frankfurter Kinderkrankenhauses hatte Salomon Stiebel entscheidenden Anteil: Nachhaltig unterstützte und ermunterte er seinen gesundheitlich geschwächten und alleinstehenden Freund in dessen Vorhaben, Grundbesitz und Vermögen (rund 150.000 Gulden) der Stadt Frankfurt am Main zu vermachen – unter der Auflage, ein Kinderkrankenhaus für Mädchen und Jungen zwischen vier und zwölf Jahren zu erbauen (Hövels u.a. 1995: 24f.). Nach Theobald Christs Tod trat die Stiftung 1841 in Kraft; seinen Vertrauten Salomon Stiebel hatte Dr. Christ selbst noch testamentarisch zum Chefarzt und Leiter der Stiftungsadministration bestimmt. Dr. Stiebel verantwortete die Errichtung des Kinderkrankenhauses, besichtigte hierzu die bereits bestehenden Kinderkliniken in Berlin, Dresden, Paris, Prag und Wien, beteiligte sich an der Planung des Neubaus und überwachte die Bauausführung. Das am 14. Januar 1845 mit anfangs 50 Betten eröffnete Dr. Christ‘sche Kinderhospital leitete er als Hospitalarzt bis 1853. Verbunden mit der ebenfalls von Theobald Christ verfügten Erweiterung des Kinderhospitals um ein Entbindungshaus für bedürftige Frauen mit Frankfurter Heimatrecht, ermöglicht mit Hilfe der Mühlen‘schen Stiftung und der Raphael-Strauß-Stiftung, übertrug Salomon Stiebel die Leitung an seinen Sohn Fritz. Dr. med. Friedrich Julius „Fritz“ Stiebel (1824–1902), jüdisch geboren und als zweijähriges Kind noch vor seinen Eltern evangelisch-lutherisch getauft, hatte in die ebenfalls vom Judentum zum Protestantismus konvertierte Familie Reiß eingeheiratet. In der Folge stammten die geschäftsführenden Administratoren aus den Familienverbänden Stiebel und Reiß; die weiblichen weiblichen Familienmitglieder amtierten als ,Schutzfrauen‘ der Einrichtung. Fritz Stiebel praktizierte seit 1847/48 als praktischer Arzt, Chirurg und Geburtshelfer in Frankfurt am Main; 1850 wurde er Assistenzarzt am Dr. Christ‘schen Kinderhospital (Hock 2020c). Hier sei angemerkt, dass Salomon Stiebel seine Stelle als leitender Arzt der Chirurgie am Israelitischen Gemeindehospital erst 1857 aufgab und der Institution danach als konsultierender Arzt (Belegarzt) erhalten blieb. Den Vorsitz der Stiftungsadministration des Dr. Christ‘schen Kinderhospitals führte Salomon Stiebel bis zu seinem Tod im Jahr 1868. Unermüdlich warb er um Spenden, verfasste in seinen Jahresberichten Beiträge zur Gesundheitspflege für Eltern und andere interessierte Laien und unterstützte die Ausbildung angehender Kinderärzte durch eigene Vorlesungen in der Klinik.

Zeitlebens war Salomon Stiebel notleidenden Kindern und Säuglingen ein treuer Freund, Helfer und Retter. Er hat die ersten Frankfurter Kinderkrippen mitbegründet und bereits 1851 eine „Säuglingszuflucht“ gefordert; 1853 und 1862 entstanden Kinderkrippen in der Innenstadt sowie im Stadtteil Sachsenhausen (Hock 2021a). Zudem hinterließ er zahlreiche Schriften und Fachaufsätze, darunter Beiträge in den Jahresberichten des Dr. Christ‘schen Kinderhospitals wie Das Lager der Kinder (1854), Skizzen zur Gehirn-Diätetik der Säuglinge (1855), Die armen Kostkinder (1858), Einführung von Schwimmfreischulen für wenig bemittelte weibliche Jugend (1859), Anklage wegen der verkommenen Kinder, die im Hospital sterben (1860) oder Warum die Säuglinge schreien“ (1867) (ebd.).

Grabdenkmal von Salomon (Salomo) Friedrich Stiebel auf dem Hauptfriedhof Frankfurt am Main, Teilabbildung (Grabinschrift) – Fotografin: Dr. Birgit Seemann, 2011 (Neubearbeitung 2022)
Grabdenkmal von Salomon (Salomo) Friedrich Stiebel auf dem Hauptfriedhof Frankfurt am Main, Teilabbildung (Grabinschrift) – Fotografin: Dr. Birgit Seemann, 2011 (Neubearbeitung 2022)

Es ist wohl keine Übertreibung, Salomon Stiebel als den eigentlichen Begründer der Frankfurter medizinischen und pflegerischen Kinder- und Säuglingsheilkunde zu bezeichnen. Der arme Junge aus dem Frankfurter Judenghetto war zu einem allseits geachteten und beliebten Frankfurter Stadtbürger aufgestiegen, der den Rang eines Herzoglich Nassauischen Geheimen Hofrats bekleidete, aber seine Herkunft nie vergaß. Als Dr. Stiebel 1868 mit 76 Jahren einer Lungenentzündung erlag, war die Anteilnahme überwältigend: „Bei dem Trauerzug zu seiner Beerdigung auf dem Hauptfriedhof waren die Straßen dicht gesäumt von so vielen Menschen […]“ (ebd.). Das Grabmal „Salomo Friedrich Stiebel“ trägt die Inschrift:

„Mitkämpfer für des Vaterlandes Freiheit,/
unermüdlicher Forscher und Arzt,/
weiser und gemüthvoller Pfleger der Kinderwelt.“

(Grabinschrift)

Ein „Spitälchen“ für arme Frankfurter Kinder

Neben Salomon und Fritz Stiebel seien von den vielen namhaften Medizinern am Dr. Christ‘schen Kinderhospital beispielhaft die Chefärzte Dr. med. Carl Lorey (1840–1888) und der Chirurg Sanitätsrat Dr. med. Alexander Glöckler (1843–1908), beide evangelisch, genannt (Hock 2020d; s. auch Lorey/Glöckler 1888). Löblicherweise widmet sich die Festschrift zum 150-jährigen Jubiläum der Dr. Christ‘schen Stiftung (Hövels u.a. 1995) ebenso den in der Forschung oft vernachlässigten Pflegenden. Bei der Personalauswahl behielt Salomon Stiebel – wieder ganz im Sinne seines verstorbenen Mitstreiters Theobald Christ – neben der physischen auch die moralisch-ethische Versorgung der zumeist aus instabilen Verhältnissen stammenden Kinder im Blick. Anstelle der in den 1840er Jahren noch verbreiteten Beschäftigung von Dienstleuten ohne Pflegeausbildung setzte er von Beginn an auf Fachkräfte; sie waren wie Dr. Christ und Dr. Stiebel evangelisch-lutherischen Glaubens (eine professionelle jüdische Krankenpflege entstand erst seit den späten 1880er Jahren und mündete 1893 in den Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main, vgl. Steppe 1997). Dr. Stiebel konnte das Mutterhaus der dazumal in der Krankenpflege führenden, bis heute bestehenden Kaiserswerther Diakonie gewinnen (siehe einführend https://www.kaiserswerther-diakonie.de/de/startseite.html sowie Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Kaiserswerther_Diakonie [21.02.2024]): „Der Vertrag über die Einstellung von zwei Diakonissen wurde bereits 1843 mit Pastor Theodor Fliedner abgeschlossen. Er hatte 1836 das erste Diakonissenhaus Deutschlands in Kaiserswerth bei Düsseldorf gegründet“ (Hövels u.a. 1995: 61). Danach pflegten im Dr. Christ‘schen Kinderhospital die „Betheler Diakonissen“ des von Pastor Friedrich von Bodelschwingh in Bethel (bei Bielefeld) errichteten Mutterhauses, gefolgt von den „Zehlendorfer Schwestern“ vom Evangelischen Diakonieverein zu Zehlendorf, in der Lazarettzeit des Kinderhospitals von 1914 bis 1917 „die besten Soldatenpflegerinnen“ (ebd.: 63). Seit 1899 pflegten in einer von Evelyn von Neufville gestifteten „Zweiganstalt“ des Kinderhospitals – gelegen in der damaligen Forsthausstraße (Hans-Thoma-Straße) und seit 1919 direkt benachbart zum jüdischen Kinderhaus der Weiblichen Fürsorge e.V. – Diakonissen des Frankfurter Mutterhauses. Die Aufarbeitung dieser vielfältigen (hier: christlichen) Pflegegeschichte des Dr. Christ‘schen Kinderkrankenhauses bleibt weiteren Studien vorbehalten. Namentlich bekannt sind die Oberinnen Anna von Soden, Wilhelmine Geißler und Meta Beckmann (ebd.: 64).

In den Anfängen des Dr. Christ‘schen Kinderhospitals gab es noch keine eigene Ausbildung in der Kinder- und Säuglingskrankenpflege, doch sorgten die Schwestern aufopferungsvoll für ihre kleinen Patientinnen und Patienten. Diese litten häufig an Typhus, Scharlach, Diphtherie oder Lungentuberkulose, aber auch an „Auszehrung“. Gerade letztere löste bei Pflegenden wie Ärzten große Betroffenheit, wenn nicht Entsetzen aus. Die Sterblichkeit war hoch: „Man ließ unerwünschte Säuglinge, meist uneheliche Kinder, einfach verhungern. Selten taten dies die Mütter selbst, meist jedoch Kostfrauen, die als ,Engelmacherinnen‘ bekannt waren“ (Hövels u.a. 1995: 48). Die Kinderchirurgie führte zahlreiche durch Knochentuberkulose und Rachitis bedingte Operationen durch (ebd.: 49-50).

Das Dr. Christ‘sche Kinderhospital, in Frankfurt als das „Spitälchen“ bekannt, war rasch ein Teil der Stadtgesellschaft geworden. Nach Theobald Christs testamentarischem Willen stand es samt Zweigklinik und Entbindungshaus von Beginn an allen Religionen offen, doch ist über den jüdischen Anteil der dort gepflegten Kinder bislang nichts bekannt.

Zum Andenken an eine geliebte Tochter: das Clementine-Mädchen-Spital

Das Clementine-Mädchen-Spital nach dem 1899 erfolgten An- und Umbau (aus dem Bericht von Dr. Jakob de Bary, 1899) – Nachweis: UB JCS Ffm / Barbara Reschke: Full of talent and grace. Clementine von Rothschild 1845–1865, Frankfurt a.M. 2011: 28
Das Clementine-Mädchen-Spital nach dem 1899 erfolgten An- und Umbau (aus dem Bericht von Dr. Jakob de Bary, 1899) – Nachweis: UB JCS Ffm / Barbara Reschke: Full of talent and grace. Clementine von Rothschild 1845–1865, Frankfurt a.M. 2011: 28

Louise von Rothschild (1820–1894) gehörte dem liberalen Reformflügel der Frankfurter Israelitischen Muttergemeinde an, während ihre Schwägerin und Nichte Mathilde von Rothschild der neo-orthodoxen Austrittsgemeinde ,Israelitische Religionsgesellschaft‘ zuneigte. Louise, die Gattin von Mayer Carl, dem Seniorchef des Frankfurter Rothschild-Bankhauses, wurde bereits 1886 Witwe, Mathilde, verheiratet mit Mayer Carls jüngerem Bruder Wilhelm Carl, dem letzten Bankier des Frankfurter Rothschild-Zweigs, im Jahr 1901 (Arnsberg 1983 Bd 3.: 387-398). Zudem verlor jede von ihnen zwei Töchter: Louise trauerte um Clementine und um Hannah Louise, der Stifterin der Heilanstalt und Zahnklinik Carolinum, Mathilde um Georgine Sara, Namensgeberin des Rothschild’schen Hospitals, und Minna Caroline („Minka“) – alle vier waren Cousinen. Innerhalb des Judentums gingen Louise und Mathilde verschiedene Wege, doch einten sie neben der Rothschild‘schen Familiensolidarität ihre tiefe Verwurzelung in der Zedaka und der Wille zur Tat: Beide erwiesen sich als fähige und aktive Sozialmanagerinnen ihrer umfangreichen Stiftungsnetzwerke (s. auch Strobel 2003). Gemeinsam sorgten sie für die gleiche ,Zielgruppe‘: hilfsbedürftige, sozial benachteiligte und gefährdete Frauen und Mädchen – zugleich das Vermächtnis von Clementine, Georgine Sara und Minka, letztere die Stifterin eines heute noch bestehenden interkonfessionellen Wohnprojekts für bedürftige Frankfurter Seniorinnen. Hierbei ergab sich eine besondere ,Arbeitsteilung‘: Während Mathilde ihren Fokus auf bedürftige Glaubensgenossinnen legte, widmete sich Louise primär der interkonfessionellen Fürsorge. Dabei handelte sie ganz im Sinne Clementines, welche sich zu Lebzeiten intensiv mit den christlich-jüdischen Beziehungen und deren antisemitischer Deformierung beschäftigt hatte. Der Tod der erst Zwanzigjährigen im Jahr 1865 markierte zugleich einen Neuanfang: die Vorbereitung des nach ihr benannten Krankenhausprojekts ,Clementine-Mädchen-Spital‘. Im Unterschied zum evangelisch gestifteten Dr. Christ‘schen Kinderhospital handelte es sich hier um eine jüdische Gründung mit interkonfessioneller Ausrichtung und ohne christlichen Missionsgedanken.

Die Namenspatronin: Clementine von Rothschild

Full of talent and grace – voller Begabung und Anmut: Mit diesen Attributen hat sich die jung verstorbene Autorin und Namenspatronin des Clementine Kinderhospitals, Clementine Henriette von Rothschild (1845–1865, vgl. Reschke 2011; s. auch: ISG FFM: H.15.15 Nr. 1865-487; S2 Nr. 19473), in das Familiengedächtnis der aus Frankfurt am Main stammenden berühmten europäischen Rothschild-Dynastie eingeschrieben. So lautet auch der Titel des Erinnerungsbuches, das Barbara Reschke, promovierte Ärztin und bis 2011 Vorstandsvorsitzende der Clementine Kinderhospital – Dr. Christ‘schen Stiftung, im Jahr 2000 zum 125jährigen Jubiläum der Klinik für die Stiftung herausgab; 2011 folgte eine erweiterte Auflage (Reschke 2011).

Zu Lebzeiten hätte Clementine von Rothschild möglicherweise selbst Zuflucht in einem Mädchenhospital gesucht, einer Einrichtung, die es damals noch gab. Seit ihrer Kindheit litt sie an einer nicht genauer bezeichneten, offenbar in Schüben verlaufenden Krankheit, die sie häufig in die Sitzhaltung zwang. So entfaltete sie ihre Talente im Schreiben, Zeichnen und Malen. Schon frühzeitig soll sie Solidarität mit anderen Leidenden und der unerlösten Menschheit insgesamt gezeigt und, den eigenen Tod vor Augen, Projekte der Zedaka geplant haben. Fundierten Unterricht erhielt Clementine durch einen hochangesehenen, zugleich in den religiösen Richtungsstreit innerhalb des Frankfurter Judentums involvierten Reformrabbiner, welchen Louise und Mayer Carl von Rothschild gleichwohl als Hauslehrer ihrer Töchter schätzten: Dr. Leopold Stein (1810–1882, vgl. Arnsberg 1983 Bd. 3: 488-492; Weyel 1995; Wikipedia: Leopold Stein (Rabbiner) [21.02.2024]). Für den profunden und vielseitigen Gelehrten zählten die gemeinsamen Lehr- und Lernstunden mit seiner Lieblingsschülerin Clementine nach eigenem Bekenntnis zu den „weihevollsten meines ganzen Berufslebens“ (Stein 1865: 4; s. auch ders. 1867). Dank Rabbiner Steins Förderung hinterließ Clementine sogar ein eigenes Werk, das sie mit 16 Jahren begann und fast vollenden konnte.

Deckblatt: Clementine von Rothschild: Briefe an eine christliche Freundin über die Grundwahrheiten des Judenthums. Frankfurt a.M. 1867, Online-Ausgabe 2008: UB JCS Ffm, Judaica Frankfurt: https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/urn/urn:nbn:de:hebis:30-180010778003
Deckblatt: Clementine von Rothschild: Briefe an eine christliche Freundin über die Grundwahrheiten des Judenthums. Frankfurt a.M. 1867, Online-Ausgabe 2008: UB JCS Ffm, Judaica Frankfurt: https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/urn/urn:nbn:de:hebis:30-180010778003

„Da kam mir ein kleines vergilbtes Büchlein in die Hände, das zutiefst erfüllt ist von Wissen um unsere Väterreligion und von heißester Liebe zu ihr“, schrieb 1934, unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Verfolgung, Ella Seligmann (1867–1953) in ihrem Essay Ein vergessenes Buch. Briefe von Clementine von Rothschild (dies. 1934). Ella Seligmann war die Tochter des liberalen Frankfurter Rabbiners und späteren Hausseelsorgers Louise von Rothschilds, Dr. Rudolf Plaut (1843–1914), verheiratet mit dem liberalen Frankfurter Gemeinderabbiner Dr. Caesar Seligmann sowie führend in der Frauenvereinigung der Frankfurt-Loge des jüdischen Ordens B’nai B’rith (Gut 1928; Seemann 2023: Kapitel 5). Hier fand sie Trost durch Clementines posthum von Leopold Stein herausgegebenen Briefe an eine christliche Freundin über die Grundwahrheiten des Judenthums, 1883 erneut gedruckt und seit 2008 über die Judaica-Sammlung der Universitätsbibliothek JCS Frankfurt a.M. online zugänglich (Rothschild C. 1867; s. auch Teilabdruck in Reschke 2011). In neun Briefe-Kapiteln, die sie als „Esther Izates“ an eine (fiktive?) christliche Freundin „Ellen“ schrieb, reflektierte Clementine von Rothschild ihre Erfahrungen und Eindrücke im Austausch mit gebildeten christlichen Familien, die sie nach den Festen, Gebräuchen und Gepflogenheiten des Judentums befragten. Orientierung gab ihr neben der behutsamen pädagogischen Anleitung durch ihre Mutter Louise und dem intensiven Lernstudium bei Rabbiner Stein das Beispiel der von ihr bewunderten englisch-jüdischen Schriftstellerin: Grace Aguilar, welche 1847 in Frankfurt am Main verstarb und auf dem dortigen älteren Jüdischen Friedhof Rat-Beil-Straße beerdigt wurde (Jewish Women‘s Archive: https://jwa.org/encyclopedia/article/aguilar-grace; Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Grace_Aguilar [21.02.2024]). Clementines Briefe, das theologische Werk einer hochbegabten Jugendlichen (s. auch Kratz-Ritter 2011), können als eine Selbstvergewisserung gelesen werden, vor allem aber als Versuch, im Dialog mit der christlichen Umgebung antisemitische Vorurteile auszuräumen, das Judentum zu verteidigen und über seine Grundlagen aufzuklären.

Grabdenkmal (rechts) für Clementine von Rothschild auf dem Frankfurter Jüdischen Friedhof Rat-Beil-Straße, Fotografie von Carl Friedrich Mylius [1866] – Nachweis: Online-Ausgabe 2011: UB JCS Ffm, Judaica Frankfurt, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaicaffm/urn/urn:nbn:de:hebis:30:1-302996
Grabdenkmal (rechts) für Clementine von Rothschild auf dem Frankfurter Jüdischen Friedhof Rat-Beil-Straße, Fotografie von Carl Friedrich Mylius [1866] – Nachweis: Online-Ausgabe 2011: UB JCS Ffm, Judaica Frankfurt, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaicaffm/urn/urn:nbn:de:hebis:30:1-302996

Das zehnte Briefe-Kapitel konnte Clementine nicht mehr beenden: Ihr Zustand verschlechterte sich, und sie erlag am 18. Oktober 1865 im Kurort Baden-Baden erst 20-jährig ihrem chronischen Leiden. Wie ihr Vorbild Grace Aguilar fand sie ihre letzte Ruhestätte auf dem Frankfurter Jüdischen Friedhof Rat-Beil-Straße – direkt neben ihrer 1859 verstorbenen Tante Charlotte, Louises Schwester, welche uns bereits als „Baronin Charlotte Anselm von Rothschild“, Unterstützerin des Dr. Christ‘schen Kinderhospitals, begegnet ist (Hövels u.a. 1995: 53). Die ,abgebrochene‘ Säule von Clementines Grabdenkmal symbolisiert im Judentum den vorzeitigen Tod Heranwachsender, die ihr Leben nicht vollenden konnten. Bei der Abfassung ihres Werks hatte die junge Autorin krankheitsbedingt pausieren müssen. Das neunte und letzte Briefe-Kapitel datiert auf den 17. Februar 1865, der zehnte Brief „über die Lehre von der Gerechtigkeit, als Grundlage der Liebe im Judenthum“ (vgl. Vorwort von Leopold Stein in Rothschild C. 1867: IX-X) blieb Fragment.

Viele Jahre später fand Clementine von Rothschilds sechstes Briefe-Kapitel Messiaslehre (Frankfurt a.M., 30. Januar 1862) Aufnahme in die von George Y. Kohler, Professor für neuzeitliche jüdische Religionsphilosophie und Direktor des Joseph-Carlebach-Instituts an der Bar-Ilan-Universität zu Ramat Gan (Israel), 2014 edierte Aufsatzsammlung Der jüdische Messianismus im Zeitalter der Emanzipation – als einzige weibliche sowie die jüngste Autorin neben bekannten Gelehrten wie Salomon Formstecher, Samuel Hirsch, Samuel Holdheim oder Hermann Cohen, dem Begründer der philosophischen ,Marburger Schule‘ (Kohler 2014: 51-63; s. auch Brocke/Jobst (Hg.) 2011 u. 2015). Zitiert sei abschließend aus ihrem dritten Brief Alleinseligmachender Glaube (Frankfurt a.M., 5. August 1861) – treffender lassen sich die sozialethisch-jüdischen Bausteine des ihren Namen tragenden interkonfessionellen Mädchenhospitals kaum beschreiben:

„Ja, liebe Ellen, meine und ganz Israel‘s feste Hoffnung ist, daß, wie einst auf Erden alle Menschen Eine Familie bilden sollen, wir einst auch im Himmel mit allen Guten und Edlen vor Gott vereinigt sein werden. In unserem Talmud [Sammlung der Gesetze und religiösen Überlieferungen des Judentums, B.S.] heißt es deßhalb: ,Die Frommen aus allen Nationen haben Antheil an der künftigen Welt!‘ – Das gerade macht uns das Judenthum so überaus werth, daß es alle Menschen so innig, so wahrhaft einig umfaßt, und Niemanden verdammt noch ausschließt, weder aus dem Bunde Gottes noch aus dem Bunde der Menschen, weder im Himmel noch auf Erden.“

(Rothschild C. 1867: 26f. [Schreibweise nach Original, Hervorhebungen im Original gesperrt])

Die Stifterin: Louise von Rothschild

Louise von Rothschild, ohne Jahr [ca. 1880] – Nachweis: UB JCS Ffm, Judaica Frankfurt: https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaicaffm/urn/urn:nbn:de:hebis:30:1-300216
Louise von Rothschild, ohne Jahr [ca. 1880] – Nachweis: UB JCS Ffm, Judaica Frankfurt: https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaicaffm/urn/urn:nbn:de:hebis:30:1-300216

Clementines Mutter Louise von Rothschild blieb stets eine ,Engländerin‘, die sich in Frankfurt am Main, zu dessen engagiertesten Stifterinnen sie gleichwohl gehörte, nie ganz heimisch fühlte. Geboren wurde sie 1820 in London als die jüngste Tochter des Bankiers Nathan Mayer Rothschild (Londoner Familienzweig); Clementines Großvater war der dritte Sohn des Gründerpaares der Dynastie, Gutle und Mayer Amschel Rothschild, und noch im Frankfurter Judenghetto geboren. Wegen ihres vielfältigen Einsatzes für die Frankfurter Wohlfahrt und Pflege hat Louise von Rothschild Eingang in Hubert Kollings Biographisches Lexikon zur Pflegegeschichte gefunden (ders. 2011; s. auch Dörken 2008; Hock 2020b; Livingstone 2022; Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Louise_von_Rothschild [21.02.2024]).

Louise von Rothschild betätigte sich darüber hinaus als eine talentierte Malerin und Zeichnerin sowie ausgebildete Sängerin, doch galt ihre besondere Aufmerksamkeit der Erziehung und Bildung der sieben Töchter. Während Clementine (1845–1965), die Drittälteste, und die Carolinum-Gründerin Hannah Louise (1850–1892) unverheiratet blieben, heirateten ihre fünf Schwestern nach London und Paris. Nach dem Vorbild ihrer Mutter dort ebenfalls als Stifterinnen aktiv, hielten sie nach Louises Tod aber auch dem Frankfurter Stiftungswerk, wozu das Clementine-Mädchen-Spital gehörte, über viele Jahre finanziell die Treue – namentlich (Hock 2020b; s. auch Arnsberg 1983 Bd. 3: 388):
Adèle (Adele) „Addy“ Hannah Charlotte de Rothschild (1843–1922, vgl. Hock 2019);
Emma „Emmy“ Louise de Rothschild (1844–1935);
Laura Therese „Thesie“ de Rothschild (1847–1931);
Margaretha (später: Marguerite) „Margy“ Alexandrine de Gramont (1855–1905);
Bertha Clara (später: Berthe Claire) Berthier de Wagram (1862–1903).

Dass die ,Liberalen‘ entgegen orthodoxer Kritik keine Beliebigkeit an den Tag legten, sondern jüdische Frömmigkeit aus Reformperspektive praktizierten, zeigt sich auch bei Louise und Mayer Carl von Rothschild, welche bei aller interkonfessionellen Aufgeschlossenheit die Heiraten ihrer beiden jüngsten Töchter Marguerite und Berthe Claire mit Nichtjuden (katholischen Adligen) missbilligten. Hingegen setzten Adèle, Emma und Therese die Familientradition der Verwandtschaftsehen fort. Louise von Rothschild, selbst hochgebildet, erzog ihre sieben Töchter „zweisprachig und weltoffen“, sie durften „ihren vielfältigen Interessen und eigenen Vorlieben über das damals übliche Maß hinaus nachgehen“ (Hock 2020b). 1861 fungierte der Hausseelsorger des liberalen Rothschild-Zweigs, Rabbiner Leopold Stein, als Herausgeber der von ihm zuvor aus dem Englischen übertragenen Gedanken einer Mutter über biblische Texte. Reden an ihre Kinder (Rothschild L. 1861, 2. verm. Auflage 1885; s. auch Teilabdruck in Reschke 2011). Insbesondere in den Kapiteln Wohlthätigkeit und Nächstenliebe legt die Verfasserin Louise von Rothschild ihren Töchtern und dem Lesepublikum eindringlich die mit Menschenliebe verbundene jüdische Pflicht (Mitzwa) der materiell Begünstigten zum sozialen Ausgleich (Zedaka) ans Herz:

„Das Geld, welches uns so viele Bequemlichkeiten und Genüsse verschafft, ist sehr oft nicht durch unsere eigenen Anstrengungen, weder durch unser Talent noch durch unsern Fleiß, errungen worden. Gehört es demnach so ausschließlich uns? Sind wir befugt, es für uns allein zu behalten? Hat nicht der Arme ein Recht, daran Theil zu nehmen[?]“

(Rothschild L. 1861: 30 [Schreibweise nach Original, Hervorhebungen im Original gesperrt]; s. auch Reschke 2011: 65-71).

Was zerstrittene liberale und orthodoxe Richtungen im Judentum neben der religiösen und sozialethischen Überlieferung ebenfalls gemeinsam betraf – oder besser: traf – waren antisemitische Anfeindungen, die selbst nach der Shoah auch den heutigen Nachkommen der Rothschild-Dynastie nicht fremd sind. Bereits in den 1860er Jahren bewogen letztlich Unverständnis und Abwehr ihre Vorfahrin Clementine zur Niederschrift ihrer Briefe an eine christliche Freundin über die Grundwahrheiten des Judenthums, beschwor deren Mutter Louise voller Sorge Kaiser Wilhelm II. in einem Brief vom 29. März 1890, die Lage seiner „jüdischen Unterthanen in gnädige Erwägung ziehen und hierbei fremdem Vorurtheil und Uebelwollen keinen Einfluß gestatten zu wollen“ (zitiert nach Reschke 2011: 62 [Hervorhebungen im Original gesperrt]). Postwendend ließ der Kaiser antworten, dass alle Untertanen ungeachtet ihres Standes und religiösen Bekenntnisses unter seinem landesväterlichen „Wohlwollen“ und die jüdischen, sofern patriotisch, unter seinem Schutz stünden (vgl. ebd.: 63).

Louise von Rothschild verstarb am 12. Dezember 1894 in Frankfurt am Main und wurde unter großer Anteilnahme auf dem Jüdischen Friedhof Rat-Beil-Straße beerdigt (vgl. Zeitungsbericht in Reschke 2011: 63-64), wo bereits ihre Töchter Clementine und Hannah Louise ruhten. Die Grabrede hielt Dr. Rudolf Plaut (1843–1914, vgl. Hock 2021b), durch Louise von Rothschilds Empfehlung seit 1882 zweiter (liberaler) Rabbiner der Frankfurter Israelitischen Gemeinde an der Hauptsynagoge. Hier offenbart sich eine weitere persönliche Querverbindung, wirkte doch sein Sohn, der Dermatologe und SPD-Kommunalpolitiker Dr. med. Theodor Plaut (1874–1938), von 1923 bis 1933 als Administrator des Dr. Christ’schen Kinderhospitals und Entbindungshauses, bis ihn die Nationalsozialisten aus dem Amt vertrieben (Hövels u.a. 1995: 129-134; Hock 2021c); sein Name ist auf der Erinnerungstafel des Clementine Kinderhospitals eingraviert (Abbildung in Reschke 2011: 107). Kehren wir zurück zu seinem Vater Rabbiner Rudolf Plaut, welcher in seiner Gedächnis-Rede an Louise von Rothschilds Grab auch den Einsatz der Gründerin für ihr Clementine-Mädchen-Spital in bewegten Worten schilderte:

„In dem Kinderkrankenhause, welches sie zum Andenken an ein eigenes, frühvollendetes Kind errichtet hatte, waren die armen, kranken Kinder der Gegenstand ihrer rührendsten Fürsorge und Aufmerksamkeit. Da scheute die teilnahmsvolle und hingebungsvolle Frau selbst in den Jahren ihres Greisenalters keine Beschwerden und keine Unbilden des Wetters, um sich nach der fortschreitenden Genesung der kranken Kleinen selbst umzusehen und ihnen jede nur mögliche Hilfe und Erleichterung zu Teil werden zu lassen.“

(Plaut 1894: 5-6)

Die Erbinnen: Adèle de Rothschild und ihre Schwestern

Das Clementine-Mädchen-Spital, Bornheimer Landwehr 110, Juni 1910 – Aus der Fotosammlung von Gottfried Vömel, ISG FFM: Bestand S7Vö Nr. 1750 (Digitalisat veröffentlicht in: Arcinsys Hessen: https://arcinsys.hessen.de
Das Clementine-Mädchen-Spital, Bornheimer Landwehr 110, Juni 1910 – Aus der Fotosammlung von Gottfried Vömel, ISG FFM: Bestand S7Vö Nr. 1750 (Digitalisat veröffentlicht in: Arcinsys Hessen: https://arcinsys.hessen.de

„Dem Andenken des theuren Kindes/
widmete diese Staette/
zur Linderung von Leiden/
LOUISE VON ROTHSCHILD/
1875“

(Inschrift, zitiert nach Reschke 2011: 8)

Diese Inschrift findet sich unter einem Medaillon von Clementine von Rothschild, das aus dem 1943 zerstörten Gebäude des Kinderhospitals gerettet werden konnte – gemeinsam mit dem Medaillon, auf dem ihre Mutter Louise porträtiert ist (Reschke 2011: 6-7). Eröffnet wurde das Clementine-Mädchen-Spital am 15. November 1875 mit anfangs 18 Betten (16 Kranken- und zwei Reservebetten) – laut der Einweihungspredigt von Leopold Stein „im Hebräischen die Zahl des Lebens (,Chai‘)“ (Stein 1875: 4). Zuvor hatte Louise von Rothschild englische Fachleute zu Rate gezogen und sich am Vorbild eines „Pavillonsystems“ orientiert (Reschke 2011a: 26f.). Wie das orthodoxe Organ Der Israelit berichtet, trug das Spital

„die Aufschrift: ,Der Herr verwundet und verbindet,/ Er schlägt und seine Hände heilen.‘ […] Daß die Menschen-Freundlichkeit der Stifterin die Anstalt würdig und entsprechend ausrüsten werde, konnte man mit Sicherheit voraussetzen; aber selbst weitgehende Erwartungen sind übertroffen worden. Selbstverständlich ist allen Anforderungen der Heilkunde an Erwärmung, Ventilation und Desinfection nicht nur bezüglich der Kranken-Säle selbst, sondern des ganzen Hauses volle Rechnung getragen worden, und zwar nach dem Rath und selbst nach den Wünschen von den bedeutendsten Autoritäten der hygienischen Wissenschaften. Aber nicht nur allem Nothwendigen für die Pflege, auch dem Comfort der Leidenden ist überall Rücksicht geschenkt worden. […] Für die häusliche Verwaltung hat sich die Stifterin selbst die Ober-Aufsicht vorbehalten.“

(Clementine-Mädchen-Spital 1875 [Schreibweise nach Original])

Zugute kam das Spital bedürftigen Mädchen zwischen fünf und fünfzehn Jahren unabhängig von Stand, Religion sowie – anders als von Theobald Christ für sein Kinderhospital verfügt – der Ortsangehörigkeit; ob es für jüdische Patientinnen eine eigene koschere Versorgung gab, ist bislang ungeklärt. Für ihr Projekt hatte Louise von Rothschild die Stiftung ,Clementine Mädchenhospital‘ errichtet und ein 10.000 qm großes Grundstück an der Bornheimer Landwehr (Frankfurter Ostend) sowie 800.000 Goldmark zur Verfügung gestellt (Schiebler 1994a: 159). Eigens für die Klinik entstand inmitten einer Gartenlandschaft ein stattlicher Villenneubau (ISG FFM Bestand S8-1 Nr. 3272). Dass Louise von Rothschild bereits bei der Bauplanung finanzielle Großzügigkeit walten ließ, zeigt sich an der Wahl der ausführenden Architekten. Den Auftrag erteilte die Stiftung einem renommierten Erfolgsteam, das u.a. für das Frankfurter Diakonissenhaus und das Hotel ,Frankfurter Hof‘ verantwortlich zeichnete: Prof. Dr. h.c. Alfred Friedrich Bluntschli (1842–1930) aus Zürich und Carl Jonas Mylius (1839–1883) aus Frankfurt am Main (vgl. die Artikel von Sabine Hock und Reinhard Frost im Frankfurter Personenlexikon, Onlineausgabe: https://frankfurter-personenlexikon.de/node/1770 sowie https://frankfurter-personenlexikon.de/node/595 [21.02.2024]).

Adèle de Rothschild, um 1870, gemalt von Charles Louis Gratia – Nachweis: Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:La_Baronne_Salomon_de_Rotschild_-_Charles_Louis_Gratia.jpg
Adèle de Rothschild, um 1870, gemalt von Charles Louis Gratia – Nachweis: Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:La_Baronne_Salomon_de_Rotschild_-_Charles_Louis_Gratia.jpg

Die Erinnerung an das Clementine-Mädchen-Spital ist mit den Namen Clementine und Louise von Rothschilds verknüpft, doch verdanken sich Fortbestand, Entwicklung und Erfolg der stark frequentierten Klinik weiteren weiblichen Rothschilds: Nach Louise von Rothschilds Tod 1894 waren es ihre fünf noch lebenden Töchter mit Wohnsitz in London oder Paris, die sich für den letzten Willen ihrer Mutter engagierten und für die Stiftung mit Hilfe des Notars Dr. Eduard de Bary die Rechte einer juristischen Person beantragten; Kaiser Wilhelm II. erteilte die Genehmigung am 1. Februar 1896. Die Federführung lag in den Händen der Ältesten, Adèle de Rothschild (Hock 2019; Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Ad%C3%A8le_von_Rothschild [21.02.2024], unterstützt von ihren Schwestern Emma und Thérèse de Rothschild und möglicherweise mit Beteiligung der trotz nichtjüdischer Heiraten ebenfalls als Erbinnen eingesetzten jüngsten Schwestern Marguerite de Gramont und Berthe Claire de Wagram. Die zuverlässige Förderung – namentlich durch Adèle, Thérèse (beide Paris) und Emma de Rothschild (London) – ermöglichte den notwendigen weiteren Ausbau des Clementine-Mädchen-Spitals (s. auch ISG FFM: Bestand A.63.04 Nr. 362 u. Nr. 381). Hierüber informiert ein Bericht in der Frankfurter Zeitung vom 15. November 1899:

„Heute Vormittag wurde der Erweiterungsbau zu dem von Freifrau Karl [sic!] v. Rothschild [d.i. Louise von Rothschild, B.S.] als Andenken an ihre Tochter gestifteten Klementinen-Mädchenspital [sic!] am Bornheimer Landwehrweg eröffnet. […] Behandelt wurden bis jetzt in der Anstalt 2.313 Mädchen. Mehr als zwei Drittel davon wohnten in Frankfurt; die übrigen in der Umgegend; die Aufnahme erfolgt ohne Unterschied der Ortsangehörigkeit. Im Jahr 1895 wurden die früheren Bedingungen, nach denen nur Mädchen im Alter von 5 bis 15 [Jahren] Aufnahme finden sollten, dahin geändert, daß nunmehr das Alter auf 2 bis 15 Jahre festgesetzt wurde im Hinblick auf die große Zahl der Hilfesuchenden unter fünf Jahren. Zu einem Erweiterungs- und Umbau entschloß sich der Vorstand […] aus der Erwägung, daß es seit Jahren stets ganz belegt war und Aufnahmegesuche wegen Platzmangels oft abgelehnt werden mußten, sowie ferner aus dem Grunde, weil mancherlei Einrichtungen nicht mehr den Anforderungen der Jetztzeit entsprachen. Die Mittel waren durch Verkauf eines größeren Stückes der zu der Anstalt gehörigen Ländereien, die kaum einen Ertrag lieferten, vorhanden. […] die Arbeiten begannen im Juni 1898 und wurden Ende Oktober 1899 beendet. Die Form und Größe der neuen Säle entspricht genau denen des alten Hauses, sie haben bis 10 Meter Länge, 6 Meter Breite und 3,70 Meter Höhe und Raum für 8 bis 10 Betten. […] Freifrau James v. Rothschild hat für das Vestibül [repräsentative Eingangshalle, B.S.] die Marmorbüste der Gründerin gestiftet, die folgende Widmung trägt:
Luise [sic!] von Rothschild.
Helfend für Arme und Kranke zu sorgen, war im Leben ihr Ziel, ihre Freude,/
Ueber das Grab hinaus bleibt ihr Werk des liebevollen Sinnes dauerndes Denkmal.“

(Clementine-Mädchen-Spital 1899 [Hervorhebungen im Original gesperrt])

Ausführender Architekt war Friedrich Sander (1869–1939), welcher Aufnahme in die Edition Akteure des Neuen Frankfurt gefunden hat (Quiring 2016). Mit „Freifrau James v. Rothschild“ ist Adèle de Rothschild, seit 1862 verheiratet mit ihrem Pariser Großcousin Salomon James de Rothschild, gemeint. Nur zwei Jahre später verwitwet, hat sie mit ihrer kleinen Tochter Hélène des Öfteren ihre Familie in Frankfurt besucht. In Paris soll sie einen luxuriösen Lebensstil gepflegt haben, engagierte sich aber zugleich in der Zedaka sowie für Kunst und Bildung; tatkräftig stand sie dem Frankfurter Stiftungswerk ihrer Mutter und ihrer Schwester Hannah-Louise zur Seite. 1887 schenkte sie dem Frankfurter Städel Tischbeins berühmtes Gemälde Goethe in der Campagna di Roma. Das Clementine-Mädchen-Spital förderte Adèle de Rothschild zusammen mit ihren Schwestern

„lange (bis zur Hyperinflation zu Beginn der 1920er Jahre) mit hohen Spenden, angeblich im Gesamtbetrag von 750.000 Goldmark. Oft bedachte Adèle de R. weitere Stiftungen und Vereine ihrer Vaterstadt mit größeren Zuwendungen. In Paris setzte sie, ebenfalls zusammen mit ihrer Schwester Thérèse, das wohltätige Wirken ihrer Schwiegermutter Betty de R.[othschild] fort.“

(Hock 2019)

Als das letzte Förderjahr nennt Gerhard Schiebler (ders. 1994: 159) das Jahr 1921 – Adèle de Rothschild ist am 11. März 1922 in Paris verstorben. Ihre Tochter Hélène hatte sie wegen deren Heirat (1887) mit einem nichtjüdischen Adligen enterbt, weshalb ihr Nachlass an den Staat und weitere Institutionen in Frankreich überging. Vermutlich bemühten sich Adèles Schwestern Emma und Thérèse um die weitere Förderung, doch kam es 1928 inflationsbedingt zur Übergabe des Clementine-Mädchen-Spitals an den Vaterländischen Frauenverein vom Roten Kreuz (seit 1935: Krankenhaus Maingau vom Roten Kreuz), verbunden mit der Namensänderung in ,Clementine Kinderhospital‘. Fortan wurden Kinder beiderlei Geschlechts behandelt – nicht mehr kostenfrei, sondern gegen die Entrichtung eines Pflegegelds; ein Freibett sollte an die Stifterin Louise von Rothschild erinnern. Der nationalsozialistische Machtantritt markierte zugleich das Ende des interkonfessionellen Anliegens des Clementine Kinderhospitals: Das Andenken an die jüdischen Stifterinnen wurde ausgelöscht, als ,nichtarisch‘ klassifizierten Kindern im Sog der ,Nürnberger Rassengesetze‘ (1935) die Aufnahme verweigert. Bereits 1934 war Professor Paul Grosser, der hochangesehene Chefarzt und Direktor des Clementine Kinderhospitals, von den Nationalsozialisten vertrieben, im französischen Exil einem Herzinfarkt erlegen (Hoevels u.a. 1995: 120-128; Hock 2021d).

Hüter/innen des Hauses: Familie de Bary, Großherzogin Luise und der Badische Frauenverein

Als den ersten Chefarzt und Leiter der Administration des Clementine-Mädchen-Spitals berief Louise von Rothschild 1875 den Hausarzt der Familie Rothschild: Geheimer Sanitätsrat Dr. med. Johann Jakob de Bary (1840–1915, vgl. Hock 1986a), welcher sich auch als Kommunalpolitiker (von 1883 bis 1912 Stadtverordneter für die Fortschrittspartei) einen Namen machte. Über Generationen waren die de Barys mit dem liberalen Zweig der Frankfurter Rothschilds und seinen Sozial- und Pflegeprojekten, insbesondere dem Clementine-Mädchen-Spital und der Heilanstalt und Zahnklinik Carolinum, eng verbunden. So unterstützte Luise (Louise Caroline) de Bary (1875–1964), die langjährige Oberin des Carolinum, ihren Vater Jakob de Bary im Clementine-Mädchen-Spital (Windecker 1990: 170 mit Abb.: https://www.uni-frankfurt.de/71289964/Stiftung_Carolinum.pdf [21.02.2024]). Die Familie de Bary war nichtjüdisch und konnte somit beide Institutionen durch die NS-Zeit retten. Ihre Vorfahren waren nach bisheriger Kenntnis im 17. Jahrhundert als calvinistische Glaubensflüchtlinge aus dem belgischen Teil der damaligen „Spanischen Niederlande“ nach Frankfurt am Main zugewandert und dort zu Wohlstand und Ansehen gelangt (Hock 1986c); als ,Reformierte‘ gehörten sie innerhalb des in Frankfurt lutheranisch dominierten Protestantismus zu einer Minderheit. Dem Chefarzt Dr. Jakob de Bary verdanken wir detaillierte Berichte zur Ausstattung und Inneneinrichtung des Clementine-Mädchen-Spitals (z.B. Bary J. 1899; s. auch Schembs 1978: 134) wie auch zum Kranken- und Pflegestand: So versorgte die Mädchenklinik im Jahr 1887 trotz Unterbrechungen durch Renovierungsarbeiten 82 Patientinnen, wobei der kürzeste Aufenthalt 6 Tage, der längste 286 Tage betrug. Am häufigsten wurden Bewegungsorgane (Muskeln, Gelenke, Knochen) behandelt, gefolgt von Atemwegserkrankungen wie Bronchitis (Bary J. 1888: 169-171).

Clementine-Mädchen-Spital: Maßzeichnung eines Betttischchens mit Schrank für Nachttopf (aus dem Bericht von Dr. Jakob de Bary, März 1877) – Nachweis: Jakob de Bary: Clementine-Mädchen-Spital. 1875–1899. Frankfurt a.M. 1899 (s. auch Barbara Reschke: Full of talent and grace, Frankfurt a.M. 2011: 101)
Clementine-Mädchen-Spital: Maßzeichnung eines Betttischchens mit Schrank für Nachttopf (aus dem Bericht von Dr. Jakob de Bary, März 1877) – Nachweis: Jakob de Bary: Clementine-Mädchen-Spital. 1875–1899. Frankfurt a.M. 1899 (s. auch Barbara Reschke: Full of talent and grace, Frankfurt a.M. 2011: 101)

Den väterlichen Fußstapfen folgte von 1912 bis 1928 als Chefarzt der gleichfalls angesehene, gut vernetzte Mediziner und Kommunalpolitiker (1924–1933 Stadtverordneter für die Deutsche Volkspartei) Dr. med. Dr. med. dent. h.c. August Georg Ludwig de Bary (1874–1954), seit 1902 praktischer Arzt am Clementine-Mädchen-Spital (Hock 1986b; s. auch ISG FFM Bestand S2 Nr. 594). Von 1915 bis 1953 trat er im Vorstand des Carolinum ebenfalls die Nachfolge seines Vaters an (seit 1944 als Vorsitzender). Von 1933 bis 1953 fungierte er als Betriebsleiter des Bürgerhospitals. Von seinen zahlreichen Ämtern und Leitungsfunktionen sei aus der Sicht der Pflege noch die Vorstandstätigkeit für das Frankfurter Diakonissenhaus sowie den Vaterländischen Frauenverein erwähnt; für letzteren war er von 1904 bis 1921 als Hausarzt und Schwesternlehrer tätig.

August de Bary, Gemälde (Öl auf Leinwand) von Rudolf Gudden, 1929 – Dr. Senckenbergische Portraitsammlung: https://www.senckenbergische-portraitsammlung.de / Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bary_August_de.jpg
August de Bary, Gemälde (Öl auf Leinwand) von Rudolf Gudden, 1929 – Dr. Senckenbergische Portraitsammlung: https://www.senckenbergische-portraitsammlung.de / Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bary_August_de.jpg

Sein komplexes Handeln unter den Bedingungen der NS-Zeit bleibt auch im Hinblick auf die Rothschild-Stiftungen noch eingehender zu untersuchen. In der Nachkriegszeit wirkte August de Bary von 1948 bis 1952 als ehrenamtlicher Stadtrat; 1953 erhielt er das Bundesverdienstkreuz. 1954 wurde er Ehrensenator der Frankfurter Universität und zudem für seine vielfältigen Verdienste um die Stadt Träger der Goethe-Plakette. Noch im gleichen Jahr ist er verstorben.

Die Schirmherrin Großherzogin Luise von Baden, 1880 – Nachweis: Hoffotograf: Wilhelm Kuntzemüller (1845–1918), Baden-Baden. Reproduktion: Günter Josef Radig, Stadtwiki Karlsruhe: https://ka.stadtwiki.net/Datei:Gro%C3%9Fherzogin_Luise_1880.JPG
Die Schirmherrin Großherzogin Luise von Baden, 1880 – Nachweis: Hoffotograf: Wilhelm Kuntzemüller (1845–1918), Baden-Baden. Reproduktion: Günter Josef Radig, Stadtwiki Karlsruhe: https://ka.stadtwiki.net/Datei:Gro%C3%9Fherzogin_Luise_1880.JPG

Wie das Dr. Christ‘sche Kinderhospital hat auch das Clementine-Mädchen-Spital neben seiner noch weiter zu recherchierenden Medizingeschichte eine nicht minder beeindruckende Pflegegeschichte vorzuweisen, interkonfessionell geprägt wie das Spital selbst. Konnte doch die Gründerin Louise von Rothschild die Großherzogin von Baden als „Protektorin“ (Schirmherrin) und den von ihr errichteten Badischen Frauenverein als Organisator der Pflege des immerhin außerhalb Badens gelegenen Frankfurter Mädchenkrankenhauses gewinnen. So heißt es in dem Bricht über die Eröffnung des Erweiterungsbaus im November 1899: „Die Protektorin der Anstalt, die Großherzogin von Baden, sei leider verhindert, der Feier beizuwohnen […]. Frau Bürgermeister Lauter – Karlsruhe überbrachte Grüße der Großherzogin von Baden sowie des badischen Frauenvereins, dessen Schwestern die Leitung und Pflege in der Anstalt obliegt“ (Clementine-Mädchen-Spital 1899 [Hervorhebungen im Original gesperrt]).

Großherzogin Luise von Baden (1838–1923), eine geborene Prinzessin von Preußen, war die Tochter des Deutschen Kaisers Wilhelm I. (einführend Wikipedia: Luise von Preußen (1838–1923) [21.02.2024]). Louise von Rothschilds sozialethischer Gesinnung stand die fürstliche „Menschenfreundin“ (zit. n. Hindenlang 1925) mit ihrem Einsatz für Wohlfahrt, Krankenpflege und Frauenrechte recht nahe. Bereits als Neunzehnjährige legte sie die Grundlagen für die Errichtung (1859) des traditionsreichen Badischen Frauenvereins (Schraut 2012; Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Badischer_Frauenverein [21.02.2024]), der eine hohe Mitgliederzahl erreichte und innovative Einrichtungen der Pflege schuf (Badische Schwestern: https://drk-badische-schwesternschaft.de/ueber-uns/geschichte [21.02.2024]). Verbindung zu der Großherzogin und dem Frauenverein fand Louise von Rothschild möglicherweise über die Lazarettpflege während des Deutsch-Französischen Krieges (1870/71): Mit der ihr eigenen Tatkraft hatte sie in der Frankfurter Hafenstraße für verwundete Soldaten ein privates Lazarett mit 30 Betten organisiert, „das sie und ihre Töchter täglich besuchten“ (Hock 2020b). Für ihre Verdienste um die Kranken- und Verwundetenpflege wurde Louise von Rothschild mit dem höchsten ,Damenorden‘ des Königreiches Preußen, dem Königlich Preußischen Louisenorden, ausgezeichnet – verliehen von Kaiserin Augusta, der Mutter Luise von Badens. Auch Louises Tochter Adèle de Rothschild wird als Trägerin des Louisenordens genannt (vgl. Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Kategorie:Tr%C3%A4gerin_des_Louisenordens [21.02.2024]).

Bei der im Bericht über die Erweiterung des Clementine-Mädchen-Spitals erwähnten „Frau Bürgermeister Lauter“ – sie übermittelte bei der Frankfurter Eröffnungsfeier die Grüße der Großherzogin Luise – handelt es sich um Anna Lauter (1847–1926, einführend Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Anna_Lauter [21.02.2024]). Die Witwe des früheren Karlsruher Oberbürgermeisters Wilhelm Lauter war von 1899 bis zu ihrem Tod 1926 Präsidentin der u.a. für die Ausbildung des Pflegepersonals zuständigen „Abteilung III“ des Badischen Frauenvereins vom Roten Kreuz (Badische Schwesternschaft: Festschrift 1960: 8).

Erinnerungstafel am Gebäude des Badischen Frauenverein in Karlsruhe, Mathystraße 28 – Fotografin: Ah (Anke Hüper, Karlsruhe), 15.10.2005, Stadtwiki Karlruhe: https://ka.stadtwiki.net/Datei:Badischer_Frauenverein.jpg [Creative Commons-Lizenz / letzter Aufruf: 21.02.2024]
Erinnerungstafel am Gebäude des Badischen Frauenverein in Karlsruhe, Mathystraße 28 – Fotografin: Ah (Anke Hüper, Karlsruhe), 15.10.2005, Stadtwiki Karlruhe: https://ka.stadtwiki.net/Datei:Badischer_Frauenverein.jpg [Creative Commons-Lizenz / letzter Aufruf: 21.02.2024]

Die spannende Geschichte der bis heute aktiven Badischen Schwesternschaft vom Roten Kreuz – Luisenschwestern – e.V. zu Karlsruhe, der ältesten Rotkreuzinstitution in Deutschland, ist auf der mit Dokumenten und Abbildungen angereicherten Internetseite https://drk-badische-schwesternschaft.de [21.02.2024] nachzulesen. Hier seien noch einige Hinweise, etwa zur interkonfessionellen Ausrichtung, gegeben: So gehörte zum ersten Komitee des ursprünglichen Trägers der Schwesternschaft, dem Badischen Frauenverein, mit Ida Weill geb. Henle (1833–1915) auch eine jüdische Karlsruherin (Badische Schwesternschaft: Statuten des Badischen Frauenvereins vom 06.06.1859). Bereits „1860 wurden Ordensschwestern des Vinzentiushauses und Diakonissen der Diakonissenanstalt in Karlsruhe die ersten praktischen Lehrmeisterinnen der so genannten Lehrwärterinnen“ (zit. n. Badische Schwesternschaft: Festschrift 2009: 2). Im Kontext der voranschreitenden Professionalisierung der Pflege ermöglichte seit 1894 eine so genannte „Sonderausbildung“ den Badischen Schwestern die Weiterqualifikation zur Hebamme oder zur Säuglings- und Kinderkrankenpflegerin (ebd.: 11) – Kenntnisse, die vermutlich auch dem Clementine-Mädchen-Spital zugutekamen. Dessen „Oberin war im Jahre 1883 E. Lölling“ (Schiebler 1994: 159). Hier könnte die weitere biografische Spurensuche einsetzen.

Obgleich von den nachhaltigen Folgen der Shoah unmittelbar betroffen, erbaute die Rothschild‘sche Stiftung, nach der nationalsozialistischen Zwangsenteignung wieder in ihre Rechte eingesetzt, im Jahr 1954 gemeinsam mit der Christ‘schen Stiftung ein neues Kinderkrankenhaus. Die fortgesetzte Tradition der interkonfessionellen Zusammenarbeit mündete 1974 in eine gemeinsame Clementine Kinderhospital – Dr. Christ‘sche Stiftung, die bis 2008 bestand. 2009 fusionierte sie mit der Stiftung ,Bürgerhospital Frankfurt am Main e.V.‘ unter dem Dach des ,Verein Frankfurter Stiftungskrankenhäuser e.V.‘ – seit 2014 die gemeinnützige Gesellschaft ‚Bürgerhospital und Clementine Kinderhospital gGmbH‘. Die beiden so eng verschwisterten Krankenhäuser haben ihre Eigenständigkeit und ihr Geschichtsbewusstsein bewahrt; eine geplante räumliche Nachbarschaft kam aus finanziellen Gründen nicht zustande (Micksch 2023). Wie eingangs erwähnt, ist die Historie des Bürgerhospitals (Bauer 2004; einführend https://www.buergerhospital-ffm.de/das-buergerhospital/geschichte; s. auch Trautsch 2020 [21.02.2024]) mit dem Namen eines weiteren großen Frankfurters verbunden: dem Gründer Dr. Johann Christian Senckenberg (1707–1772), Arzt, Naturforscher, Mäzen und ein Reformer des Frankfurter Gesundheitswesens (Dr. Senckenbergische Stiftung: https://www.senckenbergische-stiftung.de [21.02.2024]). Der dreifache Witwer hatte keine Erben: Seine Tochter und sein Sohn waren bereits im Kleinkindalter verstorben – an einer Hirnhautentzündung und an Tuberkulose.

Birgit Seemann, Stand: Februar 2024

Quellen- und Literaturverzeichnis

Unveröffentlichte Quellen

ISG FFM: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main (siehe auch Bestandsdaten bei Arcinsys Hessen: https://arcinsys.hessen.de)
• Bestand A.63.04 Nr. 362: Bornheimer Landwehrstraße 60 [sic!], Bau des Clementinen-Kinderhospitals für Baronin M.[ayer] C.[arl, d.i. Louise] von Rothschild, eigentlich: Clementinen Mädchenhospital, spätere An- und Umbauten, mit Plänen (Laufzeit: 1873–1909)
• Bestand A.63.04 Nr. 381: Bornheimer Landwehr 60 (110), Clementine-Kinderhospital, bauliche Veränderungen, Bd. 2, mit Plänen (Laufzeit: 1912–1939)
• Bestand H.15.15 Nr. 1865-487: Rothschild, Clementine Henriette von (Sachakte, Nachlass)
• Bestand S2 Nr. 594: Bary, August de (Fallakte)
• Bestand S2 Nr. 19473: Rothschild, Clementine von (Fallakte)
• Bestand S6a Nr. 411: Thomann-Honscha, Cornelia 1988: Die Entstehung der Säuglingsfürsorge in Frankfurt am Main bis zum Jahre 1914, Diss. med. Univ. Frankfurt a.M. (gedr. Ms.)
• Bestand S8-1 Nr. 3272: Betreffend den Neubau eines Kinderhospitals für Frau Baronin M[ayer] C[arl, d.i. Louise] v. Rothschild. [Clementine-Mädchen-Spital, Bornheimer Landwehr 110 im Ostend]. – Beschreibung: 1. Grdr. Souterrain, 2. Grdr. EG, 3. Grdr. 1.OG, 4. Westfacade, 5. Nordfacade, Südfacade, 6. Längenschnitt, 7. Querschnitte. – Urheber: Mylius [Carl Jonas] und Bluntschli [Alfred Friedrich]: Architekten
• Bestand V165: Clementine Kinderhospital – Dr. Christ‘sche Stiftung

Digitalisierte Sammlungen

UB JCS Ffm: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt a.M.
• Judaica Ffm: Judaica Frankfurt, Digitale Sammlung: https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaica/nav/index/all
• Judaica Ffm, Compact Memory, digitalisierte Periodika: https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/nav/index/title

Periodika

FAZ: Frankfurter Allgemeine Zeitung
FIG: Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt / Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main / Jüdisches Gemeindeblatt für Frankfurt, digitalisiert: UB JCS Ffm, Judaica Ffm, Compact Memory
FZ: Frankfurter Zeitung
It: Der Israelit. Ein Centralorgan für das orthodoxe Judentum, digitalisiert: UB JCS Ffm, Judaica Ffm, Compact Memory

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Bary, Jakob de 1888: Clementine-Mädchen-Spital. In: Medicinalwesen Jahresbericht 1888: 169-171

Bary, Jakob de 1899: Clementine-Mädchen-Spital. 1875–1899. Frankfurt a.M.

Bauer, Thomas 2004: Mit offenen Armen. Die Geschichte des Frankfurter Bürgerhospitals. Hg. v. Bürgerhospital Frankfurt am Main e.V. Frankfurt a.M.

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Clementine-Mädchen-Spital 1875: [Bericht zur Eröffnung des Mädchenspitals, o.Verf.]. Die Eröffnung des von der Baronin von Louise von Rothschild ausgestatteten Hospitals (am Landwehrweg [sic!]). In: It 16 (1875) 46, 17.11.1875, S. 1016, online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/2447603

Clementine-Mädchen-Spital 1899: Klementinen-Mädchenspital [sic!]. [Bericht zur Eröffnung des Erweiterungsbaus, o.Verf.]. In: Frankfurter Zeitung, 15.11.1899, online: UB JCS Ffm, Judaica Ffm, Rothschild-Sammlung 1899, Teil 2, S. 291, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/rothschild/content/titleinfo/4306441

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Clementine Kinderhospital Wikipedia: Clementine Kinderhospital: https://de.wikipedia.org/wiki/Clementine_Kinderhospital

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The Rothschild Archive, London: https://www.rothschildarchive.org

Wikipedia: Kinderkrankenpflege: https://de.wikipedia.org/wiki/Kinderkrankenpflege – Säuglingspflege: https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%A4uglingspflege

Abbildung: Das Innere der alten Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft zu Frankfurt am Main in der Schützenstraße, o.J. [um 1888] – Nachweis: Gedenk-Blätter für Samson Raphael Hirsch. Frankfurt a.M. 1889, unpag., Online-Ausgabe 2012: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/urn/urn:nbn:de:hebis:30:1-175299

„Zeichen von Gesundheit und Lebenskraft“: Das Mathilde von Rothschild‘sche Kinderhospital (1886–1941), ein Pflegeprojekt der Israelitischen Religionsgesellschaft (Neo-Orthodoxie)

Einführung

„Das israelitische Kinderhospital wurde im Jahre 1886 von Freifrau Mathilde von Rothschild im Hause Röderbergweg 109 zur unentgeltlichen Aufnahme kranker, mittelloser israelitischer Kinder von 4 bis 12 Jahren gegründet. Es enthält in zwei Stockwerken vier Zimmer mit zusammen 12 Betten, darüber ein Operationszimmer, einen Tageraum, ein Wartezimmer sowie einen großen Garten. Die Zahl der 1912 im Kinderhospital behandelten kranken Kinder war 85.“

(Hanauer 1914: 51f. [Hervorhebungen im Original gesperrt])

Diese Information zu dem Mathilde von Rothschild´schen Kinderhospital, einem heute weitgehend ,vergessenen‘ Frankfurter jüdischen Kinderkrankenhaus, verdanken wir dem Beitrag Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Frankfurt am Main (Hanauer 1914: 51f.), abgedruckt in der Festschrift zur Einweihung des Krankenhauses der Frankfurter Israelitischen Gemeinde (Gagernstraße 36). Verfasst hat ihn der angesehene Frankfurter praktische Arzt, Kinderarzt, Sozialmediziner und Kommunalpolitiker Prof. Dr. Wilhelm Hanauer (1866 – 1940 Bendorf-Sayn: NS-,Euthanasie‘-Zwischenanstalt, zuvor Israelitische Heil- und Pflegeanstalt).

Abbildung: Das Innere der alten Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft zu Frankfurt am Main in der Schützenstraße, o.J. [um 1888] – Nachweis: Gedenk-Blätter für Samson Raphael Hirsch. Frankfurt a.M. 1889, unpag., Online-Ausgabe 2012: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/urn/urn:nbn:de:hebis:30:1-175299
Abbildung: Das Innere der alten Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft zu Frankfurt am Main in der Schützenstraße, o.J. [um 1888] – Nachweis: Gedenk-Blätter für Samson Raphael Hirsch. Frankfurt a.M. 1889, unpag., Online-Ausgabe 2012: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/urn/urn:nbn:de:hebis:30:1-175299

Die erstmalige Aufarbeitung der Geschichte der jüdischen Kinder- und Säuglingspflege in Frankfurt am Main betrifft diesmal ein Langzeitprojekt der Neo-Orthodoxie: das durch Mathilde Freifrau von Rothschild (1832–1924) im Jahr 1886 errichtete, nach ihr benannte und bis zur NS-Zwangsauflösung 1941 bestehende Rothschild‘sche Kinderhospital. Sein Standort war der damalige Röderbergweg 109 (heute: Habsburgerallee 112): Anders als das liberal-jüdisch ausgerichtete Krankenhaus der Israelitischen Muttergemeinde oder das interkonfessionelle Clementine-Mädchen-Spital, das in einem weiteren Beitrag vorgestellt wird (Seemann 2022b), war das Rothschild‘sche Kinderhospital Teil des Wohlfahrts- und Pflegenetzwerkes der Israelitischen Religionsgesellschaft (IRG) – ein „Jewish Space“ auf dem Frankfurter Röderberg (vgl. Seemann 2016; Bönisch 2019; siehe auch Schiebler 1994: 165-166). Die Austrittsgemeinde IRG verfügte über eine eigene prächtige Synagoge in der Schützenstraße (Innenstadt). Dort betete auch das Stifterehepaar Mathilde und Wilhelm Carl von Rothschild (1828–1901), bis der fromme „Baron Willy“, wie er genannt wurde, mit einer Großspende den Bau einer größeren Synagoge in der Friedberger Anlage im orthodox-jüdischen geprägten Ostend anstieß (vgl. Initiative 9. November 2010; Alemannia Judaica Ffm IRG); deren feierliche Einweihung 1907 konnte er selbst nicht mehr erleben.

Das Rothschild‘sche Kinderhospital erhob sich benachbart zu dem von Mathilde und Wilhelm Carl von Rothschild im Gedenken an ihre älteste Tochter Georgine Sara (1851–1869) bereits 1870 errichteten Hospital der Georgine Sara von Rothschild’schen Stiftung (fünfteilige Artikelserie). Das Kinderhospital, von welchem uns bislang leider keine Abbildungen vorliegen, pflegte und ernährte bedürftige jüdische (und auf Wunsch gewiss auch nichtjüdische) Mädchen und Jungen. Zu Anfang fanden zwölf, später pro Jahr bis zu 100 und 1932 sogar 140 kranke Kinder und Jugendliche eine unentgeltliche stationäre Aufnahme. Gleich ihrer Tante und Schwägerin Louise von Rothschild (1820–1894) galt auch Mathilde von Rothschilds besondere Fürsorge den kranken Mädchen.

„(…) dem alten gesetzestreuen Judenthum, das man das orthodoxe nennt“ – Samson Raphael Hirsch, Mitbegründer der deutsch-jüdischen Neo-Orthodoxie, Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft (Austrittsgemeinde) in Frankfurt am Main

Abbildung: Zeichnung (Porträt) von Samson Raphael Hirsch, Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft zu Frankfurt am Main, ohne Jahr – Nachweis: Titelbild (Ausschnitt): Adolf Blumenthal: Die geschichtliche Bedeutung von Samson Raphael Hirsch für das Judenthum. [Vortrag]. Frankfurt a.M. 1889, Online-Ausgabe 2012: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/urn/urn:nbn:de:hebis:30:1-140979
Abbildung: Zeichnung (Porträt) von Samson Raphael Hirsch, Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft zu Frankfurt am Main, ohne Jahr – Nachweis: Titelbild (Ausschnitt): Adolf Blumenthal: Die geschichtliche Bedeutung von Samson Raphael Hirsch für das Judenthum. [Vortrag]. Frankfurt a.M. 1889, Online-Ausgabe 2012: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/urn/urn:nbn:de:hebis:30:1-140979

„Das jüdische Herz, wie man es nennt, wir sagen: das jüdische Pflichtgefühl, die Mizwagesinnung[,] wird überall und zu jeder Zeit Gemüther und Hände für alles Humane und Menschenbeglückende öffnen und einen, und das Religiöse, wo es vorhanden ist, wo es eine Wahrheit des Denkens und Wollens ist, da wird es sich gerade unter dem Strahle der Freiheit zu den opferfreudigsten Vereinigungen und zu den blüthenreichsten Gestaltungen hinausleben. Und wo es nicht vorhanden, wo es keine Wahrheit ist, wo es nur als gefärbte Luxusblume hervorgezwungen, hervorgekünstelt werden soll, um ein Scheindasein zu fristen, da, spricht der Genius der Menschheit, mag‘s verkümmern, es ist doch kein Segen daran.“

(Hirsch S.R. 1876: 14)

Mit diesen eindringlichen Worten, abgedruckt in seiner Erklärungsschrift Der Austritt aus der Gemeinde (Hirsch, S.R. 1876: 14), begegnete Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808–1888) der drängenden Sorge im Frankfurter Judentum, dass durch die Trennung der Israelitischen Religionsgesellschaft von der liberalen Israelitischen Gemeinde neben den Gemeinde-, Familien- und Geschäftsbeziehungen womöglich auch die Wohlfahrt Schaden nähme. Rabbiner Hirschs Hinweis galt der Zedaka, der alle jüdischen Richtungen verbindenden Verpflichtung (Mitzwa) zu sozialer Gerechtigkeit. Die Loslösung von der Muttergemeinde ermöglichte das 1876 in Preußen erlassene ,Austrittsgesetz‘: Fortan konnten deutsche Juden aus der Synagogengemeinde ihres Wohnortes auszutreten, ohne zugleich die jüdische Religionsgemeinschaft zu verlassen. Doch wie kam es überhaupt zu diesem radikalen Schritt?

Aus der jüdischen Aufklärung (Haskala) und dem Kampf um staatsbürgerliche Gleichstellung war eine liberale Reformbewegung hervorgegangen. Sie sah den Fortbestand der von Antisemitismus, interkonfessionellen Ehen und Konversionen betroffenen jüdischen Minderheit durch die Integration in die nichtjüdisch-christliche deutsche Mehrheitsgesellschaft gesichert. Das von Antisemiten als rückständig geschmähte Judentum sollte dabei keineswegs preisgegeben werden, sondern sich als modernisierte Religion neben der christlichen behaupten. Dagegen formierte sich eine traditionsbewusste Opposition, die Reformen wie die Verkürzung der Liturgie in den jüdischen Gottesdiensten, die Einführung der Orgel, Gebete und Gesang in deutscher Sprache oder gar Pläne hinsichtlich einer Verlegung des Schabbat auf den Sonntag zutiefst missbilligte. Als führender Vertreter der oppositionellen so genannten Neo-Orthodoxie wollte Rabbiner Samson Raphael Hirsch

„das orthodoxe Judentum im Zeitalter der Emanzipation neu beleben und trat für die Synthese von Gotteslehre, religiöser Praxis und moderner, deutscher Bildung ein, auf hebräisch ,Thora im Derech Erez‘. Die Vereinbarkeit von absoluter Thoratreue, Frömmigkeit und säkularer Bildung, war die Grundlage seines Denkens und Handelns.“

(Zitiert nach: JM Ffm Infobank Judengasse: https://www.judengasse.de/dhtml/P134.htm [03.11.2022]; siehe auch Arnsberg 1983 Bd. 3: 199-202; Tasch 2011; Selig 2014; Morgenstern 2021).

Rabbiner Hirsch war kein rückwärtsgewandter Fundamentalist, sondern ebenso wie seine liberal-reformerischen Gegner an der Mitgestaltung der Moderne interessiert – jedoch ausdrücklich auf der Grundfeste der Überlieferung, „dem alten gesetzestreuen Judenthum, das man das orthodoxe nennt“ (Hirsch S.R.1876: 3). Als eine transformative und diskursive Religion hat das Judentum von jeher neue gesellschaftliche Entwicklungen reflektiert und adaptiert. So bewegte sich Rabbiner Hirsch ganz in der jüdischen Tradition, als er sie für säkulare Bildung und bürgerliche Kultur öffnete. Eine Akkulturation an die nichtjüdisch-christliche Mehrheitsgesellschaft kam für die jüdische Neo-Orthodoxie jedoch einer Selbstauflösung gleich, strebte sie doch danach, „die Einflüsse der Umwelt im Dienste der Thora zu integrieren“ (Heuberger/ Krohn 1988: 75; siehe auch Morgenstern 1995 u. 2010; Liberles 1997).

Die von alteingesessenen jüdischen Familien getragene Israelitische Religionsgesellschaft (Kehilat Jeschurun = Gemeinde Israels) hatte sich bereits 1851 konstituiert. Mit Samson Raphael Hirsch stellte die IRG einen eigenen prominenten Rabbiner. Gleichwohl folgte im Jahr 1876 Rabbiner Hirschs Aufruf an seine orthodoxen Mitstreiter, der Israelitischen Gemeinde den Rücken zu kehren und sich der IRG anzuschließen, nur eine Minderheit: Die Mehrzahl blieb, nunmehr als ‚Konservative‘ oder ‚Gemeindeorthodoxie‘ bezeichnet, als kleinerer Flügel mit einer eigenen Synagoge und einem eigenen Rabbiner der Israelitischen Muttergemeinde erhalten. Trotz einiger Doppelmitgliedschaften in der Israelitischen Gemeinde und der IRG-Austrittsgemeinde war das Band zwischen der Gemeindeorthodoxie und der Trennungsorthodoxie um Rabbiner Hirsch gerissen. Wie mehrfach erwähnt, betrafen die Kontroversen unmittelbar die alten Frankfurter jüdischen Familien und auch die Bankiers- und Stifterfamilie von Rothschild: Mayer Carl von Rothschild und seine Frau Louise von Rothschild waren liberal-reformerisch gesinnt. Sein jüngerer Bruder Wilhelm Carl von Rothschild und seine Schwägerin Hannah Mathilde von Rothschild bekannten sich zur Israelitischen Religionsgesellschaft, wobei sich auch hier eine Doppelmitgliedschaft vermuten lässt.

Das Rothschild‘sche Kinderhospital als Familienprojekt und Gemeinschaft zur Stärkung des Judentums

Abbildung: Hannah Mathilde von Rothschild, ohne Jahr - © Courtesy of the Leo Baeck Institute: Paul Arnsberg Collection
Abbildung: Hannah Mathilde von Rothschild, ohne Jahr – © Courtesy of the Leo Baeck Institute: Paul Arnsberg Collection AR 7206

Bei allen Zerwürfnissen gab es zwischen der Trennungsorthodoxie und der Muttergemeinde einige Querverbindungen – vor allem familiäre: Mathilde und Louise von Rothschild, letztere die Gründerin des interkonfessionellen Clementine-Mädchen-Spitals (Seemann 2022b), waren nicht nur Schwägerinnen, sondern auch Nichte und Tante; ihre Töchter Georgine Sara und Clementine, beide jung verstorben, waren Cousinen. Zudem hielten Mathilde und Wilhelm Carl von Rothschild Kontakt zur Gemeindeorthodoxie, um die Kluft zwischen den beiden Frankfurter jüdischen Gemeinden nicht weiter zu vertiefen. 1907 stiftete Mathilde von Rothschild zum Andenken an ihre zweite früh verstorbene Tochter Minna Caroline („Minka“) von Goldschmidt-Rothschild (1857–1903) für das ebenfalls auf dem Röderberg gelegene gemeindeorthodoxe Pflegeheim Gumpertz‘sches Siechenhaus eine großen modernen Neubau (Seemann/ Bönisch 2019 sowie die Beiträge bei Jüdische Pflegegeschichte [03.11.2022]). Überdies hatten Minkas Eltern ihrer Heirat mit dem nicht sonderlich orthodoxen Bankier und Kunstmäzen Maximilian („Max“) von Goldschmidt-Rothschild (1843–1940) zugestimmt – trotz der Weigerung von Rabbiner Samson Raphael Hirsch, das Paar zu trauen.

Abbildung: Max von Goldschmidt-Rothschild, ohne Jahr – Nachweis: Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Max_von_Goldschmidt-Rothschild.jpg?uselang=de [03.11.2022
Abbildung: Max von Goldschmidt-Rothschild, ohne Jahr – Nachweis: Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Max_von_Goldschmidt-Rothschild.jpg?uselang=de [03.11.2022]

Gleichwohl war es gerade Max von Goldschmidt-Rothschild (einführend Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Maximilian_von_Goldschmidt-Rothschild [03.11.2022]), welcher sich nach Mathilde von Rothschilds Tod 1924 gemeinsam mit seiner Tochter Lili Schey von Koromla (1883–1929) um das Rothschild‘sche Kinderhospital und weitere Institutionen ihres umfangreichen Stiftungsvermächtnisses kümmerte. Was Lili Schey von Koromla betraf, hatte sie nicht nur eine enge Verbindung mit ihrer Großmutter, sondern wurde darüber hinaus als die letzte „Frankfurter Vertreterin des altberühmten Hauses“ der Rothschild-Dynastie und als eine „würdevolle jüdische Frau und Mutter“ gewürdigt, wie es etwa im Nachruf ihres Religionslehrers Julius Höxter heißt (vgl. Schey von Koromla 1929b; siehe auch dies. 1929a sowie Arnsberg 1983 Bd. 3: 464-466). 1929 sprach zu ihrer Beerdigung auf dem Alten Jüdischen Friedhof Rat-Beil-Straße nicht der Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft, sondern der Rabbiner der Gemeindeorthodoxie Jakob Horovitz. Als ,Dritte im Bunde‘ unterstützte das Rothschild‘sche Kinderhospital von Paris aus Lilis Tante Adelheid (Adélaïde, „Ada“) de Rothschild (1853–1935). Das orthodox-jüdische Publikationsorgan Der Israelit vom 10. August 1933 wurde sogar

„in Anknüpfung an die in der vorigen Nummer erschienene Notiz über den 80. Geburtstag der Baronin Adelheid von Rothschild in Paris gebeten, auf die Verdienste der Jubilarin um das Mathilde von Rothschild‘sche Kinderhospital in Frankfurt a.M. hinzuweisen, das nach der Inflation vollkommen mittellos dastand und durch eine große Stiftung der Jubilarin im Jahre 1925 erneuert und für die Dauer leistungsfähig gemacht wurde.“

(Zitiert nach Rothschild‘sches Kinderhospital 1933 [Hervorhebungen im Original gesperrt]).

Adelheid de Rothschild war Mathilde von Rothschilds letzte noch lebende Tochter und ebenfalls eine vielseitig engagierte Stifterin und Mäzenin (einführend Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Adelheid_von_Rothschild [03.11.2022]). Die fromme Tradition ihrer Eltern fortsetzend, blieb sie im Gedächtnis als „Die Frau, die zu Gott betete“ (zit. n. Magin-Pelich 2003, Titel).

Abbildung: Marcus Hirsch, Porträt, um 1873 – Nachweis: [Nachruf:] Dr. med. Markus Hirsch [seligen Angedenkes] – Frankfurt a.M. In: Der Israelit 34 (1893) 88, Beilage, S. 1675, online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory: https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/nav/index/all
Abbildung: Marcus Hirsch, Porträt, um 1873 – Nachweis: [Nachruf:] Dr. med. Markus Hirsch [seligen Angedenkes] – Frankfurt a.M. In: Der Israelit 34 (1893) 88, Beilage, S. 1675, online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory: https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/nav/index/all

Mathilde und Wilhelm Carl von Rothschilds trotz aller Zwistigkeiten anhaltende Verbundenheit mit der Neo-Orthodoxie und der Rabbinerfamilie Hirsch umfasste auch Samson Raphael Hirschs Sohn Dr. Marcus (Markus, Mordechai) Hirsch (1838–1893): Er wurde Gründungsarzt und erster Chefarzt des Rothschild‘schen Hospitals und des 1886 als Stiftung „Mathilde von Rothschild‘sches Israelitisches Kinder-Hospital“ gegründeten Rothschild‘schen Kinderhospitals, das am 26. September d.J. „mit der Aufnahme einiger Patienten eröffnet“ wurde (vgl. Rothschild‘sches Kinderhospital 1886).

Abbildung: Geheimer Sanitätsrat Dr. med. Elieser Rosenbaum, Chefarzt des Rothschild‘schen Hospitals, um 1910 – © Courtesy of the Leo Baeck Institute: Paul Arnsberg Collection AR 7206
Abbildung: Geheimer Sanitätsrat Dr. med. Elieser Rosenbaum, Chefarzt des Rothschild‘schen Hospitals, um 1910 – © Courtesy of the Leo Baeck Institute: Paul Arnsberg Collection AR 7206

Als Dr. Marcus Hirsch 1893 verstarb, folgte ihm als Chefarzt beider Spitäler der Geheime Sanitätsrat Dr. med. Elieser (Elias, Eliazar) Rosenbaum (1850–1922). Er war eine tragende Persönlichkeit der Frankfurter Israelitischen Religionsgesellschaft und amtierte wiederholt als ihr Vorsitzender. Das Kinderhospital diente weiterhin der unentgeltlichen Versorgung israelitischer Mädchen und Jungen, anfänglich im Alter von vier bis 13 Jahren; die Bettenzahl war infolge der Nachfrage schon bald von sechs auf 12 Plätze erhöht worden. Nach Elieser Rosenbaums Arztbericht für das Jahr 1896 fanden zwischen 1886 und 1895 jährlich insgesamt 24 bis 47, im Berichtsjahr selbst 37 kleine Patienten, 20 Mädchen und 17 Jungen, Aufnahme (vgl. Ärztlicher Verein Ffm 1897). Sie litten häufig an durch Mangelernährung mitbedingte Krankheiten wie Anämie, Bronchitis, Darmtuberkulose, Rachitis oder Skoliose. „Von dem Wunsche geleitet, der israelitischen Jugend den Nutzen dieser Anstalt dauernd zu sichern“ (Rothschild‘sches Kinderhospital 1903: 3) errichtete Mathilde von Rothschild im Jahre 1903 – das Kinderkrankenhaus bestand bereits 17 Jahre – eine selbständige Stiftung des privaten Rechts; das Stiftungsvermögen beruhte neben dem Grundstück und dem Gebäude inklusive Inventar auf einem verzinslichen Kapital von 500.000 Mark. Wie es den Grundsätzen der Israelitischen Religionsgesellschaft entsprach, sollte das Kinderhospital „für alle Zeiten in jeder Hinsicht streng nach den Grundsätzen und Vorschriften des traditionellen Judentums verwaltet und geleitet werden“ (ebd.: 4).

Zu Anfang amtierte Mathilde von Rothschild als alleiniger Vorstand der Stiftung, bis in der Folge ein ehrenamtlich tätiger fünfköpfiger Vorstand gebildet und aus seiner Mitte ein Vorsitzender gewählt wurde. Die Wahl der Vorstandsmitglieder – jeweils ein Mitglied der Verwaltungskommissionen des Rothschild‘schen Hospitals, der Israelitischen Waisenanstalt, der Israelitischen Suppenanstalt (Theobaldstraße) sowie zwei weitere geachtete Mitglieder aus beiden (!) Frankfurter jüdischen Gemeinden – bedurfte der Bestätigung durch die Stifterin. Zudem behielt sich Mathilde von Rothschild die Genehmigung bei der Auswahl der einzustellenden Angestellten einschließlich des Hospitalarztes durch den Vorstand sowie bei etwaigen Veränderungen der Verfassung und Hausordnung vor. Die Innenleitung des Hospitals oblag einer in der koscheren Versorgung erfahrenen Verwalterin, der das Krankenpflege- und Dienstpersonal unterstellt war. Laut Satzung von 1903 sollten die kleinen Patientinnen und Patienten ihren Wohnsitz in Frankfurt am Main und im Umkreis von 100 Kilometern haben sowie – bis auf Kinder mit ansteckenden Leiden und Lungenkrankheiten – Jungen im Alter von drei bis 13 Jahren und Mädchen im Alter von drei bis 12 Jahren stationäre Behandlung finden. Nach dem Ersten Weltkrieg folgte Dr. Sally Rosenbaum (1877 – 1941 deportiert nach Litzmannstadt/ Lodz), ebenfalls praktischer Arzt, seinem 1922 verstorbenen Vater Dr. Elieser Rosenbaum in die Position des Chefarztes beider Rothschild‘schen Spitäler. Ein Jahr zuvor hatte mit der reformpädagogisch ausgebildeten Kindergärtnerin Emma Else Rothschild (1894 – deportiert, 08.05.1945 für tot erklärt) – eine mit der gleichnamigen Bankiersdynastie nicht verwandte Metzgerstochter aus Echzell bei Büdingen – eine tüchtige neue Oberin ihren Dienst angetreten, die überdies in der Waisenanstalt der Frankfurter Israelitischen Religionsgesellschaft aufgewachsen war (Seemann 2016). 1927 kam es vermutlich auch aufgrund inflationsbedingter Sparzwänge zu einer einschneidenden Satzungsänderung: Es sollten nur noch Mädchen zwischen vier und 14 Jahren Aufnahme finden, insbesondere dann, wenn sie an Unterernährung litten. 1932 wurden 140 bedürftige kleine Patientinnen unentgeltlich stationär versorgt.

Wie alle jüdischen Institutionen der Wohlfahrt und Pflege wurde in der NS-Zeit auch das Mathilde von Rothschild‘sche Kinderhospital behördlich gegängelt und zuletzt zwangsenteignet. Durch die zunehmende Verdrängung antisemitisch verfolgter Kinder und Jugendlicher aus als ,arisch‘ kategorisierten Krankenhäusern erhielt die Kinderklinik im Röderbergweg vermehrten Zulauf; 1937 versorgte sie 155 Patientinnen. Während der Novemberpogrome 1938 führten die massenhaften KZ-Einweisungen jüdischer Männer und die rapide Zunahme erzwungener Emigrationen auch in den beiden Rothschild‘schen Spitälern zu Fluktuation und personellen Engpässen. Die Aufhebung der Steuerfreiheit für als ,jüdisch‘ kategorisierte ,Anstalten‘ verursachte erhebliche Mehrkosten. Die ärztliche Leitung oblag weiterhin Dr. Sally Rosenbaum, die Organisation der Hauswirtschaft und Pflege Oberin Emma Rothschild, unterstützt durch eine Köchin, ein Hausmädchen, ein Kinderfräulein und eine Praktikantin. 1938 wurden 168 und 1939 178 Mädchen versorgt. Ende 1939 musste Sally Rosenbaum wegen eines Augenleidens seinen Posten verlassen. An Dr. Rosenbaum und seine Ehepartnerin, die Malerin und Lithographin Lina geb. Schwarzschild (geb. 1886), erinnern zwei ,Stolpersteine‘ (Stolpersteine Ffm: https://frankfurt.de/frankfurt-entdecken-und-erleben/stadtportrait/stadtgeschichte/stolpersteine/stolpersteine-im-ostend/familien/rosenbaum-sally-und-lina [03.11.2022]); beide gelten seit ihrer Deportation 1941 in das Ghetto Litzmannstadt (Lodz) als ,verschollen‘. Chefarzt beider Rothschild‘schen Spitäler wurde auf Drängen der Nationalsozialisten, die den Klinikbetrieb aus strategischen Gründen noch einige Zeit aufrechterhielten, der Chirurg Dr. Franz Grossmann (geb. 1904), ein NS-behördlich als „Volljude“ kategorisierter Katholik. Er konnte die Shoah überleben. Zuletzt ärztlicher Direktor das Kreiskrankenhauses Obertaunus in der südhessischen Kurstadt Bad Homburg, verstarb er 1953 an den Folgen seiner Lagerhaft (Hirschmann 2011).

Das Mathilde von Rothschild‘sche Kinderhospital blieb nach der Eingliederung seiner Trägerstiftung am 28. September 1940 in den Zwangsverband ,Reichsvereinigung der Juden in Deutschland‘ bis zu seiner Zwangsschließung im Juni 1941 tätig. Liegenschaft, Gebäude und Inventar des Rothschild‘schen Kinderhospitals (mit Gartengrundstück an der angrenzenden Habsburger Allee) wurden 1942/43 zusammen mit den anderen Sozialinstitutionen der zuvor mit der Frankfurter Israelitischen Gemeinde zwangsvereinigten Israelitischen Religionsgesellschaft von der Stadt Frankfurt am Main ,erworben‘ (ISG FFM: Bestand A.62.02 Nr. 2141). Am 12. Juli 1941 meldete der ,Gestapo-Beauftragte bei der Jüdischen Wohlfahrtspflege‘ Ernst Holland an die Geheime Staatspolizei Frankfurt: „Die zusammenhängenden Liegenschaften Röderbergweg 97 und 109 und Rhönstraße 50 sind vom Bauamt, Raum- und Quartierbeschaffung als Hilfskrankenhäuser sichergestellt“ (Andernacht/ Sterling 1963: 464). Die gewaltsame nationalsozialistische ,Abwicklung‘ traf auch die langjährige Oberin Emma Rothschild: Nach der Zwangsschließung des Rothschild‘schen Kinderhospitals leitete sie unter schwierigsten Bedingungen die Mädchenabteilung der Israelitischen Waisenanstalt, wo sie einst selbst Aufnahme gefunden hatte; das Waisenhaus liquidierten die NS-Behörden im Frühjahr 1942. Die Umstände von Emma Rothschilds Deportation sind bislang unbekannt, ihr Todesdatum wurde auf den 8. Mai 1945 festgesetzt. Ebenfalls aus Frankfurt verschleppt wurde 1941 Ferdinand Liepold (geb. 1885): Der letzte Vorsitzende der Stiftung des Rothschild‘schen Kinderhospitals wurde laut Eintrag im Gedenkbuch des Bundesarchivs Koblenz am 24. September 1942 im Ghetto Litzmannstadt (Lodz) ermordet (BArch Gedenkbuch [03.11.2022]).

Resümee und Ausklang

Versuche nach dem Zweiten Weltkrieg und der Shoah, die Stiftung für das Mathilde von Rothschild‘sche Kinderhospital – Notvorstand war der 1965 im Londoner Exil verstorbene frühere Vorsitzende Dr. Ernst Moritz Kirchheim – wiederzubeleben, scheiterten endgültig im Jahre 1985, als das Frankfurter Amtsgericht die Bestellung eines neuen Notvorstands ablehnte (Schiebler 1994: 166). Vom Rothschild‘schen Kinderhospital wurden bislang keine Abbildungen aufgefunden, die Quellenlage ist disparat, Aufnahmebögen oder Personalakten liegen nicht vor. Am früheren Standort der beiden Rothschild‘schen Hospitäler erheben sich heute mehrstöckige Wohnhäuser. Nichts erinnert mehr an einen „Jewish Place“ der Kindermedizin und -pflege auf dem Röderberg. In einem zeitgenössischen Bericht wird das Mathilde von Rothschild‘sche Kinderhospital noch einmal ,lebendig‘:

„An einem der luftigsten und freundlichsten Punkte unserer Stadt, auf dem Röderberge, sind die jüdischen Spitäler, welche der freiherrlichen Familie Willy von Rothschild ihre Entstehung verdanken und durch diese unterhalten werden, das eine: das Georgine Sara von Rothschild’sche Spital, ein herrlicher Bau in edlem einfachen Styl, das andere ein schlichtes, inmitten eines prachtvollen Gartens gelegenes Haus, das als Kinderspital dient. Wer da vorbeigeht, wird besonders bei letzterem die wohlthuende Wahrnehmung machen, wie behaglich die durch die Fenster sehenden oder im Garten umherspazierenden reconvalescenten Kinder sich hier in der gesegneten Luft und bei den vollendeten Einrichtungen fühlen und welche zufriedene Stimmung sich auf den Gesichtern ausspricht. Wer öfters dort vorbeikommt, wird auch vielleicht Gelegenheit haben, zu bemerken, wie manche der genesenden Kinder, die noch vor wenigen Tagen bleiche abgezehrte Wangen hatten, inzwischen ein frisches Roth, Zeichen von Gesundheit und Lebenskraft erlangt haben.“

(Zitiert nach: Rothschild‘sches Kinderhospital 1887: 921)

Birgit Seemann, November 2022

Quellen- und Literaturverzeichnis

Unveröffentlichte Quellen

ISG FFM: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main
• Bestand A.02.01 Nr. V-563: Mathilde von Rothschild‘sches Kinderhospital (1905) (enthält u.a. Satzungen)
• Bestand A.02.01 Nr. 9574: Mathilde von Rothschild‘sches Kinderhospital (Sachakte, 1938–1940, 1951)
• Bestand A.30.02 Nr. 400: Mathilde von Rothschild‘sches Kinderhospital: Zur unentgeltlichen Versorgung von israelitischen Mädchen. 1940 eingegliedert in die Reichsvereinigung der Juden (1903–1967) (enthält u.a. Satzungen von 1903 und 1927, als Ms. gedr.)
• Bestand A.62.02 Nr. 2141: Erwerb von 15 Grundstücken der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland durch die Stadt Frankfurt: Röderbergweg 77 (ehem. israelitische Versorgungsanstalt), Röderbergweg 87 (ehem. israelitisches Waisenhaus), Röderbergweg 93 (ehem. Ärztehaus des Rothschild‘schen Krankenhauses), Röderbergweg 97 (ehem. von Rothschild‘sche Georgine Sara Stiftung für erkrankte fremde Israeliten), Röderbergweg 109 (ehem. Rothschild‘sches Kinderhospital), Grundstück an der Habsburger Allee (Garten zum Kinderhospital Röderbergweg 109), Rhönstraße 48, Rhönstraße 50, Grundstück an der Rhönstraße, Großer Wollgraben 26 (Rothschild‘sches Stammhaus), Friedhof Rödelheim (Totenfriedhof am Judenkirchhof), Friedhof Rödelheim (an der Westerbachstraße), Friedhof Heddernheim, Jüdischer Begräbnisplatz Niederursel (an der Autobahn), Begräbnisplatz Niederursel (am Oberurseler Weg). – (Sachakte, 1942–1943).

Digitalisierte Sammlungen

UB JCS Ffm: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt a.M.
• Judaica Ffm: Judaica Frankfurt, Digitale Sammlung: https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaica/nav/index/all

Literatur

Ärztlicher Verein Ffm 1897: Ärztlicher Verein, Frankfurt am Main (Hg), Jahresbericht über die Verwaltung des Medizinalwesens, die Krankenanstalten und die öffentlichen Gesundheitsverhältnisse der Stadt Frankfurt am Main. Band 40 [für das Jahr 1896], Frankfurt a.M. 1897: 156, online: https://ia802708.us.archive.org/20/items/jahresberichtbe01veregoog/jahresberichtbe01veregoog.pdf (PDF S. 438)

Andernacht, Dietrich/ Sterling, Eleonore 1963: Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden 1933-1945. Hg. von der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Frankfurter Juden, Frankfurt a.M.

Bönisch, Edgar 2009: Die Geschichte des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main, 2009, https://www.juedische-pflegegeschichte.de/die-geschichte-des-vereins-fuer-juedische-krankenpflegerinnen-zu-frankfurt-am-main

Bönisch, Edgar 2019: Das jüdische geprägte Ostend und die jüdischen Institutionen im Röderbergweg. In: Seemann/ Bönisch 2019: 41-72 (insbes. S. 69ff.)

FIG: Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt / Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main / Jüdisches Gemeindeblatt für Frankfurt

Hanauer, Wilhelm 1914: Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Frankfurt am Main. In: Festschrift zur Einweihung des Neuen Krankenhauses der israelitischen Gemeinde zu Frankfurt am Main. Historischer Teil von Dr. med. W. Hanauer, Baubeschreibung von den Architekten und Ärzten des Krankenhauses. Frankfurt a.M. – Online-Ausgabe 2011: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaicaffm/urn/urn:nbn:de:hebis:30:1-300863

Heuberger, Rachel/ Krohn, Helga 1988: Hinaus aus dem Ghetto… Juden in Frankfurt am Main 1800–1950. Frankfurt a.M.

Hirsch, Samson Raphael 1876: Der Austritt aus der Gemeinde. Frankfurt a.M., Online-Ausgabe 2009: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/urn/urn:nbn:de:hebis:30:1-131478

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Seemann, Birgit i.E. [2022b]: „(…) denn diess Haus ist Allen geweihet“ – das Clementine-Mädchen-Spital (eröffnet 1875): liberal-jüdische Anfänge und interkonfessionelle Zusammenarbeit. Stand: August 2022, im Erscheinen (https://www.juedische-pflegegeschichte.de)

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Alemannia Judaica: Alemannia Judaica – Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum: http://www.alemannia-judaica.de

Alemannia Judaica Ffm IRG Synagogen: Frankfurt am Main: Die Synagogen der Israelitischen Religionsgesellschaft im 19./20. Jahrhundert. Synagoge in der Schützenstraße und Synagoge in der Friedberger Anlage (Solomon Breuer Synagoge), https://www.alemannia-judaica.de/frankfurt_synagoge_friedb.htm

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Frankfurter Personenlexikon: Frankfurter Personenlexikon. Ein Projekt der Frankfurter Bürgerstiftung. Hg.: Clemens Greve, Sabine Hock (Chefred.), https://frankfurter-personenlexikon.de

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JM Ffm Infobank Judengasse: Jüdisches Museum Frankfurt am Main, Infobank Judengasse,
https://www.judengasse.de/index.htm

Stolpersteine Ffm: Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main:
https://www.stolpersteine-frankfurt.de
https://frankfurt.de/frankfurt-entdecken-und-erleben/stadtportrait/stadtgeschichte/stolpersteine (Stadt Frankfurt am Main, Online-Datenbank)

Yad Vashem Datenbank: Zentrale Datenbank der Namen der Holoaustopfer der Internationalen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem, https://yvng.yadvashem.org/index.html?language=de

Der Vorstand des jüdischen Frauenvereins Weibliche Fürsorge e.V. mit Oberin Minna Hirsch (stehend, zweite von links), vermutlich 1904 – Nachweis: Center for Jewish History / Leo Baeck Institute F 3240, s. auch Wikimedia

Im Dienste der Kinderrettung: Oberin Minna Hirsch und der jüdische Frauenverein Weibliche Fürsorge

Einführung und Anstoß zur Erinnerungsarbeit

Der Vorstand des jüdischen Frauenvereins Weibliche Fürsorge e.V. mit Oberin Minna Hirsch (stehend, zweite von links), vermutlich 1904 – Nachweis: Center for Jewish History / Leo Baeck Institute F 3240, s. auch Wikimedia
Der Vorstand des jüdischen Frauenvereins Weibliche Fürsorge e.V. mit Oberin Minna Hirsch (stehend, zweite von links), vermutlich 1904 – Nachweis: Center for Jewish History / Leo Baeck Institute F 3240, s. auch Wikimedia

Dieses Gruppenfoto ist das bislang einzige bekannte Bilddokument von dem ersten Vorstand der Frankfurter jüdischen Frauen- und Sozialinitiative Weibliche Fürsorge, 1901 gegründet und 1904 als Verein errichtet. Das Foto zeigt (in alphabetischer Reihenfolge) u.a. Clementine Cramer, Sidonie Dann, Henny Elkan, Cilly Epstein, Henriette Fürth, Bertha Holzmann, Bertha Pappenheim (Toppe 2023) – und bislang ungenannt, stehend die Zweite von links, Schwester Oberin Minna Hirsch in ihrer beruflichen Kleidung.

Die Weibliche Fürsorge zählte zu den wichtigsten Akteuren der Zedaka für Kinder und Säuglinge in Frankfurt am Main; die Übergänge zwischen Krankenpflege und Sozialer Arbeit verliefen hierbei fließend. Zur Koordinierung und Modernisierung ihres breiten Aufgabenfeldes in der Frankfurter jüdischen Wohlfahrtspflege richtete sie eigene Kommissionen wie die Säuglingskommission und die Kostkinder-Kommission ein (Seemann 2021 u. 2023). 1911 eröffnete sie im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen ein eigenes jüdisches Kinderheim (Hauptstandort: Hans-Thoma-Straße, vgl. Mahnkopp 2020; s. auch Schiebler 1994: 163-165). Zuvor beteiligte sich die Weibliche Fürsorge an der Errichtung des 1907 eröffneten Heims des Jüdischen Frauenbundes in Neu-Isenburg (Gedenkbuch JB Neu-Isenburg). Das Heim bot sozial gefährdeten, teils durch Gewalterfahrungen traumatisierten minderjährigen Müttern und ihren nichtehelichen Kindern Zuflucht, Ausbildung und orthodox-jüdische Anleitung (s. auch Nassauer 1927). In der Stadt Frankfurt genoss der Frauen- und Sozialverein über die jüdische Community hinaus hohes Ansehen: So sprach zu dessen 20jährigem Jubiläum, gefeiert mit zahlreichen Gästen im Logenheim und Gesellschaftshaus der Frankfurt-Loge des jüdischen Ordens B’nai B’rith, auch Frankfurts 2. Bürgermeister und Sozialdezernent Eduard Gräf (Weibliche Fürsorge Ffm 1921).

Verbunden ist der Verein Weibliche Fürsorge bislang vor allem mit den Namen der bekannten Sozialreformerinnen, Frauenrechtlerinnen und Autorinnen Bertha Pappenheim (1859-1936) und Henriette Fürth (1861-1938), deren Leben und Wirken inzwischen gut dokumentiert ist (z.B. Brentzel 2004; Konz 2005; Fürth 2010; s. auch Epple 1996 u. Fassmann 1996). 1918 legte Henriette Fürth in ihrem Beitrag Die jüdische Frau in der deutschen Frauenbewegung, abgedruckt in den Neuen Jüdischen Monatsheften, Wert auf die Feststellung, dass die „Gründung des Vereins Weibliche Fürsorge (…) in der Hauptsache“ das Werk Bertha Pappenheims war (Fürth 1918: 495). Sie selbst zog sich nach wenigen Jahren wegen anderweitiger Verpflichtungen zurück, gehörte aber 1932/33 erneut dem Vorstand der Weiblichen Fürsorge an (Schiebler 1994a: 193).

Die Weibliche Fürsorge trugen hauptsächlich Frauen aus der gehobenen Mittelschicht mit Querverbindungen zur jüdischen und Frankfurter Frauenbewegung; als fähige, zumeist ehrenamtlich tätige Sozialmanagerinnen erwarben sie sich einen hervorragenden Ruf. Vorliegender Beitrag soll Anstöße geben, die Biografien von Mitgründerinnen und engagierten Akteurinnen dieses jüdischen Frauenvereins weiter zu erforschen. So leitete etwa das langjährige Vorstandsmitglied Minna Hirsch, Oberin des Königswarter Hospitals (Israelitisches Gemeindehospital bis zur Eröffnung der neuen Klinik 1914 in der Gagernstraße) und der jüdischen Schwesternschaft, eine Vorkämpferin der beruflichen jüdischen Krankenpflege, die Säuglingskommission der Weiblichen Fürsorge.

Eine Schule „jüdisch-sozialen Denkens und Ausübens“: zur Entstehungsgeschichte der Weiblichen Fürsorge

„Die Rechenschaft, die abzulegen ist (…) soll nur als Nachweis [dienen] für die Trag- und Entwicklungskraft der Ideen, die s.[einer] Z.[eit] unter dem Sammelbegriff Weibliche Fürsorge, Frankfurt a.M. eine stille Wirkung auslösten und auch dafür, wie ein Kreis von Frauen der jüdischen Gemeinde Frankfurts (…) in ihren Pflichten, ohne zu erlahmen, standgehalten haben.
Wenn nach einer künstlerischen Darstellung dieses Gedankens gesucht würde, dann könnte es die einer jüdischen Frau sein, die gestützt auf den Fels der Gebote und der Tradition hinausblickt und hinaushorcht ins Weite, um als mütterliche Hüterin der Lebensschätze der jüdischen Gesamtheit sich in der großen Welt nichts entgehen zu lassen – an Kenntnissen, Erfahrungen und technischem Fachkönnen jeder Art – um sie der jüdischen Eigenart und den Bedürfnissen der jüdischen Gemeinschaft anpassend, rationelle Bedingungen zu schaffen, die auch im Strom des Alltags den geistigen Inhalt der Gebote zur höchsten Auswirkung gelangen zu lassen, als Mission der Juden zwischen den Völkern.
In diesem Sinn ist die Weibliche Fürsorge zu einer guten Schule jüdisch-sozialen Denkens und Ausübens geworden (…).

(Pappenheim 1920: 1 [Hervorhebung im Original fettgedruckt])
Deckblatt des Berichts von Bertha Pappenheim: Rückblick auf die jüdisch-soziale Frauenarbeit der Vereine „Weibliche Fürsorge“, „Heim des jüdischen Frauenbundes Isenburg“, „Mädchenclub“ und „Ortsgruppe Frankfurt des jüdischen Frauenbundes“, Frankfurt a.M. 1920 – Nachweis: Online-Ausgabe 2011: Universitätsbibliothek JCS Frankfurt a.M., Judaica Frankfurt, https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hebis:30:1-301085
Deckblatt des Berichts von Bertha Pappenheim: Rückblick auf die jüdisch-soziale Frauenarbeit der Vereine „Weibliche Fürsorge“, „Heim des jüdischen Frauenbundes Isenburg“, „Mädchenclub“ und „Ortsgruppe Frankfurt des jüdischen Frauenbundes“, Frankfurt a.M. 1920 – Nachweis: Online-Ausgabe 2011: Universitätsbibliothek JCS Frankfurt a.M., Judaica Frankfurt, https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hebis:30:1-301085

1920, nach dem für Deutschland verlorenen Ersten Weltkrieg mit verheerenden und folgenreichen sozialen und ökonomischen Verwerfungen, resümierte Bertha Pappenheim das reichhaltige Wirken und konsequente Standhalten der Weiblichen Fürsorge. Sie betonte deren sozialethisches Fundament: die Stärkung der von antisemitischen Angriffen bedrohten jüdischen Minderheit und die Erfüllung des göttlichen Auftrags, über die eigene Gemeinschaft hinaus Gesellschaft und Menschheit zu heilen, zu verbessern, wiederherzustellen, zu ,reparieren‘ (Tikkun Olam). Hierin lag für Bertha Pappenheim, Henriette Fürth und ihre Mitstreiterinnen die besondere Kompetenz und Verantwortung der jüdischen Frauen. Die Pflege gefährdeter Kinder und Säuglinge und die Unterstützung auf sich allein gestellter Mütter diente aus dieser Perspektive zugleich der Genesung und Gesunderhaltung des Judentums – zugunsten seines Umfelds, der nichtjüdisch-christlichen Mehrheitsgesellschaft.

Es war das Jahr 1901 (Weibliche Fürsorge Ffm 1921; Schiebler 1994a: 193), als weibliche Mitglieder der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main mit dem anfänglichen Ziel, „der sozialen Not jüdischer Immigrantinnen entgegenzusteuern und sie vor dem Abstieg in die Prostitution zu bewahren“ (Klausmann 1997: 157), mit der Weiblichen Fürsorge ihr eigenes Hilfskomitee gründeten. Den Anstoß gab der Israelitische Hilfsverein, welcher sich bei seiner Sozialen Arbeit für antisemitisch verfolgte Pogromflüchtlinge aus Osteuropa zunehmend mit den erschütternden Auswirkungen von Armutsprostitution konfrontiert sah. Wie die Historikerin Christina Klausmann schreibt, entwickelte sich die Weibliche Fürsorge von einer Unterabteilung des Hilfsvereins „in den kommenden Jahren zur Initiatorin der jüdischen Frauenbewegung“ (Klausmann 1997: 157; s. auch Schröder 2001; Keller i.E.). Hierzu zählte die Mitgründung des 1904 errichteten Dachverbands Jüdischer Frauenbund, dem Bertha Pappenheim zwei Jahrzehnte lang vorstand. Vor Ort, in Frankfurt am Main, engagierte sich die Weibliche Fürsorge für eine moderne und zeitgemäße Armenpflege und trieb zugleich die Reformierung der gesamten Wohlfahrtspflege der Jüdischen Gemeinde voran. Anstelle der Vergabe von Almosen präferierte sie eine an der jeweiligen individuellen Notlage ausgerichtete Hilfe zur Selbsthilfe.

Zur „Förderung der gemeinnützigen Bestrebungen für die Gesamtinteressen der jüdischen Frauenwelt“ (zit. n. Schiebler 1994a: 193) stellte sich die Weibliche Fürsorge bereits 1904 als selbständiger Verein auf; ihre Geschäftsstelle befand sich in der damaligen Lange Straße 30. Der Jurist Gerhard Schiebler hat ihr vielseitiges und herausforderndes Wirkungsfeld in Arno Lustigers Edition Jüdische Stiftungen in Frankfurt am Main zusammengefasst (ebd.):

„1. Arbeitsausschuß in Verbindung mit Frankfurter Unterstützungsvereinen; Familienpflege, Recherchen, Kleider- und Stiefelkontrolle.
2. Kommission für Kinderschutz, Kinderhaus.
3. Kommission für Stellenvermittlung, Arbeitsnachweis, Berufsberatung, Zimmernachweis (Lange Straße 30), gegründet 1906 (…).
4. Wohnräume für im Erwerb stehende Frauen und Mädchen, gegründet 1913 (…).
5. Kommission für Wohnungsfürsorge.
6. Gefängnis- und Krankenhaushilfe.
7. Bekämpfung des Mädchenhandels.“

(Schiebler 1994a: 193)

Nach dem Ersten Weltkrieg stand zudem die Tuberkulosebekämpfung bei Erwachsenen und Kindern im Fokus. 1928 errichtete die Weibliche Fürsorge den Frankfurter Dachverband Jüdische Wohlfahrtspflege e.V. mit, der seine Tätigkeit zum 1. April 1929 aufnahm (Schiebler 1994: 110-111), und war auch im Gründungsvorstand vertreten. Unter der NS-Verfolgung bestand die Weibliche Fürsorge noch bis in die späten 1930er Jahre. Den Vorstand bildeten um 1933 neben den Mitgründerinnen Clementine Cramer, Henriette Fürth, Schwester Oberin Minna Hirsch, Bertha Holzmann und Emma Strauß-Ellinger zudem Tilly Epstein, Therese Freimann, Flora Grünebaum, Lina Kander, Cecile Mayer, Seline Meyer, Paula Nassauer und Bertha Rosenblatt (Schiebler 1994a: 193).

Eine „Persönlichkeit von seltener Größe“: Oberin Minna Hirsch und die (gruppen-)biografische Spurensuche

Der Vorstand des jüdischen Frauenvereins Weibliche Fürsorge e.V.: Oberin Minna Hirsch (Bildausschnitt), vermutlich 1904 – Nachweis: Center for Jewish History / Leo Baeck Institute F 3240, s. auch Wikimedia
Der Vorstand des jüdischen Frauenvereins Weibliche Fürsorge e.V.: Oberin Minna Hirsch (Bildausschnitt), vermutlich 1904 – Nachweis: Center for Jewish History / Leo Baeck Institute F 3240, s. auch Wikimedia

„Die Säuglingskommission unter dem Vorsitz von Schwester Oberin Minna Hirsch und dem ärztlichen Beirat von Dr. Deutsch arbeitete mit 9 Damen und beaufsichtigte 40 Kinder (darunter 3 uneheliche), die größtenteils aus der Freiherrlich von Rothschild’schen Stiftung mit Milch versorgt wurden. Die regelmäßig im [Israelitischen] Gemeindehospital vorgenommene Wägung der Kinder ergab sehr befriedigende Resultate, und diese Kinderschau bildet zugleich auch einen Antrieb für die Mütter, die Kleinen besserer und sauberer zu halten, als sie es vielleicht sonst getan hätten (…).“

(Weibliche Fürsorge Ffm 1905: 3)

Die Säuglingskommission gehörte zu den ersten Einrichtungen der Weiblichen Fürsorge. Angeschlossen war eine Säuglings-Milchküche, untergebracht im Israelitischen Gemeindehospital (Königswarterstraße) und nach der Eröffnung des Klinikneubaus (Gagernstraße) im angrenzenden neuen Schwesternhaus des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen (Bornheimer Landwehr). Als „sozialfürsorgerische Initiative“ versorgte die Milchküche „vor allem die Säuglinge armer Mütter aller Konfessionen mit gesunder und hygienisch hergestellter Kleinkindnahrung“ (Steppe 1997: 209; s. auch Seemann 2021) – eine notwendige Maßnahme, die viele Kinderleben schützte und rettete. Der obige Bericht für das Jahr 1903/04 in der Allgemeinen Zeitung des Judentums hebt Oberin Minna Hirsch (1860-1938) als die Vorsitzende der Säuglingskommission hervor. Obgleich eine Pionierin der Professionalisierung der jüdischen Krankenpflege zum (Frauen-)Beruf – als „die erste jüdische Krankenschwester in Deutschland“ (Hirsch M. 1931) war sie 1893 Mitinitiatorin des ersten Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen sowie langjährige Oberin des Frankfurter jüdischen Gemeindehospitals und Schwesternhauses – ließ sich zu Minna Hirsch infolge der Zerstörungen der Shoah und des Zweiten Weltkriegs bislang kein geeignetes Bildmaterial auffinden. Trotz des herben Verlustes an Quellen und Dokumenten sind einige biografische Daten bekannt (Steppe 1997; Hirsch M. 2001): So entstammte sie nicht dem Frankfurter jüdischen Bürgertum, sondern wurde 1860 in die bedeutende jüdische Gemeinde von Halberstadt (Landkreis Harz, Sachsen-Anhalt) hineingeboren. Sie war die älteste Tochter von Clara geb. Fleischhauer und Fischl (Fischel) Hirsch, einem in der jüdischen Welt hochgeschätzten Verleger, Drucker, Buchhändler und Antiquar von hebräischen Publikationen, Manuskripten und Handschriften (Singer/ Straalen 1906). Nach Jahrzehnten der Pflegearbeit und -leitung trat Oberin Minna Hirsch 1926 in den Ruhestand und wohnte zuletzt im Frankfurter jüdischen Schwesternhaus. Vermutlich war es ihr ehemaliger langjähriger Vorgesetzter und Förderer Sanitätsrat Dr. med. Adolf Deutsch (1868–1942) – praktischer Arzt, Leiter der Poliklinik des jüdischen Krankenhauses Gagernstraße, stellvertretender Vorsitzender des jüdischen Schwesternvereins und im Kriegsjahr 1917 zusammen mit Bertha Pappenheim sowie Max Wertheimer (Lebensdaten unbekannt) Vorstandsmitglied der Säuglings-Milchküche – welcher die 1938 verstorbene Oberin in einem Nachruf als eine „Persönlichkeit von seltener Größe“ würdigte (Hirsch M. 1938); die NS-Novemberpogrome im gleichen Jahr musste sie nicht mehr erleben.

Dr. Deutsch war zugleich Bruder der Hermann Cohen-Loge, einer der drei Frankfurter Logen des bereits eingangs erwähnten jüdischen Ordens B’nai B’rith (Söhne des Bundes [mit Gott]) (Gut 1928; Seidler 2016; Seemann i.E.; Bnai Brith Frankfurt Schönstädt Loge e.V.: https://bnaibrith-ffm.de/de). Mit Projekten der Zedaka, der Vermittlung jüdischer Bildung in Stadt und Land und der Selbstbehauptung gegen Antisemitismus und ,Assimilation‘ führte der Orden verschiedene Richtungen im deutschen Judentum zusammen. Langjähriger und letzter Präsident des Deutschen Distrikts (Unabhängiger Orden Bne Briss) des 1843 von deutsch-jüdischen Einwanderern in New York gegründeten internationalen Ordens war der bekannte Rabbiner Dr. Leo Baeck (1873-1956). Bis zum NS-Verbot 1937 und der Shoah wirkten in vielen deutschen Städten bis zu 103 Logen mit durchschnittlich 15.000 Brüdern. Dazu kam etwa die gleiche Zahl an Logenschwestern, zumeist die Ehepartnerinnen und weitere Angehörige. Sie engagierten sich in den den Einzellogen angeschlossenen, sozial überaus aktiven Frauenvereinigungen. Mit dem Periodikum Die Logenschwester gaben sie seit 1928 ihr eigenes Presseorgan heraus (Orden BB Logenschwester 1928–1936). Auch die Schwesternvereinigungen der drei Frankfurter Logen – außer der Hermann Cohen-Loge die Marcus Horovitz-Loge sowie die bereits 1888 gegründete Frankfurt-Loge, u.a. Mitgründerin und Förderin des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen – wirkten im Jüdischen Frauenbund und bewährten sich darüber hinaus als ein gestaltender Teil der Frankfurter Frauenbewegung. Mit Schwester Oberin Minna Hirsch waren sie ebenso eng verbunden wie mit Henriette Fürth, welche sie wiederholt als Vortragsrednerin in ihr Logenheim und Gesellschaftshaus Eschersheimer Landstraße 27 luden.

Nach dem oben erwähnten Bericht in der Allgemeinen Zeitung des Judentums für 1903/04 bestand der Vorstand der Weiblichen Fürsorge in diesem Zeitraum „aus den Damen: Bertha Pappenheim, I. Vorsitzende, Henriette Fürth, II. Vorsitzende, Cilly Epstein, I. Schriftführerin, Bertha Holzmann, II. Schriftführerin, Sidonie Dann, Schatzmeisterin, Fanny Blau, Clem.[entine] Cramer, Schwester Oberin Minna Hirsch, Elise Hochstädter, Johanna Lenné, Mathilde Pfeiffer, Therese Reiffenberg, Ella Seligmann, Johanna Stern, Emma Strauß-Ellinger“ (Weibliche Fürsorge Ffm 1905: 4). Mit Fanny Blau und Ella Seligmann wirkten bereits in diesem Gremium die beiden Gründungsvorsitzenden der Frauenvereinigung der Frankfurt-Loge des B’nai B’rith: Fanny Blau geb. Hirschler (1870-1936) war verheiratet mit Logenpräsident Justizrat Dr. Julius Blau (1861-1939), von 1903 bis 1939 Vorsitzender des Vorstands der Frankfurter Israelitischen Gemeinde, Ella Seligmann geb. Kauffmann (1867 – 1953 im englischen Exil) mit dem Logenbruder und Frankfurter liberalen Rabbiner Dr. Caesar Seligmann (1860-1950). Stellvertretend für weitere Logenschwestern im Verein Weibliche Fürsorge seien als spätere Vorsitzende (sowie leitende Mitglieder der Frankfurter Ortsgruppe des Jüdischen Frauenbundes) zudem die Arztgattin Paula Nassauer geb. Niedermayer (auch: Niedermeyer, 1877 – 1947 im englischen Exil, vgl. Entschädigungsakte HHStAW 518/ 9890) und die Rabbinertochter Ella Werner verw. Baer geb. Plaut (1880-1964) namentlich genannt. Ella Werner verfügte als Laborantin, Sekretärin bei der Frankfurter Israelitischen Gemeinde und später als Sozialarbeiterin im New Yorker Exil über eigene berufliche Erfahrung. Die Nationalsozialisten vertrieben sie zusammen mit ihrem Ehepartner, Gymnasialprofessor Dr. Moritz Werner (1873-1939) – Lehrer am Frankfurter Lessing-Gymnasium, Vorsitzender des Kuratoriums des Frankfurter Jüdischen Waisenhauses, zeitweiliger Präsident der Hermann Cohen-Loge – 1938 nach Amerika. In Ella Werners Nachlass, den sie bei ihrer Flucht retten konnte, sind zu dem von Bertha Pappenheim in Neu-Isenburg errichteten Heim des Jüdischen Frauenbundes Dokumente und Fotografien zu entdecken (CJH/LBI: Werner, Ella; s. auch Werner 1929, 1936, 1960 u. 1964).

Ella und Moritz Werner, gemalt von dem Impressionisten und Logenbruder Jakob Nussbaum, 1923 – Nachweis: Nussbaum, Jakob: Portrait of Ella and Moritz Werner, Leo Baeck Institute, 2019.24, The Edythe Griffinger Portal, https://www.lbi.org/artcatalog/record/5522801
Ella und Moritz Werner, gemalt von dem Impressionisten und Logenbruder Jakob Nussbaum, 1923 – Nachweis: Nussbaum, Jakob: Portrait of Ella and Moritz Werner, Leo Baeck Institute, 2019.24, The Edythe Griffinger Portal, https://www.lbi.org/artcatalog/record/5522801

Birgit Seemann, Juni 2023

Quellen- und Literaturverzeichnis

Ungedruckte und digitalisierte Quellen

CJH/LBI: Center for Jewish History – Leo Baeck Institute
• Photo Weibliche Fürsorge: Outdoor group portrait of the women on the first board of the Weibliche Fuersorge (Care for Women Society) in Frankfurt am Main, 1904, F 3240, Bertha Pappenheim Collection AR 331
• Werner, Ella: Ella Werner Collection AR 3079: https://archives.cjh.org/repositories/5/resources/16758

HHStAW: Hessisches Hauptstaatsarchiv
• Bestand 518 Nr. 9890: Nassauer, Paula geb. Niedermeyer

ISG FFM: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main
• Bestand A.02.01 Nr. R-1566-1: Versorgung der Pfleglinge, Kost- und Ziehkinder; Säuglingsfürsorge (Laufzeit: 1881 – 1910)
• Bestand A.02.01 Nr. S-1984: Verein Weibliche Fürsorge, Israelitischer Frauenverein zur Förderung gemeinnütziger Bestrebungen, in Frankfurt (Laufzeit: 1913 – 1921)
• Bestand S7P Nr. 4113: Foto von Tilly Epstein (1881-1971), ca. 1960 – Zusatzinformation: „Beruf/Funktion: Schwester von Paul Epstein, Dr. phil., Lehrerin am Philantropin, Schriftführerin „Weibliche Fürsorge“, 1941 Emigration

UB JCS Ffm: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt a.M.
• Judaica Ffm: Judaica Frankfurt, Digitale Sammlung: https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaica/nav/index/all

Literatur und Links (zuletzt abgerufen am 03.06.2023)

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Weibliche Fürsorge Ffm 1921: Jubiläumsfeier der Weiblichen Fürsorge. [Bericht o.Verf.]. In: NJP/FIF 19 (1921) 39, S. 2, Rubrik ,Frankfurter Berichte‘, online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/2693266

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Werner, Ella 1936: In der Heimkommission. [Erinnerungen an Bertha Pappenheim]. In: BdJFB 12 (1936) 7-8 [Gedenkheft zu Bertha Pappenheims Tod], S. 15, online: UB JCS Ffm: Judaica Ffm, Compact Memory, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/6359909

Werner, Ella 1960: Ella Werner – 80 Jahre. In: Aufbau, 01.04.1960, S. 15, online: Aufbau: https://archive.org/details/aufbau

Werner Ella 1964: Ella Werner – Nachruf. In: Aufbau, 07.02.1964, S. 8 (vgl. auch Todesanzeige [gest. 31.01.1964]), online: Aufbau: https://archive.org/details/aufbau

Yad Vashem Datenbank: Zentrale Datenbank der Namen der Holoaustopfer der Internationalen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem, https://yvng.yadvashem.org/index.html?language=de

Periodika

AZJ: Allgemeine Zeitung des Judentums

BdJFB: Blätter des Jüdischen Frauenbundes für Frauenarbeit und Frauenbewegung. Organ des Jüdischen Frauenbundes von Deutschland

FIG: Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt / Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main / Jüdisches Gemeindeblatt für Frankfurt

It: Der Israelit. Ein Centralorgan für das orthodoxe Judentum

NJM: Neue Jüdische Monatshefte : Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Literatur in Ost und West

NJP/FIF: Neue Jüdische Presse / Frankfurter Israelitisches Familienblatt

Interkonfessionelle Pflegeteams in jüdischen Krankenhäusern

In der Seminarreihe Pflege in Verantwortung der Katholischen Erwachsenenbildung stellt Dr. Birgit Seemann am Dienstag, 25. Juni 2024, um 19.30 Uhr, die jüdische Pflegegeschichte am Beispiel von Frankfurt am Main vor. Ein Fokus liegt auf der bislang kaum erforschten jüdisch-christlichen Teamarbeit in jüdischen Krankenhäusern. Interessierte sind herzlich in die Theodora Konitzky Akademie Bad Nauheim (Badehaus, Nördlicher Park 5) eingeladen.

Das Clementine-Mädchenspital nach dem Umbau, 1899 (Wikimedia, letzter Aufruf März 2022)

In „allen Stadien der Schutzbedürftigkeit“: Institutionen der jüdischen Kinder- und Säuglingspflege in Frankfurt am Main – ein historischer Überblick

Einführung

Dank der Förderung durch die Georg und Franziska Speyer‘schen Hochschulstiftung widmet
sich das Projekt Jüdische Pflegegeschichte neben der Krankenpflege sowie ergänzend der
Altenpflege und Altenhilfe einem dritten Baustein: der Kinderpflege. Das Forschungs- und
Lernmodul trägt den Titel Jüdische Kinder- und Säuglingspflege und ihre Netzwerke in
Frankfurt am Main, Teil 1 (1871–1918): Institutionen, Biografien, Themen und Medien
; der
Fokus liegt weiterhin auf der Krankenpflege.

Das Clementine-Mädchenspital nach dem Umbau, 1899

Insgesamt ist die Geschichte der Frankfurter Kinder- und Säuglingspflege inklusive ihres
jüdischen Anteils wenig aufgearbeitet (vgl. in Ansätzen Thomann-Honscha 1988; Steppe
1997; Seemann 2018). Wer sich auf diesen Forschungspfad begibt, ,entdeckt‘ ein
professionelles und ehrenamtliches Netzwerk aus Persönlichkeiten, Institutionen und Orten
(,Jewish Places‘, hierzu Seemann/ Bönisch 2019) der Frankfurter Stadtgeschichte im
gemeinsamen Einsatz für medizinische Behandlung, Krankenpflege, Rehabilitation und
Fürsorge – ein „in allen Stadien der Schutzbedürftigkeit“ (Pappenheim 1920) Engagement,
das viele Kinderleben rettete. Noch für das Jahr 1911 hatte der Frankfurter Verband für
Säuglingsfürsorge
in seinem ersten Bericht alarmierende Zahlen vorgelegt:

Mehr wie [sic!] 400.000 Säuglinge sterben in ihrem ersten Lebensjahre in unserem
Vaterlande. 1.600 in Frankfurt a.M.! Darunter Hunderte gesunder Kinder, die ärztliche
Aufsicht und geeignete Fürsorge hätten am Leben erhalten können. Mangelhafte
Pflege legt den Keim zu langjährigem Siechtum in so manches Kind, dessen späteres
trauriges Dasein eine Folge von Verhältnissen ist, die zum großen Teil durch
frühzeitige ärztliche Beratung und soziale Fürsorge auszugleichen gewesen wären.

(FVfS 1911: 1)

Integraler Bestandteil des Netzwerkes war eine eine erprobte interkonfessionelle
Zusammenarbeit, welche – wenngleich nicht frei von Antisemitismus, „der uns bei angeblich
interkonfessionellen Fürsorgestellen unsicher, scheu und empfindlich macht“ (Pappenheim
1920: 3) – auf erfolgreichen jüdisch-christlichen Gründungen und Arbeitsteams basierte, in
die der Nationalsozialismus zerstörerisch eingriff. Der NS-Staat setzte alles daran, den
überproportional hohen jüdischen Anteil an der Frankfurter Kinder- und Säuglingspflege
auszumerzen. Kein Name, keine Straße sollte mehr an die Verdienste jüdischer
Sozialreformer/innen, Stifter/innen, Mediziner/innen und Krankenschwestern erinnern.

Kinderkliniken, Säuglingsheime und Kureinrichtungen

Die Gründerinnen und Gründer privater Frankfurter Einrichtungen der Kinder- und
Säuglingspflege des 19. Jahrhunderts waren in der Regel religiös motiviert; in Zeiten
mangelnder sozialer Sicherungssysteme setzten sie ihre Vorstellungen von Nächstenliebe,
Barmherzigkeit und Zedaka (soziale Gerechtigkeit durch Wohltätigkeit) in die Tat um. Mit
Sorge registrierten sie die nicht zuletzt durch beengte und unhygienische Wohnverhältnisse
verursachte erhöhte Kinder- und Säuglingssterblichkeit, hinzu kamen ansteckende
Krankheiten wie Scharlach, Diphtherie oder offene Lungentuberkulose, Heranwachsende
trugen teils bleibende Gesundheitsschäden davon. Die 1883 unter Reichskanzler Bismarck
eingeführte staatliche Krankenversicherung galt zunächst der organisierten Arbeiterschaft
(vgl. einführend Draheim 2014:
https://www.dhm.de/lemo/kapitel/kaiserreich/innenpolitik/sozialgesetzgebung.html
[28.03.2022]); Erwerbslose, Berufsunfähige und kleine Selbständige blieben mit ihren
Familien weitgehend auf sich gestellt. Diese Bevölkerungsgruppe vergrößerte sich seit den
1880er Jahren durch die Ankunft jüdischer Flüchtlinge, die den zaristischen Pogromen
entkommen waren und völlig verarmt in Frankfurt am Main und im benachbarten Offenbach
eintrafen.

Der folgende Überblick lässt drei religiös-soziale Grundhaltungen privat gegründeter
Frankfurter Einrichtungen der Kinder- und Säuglingspflege mit jüdischer Beteiligung
erkennen:

  • Institutionen der reformorientierten Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main (Muttergemeinde);
  • Institutionen der Israelitischen Religionsgesellschaft (,Adass Jisroel‘, neo-orthodoxe Austrittsgemeinde);
  • Institutionen als jüdisch-christliche ,partnerships‘ (einschließlich jüdisch geborener, zum Christentum konvertierter Gründer/innen).

Beginnen wir mit dem von der Israelitischen Gemeinde aus privaten Mitteln errichteten, 1875
offiziell eröffneten Gemeindehospital in der Königswarterstraße (als ,Königswarter Hospital‘
bekannt). Leitender Arzt der Inneren Abteilung war der Chirurg Dr. med. Simon Kirchheim
(1843–1915), zugleich ein ausgewiesener Geburtshelfer. Bedürftige wurden unentgeltlich
versorgt. Am Beispiel des Königswarter Hospitals führt uns Sanitätsrat Prof. Dr. med.
Wilhelm Hanauer (1866–1940, vgl. Elsner 2017), selbst Kinderarzt, vor Augen, dass Kinder
in früheren Zeiten wie Erwachsene behandelt wurden. Hier galt es Abhilfe zu schaffen:

„Während bisher die Kinder in denselben Krankensälen wie die Erwachsenen lagen,
wurde 1899 im zweiten Stock des Hauses eine kleine Kinderabteilung, bestehend aus
drei Krankenzimmern und einem Tageraum, ferner eine besondere Abteilung für
ansteckende Krankheiten (Scharlach, Diphtherie) eingerichtet. Der Raum hierfür
wurde dadurch gewonnen, dass man die Verwalterwohnung in das Nebengebäude
verlegte.“

(Hanauer 1914: 45)

Noch vor dem Ersten Weltkrieg eröffnete die Israelitische Gemeinde dank des hohen
Spendenaufkommens aus der Frankfurter jüdischen Bevölkerung 1914 ihre neue und
hochmoderne Großklinik in der Gagernstraße 36 mit anfangs 200 Betten. Dort suchten und
fanden bis zur NS-Machtübernahme 1933 auch viele nichtjüdische Erkrankte Heilung (vgl.
Bönisch 2014; siehe auch Seemann 2020). Bei der Vorplanung hatte der Gründungsvorstand
bereits 1906 beschlossen,

„anlässlich der silbernen Hochzeit des Kaiserpaares ein Kapital von 100.000 Mk. als
Grundstock zur Errichtung einer bis dahin fehlenden gynäkologischen Abteilung und
Entbindungsanstalt in dem zu erbauenden Hospital aus Gemeindemitteln zu stiften.“

(Hanauer 1914: 56)

Vermutlich im ersten Obergeschoss verfügte der Klinikneubau über

„Kindersaal und Säuglingszimmer, welchen eine Loggia vorgelagert ist. Im Kindersaal
werden ansteckungsverdächtige kleine Patienten zunächst in einer Box isoliert. Die
Säuglinge können durch Glaswände voneinander getrennt werden.“

(Ebd.: 63)

Wie zuvor im Königswarter Hospital leitete Minna Hirsch (1860–1938) als Oberin des
Krankenhauses Gagernstraße und des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen Frankfurt am
Main weiterhin den umfangreichen Pflegebetrieb, in dem auch einige christliche Schwestern
arbeiteten (vgl. Bönisch 2021; Seemann 2021). Oberin Hirsch genoss als eine der allerersten
ausgebildeten jüdischen Schwestern im Kaiserreich und Mitbegründerin des Frankfurter
jüdischen Schwesternvereins einen ausgezeichneten Ruf. Der Verein erhielt nahe des
Krankenhauses Gagernstraße 36 im der Straße Bornheimer Landwehr 85 ein eigenes
modernes Schwesternhaus (hierzu Bönisch 2015a). Den Vorsitz des Schwesternvereins führte
der als Diabetesforscher renommierte Prof. Dr. med. Simon Isaac (1881–1942), langjähriger
Chefarzt der Abteilung der Inneren Medizin und ärztlicher Direktor der Klinik. Unter
Anleitung von Oberin Hirsch richtete das Krankenhaus eine Säuglingsberatung für jüdische
wie nichtjüdische Mütter ein.

Während das Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde liberal ausgerichtet war, gehörte das
Mathilde von Rothschild‘sche Kinderhospital (1886–1941) – bekannt als das ,Rothschild‘sche
Kinderhospital‘ – zu den Wohlfahrts- und Pflegeinstitutionen der neo-orthodoxen
Austrittsgemeinde ,Israelitische Religionsgesellschaft‘ im Frankfurter Röderbergweg (vgl.
Seemann 2016; dies./ Bönisch 2019; siehe auch Heuberger/ Krohn 1988; Schiebler 1994: 165-
166). Dort fanden bedürftige jüdische Kinder im Alter von vier bis zwölf Jahren
unentgeltliche medizinische Behandlung und Pflege. Über die von Mathilde von Rothschild
(1832–1924) zum Andenken an ihre jung verstorbene Tochter Georgine Sara (1851–1869)
gestiftete Klinik informiert ein eigener Beitrag.

An dieser Stelle sei auch an weitere private Initiativen aus dem Frankfurter Judentum erinnert
und beispielhaft die bereits 1866 von Mitgliedern der liberalen Israelitischen Gemeinde
gegründete „Stiftung für gebrechliche oder verwahrloste bedürftige israelitische Kinder“
(Hanauer 1914: 52 [Hervorhebungen im Original gesperrt]) genannt; sie kam u.a. für
medizinische Behandlungskosten auf. Eine weitere Initiative, die 1899 errichtete Achille
Alexandre‘sche Bikkur Cholim-Stiftung (Bikkur Cholim = Krankenbesuch / Krankenpflege,
vgl. Seemann 2017), „unterstützte kranke israelitische Kinder bis zum 13. Lebensjahr mit
Medikamenten und Barmitteln“ (Schiebler 1994: 158). Diesem Projekt stand 1917 mit dem
Bankier Lyon Seeligmann (1866–1948) ein langjähriger Bruder der Frankfurt-Loge des
Deutschen Ordens B’nai B’rith vor: Der bis heute in zahlreichen Ländern vertretene B’nai
B’rith (hebräisch: Söhne des Bundes [mit Gott]) gehört zu den ältesten jüdischen Wohlfahrts-,
Bildungs- und Menschenrechtsorganisationen. Bis zu seiner NS-Zerschlagung im Jahr 1937
bestand auch in Deutschland ein großer Distrikt (Unabhängiger Orden Bne Briss), langjährig
geleitet von dem bekannten Rabbiner Dr. Leo Baeck (1873–1956) als gewähltem
Großpräsidenten, mit über 100 Einzellogen. In Frankfurt am Main wirkten neben der bereits
1888 gegründeten Frankfurt-Loge die Hermann Cohen-Loge (gegr. 1919) und die Marcus
Horovitz-Loge (gegr. 1922) (vgl. Gut 1928); allen drei Logen waren sozial überaus engagierte
und mit der Frankfurter und deutschen Frauenbewegung gut vernetzte Schwesternschaften
angeschlossen. Der Frankfurter B’nai B’rith findet hier besondere Erwähnung, da er als
Vereinigung sowie durch einzelne Logenangehörige an nahezu allen Frankfurter jüdischen
Sozial- und Pflegeprojekten beteiligt war; des Weiteren hatte er die Professionalisierung der
jüdischen Krankenpflege vorangetrieben (vgl. Steppe 1997). Sowohl der oben erwähnte Prof.
Dr. med. Simon Isaac (Krankenhaus Gagernstraße) als auch Sanitätsrat Prof. Dr. med. Paul
Grosser (1880–1934, leitender Arzt der Kinderklinik Böttgerstraße mit Säuglingsheim, danach
Direktor des Clementine Kinderhospitals) waren beide Brüder des jüdischen Ordens. Michael
Moses Mainz (1842–1927), welcher als Finanzberater Mathilde von Rothschilds (kein
Logenmitglied) maßgeblich den Aufbau ihres beeindruckenden Zedaka-Netzwerks
organisierte, war Mitbegründer der Frankfurt-Loge – und Schwiegervater des oben genannten
Lyon Seeligmann. Von den in verschiedenen Kurorten angesiedelten Projekten sei hier
exemplarisch die von der Frankfurt-Loge initiierte und durch Mathilde von Rothschild
finanzierte Israelitische Kinderheilstätte in Bad Nauheim erwähnt (vgl. Bönisch 2015b; siehe
auch Gut 1928: 40; Schiebler 1994: 162). Das Kurheim diente der Rehabilitation bedürftiger
jüdischer Kinder und wurde von Frankfurt aus verwaltet; der Mitbegründer und Berater
Michael Moses Mainz war auch im Vorstand vertreten. Ein Logenpaar des Frankfurter B’nai
B’rith – Raphael (1852–1909) und Jeanette Ettlinger (um 1856 – 1919) – gründete 1910 in
Hofheim am Taunus das Raphael und Jeanette Ettlinger-Heim e.V. für erholungsbedürftige
jüdische Kinder (vgl. Hanauer 1914: 54; Gut 1928: 41; Schiebler 1994: 160); nur zwei Jahre
versorgte die Institution 83 Mädchen und 41 Jungen. Hierüber informiert uns einmal mehr
Sanitätsrat Prof. Dr. med. Wilhelm Hanauer – ein weiteren Bruder des Frankfurter B’nai
B’rith.

Als in jüdisch-christlicher Zusammenarbeit gediehene Institutionen sind das Clementine
Kinderhospital
(vgl. Schiebler 1994: 159-160; Hövels u.a. 1995; Reschke 2012) und
das ,Böttgerheim‘ (Kinderklinik mit Säuglingsheim und Pflegeschule in der Böttgerstraße,
vgl. Gans/ Groening 2008) hervorzuheben; beide Einrichtungen werden wie das orthodox-jüdische
Rothschild‘sche Kinderhospital in Einzelbeiträgen vorgestellt. Das Böttgerheim,
errichtet durch das jüdisch geborene und evangelisch getaufte Ehepaar Auguste (1839–1909)
und Fritz Gans (1833–1920), hatte auch jüdische Unterstützer wie etwa den Frankfurter Notar
Dr. jur. Eduard Baerwald (1875–1934 (vgl. Schiebler 1994:158 sowie Eintrag bei Rotary und
NS: https://memorial-rotary.de/members/19 [28.03.2022]). Dass Louise von Rothschild
(1820–1894), Mitbegründerin des nach ihrer jung verstorbenen Tochter benannten Clementine
Kinderhospitals, die Schwägerin Mathilde von Rothschilds war, verweist einmal mehr auf
jüdische Familiennetze beim Aufbau Frankfurter Institutionen der Kinder- und
Säuglingspflege. Erwähnt sei in diesem Kontext auch das Angebot unentgeltlicher Zahn- und
Kieferbehandlung für bedürftige Kinder und Jugendliche durch die dazumal moderne
Heilanstalt (später Zahnklinik) Carolinum – 1890 gegründet von Louises Tochter und
Mathildes Nichte Hannah-Louise von Rothschild (1850–1892) und benannt nach Hannah-
Louises verstorbenem Vater Mayer Carl Freiherr von Rothschild (1820–1886) (vgl.
Windecker 1990 sowie einführend Carolinum Ffm 2021; siehe auch: Carolinum
Zahnärztliches Universitäts-Institut GGmbH: Poliklinik für Kieferorthopädie. Kinder und
Jugendliche: https://www.kgu.de/einrichtungen/kliniken/carolinum-zahnaerztlichesuniversitaets-
institut-ggmbh/poliklinik-fuer-kieferorthopaedie/leistungsspektrum/kinder-undjugendliche
[28.03.2022]). Das Carolinum stand ebenfalls allen Konfessionen offen. Im
Vorstand von Clementine Kinderhospital und Carolinum wirkten Mitglieder der angesehenen
calvinistisch-christlich geprägten Frankfurter Familie de Bary. Anders als die jüdischen
Krankenhäuser konnten alle drei Kliniken trotz nationalsozialistischer Repressionen und
Gebäudeverlusten durch alliierte Luftangriffe in der Bundesrepublik als Institutionen
fortbestehen.

Vereine und Verbände: Weibliche Fürsorge e.V. und Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge

Abbildung: Der Vorstand des jüdischen Frauenvereins Weibliche Fürsorge e.V. mit Henriette Fürth (vordere Reihe, zweite von rechts) sowie vermutlich Oberin Minna Hirsch (hintere Reihe, zweite von links), 1904 – Herkunft: Center for Jewish History / Leo Baeck Institute F 3240, Nachweis: Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Outdoor_group_portrait_of_the_women_on_the_first_board
of_the_Weibliche_Fuersorge(Care_for_Women_Society);Frankfurt_am_Main(3507968224).jpg?
uselang=de sowie https://www.flickr.com/commons [28.03.2022]

Im Jahr 1901 errichteten die Frankfurter jüdischen Sozialreformerinnen, Frauenrechtlerinnen
und Autorinnen Bertha Pappenheim (1859–1936, vgl. Gedenkbuch JB Neu-Isenburg:
https://gedenkbuch.neu-isenburg.de/bertha-pappenheim [28.03.2022]) und Henriette Fürth
(1861–1938, vgl. Fürth o.J. [28.03.2022]) einen israelitischen Frauenverein „zur Förderung
der gemeinnützigen Bestrebungen für die Gesamtinteressen der jüdischen Frauenwelt“ (zit. n.
Schiebler 1994: 193; siehe auch Kaplan 1918; Klausmann 1997): den Verein Weibliche
Fürsorge e.V. mit Geschäftsstelle in der Langestraße 30. Dritte ,im Bunde‘ der Initiatorinnen
war sehr wahrscheinlich die bereits als Oberin des Krankenhauses Gagernstraße und
Frankfurter jüdischen Schwesternvereins vorgestellte Krankenschwester Minna Hirsch
(Jahrgang 1860 und damit aus der gleichen Generation stammend). Die Weibliche Fürsorge
gehörte zu den Abteilungen des Israelitischen Hilfsvereins. Im Rahmen ihres umfangreichen
sozialen Programms (vgl. Weibliche Fürsorge 1905; Pappenheim 1920) errichtete sie auch
Kommissionen für Säuglingsfürsorge und Kinderschutz. 1911 eröffnete sie im Frankfurter
Stadtteil Sachsenhausen ein eigenes jüdisches Kinderheim (Hauptstandort: Hans-Thoma-
Straße, vgl. Mahnkopp 2020; siehe auch Schiebler 1994: 163-165; Seemann 2018). Zuvor
hatte die Weibliche Fürsorge bereits 1907 das Fundament zur Gründung des Heims des
Jüdischen Frauenbundes in Neu-Isenburg
gelegt. Diese dank intensiver Erinnerungsarbeit
wieder bekannt gewordene Institution bot sozial benachteiligten minderjährigen Müttern und
ihren nichtehelichen Kindern Zuflucht, Ausbildung und orthodox-jüdische Anleitung (vgl.
Heubach 1986; Gedenkbuch JB Neu-Isenburg mit Literaturangaben).

Abbildung: Gebäude (restauriert) des ehemaligen Heims des jüdischen Frauenbundes in Neu-
Isenburg – Fotograf: Frank Murmann, 31.05.2008, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Haus_Neu-Isenburg.jpg [28.03.2022]

Um 1903 arbeitete die Säuglingskommission der Weiblichen Fürsorge unter Oberin Minna
Hirschs Vorsitz „mit 9 Damen und beaufsichtigte 40 Kinder (darunter 3 uneheliche), die
größtenteils aus der Freiherrlich von Rothschild‘schen Stiftung mit Milch versorgt wurden“;
auch gab es das zusätzliche Angebot einer „Wägung der Kinder“ im Königswarter Hospital,
das „sehr befriedigende Resultate“ zeigte (Weibliche Fürsorge 1905: 3). Noch im alten
Schwesternhaus des Frankfurter Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen am Königswarter
Hospital hatte die Weibliche Fürsorge 1907 unter Oberin Hirschs Leitung eine Säuglings-
Milchküche
für Frankfurter Mütter und ihre Neugeborenen eingerichtet: „Zweck: a)
Verabreichung trinkfertiger Säuglingsnahrung nach ärztlicher Verordnung in solchen Fällen,
in denen nach ärztlicher Aussage nicht gestillt werden kann; b) Unterstützung Stillender“,
hieß es in der Satzung (zit. n. Schiebler 1994: 166). Diese „sozialfürsorgerische Initiative“
sollte „vor allem die Säuglinge armer Mütter aller Konfessionen mit gesunder und hygienisch
hergestellter Kleinkindnahrung“ versorgen“ (Steppe 1997: 209) – eine notwendige
Maßnahme, die Leben rettete und schützte: So waren im Zeitraum 1891–1900 von 100 in
Frankfurt am Main geborenen Säuglingen 16 Prozent bereits im ersten Lebensjahr verstorben
(vgl. Thomann-Honscha 1988: 83). Zum tragischen Säuglingssterben führten häufig
Krankheiten der Verdauungsorgane aufgrund armutsbedingter Mangel- und Fehlernährung,
gefolgt von Tuberkulose und Atemwegserkrankungen. Geleitet von der bewährten
Krankenschwester Johanna Beermann (1863–1942), zog die Säuglings-Milchküche in das im
Mai 1914 eingeweihte neue Schwesternhaus Bornheimer Landwehr 85 am Klinikneubau
Gagernstraße. Im Ersten Weltkrieg arbeitete die Milchküche unter erschwerten
Personalbedingungen. Wie Hilde Steppe betont, wurden vom Verein für jüdische
Krankenpflegerinnen trotz des hohen Einsatzes in Lazarett und Etappe

„vor allem die Tätigkeitsfelder in sozialfürsorgerischen Bereichen in Frankfurt die
ganze Kriegszeit hindurch aufrecht erhalten, wie die in der Säuglingsmilchküche, im
Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge und im Kinderhaus der Weiblichen
Fürsorge“.

(Steppe 1997: 218)

Im Kriegsjahr 1917 bildeten neben Schatzmeisterin Bertha Pappenheim der Vorsitzende
Sanitätsrat Dr. med. Adolf Deutsch (1868–1942) – praktischer Arzt, Leiter der Poliklinik des
Krankenhauses Gagernstraße, stellvertretender Vorsitzender des jüdischen Schwesternvereins
und ein Bruder des Frankfurter B’nai B’rith (Hermann Cohen-Loge) – sowie Max Wertheimer
(Lebensdaten unbekannt) den Vorstand der Säuglings-Milchküche. Bereits im Jahr 1902 hatte
der Verein für jüdische Krankenpflegerinnen seiner Armenschwester Rosa Goldstein (1874–
1942, später verheiratete Fleischer) die Leitung der Kostkinderkommission übertragen – ein
weiteres Projekt der Weiblichen Fürsorge:

„Hier werden Kinder ab einem Alter von etwa zwei Jahren, die entweder Waisen sind
oder in ihren Familien zu verwahrlosen drohen, in Pflegefamilien in und um Frankfurt
vermittelt und regelmäßig besucht.

(Steppe 1997; s. auch Fürth 1898; Thomann-Honscha 1988)

Wie die Säuglingskommission arbeitete auch die Kostkinderkommission mit neun
ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen.

Das Kinderhaus der Weiblichen Fürsorge leitete mit Oberin Frieda (Frida) Amram (1885–
1942, vgl. Seemann 2018) eine weitere Schwester aus dem Verein für jüdische
Krankenpflegerinnen. Durch den Erwerb des 1919 eröffneten Hauses Hans-Thoma-Straße 24
konnte die Institution 50 Kindern vom Säuglingsalter bis zum sechsten Lebensjahr eine
Zuflucht bieten:

„Zweck des Kinderhauses war es, bedürftigen isrealitischen [sic!] Kindern
unentgeltlich oder gegen mäßiges Entgelt Obhut, Verpflegung und Unterweisung zu
gewähren. Aufgenommen wurden Waisenkinder, Kinder[,] die durch missliche
Wohnungsverhältnisse nicht im Elternhause bleiben konnten, uneheliche Kinder und
solche, die keinen Menschen hatten, der sich ihrer annahm.“

(Schiebler 1994: 163)

Neben einem geregelten Alltagsablauf legte das Kinderhaus ganz im Sinne von Bertha
Pappenheim großen Wert auf eine jüdische Erziehung, Bildung und Gemeinschaft und bot
zudem einen Schutzraum gegen Antisemitismus. Die Geschichte des 1942 unter dem
Nationalsozialismus vernichteten Kinderhauses hat inzwischen Pfarrer Volker Mahnkopp mit
Unterstützung überlebender Bewohner/innen und ihrer Angehörigen umfassend erforscht (vgl.
Mahnkopp 2020; Frankfurter Kinderhaus). Dank dieses Engagements wurde am 26. April
2017 am Platz der vergessenen Kinder ein eigens entworfenes Mahnmal feierlich eingeweiht.
Eine Gedenktafel informiert die Besucherinnen und Besucher:

Die Skulptur ist angelehnt an die Form eines Dreidels. Das Spiel mit dem Dreidel ist
ein traditionsreiches Kinderspiel zum achttägigen Lichterfest Chanukka. Der Dreidel
ist ein kleiner Kreis mit vier Seiten, auf denen im Original jeweils ein hebräischer
Buchstabe zu sehen ist.“

Abbildung 3.: Fotografie vom Denkmal („Dreidel“) für das Kinderhaus der Weiblichen Fürsorge auf dem ,Platz der vergessenen Kinder‘, Hans-Thoma-Straße (Künstlerin: Filippa Pettersson) – © 2018 Dr. Edgar Bönisch

Der jüdische Frauenverein Weibliche Fürsorge e.V. und der Verein für jüdische
Krankenpflegerinnen arbeiteten intensiv mit einer weiteren, für andere Städte wegweisenden
Institution zusammen: dem Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge, der über seine
vielfältigen Aktivitäten eigene Jahresberichte vorlegte (vgl. UB JCS Ffm: FVfS 1911–1921).

Erste Seite (oberer Abschnitt) des 3. Jahresberichts des Frankfurter Verbandes für Säuglingsfürsorge E.V., 1913 – Foto nach Kopievorlage: Dr. Birgit Seemann, 28.03.2022

Der von der Weiblichen Fürsorge neu gegründete ,Ausschuß für Säuglingsfürsorge‘, dem der
Verein für jüdische Krankenpflegerinnen im Herbst 1910 eine Schwester „kostenlos zur
Verfügung“ (Steppe 1997: 210) stellte, gehörte zu den Vorläufern des Frankfurter Verbands
für Säuglingsfürsorge. Der Verband erreichte durch sein vorbildhaftes Wirken später auch
überregional Bekanntheit (vgl. Rosenhaupt 1912; Thomann-Honscha 1988). Entstanden war
er am 8. Dezember 1910 als überkonfessioneller Zusammenschluss vieler engagierter
Einzelpersonen und Einrichtungen, verdankte aber seine Errichtung letztlich einigen
jüdischen Mitgliedern des Frankfurter Ärztlichen Vereins. Hier sei vor allem der Kinderarzt
Dr. med. Heinrich Rosenhaupt (1877–1944, vgl. Frost 1995 sowie Kallmorgen 1936: 388;
DGKJ Datenbank) gewürdigt, in Kooperation mit seinen bereits erwähnten Kollegen Dr. med.
Adolf Deutsch und Sanitätsrat Prof. Dr. Wilhelm Hanauer. Zwei der drei weiblichen Kollegen
in den am 1. Januar 1911 eröffneten neun Beratungsstellen des Verbands – namentlich Dr.
med. Käthe Neumark (1871–1939, vgl. JüdPflege), vor ihrem Medizinstudium
Krankenschwester des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins, und Dr. med. Paula
Philippson (1874–1949, vgl. DGJK Datenbank sowie Eintrag mit Foto bei Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Paula_Philippson [28.03.2022] – waren jüdisch, die dritte, Dr.
Käthe Kehr (1874–1926, vgl. Datenbank ,Ärztinnen im Kaiserreich‘), evangelisch. Um auch
Müttern und ihren Säuglingen zu helfen, die das Beratungsangebot nicht erreichte, setzte der
Verband in den Frankfurter Stadt- und Armenbezirken jüdische, katholische und evangelische
Krankenschwestern ein. Dabei stellte der im Vergleich zu den anderen größeren
konfessionellen Schwesternvereinigungen weitaus geringer ausgestattete Verein für jüdische
Krankenpflegerinnen bereits im ersten Berichtsjahr drei Schwestern zur Verfügung, der Verein
vom Roten Kreuz sowie der Vaterländische Frauenverein jeweils zwei Schwestern (vgl.
Jahresbericht FVfS 1911: 6; siehe zu den Biografien der jüdischen Pflegenden Seemann
2018). Dank der Beratungs- und Rettungsarbeit des Frankfurter Verbands für
Säuglingsfürsorge sank der statistische Anteil der in ihren ersten Lebenswochen verstorbenen
Säuglinge (von 100 in Frankfurt am Main Geborenen) im Zeitraum 1911–1914 von 14,5
Prozent (1901–1910) auf 10,6 Prozent, im Jahr 1923, nach einem traurigen Wiederanstieg
infolge des Ersten Weltkriegs, erstmals unter 10 Prozent (vgl. Thomann-Honscha 1988: 83).
Seit 1922 koordinierte das Stadtgesundheitsamt Frankfurts offene Säuglingsfürsorge, der
Verband für Säuglingsfürsorge erhielt den Status als „ausführendes Organ der Stadt“ (zit. n.
Steppe 1997: 259). 1925 übernahm die Stadt Frankfurt den Verband (vgl. Thomann-Honscha
1988: 127); dessen zuletzt 15 Beratungsstellen (vgl. Daub 2015: 78) gehörten fortan zum
Aufgabengebiet des Stadtgesundheitsamtes.

In die Arbeit der so verdienstvollen Vereinigungen ,Weibliche Fürsorge e.V.‘ und ,Frankfurter
Verband für Säuglingsfürsorge‘ und ihre Leistungen für die Frankfurter Stadtgesellschaft kann
hier nur ein kleiner Einblick gegeben werden. Beide Institutionen – ein Netzwerk von
Ärztinnen und Ärzten, Pflegenden, Wissenschaftlern und Förderinnen – verdienen eigene
Studien und biografische Erinnerungsarbeit.

Birgit Seemann, April 2023

Quellen- und Literaturverzeichnis

Unveröffentlichte Quellen

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Sign. 686
– Frankfurter Verband für Säuglingsfürsorge, Sign. S3 / P6056
– Sammlung Personengeschichte S2/ 15.495: Rosenhaupt, Heinrich
– Wohlfahrtsamt: Magistrat, Jugend-Amt Frankfurt am Main, Sign. 1.134: Ausbildung von
Lehrschwestern [im Kinderheim Böttgerstraße, Laufzeit 1921–1928]
– Thomann-Honscha, Cornelia 1988: Die Entstehung der Säuglingsfürsorge in Frankfurt am
Main bis zum Jahre 1914, Diss. med. Univ. Frankfurt a.M. (gedr. Ms.), Sign. S 6a/411

Periodika

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– Rechenschaftsbericht Jüdischer Schwesternverein Ffm 1920: Verein für jüdische
Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main: Rechenschaftsbericht für die Jahre 1913 bis 1919
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– Jahresberichte FVfS: Jahresberichte des Frankfurter Verbandes für Säuglingsfürsorge,
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https://www.ckh-stiftung.de
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Frankfurter Kinderhaus: Platz der vergessenen Kinder. Das Kinderhaus der Weiblichen
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Frankfurter Personenlexikon: Frankfurter Personenlexikon. Ein Projekt der Frankfurter
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Neu-Isenburg (1907–1942). Hg.: Stadt Neu-Isenburg. Red.: Heidi Fogel, Website:
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Geni: Geni – A MyHeritage company [genealogische Website mit noch weiter zu prüfenden
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LeMO: Lebendiges Museum Online. Hg.: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Berlin),
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Koblenz, https://www.dhm.de/lemo
Rotary und NS: Hg.: Forschungsgruppe „Rotary und Nationalsozialismus“, Projekt mit
Internetseite und digitalem Gedenkbuch, https://memorial-rotary.de
Yad Vashem Datenbank: Zentrale Datenbank der Namen der Holoaustopfer der Gedenkstätte
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Kinderkrankenpflege: https://de.wikipedia.org/wiki/Kinderkrankenpflege
Säuglingspflege: https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%A4uglingspflege

In „liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt“: die Frankfurter jüdische Krankenpflege und ihr überregionales Netzwerk

Verbindungen des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins zu anderen Institutionen im Überblick

Abb. 1: Erwähnung von Oberin Sophie Meyer im Bericht (Auszug) über das Israelitische Krankenheim Bad Neuenahr in: Allgemeine Zeitung des Judentums, 26.05.1911
Online: Alemannia Judaica Bad Neuenahr [letzter Aufruf am 17.12.2020]

Frankfurt am Main – Köln – Hamburg – Heilbronn – Bad Neuenahr – Aachen: An all diesen Orten war Schwester Sophie Meyer im Auftrag des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt a.M. mit Tatkraft und Unternehmungsgeist im Einsatz. Ihre beruflichen Stationen zeugen von der überregional wegweisenden Bedeutung des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins für die professionelle deutsch-jüdische Krankenpflege. Der folgende Überblick markiert den Beginn einer Spurensuche.

Innerjüdische Verbindungen

Die überregionale Vernetzung war stets ein Hauptanliegen des am 23. Oktober 1893 als erster deutsch-jüdischer Schwesternverband errichteten Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt a.M.: Galt es doch, die berufliche Krankenpflege der jüdischen Minderheit im Deutschen Kaiserreich zu profilieren und weiter auszubauen. Für dieses Ziel begründete der Frankfurter Schwesternverein am 31. Oktober 1905 den DVJK (Deutscher Verband jüdischer Krankenpflegerinnen) mit (vgl. Steppe 1997: 116-122). Die Historie dieser Dachorganisation bleibt – anders als bei der 1917 errichteten ZWST (Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden) (vgl. Hering u.a. 2017) – noch aufzuarbeiten. Mit der bis heute aktiven ZWST hat der DVJK auf dem Gebiet der jüdischen Krankenfürsorge und Wohlfahrtspflege eng kooperiert (vgl. Steppe 1997: 135).

Nach dem Ersten Weltkrieg fusionierte der DVJK mit dem 1919 gegründeten Bund jüdischer Kranken- und Pflegeanstalten. Nach den Forschungsergebnissen der Pflegehistorikerin Hilde Steppe vertrat dieser Dachverband im Jahr 1927 „64 Anstalten“, darunter „vierzehn jüdische Krankenhäuser mit 1417 Betten und etwa 300 im Pflegedienst beschäftigten Personen“; zu einem Drittel war das Pflegepersonal „nicht jüdisch“ (ebd.: 136). Weitere Kontakte unterhielt der DVJK zu dem 1904 gegründeten JFB (Jüdischer Frauenbund) (vgl. Kaplan 1981). Die Mitbegründerin und langjährige Vorsitzende des JFB, die bekannte Sozialreformerin und Frauenrechtlerin Bertha Pappenheim (1859–1938), hat „zumindest zeitweise regen Anteil an der Entwicklung des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen in Frankfurt, ihrem langjährigen Wohnort“ genommen (ebd.: 139). Die berufliche jüdische Krankenpflege unterstützten von Beginn der DIGB (Deutsch-Israelitischer Gemeindebund), vor allem aber der deutsch-jüdische Logen-Verband Unabhängiger Orden Bne Briss mit der besonders aktiven Frankfurt-Loge (1888 gegründet, vgl. Eintrag bei Jüdische Pflegegeschichte).

Verbindungen zu nichtjüdischen Organisationen

Hinsichtlich der außerjüdischen Verbindungen des DVJK erwähnt Hilde Steppe (1997: 146) „sehr punktuell direkte Kontakte“ der jüdischen Schwesternvereinigungen zum BDF (Bund Deutscher Frauenvereine), dem Dachverband der bürgerlichen Frauenbewegung. 1919 organisierten sich die evangelischen, katholischen, jüdischen und Rotkreuzmutterhäuser im Bund Deutscher Mutterhausschwestern- und Bruderschaften (ebd.: 149). Nach eigenen Angaben vertrat der Bund „90% aller Pflegepersonen, nämlich insgesamt 110 000 Angehörige verschiedener Schwestern- und Bruderschaften, darunter 350 Krankenschwestern der jüdischen Vereine“ (ebd.: 149). Bei den christlichen Vereinigungen überwog zu diesem Zeitpunkt das Interesse, ein überkonfessionelles Bündnis gegen die Säkularisierung, Verstaatlichung und befürchtete ‚Sozialisierung‘ des Gesundheitswesens zu schmieden, alle innerchristlichen Fraktionierungen und antijüdischen Abgrenzungen, obgleich sich der Antisemitismus spätestens nach der deutschen Kriegsniederlage wieder lautstark artikulierte. In den 1920er Jahren ging der Bund im Reichsverband der privaten, gemeinnützigen Kranken- und Pflegeanstalten Deutschlands – seit 1931: Reichsverband der freien gemeinnützigen Kranken- und Pflegeanstalten Deutschlands – auf (ebd.: 151).

1929 errichteten die Schwesternschaften des Deutschen Roten Kreuzes, die evangelischen Schwesternschaften sowie die freiberuflichen Vereinigungen Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands und Reichsverband der Krankenschwestern die AGWK (Arbeitsgemeinschaft der weiblichen Krankenpflegeorganisationen). Hier entschloss sich der Deutsche Verband jüdischer Krankenpflegerinnen – als letzte Vereinigung nach dem Beitritt des katholischen Caritasverbands im Februar 1931 – erst im August 1931 zur Mitgliedschaft (ebd.: 154) und entsandte als Vertreterin Martha Salinger (Lebensdaten bislang nicht recherchiert), die Oberin des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Berlin. Nur wenige Jahre später verstießen die NS-gleichgeschalteten beruflichen Dachverbände die jüdischen Krankenschwestern und ihre Vereinigungen aus ihren Reihen. ,Vergessen‘ war die enge Zusammenarbeit in den Lazaretten des Ersten Weltkriegs; der jüdische Anteil an der Verbandsarbeit für die überkonfessionelle berufliche Krankenpflege und -fürsorge wurde totgeschwiegen. Ebenso bleibt weiter zu untersuchen, ob die jüdische Pflege trotz ihres bürgerlichen und religiösen Profils vor und während der NS-Zeit Kontakte zu NS-oppositionellen gewerkschaftlichen und sozialistischen Krankenpflegevereinigungen unterhielt.

Eine Erfolgsstory: die „Außenstellen“ des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins

Die überregionale Vernetzung des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main mit etlichen „Außenstellen“ (zit. n. Steppe 1997: 223) verweist auf dessen hervorragende Verbindungen zu jüdischen Gemeinden und das hohe Ansehen seiner Pflegeausbildung im gesamten Kaiserreich. Neben zeitlich begrenzten Noteinsätzen Frankfurter jüdischer Schwestern – u.a. die Versorgung Typhuskranker in den hessischen Orten Ulmbach (heute Stadtteil von Steinau an der Straße, Main-Kinzig-Kreis) und Nidda (Wetteraukreis) (ebd.: 205) – erfolgte der gezielte Auf- und Ausbau von Kontakten zu anderen Städten und Regionen, häufig auf Nachfrage der dortigen jüdischen Kliniken und Pflegeheime. So entstand bereits 1893, im Gründungsjahr des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins, eine enge Kooperation mit dem Jüdischen Krankenhaus zu Köln (vgl. Steppe 1997: 205; Becker-Jákli 2004; Seemann 2015). Auch in das Israelitische Krankenhaus zu Hamburg entsandte der Schwesternverein seit 1898 seine fähigen Absolventinnen mit dem Auftrag, vor Ort eine moderne Pflege, Ausbildung und berufliche Selbstorganisation aufzubauen (vgl. Steppe 1997: 205; Jenss [u.a.] 2016; Seemann i.E.). Die Oberinnen wurden mit Frieda Brüll (1866–1942, später verheiratete Wollmann) und Klara Gordon (1866–1937) zwei Mitbegründerinnen des Frankfurter Vereins, welche dann den 1899 und 1907 in Köln und Hamburg errichteten jüdischen Schwesternvereinen vorstanden. Auch am Frankfurter Hauptstandort selbst etablierte der Schwesternverein auf Nachfrage langjährige Außenstellen: So wirkten in seinem Auftrag zwischen 1894 (vgl. Steppe 1997: 225, Nr. 5) und 1919 im orthodox-jüdischen Pflegeheim Gumpertz’sches Siechenhaus (vgl. Seemann/ Bönisch 2019) die Oberinnen Thekla Mandel (1867–1941, später verheiratete Isaacsohn), eine weitere Mitbegründerin des Schwesternvereins, und Rahel Spiero (1876–1949, später verheiratete Seckbach); letztere wurde nach ihrem Ausscheiden aus dem Schwesternverein wegen Heirat 1919 vom Verein Gumpertz‘sches Siechenhaus als Oberin und Verwalterin übernommen. Die Vielzahl und Vielfalt der durch Frankfurter jüdische Krankenschwestern errichteten und geleiteten Außenstellen der Pflege beeindruckt noch heute, wie auch die tabellarische Übersicht von Hilde Steppe (1997: 260-261; die teils variierenden Jahreszahlen bleiben in der weiteren Forschung noch zu prüfen).

Außenstellen des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt a.M., 1891–1919
Nachweis: Steppe 1997: 260-261

Um 1905 werden an „weiteren neuen Arbeitsgebieten“ die „Gemeindepflege in Heilbronn und die Leitung einer Erholungsstätte für Mädchen in König im Odenwald übernommen“ (ebd.: 208). Über das Mädchenerholungsheim im heutigen Bad König (Odenwaldkreis, Hessen, vgl. zur jüdischen Geschichte Alemannia Judaica Bad König) und seinem Personal liegen bislang keine weiteren Informationen vor. Von den in der nordbadisch-jüdischen Gemeinde Heilbronn (Baden-Württemberg) eingesetzten Frankfurter Pflegekräften sind Frieda Amram, Margarethe Hartog, Henriette Kochmann, Sophie Meyer, Clara (Claire) Simon und Rosa Spiero namentlich bekannt. In Heilbronn wurde einem Bericht zufolge bereits 1877, vor der Entstehung der beruflich organisierten jüdischen Krankenpflege, eine nicht näher beschriebene jüdische „Anstalt für Krankenpflegerinnen“ eröffnet (laut Bericht in: AZdJ, 09.10.1877, online bei Alemannia Judaica Heilbronn); möglicherweise baute der Frankfurter jüdische Schwesternverein vor Ort eine eigene Schwesternstation auf.

Im Jüdischen Krankenhaus zu Hannover (vgl. Kap. 2.1) in Niedersachsen und sogar in der Schweiz – hier im Israelitischen Spital zu Basel (vgl. Steppe 1997: 209; Bönisch 2015) – errichtete der Frankfurter jüdische Schwesternverein 1907 weitere wichtige Außenstellen. 1910 folgte in Oberstedten (heute Stadtteil von Oberursel (Taunus), Hessen) das Genesungsheim der Eduard und Adelheid Kann-Stiftung (vgl. Bönisch 2014). Überdies wurde eine Krankenschwester „in der Klinik in Bad Neuenahr eingesetzt“ (vgl. Steppe 1997: 210): Gemeint ist hier das Israelitische Krankenheim zu Bad Neuenahr (heute Bad Neuenahr-Ahrweiler, Rheinland-Pfalz), das ähnlich wie das Frankfurter Gumpertz‘sche Siechenhaus bedürftige Frauen und Männer mit Gebrechen und chronischen Erkrankungen versorgte. Mitbegründer des Trägervereins war der Frankfurter Stifter und Wohltäter Raphael Ettlinger (1852–1909), vermutlich mit Unterstützung der von ihm mitbegründeten Frankfurt-Loge des Unabhängigen Ordens Bne Briss. Bis zur Eröffnung des eigentlichen Krankenheims ein Jahrzehnt später kamen die Patientinnen und Patienten in der Privatpflege unter.

Anzeige in Frankfurter Israelitisches Familienblatt, 15.04.1908
Online: Alemannia Judaica Bad Neuenahr sowie Alicke 2017: Bad Neuenahr [letzter Aufruf am 17.12.2020]

Zu Recht setzte der Trägerverein sein Vertrauen auf eine Absolventin des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins. Über Sophie Meyer, die erste Oberin des im Mai 1910 offiziell eingeweihten orthodox-jüdischen Krankenheims, berichtete am 26. Mai 1911 die Allgemeine Zeitung des Judentums (online nachzulesen bei Alemannia Judaica Bad Neuenahr):

„Seit dem vorigen Jahr [1910, B.S.] hat der Verein in einem […] gemieteten Hause seine Aufgaben unmittelbar in Angriff genommen und die Leitung in die vertrauenswerten Hände der vorzüglich bewährten Oberschwester Sophie Meyer niedergelegt, die der Frankfurter Schwesternverein uns in liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt hat.“

Das Israelitische Krankenheim zu Bad Neuenahr bestand vermutlich bis 1938/40.

Allerdings wurden, wie Hilde Steppe (1997: 211) schreibt, bereits vor dem Ersten Weltkrieg aufgrund „des steigenden Bedarfs an Privatpflege in Frankfurt […] etliche Einsatzorte außerhalb wieder aufgegeben, so Basel, Heilbronn und Bad Neuenahr“. Doch verantwortete der Frankfurter jüdische Schwesternverein von 1911 bis 1918 den gesamten Pflegedienst des Israelitischen Krankenhauses zu Straßburg im Elsass (vgl. Seemann 2017, 2018a, 2018b). 1912 und 1913 folgen in den heutigen Bundesländern Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen mit dem Friedrich-Luisen-Hospiz zu Bad Dürrheim und dem Israelitischen Altenheim zu Aachen (Kap. 2.3) zwei weitere wichtige Außenstellen. Eine weitere ‚Dependance‘ entstand nach dem Ersten Weltkrieg in Baden-Württemberg:

„In Pforzheim sind schon 1918 Krankenschwestern während einer schweren Typhusepidemie tätig; aus dieser Erfahrung heraus wird dort im Juli 1919 ein eigenes jüdisches Schwesternheim eingerichtet, dessen Krankenschwestern alle vom Frankfurter Verein gestellt werden“ (Steppe 1997: 224, siehe auch ebd.: 112).

Namentlich bekannt sind bislang Edith Beihoff, Beate Berger, Paula Block und Hilde Rewalt. Möglicherweise erhöhte auch der im Zuge der deutschen Kriegsniederlage wieder aufflammende Antisemitismus das Bedürfnis nach einer eigenen beruflichen jüdischen Pflege, die es zuvor in Pforzheim nicht gab. Vermutlich existierte das jüdische Schwesternheim (bei Alemannia Judaica Pforzheim nicht erwähnt) nur vorübergehend, seine Geschichte ist noch zu erforschen.

Ebenfalls 1919 übernahm der Frankfurter jüdische Schwesternverein mit dem Lungensanatorium Ethania (auch: Etania) in Davos neben dem Israelitischen Spital zu Basel die Leitung einer weiteren Schweizer jüdischen Pflegeeinrichtung (vgl. Steppe 1997: 224; Bönisch 2015; Alemannia Judaica Davos). In den Folgejahren eröffnete der Verein – abgesehen von der personellen Unterstützung des 1932 eröffneten jüdischen Krankenhauses zu Alexandria (Ägypten) durch die Entsendung von Schwester Thea Levinsohn-Wolf (1907–2005, vgl. dies. 1996) offenbar keine weiteren Außenstellen. Vielmehr konzentrierte er sich auf den wachsenden Pflegebedarf in Frankfurt am Main und Region. Doch wurden nach dem Ersten Weltkrieg „sowohl in Hannover und Aachen als auch in Dürrheim Frankfurter jüdische Krankenschwestern weiterhin als Oberinnen eingesetzt“ (Steppe 1997: 223f., 225-232). Alle drei Einsatzorte werden im Folgenden vorgestellt – auch als Anregung zu weiteren Forschungen.

Oberin Emma Pinkoffs in Hannover (Jüdisches Krankenhaus mit Altersheim und
Krankenpflegeschule)

Drei Jahrzehnte lang stand Emma Pinkoffs (auch: Pincoffs) der Pflege des Jüdischen Krankenhauses Hannover vor, seit 1907 Außenstelle des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt a.M. (vgl. ebd.: 209, 225). Im Gründungsjahr 1893 vom Frankfurter Schwesternverein ausgebildet, gehört Oberin Pinkoffs zu der ‚Pionierinnen‘- Generation der beruflichen jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Geboren wurde sie laut Eintrag in der Online-Datenbank ,Bedeutende Frauen in Hannover‘ (2013: 51) am 30. März 1863 in Gollnow (Westpommern, heute Goleniów, Polen). Das Krankenhaus, dessen Bettenzahl anfangs 27 und nach der Erweiterung 1914 mindestens 60 Betten betrug, hatte sich auf Chirurgie, Innere Medizin und Gynäkologie spezialisiert. Angeschlossen waren eine Krankenpflegeschule sowie ein Altersheim für jüdische Bewohner/innen (vgl. Schulze 2009: 330; siehe auch einführend den Wikipedia-Artikel: Jüdisches Krankenhaus (Hannover)).

Bis zur nationalsozialistischen Zäsur war der Anteil der nichtjüdischen Patientinnen und Patienten hoch: So wurden 1918 125 jüdische und 572 nichtjüdische Kranke versorgt. Im Juli 1942 wurde die Institution von den Nationalsozialisten zwangsgeräumt, die sie zuvor als ‚Ghettohaus‘ und Sammellager missbraucht hatten. Die Zerstörung ihres Lebenswerks musste Emma Pinkoffs nicht mehr persönlich erleben, da sie nach ihrer Pensionierung 1937 nach Berlin gezogen war. Dort verstarb die angesehene Oberin am 25. Februar 1940 mit 76 Jahren und erhielt ihre letzte Ruhestätte auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee.

Der ab 2006 sanierte Gebäudekomplex des in der Shoah vernichteten Jüdischen Krankenhauses zu Hannover steht heute unter Denkmalschutz. Zum Gedenken wurde eine Stadttafel angebracht.

Stadttafel Hannover (Nr. 96) an der Mauer vor der Ellernstraße 39 im Stadtteil Zoo: ehemaliges Jüdisches Krankenhaus Hannover mit Altersheim und Totenhaus
Fotograf: Bernd Schwabe in Hannover, 16.09.2013, Wikimedia, und https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de [letzter Aufruf am 17.12.2020]

Die Oberinnen Dorothea Kochmann und Bettina Falk in Bad Dürrheim (Friedrich-Luisen-Hospiz)

Ankündigung mit Erwähnung von Oberin Dorothea Kochmann in Frankfurter Israelitisches Familienblatt, 03.05.1912
Online: Alemannia Judaica Bad Dürrheim: Friedrich-Luisen_Hospiz [letzter Aufruf am 17.12.2020]

Das Friedrich-Luisen-Hospiz in Bad Dürrheim (Baden-Württemberg) mit anfangs mindestens 70, später 105 Plätzen war seit dem Eröffnungsjahr 1912 Außenstelle des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins (vgl. Steppe 1997: 224; siehe auch Wahl/ Schellinger 2012; Zimmermann 2013; Alemannia Judaica Bad Dürrheim: Friedrich-Luisen-Hospiz). Das rituell geführte und zugleich hochmoderne „Erholungsheim für israelitische Kinder und minderbemittelte Erwachsene“ war weit über Baden hinaus bekannt. Die Namensträgerin Großherzogin Luise zeigte sich bei ihrem Besuch höchst angetan.

Bericht von Großherzogin Luises Hospiz-Besuch in Frankfurter Israelitisches Familienblatt, 05.09.1913
Online: Alemannia Judaica Bad Dürrheim: Friedrich-Luisen-Hospiz [letzter Aufruf am 17.12.2020]

Großen Anteil an Erfolg und Bedeutung des stark frequentierten Hospizes hatte seine erste Oberin Dorothea Kochmann. Ihre Ausbildung im Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt a.M. hatte sie 1905 abgeschlossen – gemeinsam mit Henriette Kochmann, vermutlich ihre Schwester. Vor ihrem Einsatz im Friedrich-Luisen-Hospiz arbeitete Dorothea Kochmann in der Privatpflege sowie im Hospital der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main („Königswarter Hospital“), Henriette Kochmann bewährte sich „in Heilbronn, in der Privatpflege, im ersten Weltkrieg in der Etappe“ (Steppe 1997: 228). Beider Lebensdaten sind bislang unbekannt und liegen auch dem Stadtarchiv Bad Dürrheim nicht vor (Auskunft per Mail v. 29.08.2018). Für das Jahr 1924 berichtet das Periodikum Der Israelit von einem Leitungswechsel: „Anstelle der unvergesslichen Oberin Dorothea Kochmann hat Mitte Juli die bisherige Krankenschwester am Israelitischen Spital in Basel, Bettina Falk aus Mergentheim, die Leitung des Friedrich-Luisen-Hospizes übernommen. Dank ihrer früheren Tätigkeit im Hospiz (1920–1922) […] bereitete ihr die neue Aufgabe keine Schwierigkeiten. Gleich ihrer Vorgängerin legt die neue Oberin auf die religiöse Führung der Anstalt hohen Wert.“(Zitiert nach: Der Israelit, 04.09.1924, online: Alemannia Judaica Bad Dürrheim: Friedrich-Luisen-Hospiz [letzter Aufruf am 17.12.2020]).

Dass Bettina Falk wie ihre Vorgängerin Dorothea Kochmann dem Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt a.M. angehörte, ist aufgrund verschollener Akten nicht belegt, doch sehr wahrscheinlich, pflegte sie doch vor ihrem Bad Dürrheimer Einsatz an einer früheren Außenstelle des Frankfurter Schwesternvereins, dem Israelitischen Spital zu Basel. Geboren wurde Oberin Falk am 28. März 1889 in Bad Mergentheim (Baden-Württemberg), ihre ebenfalls unverheiratete jüngere Schwester Emilie Falk (geb. 25.02.1895) arbeitete im Friedrich-Luisen-Hospiz als Sekretärin. Unter dem Nationalsozialismus wurde das jüdische Hospiz bereits 1939 zwangsweise aufgelöst. Ein Jahr später zogen die Schwestern Falk nach Frankfurt am Main – Bettina Falk in den Sandweg 7, Emilie Falk in den Röderbergweg, wo sie vermutlich als Bürokraft im Israelitischen Waisenhaus unterkam. Beide wurden am 24. September 1942 von Frankfurt nach Estland deportiert, wo sich ihre Lebensspuren verlieren; möglicherweise fielen sie dem Morden in Raasiku (NS-‚Tötungsstätte‘) bei Reval (heute Tallinn) zum Opfer. Am Standort Luisenstraße 56 des NS-vernichteten Friedrich-Luisen-Hospizes befindet sich heute die Luisenklinik (Zentrum für Verhaltensmedizin): Die Benennung eines 2010 eingeweihten Erweiterungsbaus – des Bettina-Falk-Hauses – nach der in der Shoah ermordeten Oberin Bettina Falk dokumentiert eine vorbildliche Erinnerungsarbeit (vgl. die Internetseite: Das Klinikum. Die Geschichte der Luisenklinik https://www.luisenklinik.de [letzter Aufruf am 17.12.2020].

Oberin Sophie Meyer in Aachen (Israelitisches Altenheim)

Wie Emma Pinkoffs gehörte auch Sophie Meyer (auch: Maier) – zuweilen „Schwester Bertha“ genannt (vgl. Steppe 1997: 226) – zu den ersten ausgebildeten jüdischen Pflegenden in Deutschland. Geboren wurde sie am 27. Februar 1865 im westfälischen Bergkirchen (Kreis Minden; heute ein Kirchdorf innerhalb der Stadt Bad Oeynhausen in Nordrhein-Westfalen; ISG Ffm HB 655, Bl. 51). Interessiert an einer fortschrittlichen Pflegeausbildung in einem jüdischen Umfeld, verließ Sophie Meyer ihr Heimatdörfchen und bewarb sich erfolgreich beim Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt a.M. Vom Frankfurter Schwesternverein wurde sie an dessen Kölner Außenstelle (Jüdisches Krankenhaus mit Oberin Frieda Brüll) „abgeordnet“ (Steppe 1997: 106) und legte dort 1897 ihr Schwesternexamen ab. Danach bewährte sie sich im Hospital der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main („Königswarter Hospital“) und in der Privatpflege. Zum zehnjährigen Dienstjubiläum zeichnete sie der Schwesternverein 1907 mit der Goldenen Brosche aus. Nach erfolgreichen Einsätzen in Hamburg (Israelitisches Krankenhaus mit Oberin Klara Gordon), Heilbronn (Privatpflege in der jüdischen Gemeinde) und Bad Neuenahr (Israelitisches Krankenheim) stellte sich Sophie Meyer einer weiteren beruflichen Herausforderung: Sie stieg zur Oberin und Leiterin des 1913 eröffneten Israelitischen Altenheims zu Aachen mit 16 (später 24) Plätzen auf. Auch diese Frankfurter Außenstelle „muss eine sehr moderne, hohen medizinischen Anforderungen gerecht werdende Anlage gewesen sein“ (Klein 1997: 51; siehe auch Bierganz/ Kreutz 1988; Bolzenius 1994; Lepper 1994). Das Heim verfügte über einen eigenen Operationssaal und war in eine erholsame Gartenlandschaft eingebettet. Unterstützung erhielt die Oberin von Schwester Babette Zucker (Lebensdaten unbekannt, Ausbildungsjahr 1909, vgl. Steppe 1997: 229) und vermutlich weiteren Frankfurter Kolleginnen. Aufgrund der lückenhaft dokumentierten Personalgeschichte ist ungeklärt, ob Sophie Meyer bis zu ihrer Pensionierung im Amt blieb. Als das Israelitische Altenheim in die Hände der Nazis fiel und um 1941 als ‚Ghettohaus‘ und Sammellager missbraucht wurde, hatte sie Aachen längst verlassen und war nach Frankfurt am Main in die Jügelstraße 46 gezogen. Ihr letzter Alterssitz wurde am 25. März 1937 das Frankfurter jüdische Schwesternhaus. Am 4. November 1940 (ISG Ffm: HB 655, Bl. 51) verstarb mit der 75-jährigen Sophie Meyer eine Persönlichkeit, die ihr gesamtes Leben der Pflege gewidmet und immer wieder die berufliche Herausforderung gesucht hatte – eine jüdische Krankenschwester mit ‚Leib‘ und ‚Seele‘. Die nur zwei Wochen später folgende nationalsozialistische Zwangsräumung des Schwesternheims und die Vertreibung und Deportation ihrer Kolleginnen musste sie nicht mehr erleben. An das von Sophie Meyer geleitete frühere Israelitische Altenheim zu Aachen erinnert seit 1989 ein Gedenkstein.

Denkmal für die 1942 deportierten Bewohnerinnen und Bewohner des jüdischen Altenheims in Aachen-Burtscheid, Kalverbenden – Fotograf: Norbert Schnitzler, 26.10.2004, https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Aachen_Denkmal_Altenheim_Kalverbenden.jpg und https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de [letzter Aufruf am 17.12.2020]

Fazit

Von Deutschland (bis zum Ende des Ersten Weltkriegs mit Elsaß-Lothringen) über die Schweiz bis nach Ägypten und möglicherweise weiteren bislang unbekannten Orten und Regionen – in der jüdischen Welt war die Wertschätzung der beruflichen wie religiöskulturellen Kompetenz der Schwestern des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt a.M. durchaus verbreitet. So zog Hilde Steppe (1997: 207) bereits für die Wende zum 20. Jahrhundert folgendes Resümee:

„Insgesamt hat sich die jüdische Krankenpflege in Frankfurt fest und erfolgreich mit einer kleinen Gruppe von Krankenschwestern etabliert, wobei der Bedarf das Angebot weit übersteigt, so daß nach wie vor etliche Anfragen vor allem von außerhalb abgelehnt werden müssen.“

Sowohl bei den jüdischen wie bei den nichtjüdischen Patientinnen und Patienten waren die in den „Außenstellen“ eingesetzten Frankfurter Schwestern stets bestrebt, in Zeiten von Antisemitismus und ‚Assimilation‘ das Judentum am Krankenbett würdig zu vertreten und nachhaltig zu verteidigen – „den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre“ (zit. n. Hilde Steppe).

Die Autorin dankt Frau Lydia Wende vom Stadtarchiv Bad Dürrheim für die schnelle Kooperation.

Birgit Seemann, Stand November 2021

Literatur- und Quellenverzeichnis

Ungedruckte Quellen

ISG Ffm: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main

  • HB 655: Hausstandsbuch Bornheimer Landwehr 85 (Schwesternhaus der Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen Frankfurt a.M.), Sign. 655

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Seemann, Birgit i.E.: Die Gründerinnen-Generation des Vereins für jüdische
Krankenpflegerinnen zu Frankfurt a.M., Teil 2: Oberinnen / Privat- und Armenpflege. Minna
Hirsch (1860–1938), Lisette Hess (1867–1913), Klara Gordon (1866–1937), im Erscheinen (Internetseite Jüdische Pflegegeschichte
Seemann, Birgit/ Bönisch, Edgar 2019: Das Gumpertz’sche Siechenhaus – ein „Jewish Place“
in Frankfurt am Main. Geschichte und Geschichten einer jüdischen Wohlfahrtseinrichtung.
Hg. v. Verein zur Förderung der Historischen Pflegeforschung e.V. Frankfurt a.M.
Steppe, Hilde 1997: „… den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre …“. Zur
Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Frankfurt a.M.
Wahl, Sven/ Schellinger, Uwe (Hg.) 2012: Vom jüdischen Kinderheim zur Luisenklinik. Die
Geschichte des Friedrich-Luisen-Hospizes in Bad Dürrheim. 1912 – 2012. Hg. v. Sven Wahl
u. Uwe Schellinger. [Bad Dürrheim: Luisenklinik]
Zimmermann, Michael J. H. 2013: Das Bad Dürrheimer Friedrich-Luisen-Hospiz. Einst ein
Paradies für jüdische Kinder. In: Freiburger Rundbrief 20 (2013) 2, S. 120-127

Periodika

AZdJ: Allgemeine Zeitung des Judentums FrIF: Frankfurter Israelitisches Familienblatt It: Der Israelit

Thekla (Mandel) Isaacsohn (1867–1941) – erste Oberin des Gumpertz’schen Siechenhauses zu Frankfurt am Main, letzte Oberin des Frankfurter Stiftungsprojekts ‚Erholungsheim für Israelitische Frauen Baden-Baden E.V‘

Gewidmet Dr. phil. Claus Canisius (1934–2020),
Enkel von Oberin Thekla (Mandel) Isaacsohn

Thekla (Mandel) Isaacsohn (1867–1941) hat die berufliche deutsch-jüdische Pflege mitbegründet: 1893 initiierte sie mit ihren Kolleginnen Klara Gordon, Lisette Hess, Minna Hirsch und Frieda (Brüll) Wollmann den Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main.

Thekla Mandel als Oberin des Gumpertz’schen Siechenhauses, ohne Jahr (um 1895) – © Dr.
Claus Canisius

Seit 1893/94 leitete Oberin Thekla die Pflege im Frankfurter orthodox-jüdischen Kranken- und Altenheim Gumpertz‘sches Siechenhaus auf dem Röderberg (ihre Nachfolgerin wurde Oberin Rahel (Spiero) Seckbach). Familienpflichten führten sie 1907 in das westfälische Holzminden: In einer „Leviratsehe“ mit dem Witwer ihrer Schwester Betty kümmerte sie sich um die drei hinterbliebenen Kinder, die sie zärtlich „Muttchen“ nannten. 1932 übernahm sie – als Witwe und bereits im Rentenalter – die Co-Leitung des von Frankfurt a.M. aus gegründeten orthodox-jüdischen Kurheims für mittellose erholungsbedürftige Frauen zu Baden-Baden – wie das Gumpertz‘sche Siechenhaus ein von der Stifterin Mathilde von Rothschild und der Frankfurt-Loge Bne Briss (B’nai B’rith) getragenes Projekt. Im Oktober 1940 wurde Oberin Thekla durch die berüchtigte ,Wagner-Bürckel-Aktion‘ gegen die jüdischen Bürgerinnen und Bürger Badens und der Saarpfalz in das südfranzösische Lager Gurs deportiert. In der „Vorhölle von Auschwitz“ erlosch am 3. Mai 1941 das Leben einer Persönlichkeit, die sich unermüdlich für die Ärmsten der Armen engagierte und besonders für benachteiligte Frauen einstand.

Der größere Beitrag erinnert an eine facettenreiche Frauenbiografie und gibt Einblick in eine jüdische Familiengeschichte, die bis in unsere Gegenwart reicht.  Am Beginn der Recherchen zu diesem Artikel war von Oberin Thekla lediglich bekannt, dass sie von 1893 oder 1894 bis zu ihrer Heirat 1907 die Pflege im Frankfurter orthodox-jüdischen Kranken- und Altenheim Gumpertz’sches Siechenhaus leitete (vgl. Steppe 1997: 225; Seemann/Bönisch 2019). Doch hier erwiesen sich – anders als bei den allermeisten in der Shoah ermordeten oder vertriebenen deutsch-jüdischen Pflegenden – die Forschungsbedingungen als ungewöhnlich fruchtbar: Ein in Deutschland lebender Enkel Oberin Theklas begab sich auf die Spuren seiner beeindruckenden mütterlichen jüdischen Familiengeschichte. Fotografien und rituelle Gegenstände konnten vor der nationalsozialistischen Zerstörung bewahrt werden.

Eine Westfälin aus orthodox-jüdischer Familie: Herkunft und Sozialisation

Gleich ihren Mitstreiterinnen aus den Anfängen der professionellen jüdischen Krankenpflege hat sich auch Thekla Isaacsohn als eine ausgewiesene Führungskraft bewährt, die Strenge und Selbstdisziplin mit Fürsorglichkeit und Empathie verband. Die in ihrer Familie vorgelebte Zedaka – Gerechtigkeit durch sozialen Ausgleich – war Leitmotiv ihres von jüdischer Frömmigkeit geprägten pflegerischen Handelns. Geboren wurde sie als drittes Kind und dritte Tochter von Leopold und Julie Mandel in Lippstadt (heute: Kreis Soest, Regierungsbezirk Arnsberg, Nordrhein-Westfalen) – nicht 1868 oder 1869, wie bisher angenommen, sondern bereits am 22. Juli 1867 (LA NRW: Geburtseintrag Mandel, Thekla; siehe auch StAF: Personalakte Isaacsohn, Thekla. Vgl. zur Familiengeschichte Mandel: Rings/Rings 1992; Thill 1994; Kieckbusch 1998; Kommunalarchiv Minden Datenbank (https://juedischesleben.kommunalarchiv-minden.de/index.php). Auskünfte erteilten die Stadtarchive Holzminden, Linz am Rhein und Lippstadt). Ähnlich wie in den anderen Regionen Deutschlands bewegte sich die jüdische Minderheit auch im vorwiegend katholischen Westfalen, wo Thekla Mandel zunächst aufwuchs, im Spannungsfeld von Antijudaismus/Antisemitismus, religiöser Selbstbehauptung und Integration (vgl. in Auswahl Handbuch 2008–2016, 4 Bde; Herzig 1973 u. 2012).

Oberin Theklas Vater, der jüdische Religionspädagoge Leopold Mandel, wurde am 12. Dezember 1828 als Sohn von Sara geb. Loeb und Josef Mandel zu Rhens (heute: Landkreis Mayen-Koblenz, Rheinland-Pfalz) geboren. Den Rheinländer verschlug es nach Westfalen in die materiell ungesicherte und zudem mit häufigen Ortswechseln verbundene Existenz eines Lehrers an jüdischen Elementarschulen: Vielen kleineren jüdischen Gemeinden fehlten die Mittel, um den Lebensunterhalt ihrer Lehrkräfte – welche mangels eines Rabbiners oft noch zusätzlich das Amt des Kantors/Chasan (Vorbeter, Vorsänger) und Schochet (Schächters) versahen – und deren kinderreichen Familien ausreichend zu finanzieren. Konflikte schienen ‚vorprogrammiert‘, so auch bei Leopold Mandel, welcher trotz seiner prekären wirtschaftlichen Lage standhaft auftrat. Seine Ausbildung hatte er an der angesehenen Lehrerbildungsanstalt der Marks-Haindorf-Stiftung zu Münster, gegründet von den jüdischen Reformern Elias Marks und Alexander Haindorf zur Förderung armer jüdischer und christlicher Waisen und zur Qualifizierung künftiger jüdischer Schullehrer absolviert und 1863 am Katholischen Lehrerseminar in Büren abgeschlossen (vgl. Rings/ Rings 1993: 32). Leopold Mandel unterrichtete u.a. in Teltge bei Münster, in Hausberge (heute Stadtteil von Porta Westfalica) bei Minden, in Wattenscheid (Ruhrgebiet) und schließlich in Lippstadt, Oberin Theklas Geburtsort. Er war bereits Mitte Dreißig, als er am 21. April 1864 in Minden die dort am 15. Juli 1842 geborene Julie Blaustein heiratete, die Tochter des aus Posen zugewanderten Schneiders und Handelsmannes Moritz Blaustein und seiner Frau Sophie geb. Norden. Im Jahr 1865 (als Geburtsjahr wird auch 1864 genannt, vgl. Kommunalarchiv Minden Datenbank) kam in Wattenscheid ihr erstes Kind Betty – mit zweitem Vornamen ‚Breinle‘ – zur Welt (vgl. Canisius 2016: 608).

Nächste berufliche Station wurde die Industrie- und Handelsstadt Lippstadt, wo die stark angewachsene jüdische Gemeinde im Jahr 1871 240 Mitglieder zählte (vgl. Alicke 2017: Lippstadt (Nordrhein-Westfalen); siehe auch ders. 2008, Band 2). Die jüdische Elementarschule war im Synagogengebäude untergebracht. In Lippstadt konnte sich das Ehepaar Mandel für einige Zeit einrichten. Nach Betty Breinle Isaacsohn geb. Mandel (03.10.1864/1865 Wattenscheid – 05.10.1905 Minden) und der 1867 geborenen Thekla vergrößerte sich die Familie um:

  • Alma Feist (02.04.1866 Lippstadt – 08.02.1943 Ghetto Theresienstadt), Handarbeitslehrerin, verheiratet mit Abraham gen. Adolf Feist (Hannover), beide wurden 1943 in Theresienstadt ermordet (BAK Gedenkbuch; Theresienstadt Opferdatenbank mit Todesfallanzeigen);
  • Hanna Wolff (1870 Lippstadt – 1931 Hamburg, genaue Lebensdaten unbekannt), verheiratet mit Benno Wolff aus Hamburg;
  • Rosa van der Walde (13.07.1872 Lippstadt – 13.05.1942 Vernichtungslager Kulmhof/Chelmno), verheiratet mit Wolf Wilhelm „Willy“ van der Walde, wohnhaft in Minden, Emden und zuletzt Berlin, beide wurden 1942 in Kulmhof ermordet;
  • Josef (Joseph) Mandel (10.06.1874 Lippstadt – 14.03.1938 Berlin [Suizid]), Theklas einziger Bruder, 2. Ehe mit Johanna (Chana) geb. Goldsand (15.03.1882 Krakau (Krakow), Galizien (Polen) – 10.05.1942 Vernichtungslager Kulmhof/ Chelmno), jüdischer Religionslehrer, unter der NS-Verfolgung zuletzt Handelsvertreter in Berlin;
  • Hermine Norden (07.02.1876 Lippstadt – 09.02.1959 Bad Homburg v.d.H.), genannt „Mins“, verheiratet mit Julius Norden, vor dem Ersten Weltkrieg in Hampstead/Greater London (GB), danach Berlin, überlebte im Exil, zwei Kinder (vgl. Geni).

Das ruhigere Leben in Lippstadt währte nur kurz: Wegen eines eskalierenden Streits mit Mitgliedern der jüdischen Gemeinde verlor Leopold Mandel 1872 seine Lehrerstelle (vgl. Mühle 1985a: 60-61). Für einige Jahre musste der fähige und engagierte Pädagoge seine Familie als „Agent“ (Handelsmann) durchbringen (Stadtarchiv Lippstadt: Auskunft v. Claudia Becker per Mail v. 05.02.2018).

Thekla war ungefähr zehn Jahre alt, als sie zusammen mit ihren Eltern und Geschwistern Lippstadt und Westfalen verließ und 1877 in das Rheinland übersiedelte, woher ihr Vater stammte. Dort hieß die Synagogengemeinde des Städtchens Linz am Rhein (vgl. Alemannia Judaica Linz am Rhein) bei Neuwied ihren neuen Lehrer und Kantor willkommen. Linz wurde Leopold Mandels letzte und wichtigste Wirkungsstätte. In der jüdischen wie in der christlichen Einwohnerschaft fand er endlich die verdiente Anerkennung seiner aufklärerischen pädagogischen Bemühungen, u.a. als Lehrbeauftragter für jüdische Religion am Progymnasium Linz. Die private jüdische Elementarschule, an der er unterrichtete, wurde 1881 zur öffentlichen Schule, wodurch Leopold Mandel den ungesicherten Status des Privatlehrers verließ. Ein Jahr zuvor hatte der auch publizistisch tätige Pädagoge öffentlich gegen die antisemitische Hetze und Herabwürdigung des Judentums durch den evangelischen Theologen und ‚Hofprediger‘ Adolf Stöcker protestiert, was ihm nicht nur Lob einbrachte.

Grabstein für Thekla Isaacsohns Vater mit der Inschrift „Lehrer Leopold Mandel geb. 12. Dez. 1828 gest. 3. Nov. 1889“ auf dem Jüdischen Friedhof Linz am Rhein – © Reinhard Hauke (Fotograf), 10.10.2010, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Linz(Rhein)J
%C3%BCdischer_Friedhof422.JPG?uselang=de

Mit erst 60 Jahren verstarb Leopold Mandel am 3. November 1889 und wurde drei Tage später unter großer Anteilnahme jüdischer und christlicher Bürger/innen auf dem Jüdischen Friedhof zu Linz beerdigt. Am 18. November 1889 veröffentlichte das orthodox-jüdische Periodikum Der Israelit einen Nachruf aus der Neuwieder Zeitung (vgl. Mandel 1889):

„Seine Gemeinde, die in ihm einen edlen, hoch geschätzten Lehrer, einen geliebten, hochgeachteten Kultusbeamten verloren [sic!], folgte seiner Bahre. Die Gymnasiasten unter Führung ihrer Lehrer […] und seine Schüler zogen voran. Viele Collegen [sic!] und Freunde von nah und fern waren gekommen […]. 12 Jahre hat der Verblichene in seinem Amte hier gewirkt und weit über die Grenzen unserer Stadt hinaus sich Liebe, Vertrauen und Achtung zu verschaffen gewusst. Ein edler, lauterer Charakter, ein treuer Freund und Berather [sic!], ein liebevoller, munterer Gesellschafter, ein erfahrener Schulmann, ein hoch gelehrter jüdischer Theologe, – so lebte er, von Vielen geliebt, von Allen geachtet, von Niemanden [sic!] gering geschätzt.“

Neben dem jähen Verlust von Ehemann und Vater markierte das Jahr 1889 für die Familie Mandel eine weitere Zäsur: Sie musste aus der für Leopold Mandels Nachfolger vorgesehenen Lehrerwohnung ausziehen. Noch im gleichen Jahr kehrte die Witwe Julie Mandel in ihren westfälischen Geburtsort Minden zurück. Auch die 22-jährige Thekla Mandel verließ Linz – in Richtung Frankfurt am Main mit dem Ziel, eine jüdische Krankenschwester zu werden.

Mitbegründerin des jüdischen Schwesternvereins und erste Oberin des Gumpertz’schen Siechenhauses in Frankfurt am Main

Die junge Thekla Mandel, ohne Jahr (um 1890) – © Mit freundlicher Genehmigung von Dr.
Claus Canisius

Die Handels- und Messestadt Frankfurt am Main mit ihrem ökonomisch, sozial und kulturell herausragenden jüdischen Bürgertum trug in der jüdischen Welt den Ehrentitel einer „Muttergemeinde und Hauptstadt in Israel“ (ir wa-em be-Yisrael) (zit. n. Hopp 1997: 14). Fast zwei Jahrzehnte lang sollte sie zu Thekla Mandels Wohn- und Wirkungsstätte werden, und auch danach riss die Verbindung zu Frankfurt nie ganz ab. Wie sie zum Pflegeberuf fand, lässt sich mangels autobiografischer Quellen nicht rekonstruieren. Keineswegs entsprach es den orthodox-jüdischen Geschlechterrollen, dass Thekla Mandel als einzige ihrer Schwestern zunächst unverheiratet blieb. Sollte die pflegerische Ausbildung bis zum Auftritt eines geeigneten Ehepartners auf eine spätere Familiengründung vorbereiten? Oder mochte sich die selbstbewusste und unabhängige junge Frau nicht in das im wilhelminischen Deutschland patriarchalisch angelegte ,Ehejoch‘ fügen? Strebte die gebildete Lehrerstochter anfangs gar den Zugang zu einer Universität an, der ihr aber als Frau und Jüdin doppelt verwehrt blieb? „Krankenpflege war die Alternative zum Studium der Medizin und zugleich eine Vorbereitung auf die ‚eigentliche Bestimmung‘ der Frau“ (Beitrag von Eva-Maria Ulmer, 2009).

Was die Krankenpflege im Kaiserreich selbst anbetraf, hielt sie selbst der jüdische Teil der Bevölkerung für ein christliches Projekt – trotz der hohen Bedeutung des Pflegens in der hebräischen Bibel als religiös-jüdischer Pflicht (Mitzwa) zum Krankenbesuch (vgl. den Beitrag Bikkur Cholim). Die Pflege wurde gleichgesetzt mit Gehorsam, Opferbereitschaft und Selbstaufgabe. Im Deutschen Kaiserreich dominierte das evangelisch-diakonische Hierarchiemodell eines von der Oberin straff geführten ‚Mutterhauses‘. Gleichwohl eröffnete die moderne Krankenpflege, die sich zum ,Frauenberuf‘ professionalisierte, ein qualifiziertes und abwechslungsreiches Aufgabengebiet – zumal eines der wenigen, das auf sich allein gestellten Frauen Existenz- und Aufstiegsperspektiven bot. Für eine fromme Jüdin kam allerdings die Bewerbung bei christlichen oder (vermeintlich) säkularen Einrichtungen, die mancherorts sogar die Taufe verlangten, nicht in Frage. Thekla Mandel wollte nicht allein den Anweisungen von Autoritäten gehorchen, sondern gemeinsam mit Gleichgesinnten lernen – in einem jüdischen Umfeld, das es jedoch erst zu schaffen galt: Die Modernisierung des durch Ghettoisierung jahrhundertelang beeinträchtigten jüdischen Pflegewesens befand sich noch im Aufbau; eine staatlich anerkannte jüdische Krankenpflegeschule existierte nicht. So war es für Thekla Mandel ein Glücksfall, dass sie ihre Ausbildung an einer der fortschrittlichsten jüdischen Kliniken starten konnte: im Hospital der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main, 1875 im jüdisch geprägten Stadtteil Ostend eröffnet und nach dem Namen des Stifterehepaares als „Königswarter Hospital“ bekannt.

Auch im Königswarter Hospital hatten anfangs angelernte Wärter/innen die Kranken versorgt, doch wurde dort bereits 1881 mit Rosalie Jüttner die wohl erste jüdische Krankenschwester in Deutschland ausgebildet. Mit Minna Hirsch (1889 ausgebildet), Lisette Hess, Klara Gordon und Frieda (Brüll) Wollmann gehörte Thekla Mandel (alle vier vor 1893 ausgebildet, vgl. Steppe 1997: 225) zu den ‚Pionierinnen‘ der beruflichen jüdischen Krankenpflege in Deutschland: In einer Zeit, in der das 1850 erlassene ‚Preußische Vereinsgesetz‘ Frauen noch immer die Aktivität in politischen Parteien und Organisationen verbot und damit auch ihr Engagement in privaten Vereinen hemmte, gründeten die fünf Frankfurterinnen zwecks qualifizierter Ausbildung und sozialer Absicherung 1893 ihren eigenen Verband jüdischer Krankenpflegerinnen (ebd.: 200).

Brosche des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins – © XVI. Jahresbericht des Vereins für
jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt am Main 1909, Titelblatt

Die Initiative des selbstbewussten und füreinander einstehenden Pflegeteams gab vermutlich den Anstoß für die erste deutsch-jüdische Schwesternorganisation Verein für jüdische Krankenpflegerinnen Frankfurt a.M. Den Verein errichteten ihre Vorgesetzten und Ausbilder am Königswarter Hospital, Chefarzt Dr. Simon Kirchheim und Dr. Alfred Günzberg, sowie weitere männliche Förderer des in den jüdischen Gemeinden im Kaiserreich durchaus kontrovers diskutierten jüdischen ‚Frauenberufs‘ Pflege. Die Gründung wurde vorangetrieben durch die Frankfurt-Loge Bne Briss (heute: B‘nai B‘rith), einer den jüdischen Zusammenhalt durch Wohlfahrt, Bildung und Kultur fördernden Vereinigung. Der Verband jüdischer Krankenpflegerinnen ging in dem am 23. Oktober 1893 errichteten und von einem rein männlichen Vorstand geleiteten Verein auf. Der Frankfurter jüdische Schwesternverein avancierte zu einem Erfolgsmodell und damit zum Vorbild für viele weitere Gründungen im gesamten Kaiserreich. Untergebracht wurden die Frankfurter jüdischen Schwestern und Schülerinnen zunächst in einer angemieteten Wohnung („Häuschen“) direkt neben dem Hospital, danach bezogen sie ein provisorisches Schwesternhaus inder Unteren Atzemer 16 (vgl. ebd.). Als 1902 ein neues Schwesternhaus in der Königswarterstraße eröffnet wurde, wohnte Thekla Mandel bereits in ihrer Arbeitsstätte, dem Gumpertz’schen Siechenhaus auf dem Röderberg. Doch blieb sie, die Mitbegründerin, für den Frankfurter jüdischen Schwesternverein aktiv: Um 1905 führte die Lehrerstochter, selbst pädagogisch begabt, gemeinsam mit Sanitätsrat Dr. med. Adolf Deutsch Fortbildungskurse „in Ernährungslehre und Kochen“ für die Schwestern und Schülerinnen durch (vgl. Steppe 1997: 208).

Der Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt a.M. verfügte über ein höchst effektives Karrierenetzwerk, das seine Absolventinnen auf Anfrage jüdischer Gemeinden bis nach Basel und Straßburg schickte, um dort in leitender Funktion eine moderne jüdische Pflege aufzubauen. Während Thekla Mandel, Minna Hirsch, die Oberin der Schwesternschaft wie auch des Königswarter Hospitals, und ihre zeitweilige Stellvertreterin Lisette Hess in Frankfurt a.M. die ‚Stellung‘ hielten, wurden Frieda (Brüll) Wollmann und Klara Gordon Oberinnen der jüdischen Krankenhäuser in Köln und Hamburg. Auch Thekla Mandel wurde um 1894 – nur kurze Zeit nach ihrer Ausbildung – als Oberin des Gumpertz’schen Siechenhauses in eine Leitungsfunktion berufen. Das orthodox-jüdische Pflegeheim für chronisch kranke und gebrechliche Bedürftige beiderlei Geschlechts und aller Altersgruppen trug den Namen seiner Stifterin Betty Gumpertz (vgl. Seemann/Bönisch 2019). Der Vorstand des Vereins Gumpertz’sches Siechenhaus bestand aus Brüdern und Schwestern der Frankfurt-Loge des Unabhängigen Ordens Bne Briss ( B’nai B’rith: Söhne des Bundes); als Präsident amtierte in der Nachfolge des Gründungsvorsitzenden Ferdinand Gamburg der Bankier, Philanthrop und Sozialreformer Charles L. Hallgarten. Dem Vorstand empfohlen hatte Thekla Mandel vermutlich der Gründungs- und Chefarzt des Gumpertz‘schen Siechenhauses, ihr früherer Ausbilder Dr. Alfred Günzburg, der ebenfalls der Frankfurt-Loge angehörte. Eine Oberin wurde dringend benötigt: Der 1892 im Haus Ostendstraße 75 gestartete Pflegebetrieb war in wenigen Jahren von sechs auf zuletzt 20 Plätze angewachsen. Trotz Erweiterungs- und Modernisierungsmaßnahmen konnten im Jahr 1895 von 27 pflegebedürftigen Bewerber/innen nur 13 aufgenommen werden.

1898 erwarb der Verein Gumpertz’sches Siechenhaus eine größere Liegenschaft im Röderbergweg 62-64. Gegenüber lagen das Rothschild’sche Hospital und das Rothschild’sche Kinderhospital, zwei Kliniken, die anders als das Gumpertz’sche Projekt nicht der orthodoxen Minderheit innerhalb der liberalen Israelitischen Gemeinde nahestanden, sondern der neo-orthodoxen Israelitischen Religionsgesellschaft (Austrittsgemeinde). Ein Teil der Gumpertz‘schen Gepflegten kam aus Kostengründen zunächst in der „notdürftig zu Krankenhauszwecken umgewandelte[n] alte[n] Villa“ (Günzburg 1909: 7), später das ,Hinterhaus‘ genannt, unter; parallel wurde der Heimbetrieb am alten Standort Ostendstraße 75 noch eine Weile fortgeführt. Insgesamt versorgte das Heim 1898 bereits 37 Gepflegte. Nach dem 1899 erfolgten Verkauf des Anwesens Ostendstraße 75 bezogen auch die restlichen Bewohner/innen gemeinsam mit Oberin Thekla Mandel das ,Hinterhaus‘ mit bis zu 30 Plätzen; im Mahlau’s Frankfurter Adressbuch (33. Jg., S. 253) war 1901 erstmals „Mandel, Thekla Krankenschw. Röderbergw. 62“ eingetragen. Unterstützt wurde die Oberin durch die 1902 eingestellte evangelische Krankenschwester Frieda Gauer, ebenso seit 1904 durch den neuen Verwalter Hermann Seckbach, der sich weit über seine Stellung hinaus wie ein Hospitalvater um die Belange der Pflegebedürftigen kümmerte. Sowohl Thekla Mandel als auch Hermann Seckbach verstanden ihren Dienst an den jüdischen „Aermsten der Armen“ (ein Zitat von Rabbiner Leopold Neuhaus aus seinem Nachruf auf Thekla Mandels Nachfolgerin Oberin Rahel Seckbach, abgedruckt in der Exilzeitschrift AUFBAU 15 (23.09.1949) 38, S. 41) als religiöse Verpflichtung und Beitrag zur sozialen Stärkung der jüdischen Gemeinde und ihres nichtjüdischen gesellschaftlichen Umfelds. Ebenfalls 1904 konkretisierten sich angesichts der beengten Verhältnisse im ‚Hinterhaus‘ erste Pläne für einen Neubau, die durch die Angliederung der 1905 errichteten Minka von Goldschmidt-Rothschild-Stiftung an den Verein Gumpertz´sches Siechenhaus finanziell umgesetzt werden konnten. Die beiden Stifterinnen – Mathilde von Rothschild und ihre bereits 1903 verstorbene Tochter Minna Caroline („Minka“) – hat Oberin Thekla sehr wahrscheinlich auch persönlich kennengelernt; mit ihnen teilte sie die Aufmerksamkeit für die besonders prekäre Versorgungslage mittelloser pflegebedürftiger Frauen und Mädchen. Es war Mathilde von Rothschilds ausdrücklicher Wunsch, dass in die 1907 eingeweihte und hochmodern ausgestattete neue Villa (das Gumpertz’sche ‚Vorderhaus‘, zugleich Krankenheim mitOperationssaal) vorerst nur weibliche Bewohner einzogen.

Die Anfänge des ‚Vorderhauses‘ gestaltete Thekla Mandel noch mit, doch musste sie ihren geliebten Pflegeberuf bald verlassen. Bereits im Oktober 1905 hatte sie aus Holzminden (Niedersachsen) die traurige Nachricht vom Tod ihrer ältesten Schwester erreicht: Betty Breinle Isaacsohn hinterließ drei kleine Kinder und einen tief trauernden Witwer.

Oberin Theklas älteste Schwester Betty Breinle Isaacsohn, ohne Jahr – © Mit freundlicher
Genehmigung von Dr. Claus Canisius

Hier zeigte sich einmal mehr der Familienzusammenhalt der Mandels: Nach reiflicher Überlegung gab die inzwischen 40jährige und bislang alleinstehende Oberin ihre leitende Position auf, um am 24. Oktober 1907 ihren Schwager Iwan Isaacsohn zu heiraten (Angabe per Mail v. Claus Canisius, 26.05.2018: Familientafel Isaacsohn). Schweren Herzens, aber mit festem Blick auf ihre neue Aufgabe als Ehefrau, Mutter und Erzieherin musste Thekla Mandel ihr Frankfurter Leben – Freundinnen, Kolleginnen und ihre Schützlinge im Gumpertz’schen Siechenhaus – zurücklassen.

„Leviratsmutter“ und Lazarett-Oberschwester in Holzminden (Niedersachsen)

Im November 1907 traf Thekla Mandel – nunmehr Isaacsohn –in der niedersächsischen Mittelstadt an der Weser ein. Die jüdische Gemeinde zu Holzminden, der sie nun angehörte, umfasste nach den Angaben des Lokalhistorikers Klaus Kieckbusch (vgl. ders. 1988) bis zu 130 Mitglieder, zumeist selbständige Kaufleute und Handwerker. Die jüdischen Holzmindener/innen waren bestens in das städtische Vereinsleben integriert. Doch trübten insbesondere nach dem für Deutschland verlorenen Ersten Weltkrieg antisemitische Vorfälle das gute Einvernehmen mit der christlichen Mehrheitsbevölkerung.

Theklas Schwager und späterer Ehemann Iwan Isaacsohn, um 1905 – © Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Claus Canisius

Theklas Ehemann, der Schuhkaufmann Iwan Isaacsohn (geb. 23.01.1866 in Hamburg), wohlhabend, gebildet und gut aussehend, stammte aus einer Hamburger orthodox-jüdischen Familie. Zu seinen Vorfahren zählten angesehene jüdische Gelehrte wie Rabbi Jitzhak (geb. um 1780 in Hamburg) und Rabbi Chaver Nehemia Ben Jitzhak (geb. 1810 in Hamburg), welcher an einer Jeschiwa (Tora-Talmud-Hochschule) gelehrt hatte (vgl. Canisius 2015: 318). Möglicherweise hätte auch Iwan Isaacsohn gern diesen Weg beschritten. Angesichts der Frömmigkeit der Isaacsohns und der Mandels verwundert es kaum, dass der Musikwissenschaftler Dr. Claus Canisius in der zweiten Ehe seines Großvaters auch eine religiös-kulturelle Tradition erkannte:

„Starb in einer jüdischen Familie ein kinderloser junger Ehemann, so wurde eine altorientalische Rechtssitte wirksam: die Schwagerehe, beziehungsweise das Levirat oder Jibbum. Um das Geschlecht der Familie zu erhalten, ehelichte ein heiratsfähiger Schwager die Witwe, damit die erbberechtigte Nachkommenschaft der betroffenen israelitischen Familie erhalten blieb. Bei der Familie Iwan Isaacsohns wurde insofern eine Variante des Levirats wirksam, als nach Betty (Mandel) Isaacsohns frühem Tod jetzt Thekla Mandel, ihre Schwester[,] in die Familie an die Seite Iwans kam und gewissermaßen als Leviratsmutter die Erziehung [von] dessen drei Kinder[n], Werner, Leoni und Gretel übernahm […].“

In der Tat kam von den Schwestern der verstorbenen Betty nur die unverheiratete Thekla in Betracht. Obgleich zwei selbstbewusste Persönlichkeiten aufeinandertrafen und offenbar keine Liebesheirat ‚vorlag‘, soll die ‚Leviratsehe‘ den Familieninformationen Claus Canisius‘ zufolge geglückt sein.

Thekla Isaacsohns Stiefkinder Leoni, Werner und Gretel (v. l. n. r.), ohne Jahr (um 1910) – © Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Claus Canisius

Thekla Isaacsohn, die ohne eigene Kinder geblieben war, konnte ihre Mütterlichkeit verwirklichen und erntete dafür die Liebe und Anerkennung der ihr anvertrauten Halbwaisen‘, deren Tante sie zugleich war. Leoni (geb. 16.02.1896), Gretel (Greta) (geb. 31.07.1899) und Werner (geb. 17.04.1904), alle drei in Holzminden zur Welt gekommen, waren zum Zeitpunkt der zweiten Heirat ihres Vaters erst elf, acht und drei Jahre alt; Gretel war ihrer Stiefmutter besonders zugetan. Neben ihren Familienaufgaben engagierte sich die pflichtbewusste und tatkräftige Thekla Isaacsohn im Ersten Weltkrieg für den Holzmindener „Rotkreuz- und Bahnschutzdienst“ und organisierte als Oberschwester den Lazarettdienst mit (vgl. Kieckbusch 1998: 349). Nach dem Krieg wurde sie Witwe: Iwan verstarb im Jahr 1919, ebenso ihre zuletzt bei der Schwester Rosa in Emden lebende Mutter Julie Mandel. Die Grabmäler von Iwan Isaacsohn und seiner ersten Frau Betty Breinle auf dem Jüdischen Friedhof Holzminden sind bis heute erhalten, obwohl in der NS-Zeit viele Gräber – darunter auch Iwans – geschändet wurden. Seine Grabstätte war vermutlich als „Doppelgrab“ (Claus Canisius) angelegt, damit seine Witwe Thekla dort ihre letzte Ruhestätte fände (vgl. Fotografien in Canisius 2016 sowie B. Putensen, 2015, bei Genealogy.net: https://grabsteine.genealogy.net/tomb.php?cem=3887&tomb=24&b=&lang=de).

Thekla Isaacsohn in ihrer Holzmindener Zeit, 1923 – © Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Claus Canisius

Nach Iwans Tod zog sich Thekla Isaacsohn nicht in ihre Trauer zurück, sondern setzte ihr soziales Engagement in der jüdischen Gemeinde fort: In Holzminden „florierte über lange Jahre ein 1906 gegründeter“ israelitischer Frauenverein, dem sie 1924/25 sogar vorstand (vgl. Kieckbusch 1998: 311). Zuvor hatte ein antisemitisches Ereignis die Stadt erschüttert, das vor allem Theklas ältere Stieftochter traf: Leoni Isaacsohn hatte 1920 Siegmund Salomon geheiratet und führte mit ihm gemeinsam das Schuhhaus Feist & Co. (offenbar ein überregionales Unternehmen der Familie Feist mit Hauptsitz in Hannover, in die Theklas Schwester Alma eingeheiratet hatte). Am 10. August 1923 griffen demonstrierende Arbeitnehmer/innen das Schuhhaus Feist an. Die aus sozialer Not entstandene Erhebung gegen Holzmindens Unternehmerschaft bekam durch die Plünderung ausschließlich jüdischer Geschäfte einen „stark antisemitischen Aspekt“ (ebd.: 358): Die Demonstranten drangen in das Schuhhaus Feist ein, zerschlugen Türen, Vitrinen und Einrichtungsgegenstände und raubten fast den gesamten Warenbestand. Das Ehepaar Salomon musste sein Geschäft vorläufig schließen, erkämpfte sich aber vom Deutschen Reich und dem Land Braunschweig eine Teilentschädigung – die die Stadt Holzminden mit der Begründung verweigerte, mögliche weitere judenfeindliche Exzesse vermeiden zu wollen (ebd.: 360). 1925 musste Thekla Isaacsohn vom Tod ihrer erst 29-jährigen Stieftochter Leoni Salomon in Höxter erfahren. Leonis jüngere Schwester Gretel wurde danach von ihrer Tante Alma (Mandel) Feist und deren Ehemann Abraham gen. Adolf Feist im Erwachsenenalter adoptiert – vermutlich auch aus erbrechtlichen Gründen, da das Ehepaar Feist keine eigenen Kinder hatte. Am 1. Februar 1933, kurz nach der NS-Machtübernahme, verkaufte Leonis Witwer Siegmund Salomon das Schuhhaus Feist & Co. in Holzminden an seinen nichtjüdischen Prokuristen (ebd.: 421).

Spätestens 1938 erreichte die gezielte NS-‚Arisierung‘ von Grundbesitz auch Holzmindens jüdische Bürger/innen. Nach dem Wegzug ihres Schwiegersohns Siegmund Salomon ging das Haus Fürstenberger Straße 26 in den Besitz von Thekla Isaacsohns Stiefkindern Gretel und Werner über. Gretel lebte inzwischen im westfälischen Minden (Herkunftsort ihrer Großmutter Julie Mandel)

„in einer Ehe mit dem nichtjüdischen Regierungsbaurat Peter Canisius und wollte unter Zustimmung ihres Bruders im Dezember 1938 das Haus ihren beiden Söhnen als Schenkung überschreiben. Auf diese Weise erhofften sich die Beteiligten eine etwas größere Sicherheit für den Besitz. Landrat Knop bezog dem Genehmigungsantrag gegenüber sofort eine ablehnende Position: Es würden schließlich ‚Halbjuden‘ Eigentümer, ‚was ich für unerwünscht halte‚“ (ebd.: 423-424 [Hervorhebung im Original]).

Auf Intervention des braunschweigischen Innenministeriums kam die Schenkung am 24. März 1939 dann doch zustande: Zusatzregelungen der 1935 erlassenen ‚Nürnberger Rassegesetze‘ ließen eine Übertragung des Vermögens der jüdischen Mutter auf ihren nichtjüdischen Ehemann oder die gemeinsamen Kinder zu. Dennoch lebte Gretel Canisius – nach ihrer katholischen Taufe längst kein Mitglied der jüdischen Gemeinde mehr – in ständiger Angst, führte sie doch aus Sicht der NS-Behörden mit dem Ingenieur Peter Anton Canisius (1898–1978) eine „Mischehe“; die gemeinsamen Söhne Peter Paul (geb. 1929 in Peine) und Claus Heinrich (1934 Kolberg – 2020 Leutershausen) waren als „Mischlinge I. Grades“ der NS-Verfolgung ausgesetzt. Antisemitische Ausschreitungen in Minden und die nachfolgenden Deportationen spitzten die Lage weiter zu (vgl. Alicke 2017: Minden (Nordrhein-Westfalen)). Dem enormen Druck des Regimes, sich scheiden zu lassen, hat Peter Canisius widerstanden. Die „arische“ Herkunft des männlichen Ehepartners und ‚Familienoberhaupts‘ ersparte Gretel Canisius und den Kindern die Einweisung in ein Ghettohaus (NS-Jargon: „Judenhaus“). 1940 wurde der jüngere Sohn Claus „im Alter von sechs Jahren während der Shoah auf dem Land in der Nähe von Hameln versteckt“(Altenburg 2015; vgl. auch Gensch/Grabowsky 2010). Im Rückblick schildert Claus Canisius (2015: 329) eine weitere traumatische Erfahrung, die nur dank eines ‚Judenretters‘ nicht in der Katastrophe endete: 1944 informierte der Kriminalbeamte Heinrich Flessner „meine Mutter in Minden an der Haustür in der Gartenstraße 8 über einen bevorstehenden zweiten Abtransport der dort übrig gebliebenen deutschen Juden und gab ihr indirekt den für ihn selbst höchst riskanten Rat, sich ärztlich für transportunfähig erklären zu lassen […]“.

Thekla Isaacsohns Stiefsohn Werner, Gretels Bruder, riss die NS-Verfolgung aus seiner Laufbahn an der berühmten Kunstschule „Bauhaus“ in Weimar: als Grafiker und Mitarbeiter von Walter Gropius und László Moholy-Nagy, mit einem eigenen Atelier für Fotografie und Werbegrafik (vgl. den Wikipedia-Artikel zu Werner (Isaacsohn) Jackson mit weiteren Literaturangaben: https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Jackson [21.09.2020]). 1939 flüchtete er nach England und baute sich als „Marionettenbauer und Spielzeugentwerfer“ (NL 2 Jackson; siehe auch NL 1 Jackson) eine neue Existenz in Oxford auf. Vermutlich aus Sorge, im Zweiten Weltkrieg als gebürtiger Deutscher ausgewiesen zu werden, änderte er seinen Familiennamen in ‚Jackson‘. Werner (Isaacsohn) Jackson verstarb am 3. Juli 1984 im Exil. Dass er seinen künstlerischen und schriftlichen Nachlass zu großen Teilen der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz und dem Bauhaus-Archiv e.V./ Museum für Gestaltung (Berlin) übertrug, dokumentiert seine starke Bindung an die deutsche Herkunft. Werners Schwester Gretel Canisius verstarb am 31. Dezember 1993 hochbetagt im badischen Weinheim. Nach der Shoah hatten Thekla Isaacsohns Stiefkinder um Entschädigung und die Rückerstattung ihres NS-geraubten Erbes gekämpft.

Letzte Oberin des Frankfurter Stiftungsprojekts ‚Erholungsheim für israelitische Frauen Baden-Baden E.V.‘

Nach Iwans Tod am 24. September 1919 wohnte Thekla Isaacsohn zunächst weiterhin in Holzminden. Laut Meldeunterlagen zog sie dreimal für mehrere Monate – erstmals vom 18. April bis zum 1. Oktober 1923 (danach 8. Mai bis 6. Dezember 1926 und 13. Juni bis 30. Oktober 1928) – nach Baden-Baden (Stadtarchiv Holzminden: Auskunft v. Dr. Matthias Seeliger per Mail v. 13.02.2018). In das berühmte Heilbad im Schwarzwald kam sie sehr wahrscheinlich nicht als Kurgast, sondern half im Erholungsheim für israelitische Frauen Baden-Baden E.V. aus, das sie wenige Jahre später selbst leiten sollte. In Baden-Baden sollte sich der Kreis von Oberin Theklas pflegerischem Engagement für hilfsbedürftige Glaubensgenossinnen schließen: Die Gründerin des im Juni 1913 „in Anwesenheit hochrangiger Repräsentanten aus Stadt und Land Baden“ (Schindler 2013: 79; vgl. auch Anonym. 1913; Plätzer 2012) feierlich eröffneten orthodox-jüdischen Frauenkurheims war, mit Unterstützung ihres bewährten Beraters Michael Moses Mainz und der Frankfurt-Loge Bne Briss – Mathilde von Rothschild, welche bereits die ‚Vorderhaus‘-Villa des Frankfurter Gumpertz’schen Siechenhauses, Thekla Isaacsohns früherer Arbeitsstätte, gestiftet hatte. Der Verein Erholungsheim für israelitische Frauen Baden-Baden E.V. mit Sitz in Frankfurt a.M. „hatte den Zweck, mittellosen Frauen und Mädchen, die aufgrund ärztlicher Anordnung nach überstandener Krankheit oder Überarbeitung einer Kur bedurften oder einen Erholungsurlaub benötigten, eine (vierwöchige) Kur in der Anstalt des Vereins in Baden-Baden unentgeltlich oder gegen Ersatz eines Teils der Selbstkosten zu ermöglichen“ (Schiebler 1994). Das in einer parkähnlichen Gartenlandschaft mit Blick auf die Schwarzwaldberge gelegene Heim öffnete seine Pforten saisonal zwischen Frühjahr und Spätherbst. Insbesondere im und nach dem Ersten Weltkrieg fanden auch Frauen mit Doppelbelastung durch Beruf und Familie Aufnahme. Hinzu kamen in den nachfolgenden Inflationsjahren viele weibliche Kurgäste aus der verarmten Mittelschicht.

Im August 1931 meldete sich Thekla Isaacsohn endgültig aus Holzminden ab und kehrte zunächst nach Frankfurt am Main zurück (Auskunft v. Klaus Kieckbusch, Holzminden, per Mail v. 13.02.2018). Ob sie dort ihren früheren Wirkungsort, das Gumpertz’sche Siechenhaus, besuchte oder gar vorübergehend dort wohnte? Gewiss traf sie Rebecka Cohn, langjährige ‚Ehrendame‘ im Vorstand des Vereins sowie Co-Leiterin des Erholungsheims für israelitische Frauen Baden-Baden E.V. Die Frankfurter Aufenthalte währten nur kurz: So war Thekla Isaacsohn seit dem 8. März 1933 im Frankfurter jüdischen Schwesternhaus (Bornheimer Landwehr 85) gemeldet, kehrte aber bereits am 22. März 1933 wieder nach Baden-Baden zurück (ISG Ffm, HB 655, Bl. 35). Auch später besuchte sie wiederholt Frankfurt und wohnte dort vermutlich bei Bekannten, da sie in den Frankfurter Adressbüchern der 1930er Jahre nicht namentlich aufgeführt ist.

Nach einem Bericht im Frankfurter Israelitischen Gemeindeblatt (Anonym. 1933) wurde Thekla Isaacsohn bereits 1932 Oberin des jüdischen Frauenkurheims zu Baden-Baden, das im gleichen Jahr „nahezu 150 Erholungsbedürftige aufnehmen und ihnen eine erfolgreiche Kur darbieten“ konnte. Zuvor war das stark nachgefragte Heim „durch den Bau einer neuen Liegehalle sowie eines neuen Speisesaals nach den Vorschlägen unserer Ärzte erweitert und verschönt worden“ (Anonym. 1930). Obgleich bereits im Rentenalter, stellte sich Thekla einer fordernden Aufgabe. In der NS-Zeit war sie im Angesicht des eskalierenden Antisemitismus bemüht, das Kurheim als Refugium für gesundheitlich geschwächte jüdische Frauen zu erhalten. Zuletzt vergeblich: Am 29. September 1939 wurde das inzwischen als jüdisches Altersheim geführte Erholungsheim für israelitische Frauen Baden-Baden E.V. in die von Reichssicherheitshauptamt und Gestapo kontrollierte Reichsvereinigung der Juden in Deutschland eingegliedert. Am 22. Oktober 1940 folgte die Deportation von Oberin Thekla mit weiterem Personal und vermutlich einigen älteren Bewohnerinnen in das südfranzösische Lager Gurs. Die Polizeidirektion Baden-Baden versiegelte das zwangsgeräumte Anwesen (StAF: Personalakte Isaacsohn, Thekla). Auf deren Anweisung hin veräußerte die Reichsvereinigung der Juden die Liegenschaft (Werderstraße 24) samt Inventar an einen „arischen“ Kaufmann, der den Kurbetrieb – selbstredend mit nichtjüdischen Gästen – fortführen wollte (ebd.). Nach dem Zweiten Weltkrieg beherbergte das frühere jüdische Frauenkurheim, jetzt Sanatorium Haus Rubens, auf Beschluss des Badischen Innenministeriums seit Juni 1946 ein Erholungsheim „für politisch, rassisch und religiös Verfolgte“ (Schindler 2013: 291, Fn 14; siehe auch Alemannia Judaica Baden-Baden nach 1945.

Die Geschichte des Erholungsheim für israelitische Frauen Baden-Baden E.V. gilt es noch weiter aufzuarbeiten.

„Wir wissen hier nichts von der Welt u. sehen nur Stacheldraht“ – NS-Verfolgung und Deportation nach Gurs (Südfrankreich)

Unter der NS-Verfolgung bot das jüdische Frauenkurheim zu Baden-Baden seinen Gästen vorübergehend einen Schutzraum:

„Die Notwendigkeit des Heims hat sich in dem vergangenen, für die deutsche Judenheit so schweren Jahr [1934, B.S.] besonders bewährt. Etwa 150 Erholungsbedürftige konnten im Vorjahre aufgenommen werden. In der Versammlung kam der besondere Dank gegenüber den Leitern des Heims, Frau R. Cohn und Frau Thekla Isaacsohn […] zum Ausdruck“ (Anonym. 1935).

1938 trafen die NS-staatlich organisierten Novemberpogrome auch Baden-Badens jüdische Gemeinde: Ein vorsätzlich gelegter Brand zerstörte ihr Gotteshaus, die männlichen jüdischen Bürger wurden verhaftet und in aller Öffentlichkeit durch die Stadt getrieben. Schon im Frühjahr 1938 musste Thekla Isaacsohn vom Suizid ihres einzigen Bruders Josef Mandel – wie sein Vater jüdischer Religionslehrer, unter der NS-Verfolgung zuletzt Handelsvertreter in Berlin – erfahren; mit Josef, Betty und der 1931 in Hamburg verstorbenen Hanna Wolff hatte sie bereits drei Geschwister verloren. Zwei weitere Schwestern – Alma Feist und Rosa von der Walde – wurden zusammen mit ihren Ehemännern in der Shoah ermordet. Einzig die Jüngste, Hermine Norden, konnte im britischen Exil überleben.

Im Jahr 1939 reiste Thekla Isaacsohn noch einmal nach Frankfurt. In einer Wohnung (Thüringer Straße 19) nahe des Frankfurter Zoo entstand am 13. März 1939 das vermutlich letzte und einzige noch erhaltene gemeinsame Foto mit ihrem geliebten jüngeren Enkel Claus.

Thekla Isaacsohn und ihr Enkel Claus, am 13.03.1939 aufgenommen in einer Frankfurter Privatwohnung (Bildausschnitt) – © Mit freundlicher Genehmigung von und herzlichem Dank an Dr. Claus Canisius

Wieder in Baden-Baden, hielt Oberin Thekla im israelitischen Frauenerholungsheim, nunmehr Altersheim, weiterhin die Stellung. „Die letzten Gäste – meist ältere Frauen, für die eine Auswanderung nicht mehr in Frage kam – wurden am 22.10.1940 in das Internierungslager Gurs deportiert“, schreibt die Autorin und Redakteurin Angelika Schindler (dies. 2013: 79). Die Verschleppung der jüdischen Bevölkerung aus Baden und der Saarpfalz in das südfranzösische Lager Gurs war eine der ersten Deportationen aus Nazideutschland. Die als ,Ausweisung‘ getarnte und nach den beiden hauptverantwortlichen NS-Gauleitern benannte ‚Wagner-Bürckel-Aktion‘ stand unter höchster Geheimhaltung (vgl. einführend den Wikipedia-Eintrag ,Wagner-Bürckel-Aktion‘ mit weiteren Literaturangaben: https://de.wikipedia.org/wiki/Wagner-B%C3%BCrckel-Aktion [21.09.2020]). Sie traf die jüdischen Bürger/innen völlig unvorbereitet: In den frühen Morgenstunden des 22. Oktober 1940 drangen Gestapobeamte und Mitglieder nationalsozialistischer Parteiformationen in ihre Häuser und Wohnungen ein und nötigten sie zum hastigen Packen; lediglich 50 Pfund Gepäck und bis zu 100 RM waren erlaubt. Der Überfall ließ keine organisierte Gegenwehr zu, zumal er nach der vorausgegangenen Zwangsemigration jüngerer Menschen viele ältere und gesundheitlich angeschlagene Menschen traf, aber auch Kinder und Jugendliche; jüdische Partner/innen aus so genannten „Mischehen“ blieben vorerst verschont. Durch die Gleichstellung der ‚Ausgewiesenen‘ mit ‚Reichsflüchtlingen‘ unter Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit verschaffte sich der NS-Staat seine ,Legitimation‘ für den Zugriff auf ihr Eigentum. Die Räumlichkeiten der Deportierten wurden behördlich versiegelt, bewegliche Güter im Auftrag der Dienststelle des Generalbevollmächtigten für das jüdische Vermögen öffentlich versteigert.

Auch Thekla Isaacsohn verlor alle finanziellen Rücklagen und nahezu ihre gesamte Habe. Das Gepäck unterlag repressiven Auflagen: „Nicht genehmigt waren z.B. rezeptpflichtige Medikamente, für ältere Menschen – und das waren in Baden-Baden fast alle Deportierten – eine lebensbedrohliche Regelung“ (Schindler 2013: 260). Nur ein wärmender schwarzer Seal-Pelzmantel ,begleitete‘ die 73-jährige Oberin nach Gurs. Den Großteil ihrer Kleidung und Wäsche musste sie zurücklassen, ebenso ihre im Kurheim untergebrachte komplette Wohn- und Schlafzimmereinrichtung sowie Gebrauchsgegenstände und Bücher. Der Verbleib ihres Mobiliars lässt sich nicht mehr ausreichend klären: Nach bisherigem Informationsstand rettete der Noch-Eigentümer des jüdischen Frauenkurheims, die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, vor dem Verkauf (‚Arisierung‘) der Liegenschaft Teile des Inventars für jüdische Altersheime in Mannheim und Konstanz – ohne Kenntnis, dass sich darunter womöglich private Möbel der Oberin befanden (StAF: Personalakte Isaacsohn, Thekla; Restitutionsverfahren Erholungsheim für israelitische Frauen in Baden-Baden e.V.). Die nicht übernommenen Objekte wurden im Haus versteigert oder gelangten gegen eine geringe Gebühr an den Vertreter der jüdischen Reichsvereinigung in den Besitz des Käufers Rubens. Im Sommer 1941 statteten Gretel und Peter Canisius – Thekla Isaacsohn hatte die Lagerhaft bereits das Leben gekostet – dem ‚Haus Rubens‘ einen Besuch ab. Das Ehepaar Rubens zeigte sich kooperativ und händigte einige wenige noch verbliebene Gegenstände aus, die Thekla Isaacsohns Erben als das Eigentum ihrer Mutter und Schwiegermutter erkannten.

Die Deportation am 22. Oktober 1940 in Richtung Südfrankreich, das dem mit Nazideutschland kollaborierenden Pétain-Regime in Vichy unterstand, war mit den französischen Behörden offenbar nicht abgesprochen. Dennoch verweigerten die deutschen Nationalsozialisten strikt die Rückführung der insgesamt über 6.500 jüdischen Badener/innen, Pfälzer/innen und Saarländer/innen nach Deutschland. So leitete das überrumpelte französische Bahnpersonal die Deportationszüge weiter in den Süden. Bis dahin mussten die in verplombten Waggons Eingepferchten mehrere Tage und Nächte ausharren – ohne ausreichende Flüssigkeit, Verpflegung und medizinische Versorgung. Völlig erschöpft erreichten sie das Camp de Gurs und gerieten in ein morastiges, baufälliges und bereits winterlich kaltes Barackenlager am Fuße der Pyrenäen, das „die Dimensionen einer mittleren Stadt hatte“ (Teschner 2002: 123). Das mit Stacheldraht von der Außenwelt abgesperrte Lager „besteht aus ca. 380 Baracken, die weder sanitäre Anlagen noch Trennwände haben. Statt Fenster gibt es unverglaste Lichtluken, die durch Holzklappen verschlossen werden können. In einer Baracke sind etwa 50 bis 60 Menschen untergebracht“ (Gerlach/Weber 2005: 16). Ihre traumatischen Eindrücke vom Lager Gurs im Herbst/Winter 1940 schilderte die Schweizer Rotkreuzschwester Elsbeth Kasser (zit. n. Wiehn 2010: 165-168, hier 165f.):

„Die erste Nacht war kalt und hart. Ratten rannten umher und bissen manchmal zu, Wanzen machten sich bemerkbar. […] Es regnete und regnete… Der Boden war in ein Schlamm-Meer verwandelt, etwas vom Schlimmsten in Gurs. Nur mühsam konnte ich mich fortbewegen, glitt aus, sank ein. […] Als ich zum ersten Mal in eine Baracke eintrat, war es trotz Tageslicht dunkel. Wegen der Kälte hatte man die Fensterläden geschlossen, und Fensterscheiben gab es keine. Da lag und kauerte auf oft feuchten Strohsäcken am Boden Mensch an Mensch. Tisch, Sitzgelegenheit oder Aufhängevorrichtung für Kleider fehlten. Wegen der Kälte schliefen viele in ihren Kleidern. […] Ein spärliches Licht brannte nur von 18 bis 20 Uhr. Ratten und anderes Ungeziefer trieben ihr Unwesen. Die Latrinenverschläge waren bis zu 100 Meter Entfernung in 2 Meter Höhe auf steiler Treppe erreichbar. […] Hier harrten auf engstem Raum vom Unglück verfolgte Menschen: Kranke, Alte und Kinder. Manche erfroren, viele starben vor Schwäche, und auf dem Lagerfriedhof zählte man schon nach dem ersten Winter über 1000 Gräber.“

Auch wegen ihres höheren Alters war die Sterberate unter den jüdischen Gefangenen hoch. „Nach den Unterlagen der Verwaltung starben im Lager Gurs zwischen dem 25. Oktober und dem Jahresende 1940 476 Personen“ (Teschner 2002: 161) – sehr wahrscheinlich an einer Durchfall-Epidemie in Verbindung mit verunreinigtem Trinkwasser. Dieser „Vorhölle von Auschwitz“ entkamen nur wenige Gefangene: Eine minimale Chance hatten Internierte mit Kontakten ins Ausland, die Visa, Schiffspassagen und Devisen beschaffen konnten (vgl. Schindler 2013: 256). Viele Deportierte hatten bei dem hastigen Aufbruch ihre Papiere zurückgelassen; Anträge wurden von den NS-Behörden verschleppt.

Infolge der gezielten Überfall-Strategie der ‚Wagner-Bürckel-Aktion‘ blieben außerhalb Badens und der Saarpfalz lebende Angehörige lange Zeit im Ungewissen und erfuhren erst spät von deren ‚Ausweisung‘. Zu Alma Feist und Rosa van der Walde drang ein Brief ihrer Schwester Thekla durch, der sie über ihre Lagerhaft im fernen Gurs unterrichtete. Korrespondenz von und nach Gurs unterlag, wenn sie überhaupt ihr Ziel erreichte, einer „strengen Zensur“ (Gerlach/Weber 2005: 17). Die im westfälischen Minden wohnende Stieftochter Gretel Canisius hatte anfangs gehofft, die Oberin hätte den Transport der letzten Bewohnerinnen des Baden-Badener Heims nur begleitet und käme bald zurück. Doch sollte sie ihre geliebte „Leviratsmutter“ nie mehr wiedersehen. Selbst unter menschenfeindlichen Lagerbedingungen klardenkend und um ihre Lieben besorgt, bestimmte Thekla Isaacsohn nicht Gretel, sondern deren nach den NS-Rassegesetzen „arischen“ Ehemann zu ihrem offiziellen Erben. Erhalten ist ein Brief (StAF: Personalakte Isaacsohn, Thekla: handschriftliches Schreiben, undatiert (um 1941)) – vermutlich das letzte Lebenszeichen – in dem sie festhielt: „Wir wissen hier nichts von der Welt u.[nd] sehen nur Stacheldraht“. Thekla Isaacsohn überlebte die verheerende Epidemie des Winters 1940/41 im Lager Gurs, doch fiel am 3. Mai 1941 auch sie dem „kalten Mord“ (zitiert nach Resi Weglein, Krankenschwester und Überlebende von Theresienstadt, vgl. dies. 1990) zum Opfer. Von ihrem Tod erfuhren die Angehörigen, wie ihr Enkel Claus Canisius (2015: 325) mitteilt, erst anhand „einer Haarlocke in einem handschriftlichen Brief, geschrieben von einem anonymen Zeitzeugen“.

Seit 2010 erinnern an die Oberin und weitere Mitarbeiter/innen des israelitischen Frauenkurheims am ehemaligen Standort Werderstraße 24 sechs Stolpersteine (vgl. Schindler 2013: 291-292, Fn 14 sowie Badische Landesbibliothek Karlsruhe Verzeichnis: Stadtkreis Baden-Baden, S. 4, Nr. 48; BAK Gedenkbuch; JUF Datenbank; Stolpersteine Baden-Baden; Yad Vashem Datenbank).

Zusammen mit Thekla Isaacsohn wurden deportiert:

  • Lina Geismar geb. Katz (1894 Guxhagen/Melsungen – 1942 Auschwitz), Köchin;
  • Ludwig Geismar (1896 Breisach – 1942 Auschwitz), Hausdiener;
  • Rosa Goldschmidt (1889 Gelnhausen – 1942 Auschwitz), Bürohilfe;
  • Katharina (Käthe) Preis (1913 Saarbrücken – 1942 Auschwitz), Hausgehilfin;
  • Marion (Maria Karin) Spier (1908 Kassel – 1942 Auschwitz), Hausgehilfin.
,Stolpersteine‘ für Oberin Thekla Isaacsohn und ihr Team, Baden-Baden, Werderstraße 24 – © Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Claus Canisius

Schwarzwaldtanne, Stolperstein und Kiddusch-Kelch: Wege des Gedenkens an Thekla Isaacsohn

Anders als die allermeisten Mordopfer der Shoah erhielten Thekla Isaacsohn und viele ihrer 1940 deportierten Leidensgenossinnen und Leidensgenossen eine Beerdigungsstätte: auf dem Lagerfriedhof des Camp de Gurs mit über tausend noch heute bestehenden Gräbern. Der Friedhof, lange Zeit vergessen und verdrängt, verwahrloste zusehends, ein Zustand, der Angehörige und Nachkommen zusätzlich belastete. Im Jahr 1957 begab sich Gretel Canisius auf die mühselige Spurensuche nach dem Grabstein ihres geliebten „Muttchens“. Aus ihrem Bericht (zit. n. Canisius 2015: 327) sprechen Trauer und Wut, aber auch Erleichterung, dass überhaupt ein Grab existiert:

„Diesen Landstrich muss der Herrgott im Zorn erschaffen haben. Es hat aus Eimern geschüttet. […] wir blieben fast stecken im Schlamm, unbefestigte Wege, Gräber in Reihen, Gräber soweit das Auge reichte. Auf jedem Grab ein Schild mit Nummer & Namen der Toten. In der Mitte des Friedhofs ein großer steinerner Obelisk mit einem Davidstern, von Amerikanern gestiftet. Wir haben gesucht & gesucht und haben Muttchens Grab gefunden. Ich habe eine Schwarzwaldtanne gepflanzt, begießen brauchte ich sie nicht, das haben meine Tränen und der Himmel besorgt. – Heute ist der Friedhof vom Land Baden-Württemberg instand gesetzt und bestens gepflegt. Zur Einweihung war Sohn Peter dabei. Ein Alb ist von meiner Seele gewichen. Ich habe sie noch einmal besucht, wenn auch nicht mehr im Leben, so doch im Tode.“

Grabsteine auf dem Lagerfriedhof des Camp de Gurs, 22.11.2007 – © Jean Michel Etchecolonea (Fotograf), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gurs_tombes-1.JPG?uselang=de

Der „Deportiertenfriedhof“ (vgl. Stadt Karlsruhe:
https://www.karlsruhe.de/b4/international/gurs.de [21.09.2020]) wurde schließlich auf Initiative des damaligen Karlsruher Oberbürgermeisters Günther Klotz instandgesetzt, neugestaltet und am 26. März 1963 eingeweiht. Seit 2002 beteiligt sich auch die Stadt Baden-Baden an der Finanzierung der Pflege des Friedhofs als einem Gedenkort.

,Stolperstein‘ für Thekla Isaacsohn in Baden-Baden, Werderstraße 24, mit der Inschrift: „Hier wohnte und arbeitete Thekla Isaacsohn geb. Mandel, JG [Jahrgang] 1869 [sic!] – deportiert 1940 Gurs– tot 3.5.1941“, 2010 verlegt – © Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Claus Canisius

„[…] das Verschleppen meiner Großmutter nach Gurs und damit in den Tod ist grauenhaft trostlos“, trug Gretels jüngerer Sohn Dr. Claus Canisius in seine Publikation Mosaische Spurensuche (ders. 2015: 329) ein. Ermutigung, Selbstvergewisserung und Trost fand der Musikwissenschaftler im Gedenken an die mütterliche jüdische Familiengeschichte der Isaacsohns und der Mandels, deren biografisches und kulturelles Erbe er aufdeckte und in deren Tradition er sich selbst verortete. So besuchte er nicht nur den ‚Stolperstein‘ für seine Großmutter Thekla vor dem ehemaligen Baden-Badener jüdischen Frauenkurheim, sondern ebenso die Gräber seiner Vorfahren auf dem Jüdischen Friedhof Holzminden (vgl. Canisius 2016). Seine 1993 verstorbene Mutter Gretel hinterließ ihm ein kostbares Gut: zwei unversehrte Kiddusch-Kelche. Die vor der nationalsozialistischen Vernichtung bewahrten rituellen Weinkelche befanden sich zuvor im Besitz seines Großvaters Iwan Isaacsohn.

Kiddusch-Kelch (1859) für Rabbi Chaver Nehemia Ben Jitzhak – © Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Claus Canisius

Iwan Isaacsohn hatte die rituellen Weinkelche von seinen Eltern Fanny und Joseph Nehemias Isaacsohn geerbt und diese wiederum von Josephs Vater Rabbi Chaver Nehemia Ben Jitzhak, Sohn von Rabbi Jitzhak und ein hochangesehener jüdischer Gelehrter (Chaver), der an einer Tora-Talmud-Hochschule (Jeschiwa) lehrte. Der jüngere der beiden Kelche, „verziert mit vier religionsgeschichtlichen bedeutenden Gravuren“ (Canisius 2015: 305), war ein Geschenk der Jeschiwa-Studenten an ihren hochverehrten Lehrer.

Inschrift auf dem Kiddusch-Kelch für Rabbi Chaver Nehemia Ben Jitzhak – © Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Claus Canisius

Die erste Inschrift enthält „die Genealogie der Familie Isaacsohn, die von Lehrern und Schülern gemeinsam erstellten Widmungstexte sowie das Totengedenken“ (ebd.: 307). Diese Entdeckung war für Claus Canisius – als dem Nachfahren und Erben einer von den Nationalsozialisten fast vernichteten jüdischen Familie – von unschätzbarem Wert.

Jüdische Genealogie: Iwan Isaacsohn – Gretel (Isaacsohn) Canisius – Dr. Claus Canisius – © Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Claus Canisius

Die gemeinsame jüdische Tradition und Familiengeschichte (vgl. Canisius 2015: 318), symbolisiert durch die geretteten Kiddusch-Kelche und ihre Inschriften, hat Claus Canisius wieder mit seiner schmerzlich vermissten Großmutter vereint. In einem Interview (vgl. Altenburg 2015) hatte Oberin Theklas über 80-jähriger Enkel seinem Gesprächspartner einen Herzenswunsch offenbart: „Ich würde gerne Rabbiner werden.“

Nachbetrachtung und Dank

Bis auf ihren Brief aus dem Camp de Gurs sind von Thekla (Mandel) Isaacsohn bislang keine weiteren Ego-Dokumente wie Tagebücher, Aufzeichnungen und Korrespondenzen bekannt. Gleichwohl gehört ihre berufliche, persönliche und Familienbiografie zu den wenigen Lebensgeschichten deutsch-jüdischer Krankenschwestern, die weitgehend rekonstruiert werden konnten. Eine ähnlich günstige Quellenlage weisen lediglich der erhaltene Teil-Nachlass und die 1996 veröffentlichte Autobiografie Stationen einer jüdischen Krankenschwester. – Deutschland – Ägypten – Israel von Thea Levinsohn-Wolf auf. Am Beispiel Thekla Isaacsohns und ihrer jüngeren Frankfurter Kollegin Thea lassen sich  für Bildung, Fortbildung, Unterricht und Lehre wichtige Aspekte deutsch-jüdischer Pflegegeschichte dokumentieren, beleuchten und mit Fotomaterial veranschaulichen, Erkenntnisse über Zusammenhänge von Pflege und Judentum gewinnen, Erinnerung vertiefen.

Für die großartige Unterstützung und Zusammenarbeit bei den Recherchen zu diesem Artikel dankt die Autorin ganz besonders dem im März 2020 leider verstorbenen Musikwissenschaftler und Enkel Dr. Claus Canisius, seiner Frau Dorothea Canisius für die gastfreundliche Aufnahme. Des Weiteren geht der Dank (in alphabetischer Reihenfolge) an Dr. Claudia Becker, Stadtarchiv Lippstadt – Klaus Kieckbusch, Holzminden – Jochen Rees, Staatsarchiv Freiburg – Andrea Rönz, Stadtarchiv Linz am Rhein – Gerd Schmitz, Standesamt Linz am Rhein – Dr. Matthias Seeliger, Stadtarchiv Holzminden – Prof. em. Dr. Erhard Roy Wiehn, Universität Konstanz. Für die Erforschung der Familiengeschichte Mandel/Isaacsohn hilfreich war zudem das digitale Datenbankprojekt Jüdisches Leben in Minden und Umgebung (https://juedisches-leben.kommunalarchiv-minden.de/index.php, Stand 21.09.2020).

Birgit Seemann, Stand November 2021

Literaturverzeichnis

Ungedruckte Quellen

ISG Ffm: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main
HB 655: Hausstandsbuch Bornheimer Landwehr 85 (Frankfurter jüdisches
Schwesternhaus), Sign. 655
LA NRW: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abt. Ostwestfalen-Lippe (Detmold):
Register der Juden und Dissidenten im Regierungsbezirk Arnsberg, Lippstadt: P 5, Nr. 256: Nr. 154 (rechte Seite, letzter Eintrag): Geburtseintrag zu Thekla Mandel zu 1867 (rechte Seite, letzter Eintrag)
StAF: Staatsarchiv Freiburg: Landesarchiv Baden-Württemberg, Abteilung Staatsarchiv Freiburg:
Personalakte (Entschädigungsakte): Bestand F 196/1 Nr. 5886: Isaacsohn, Thekla
Zivilprozessakten (Restiutionsverfahren): Bestand F 168/2 Nr. 762: Canisius, Gretel
Zivilprozessakten (Restitutionsverfahren): Bestand F 166/3 Nr. 3863: Canisius, Peter [Schwiegersohn, von Thekla Isaacsohn als Erbe eingesetzt]
Zivilprozessakten (Restitutionsverfahren): Bestand F 168/2 Nr. 619: Isaacsohn-Jackson, Werner, Oxford (Großbritannien)
Landgericht Baden-Baden (Restitutionsverfahren): Bestand F 165/1 Nr. 121:
Rückerstattung (Grundstück mit Wohnhaus Werderstraße 24, Baden-Baden), Kläger: Erholungsheim für israelitische Frauen in Baden-Baden e.V., Frankfurt a.M.: Beklagte(r): Rubens, Hans, Kaufmann, Baden-Baden; Löw, Emil, Fabrikant, Baden-Baden-Oos (1949-1954)
NL 1 Jackson: Jackson, Werner: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz: Jackson, Werner, Teil-Nachlass: http://kalliope-verbund.info/de/eac?eac.id=1111573360
NL 2 Jackson: Bauhaus-Archiv e.V. / Museum für Gestaltung, Berlin: the jackson archive: Jackson, Werner, Teil-Nachlass, Link mit Kurzvita u. Foto: https://www.bauhaus.de/de/sammlung/6445_schenkungen/6449_the_jackson_archive/
PA Canisius: Privatarchiv Dr. Claus Canisius (Canisius/Isaacsohn/Mandel)

 

Digitalisierte Quellen

Badische Landesbibliothek Karlsruhe
Badische Landesbibliothek Karlsruhe Verzeichnis: Digitale Sammlung: Verzeichnis der am 22. Oktober 1940 aus Baden ausgewiesenen Juden, Karlsruhe 1941: Der Generalbevollmächtigte für das Jüdische Vermögen in Baden: Stadtkreis Baden-Baden, Baden-Baden, S. 4 (Nr. 48), Online-Ausg. 2012: https://digital.blbkarlsruhe.de/blbihd/content/titleinfo/1079922
Kommunalarchiv Minden
Kommunalarchiv Minden Datenbank: Jüdisches Leben in Minden und Umgebung. Hg.: Kommunalarchiv Minden. Archiv der Stadt Minden und des Kreises Minden-Lübbecke, https://juedisches-leben.kommunalarchiv-minden.de/index.php
UB JCS Ffm: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt a.M.
Judaica Frankfurt: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaica/
Judaica Frankfurt CM: Judaica Frankfurt, Compact Memory: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/nav/index/title

 

Sekundärliteratur

Alicke, Klaus-Dieter 2008: Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum. 3 Bände. Gütersloh
Alicke, Klaus-Dieter 2017: Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum, Stand 01.01.2017, https://www.jüdische-gemeinden.de/index.php/home [Link inaktiv, Website zugänglich]
Altenburg, Manja 2015: „Ich würde gerne Rabbiner werden“. [Artikel über Thekla Isaacsohns Enkel Claus Canisius]. In: WINA. Das jüdische Stadtmagazin, Wien (Juni 2015), https://www.winamagazin.at/ich-wuerde-gerne-rabbiner-werden/ [21.09.2020]
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Becker, Ulrich (Red.) 1991: Leben und Leiden der jüdischen Minderheit in Lippstadt. Dokumentation zur Ausstellung der Stadt Lippstadt. Lippstadt
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Herzig, Arno 1973: Judentum und Emanzipation in Westfalen. Münster
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Schindler, Angelika 2013: Der verbrannte Traum. Jüdische Bürger und Gäste in Baden-Baden. Von den Anfängen bis 1945. 2., überarb. und erw. Aufl. Baden-Baden
Seemann, Birgit/ Bönisch Edgar 2019: Das Gumpertz’sche Siechenhaus – ein „Jewish Place“ in Frankfurt am Main. Geschiche und Geschichten einer jüdischen Wohlfahrtseinrichtung. Einleitung von Eva-Maria Ulmer und Gudrun Maierhof. Frankfurt a.M.
Steppe, Hilde 1997: „… den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre …“. Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Frankfurt a.M.
Teschner, Gerhard J. 2002: Die Deportation der badischen und saarpfälzischen Juden am 22. Oktober 1940. Vorgeschichte und Durchführung der Deportation und das weitere Schicksal der Deportierten bis zum Kriegsende im Kontext der deutschen und französischen Judenpolitik. Frankfurt a.M. [u.a.]
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Internetquellen (letzter Aufruf aller im Text verwendeten Quellen am 21.09.2020)

Alemannia Judaica: Alemannia Judaica – Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum: https://www.alemannia-judaica.de/
Alemannia Judaica Baden-Baden (Stadtkreis): https://www.alemanniajudaica.de/badenbaden_synagoge.htm
Alemannia Judaica Baden-Baden (nach 1945): https://www.alemanniajudaica.de/badenbaden_neu.htm
Alemannia Judaica Linz am Rhein: https://www.alemannia-judaica.de/linz_synagoge.htm (unter Mitarb. v. Gisela Görgens)
Alemannia Judaica Rhens: https://www.alemannia-judaica.de/rhens_synagoge.htm
BAK Gedenkbuch: Bundesarchiv Koblenz: Gedenkbuch: Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945, https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch
Geni: https://www.geni.com (private genealogische Website mit noch weiter zu prüfenden Angaben)
Joseph Mandel: https://www.geni.com/people/Joseph-Mandel/6000000036299037167
GenWiki: http://wiki-de.genealogy.net/Hauptseite. Hg.: Verein für Computergenealogie e.V., Dortmund – Datenbank Grabsteine: http://grabsteine.genealogy.net (unter Mitarbeit v. Holger
Holthausen u. Herbert Juling)
JüdPflege: Jüdische Pflegegeschichte / Jewish Nursing History. Forschungsprojekt an der Frankfurt University of Applied Sciences, https://www.juedische-pflegegeschichte.de
JUF Datenbank: Biographische Datenbank Jüdisches Unterfranken, http://www.historischesunterfranken.uni-wuerzburg.de/juf/
Stolpersteine Baden-Baden: http://stolpersteine-baden-baden.de
Theresienstadt Opferdatenbank: https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/
Yad Vashem Datenbank: Gedenkstätte Yad Vashem, Zentrale Datenbank der Holocaust-Opfer, https://yvng.yadvashem.org/

Gumpertz’sches Siechenhaus – Buchpräsentation im Haus am Dom

Hier finden Sie den LIVESTREAM zu unserer Veranstaltung „Gumpertz’sches Siechenhaus“ bei YouTube Haus am Dom: https://www.youtube.com/watch?v=tetgm6BawEo

Das Gumpertz’sche Siechenhaus – ein „Jewish Place“ in Frankfurt am Main

Prof. Dr. Eva-Maria Ulmer, Dr. Birgit Seemann, Dr. Edgar Bönisch (AK Jüdische Pflegegeschichte – Biographien und Institutionen in Frankfurt am Main)

Am Donnerstag, 12. November 2020, 19.30 -21.30 Uhr live aus dem Haus am Dom, Domplatz 3 in Frankfurt am Main

Weitere Informationen und Aktualisierungen zum Livestream

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