Jüdische Pflege- geschichte

Jewish Nursing History

Biographien und Institutionen in Frankfurt am Main

Ein Beitrag aus Altenpflege und Altenhilfe
Verweise hervorheben

Rothschild´sches Altersheim – ein Wohnprojekt für Frankfurter jüdische Seniorinnen im Zeil-Palais

In den Jahren 1902 und 1903 legten die Stifterinnen Mathilde von Rothschild und Minka von Goldschmidt-Rothschild den finanziellen und rechtlichen Grundstein für zwei Alterswohnheime, die den Bedürfnissen alleinstehender älterer Frankfurterinnen entsprachen. Diese ‚Frauenprojekte‘ betrafen unterschiedliche Zielgruppen: Die Witwe Mathilde von Rothschild, dem konservativ-religiösen Zweig der Frankfurter Rothschilds verpflichtet, öffnete ihr vormaliges Wohnpalais in der Innenstadt frommen Glaubensgenossinnen gutbürgerlicher Herkunft, die wie sie selbst zumeist alteingesessenen Frankfurter jüdischen Familien entstammten. Ihre Tochter Minka gründete das Rothschild´sche Damenheim für einkommensschwache ältere Mieterinnen aller Konfessionen. Für beide Projekte sorgte als dritte Stifterin Minkas nach Paris verheiratete Schwester Adelheid de Rothschild. Die Stiftungen widmeten Mathilde von Rothschild und ihre Töchter dem Andenken an den verstorbenen Ehemann und Vater Wilhelm Carl von Rothschild.

Fotografie: Hannah Mathilde von Rothschild, Frankfurter Stifterin, ohne Jahr.
Hannah Mathilde von Rothschild, Frankfurter Stifterin, ohne Jahr
© Courtesy of the Leo Baeck Institute: Paul Arnsberg Collection AR 7206

Das Freiherrlich Wilhelm u. Freifrau Mathilde von Rothschild’sches Altersheim für Israelitische Frauen und Jungfrauen besserer Stände, Zeil 92

Mathilde und Wilhelm von Rothschild wohnten nach ihrer Heirat im Jahre 1849 zunächst im Familienpalais auf der damaligen Prachtstraße Zeil 92 (alte Hausnummer: 34), bezogen dann aber ein neues Palais im Grüneburgpark. Aus dem Rothschild-Palais auf der Zeil, „[…] in welchem der hochselige Freiherr Anselm von Rothschild sein frommes Leben vollbracht und der hochselige Freiherr Wilhelm von Rothschild viele Jahre hindurch seinen frommen Studien obgelegen hat“ (zit. n. Statut Rothschild´sches Altersheim 1907, S. 3) wurde ein jüdisches Frauenaltersheim. Die Stiftung errichtete Mathilde von Rothschild unter Mitwirkung ihrer Töchter Adelheid de Rothschild und Minka von Goldschmidt-Rothschild am 27. März 1903, letztere verstarb kurz vor der bereits am 13. Mai 1903 erteilten behördlichen Genehmigung. Das im gleichen Jahr eröffnete Heim, zu dem auch das Haus Liebigstraße 24 gehörte, bot 25 Plätze. „Zweck der Stiftung war die Gewährung eines gesicherten Heimes gegen eine die Selbstkosten nicht übersteigende Vergütung für alleinstehende israelitische Frauen besserer Stände mit makellosem Lebenswandel“ (Schiebler 1994: 119). Wie die Stifterinnen selbst stammten die meisten Bewohnerinnen aus alteingesessenen jüdischen Familien der Frankfurter Ghettozeit.

Trotz ihrer Tatkraft und ihres organisatorischen Talents gehörte Mathilde von Rothschild (möglicherweise eingeschränkt durch das erst am 15. Mai 1908 aufgehobene Preußische Vereinsgesetz, das Frauen seit 1850 die Mitgliedschaft in Parteien und Organisationen verbot) dem ausschließlich männlich besetzten Stiftungsvorstand nicht an. Sie sicherte sich aber als Ehrenpräsidentin weitreichende Befugnisse, etwa die letzte Entscheidung in Vereinsfragen und die Bestimmung ihrer Nachfolge, sollte doch laut Statut „ein Mitglied der Familie des Freiherrn Wilhelm Carl von Rothschild stets das Ehrenpräsidium der Stiftung führen, wobei die weiblichen Mitglieder stets den Vorzug vor den männlichen Mitgliedern haben sollten“ (zit. n. Statut Rothschild´sches Altersheim, S. 7). Die verwitwete Gründerin, wie die Bewohnerinnen alleinstehend, nahm dort nach Eröffnung des Altersheims wieder ihren Wohnsitz: „Freifrau Mathilde von Rothschild hat sich für ihre Person vorbehalten, die drei Zimmer nach der Vorderseite des Parterres, das Hinterhaus sowie eine Kellerabteilung für sich zu verwenden“ (ebd., S. 6). Aufgrund der dürftigen Quellenlage ist nicht überliefert, wie sich die Kommunikation zwischen der Stifterin und den Bewohnerinnen gestaltete; auch über das Personal und die Innenausstattung ist wenig bekannt. Dass sich die Seniorinnen im Rothschild´schen Zeil-Palais gut aufgehoben fühlten, dokumentiert eine Notiz in der Dezember-Ausgabe 1933 (Heft 4) des Frankfurter Jüdischen Gemeindeblatts (S. 152): „Am 1. Dezember konnte Fräulein Adelheid Stiebel […] in Gesundheit und geistiger Frische ihren 80. Geburtstag begehen.“ Seit 1930 lebte die Witwe Johanna Herzberg, deren Töchter außerhalb Frankfurts wohnten, im Rothschild´schen Altersheim. Eine weitere Bewohnerin, Karoline Bing, konnte 1939 aus Nazideutschland flüchten.

Wenig zu erfahren ist bislang auch über die Angestellten des Rothschild´schen Altersheims, zu denen etwa die dort 1936/37 tätige Köchin Judith Allmeyer zählte. Seit 1917 arbeitete Jenny Hahn (geb. 1898), Tochter eines Viehhändlers im hessischen Birstein, im Seniorinnenheim. Ihre Biographie verband sich mit der Geschichte der Institution, in der sie selbst wohnte und deren Verwalterin sie 1930 wurde. Nachdem ihr Emigrationsversuch 1939 wegen des Kriegsbeginns gescheitert war, hatte sie diese Leitungsfunktion bis zur nationalsozialistischen Zwangsauflösung des Heims inne. Jenny Hahn wurde am 24. September 1942 von Frankfurt nach Raasiku (Estland) deportiert und dort mit hoher Wahrscheinlichkeit ermordet. An ihrem langjährigen Wirkungsort Zeil 92 verlegte der Künstler Gunter Demnig auf Initiative ihrer Nichte Marianne Ockenga am 4. Juni 2011 einen „Stolperstein“ (vgl. http://www.stolpersteine-frankfurt.de/dokumentation.html, mit Foto von Jenny Hahn, aufgerufen am 29.04.2013). Nach dem Tod ihrer Mutter Mathilde im Jahre 1924 unterstützte ihre einzige noch lebende Tochter Adelheid de Rothschild die jüdische Seniorinnenresidenz im ehemaligen Frankfurter Familienpalais von Paris aus und half ihr durch die wirtschaftliche Krisenzeit, u.a. leistete sie eine Großspende von 500.000 Reichsmark. Als die getreue Stifterin 1935 starb, kümmerten sich ihre drei Kinder und Erben Miriam Caroline Alexandrine von Goldschmidt-Rothschild, Maurice Edmond Karl de Rothschild (beide Paris) und James Armand Edmond de Rothschild (London) um den Fortbestand des Altersheims in der NS-Zeit. Über dessen Geschicke ließen sie sich regelmäßig Bericht erstatten. Dem Stiftungsvorstand gehörten 1938 Dr. Salomon Goldschmidt, Leon Mainz, Manfred Schames, Moritz Wallerstein und Max Wimpfheimer an, im Oktober 1939 Ludwig Hainebach, Leon Mainz, Martin Moses, Moritz Wallerstein (inzwischen Amsterdam) und Gustav Zuntz (vgl. ISG Ffm: Magistratsakten Sign. 9.621). Am 27. September 1940 wurde das Rothschild´sche Altersheim in die von den NS-Behörden eingerichtete Reichsvereinigung der deutschen Juden zwangseingegliedert.

Die Räumung des Rothschild´schen Altersheims erfolgte laut Bericht des Gestapo-Beauftragten bei der Jüdischen Wohlfahrt, Ernst Holland, zwischen dem 1. Juli und dem 30. September 1941. „Die Insassen wurden in verschiedene Altersheime verlegt, überwiegend in das Pflegheim des Jüdischen Krankenhauses […]. Um die Belegungsmöglichkeiten in diesem zu erhöhen, wurde der Betsaal geschlossen und zur Benutzung als Schlafraum eingerichtet“ (zit. n. Andernacht/ Sterling 1963: 471). Die Verwalterin Jenny Hahn begleitete die gebrechlichen Seniorinnen in das Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde in der Gagenstraße; die hierfür nicht ausgestattete letzte Frankfurter jüdische Klinik musste auf NS-Geheiß eine Altenpflegestation unterhalten. Was aber geschah unterdessen mit dem jetzt ‚arisierten‘ Rothschild-Palais auf der Zeil? „Von 1942 bis zu seiner Zerstörung [durch Luftangriffe, B.S.] 1944 befand sich in dem Haus die Hauptbefehlsstelle und Wache der Obdachlosenpolizei“ (Nordmeyer 1997, Teil II, S. 5). 1949, vier Jahre nach Kriegsende, übergab die Stadt Frankfurt am Main das Grundstück Zeil 92 an die zuständige jüdische Organisation JRSO (Jewish Restitution Successor Organization Inc.); es wurde 1952 an das Kaufhaus Hansa (danach Hertie, Karstadt) verkauft. Bislang (Stand April 2013) erinnert keine Gedenktafel an das frühere Rothschild´sche Altersheim für jüdische Frauen.

Recherchen in der internen biographischen Datenbank der Gedenkstätte Neuer Börneplatz des Jüdischen Museums Frankfurt am Main ergaben, dass mindestens 20 betagte Menschen, die im Rothschild´schen Altersheim gewohnt hatten, nach Theresienstadt und andere Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert wurden. Einige dieser Bewohner/innen, darunter auch Männer, hatten die NS-Behörden dort provisorisch untergebracht und danach an andere Frankfurter ‚Altersheime‘ (Ghettohäuser) oder das Krankenhaus Gagernstraße (vgl. ISG Ffm: Hausstandsbücher Gagernstraße 36 (Teil 2): Sign. 687) ‚verteilt‘. Von ihnen blieben Bella Ackermann, Rosa Cahn, Sara Gordon, Sophie Gruenbaum, Flora Heidingsfelder, Esther E. Heilbut, Auguste Hertzfeld, Emma Hirschberg, Eugen Siegfried Jacobson, Helene Kaufmann, Helene Liberles, Julia Mayer, Bertha Moses, Rosalie Nachmann, Johanna Nussbaum, Dorette Roos, das Ehepaar Jenny und Leopold Seliger, Karoline Strauss und Selma Strauss in der Schoa.

Birgit Seemann, 2013

Unveröffentlichte Quellen


ISG Ffm: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main: Hausstandsbücher Gagernstraße 36 (Teil 2): Sign. 687
Magistratsakten Sign. 9.621

Ausgewählte Literatur


Andernacht, Dietrich/ Sterling, Eleonore (Bearb.) 1963: Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden 1933-1945. Hg.: Kommission zur Erforschung der Geschichte der Frankfurter Juden. Frankfurt/M.

Arnsberg, Paul 1983: Die Geschichte der Frankfurter Juden seit der Französischen Revolution. Darmstadt, 3 Bände.

Karpf, Ernst 2004: Judendeportationen von August 1942 bis März 1945, http://www.ffmhist.de/

Kingreen, Monica (Hg.) 1999: „Nach der Kristallnacht“. Jüdisches Leben und antijüdische Politik in Frankfurt am Main 1938–1945. Frankfurt/M., New York.

Lenarz, Michael 2003: Stiftungen jüdischer Bürger Frankfurts für die Wohlfahrtspflege – Übersicht und Geschichte nach 1933, ISG Ffm: http://www.ffmhist.de/

Nordmeyer, Helmut 1997: Die Zeil. Bilder einer Straße vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. [Bearb. u. hg. für das Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt/M.]. Frankfurt/M.

Schiebler, Gerhard 1994: Stiftungen, Schenkungen, Organisationen und Vereine mit Kurzbiographien jüdischer Bürger. In: Lustiger, Arno (Hg.) 1994: Jüdische Stiftungen in Frankfurt am Main. Stiftungen, Schenkungen, Organisationen und Vereine mit Kurzbiographien jüdischer Bürger dargest. v. Gerhard Schiebler. Mit Beitr. v. Hans Achinger [u.a.]. Hg. i.A. der M.-J.-Kirchheim’schen Stiftung in Frankfurt am Main. 2. unveränd. Aufl. Sigmaringen, S. 11-288.

Seide, Adam 1987: Rebecca oder ein Haus für Jungfrauen jüdischen Glaubens besserer Stände in Frankfurt am Main. Roman. Frankfurt/M.

Statut Rothschild´sches Altersheim 1907: Statut der Stiftung: Freiherrlich Wilhelm u. Freifrau Mathilde von Rothschild’sches Altersheim für Israelitische Frauen und Jungfrauen besserer Stände [um 1907]. Online-Ausg. Frankfurt/M.: Univ.-Bibl., 2011, http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/judaicaffm/urn/urn:nbn:de:hebis:30:1-307739.

Internetquellen (Aufruf aller Links im Beitrag am 29.04.2013)


ISG Ffm: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main (mit Datenbank): www.stadtgeschichte-ffm.de sowie http://www.ffmhist.de/

JM Ffm: Jüdisches Museum und Museum Judengasse Frankfurt am Main (mit der internen biographischen Datenbank der Gedenkstätte Neuer Börneplatz): www.juedischesmuseum.de.

Stolpersteine Ffm: Initiative „Stolpersteine“ Frankfurt am Main: www.stolpersteine-frankfurt.de.